Alexander von Pechmann Artikel Alexander von

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In: Widerspruch Nr. 11 (01/86) Gentechnologie (1986), S. 42-48
Autor: Alexander von Pechmann
Artikel
Alexander von
Pechmann
Warum nicht klonen?
Hans Jonas hat den Einwand gegen das Klonen formuliert, der immer
wieder und von verschiedenen Seiten in der ethischen Diskussion um die
gentechnischen Möglichkeiten aufgegriffen wurde: Das Klonen von
Menschen müsse deshalb grundsätzlich abgelehnt werden, weil die
Erzeugung von „identischen Kopien“ dem sittlichen Recht des Menschen auf Individualität widerspricht. So einleuchtend diese Begründung des Verbots der Klonierung von Menschen auch prima facie
erscheinen mag, so wenig hält sie allerdings, wie ich zeigen möchte,
einer genaueren Analyse stand.
l. „Identische Kopie“: eine contradictio in adjecto
Da im Zentrum dieser Argumentation die „identische Kopie“ steht, die
einerseits das Ergebnis des Klonens, andererseits das dem sittlichen
Recht Widersprechende sei, soll zunächst der Begriff der „identischen
Kopie“ hinsichtlich seiner logischen Kohärenz untersucht werden.
„Identität“, der eine der verwendeten Begriffe, ist zunächst eine Kategorie der Logik und unterschieden von den Begriffen der „NichtIdentität“, der „Gleichheit“ oder der „Verschiedenheit“. „Identität“
benennt eine Relation, eine Bezüglichkeit, die sich auf sich bezieht.
Der „Satz der Identität“ formuliert, daß etwas nicht zugleich etwas
anderes sein kann, sondern nur es selbst: A = A.- Nun gibt es auch
weniger triviale Identitäten, z.B. x = y dann, wenn y in allen Eigenschaften mit x übereinstimmt. Dies ist allerdings nur der Fall, wenn
x und y ein und dasselbe Ding bezeichnen. So ist etwa „der Philo-
Warum nicht klonen?
soph, der die 'Akademie' gegründet hat“ identisch mit dem „Verfasser des „Theaitetos“', weil beide ein und dieselbe Person Platon bezeichnen.
Das Charakteristische dieser Relation ist daher die vollständige Austauschbarkeit der Terme x und y, weil beide sich auf dasselbe Ding beziehen. Demgegenüber drückt „Kopie“ zwar ebenfalls eine Relation
aus, allerdings keine der Selbstbezüglichkeit, sondern eine Beziehung
von unterschiedlichen Dingen; denn mit der Kopie besitzt man ein vom
Original wohl unterschiedenes Exemplar, das sich beispielsweise aus der
Bibliothek mit nach Hause nehmen läßt, in dem angestrichen, das gefaltet werden darf.
Um „Kopie“ zu sein, muß allerdings das eine Ding das andere abbilden.
Ihrer mathematischen Struktur nach ist die Kopie eine eineindeutige
Abbildung des Originals, und zwar so, daß jedem Element der geordneten Menge des Originals ein Element der Menge der Kopie
entspricht. – Interpretiert man nun diese mathematische Relation der
eineindeutigen Abbildung informationstheoretisch als Kopie der im
Original enthaltenen Information, so ergibt sich, daß die Kopie nicht
„identisch“ mit dem Original ist, sondern daß sie die Übertragung
derselben Information von einem Ding auf ein anderes darstellt. Zu
dieser Übertragung gehört, daß erstens das Original eine deutliche
Identifizierung seiner einzelnen Elemente erlauben muß, was nicht
immer gegeben ist; dass zweitens das Material der Kopie eine deutliche Übertragung ermöglichen und drittens der Mechanismus der
Übertragung einwandfrei funktionieren muß. Sind diese drei physikalischen Bedingungen gegeben, so spricht man von einer exakten oder
„sauberen“ Kopie.
Aus der Begriffsbestimmung von „Identität“ und „Kopie“ folgt also,
daß Kopien niemals identisch sein können - außer, trivialerweise,
mit sich selbst. Denn wenn die Kopie mit dem Original identisch
wäre, wäre sie keine Kopie, sondern das Original selbst; und wenn sie
eine Kopie ist, dann kann und darf sie mit dem Original nicht identisch
sein, sondern soll eine eineindeutige Abbildung des Originals sein. Daher
ist der Begriff einer „identischen Kopie“ eine contradictio in adjecto, ein
logischer Widersinn.
Kehren wir zum Anfang zurück. Wenn der Begriff einer „identischen
Kopie“ in sich widersprüchlich ist, dann ist es unmöglich, daß die
Herstellung von „identischen Kopien“ dem sittlichen Recht des
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Menschen auf Individualität widerspricht; denn in sich widersprüchliche Begriffe können nichts anderem widersprechen – außer sich selbst.
2. „Genetische Kopie“ und Individualität
Sinnvoll wird die Aussage erst, wenn wir den Begriff der „identischen
Kopie“ durch den der „genetischen Kopie“ ersetzen. „Kopie“ hieße
dann die möglichst exakte Übertragung des Originals; und „genetisch“,
daß dieselbe Erbinformation vom einen Träger, dem Original, auf einen
anderen Träger, die Kopie, übertragen worden ist.
Biologisch gesehen ist nun die Produktion genetischer Kopien ohne
weiteres möglich; ja der biologische Prozeß insgesamt läßt sich im
wesentlichen dadurch beschreiben, daß durch die Zellteilung „genetische Kopien“ hergestellt werden (Replikation). - Interessanter allerdings als die Kopien einzelner Zellen sind die Kopien ganzer Organismen, die im engeren Sinne als Klone bezeichnet werden. Was in
der Natur auch schon immer vorkommt, ist durch die Gentechnik heute
auch künstlich möglich. Durch die „nukleare Transplantation“ wird den
totipotenten Keimzellen eines Organismus der Kern einer somatischen
Zelle eingesetzt, so daß ein neuer Organismus mit exakt derselben
genetischen Information entsteht. „Durch Verwendung von Zellkernen
aus Darmzellen in frühen Entwicklungsstadien“, schreibt der Genetiker
E.-L. Winnacker, „konnten mit dieser Methode in der Tat erwachsene
Frösche, wenn auch in geringer Ausbeute, erhalten werden ... im Prinzip
sollten sich derartige Versuche auch an Menschen durchführen lassen. Erste, vorsichtige Ansätze hierzu sind bereits beschrieben worden“1.
Die ethisch relevante Frage ist nun allerdings nicht, ob die Herstellung
genetischer Kopien ganzer Organismen, auch der des Menschen,
gentechnisch möglich ist - dies ist derzeit noch umstritten -, sondern
ob die gentechnisch mögliche Herstellung genetischer Kopien von Menschen gegen soziale Normen der Sittlichkeit verstößt. Setzen wir also in
die obige Argumentation ein: Das Klonen von Menschen muß deshalb abgelehnt werden, weil die Erzeugung genetischer Kopien dem
Recht des Menschen auf Individualität widerspricht.
a) Nun verlagert sich allerdings das Problem vom Begriff der „genetischen Kopie“ hin zu dem der „Individualität“. Um uns diesem zu
1
Ernst-L. Winnacker, Gene und Klone.. Eine Einführung in die Gentechnologie,
Weinheim 1985, S. 391 f.
Warum nicht klonen?
nähern, gehen wir zunächst von dem behaupteten Widerspruch zwischen der „Kopie“ und der „Individualität“ aus. Um einen solchen
Widerspruch begründen zu können, muß sich ein übergeordneter Gattungsbegriff finden lassen, unter den diese beiden Begriffe fallen.
Denn z.B. die Farbe „rot“ kann niemals die Figur „rund“ widersprechen, und eine biologische „Kopie“ niemals der – sagen wir - nationalen „Individualität“, weil das gemeinsame Bezugssystem fehlt.
Nehmen wir daher naheliegenderweise an, das gemeinsame Bezugssystem von „Kopie“ und „Individualität“ sei die Gattung „Lebewesen“,
so würde die Aussage bedeuten, daß es unmöglich sei, daß ein
Lebewesen zugleich eine „Kopie“ ist als auch eine „Individualität“ besitzt.
Soweit wir aus der Biologie wissen, ist dies allerdings keineswegs
unmöglich. Es gibt eine Vielzahl von niederen und höheren Lebewesen - im Grunde alle, die sich vegetativ und nicht durch Sexualität
vermehren -, die „genetische Kopien“ sind und dennoch ein ganz
singuläres Leben führen. Die als Ableger der Mutterpflanze gewonnene
genetische Kopie eines Apfelbaums z.B. besitzt zwar dieselbe genetische
Information, existiert aber an dem Ort, an dem das Original nicht
existiert, verarbeitet die Stoffe, die das Original nicht verarbeitet zumindest nicht zugleich -, und hat demnach eine ihr ganz eigene
Geschichte; und sie kann ihrerseits wieder als Original zur Herstellung einer neuen Kopie dienen. So besitzen also Lebewesen, biologische Systeme, durchaus ihre eigene Individualität und Einmaligkeit,
obwohl sie dieselbe genetische Information wie der Mutterorganismus
besitzen.
b) Nun wäre allerdings zu fragen, ob sich der Begriff der „Individualität“ bloß auf die Einmaligkeit der räumlich-zeitlichen Existenz und der
stofflichen Substanz des Organismus bezieht, oder ob man nicht
vielmehr einem Lebewesen in erster Linie „Individualität“ hinsichtlich
seiner inneren Struktur, seiner charakteristischen „Merkmale und Eigenschaften“, zuschreiben muß. Wenn also die genetische Kopie dieselben „Merkmale“ hervorbringt wie das Original, wenn es dieselbe Gestalt
und Blattform, dieselbe Haarfarbe und Körperstatur besitzt, - läßt
sich dann noch von der „Individualität der Kopie“ sprechen?
Doch auch in diesem Fall läßt sich die Behauptung eines Widerspruchs zwischen der Existenz eines Organismus als „genetischer
Kopie“ und seiner phänotypischen „Individualität“ kaum aufrecht
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erhalten. Denn diese Annahme setzte voraus, daß sich aus der Tatsache derselben Erbinformation von Original und Kopie auf die Diesselbigkeit der Merkmale und Eigenschaften der beiden Lebewesen
schließen ließe. Dies aber würde bedeuten, daß es einen kausalen Mechanismus gibt, der die genetischen Informationen eindeutig in die
konkrete Ausprägung des Phänotyps umsetzen würde. Wäre dies der
Fall, so könnte man allerdings einen Gegensatz zwischen dem Anspruch
auf Individualität und der Existenz als genetischer Kopie erkennen,
da beide, das Original und die Kopie, denselben Phänotyp besitzen.
Dieser kausale Zusammenhang zwischen dem Geno- und Phänotyp
eines Organismus wird jedoch von den Genetikern immer mehr bestritten. Zum einen weiß man bislang noch nicht viel mehr, als daß die
genetische Information für die Enzymproduktion der organischen
Zellen verantwortlich ist – und in einigen Fällen ließe sich das zuständige Gen auch lokalisieren -; zum anderen weiß man fast nichts über
die Art und Weise, wie die genetische Information der Keimzellen
sich in die komplexe Struktur des organischen Phänotyps umsetzt.
Für Erwin Chargaff ist gerade dieses mangelhafte Verständnis der
„Chemie der Genetik“ einer der Beweggründe, die ihn die Gentechnik
ablehnen lassen. „Im Gegensatz zur allgemeinen Euphorie muß ich
betonen, daß in Wirklichkeit die für die genetische Spezifität verantwortlichen biochemischen Mechanismen wenig verstanden sind,
besonders in höheren Lebewesen. Es gibt zwar viele Arbeitshypothesen, aber wenig schlüssige Beweise dafür, daß die gesamte sogenannte
biologische Information in der Nukleotidsequenz der DNS des Zellkerns ... gespeichert ist. Heißt das also, daß der Elefantenrüssel und
der Känguruhbeutel, das mathematische Genie einer Familie, aber
auch die Habsburgerlippe, letzten Endes nur auf Veränderungen in
der Nukleotidsequenz und auf Schwankungen im relativen Gehalt an
vier verschiedenen Desoxyribonukleotiden zurückzuführen sind? Es
gibt sicher Molekularfundamentalisten, die das bejahen würden. Für
mich ist es hingegen evident, daß es zahlreiche, ja fast unzählige,
miteinander verbundene Schichten von Abtastung und Anpassung,
von Erkennung, Regelung und Reaktion geben muß, von denen die
DNS und die sie 'lesenden' Enzyme nur eine sind“2 Zum Aufbau des
Phänotyps eines Organismus ist offenbar mehr verantwortlich als allein
2
Erwin Chargaff, Wenig Lärm um viel, in: R. Flöhl (Hrsg.),
Gentechnologie 3, München 1985, S. 320 f.
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die genetische Information. Sowie ein und dieselbe Botschaft auf
unterschiedliche Weise ausgedrückt werden kann, so besitzt auch
der Organismus anscheinend viele Möglichkeiten, wie ein und derselbe genetische Code sich individuell ausprägt.
Daher ist der Schluß von der Diesselbigkeit des genetischen Codes des
Originals und der genetischen Kopie auf die Diesselbigkeit des Phänotyps von Original und Kopie ein, um mit Chargaff zu sprechen, „molekularfundamentalistischer Fehlschluß“; denn die Kopie der genetischen Information schließt nicht die Kopie der konkreten Struktur des
Organismus ein. Folglich ist die Existenz eines Lebewesens als genetischer Kopie mit seiner unverwechselbaren Individualität durchaus
verträglich.
c) Gewichtiger allerdings als die Behauptung eines Widerspruchs
zwischen „genetischer Kopie“ und „Individualität“ eines Lebewesens
ist die zwischen der Existenz eines Menschen als „genetischer Kopie“ und dessen Recht auf Individualität, die die Herstellung „genetischer Kopien“ von Menschen verbieten würde. Denn in diesem Falle
steht nicht nur das biologische Verhältnis der Erbinformation zur individuellen Ausprägung des Organismus zur Diskussion, sondern das
Selbstverständnis des Menschen, seiner Persönlichkeit zu seinen natürlich-biologischen Voraussetzungen.
Wird nun ein Widerspruch zwischen „genetischer Kopie“ und „Individualität“ konstruiert, dann ist dies nur möglich, wenn dabei die
Behauptung als Bezugssystem des Widerspruchs vorausgesetzt wird,
daß die Individualität des Menschen im wesentlichen genetisch geprägt sei; daß also im genetischen Code nicht nur die konkreten und
exakten Anweisungen für die biologische Struktur, die Haut- und Haarfarbe, die Nasenform etc. enthalten seien - was, wie schon gesagt,
unhaltbar ist -, sondern daß auch die exakten Anweisungen der
Herausbildung der Individualität eines Menschen, z.B. die Zeugnisnote
des Untertertianers in Kunsterziehung oder Deutsch, der Tanzstundenbesuch der Oberprima etc., also all jene Faktoren, die die soziokulturelle Ausbildung und Ausprägung und damit die konkrete Individualität und Einmaligkeit eines Menschen als Menschen ausmachen, im
genetischen Code gespeichert seien. Wenn also all die Faktoren, die
nicht die biologische Struktur des Menschen betreffen, sondern
üblicherweise der sozialen Umwelt, der Erziehung und Ausbildung manche sagen sogar: „der Gesellschaft“ (!) -, zugeordnet werden, auch
genetisch vorprogrammiert wären, dann wäre in der Tat die Existenz als
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„genetische Kopie“ mit dem sittlichen Recht auf Individualität nicht
vereinbar. Diesen Standpunkt hat Reinhard Löw in aller Deutlichkeit
skizziert: Der Mensch „ist Mensch von der Befruchtung der Eizelle an
... Die befruchtete Eizelle enthält alles, was die Persönlichkeit eines
Menschen ausmacht, nichts fehlt und müßte etwa nachträglich
hinzukommen“3.
Unter Voraussetzung dieser Annahme stimmte in der Tat die Kopie mit
dem Original in allen Eigenschaften, die den Menschen ausmachen,
überein und besäße damit keine Individualität. Will man aus ethischen
Gründen das Recht auf Individualität höherschätzen als die Erzeugung genetischer Kopien - wofür gute Gründe sprechen -, müßte das
Klonen von Menschen tatsächlich grundsätzlich verboten werden.
Will man allerdings daran festhalten, daß die menschliche Individualität nicht, wie Löw meint, vor-programmiert und Im genetischen
Code fixiert ist, sondern daß sie sich im praktisch gesellschaftlichen
Leben erst herausbildet, durch und in der Gesellschaft das wird, was
sie ist, dann besteht kein Widerspruch zwischen der Existenz des
Menschen als „genetischer Kopie“ und seiner Individualität. „Das Argument von Jonas“, meint der Philosoph H.-M. Sass, „daß geklonte
Menschen in ihren Persönlichkeitsfreiheiten allein schon wegen der
genetischen Identität mit einem oder mehreren anderen Menschen
verletzt seien, trifft wegen der Komplexität der Schaltkreisoptionen
von Gehirnzellen und ihrer notwendigerweise
phänotypischen
Ausprägung nicht zu; selbst beim Klonen entstehen also
verschiedene Individualitäten“4.
Der genetische Code läge so
gewissermaßen die allgemeinen konstitutiven Rahmenbedingungen der
Körper- und Gehirnstruktur fest, die ihre Fortentwicklung zur
Individualität des Menschen durch den je besonderen Prozeß der
sozialen Interaktion erhielten. Zwischen dem Allgemeinen und dem
Besonderen aber besteht so wenig ein Widerspruch wie zwischen
„Farbe“ und „Rot“.
Nur ein „Biologismus“ also, d.h. ein Selbstverständnis vom Menschen,
das die menschliche Individualität wesentlich im Natürlichen verankert
sieht, so die Schlußfolgerung, kann das Klonen grundsätzlich als
3
Reinhard Löw, Leben aus dem Labor. Gentechnologie und Verantwortung Biologie und Moral, München 1985, S. 154 f.
4 Hans-Martin Sass, Extrakorporale Fertilisation und Embryotransfer. Zukünftige
Möglichkeiten und ihre ethische Bewertung, in: R. Flöhl, a.a.O., S. 50.
Warum nicht klonen?
unsittlich ablehnen. Nur der kann einen Widerspruch zwischen der
Herstellung einer „genetischen Kopie“ und dem Recht des Menschen
auf Individualität erkennen, der die Frage nach der Individualität
des Menschen auf der Ebene seiner genetischen Ausstattung abhandelt, sich damit allerdings in eklatanten Gegensatz zu den wissenschaftlichen
Erkenntnissen der Genetik und der Neurophysiologie setzt. - Andersherum kann aber auch nur der das Klonen als sinnvoll und
nützlich fordern, der ebenfalls von der Prämisse der genetischen
Vorprogrammierung der menschlichen Individualität ausgeht; denn all
die Vorstellungen der Verbesserung des Menschengeschlechts durch
genetische Manipulationen oder Klonierungen von Genies, Schönoder Gesundheiten etc. gründen ebenfalls auf der Annahme eines
genetischen Persönlichkeitsprogramms. Was die „Soziobiologen“ positiv
belegen, belegen die „Theobiologen“, die im Natürlichen Göttliches
walten sehen, negativ; beide aber, Kritiker wie Befürworter, stimmen in der grundlegenden - und unzutreffenden - biologistischen
Prämisse überein.
Wer hingegen von der Gesellschaftlichkeit des Menschen ausgeht, wer
also das Wesentliche der menschlichen Individualität in der Selbstbestimmung des Menschen unter Je historisch-konkreten Bedingungen
sieht, der wird sein moralisches Interesse in erster Linie auf die politischen „Widersprüche“ richten. Die Einrichtung einer „Datenkopie“
im staatlichen Überwachungssystem greift viel tiefer ins Recht auf Individualität des Menschen ein und beträfe das genetische Original ebenso
wie die genetische Kopie. Gleiches gilt für die faktische Entmündigung der Frauen, wenn Technologen mit Theologen darüber streiten, ob die künstliche Klonierung oder das natürliche Gebären „humaner“ sei. Denn aus dieser Sicht sind dies keine abstrakt ethischen
Fragen über die „Natur des Menschen“, sondern konkret politische
Probleme, die zum Maßstab die freie Persönlichkeitsentfaltung des und
der Einzelnen in der Gesellschaft haben. Daher kann von diesem
Standpunkt aus nicht das Klonen als solches, als neue Technologie,
unsittlich sein, sondern bestenfalls die jeweiligen politischen Interessen, die diese Technik als Herrschaftsinstrument einsetzen würden.
P.S. Eine ganz andere Frage ist es, ob jemals gute Gründe dafür sprechen, Menschen zu klonen. Dies hinge zum einen vom Stand der nuklearen Transplantationstechnik, und zum anderen von der konkreten
Beurteilung der individuellen Bedürfnisse und der politischen Interes-
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sen ab.
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