9.2. KREISTEILUNGSKÖRPER 9.2 341 Kreisteilungskörper Hier geht es um eine weitere wichtige Klasse von Körpern, die sogenannten Kreisteilungskörper. Mit ihrer Hilfe kann man in vielen Fällen exakt rechnen, d. h. Rundungsfehler beim Rechnen mit reellen Zahlen vermeiden. So lassen sich beispielsweise alle Rechnungen im Rahmen von Anwendungen der Darstellungstheorie endlicher Gruppen in solchen Körpern führen. Des weiteren dienen sie der Untersuchung der Frage, welche regelmäßigen n-Ecke mit Zirkel und Lineal konstruiert werden können. 9.2.1 Definition Sei P ein Primkörper, n ∈ N∗ . • Der Zerfällungskörper P(n) von xn − 1 über P heißt der n-te Kreisteilungskörper über P. • Die Wurzeln von xn − 1 heißen n-te Einheitswurzeln. • Die Gruppe der Einheitswurzeln in P(n) bezeichnen wir mit (n) := {κ ∈ P(n) | κn = 1} =: E(n) . EP (n) • Die Erzeugenden ζ von EP von ihnen gilt also heißen primitive Einheitswurzeln. Für jede (n) EP = hζi, und die Menge all dieser Erzeugenden bezeichnen wir mit: (n) FP (n) := {ζ | hζi = EP }. • Beispielsweise ist Z(q−1) = GF (q). p 9.2.2 Folgerung Für die Kreisteilungskörper gilt: • P(n) = P(E(n) ). • t | n ⇒ E(t) ⊆ E(n) ⇒ P(t) ⊆ P(n) . 2 9.2.3 Satz (n) • EP ∗ ist zyklische Untergruppe von P(n) . (n) • P = Zp ⇒ EP (np) = EP (n) . • Char(P) - n ⇒ |EP | = n. 342 Beweis: (n) i) EP ist, als endliche Untergruppe der multiplikativen Gruppe eines Körpers, zyklisch nach 9.1.2. ii) Ist p die Charakteristik, dann gilt xpn − 1 = (xn − 1)p . iii) Wegen (xn − 1)0 = n · xn−1 6= 0 hat xn − 1 keine mehrfachen Wurzeln. 2 9.2.4 Folgerung Ist Char(P) - n und ζ eine primitive n-te Einheitswurzel über P, dann gilt: (n) • EP = hζi = {1, ζ, ζ 2 , . . . , ζ n−1 }, (n) • P(n) = P(EP ) = P(ζ) = P[ζ]. (n) • |FP | = ϕ(n) = {i | 0 ≤ i < n, 1 ∈ ggT (i, n)}. (n) • Char(P) - m 6= n ⇒ FP (m) ∩ FP (n) • EP • P t|n = S t|n = ∅. FP (t) . ϕ(t) = n. 2 9.2.5 Beispiele i) Hier sind zunächst einige Anzahlen primitiver n-ter Einheitswurzeln bzw. von Werten ϕ(n) der Eulerfunktion ϕ, für die der letzte Punkt der Folgerung eine Rekursionsformel angibt: n 1 ϕ(n) 1 2 1 3 2 4 2 5 4 6 2 7 6 8 4 9 6 10 . 4 ii) Für den Primkörper Q gilt: (n) EQ = 2πik 2kπ 2kπ ζ = exp = cos + i sin k∈n , n n n k sowie (n) (n) FQ = {ζ k ∈ EQ | 1 ∈ ggT (k, n)}. 3 Mit Hilfe der Mengen primitiver Einheitswurzeln definieren wir nun 9.2. KREISTEILUNGSKÖRPER 343 9.2.6 Definition (Kreisteilungspolynome) Das n-te Kreisteilungspolynom über P, mit Char(P) - n, ist das Polynom Y Y (x − ζ) = (x − ζ k ), Φn := (n) k∈n:1∈ggT (k,n) ζ∈FP wobei ganz rechts irgendeine der primitiven n-ten Einheitswurzeln genommen werden kann. • 9.2.7 Folgerung Die Kreisteilungspolynome über Primkörpern P haben, wenn Char(P) - n, die folgenden Eigenschaften: Q Q • xn − 1 = t|n Φt = ζ∈E(n) (x − ζ), P • Ist n = p eine Primzahl, dann gilt Φp = xp−1 + . . . x + 1 = xp − 1 , x−1 • Es gilt die Rekursionsformel xn − 1 Φn = Q . n>t | n Φt 9.2.8 Beispiele Hier sind einige Beispiel von Kreisteilungspolynomen: n 1 2 3 4 5 6 Φn x−1 x+1 x2 + x + 1 x2 + 1 x4 + x3 + x2 + x + 1 x2 − x + 1 3 9.2.9 Satz Jedes Kreisteilungspolynom ist ein Polynom mit Koeffizienten im Primkörper P, und für P = Q gilt sogar: Φn ∈ Z[x]. Beweis: Durch Induktion nach n. i) Wegen Φ1 = x − 1 gilt die Behauptung für n = 1. ii) Für n > 1 gilt Φn = (xn − 1)/f , mit Y f := Φt . n>t|n 344 Nach der Induktionsannahme ist f ein Polynom über dem Primkörper, bei Charakteristik 0 sogar über Z. Division mit Rest im euklidischen Bereich P[x] ergibt xn − 1 = f · q + r, mit r = 0 oder Grad(r) < Grad(f ). Das ist aber auch eine Zerlegung über P(n) , und dort gilt: xn − 1 = f · Φn , also ist r = 0. Das impliziert aber q = Φn ∈ P[x] bzw. ∈ Z[x]. 2 9.2.10 Satz Die Kreisteilungspolynome über Q sind irreduzibel. Für die Kreisteilungspolynome über Zp gilt dies jedoch im allgemeinen nicht. Beweis: Sei (vgl. Unzerlegbarkeitskriterien) Φn = f ·g, mit normierten f, g ∈ Z[x] (n) und irreduziblem f , λ sei eine Wurzel von f . Dann ist λ ∈ FQ , also f = fQ,λ . i) Wir zeigen, daß F (λp ) = 0 gilt, falls p prim ist und n nicht teilt. Der Beweis verläuft indirekt. F (λp ) 6= 0 ⇒ G(λp ) = 0 ⇒ fQ,λ | g(xp ) in Q[x] ⇒ fQ,λ | g(xp ) in Z[x], etwa g(xp ) = fQ,λ · h, in Z[x]. Wir rechnen jetzt modular weiter, die Restklassen der Zahlen bzw. die Polynome, die durch Reduktion modulo p entstehen, kennzeichnen wir durch Querstriche. Die Gleichung ḡ(xp ) = f¯Q,λ · h̄ | {z } =(ḡ(x))p ergibt die Existenz eines gemeinsamen Faktors f¯0 von f¯Q,λ und h̄, so daß folgendes herauskommt: xn − 1 = Φ̄n · q̄ = f¯ · ḡ · q̄ = f¯02 · r̄. Demnach hat xn − 1 mehrfache Wurzeln, im Widerspruch zu p - n. ii) Jetzt zeigen wir noch die Gleichheit Φn = f. Wir zeigen dazu, daß Grad(Φn ) = Grad(f ), wozu wir verifizieren, daß jede primitive n-te Einheitswurzel λ Wurzel (n) von f ist. Sei dazu ζ ∈ FQ , etwa ζ = λk , ggT (k, n) 3 1. Ist jetzt k = p1 · · · pr die Primfaktorzerlegung, dann gilt: 0 = F (λ) =i) F (λp1 ) =i) F (λp1 p2 ) =i) . . . =i) F (λk ) = F (ζ). iii) Über Z5 dagegen gilt beispielsweise Φ12 = x4 − x2 + 1 = (x2 − 2x − 1)(x2 + 2x − 1), hier sind also nicht alle Kreisteilungspolynome irreduzibel. 2 (n) 9.2.11 Folgerung Ist ζ ∈ FQ , dann gilt 9.2. KREISTEILUNGSKÖRPER 345 • Φn = fQ,ζ , • [Q(ζ) : Q] = ϕ(n). 9.2.12 Satz Ist das regelmäßige n-Eck mit Zirkel und Lineal konstruierbar, dann gilt n = 2 k · p1 · · · pr , mit verschiedenen Fermatschen Primzahlen (das sind Primzahlen der Form pi = 2mi + 1) p1 , . . . , pr . Beweis: i) Das regelmäßige n-Eck ist genau dann konstruierbar, wenn eine primitive n-te Einheitswurzel konstruierbar ist. ii) Nach 9.2.11 und 8.3.5 folgt demnach aus der Konstruierbarkeit, daß ϕ(n) eine Potenz von 2 ist. iii) Ist n = 2k · pk11 · · · pkr r die Primfaktorzerlegung von n, dann gilt (mit dem Hilfssatz 9.2.13): ϕ(n) = ϕ(2k )ϕ(pk11 ) · · · ϕ(pkr r ) = 2k−1 Y pki i −1 (pi − 1), i denn für Primzahlen p gilt offensichtlich ϕ(pk ) = pk − pk−1 . Es muß also jeder Faktor pki i −1 (pi − 1) eine Zweierpotenz sein, was ki = 1, pi − 1 = 2li impliziert. 2 9.2.13 Hilfssatz Für teilerfremde positive natürliche Zahlen a, b gilt: ϕ(a · b) = ϕ(a)ϕ(b). Beweis: Induktion nach a · b. i) Ist ab = 1, dann gilt die Behauptung: ϕ(1) = 1. ii) Ist ab > 1, dann haben wir ab = X t|ab ϕ(t) = ϕ(ab) − ϕ(a)ϕ(b) + X ϕ(r)ϕ(s) = ϕ(ab) − ϕ(a)ϕ(b) + ab. (r,s):r|a,s|b 2 Hiervon gilt auch die Umkehrung, was wir allerdings mit den vorhandenen Mitteln noch nicht beweisen können! Damit ist auch 9.2.12 vollständig bewiesen. Man kann übrigens leicht zeigen, daß der Exponent m einer Fermatschen Primzahl p = 2m + 1 eine Potenz von 2 sein muß (Übungsblatt). 9.2.14 Folgerung Für n ∈ {7, 9, 11, 13, 14, 18, 19} ist das regelmäßige n-Eck nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar. 346 Vermutlich ist {3, 5, 17, 257, 65537} die Menge aller Fermatschen Primzahlen, das ist aber noch nicht bewiesen. Zum Abschluß noch eine besonders elegante Konstruktion des regelmäßigen Fünfecks (vgl. H. S. M. Coxeter: Unvergängliche Geometrie): 9.2.15 Eine Konstruktion des Fünfecks Ausgangspunkt ist der Kreis vom Radius 1 um den Nullpunkt O := (0, 0) mit den Punkten A := (1, 0) und B := (0, 1) auf der Peripherie. Man führt die folgenden Schritte aus: • Konstruiere den Punkt C := (0, 1/2) und verbinde ihn mit dem Punkt P0 = (1, 0). • Halbiere den Winkel ^(O, C, A), sein Schenkel schneidet den Durchmesser durch den Nullpunkt O und den Punkt A im Punkt D. Die Parallele durch D zur Geraden durch O und C schneidet den Kreis in 2 Punkten, die zusammen mit A drei Eckpunkte des Fünfecks bilden, die beiden anderen Punkte lassen sich dazu leicht ergänzen. (Vgl. H. S. M. Coxeter: Unvergängliche Geometrie.)