81 Mit der vorangegangenen Untersuchung von Art. 25 GG als Transformator des festgestellten Völkerrechtsverstoßes in das innerstaatliche Recht ist zugleich die Verbindung zur verfassungsrechtlichen Prüfung von § 5 Nr. 11 StGB hergestellt. Wie jede Norm des innerstaatlichen Rechts ist auch diese Bestimmung des internationalen Strafrechts am höherrangigen Verfassungsrecht zu messen. So wird gelegentlich behauptet, die Verfassung selbst beschränke den Geltungsbereich nachrangigen Rechts auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus ist § 5 Nr. 11 StGB am Übermaßverbot und an dem nullum crimen sine lege-Satz zu messen. 1. KAPITEL: SPEZIELLE VERFASSUNGSRECHTLICHE SCHRANKEN §6 Artikel 23 GG BÖCKENFÖRDE und WENGLER haben versucht, aus Art. 23 GG Schranken für den Geltungsbereich des bundesdeutschen Strafrechts herzuleiten. 1 Art. 23 GG lautet: Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen. Wenn Art. 23 GG selbst bestimme, das Grundgesetz gelte nur für das Gebiet der zur Bundesrepublik gehörenden Länder, so müsse dies folgerichtig auch für das aus dem Grundgesetz abgeleitete Recht maßgebend sein.2 Die bundesdeutschen Gerichte leiteten ihre richterliche Gewalt einschließlich der Strafgewalt aus dem Grundgesetz her; diese könne sich folglich nur auf den Hoheitsbereich der Bundesrepublik erstrecken.3 Da der Bereich des Festlandsockels zur Hohen See und nicht zum Inland gehört,4 ist diese Auffassung auch für die Ausdehnung der Strafgewalt durch § 5 Nr. 11 StGB relevant. 1 Vgl. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 96; Wengler, Deutschland als Rechtsbegriff, FS Nawiasky, S. 51. 2 Vgl. Wengler, aaO., S. 51. 3 Vgl. Böckenförde, aaO., S. 96. 4 S.o. § 3 VII. und u. § 11. 82 I. Deutsche Strafgewalt und Verfassung Die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Normen Mit der Auffassung BÖCKENFÖRDES hat sich insbesondere F.-C. SCHROEDER auseinandergesetzt.5 Nach seiner Meinung ist nur die Geltung der von ihm als sekundäre Normen bezeichneten Bestimmungen auf das eigene Staatsgebiet beschränkt; hierunter versteht SCHROEDER die zum Schutz der primären (Strafrechts-)Normen dienenden, an die Justizbehörden gerichteten Normen.6 Für diese Differenzierung beruft sich SCHROEDER7 wohl zu Unrecht auf einen Beitrag von NOWAKOWSKI.8 Zwar verwendet dieser Autor die Begriffe primäre und sekundäre Norm, dies jedoch unter Hinweis auf KELSEN: Für KELSEN aber ist die sekundäre Norm eben die von SCHROEDER als primäre bezeichnete Norm, also die Norm, die die Sanktion für einen Verstoß gegen die primäre Norm im Sinne KELSENS vorsieht.9 Als primäre Norm bezeichnen NOWAKOWSKI und KELSEN dagegen die Norm, welche ein bestimmtes Verhalten der Rechtssubjekte als gesollt setzt,10 die also dem Adressaten eine Pflicht auferlegt und dem Familienrecht, dem Staats- oder Verwaltungsrecht usw., nicht aber dem Strafrecht entstammen kann.11 Die sekundäre Norm im Sinne von SCHROEDER tritt bei KELSEN und NOWAKOWSKI nicht in Erscheinung und wäre von diesen Autoren vermutlich als tertiäre Norm bezeichnet worden. Einzig der von SCHROEDER ebenfalls zitierte NAWIASKY12 versteht wie dieser unter den primären Normen das materielle Recht, unter den sekundären Normen dagegen das an die Staatsorgane gerichtete formelle Recht,13 obgleich er an an- 5 Vgl. F.-C. Schroeder, Der "räumliche Geltungsbereich" der Strafgesetze, GA 1968, S. 353; ders., Schranken für den räumlichen Geltungsbereich des Strafrechts, NJW 1969, S. 83. 6 Vgl. Schroeder, NJW 1969, S. 83 (bei Fn. 43); ders., GA 1968, S. 354 bei Fn. 11; ihm folgt Liebelt, Zum deutschen internationalen Strafrecht und seiner Bedeutung für den Einfluß außerstrafrechtlicher Rechtssätze des Auslands auf die Anwendung inländischen Strafrechts, S. 22 ff.; zustimmend auch Baumann/Weber, AT, S. 74 bei Fn. 14, und Zieher, Das sogenannte Internationale Strafrecht nach der Reform, S. 68. 7 In GA 1968, S. 354 Fn. 14, S. 355 Fn. 21. 8 Nowakowski, Zum Problemkreis der Geltungsbereiche, ÖZöffR 1955, S. 10, 13. 9 Vgl. Nowakowski, S. 14; Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 55 ff.; ders., Allgemeine Theorie der Normen, S. 43, 115; ebenso Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, S. 7, 104, auf den sich Schroeder für seine Differenzierung ebenfalls beruft. 10 So Kelsen, Allgemeine Theorie, S. 43. 11 Vgl. Nowakowski, S. 18. 12 Vgl. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, S. 13 f., 99 ff. 13 Vgl. Nawiasky, S. 100. Spezielle verfassungsrechtliche Schranken 83 derer Stelle14 der Definition der zuvor genannten Autoren nahekommt, wenn er als primäre Norm den Tatbestand, als sekundäre Norm die Sanktion bezeichnet.15 SCHROEDER ist darin zuzustimmen, daß die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit - nach seiner Terminologie die Geltung sekundärer Normen - territorial beschränkt ist. Er bleibt aber den Beweis schuldig, warum Art. 23 GG nur den Geltungsbereich der so verstandenen sekundären Norm begrenzen soll, nicht aber den der primären Norm. Die Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Norm ist aus diesem Grund nicht geeignet, Art. 23 GG als eine die innerstaatliche Strafgewalt begrenzende Verfassungsnorm zu widerlegen. II. Art. 23 GG als Bestimmung des Staatsgebiets Einen anderen Deutungsversuch unternimmt Klaus VOGEL, der Art. 23 GG nicht als Geltungsbegrenzung des Grundgesetzes versteht, sondern darin lediglich die Bestimmung des vorläufigen Staatsgebietes des Bundes erblickt.16 Legt man diese Auffassung zugrunde, ließe sich aus Art. 23 GG weder für noch gegen die extraterritoriale Ausdehnung von Strafgewalt etwas ableiten. Allerdings stößt auch VOGELS Argumentationskette auf Vorbehalte. Zunächst ist ihm zu widersprechen, wenn er von einer "etwas mißverständlichen Formulierung" des Art. 23 GG spricht,17 die "doch mit Sicherheit nicht im Sinne einer ... Geltungsbegrenzung des Grundgesetzes zu verstehen sein kann".18 Die Formulierung "dieses Grundgesetz gilt zunächst im Bereich der Länder Baden" ist nicht mißverständlich, sondern klar; daß es jedenfalls dem Wortlaut nach in Art. 23 GG um eine Geltungsbereichsregelung, nicht um eine Bestimmung des Staatsgebietes geht, verdeutlicht auch Art. 23 S. 2 GG, wonach das Grundgesetz "in anderen Teilen Deutschlands ... nach deren Beitritt in Kraft zu setzen ist". Tatsäch14 Ebd., S. 279. 15 Eine verblüffende Übereinstimmung der Auffassung Kelsens besteht zu der von Binding begründeten Normentheorie: Danach sind Normen außerstrafrechtliche Rechtssätze, die bestimmte Handlungen verbieten oder gebieten (vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, S. 1 ff.; ders., Handbuch, S. 155 ff.; die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Normen in diesem Sinne findet sich auch bei Adolf Merkel, Juristische Enzyklopädie, § 54). Übereinstimmend betonen Kelsen (Allgemeine Theorie, S. 115) und Binding (Handbuch, S. 159), daß die (primären) Normen nicht ausdrücklich gesetzlich niedergelegt sein müßten, sondern in der die Sanktion statuierenden Norm dem Strafgesetz - impliziert sein könnten. 16 Vgl. Klaus Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, S. 147, m. zahlr. w. Nachw. zum Meinungsstand in Fn. 101. 17 Ebd., S. 147. 18 Ebd., S. 147 (Hervorhebung im Original). 84 Deutsche Strafgewalt und Verfassung lich schließt VOGEL aus den im Grundgesetz verstreut aufgeführten Fällen, die auf eine extraterritoriale Geltung des Grundgesetzes hindeuten,19 darauf, daß Art. 23 GG das vorläufige Staatsgebiet des Bundes bestimme und nicht den Geltungsbereich regle. III. Kritik und eigene Auffassung Sicher steht außer Frage, daß der Gesetzgeber ebenso wie die Verwaltung bei seiner Tätigkeit an das Grundgesetz gebunden ist; dies ergibt sich aber nicht aus Art. 23 GG, sondern aus Art. 20 Abs. 3 GG,20 einer Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. 21 Dies bedeutet, daß sich die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes und der Länder ebenso aus dem Grundgesetz ergibt wie das Gesetzgebungsverfahren und daß auch inhaltlich eine Bindung an die Verfassung, etwa an die Grundrechte, besteht. Dies soll an einem fiktiven Beispiel veranschaulicht werden: Der Bundestag verabschiedet ein Strafgesetz, das für den von einem Deutschen im Ausland gegen die Bundesrepublik begangenen Hochverrat rückwirkend die Todesstrafe vorsieht. Zweifelsohne dürfte eine Verurteilung des in der Bundesrepublik vor ein Gericht gestellten Täters nicht erfolgen, weil die Verurteilung gegen die Art. 102 und 103 Abs. 2 GG verstieße, woran die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist. Aber ebenso wäre schon das Strafgesetz selbst verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber bei Verabschiedung des Gesetzes im Geltungsbereich des Grundgesetzes gehandelt hat und demnach auch die Verfassung zu beachten hatte. Auch der Umstand, daß Hochverratshandlungen erfaßt werden, die Deutsche im Ausland begangen haben, darf und muß anhand der Verfassung überprüft werden, etwa darauf, ob die Beschränkung des erfaßten Täterkreises auf Deutsche willkürlich ist und damit gegen Art. 3 GG verstößt. Eine ganz andere Frage ist, ob hierin ein Verstoß gegen Art. 23 GG begründet ist. Der Aussagekern dieser Verfassungsnorm liegt darin, daß die in der Bundesrepublik ausgeübte, aus dem Grundgesetz abgeleitete Staatsgewalt an das Grundgesetz gebunden ist; sie legt den Gesetzgeber dagegen nicht inhaltlich darauf fest, alle zu erlassenden Gesetze in ihrem Geltungsbereich auf das Bundesgebiet zu beschränken. Es existiert kein verfassungsrechtlicher Satz des Inhalts, daß der Geltungsbereich eines Strafgesetzes immer und ausschließlich auf das eigene Territorium beschränkt sein müsse. 19 Vogel, S. 147, nennt hier die Vertretung der Bundesrepublik durch den Bundespräsidenten auf Staatsbesuchen (Art. 59 Abs. 1), die Tätigkeit deutscher Behörden im Ausland (Art. 87 Abs. 1 GG) oder die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Art. 65 GG) während eines Auslandsaufenthaltes, für die sonst eine rechtliche Basis fehlen würde. 20 Die Vorschrift lautet: "Der Gesetzgeber ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." 21 Zum Inhalt des Rechtsstaatsprinzips vgl. Herzog in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 23, Teil VII Rn. 1 ff., 35. Spezielle verfassungsrechtliche Schranken 85 Soweit aus dem Grundgesetz abgeleitete Hoheitsgewalt im Ausland ausgeübt wird,22 ist diese ebenfalls an die Verfassung gebunden. Wenn etwa der Bundespräsident den Bund im Ausland gemäß Art. 59 GG völkerrechtlich vertritt, so hat er, weil er eine aus der Verfassung abgeleitete hoheitliche Funktion ausübt, auch die sonst in der Verfassung verankerten Rechte und Pflichten unbeschadet des Art. 23 GG zu beachten. Gleiches gilt für die deutschen Auslandsvertretungen, die vom Bund in Ausführung der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG eingerichtet wurden; auch diese können ihre Tätigkeit nicht nach Gutdünken ausführen, sondern müssen, weil sie ihre hoheitlichen Befugnisse aus der Verfassung ableiten, die verfassungsrechtlichen Bindungen beachten. Art. 23 GG regelt unmittelbar den räumlichen Geltungsbereich des Grundgesetzes.23 Daß eine Verfassung nur im eigenen Staatsgebiet ihr räumliches Geltungsgebiet besitzt, hätte im Grunde keiner ausdrücklichen Regelung bedurft. Soweit die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens24 die Leitprinzipien für die Bildung der politischen Einheit und die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben bestimmt, die Staatsorganisation ordnet und Kompetenzen zuweist, kann sie dies nur innerhalb des eigenen Territoriums, weil es um die Gestaltung des bundesdeutschen Gemeinwesens geht, um die Begründung von Kompetenzen der bundesdeutschen Staatsorgane. Auch soweit aus der Verfassung subjektive Rechte des einzelnen abgeleitet werden,25 kann dies nur intraterritorial gelten; es ist undenkbar, daß eine Verfassung dem einzelnen Abwehrrechte gegenüber einem fremden Staat einräumen kann. Ebensowenig bedarf es der Einräumung von Abwehrrechten für Bürger gegenüber dem inländischen Staat außerhalb des Territoriums, da dieser wegen des Verbots der Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt keine Zwangsakte gegen Bürger im Ausland vornehmen kann. Aus der beschränkten räumlichen Geltung des Grundgesetzes ergibt sich entgegen WENGLER und BÖCKENFÖRDE nichts für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Erlasses von Strafgesetzen mit extraterritorialer Wirkung durch den Gesetzgeber. Insbesondere gegen BÖCKENFÖRDE ist einzuwenden, daß dieser nicht exakt zwischen Strafgewalt einerseits und 22 Dies ist ohne Erlaubnis des betreffenden Staates völkerrechtswidrig, was aber keinerlei Einfluß auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit hat. 23 Vgl. Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 23 Rn. 7; von Münch, GG-Komm., Art. 23, Rn. 1; Graf Vitzthum, Handbuch des Staatsrechts I, S. 715. 24 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 17 ff. 25 Dies gilt insbesondere für die Grundrechte; vgl. Hesse, Rn. 279. 86 Deutsche Strafgewalt und Verfassung Strafgerichtsbarkeit andererseits unterscheidet.26 Zwar verwendet er den Begriff Strafgewalt, der, weil aus dem Grundgesetz abgeleitet, auch den Beschränkungen des Art. 23 GG unterliegen müsse, versteht hierunter aber die "richterliche Zuständigkeit und richterliche Gewalt", also die Strafgerichtsbarkeit. Daß die Ausübung von Strafgerichtsbarkeit als Teil der staatlichen Hoheitsgewalt territorial beschränkt ist, ist allerdings ein Axiom,27 wenn auch in erster Linie ein völkerrechtliches, das aber über die Transformationsregel in Art. 25 GG innerstaatliche Wirksamkeit erlangt. Ein generelles Verbot der Erfassung extraterritorialer Sachverhalte, wie sie auch Gegenstand des internationalen Strafrechts ist, läßt sich aus Art. 23 GG dagegen nicht herleiten.28 Der Verfassungsgeber selbst hat eine beträchtliche Anzahl von Fällen im Grundgesetz geregelt, welche die Möglichkeit der gesetzgeberischen Erfassung und Regelung von außerhalb des Bundesgebiets gelegenen Regelungsgegenständen eröffnen: Ein Beispiel hierfür ist die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Hochseefischerei (Art. 74 Nr. 17 GG) sowie für die Hochseeschiffahrt und die Seewasserstraßen (Art. 74 Nr. 21 GG). Es kann auch nicht in Abrede gestellt werden, daß ein im Ausland lebender Bundesbürger, dem von der deutschen Botschaft die Ausstellung eines Passes zu Unrecht verweigert wird, sich vor einem deutschen Verwaltungsgericht auf die Grundrechtswidrigkeit dieser Maßnahme berufen kann, obwohl sich der zugrunde liegende Sachverhalt ganz und gar im Ausland abgespielt hat. In gleichem Maße "gilt" auch Art. 59 GG29, wenn der Bundespräsident auf Staatsbesuch im Ausland weilt und bei der dortigen Regierung Verträge unterzeichnet. Schließlich würde ein Mitglied der Bundesregierung unabhängig davon, ob es friedensstörende Handlungen im Inland oder Ausland vornimmt, gegen Art. 26 GG30 verstoßen; die diesen Verfassungsauftrag ausführende Strafrechtsnorm (§ 80 StGB) findet auch auf alle tatbestandsmäßigen Handlun- 26 Vgl. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 96. 27 Vgl. Jescheck, AT, S. 148; F.A. Mann, RdC 111 (1964 I), S. 127 (es ist eine "platitude that ... no State is allowed to exercise jurisdiction within the territory of another state"); Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtsetzung, S. 33, 44. 28 So auch Rudolf, S. 12, 43; im Ergebnis ebenso Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 125 Fn. 37; Schroeder, NJW 1969, S. 83. 29 Art. 59 Abs. 1 S. 1 und 2 lauten: "Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten." 30 Art. 26 Abs. 1 lautet: "Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." Spezielle verfassungsrechtliche Schranken 87 gen Anwendung, unabhängig vom Tatort, vom Tatortrecht oder von der Staatsangehörigkeit des Täters (vgl. § 5 Nr. 1 StGB). Auch die Existenz eines internationalen Privatrechts, welches in Frage zu stellen der Verfassungsgeber kaum im Sinn hatte, ermöglicht die Anwendung inländischen Rechts auf ausländische Sachverhalte nicht nur, sondern setzt diese Möglichkeit voraus. Schließlich hat der Verfassungsgeber auch die sogenannten Prinzipien des internationalen Strafrechts, die zur Rechtfertigung der Erstreckung inländischer Strafgewalt auf Auslandstaten herangezogen werden, unberührt gelassen. So zieht auch BÖCKENFÖRDE31 ohne weitere Begründung die Zulässigkeit der Anknüpfung der internationalstrafrechtlichen Regeln an die inländische Staatsangehörigkeit des Täters oder die Angriffsrichtung der Tat gegen den Bestand der Bundesrepublik ersichtlich nicht in Zweifel, sondern wendet sich gegen die strafrechtliche Erfassung der Einwohner der DDR als deutsche Staatsangehörige i.S.v. § 3 StGB a.F.32 Dieses Ziel kann aber durch Errichtung von Art. 23 GG als Schranke gegen jede Form der Ausdehnung von Strafgewalt nicht erreicht werden. §7 Die Präambel des Grundgesetzes Auch die Präambel beschränkt nach Meinung BÖCKENFÖRDES den Geltungsbereich des Grundgesetzes auf die Länder der Bundesrepublik Deutschland; dies habe deshalb auch für abgeleitete Hoheitsgewalt wie die Strafgewalt zu gelten.33 Die Präambel in dem hier einschlägigen Wortlaut besagt, daß "... das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, ..., kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen (hat)". 31 Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 96. 32 Vgl. aaO., S. 95, passim; deutlich wird dieses Anliegen auch in Böckenförde, Die Teilung Deutschlands und die deutsche Staatsangehörigkeit, FS Carl Schmitt, S. 457. 33 Vgl. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 96; allerdings beruft sich Böckenförde für seine Ansicht nicht auf die Präambel allein, sondern nennt diese in Verbindung mit Art. 23 GG. 88 Deutsche Strafgewalt und Verfassung Zwar besitzt die Präambel nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in erster Linie Bedeutung als politisches Dokument.34 Ihr fehlt es aber nicht an rechtlichem Gehalt, einerseits als Mittel einer zweckbestimmten Auslegung, andererseits zur unmittelbaren Begründung von Rechtspflichten aller Staatsorgane.35 Die Präambel ist demnach grundsätzlich geeignet, allein oder in Verbindung mit anderen Bestimmungen der Verfassung eine Schranke für die Ausdehnung der Strafgewalt zu errichten. Es erscheint aber bereits fraglich, ob die Präambel - im Unterschied zu Art. 23 GG - überhaupt den Geltungsbereich des Grundgesetzes selbst territorial begrenzt. Nach ihrem Wortlaut hat das deutsche Volk in den Ländern der westlichen Besatzungszonen das Grundgesetz beschlossen und "auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war".36 Der Wortsinn deutet auf die räumlich-personale Zusammensetzung des verfassungsgebenden Teils des Volkes hin, nicht auf den räumlichen Geltungsbereich der Verfassung, der eher mit den Worten "das Deutsche Volk hat dieses Grundgesetz für die Länder Baden usw. beschlossen" hätte ausgedrückt werden können. Schon aus diesem Grund ist die Präambel - weder allein noch in Verbindung mit Art. 23 GG - geeignet, den Gesetzgeber bei der Verabschiedung von Gesetzen inhaltlich auf einen nur innerterritorialen Geltungsbereich festzulegen. 34 Vgl. BVerfGE 5, S. 85 (127 f.); 12, S. 45 (51). 35 Vgl. BVerfG (vorher. Anm.); Maunz in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Präambel, Rn. 8. 36 S. 2 der Präambel (Hervorhebung vom Verf.). Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 89 2. KAPITEL: ALLGEMEINE VERFASSUNGSRECHTLICHE SCHRANKEN §8 Das Rechtsstaatsprinzip Als bislang einziger hat es GERMANN unternommen, aus dem Rechtsstaatsprinzip Schranken für die Ausdehnung nationaler Strafgewalt abzuleiten.37 Er stützt sich dabei nicht auf das Rechtsstaatsprinzip als solches, sondern legt die verschiedenen Ausprägungen dieses Prinzips, beginnend mit dem nullum crimen sine lege-Grundsatz, zugrunde.38 Diese Vorgehensweise steht in Einklang mit dem vorherrschenden staatsrechtlichen Verständnis des Rechtsstaatsprinzips: Das Rechtsstaatsprinzip wird, insbesondere auch vom Bundesverfassungsgericht,39 verstanden als Grundentscheidung, als Strukturbestimmung oder als leitendes Prinzip,40 das keine in allen Einzelheiten vorherbestimmten Gebote oder Verbote enthalte, sondern der "Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten"41 bedürfe. I. Der nullum crimen sine lege-Satz Einer der wichtigsten Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips ist der nullum crimen, nulla poena sine lege-Satz, wie er in Art. 103 Abs. 2 GG ausdrücklich verfassungsrechtlich verankert ist.42 Dieser Satz wird in die vier Einzelprinzipien lex scripta, lex certa, lex stricta und lex praevia aufgegliedert.43 1. Anwendbarkeit des Satzes auf das internationale Strafrecht Gelegentlich wird von der Lehre insbesondere für das Analogieverbot als wichtigstem Element des nullum crimen sine lege stricta-Satzes vertreten, dieses Prinzip gelte nur für den Besonderen Teil des Strafgesetzbuches, 37 Germann, Rechtsstaatliche Schranken im Internationalen Strafrecht, SchwZStrR 1954, S. 237. 38 AaO., S. 239. 39 Vgl. BVerfGE 6, S. 32 (41); 6, S. 55 (72); 20, S. 323 (331); 45, S. 187 (246); 53, S. 115 (127). 40 Vgl. Hesse, Rn. 185; Stern, Staatsrecht, S. 778, m. zahlr. w. Nachw. zur Literatur in Fn. 90. 41 BVerfGE 45, S. 187 (246) m. w. Nachw. 42 Vgl. Hesse, Rn. 206; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 75; Maurach/Zipf, AT-1, S. 121; Stern, S. 829. 43 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, § 1 Rn. 6 ff.; Jescheck, AT, S. 119 ff. 90 Deutsche Strafgewalt und Verfassung nicht aber für den Allgemeinen Teil; hier sei Analogie und auch die Anwendung von Gewohnheitsrecht zu Lasten des Angeklagten zulässig.44 Demgegenüber differenziert die heute ganz herrschende Ansicht in der Lehre45 und Rechtsprechung46 danach, ob eine Bestimmung die Strafbarkeit betrifft oder die Verfolgbarkeit; nur im letztgenannten Fall ist nach dieser Ansicht der nullum crimen-Satz nicht anwendbar. Die herrschende Meinung verdient Zustimmung, da sie sich auf den Wortlaut von Art. 103 Abs. 2 GG (§ 1 StGB) stützen kann, in dem von der "Strafbarkeit" die Rede ist. Die Strafbarkeit eines Verhaltens läßt sich nicht nur anhand der Tatbestandsmerkmale des Besonderen Teils beurteilen, sondern setzt die Prüfung der Rechtswidrigkeit und Schuld sowie persönlicher Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe und objektiver Bedingungen der Strafbarkeit als weitere materielle Voraussetzungen der Strafbarkeit voraus. Diese Strafbarkeitsvoraussetzungen nur dann an der Richtschnur des nullum crimen sine lege-Satzes messen zu wollen, wenn sie im Besonderen Teil und nicht im Allgemeinen Teil geregelt sind, ist kaum verständlich, da Rechtfertigungsgründe wie auch Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe und objektive Bedingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen Teil ebenso wie im Besonderen Teil enthalten sind. Von den Bestimmungen des internationalen Strafrechts in den §§ 3-7 StGB ist anerkannt, daß es sich bei ihnen um materielles Recht handelt, das die Strafbarkeit einer Tat mitbestimmt;47 gemeinhin werden diese Normen der Kategorie der objektiven Bedingungen der Strafbarkeitzugeordnet.48 Es steht damit fest, daß sie die Strafbarkeit und nicht erst die Verfolgbarkeit 44 So insbesondere Maurach, AT (1. Aufl.), S. 82 (in der letzten von Maurach verfaßten 4. Auflage noch als "h.L." bezeichnet [S. 111]; aufgegeben in der von Zipf besorgten Neuauflage; vgl. Maurach/Zipf, AT-1 [7. Aufl.], S. 126); LK-Tröndle, § 1 Rn. 38; Jakobs, AT, Rn. 4/43 bei Fn. 73 (i.V.m. Rn. 4/33 bei Fn. 60); unentschlossen R. Schmitt, Der Anwendungsbereich von § 1 StGB, FS Jescheck I, S. 231 f. 45 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, § 1 Rn. 6, 25; Jescheck, AT, S. 121; SK-Rudolphi, § 1 Rn. 9, 24; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S. 111, 115 in Fn. 370. 46 Vgl. BGHSt.4, S. 379 (384 f.); 20, S. 22 (27); BVerfGE 1, S. 418 (423 f.); 25, S. 269 (187); eine zusammenfassende Darstellung für den Teilbereich des Bestimmtheitssatzes gibt Krahl, Die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, S. 56 ff. 47 Vgl. Jakobs, AT, Rn. 5/12; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 123 ("... die Tat [ist] ohne das Strafanwendungsrecht keine strafbare Handlung für den das Strafanwendungsrecht setzenden Staat ..."); ebenso bereits im Jahr 1906 Beling in seiner "Lehre vom Verbrechen" (S. 99). 48 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 73; Jescheck, AT, S. 162, bezeichnet die Bestimmungen des internationalen Strafrechts als objektive Bedingungen der Strafbarkeit, zählt sie aber nicht zu den "Merkmalen des gesetzlichen Tatbestandes". Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 91 einer Tat betreffen; einer Anwendung des nullum crimen-Satzes auf die Bestimmungen des internationalen Strafrechts steht daher nichts entgegen. 2. Die Ausprägungen des nullum crimen sine lege-Satzes a) nullum crimen sine lege scripta, praevia et certa Keinen Bedenken begegnet § 5 Nr. 11 StGB in Hinblick auf das lex scripta-Gebot, da diese Vorschrift als förmliches Gesetz in dem dafür vorgesehenen Verfahren verabschiedet wurde. Auch in bezug auf den lex praevia-Grundsatz gibt § 5 Nr. 11 StGB keinen Anlaß zu Zweifeln. Das lex certa-Gebot verlangt vom Gesetzgeber, die pönalisierte Tat und deren Folgen mit hinreichender Bestimmtheit zu umschreiben. 49 Das Recht muß vorausberechenbar sein,50 um seine verhaltensdeterminierende Wirkung entfalten zu können. Zum Wissen, welches Verhalten im Einzelfall verboten ist, gehört aber als fester Bestandteil auch die Kenntnis davon, an welchem Ort das im Tatbestand mit Strafe bedrohte Verhalten untersagt ist. Jedenfalls dann, wenn die betreffende Rechtsordnung die eines anderen Landes als des Tatortstaates ist, muß sich der Täter dessen bewußt sein, daß er mit einem bestimmten Verhalten an einem bestimmten Ort mit einer bestimmten nationalen Strafrechtsordnung in Berührung kommt. Die Frage ist, ob mit der Formulierung "im Bereich des deutschen Festlandsockels" der Anwendungsbereich der §§ 324, 326, 330 und 330a StGB hinreichend bestimmt umschrieben ist. Unter dem deutschen Festlandsockel ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers 51 der vom FestlandsockelG52 und von der Proklamation der Bundesregierung53 erfaßte Bereich zu verstehen. Das Festlandsockelgesetz und die Proklamation der Bundesregierung legen jedoch die exakte Abgrenzung des Festlandsockels keineswegs fest.54 Das Festlandsockelgesetz verweist in § 1 wegen der Bestimmung des "deutschen Festlandsockels" auf die Proklamation. Dort heißt es nach Ankündigung der "in Kürze" zu erwartenden Ratifikation der 49 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, § 1 Rn. 17 ff. 50 Vgl. BVerfGE 14, S. 245 (252); 25, S. 269 (285); 26, S. 41 (42). 51 Vgl. BT-Drs. 8/2382, S. 12. 52 S. näher zu diesem inzwischen aufgehobenen Gesetz o. § 3 VII. 2. a) und c). 53 Vom 20. Januar 1964, BGBl. II, S. 104. 54 Hierauf machte Menzel, AöR 90 (1965), S. 1 f., bereits kurz nach Bekanntmachung der Proklamation aufmerksam. 92 Deutsche Strafgewalt und Verfassung Genfer Konvention über den Festlandsockel vom 29. April 195855 durch die Bundesrepublik:56 "Um Rechtsunklarheiten zu beseitigen, die sich in der gegenwärtigen Situation bis zum Inkrafttreten der Genfer Konvention über den Festlandsockel und bis zu ihrer Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten, hält es die Bundesregierung für erforderlich, schon jetzt folgendes festzustellen: 1. Die Bundesregierung sieht auf Grund der Entwicklung des allgemeinen Völkerrechts, wie es in der neueren Staatenpraxis und insbesondere in der Unterzeichnung der Genfer Konvention über den Festlandsockel zum Ausdruck kommt, die Erforschung und Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes und des Meeresuntergrundes der an die deutschen Meeresküsten grenzenden Unterwasserzone außerhalb des deutschen Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 m und - soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung der Naturschätze gestattet - auch hierüber hinaus als ein ausschließliches Hoheitsrecht der Bundesrepublik Deutschland an. Im einzelnen bleibt die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel auswärtiger Staaten Vereinbarungen mit diesen Staaten vorbehalten. ... " Der in dieser Form beschriebene deutsche Festlandsockel würde sich in der Ostsee, die an keiner Stelle eine Tiefe von 200 m aufweist, bis an die Küsten Schwedens und der Sowjetunion erstrecken, zumal die moderne Technik die Ausbeutung auch in erheblich tieferen Gewässern zulassen würde. Zwar sieht die Genfer Festlandsockelkonvention in Art. 6 vor, daß der Festlandsockel von gegenüberliegenden Staaten bei fehlender vertraglicher Abgrenzung durch die Mittellinie und der Festlandsockel von benachbarten Staaten durch das sogenannte Äquidistanzprinzip abgegrenzt werden soll; das Äquidistanzprinzip kann aber zur Auslegung der Proklamation der Bundesregierung nicht mit herangezogen werden, weil es wegen der fehlenden Ratifikation der Festlandsockelkonvention für die Bundesrepublik nicht vertraglich bindend geworden ist und sich angesichts des Fehlens einer allgemeinen Rechtsüberzeugung auch nicht zu Völkergewohnheitsrecht verdichtet hat, wie die Bundesrepublik mit Erfolg vor dem IGH im North Sea Continental Shelf Case57 geltend machen konnte. 55 Text in Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 58; s. näher dazu o. § 3 VII. 56 Die Bundesrepublik hatte die Festlandsockelkonvention am 30. Oktober 1958 unterzeichnet; zu einer Ratifikation ist es jedoch in der Folgezeit nicht gekommen. 57 Urteil des IGH vom 20. Februar 1969, ICJ Reports 1969, S. 3 ff.; s. ausführlich zur Rechtsordnung des Festlandsockels und zum Urteil des IGH o. § 3 VII. 2. b). Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken aa) 93 Der Festlandsockel in der Nordsee In der Nordsee 58 ist der deutsche Festlandsockel in seiner räumlichen Ausdehnung durch bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik einerseits und den Niederlanden, Dänemark und Großbritannien andererseits inzwischen exakt festgelegt.59 Die Gebietsbezeichnung "im Bereich des deutschen Festlandsockels" in § 5 Nr. 11 StGB begegnet folglich mit Hinblick auf das lex certa-Gebot keinen Bedenken, soweit es sich um einen Tatort in der Nordsee handelt. bb) Der Festlandsockel in der Ostsee Anders verhält es sich dagegen mit dem deutschen Festlandsockel in der Ostsee. Daß sich die Proklamation der Bundesregierung nur auf den Festlandsockel in der Nordsee beziehen sollte, läßt sich dem Wortlaut nicht entnehmen; die Formulierung "die ... an die deutschen Meeresküsten grenzende(n) Unterwasserzone" läßt vielmehr den Schluß zu, daß der Gesetzgeber den Meeresgrund vor der Nordsee- und der Ostseeküste erfassen wollte.60 Auch ein Vergleich mit den Proklamationen der Bundesrepublik über die Errichtung von Fischereizonen deutet darauf hin, daß nicht zwischen dem Festlandsockel in der Nordsee und dem Festlandsockel in der Ostsee differenziert werden sollte: Die Bundesregierung proklamierte am 22. Dezember 1976 zunächst eine Fischereizone unter ausdrücklicher Beschränkung auf 58 S. die Abbildung im Anhang I. 59 S. ausführlich hierzu o. § 3 VII. 2. b). 60 Dabei wird an dieser Stelle davon ausgegangen, daß die Proklamation sich nur auf den der Bundesrepublik vorgelagerten Teil des Ostseeschelfs bezieht, nicht dagegen auf den der DDR zustehenden Anteil am Festlandsockel. Anderslautende Auffassungen (vgl. etwa F. Münch, Weitere Akte über den Festlandsockel in Nord- und Ostsee, ZaöRV 24 [1964], S. 625 in Fn. 5) waren in der DDR als "juristische Aggression" verurteilt worden; s. dazu Gelberg, Rechtsfragen des Festlandsockels in der Ostsee, FS Menzel, S. 524 bei und in Fn. 15. Deutlich nunmehr der Wortlaut der Steuergesetze, deren Geltungsbereich auf den Festlandsockel erstreckt wurde: "Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil am Festlandsockel ..." (§§ 1 Abs. 1 S. 2 EStG, 1 Abs. 3 KStG, 2 Abs. 7 VStG, 2 Abs. 2 ErbStG; Hervorhebung vom Verf.). 94 Deutsche Strafgewalt und Verfassung die Nordsee61 und gab erst durch eine weitere Proklamation vom 2. Juni 1978 bekannt, daß sie auch in der Ostsee eine Fischereizone errichtete.62 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß einem Küstenstaat die Rechte am Festlandsockel ipso iure zustehen, ohne daß es hierfür einer vorherigen Proklamation bedürfte.63 Auch in der Ostsee existiert demnach ein deutscher Festlandsockel; seine räumliche Ausdehnung wurde bislang aber nicht durch bilaterale Verträge gegenüber dem Festlandsockel dritter Ostseeanrainerstaaten abgegrenzt.64 Dies mag auf verschiedenen Gründen beruhen; eine Ursache ist sicherlich der Umstand, daß unter dem der Bundesrepublik in der Ostsee vorgelagerten Festlandsockel Bodenschätze nicht in gleichem Maße vermutet werden wie in der Nordsee. Außerdem dürften unter Berücksichtigung des Mittellinienprinzips wegen der geringen Entfernungen zu den Küsten gegenüberliegender bzw. benachbarter Staaten (Dänemark und die DDR) die Ausmaße des deutschen Festlandsockels bedeutend geringer als in der Nordsee sein. Es steht jedenfalls fest, daß derzeit die räumliche Abgrenzung des (bundes-) deutschen Festlandsockels in der Ostsee nicht bestimmt und, wie die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Nordseeschelfs zeigen, nicht ohne weiteres bestimmbar ist. Bedenken mit Hinblick auf das lex certa-Gebot begegnet § 5 Nr. 11 StGB folglich insoweit, als es um die Bestrafung von Umweltstraftaten geht, die im Bereich des deutschen Festlandsockels in der Ostsee begangen werden. Es sind bislang allerdings keine Verurteilungen bekannt, die Ausländer auf 61 Vgl. BGBl. 1976 II, S. 1999. 62 Vgl. BGBl. 1978 II, S. 867. 63 Vgl. Art. 2 Abs. 3 FLSÜbk.; gleichlautend Art. 77 Abs. 3 UNSRK. 64 Ebenso Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 263; die bei Rüster, Verträge und Deklarationen über den Festlandsockel, S. 178, abgebildete und auf den 9.6.1965 datierte Festlandsockelgrenze zwischen der Bundesrepublik und Dänemark in der Ostsee findet keine Grundlage in einem zwischen diesen Staaten abgeschlossenen bilateralen Übereinkommen. In einem Protokoll vom 9.6.1965 zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Dänemark vom gleichen Tag (abgedruckt in BGBl. 1966 II, S. 208) wird lediglich festgehalten, daß bezüglich "des Festlandsockels vor den einander gegenüberliegenden Küsten der Ostsee ... Einverständnis darüber (besteht), daß sich die Grenze nach der Mittellinie bestimmt. Demgemäß erklären beide Vertragsparteien, daß sie keine grundsätzlichen Einwendungen dagegen erheben werden, wenn die andere Vertragspartei ihren Teil des Festlandsockels der Ostsee unter Zugrundelegung der Mittellinie abgrenzt". Dänemark und die Bundesrepublik haben sich somit lediglich über den modus operandi bei der Abgrenzung des Festlandsockel geeinigt; eine Proklamation der Bundesregierung über den deutschen Festlandsockel in der Ostsee wurde jedoch niemals bekanntgegeben. Auf jeden Fall fehlt es an einer Vereinbarung über die Abgrenzung des Festlandsockels gegenüber dem Festlandsockel der DDR. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 95 ausländischen Schiffen wegen Umweltverschmutzungen außerhalb der deutschen Küstengewässer in der Ostsee betreffen. Auch könnte sich ein Umweltverschmutzer in der Nordsee nicht mit Erfolg auf die Unbestimmtheit von § 5 Nr. 11 StGB berufen, weil der Bereich des Festlandsockels in der Nordsee feststeht und von der Unbestimmtheit nicht erfaßt wird. b) nullum crimen sine lege stricta Die fehlende räumliche Festlegung des Festlandsockels in der Ostsee könnte neben dem lex certa- auch den lex stricta-Grundsatz verletzen. Aus dem nullum crimen sine lege stricta-Grundsatz folgt das Verbot strafbegründender bzw. strafschärfender Analogie;65 nicht untersagt ist dagegen die Auslegung.66 Versteht man § 5 Nr. 11 StGB überhaupt als strafbegründende Norm, so fragt sich, ob die Bestimmung eines Tatortes in der Ostsee als auf dem deutschen Festlandsockel belegen im Wege der (zulässigen) Auslegung oder nur im Wege der (unzulässigen) Analogie durchführbar ist. Die letztgenannte Methode wäre anzuwenden, um eine etwaige planwidrige Regelungslücke durch Übertragung einer anderen Rechtsnorm oder eines sich aus mehreren Normen ergebenen allgemeinen Rechtsgedankens auszufüllen.67 Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung "deutscher Festlandsockel" in § 5 Nr. 11 StGB auf einen seiner Ansicht nach a priori feststehenden Begriff hinweisen wollen, nämlich den "vom Festlandsockelgesetz und von der Proklamation der Bundesregierung vom 20. Januar 1964" erfaßten Bereich.68 Wenn dieser Bereich in der Ostsee aber - wie gezeigt tatsächlich nicht bestimmt ist, liegt eine unbeabsichtigte Regelungslücke vor, die im Wege der Analogie auszufüllen ist. Es soll dabei zunächst offen bleiben, ob ein Analogieschluß wegen des Verbots strafbegründender Analogie nicht unzulässig wäre; immerhin wäre auch die Möglichkeit denkbar, daß ein Analogieschluß einen an sich unbegrenzten Festlandsockel überhaupt erst zugunsten des Täters eingrenzen kann. 65 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, § 1 Rn. 24 ff.; LK-Tröndle, § 1 Rn. 30 ff. 66 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, § 1 Rn. 36. 67 Zur Analogie als Methode der Rechtswissenschaft vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 365 ff. 68 Vgl. BT-Drs. 8/2382, S. 12. 96 Deutsche Strafgewalt und Verfassung Problematisch ist bereits die Ermittlung der zur analogen Anwendung heranzuziehenden Rechtsnorm bzw. des analogiefähigen Rechtsgedankens. In Betracht kämen hierfür die Zustimmungsgesetze und die bilateralen Verträge, mit dem der deutsche Festlandsockel in der Nordsee abgegrenzt wurde. Die Abgrenzung des deutschen Festlandsockels in der Nordsee ist aber als Ergebnis eines jahrelangen Rechtsstreits zwischen der Bundesrepublik und Dänemark sowie den Niederlanden und sich anschließenden Verhandlungen zwischen diesen Staaten kaum auf die Situation in der Nordsee übertragbar; die Festlegung beruhte u.a. auf den besonderen geographischen Gegebenheiten des Küstenverlaufs in der Nordsee. Diese (geographischen) Voraussetzungen unterscheiden sich wesentlich von den in der Ostsee gegebenen; das den Festlandsockel in der Nordsee festlegende Regelwerk kann deshalb nicht für einen Analogieschluß herangezogen werden. Auch die Bestimmungen der Genfer Festlandsockelkonvention bzw. der UN-Seerechtskonvention über den Festlandsockel können für einen Analogieschluß nicht herangezogen werden. Zum einen bestehen grundsätzliche Bedenken, zur Ausfüllung und Ergänzung einer Bestimmung des nationalen Strafrechts eine Völkerrechtsnorm heranzuziehen, die für die Bundesrepublik weder völkervertrags- noch völkergewohnheitsrechtlich verbindlich ist. Zum anderen ist der Inhalt des für den Festlandsockel relevanten Völkerrechts nicht in solchem Maße klar und eindeutig, wie es zur Ergänzung einer Lücke im Strafrecht verlangt werden muß. Dies zeigen neben dem North Sea Continental Shelf Case die Streitigkeiten über die Abgrenzung des Festlandsockels zwischen Libyen und Tunesien, zwischen Italien und Libyen und zwischen der Türkei und Griechenland.69 Daher bleibt § 5 Nr. 11 StGB, soweit es um einen Tatort in der Ostsee geht, auch im Hinblick auf das lex stricta-Prinzip Bedenken ausgesetzt. 69 Vgl. ICJ Reports 1976, S. 3 ff.; 1978, S. 3 ff.; 1981, S. 3 ff.; 1982, S. 18 ff.; Oellers-Frahm, Die Entscheidung des IGH zur Abgrenzung des Festlandsockels zwischen Tunesien und Libyen, ZaöRV 42 (1982), S. 804 ff.; dies., Anmerkungen zur Intervention Italiens im Verfahren zur Abgrenzung des Festlandsockels zwischen Malta und Libyen, ZaöRV 44 (1984), S. 840 ff. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken II. 97 Das Übermaßverbot Das Übermaßverbot 70 (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne) ist wie der nullum crimen sine lege-Satz ein wichtiges Element des Rechtsstaatsprinzips.71 Alle staatlichen Eingriffe sind an diesem Grundsatz zu messen und müssen - in der im Staatsrecht üblichen Reihenfolge - den Elementen Geeignetheit, Erforderlichkeit, und Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) entsprechen. 1. Geeignetheit a) Ermittlung der Gesetzeszwecke Zunächst ist zu untersuchen, ob die internationalstrafrechtliche Bestimmung in § 5 Nr. 11 StGB geeignet ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu erreichen. Die Beantwortung dieser Frage setzt die Herausarbeitung des vom Gesetzgeber mit der verabschiedeten Bestimmung verfolgten Zwecks voraus. In der Regierungsbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Umweltkriminalität heißt es zur Erläuterung von § 5 Nr. 11 StGB:72 "Durch die Einbeziehung des Meeres bzw. der Hohen See in den Schutzbereich dieser Vorschriften soll schädlichen Umwelteinwirkungen begegnet werden, die in jüngster Zeit zunehmend auch die Ökologie der Meere bedrohen (etwa im Zusammenhang mit dem Betrieb von "Verbrennungsschiffen", die gefährliche Abfälle im Bereich des deutschen Festlandsockels verbrennen, oder mit Kollisionen zwischen Öltankern, deren auslaufende Fracht die See verunreinigt). Da gemäß § 3 StGB deutsches Strafrecht grundsätzlich nur für im Inland begangene Taten gilt, die Hohe See einschließlich des Festlandsockels jedoch im strafrechtlichen Sinne nicht "Inland" ist, kann die Ausdehnung des Schutzbereiches in einzelnen Tatbestandsbereichen der §§ 324 ff. StGB über das deutsche Landgebiet und die deutschen Küstenmeere hinaus nur dann die 70 Grundlegend hierzu die Monographie von Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht - Zur Bindung des Gesetzgebers an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit. 71 Vgl. Hesse, Rn. 185; Stern, S. 784, 861 ff.; BVerfGE 19, S. 342 (348); 58, S. 283 (290); 75, S. 1 (16); jeweils m. zahlr. w. Nachw. auf Literatur und Rechtsprechung; eine andere Auffassung leitet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus den Grundrechten her: vgl. z.B. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff., 355 ff.; Schnapp in v. Münch, GG-Komm., Art. 20 Rn. 27. Die Frage der genauen "Verortung" des Übermaßverbots im GG kann in dieser Arbeit auf sich beruhen, da jedenfalls die Geltung dieses Grundsatzes als Verfassungsrecht nicht bestritten wird. 72 Vgl. BT-Drs. 8/2382, S. 11 f.; § 5 Nr. 11 war in dem Regierungsentwurf zunächst als § 6 Nr. 9 vorgesehen. 98 Deutsche Strafgewalt und Verfassung gewünschte Wirkung entfalten, wenn sie mit einer entsprechenden Ausweitung des Strafrechtsanwendungsrechts einhergeht." Anschließend wird die Lückenhaftigkeit des Meeresschutzes durch das Strafrecht aufgezeigt, wenn nicht das deutsche internationale Strafrecht um eine Vorschrift wie § 5 Nr. 11 StGB ergänzt würde; die Begründung fährt fort:73 "Diese Lücken will der Entwurf schließen, indem er diejenigen Vorschriften des Besonderen Teils des StGB, deren Schutzbereich über Landgebiet und Küstenmeer hinausgehen soll, ausdrücklich in den Katalog des § 6 StGB (Auslandstaten gegen international geschützte Rechtsgüter) aufnimmt. Diese Ausdehnung soll jedoch nicht uneingeschränkt gelten: Aus kriminalpolitischen wie praktischen Gründen ist es ausreichend, schädliche Umwelteinwirkungen auf das Meer nicht generell, sondern nur im Bereich des deutschen Festlandsockels dem Weltrechtspflegeprinzip zu unterstellen." Nach der Regierungsbegründung ist demnach Zweck der in § 5 Nr. 11 StGB eingefügten Geltungsbereichserweiterung der Schutz des Meeres; der mit den Umweltstraftatbeständen angestrebte Gewässerschutz, der nach der weitgefaßten Begriffsbestimmung in § 330d Nr. 1 StGB im Falle des Meeres neben den eigenen Küstengewässern auch die Hohe See und fremde Küstengewässer umfaßt, 74 wird durch § 5 Nr. 11 StGB verstärkt: Die durch § 5 Nr. 11 StGB und die Umweltstraftatbestände geschützten Rechtsgüter sind insoweit identisch, als es bei diesen Normen um den Meeresschutz geht; die Begrenzung der Geltungsbereichserweiterung auf den Festlandsockel beruht auf "kriminalpolitischen wie praktischen Gründen", d.h. auf von äußeren Umständen unbeeinflußter Selbstbeschränkung. Im Laufe der Behandlung des 16. StrÄndG im Rechtsausschuß des Bundestages erfuhr die neue geltungsbereichserweiternde Vorschrift allerdings eine geänderte Zweckrichtung. OEHLER hatte in seinem Gutachten zu dem Gesetzentwurf in der Bestimmung die Einführung des Weltrechtspflegeprinzips vermutet und gegen dieses Vorhaben Bedenken angemeldet;75 er gelangte zu der Auffassung, daß der Gesetzgeber "in Wirklichkeit das Schutzprinzip in einem gewissen Raum für die betreffenden Rechtsgüter einführen" wolle, weil das deutsche "Hoheitsgebiet von den Auswirkungen 73 AaO., S. 12. 74 Vgl. Regierungsbegründung aaO., S. 26. 75 Abgedruckt in: Protokolle des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Prot. Nr. 73 vom 25.06.1979, Teil II, S. 96-105, sowie in: GA 1980, S. 241-248. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 99 der Verschmutzung im Vorfeld, d.h. eben im Bereich des Festlandsockels," geschützt werden solle.76 Den Bedenken OEHLERS im Hinblick auf die Einführung des Weltrechtspflegeprinzips schloß sich in der Sachverständigenanhörung TRIFFTERER an, während TIEDEMANN und VON LERSNER diese Bedenken für unbegründet hielten und insbesondere Letztgenannter die Einbeziehung des Meeres dringend befürwortete.77 Im Rechtsausschuß selbst wurde das Problem des durch die neue internationalstrafrechtliche Bestimmung geschützten Rechtsguts und damit verbunden die Entscheidung für das Weltrechts- oder das Schutzprinzip nicht näher diskutiert. In der 83. Sitzung des Rechtsausschusses vom 14. November 1979 wurde der Regierungsentwurf eines neuen § 6 Nr. 9 StGB behandelt; im Protokoll heißt es hierzu lapidar:78 "§ 6 Vors. Dr. LENZ verweist hierzu auf die Formulierungshilfe vom 23.10.1979.79 Abg. HEYENN (SPD) übernimmt die Fassung dieser Formulierungshilfe als Antrag. Der Ausschuß stimmt diesem Antrag bei Enthaltung der Mitglieder der CDU/CSU zu." Auf die Vorschläge OEHLERS ging der Rechtsausschuß lediglich bei der Beratung von § 330c der Regierungsvorlage 80 ein. 81 Der Abgeordnete HARTMANN beantragte unter Bezugnahme auf OEHLER, die in § 330c Nr. 1 vorgenommene Einbeziehung des Meeres in der Gewässerdefinition auf "das Meer im Bereich des Festlandsockels" abzuändern bzw. das "Meer" ganz aus der Begriffsbestimmung herauszunehmen. Dagegen wandten die Vertreter des Bundesjustizministeriums MÖHRENSCHLAGER und STURM ein, daß eine derartige Änderung den Schutzbereich der §§ 324 ff. StGB von 76 GA 1980, S. 245 f. (Hervorhebung vom Verf.). 77 Vgl. Rechtsausschuß-Prot. Nr. 73, S. 126 f., 129 ff. 78 Nr. 83, S. 5 f. 79 Gemeint ist die als Anlage 2 zu Protokoll Nr. 83 abgedruckte Formulierungshilfe, die das Bundesjustizministerium auf Bitte des Abgeordneten Hartmann (vgl. Prot. Nr. 80, S. 37) vorgelegt hatte; in dieser Formulierungshilfe wird statt des ursprünglich vorgesehenen § 6 Nr. 9 eine neue Nr. 11 in § 5 in der Fassung vorgeschlagen, wie sie später auch vom Gesetzgeber verabschiedet wurde. 80 Diese Vorschrift wurde vom Bundestag später als § 330d StGB verabschiedet; sie enthält die Begriffsbestimmungen. 81 Vgl. Rechtsausschuß-Prot. Nr. 81 vom 7.11.1979, S. 43 ff. 100 Deutsche Strafgewalt und Verfassung vorherein auf inländische Gewässer beschränken würde; OEHLER sei "in diesem Punkt einem Irrtum erlegen".82 Daraufhin lehnte der Rechtsausschuß den Vorschlag des Abgeordneten HARTMANN ab und beließ es bei § 330c in der Fassung des Regierungsentwurfs. Letztendlich fanden die Vorschläge OEHLERS lediglich in der Umstellung der neuen geltungsbereichserweiternden Vorschrift von § 6 Nr. 9 StGB nach § 5 Nr. 11 StGB Berücksichtigung. Gleichwohl übernahm der Rechtsausschuß in seinem Bericht zur Beschlußempfehlung vom 25. Januar 1980 zu dem 16. StrÄndG die Begründung OEHLERS: "Im Interesse des Schutzes des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Küstenbereiche, soll Auswirkungen von Umweltverschmutzungen schon im Vorfeld, d.h. im Bereich des diesem Hoheitsgebiet vorgelagerten (also strafrechtlich im Ausland befindlichen) deutschen Anteils am Festlandsockel entgegengetreten werden. Durch die Einordnung unter die dem Schutzprinzip folgende Regelung des § 5 Strafgesetzbuch wird auch der Eindruck vermieden, als ob für Umweltstraftaten, die sich auf das Meer beziehen, generell das Weltrechtsprinzip eingeführt werden solle",83 und "[d]er Entwurf geht jedoch nicht so weit, daß er für den Bereich der Hohen See das Weltrechtsprinzip einführt, er erhebt also nicht einen Strafanspruch bei Vorgängen, durch die deutsche Interessen nicht berührt sind."84 Ohne daß ihr Inhalt geändert worden wäre, scheint die neue geltungsbereichserweiternde Bestimmung durch die systematische Umstellung einen Wechsel in der Zweckrichtung von der Durchsetzung des Weltrechtsprinzips in einem Teilbereich hin zum Schutz deutscher Interessen der deutschen Küsten im Vorfeld - erfahren zu haben. Es verbleibt jedoch eine gewisse Unsicherheit über die Zweckbestimmung dieser Vorschrift. Zudem ist anerkannt, daß die Auffassung im Rechtsausschuß zumindest für die Auslegung von Rechtsnormen nicht entscheidend ist.85 Bei der Überprüfung von § 5 Nr. 11 StGB auf seine Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind deshalb 82 So Sturm in Rechtsausschuß-Prot. Nr. 81, S. 45; zur Beschränkung des Schutzbereichs der §§ 324 ff. StGB s. auch u. § 14. 83 BT-Drs. 8/3633, S. 22 f. 84 Ebd. (vorher. Anm.), S. 25. 85 BGH, NJW 1987, S. 1280; in dem entschiedenen Fall wich der BGH von der im Rechtsausschuß vertretenen Auffassung ab, § 326 Abs. 1 Nr. 3 erfasse keinen Hausmüll. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 101 alle in Betracht kommenden und verfassungsrechtlich legitimen Zwecke zugrunde zu legen; hierbei handelt es sich um: 1) Den Schutz sämtlicher Meeresgewässer, d.h. einschließlich der Hohen See und eigener wie fremder Küstengewässer, wie es auch Schutzzweck der §§ 324 ff. i.V.m. 330d Nr. 1 StGB ist; 2) den Schutz des Meeres in einem Teilbereich, der mit dem Bereich des deutschen Festlandsockels in der Nordsee übereinstimmt; 3) die Verhinderung der Verschmutzung oder Gefährdung der deutschen Küste und deutscher Hoheitsgewässer. b) Geeignetheit von § 5 Nr. 11 StGB zur Erreichung dieser Zwecke Das BVerfG hat wiederholt entschieden, daß bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Zwecktauglichkeit einer Gesetzesnorm Zurückhaltung zu üben ist. 86 Als nicht geeignet und damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßend kann ein Gesetz nur beurteilt werden, wenn es sich als "objektiv und schlechthin ungeeignet" zur Erreichung des angestrebten Zwecks darstellt.87 Stellt man auf den zuerst genannten Zweck, den Schutz aller Meere, ab, so erscheint eine Vorschrift, die eine Fläche von etwa 0,15 % der Gesamtweltmeeresfläche betrifft,88 als ungeeignet. Diese Sichtweise wäre allerdings verfehlt, denn die überwiegende Zahl der Straftatbestände, die nicht rein nationale Rechtsgüter schützen, gilt nicht universell, sondern nur unter den Voraussetzungen der §§ 3-7 StGB. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, daß von Verfassungs wegen eine weltweite Festlegung des Geltungsbereichs aller Straftatbestände geboten wäre, dies aber gleichzeitig mangels Vorliegens eines der anerkannten Anknüpfungspunkte einen Verstoß gegen die anerkannten Prinzipien des internationalen Strafrechts und gegen das Völkerrecht bedeuten würde. Auch bedeutet die Einführung von § 5 Nr. 11 StGB keineswegs, daß nur in dem dort genannten geringen Umfang das Meer geschützt wäre: § 5 Nr. 11 StGB bringt eine Ausdehnung des 86 Vgl. BVerfGE 71, S. 206 (215); 50, S. 142 (162); 30, S. 250 (263). 87 BVerfG, aaO. (vorher. Anm.). 88 Die Fläche der Nordsee beträgt 0,575 Mill. qkm gegenüber einer Gesamtweltmeeresfläche von 362,03 Mill. qkm. Noch geringer ist der Wasseranteil der Nordsee: Während der Gesamtinhalt der Weltmeere 1.349,93 Mill. km3 beträgt, macht der Anteil der Nordsee gerade 0,05 Mill. km3 aus. 102 Deutsche Strafgewalt und Verfassung Geltungsbereichs der Umweltstraftatbestände zusätzlich zu den bereits vorhandenen Geltungsbereichsnormen, d.h., der Gesetzgeber hat sich nicht mit dem vorhandenen Bestand des internationalen Strafrechts begnügt, sondern war darum bemüht, dem Meer einen darüber hinaus gehenden Schutz zu verleihen. Daß die Anwendung des Weltrechtsprinzips - die Zulässigkeit unterstellt - einen noch weiterreichenden Schutz des Meeres bedeutet hätte, macht jedenfalls die mit § 5 Nr. 11 StGB gewählte Lösung nicht schlechthin ungeeignet. Sieht man als Schutzzweck von § 5 Nr. 11 StGB die Verhütung von Verschmutzungen gerade im Bereich des deutschen Festlandsockels in der Nordsee, so erfüllt diese Vorschrift ihren Zweck in nicht zu verbessernder Weise: In diesem Bereich wird jede Verschmutzungshandlung mit Strafe bedroht, ohne daß es auf die Nationalität des Täters oder des Tatschiffes ankäme; an der Geeignetheit zur Erreichung dieses Zweckes besteht daher kein Zweifel. Schließlich verbleibt als Schutzzweck der in § 5 Nr. 11 StGB getroffenen Regelung der Schutz der deutschen Küste und der deutschen Küstengewässer. Die Gefahr, daß eine Verunreinigung der Nordsee, die außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen wird, sich in das deutsche Hoheitsgebiet hinein auswirken kann, ist gerade bei der Nordsee als einem relativ geschlossenen Meer erheblich. Zwar besteht eine derartige Gefahr in mindestens gleichem Maße, wenn eine Verschmutzungshandlung im Bereich niederländischer oder dänischer Küstengewässer oder im Bereich des Festlandsockels dieser Staaten vorgenommen wird. Die Nichtberücksichtigung dieser Handlungen durch den Gesetzgeber führt unter Umständen zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz; sie ändert aber nichts daran, daß die Geltungsbereichserweiterung (nur) auf den Bereich des deutschen Festlandsockels zur Erreichung des angestrebten Zwecks objektiv geeignet ist.89 Die in § 5 Nr. 11 StGB getroffene Regelung erweist sich im Ergebnis als geeignet, alle bei ihrer Verabschiedung denkbaren Zweckvorstellungen zu erreichen. 89 Vgl. auch BVerfGE 71, S. 206 (Leitsatz 1), 215, wo das BVerfG es ablehnte, § 353d Nr. 3 StGB wegen mangelnder Zwecktauglichkeit zu beanstanden, selbst wenn diese Vorschrift ihren Schutzzweck nur in begrenztem Umfang erfüllen und dieser Zweck bei einer weitergehenden Grundrechtsbeschränkung möglicherweise besser erreicht werden würde. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 2. 103 Erforderlichkeit Bei der Erforderlichkeit ist zu prüfen, ob das vom Gesetzgeber gewählte Mittel nicht durch ein anderes mit gleicher Wirksamkeit, das jedoch mit einem geringeren Grundrechtseingriff verbunden ist, hätte ersetzt werden können.90 Nur dann verstößt der Gesetzgeber gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit als Bestandteil des Übermaßverbotes, wenn die Wahl des weitergehenden Mittels gegenüber dem milderen Mittel gemessen am Regelungszweck keinen besseren Erfolg verspricht.91 Als mildere Mittel kämen hier die Reduzierung des von der Geltungsbereichserweiterung erfaßten räumlichen Bereichs einerseits und die Einschränkung des betroffenen Personenkreises andererseits in Betracht. a) Der räumliche Geltungsbereich Das nächstkleinere festumrissene Meeresgebiet gegenüber dem Festlandsockel ist das Küstenmeer. Eine besondere Ausdehnung des Geltungsbereichs auf das Küstenmeer würde sich aber erübrigen, da dieses zum Inland gehört92 und das deutsche Strafrecht dort bereits gemäß § 3 StGB gilt. Im übrigen würde eine Beschränkung der Geltung der in § 5 Nr. 11 StGB genannten Umweltstraftatbestände auf das Küstenmeer der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht dienen: Weder könnte damit der Schutz des Meeres insgesamt noch im Bereich des Festlandsockels erreicht werden; auch der Schutz der deutschen Küste und der Küstengewässer wäre weniger wirksam als durch die getroffene Regelung, weil nur eine tatsächlich eingetretene Verschmutzung verboten, der Gesichtspunkt des Schutzes im Vorfeld dagegen unberücksichtigt geblieben wäre. Die zuletzt genannte Erwägung gilt in gleichem Maße für andere Bereiche, die zwar über das Küstenmeer hinausgehen, hinter dem Umfang des deutschen Festlandsockels aber zurückbleiben. b) Der persönliche Geltungsbereich Die in § 5 Nr. 11 StGB getroffene Regelung erfaßt ausländische Täter auf ausländischen Schiffen sowie deutsche Täter auf ausländischen Schiffen, wenn das für das Schiff geltende Recht des Flaggenstaates keine identische Norm enthält.93 Eine mildere Regel könnte in dem vollständigen Verzicht 90 Vgl. BVerfGE 39, S. 156 (165); 57, S. 250 (270); Stern, Staatsrecht, S. 866. 91 Vgl. BVerfG (vorher. Anm.). 92 Vgl. Eser in Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rn. 30; Oehler, Internationales Strafrecht, Rn. 402 f.; s. ausführlich zum Küstenmeer o. § 3 IV. 93 S. die Übersicht in der Einleitung. 104 Deutsche Strafgewalt und Verfassung auf diese Vorschrift oder in der Beschränkung auf ausländische oder inländische Täter auf ausländischen Schiffen bestehen. Dies ergibt sich daraus, daß alle anderen milderen Geltungsbereichsregelungen, die in Betracht kämen, bereits durch das geltende internationale Strafrecht erfaßt werden: Auf deutschen Schiffen unterliegen in Anwendung des Flaggenprinzips (§ 4 StGB) sowohl deutsche als auch ausländische Täter deutscher Strafgewalt. Würde der persönliche Geltungsbereich auf Inländer oder Ausländer reduziert oder auf eine Geltungsbereichserweiterung ganz verzichtet, wäre die Erreichung des angestrebten Zwecks entscheidend beeinträchtigt und in der zuletzt genannten Alternative sogar ganz ausgeschlossen. § 5 Nr. 11 StGB kann mithin nicht durch ein milderes Mittel ersetzt werden, sondern ist das zur Erreichung der angestrebten Zwecke erforderliche Mittel. 3. Verhältnismäßigkeit Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn der mit ihr verbundene Eingriff nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu den daraus resultierenden Belastungen steht, ihre Vorteile mithin die Nachteile überwiegen.94 Der mit § 5 Nr. 11 StGB verbundene Eingriff ist die Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit in bezug auf solche Handlungen, die in den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB mit Strafe bedroht sind. Dem stehen als "Vorteil" gegenüber die Reinhaltung des Meeres als ein Bestandteil der Umwelt, die von der Verfassungsordnung als ein hochrangiges Rechtsgut anerkannt ist. Stellt man ein Verhältnis "praktischer Konkordanz"95 zwischen diesen beiden widerstreitenden Rechtsgütern her, so ergibt sich, daß die Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit - das Verbot, das Meer zu verschmutzen - gegenüber dem angestrebten Zweck von erheblich geringerer Bedeutung ist. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht deshalb der Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel nicht entgegen; das Übermaßverbot wird durch § 5 Nr. 11 StGB nicht verletzt. 94 Vgl. Hesse, Rn. 72, 318 f.; Stern, Staatsrecht, S. 866; BVerfGE 28, S. 264 (280); 49, S. 24 (58/63); 65, S. 1 (54); 70, S. 278 (286). 95 Ausdruck von Hesse, Rn. 72 et passim. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken §9 105 Der Gleichheitssatz Der Gesetzgeber hat in § 5 Nr. 11 StGB nur solche Straftaten nach den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB erfaßt, die im Bereich des deutschen Festlandsockels begangen werden. Hierin liegt eine Differenzierung gegenüber ausländischen Umweltverschmutzern auf ausländischen Schiffen, die eine an sich nach den §§ 324 ff. StGB tatbestandsmäßige Handlung außerhalb des deutschen Festlandsockels vornehmen, und gegenüber inländischen Tätern auf ausländischen Schiffen auf der Hohen See, wenn der zuständige Flaggenstaat keine mit den §§ 324 ff. StGB identische Norm bereitgestellt hat;96 näher zu untersuchen ist, ob diese Differenzierung mit der Verfassung vereinbar ist. I. Verstoß gegen spezielle Differenzierungsverbote Ein Verstoß gegen spezielle, im Grundgesetz normierte Differenzierungsverbote ist nicht ersichtlich; die getroffene Regelung ist daher am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen. II. Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln.97 Bei der Entscheidung dessen, was wesentlich ist, besitzt der Gesetzgeber allerdings einen gewissen Ermessensspielraum; das BVerfG überprüft im Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nur, ob sich für eine Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund finden läßt, die Regelung mithin bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht als willkürlich bezeichnet werden muß.98 Bezogen auf die verschiedenen vom Gesetzgeber geschützten Rechtsgüter ist die Differenzierung wie folgt zu beurteilen: Ist Schutzgut von § 5 Nr. 11 StGB das Meer als solches, so weist eine Verschmutzungshandlung, die außerhalb des deutschen Festlandsockels begangen wird, 96 Ist im Flaggenrecht eine identische Norm vorhanden, unterliegt der inländische Täter in Anwendung des aktiven Personalitätsprinzips (§ 7 Abs. 2 Nr. 1) deutscher Strafgewalt; eine Differenzierung liegt in diesem Fall folglich nicht vor. 97 Vgl. Hesse, Rn. 438 ff.; BVerfGE 1, S. 14 (52); 33, S. 367 (384); 35, S. 324 (335); 37, S. 121 (129); 47, S. 109 (124 f.); 50, S. 142, (166); 54, S. 11 (25 f.). 98 Vgl. BVerfGE ebd. (vorher. Anm.); Hesse, Rn. 439. 106 Deutsche Strafgewalt und Verfassung denselben Unrechtsgehalt auf wie die innerhalb des Festlandsockels vorgenommene gleichgeartete Tat. Dies gilt in entsprechendem Maße, wenn man in der Abwehr von Gefahren für die deutsche Küste und die deutschen Küstengewässer den Zweck von § 5 Nr. 11 StGB erblickt: Die Gefahr, daß eine Verschmutzung aus den belgischen oder niederländischen Hoheitsgewässern die deutschen Küstengewässer erreicht, ist wegen der Strömungsverhältnisse in der Nordsee99 ebenso groß, vermutlich sogar größer, wie das Eintreffen einer entsprechenden Verschmutzung im deutschen Hoheitsgebiet aus dem nordwestlichen Teil des deutschen Festlandsockels, während von einer Verschmutzungshandlung, die im Pazifik begangen wird, kaum eine Gefahr für den deutschen Hoheitsbereich ausgehen wird. Wird allerdings im Schutz des Meeres gerade und ausschließlich im Bereich des deutschen Festlandsockels das Anliegen von § 5 Nr. 11 StGB gesehen, so erscheint die getroffene Regelung zur Erreichung dieses Zwecks als sachgerecht, da in diesem Bereich Verschmutzungen lückenlos erfaßt werden. Nur bei Zugrundelegung der beiden erstgenannten Schutzbereiche liegt eine unterschiedliche Behandlung gleicher Sachverhalte durch den Gesetzgeber vor. Allerdings darf eine Strafrechtsnorm nicht bereits deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil bestimmte Sachverhalte mit entsprechendem Unrechtsgehalt nicht von dieser Norm erfaßt werden; dies würde dem Grundsatz "keine Gleichheit im Unrecht" widersprechen.100 Erst wenn sich keine sachlich einleuchtenden Gründe für die Differenzierung zwischen innerhalb und außerhalb des Bereichs des deutschen Festlandsockels begangenen Umweltverschmutzungen finden lassen, muß § 5 Nr. 11 StGB als dem allgemeinen Gleichheitssatz widersprechend und damit als verfassungswidrig beurteilt werden. Als Gründe für die Differenzierung gibt der Regierungsentwurf selbst "kriminalpolitische(n) wie praktische(n)" an,101 ohne diese jedoch näher zu erläutern. Vermutlich hat der Gesetzgeber insbesondere bei den "praktischen" Gründen an die strafprozessualen Eingriffs- und Zwangsbefugnisse der Bundesvollzugsbeamten gedacht, die er diesen ebenfalls mit dem 18. StrÄndG eingeräumt hat:102 Nach diesen Vorschriften haben im ein99 Vgl. die Angaben und Schaubilder in dem Sondergutachten Umweltprobleme der Nordsee, BT-Drs. 9/692, S. 15 f. 100 Vgl. BVerfGE 50, S. 142 (166). 101 BT-Drs. 8/2382, S. 12. 102 Vgl. Art. 8 Nr. 2 (i.V.m. § 10 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechte am Festlandsockel - FestlandsockelG - [BGBl. 1964 I, S. 497]) und Art. 10 Nr. 2 (i.V.m. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 107 zelnen näher bezeichnete Vollzugsbeamte des Bundes103 "im Bereich des Festlandsockels"104 "die Rechte und Pflichten der Polizeibeamten nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung ...; (sie) sind insoweit Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft". Diese Begründung erweist sich jedoch als nicht stichhaltig, da der Gesetzgeber den Vollzugsbeamten auch auf der Hohen See die Erforschung von Zuwiderhandlungen nach den §§ 324, 326, 330 und 330a StGB aufgegeben hat.105 Zwar dürfte der Gesetzgeber bei dieser Eingriffsgrundlage nur an Umweltstraftaten auf der Hohen See gedacht haben, die von Schiffen unter deutscher Flagge begangen werden, da das Vorgehen gegen ausländische Schiffe auf Hoher See nur in einigen wenigen Ausnahmefällen gestattet ist.106 Wegen der Tatsache, daß Eingriffsbefugnisse bei Umweltstraftaten sowohl im Bereich des Festlandsockels als auch auf der Hohen See bestehen, verbieten sich jedoch Schlußfolgerungen für die Beurteilung der Zulässigkeit der Festlegung der Strafgewalt auf den Festlandsockel. Zudem würde es sich als Zirkelschluß erweisen, aus dem Umstand, daß im Bereich des Festlandsockels auch Eingriffsbefugnisse geschaffen wurden, auf die Zulässigkeit der Ausdehnung der Strafgewalt auf eben diesen Bereich zu schließen. Ein anderer Deutungsversuch der "kriminalpolitischen wie praktischen Gründe" des Gesetzgebers zielt in eine eher pragmatische Richtung. Der Bereich des Festlandsockels in der Nordsee umfaßt ca. 35.600 qkm Art. 11 des Gesetzes vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 und 29. Dezember 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen durch Schiffe und Luftfahrzeuge [BGBl. 1977 II, S. 165, auch abgedr. bei Edom/Rapsch/Veh, S. 261 ff.]), BGBl. 1980 I, S. 378. 103 Es handelt sich dabei um die Vollzugsbeamten der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes mit strom- und schiffahrtspolizeilichen Befugnissen und um die Vollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes und der Zollverwaltung (vgl. Art. 11 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes vom 11. Februar 1977 zu den Übereinkommen vom 15. Februar 1972 usw., §§ 10, 4 Abs. 1 Festlandsockelgesetz i.V.m. § 6 Nr. 1, 2, 4 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes - UZwG - vom 10. März 1961 [BGBl. 1961 I, S. 165]). 104 Gemäß § 10 FestlandsockelG. 105 Gemäß Art. 11 des Gesetzes vom 11. Februar 1977 usw. (s.o. Anm.103). 106 Das Genfer Übereinkommen vom 29.4.1958 über die Hohe See (BGBl. 1972 II, S. 1089, auch abgedr. bei Platzöder/Graf Vitzthum, Seerecht, S. 27 ff.), das auch von der Bundesrepublik ratifiziert worden ist, gestattet ein Vorgehen gegen fremde Schiffe nur im Fall der Piraterie, des Sklavenhandels und des unberechtigten Führens einer ausländischen Flagge durch ein inländisches Schiff (Art. 22). 108 Deutsche Strafgewalt und Verfassung und entspricht in seiner Ausmessung damit in etwa der Fläche der Niederlande. Die Überwachung nur dieses Bereichs erfordert bereits einen enormen personellen wie technischen Aufwand und kann allenfalls für eine lückenhafte Aufdeckung von Umweltstraftaten sorgen; wollten deutsche Vollzugsbeamte auf allen Weltmeeren Jagd auf Umweltstraftäter betreiben, so wäre dieses Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Als Grund für die Differenzierung ist deshalb das Bemühen anzuerkennen, einem strafrechtlichen Meeresschutz mit bloßem Symbolcharakter eine weitestgehende Durchsetzbarkeit durch räumliche Beschränkung der Strafgewalt gegenüberzustellen. Dieser Gesichtspunkt besitzt auch sonst im Strafrecht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, die daraus deutlich wird, daß der Gesetzgeber im Inland begangene Taten immer unter Strafe stellt (§ 3 StGB), im Ausland begangene dagegen nur unter den in den §§ 4-7 StGB genannten weiteren Voraussetzungen. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich für die Beschränkung der Ausdehnung der Strafgewalt auf den Festlandsockel und die darin begründete Differenzierung sachliche Gründe finden lassen. Der neugeschaffene § 5 Nr. 11 StGB ist keine willkürliche Bestimmung; der allgemeine Gleichheitssatz ist - jedenfalls unter dem Aspekt verfassungsgerichtlicher Kontrollbefugnis107 - nicht verletzt. § 10 Ergebnis Die Prüfung der Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hat ergeben, daß § 5 Nr. 11 StGB weder spezielle noch allgemeine verfassungsrechtliche Schranken entgegenstehen. Versuche, aus Art. 23 GG allein oder in Verbindung mit der Präambel des Grundgesetzes dem Gesetzgeber Beschränkungen im Hinblick auf eine innerterritoriale Geltung der Strafgesetze aufzuerlegen, haben sich als untauglich erwiesen. Auch vor dem nullum crimen sine lege-Satz, dem Übermaßverbot und dem allgemeinen Gleichheitssatz hat § 5 Nr. 11 StGB Bestand. Dies gilt uneingeschränkt jedenfalls für den deutschen Festlandsockel in der Nordsee, den zu erfassen wohl vorrangiges Anliegen des Strafgesetzgebers war. Für die Ausdehnung der Strafgewalt auf den (bundes-) 107 Zum Unterschied zwischen dem Inhalt verfassungsrechtlicher Normierungen einerseits und dem Umfang verfassungsgerichtlicher Kontrolle andererseits s. Hesse, Rn. 439. Allgemeine verfassungsrechtliche Schranken 109 deutschen Festlandsockel in der Ostsee, der dem Wortlaut in § 5 Nr. 11 StGB zufolge von der Strafgewaltserweiterung ebenfalls erfaßt werden sollte, ergeben sich dagegen Bedenken aus dem nullum crimen sine lege certa et stricta-Gebot,108 weil dieser Bereich noch nicht durch bilaterale Abkommen mit der DDR und Dänemark abgegrenzt wurde und seine Grenzen exakt auch nicht im Wege der Auslegung ermittelt werden können. Im Ergebnis steht aus verfassungsrechtlicher Sicht neben dem nullum crimen-Satz wegen der fehlenden Abgrenzung des Festlandsockels in der Ostsee nur Art. 25 GG als Transformator der festgestellten völkerrechtlichen Bedenken der in § 5 Nr. 11 StGB getroffenen Regelung entgegen.109 108 S.o. § 8 I. 2. a) bb), b). 109 S.o. § 5 II.