Theorie der Vektorräume

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Kapitel 3
Theorie der Vektorräume
3.1
Gruppen, Ringe, Körper
In diesem Abschnitt führen wir die drei wichtigsten algebraischen Grundstrukturen ein, nämlich
Gruppen, Ringe und Körper. Sie sind nicht nur für die lineare Algebra, sondern auch für
die meisten anderen Bereiche der klassischen Algebra (Permutationen, Polynomgleichungen,
Teilbarkeit etc. ) von zentraler Bedeutung.
3.1.1 Definition. Eine Abbildung
3 : A × A −→ A,
(a, b) 7−→ a3b
heißt (zweistellige) Operation oder Verknüpfung auf A.
3.1.2 Beispiele. Zweistellige Operationen sind:
(1) Die Addition + und die Multiplikation · auf N, Z, Q, R,
(2) die Komposition (Verknüpfung) ◦ auf der Funktionenmenge M M = {f | f : M −→ M },
(3) das Vektorprodukt × auf R3 .
Das Skalarprodukt ist für n > 1 keine Operation auf Rn . Auch die skalare Multiplikation
m : R × Rn −→ Rn ,
(λ, v) 7−→ λv
ist für n > 1 keine Operation auf Rn .
3.1.3 Definition. Eine Halbgruppe ist eine Menge A mit einer assoziativen Operation 3, d. h.
a3(b3c) = (a3b)3c (a, b, c ∈ A).
3.1.4 Beispiele.
(1) Jede der Mengen N, Z, Q, R ist bezüglich +, aber auch bezüglich · eine Halbgruppe.
(2) Die Operation 3 : R × R −→ R, (a, b) 7−→
a+b
2
ist nicht assoziativ.
(3) Die Operation − : R × R −→ R, (a, b) 7−→ a − b ist ebenfalls nicht assoziativ.
25
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
26
3.1.5 Definition. Ein Element e ∈ A heißt neutral bezüglich der Operation 3, falls
e3a = a3e = a
für alle a ∈ A gilt. Eine Halbgruppe mit neutralem Element heißt Monoid.
3.1.6 Bemerkung. Neutrale Elemente sind eindeutig bestimmt: Sind e und e0 neutral, so
folgt:
e = e3e0 = e0 .
3.1.7 Beispiele.
(1) 0 ist neutral in N0 , Z, Q, R bezüglich +.
(2) 1 ist neutral in N0 , Z, Q, R bezüglich · .
(3) N hat kein neutrales Element bezüglich +, aber 1 ist neutral bezüglich · .
3.1.8 Definition. Gilt in einem Monoid mit neutralem Element e für zwei Elemente a, a−
die Gleichung
a3a− = a− 3a = e,
so heißt a− Inverses zu a. Ein Monoid, in dem jedes Element ein Inverses hat, heißt Gruppe.
3.1.9 Lemma. In Monoiden sind inverse Elemente eindeutig bestimmt (soweit sie existieren),
und es gilt:
(a− )− = a, (a3b)− = b− 3a− .
3.1.10 Satz. Eine Menge G 6= ∅ mit einer assoziativen Operation 3 ist genau dann eine
Gruppe, wenn für je zwei Elemente a, b ∈ G die Gleichungen a3x = b und y3a = b in G
lösbar sind. Die Lösungen x bzw. y sind dann eindeutig bestimmt.
Eine nichtleere Halbgruppe (G, ) ist also genau dann eine Gruppe, wenn für jedes a ∈ G die
folgenden “Translationen” la und ra bijektiv sind:
la : G −→ G, x 7−→ a x und ra : G −→ G, x 7−→ x a.
3.1.11 Schreibweise. Ist 3 assoziativ, so schreibt man a3b3c für (a3b)3c ( = a3(b3c)).
Wird das Symbol + (bzw. ·) statt 3 benutzt, so bezeichnet man das neutrale Element (falls
es existiert) meist mit 0 (bzw. 1). Das Inverse zu a wird (falls es existiert) meist mit −a
(bzw. a−1 ) bezeichnet. Statt a + (−b) schreibt man a − b, analog −b + a für (−b) + a.
Der Multiplikationspunkt wird oft weggelassen, d. h. ab := a · b gesetzt.
3.1.12 Definition. Eine Operation 3 auf A heißt kommutativ, falls a3b = b3a für alle
a, b ∈ A gilt. Eine Halbgruppe (A, 3) heißt kommutativ oder abelsch, falls 3 kommutativ ist.
3.1.13 Bemerkung. In abelschen Halbgruppen gilt also z. B.
a3b3c = b3a3c = b3c3a = c3a3b = a3c3b = c3b3a
sowie
(a3b)− = a− 3 b− .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
27
3.1.14 Beispiele.
(N, +)
(N, ·)
(N0 , +)
(Z, +)
(Z, ·)
(Q, +)
(Q, ·)
(Q∗ , ·)
(R, +)
(R, ·)
(R∗ , ·)
Halbgruppe
+
+
+
+
+
+
+
+
Monoid
–
+
+
+
+
+
+
+
Gruppe
–
–
–
+
–
+
–
+
3.1.15 Definition und Satz. (Summen und Produkte)
Additive Schreibweise
Multiplikative Schreibweise
(G, +) sei ein Monoid.
(G, ·) sei ein Monoid.
Neutrales Element: 0
Neutrales Element: 1
Inverses Element: −a
Inverses Element: a−1
Induktive Summendefinition:
Induktive Produktdefinition:
P0
:= 0,
Q0
Pn
Pn−1
Qn
j=1 aj
j=1
:=
j=1
j=1 aj
aj + an = a1 + ... + an
j=1
:=
:= 1,
Qn−1
j=1
aj · an = a1 · ... · an
n–Faches von a ∈ G (n ∈ N0 ):
n–te Potenz von a ∈ G (n ∈ N0 ):
0a := 0, na := (n−1)a + a = a + ... + a
a0 := 1, an := an−1 · a = a · ... · a
Falls (G, +) eine Gruppe ist:
Falls (G, ·) eine Gruppe ist:
(−n)a := n(−a)
a−n := (a−1 )n
Assoziativ– und Distributivgesetze:
Potenzgesetze:
m(na) = (mn)a = n(ma)
(an )m = amn = (am )n
(m + n)a = ma + na = na + ma
am+n = am · an = an · am
Falls + kommutativ ist:
Falls · kommutativ ist:
m(a + b) = ma + mb = mb + ma
(a · b)m = am · bm = bm · am
Diese Regeln gelten in Halbgruppen für m, n ∈ N, in Monoiden für m, n ∈ N0 , und in Gruppen
sogar für m, n ∈ Z.
3.1.16 Satz. (Permutationsgruppen)
(1) Für eine beliebige Menge M ist (M M , ◦) ein Monoid mit neutralem Element id M .
Hat M mehr als ein Element, so ist (M M , ◦) keine Gruppe.
(2) S(M ), die Menge der bijektiven Abbildungen von M in M , ist eine Gruppe bezüglich ◦.
Hat M mehr als zwei Elemente, ist sie nicht kommutativ.
3.1.17 Definition. S(M ) := {σ ∈ M M | σ bijektiv} heißt symmetrische Gruppe von M , und
die Elemente von S(M ) heißen Permutationen von M . Statt S(n) schreibt man Sn .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
28
3.1.18 Bemerkung. Eine Permutation σ ∈ Sn wird häufig als n–Tupel (σ1 , ..., σn ) geschrieben. Z. B. ist (1, 3, 4, 2) die Abbildung σ : 4 −→ 4, 1 7−→ 1, 2 7−→ 3, 3 7−→ 4, 4 7−→ 2.
Sn hat n! („n Fakultät“) Elemente. Dabei definiert man induktiv
0! := 1, n! := (n−1)! · n = 1 · ... · n.
3.1.19 Definition. Ein Ring ist eine Menge R zusammen mit zwei Operationen + und ·, so
daß gilt:
(1) (R, +) ist eine abelsche Gruppe (mit neutralem Element 0).
(2) (R, ·) ist eine Halbgruppe.
(3) Es gelten die Distributivgesetze
a · (b + c) = a · b + a · c und (b + c) · a = b · a + c · a.
Ist auch · kommutativ, so spricht man von einem kommutativen Ring. Ein Element 1 mit
1·a=a·1=a
für alle a ∈ R heißt Einselement. Existiert ein solches, ist R ein Ring mit 1 .
3.1.20 Schreibweise. ab := a · b, ab + ac := (a · b) + (a · c), a(b + c) := a · (b + c).
(„Punkt geht vor Strich“.)
3.1.21 Beispiel. Ist G eine (abelsche) Halbgruppe bzw. Gruppe bezüglich der Operation
+, so ist für jede Menge M auch GM eine (abelsche) Halbgruppe bzw. Gruppe bezüglich
der “komponentenweisen” Operation (f + g)(x) = f (x) + g(x). Entsprechend ist RM mit
komponentenweiser Addition und Multiplikation ein (kommutativer) Ring, falls R einer ist.
Hingegen ist (GM , +, ◦) mit der assoziativen Verknüpfung ◦ von Funktionen kein Ring, falls
M mehr als ein Element hat, obwohl das “linksseitige” Distributivgesetz gilt:
(f + g) ◦ h = (f ◦ h) + (g ◦ h).
3.1.22 Definition. Ein kommutativer Ring (K, +, ·) heißt Körper, falls (K ∗ , ·) = (K \ {0}, ·)
eine Gruppe ist, also jedes von 0 verschiedene Element a bezüglich · ein Inverses a−1 hat. Man
schreibt auch ab statt b a−1 .
3.1.23 Beispiel und Definition. Es sei C := R2 , 1 := (1, 0), ı := (0, 1). Wir setzen
(∗) 1 · 1 = 1, 1 · ı = ı · 1 = ı, ı · ı = −1.
{1, ı} ist die kanonische Basis von R2 . Damit läßt sich jedes Element von C = R2 eindeutig als
Linearkombination = a + bı := a · 1 + b · ı mit a, b ∈ R schreiben. Es gibt eine einzige Operation
(„Multiplikation“) · auf C, so daß das Distributivgesetz gilt und (∗) erfüllt ist, nämlich:
(a + bı) · (c + dı) = (ac − bd) + (ad + bc)ı .
Mit + und · versehen, wird C zu einem Körper, dem Körper der komplexen Zahlen. Das Inverse
zu a + bı ∈ C∗ ist
1
a − bı
= (a + bı)−1 = 2
.
a + bı
a + b2
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
29
3.1.24 Beispiele.
(N, +, ·)
(Z, +, ·)
(Q, +, ·)
(R, +, ·)
(C, +, ·)
Ring
–
+
+
+
+
Körper
–
–
+
+
+
3.1.25 Bemerkung. Jeder Körper ist ein Ring mit 1. Außerdem gilt in einem Körper 0 6= 1.
3.1.26 Satz. (Nullteilerfreie Ringe und Körper)
Jeder Körper ist nullteilerfrei, d. h. es gilt:
ab = 0 ⇐⇒ a = 0 oder b = 0.
Umgekehrt ist jeder endliche nullteilerfreie kommutative Ring mit 1 bereits ein Körper.
3.1.27 Bemerkung. Für unendliche Ringe gilt dies nicht, z. B. ist (Z, +, ·) ein nullteilerfreier
kommutativer Ring, aber kein Körper.
3.1.28 Beispiele. Für jedes n ∈ N sei
Zn := {0, 1, 2, ..., n − 1} .
Bezeichnet bxc die größte ganze Zahl z ≤ x, so ist für a ∈ Z
a
rn (a) := a − n · b c
n
der nichtnegative Rest bei Division von a durch n. Für a, b ∈ Zn definieren wir
a +n b := rn (a + b), a ·n b := rn (a · b) .
Dann ist (Zn , +n , ·n ) ein kommutativer Ring mit Einselement 1. Er ist genau dann ein Körper,
wenn n eine Primzahl ist (denn genau dann ist Zn nullteilerfrei).
Speziell ist Z2 = {0, 1} mit +2 und · 2 ein zweielementiger Körper: Addition und Multiplikation
wie in Z, mit der einzigen Ausnahme 1 +2 1 = 0.
3.1.29 Definition und Satz. Eine nichtleere Teilmenge U einer Gruppe (G, ) heißt Untergruppe, falls für a, b ∈ U auch a b und b− in U liegen (es genügt, a b− ∈ U zu fordern).
U ist dann mit der eingeschränkten Operation : U × U −→ U wieder eine Gruppe.
Entsprechend nennt man eine nichtleere Teilmenge U eines Ringes (R, +, ·) Unterring, falls mit
a, b ∈ U auch a − b (folglich auch a + b) und a · b wieder in U liegen. U mit den eingeschränkten
Operationen + und · ist dann wieder ein Ring. Ist (K, +, ·) ein Körper, so heißt ein Unterring
(U, +, ·) von (K, +, ·) Unterkörper, sofern 1 ∈ U und a−1 ∈ U für a ∈ U \ {0} gilt. In diesem
Fall ist (U, +, ·) wieder ein Körper, und (K, +, ·) heißt Erweiterungskörper von (U, +, ·).
3.1.30 Beispiele. (1) (Z, +) und (Q, +) sind Untergruppen von (R, +), hingegen ist (N, +)
keine Untergruppe.
(2) Die Unterringe von (Z, +, ·) sind genau die Ringe (nZ, +, ·) mit nZ = {nz | z ∈ Z}
(n ∈ N0 ). Sie enthalten für n > 1 kein Einselement.
(3) (Q,√+, ·) und (R, √
+, ·) werden nach Identifikation von r mit (r, 0) Unterkörper von (C, +, ·).
Q[ 2] = {a + b 2 | a, b ∈ Q} ist mit + und · ein Erweiterungskörper von Q und ein
Unterkörper von R. Hingegen ist (Z2 , +, ·) kein Unterkörper von (Q, +, ·) oder (R, +, ·)!
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
3.2
30
Vektorräume
Dieses Kapitel liefert den allgemeinen Rahmen für die in Kapitel 2 begonnene Theorie.
3.2.1 Definition. Sei K ein Körper (z. B. Q, R, C, Z2 ). Ein K–Vektorraum oder auch Vektorraum über K ist eine additiv geschriebene abelsche Gruppe (V, +) zusammen mit einer
„skalaren Multiplikation“ · : K × V −→ V , die folgende Gesetze für λ, µ ∈ K, v, w ∈ V erfüllt:
(1)
λ · (µ · v) = (λµ) · v
(Assoziativgesetz)
(2)
λ · (v + w) = λ · v + λ · w
(Distributivgesetz für Vektoren)
(3)
(λ + µ) · v = λ · v + µ · v
(Distributivgesetz für Skalare)
(4) 1 · v = v
(neutrales Element)
Die Elemente von V heißen Vektoren, die Elemente von K Skalare. Das neutrale Element 0
von V heißt Nullvektor. Den Multiplikationspunkt · läßt man meist weg.
3.2.2 Definition. Folgende Begriffe definiert man wörtlich wie im Fall K = R, V = Rn :
Unterraum, Linearkombination, lineare Hülle, Erzeugendensystem, linear (un)abhängig,
Basis, affiner Teilraum, Affinkombination, affine Hülle, Differenzraum.
Für eine Teilmenge X eines K-Vektorraums V besteht die lineare Hülle L(X) aus allen LinearP
kombinationen in X, d. h. aus allen Elementen nj=1 λj xj mit λj ∈ K, xj ∈ X und n ∈ N0 .
3.2.3 Lemma. Jeder Unterraum eines K–Vektorraumes ist wieder ein K–Vektorraum.
3.2.4 Lemma. (Unabhängigkeitslemma)
Für disjunkte Teilmengen A, B eines Vektorraums V gilt:
A ∪ B linear unabhängig ⇐⇒ A, B linear unabhängig und L(A) ∩ L(B) = {0}.
Insbesondere gilt für A ⊆ V und v ∈ V :
A ∪{v} linear unabhängig ⇐⇒ A linear unabhängig und v 6∈ L(A).
3.2.5 Folgerung. (Unabhängigkeitssatz)
Für eine nichtleere Teilmenge B eines Vektorraums V sind folgende Aussagen äquivalent:
(a) B ist linear unabhängig.
(b) Für jedes v ∈ B ist B \ {v} linear unabhängig und v ∈
/ L(B \ {v}).
(c) Es gibt ein v ∈ B, so daß B \ {v} linear unabhängig ist und v ∈
/ L(B \ {v}) gilt.
3.2.6 Beispiele.
(1) Sei K ein Körper und M eine Menge. Die Menge K M aller Abbildungen von M in K ist
ein K–Vektorraum bezüglich komponentenweiser Addition und skalarer Multiplikation:
(f + g)(m) := f (m) + g(m), (λ · f )(m) := λ · f (m)
für f , g ∈ K M , λ ∈ K, m ∈ M . Schreibweise: fm := f (m).
(2) Speziell ist K n = {f | f : {1, ..., n} −→ K} bis auf Bezeichnungswechsel der n–
dimensionale Standardraum K n über K mit den n–Tupeln (f1 , ..., fn ) als Elementen:
(f1 , ..., fn )+(g1 , ..., gn ) = (f1 +g1 , ..., fn +gn ), λ(f1 , ..., fn ) = (λf1 , ..., λfn ) (λ, fj , gj ∈ K).
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
31
(3) K N = {(f1 , f2 , ...) | fj ∈ K, j ∈ N} ist der Folgenraum über K. Bis auf Umnummerierung
stimmt er mit K N0 = {(f0 , f1 , f2 , f3 , ...) | fj ∈ K, j ∈ N0 } überein.
(4) Einige Unterräume des Folgenraumes RN :
RN = { reelle Folgen }
{ beschränkte Folgen }
{ konvergente Folgen }
@
@
@
{ konstante Folgen }
{ Nullfolgen }
@
@
@
{(0, 0, 0, ...)}
(5) Einige Unterräume des Funktionenraumes RR :
RR = { reelle Funktionen }
{ stetige Funktionen }
{ differenzierbare Funktionen }
{ Polynom–Funktionen }
{ konstante Polynom–Funktionen }
{ Nullfunktion }
(6) Für f ∈ K M heißt T (f ) := {m ∈ M | f (m) 6= 0} der Träger von f .
K [M ] := {f ∈ K M | T (f ) endlich}
ist ein Unterraum von K M . Er stimmt genau dann mit K M überein, wenn M endlich ist.
Insbesondere gilt K [n] = K n = K n .
(7) Ein endlicher Vektorraum über K = Z2 ist z. B.
V = Z2 2 = {(0, 0), (1, 0), (0, 1), (1, 1)} = {0, e1 , e2 , e1 + e2 } .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
3.3
32
Basen und Dimension
Da die Gesamtheit aller Vektoren eines Vektorraumes unendlich und ihre Beschreibung kompliziert oder umständlich sein kann, konzentriert man sich auf möglichst ökonomische, d. h. minimale Erzeugendensysteme, die sogenannten Basen. Die Mächtigkeit solcher Basen ist für einen
festen Vektorraum stets die gleiche und wird Dimension des Vektorraumes genannt. Man kann
die Dimension aber auch anders, ohne Bezugnahme auf Basen definieren:
3.3.1 Definition. Existiert eine natürliche Zahl n, so daß je n + 1 Vektoren aus dem Vektorraum V (über K) linear abhängig sind, so heißt V endlich–dimensional. In diesem Fall heißt
die kleinste natürliche Zahl n mit dieser Eigenschaft die Dimension von V und wird mit dim V
oder genauer mit dimK V bezeichnet. Ist n = dim V , so heißt V auch n–dimensional.
3.3.2 Bemerkungen.
(1) Jeder n–dimensionale Vektorraum enthält definitionsgemäß eine n–elementige, aber keine
(n + 1)–elementige linear unabhängige Teilmenge.
(2) Ist K ein Körper und L ein Unterkörper von K, so ist jeder K–Vektorraum auch ein
L–Vektorraum. Die Dimension dimK V von V über K kann aber kleiner als die Dimension
dimL V von V über L sein.
3.3.3 Beispiel. Es gilt Q ⊆ R ⊆ C (wobei R als Zahlengerade in der Ebene C aufgefasst wird).
C3 ist ein
3–dimensionaler Vektorraum über C,
6–dimensionaler Vektorraum über R,
unendlich–dimensionaler Vektorraum über Q.
Bereits R ist unendlich–dimensional über Q. Eine Basis von R über Q ist nicht bekannt, aber
die Existenz einer Basis für beliebige Vektorräume folgt aus dem Auswahlaxiom (siehe unten).
3.3.4 Lemma. (Austauschlemma)
Gilt {x, y} ∪ Z ⊆ V , x 6∈ L(Z), aber x ∈ L({y} ∪ Z), so auch y ∈ L({x} ∪ Z) = L({y} ∪ Z).
Analoges gilt für die affine Hülle anstelle der linearen Hülle (aber nicht für die konvexe Hülle).
3.3.5 Satz. (Austauschsatz von Grassmann–Steinitz)
Ist Z ein Erzeugendensystem und X eine linear unabhängige Teilmenge eines Vektorraums V ,
so gibt es eine zu X gleichmächtige Teilmenge Y von Z mit V = L((Z \ Y ) ∪ X). Man kann
also X in jedem Erzeugendensystem gegen eine gleichmächtige Teilmenge austauschen.
Insbesondere sind je zwei Basen eines Vektorraumes gleichmächtig.
3.3.6 Satz. (Basis–Ergänzungssatz)
Sei X eine linear unabhängige Teilmenge eines Erzeugendensystems Z des Vektorraums V .
Dann gibt es eine Basis Y von V mit X ⊆ Y ⊆ Z . Somit hat jeder Vektorraum eine Basis.
3.3.7 Bemerkung. Für unendlich–dimensionale Vektorräume braucht man das Maximalprinzip bzw. das Auswahlaxiom aus Kapitel 1 zum Beweis des Austauschsatzes und der Existenz
maximal linear unabhängiger Teilmengen. Diese sind dann aufgrund des nächsten Satzes Basen.
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
33
3.3.8 Satz. (Basis–Charakterisierungssatz)
Für eine beliebige Teilmenge B eines Vektorraums V sind äquivalent:
(a) B ist eine Basis, d. h. ein linear unabhängiges Erzeugendensystem von V .
(b) B ist ein minimales Erzeugendensystem von V .
(c) B ist eine maximal linear unabhängige Teilmenge von V .
Ist V n–dimensional (n ∈ N0 ), so sind diese Aussagen auch äquivalent zu den folgenden:
(d) B ist ein n–elementiges Erzeugendensystem.
(e) B ist eine n–elementige linear unabhängige Teilmenge.
3.3.9 Folgerung. Für einen Vektorraum V und eine natürliche Zahl n sind äquivalent:
(a) V ist n–dimensional.
(b) V besitzt eine Basis mit n Elementen.
(c) Jede Basis von V hat n Elemente.
3.3.10 Folgerung. Ein Vektorraum ist genau dann endlich erzeugt (d. h., er hat ein endliches
Erzeugendensystem), wenn er endlich–dimensional ist.
3.3.11 Folgerung. Für endlich-dimensionale Unterräume U , W eines Vektorraumes V folgt
aus U ⊆ W und dim U = dim W bereits U = W .
3.3.12 Beispiel und Definition. Die kanonische Basis von K [M ] (siehe 3.2.6(6)) wird gebildet durch die Einheitsvektoren em , m ∈ M , wobei em : M −→ K, em (j) = δmj .
Dies ist keine Basis des Funktionenraumes K M , falls M unendlich ist!
3.3.13 Folgerung. Für n ∈ N0 hat der Standardraum K n die Dimension n.
3.3.14 Definition und Satz. Sei B eine Teilmenge eines K–Vektorraums V . Dann ist die
P
Abbildung FB : K [B] −→ V definiert durch FB (g) := b∈T (g) g(b) · b.
Im Falle V = Rn und B = {e1 , ..., en } bildet die Funktion FB jedes g : B −→ R auf das n-Tupel
(g(e1 ), ..., g(en )) ab, ist also bijektiv. Allgemein gilt:
3.3.15 Satz. (Darstellung durch Linearkombinationen)
Sei B eine Teilmenge des Vektorraums V .
(1) B ist Erzeugendensystem von V
⇐⇒ FB ist surjektiv
⇐⇒ jedes Element von V hat mindestens eine Darstellung als Linearkombination in B.
(2) B ist linear unabhängig
⇐⇒ FB ist injektiv
⇐⇒ jedes Element von V hat höchstens eine Darstellung als Linearkombination in B.
(3) B ist eine Basis von V
⇐⇒ FB ist bijektiv
⇐⇒ jedes Element von V hat genau eine Darstellung als Linearkombination in B.
(Hier bedeutet “...in B” genauer “...von paarweise verschiedenen Vektoren in B”.)
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
3.4
34
Summen von Unterräumen
Zu jeder Menge von Unterräumen eines festen Vektorraumes gibt es einen größten Unterraum,
der in all diesen Unterräumen enthalten ist (nämlich deren Durchschnitt), aber auch einen
kleinsten Unterraum, der all diese Unterräume umfaßt, den sogenannten Summenraum. Wir
definieren ihn hier nur für endlich viele Unterräume:
3.4.1 Definition. Für Unterräume U1 , ..., Um eines K–Vektorraums V heißt
U1 + ... + Um := {u1 + ... + um | uj ∈ Uj für i ∈ m}
die Summe der Unterräume U1 , ..., Um .
3.4.2 Satz. (Summenraum als lineare Hülle)
Für Unterräume U1 , ..., Um eines Vektorraums V ist U1 + ... + Um der kleinste U1 , ..., Um
umfassende Unterraum von V , also:
U1 + ... + Um = L(U1 ∪ ... ∪ Um ).
3.4.3 Satz. (Dimensionsformel)
Für je zwei Unterräume U und W eines Vektorraumes V gilt die Dimensionsformel:
dim U + dim W = dim(U + W ) + dim(U ∩ W ).
Ist U oder W unendlich–dimensional, so steht auf beiden Seiten ∞ (unendlich).
3.4.4 Satz. (Charakterisierung direkter Summen)
Für Unterräume U1 , ..., Um eines Vektorraums V sind äquivalent:
(a) Aus uj ∈ Uj (j ∈ m) und u1 + ... + um = 0 folgt u1 = ... = um = 0.
(b) Jedes u ∈ U1 + ... + Um ist eindeutig darstellbar als u = u1 + ... + um mit uj ∈ Uj .
(c) Für Wj := U1 + ... + Uj−1 + Uj+1 + ... + Um gilt: Uj ∩ Wj = {0} (j ∈ m).
(d) Ist Bj eine Basis von Uj (j ∈ m), so ist B1 ∪ ... ∪ Bm eine Basis von U1 + ... + Um .
3.4.5 Definition. Ein Unterraum U heißt direkte Summe der Unterräume U1 , ..., Um ,
U = U1 ⊕ ... ⊕ Um ,
falls U = U1 + ... + Um gilt und eine der äquivalenten Bedingungen in 3.4.4 erfüllt ist.
3.4.6 Folgerung. Für endlich–dimensionale Unterräume U, U1 , ..., Um gilt:
U = U1 ⊕ ... ⊕ Um ⇐⇒ U = U1 + ... + Um und dim U = dim U1 + ... + dim Um .
3.4.7 Definition. Ist ein Vektorraum V direkte Summe zweier Unterräume U und W , d. h.
V = U + W und {0} = U ∩ W , so heißt W Komplement von U in V .
3.4.8 Satz. (Komplement)
Zu jedem Unterraum U eines Vektorraums V gibt es mindestens ein Komplement.
3.4.9 Bemerkung. Solche Komplemente sind meistens nicht eindeutig, z. B. ist im R2 jede
Gerade durch 0 Komplement jeder anderen.
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
3.5
35
Orthogonalräume
In diesem Abschnitt sei V stets ein Standardraum K n über dem Körper K mit Einselement 1.
Das in 2.2 eingeführte Skalarprodukt und die daraus abgeleitete Orthogonalität von Vektoren und Unterräumen soll nun auf die Situation allgemeiner Körper ausgedehnt werden. Eine
Einschränkung ist allerdings für die Übertragung der meisten Resultate nötig:
3.5.1 Definition. K heißt formal–reell, falls −1 nicht als Quadratsumme darstellbar ist.
3.5.2 Beispiele.
(1) R und Q sind formal–reell.
(2) C ist nicht formal–reell, da −1 = ı2 .
(3) Endliche Körper sind nie formal–reell: Für m ∈ N sei m1 die m–fache Summe des Einselements von K. Wegen der Endlichkeit von K gibt es ein n ∈ N mit n1 = 0. Dann ist
−1 = (n−1)1 Summe von n−1 Quadraten 1 = 12 .
3.5.3 Definition. Das Skalarprodukt a · b von Vektoren a = (a1 , ..., an ) und b = (b1 , ..., bn ) aus
K n ist definiert durch
a · b = a1 b1 + ... + an bn =
n
X
aj bj .
j=1
3.5.4 Bemerkung. Die Rechenregeln zum Skalarprodukt sind mit Ausnahme der positiven
Definitheit (die sich über beliebigen Körpern gar nicht formulieren läßt) dieselben wie in Rn .
K ist genau dann formal–reell, wenn für a ∈ K n aus a · a = 0 stets a = 0 folgt.
3.5.5 Definition. Zwei Vektoren a, b ∈ K n heißen zueinander orthogonal, falls a · b = 0 gilt.
Für A ⊆ K n heißt
A⊥ := {b ∈ K n | a · b = 0 für jedes a ∈ A}
der Orthogonalraum zu A.
Zwei Teilmengen A, B von K n heißen zueinander orthogonal, in Zeichen A ⊥ B, falls A ⊆ B ⊥
(bzw. B ⊆ A⊥ ) gilt, d. h. jeder Vektor aus A orthogonal zu jedem Vektor aus B ist.
3.5.6 Lemma. A⊥ ist für jede Teilmenge A von K n ein Unterraum von K n :
A⊥ = L(A)⊥ = L(A⊥ ).
3.5.7 Satz und Definition. (Duale Basis)
⊕
Zu jeder Basis B = {b1 , ..., bn } von K n gibt es genau eine Basis B ⊕ = {b⊕
1 , ..., bn } mit
(
b⊕
j · bk = δjk =
1 für j = k
0 für j 6= k.
⊥
B ⊕ heißt zu B duale Basis. Ist C ⊆ B Basis von U , so ist {b⊕
j | bj ∈ B \ C} Basis von U .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
36
3.5.8 Satz. (Orthokomplementierung)
Die Zuordnung U 7−→ U ⊥ ist eine Bijektion zwischen der Menge der m–dimensionalen Unterräume des K n und der Menge der (n − m)–dimensionalen Unterräume des K n . Für beliebige
Unterräume U , W von K n gilt:
dim U + dim U ⊥ = n,
U = U ⊥⊥ ,
(U + W )⊥ = U ⊥ ∩ W ⊥ ,
(U ∩ W )⊥ = U ⊥ + W ⊥ .
3.5.9 Definition und Satz. Eine Teilmenge A = {a1 , ..., am } von K n heißt Orthogonalbasis
(des von A erzeugten Unterraumes), falls aj · ak = 0 für j 6= k und aj · aj 6= 0 (j, k ∈ m) gilt.
Jede Orthogonalbasis A ist linear unabhängig, also tatsächlich eine Basis von L(A).
3.5.10 Satz. (Orthogonalisierungsverfahren nach Schmidt)
Ist K ein formal–reeller Körper und {b1 , ..., bm } eine beliebige Basis eines Unterraumes U von
K n , so gewinnt man induktiv eine Orthogonalbasis {a1 , ..., am } von U wie folgt:
a1 := b1 ,
ak := bk −
k−1
X
j=1
aj · bk
aj .
aj · aj
3.5.11 Bemerkung. Im Fall K = R erhält man sogar eine Orthonormalbasis (ONB), indem
man die Vektoren aj „normiert“, also aj durch a◦j = ka1j k aj ersetzt. Manchmal ist es praktisch,
bereits während des Orthogonalisierungsverfahrens zu normieren.
3.5.12 Definition. Ein Unterraum U heißt orthogonale Summe der Unterräume U1 , ..., Um ,
falls U = U1 + ... + Um und Uj ⊥ Uk für j 6= k gilt.
3.5.13 Bemerkungen.
(1) Ist K formal–reell, so ist jede orthogonale Summe direkt.
(2) Für K = Z2 = {0, 1} ist die Summe L({(1, 0, 1)}) + L({(1, 0, 1), (0, 1, 0)}) orthogonal,
aber nicht direkt.
√
(3) Über Q läßt sich der Vektor (1, 1) ∈ Q2 nicht normieren, da 2 irrational ist.
(4) {b1 , ..., bm } ist Basis von U K n ⇐⇒ U ist direkte Summe der „Geraden“ Kbj (j ∈ m).
(5) Über formal–reellen Körpern K gilt für U K n :
{a1 , ..., am } ist Orthogonalbasis von U ⇐⇒ U ist orthogonale Summe der Kaj (j ∈ m).
3.5.14 Satz. (Existenz und Eindeutigkeit von Orthokomplementen)
Falls K formal–reell ist, gibt es zu jedem Unterraum U K n einen eindeutigen Unterraum W ,
so daß K n orthogonale Summe von U und W ist, nämlich das orthogonale Komplement U ⊥ .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
3.6
37
Lineare Abbildungen
Besonders hilfreich für Theorie und Praxis sind Abbildungen zwischen Vektorräumen, welche
die additive Struktur und die skalare Multiplikation „bewahren“:
3.6.1 Definition. Eine Abbildung F : V −→ V 0 zwischen zwei K–Vektorräumen V und
V 0 heißt (Vektorraum–)Homomorphismus oder (K–)linear, auch lineare Transformation oder
linearer Operator, falls für alle x, y ∈ V und λ ∈ K gilt:
(L1 ) F (x + y) = F (x) + F (y),
(L2 ) F (λ x) = λ F (x).
Analog definiert man Gruppen–, Ring– und Körper–Homomorphismen als Abbildungen, welche
die einschlägigen Operationen (Addition, Multiplikation etc.) „bewahren“.
3.6.2 Bemerkung. Bedingung (L1 ) besagt, daß F ein Gruppen–Homomorphismus zwischen
(V, +) und (V 0 , +) ist. Meist benutzt man das gleiche Zeichen für die Addition (und skalare
Multiplikation) von V und V 0 , obwohl es sich um verschiedene Operationen handeln kann.
3.6.3 Beispiel. Für jede abelsche Gruppe (V, +) bilden die Endomorphismen, d. h. die Homomorphismen von V in V , mit komponentenweiser Addition und der Verknüpfung von Homomorphismen als Multiplikation einen (meist nicht kommutativen) Ring End(V, +) mit Einselement
id V . Ein K-Vektorraum kann aufgefasst werden als eine abelsche Gruppe (V, +) zusammen mit
einem Ring-Homomorphismus S von dem Körper K in den Ring End(V, +), wobei S gegeben
ist durch die skalare Multiplikation von V : S(λ)(v) = λ v.
3.6.4 Lemma. Für eine Abbildung F : V −→ V 0 zwischen K-Vektorräumen sind äquivalent:
(a) F ist K–linear.
(b) F (λx + µy) = λF (x) + µF (y) für alle λ, µ ∈ K, x, y ∈ V .
(c) F (λ1 x1 + ... + λk xk ) = λ1 F (x1 ) + ... + λk F (xk ) für alle λj ∈ K, xj ∈ V , k ∈ N.
3.6.5 Folgerung. Für A ⊆ V und jede lineare Abbildung F : V −→ V 0 ist das Bild der
linearen Hülle die lineare Hülle des Bildes:
F + (L(A)) = L(F + (A)).
3.6.6 Beispiele.
(1) F : K 3 −→ K 3 mit F (x1 , x2 , x3 ) = (γ + x1 , x2 , x3 ) ist für γ ∈ K ∗ nicht linear. Aber
G : K 3 −→ K 3 mit G(x1 , x2 , x3 ) = (γx1 , x2 , x3 ) ist eine lineare Abbildung.
(2) Für festes c ∈ K n∗ ist die Translation F : K n −→ K n , x 7−→ c + x nicht linear.
(3) Die Streckung G : K n −→ K n , x 7−→ γ x ist für jedes γ ∈ K linear.
(4) Rotationen (Drehungen) sind linear, z. B. die ebene Drehung um den Winkel α:
Dα : R2 −→ R2 ,
x1
x2
!
7−→
x1 cos α − x2 sin α
x1 sin α + x2 cos α
!
.
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
38
(5) Eine Abbildung S : K n −→ K n mit S ◦S = id K n und S(x)·y = x·S(y) für alle x, y ∈ K n
heißt Spiegelung. Jede Spiegelung ist linear und bijektiv.
S : R3 −→ R3 mit S(x1 , x2 , x3 ) = (x1 , −x2 , −x3 ) ist die Spiegelung an der x1 -Achse;
hingegen ist −S mit −S(x1 , x2 , x3 ) = (−x1 , x2 , x3 ) die Spiegelung an der x2 -x3 -Ebene,
und −id R3 mit −id R3 (x1 , x2 , x3 ) = (−x1 , −x2 , −x3 ) ist die Spiegelung am Ursprung.
Die Spiegelungen aus Kapitel 2 sind nur dann solche im obigen Sinn, wenn die Gerade
bzw. Hyperebene, an der gespiegelt wird, den Nullvektor enthält, also ein Unterraum ist.
(6) Sei D(R) der R–Vektorraum der differenzierbaren Funktionen f : R −→ R.
Der Differentialoperator, der jedem f ∈ D(R) seine Ableitung zuordnet, ist linear:
0
: D(R) −→ RR , f 7−→ f 0 ; (f + g)0 = f 0 + g 0 , (λf )0 = λf 0 .
(7) Sei I[α, β] der R–Vektorraum der über [α, β] integrierbaren Funktionen f : [α, β] −→ R.
Der Integraloperator, der jedem f ∈ I[α, β] das Integral über [α, β] zuordnet, ist linear:
Iab
: I[a, b] −→ R, f 7−→
Z b
Z b
f (x) dx ;
a
Z b
(f + g)(x) dx =
a
Z b
f (x) dx +
a
Z b
g(x) dx ,
a
Z b
f (x) dx .
λf (x) dx = λ
a
a
(8) Durch Bilden des Skalarprodukts mit einem festen c ∈ K n entsteht eine Linearform
Sc : K n −→ K,
x 7−→ c · x .
(9) Die Koordinatenabbildung FB zwischen K [B] und V (siehe 3.3.14) ist linear und bijektiv.
3.6.7 Definition. Für eine lineare Abbildung F : V −→ V 0 heißt das Urbild des Nullvektors
Kern von F :
Kern F := F − ({0}).
Auf der anderen Seite bezeichnet man das Bild von V unter F auch als Bild von F :
Bild F := F + (V ).
3.6.8 Lemma. Für lineares F : V −→ V 0 ist Kern F ein Unterraum von V und Bild F ein
Unterraum von V 0 . Allgemeiner sind Bilder und Urbilder von Unterräumen unter linearen
Abbildungen wieder Unterräume.
3.6.9 Satz. (Charakterisierung injektiver Homomorphismen)
Eine lineare Abbildung F : V −→ V 0 ist genau dann injektiv, wenn Kern F = {0} gilt.
3.6.10 Definition. Ein bijektiver Homomorphismus heißt Isomorphismus. Zwei Vektorräume V und V 0 über dem gleichen Körper heißen isomorph zu, in Zeichen V ∼
= V 0 , falls ein
0
Isomorphismus zwischen V und V existiert.
3.6.11 Satz. (Komposition von Homomorphismen und Isomorphismen)
(1) Sind F : V −→ V 0 und G : V 0 −→ V 00 Homo– bzw. Isomorphismen, so ist auch ihre
Verknüpfung G ◦ F : V −→ V 00 ein Homo– bzw. Isomorphismus.
(2) Ist F : V −→ V 0 ein Isomorphismus, so auch F −1 : V 0 −→ V .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
39
3.6.12 Folgerung. Isomorphie ist eine Äquivalenzrelation.
3.6.13 Satz. (Isomorphie von Vektorräumen)
Zwei Vektorräume V und V 0 sind genau dann isomorph, wenn sie die gleiche Dimension,
d. h. gleichmächtige Basen haben:
V ∼
= V 0 ⇐⇒ dim V = dim V 0 .
Jeder Isomorphismus F : V −→ V 0 bildet eine beliebige Basis von V auf eine Basis von V 0 ab.
3.6.14 Folgerung. Es gibt zu jeder natürlichen Zahl n „bis auf Isomorphie“ genau einen
K–Vektorraum der Dimension n, nämlich K n .
3.6.15 Satz. (Übertragungseigenschaften linearer Abbildungen)
Für eine lineare Abbildung F : V −→ V 0 gilt:
(1) F ist surjektiv ⇐⇒ F bildet Erzeugendensysteme auf Erzeugendensysteme ab.
(2) F ist injektiv
⇐⇒ F bildet linear unabhängige Mengen auf ebensolche ab.
(3) F ist bijektiv
⇐⇒ F bildet Basen auf Basen ab.
0
Ist dim V = dim V = n endlich, so sind alle sechs Aussagen äquivalent.
3.6.16 Definition. Seien A, A0 , B, B 0 Mengen mit B ⊆ A und B 0 ⊆ A0 . Eine Abbildung
F : A −→ A0 heißt Fortsetzung einer Abbildung f : B −→ B 0 und f heißt Einschränkung von F ,
falls f (b) = F (b) für alle b ∈ B gilt.
3.6.17 Satz. (Fortsetzungssatz)
Jede Abbildung von einer Basis B eines Vektorraums V in einen Vektorraum V 0 läßt sich
eindeutig zu einer linearen Abbildung von V in V 0 fortsetzen.
3.6.18 Satz. (Kern-Bild-Dimensionsformel)
Sei F : V −→ V 0 eine lineare Abbildung, U := Kern F und W ein beliebiges Komplement von
U in V (d. h. V = U ⊕ W ). Dann ist die Einschränkung von F auf W ein Isomorphismus
zwischen W und Bild F , und daher gilt:
dim Kern F + dim Bild F = dim V.
3.6.19 Definition. Für eine Abbildung F : V −→ V werden die Iterationen F k induktiv
definiert:
F 0 = id V , F 1 = F, F k+1 = F k ◦ F
(k ∈ N).
Eine lineare Abbildung F heißt Projektion, falls F 2 = F , und selbstinvers, falls F 2 = id V
(d. h. F = F −1 ) gilt.
3.6.20 Beispiele.
(1) P : R3 −→ R3 , (x1 , x2 , x3 ) 7−→ (x1 , x2 , 0) ist eine Projektion (auf die x1 –x2 –Ebene).
(2) Spiegelungen wie z. B. S : R2 7−→ R2 , (x1 , x2 ) 7−→ (x1 , −x2 ) sind offenbar selbstinvers.
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
40
3.6.21 Satz. (Kern–Bild–Zerlegung)
Für eine lineare Selbstabbildung F : V −→ V eines endlich–dimensionalen Vektorraums V
sind äquivalent:
(a) V = Kern F ⊕ Bild F .
(b) {0} = Kern F ∩ Bild F .
(c) Kern F = Kern F 2 .
3.6.22 Folgerung. (Projektionen und direkte Summen)
Für jede Projektion F : V −→ V gilt
V = Kern F ⊕ Bild F.
Umgekehrt gibt es zu jeder direkten Summenzerlegung V = U ⊕ W genau eine Projektion
F : V −→ V mit
U = Kern F und W = Bild F,
nämlich F (u + w) := w für u ∈ U , w ∈ W .
3.6.23 Satz. (Fitting–Zerlegung)
Zu jeder linearen Abbildung F : V −→ V eines endlich–dimensionalen Vektorraums V gibt es
ein k ∈ N mit V = Kern F k ⊕ Bild F k .
3.6.24 Satz und Definition. Für K–Vektorräume V , V 0 ist
Hom (V, V 0 ) = Hom K (V, V 0 ) := {F : V −→ V 0 | F K–linear}
zusammen mit der Addition
(F + G)(x) := F (x) + G(x)
und der skalaren Multiplikation
(λF )(x) := λF (x)
ein Unterraum des Vektorraums aller Abbildungen von V in V 0 . Insbesondere ist Hom (V, V 0 )
ein K–Vektorraum.
3.6.25 Satz und Definition. (Endomorphismenring)
Für jeden K–Vektorraum V ist
End (V ) := End K (V ) := Hom K (V, V )
bezüglich + und ◦ ein Ring, der sogenannte Endomorphismenring von V (über K). Das Einselement dieses Ringes ist die Identität id V .
KAPITEL 3. THEORIE DER VEKTORRÄUME
41
3.6.26 Bemerkungen.
(1) V V ist ein Vektorraum, aber kein Ring bezüglich + und ◦, da eines der beiden Distributivgesetze verletzt ist.
(2) Für dim V > 1 ist End (V ) nicht kommutativ.
3.6.27 Definition. Für einen Unterraum U eines Vektorraumes V heißen die Mengen
a + U := {a + u | u ∈ U } (a ∈ V )
affine Teilräume parallel zu U oder Nebenklassen von U .
Man nennt
V /U := {a + U | a ∈ V }
den Faktorraum von V modulo U (oder nach U ).
Diese Bezeichnung wird gerechtfertigt durch den folgenden
3.6.28 Satz. (Faktorraum)
Für jeden Unterraum U eines Vektorraumes V gibt es genau eine Vektorraumstruktur auf V /U ,
so daß die „kanonische Surjektion“
SU : V −→ V /U,
a 7−→ a + U
ein Homomorphismus (d. h. eine lineare Abbildung) wird. Es gilt Kern SU = U , also
dim V = dim U + dim(V /U ).
3.6.29 Bemerkung. Der Vektor a ist durch seine Nebenklasse a+U außer im Fall U = {0} nie
eindeutig bestimmt. Die Wohldefiniertheit der nachfolgenden Abbildung G (unabhängig von
dem gewählten „Vertreter“ a einer Nebenklasse a + U ) basiert auf der folgenden Äquivalenz:
a + U = a0 + U ⇐⇒ a − a0 ∈ U.
3.6.30 Satz. (Homomorphiesatz für Vektorräume)
Für jeden Vektorraum–Homomorphismus F : V −→ V 0 existiert ein eindeutiger Isomorphismus
G : V /U −→ F + (V ) mit
U = Kern F und G(a + U ) = F (a).
Das Bild eines Homomorphismus ist also isomorph zum Definitionsbereich modulo Kern.
3.6.31 Bemerkung. Die meisten Sätze über Geraden, Ebenen, Hyperebenen, affine Teilräume
und Differenzräume aus Kapitel 2 übertragen sich sinngemäß auf die Situation allgemeiner
Vektorräume. Hingegen sind Abstände nur über dem Körper R (oder allenfalls über formalreellen Körpern) sinnvoll mit Hilfe des Skalarprodukts definierbar und die entsprechenden
Formeln herleitbar.
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