Rede über Europa! - Europa Zentrum Baden

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Rede über Europa!
Die Reden der Preisträger
des Zusatzwettbewerbes 2013
im Rahmen des
60. Europäischen Wettbewerbs
EUROPA-UNION DEUTSCHLAND
Landesverband Baden-Württemberg e.V.
Junge Reden für Europa
Aufsatzwettbewerb „Rede über Europa!“
des
Landeskomitees Baden-Württemberg der Europäischen Bewegung Deutschland e.V.
und des
Landesverbandes Baden-Württemberg der Europa-Union Deutschland e.V.
im Rahmen des 60. Europäischen Wettbewerbs
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Inhaltsverzeichnis
Geleitworte der Europaverbände ............................................................................ 4
Der Europäische Wettbewerb und das Europa Zentrum
Baden-Württemberg ............................................................................................... 5
Übersicht - Die diesjährigen Preisträger ................................................................. 7
Rede der Katharina Scheidemantel, Robert Bosch-Gymnasium Gerlingen
1. Preisträgerin .................................................................................................................. 7
Rede des Philipp Schneider, Robert-Schuman-Schule Baden-Baden
2. Preisträger ................................................................................................................... 13
Rede der Sarah Wilhelm, Goethe-Gymnasium Gaggenau
3. Preisträgerin ................................................................................................................ 19
Rede der Alisa Jauch, Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart
4. Preisträgerin ................................................................................................................ 27
Rede des Philipp Drixler, Justinus-Kerner-Gymnasium Weinsberg
5. Preisträger ................................................................................................................... 32
Rede der Verena Mayer, Hölderlin-Gymnasium Nürtingen
6. Preisträgerin ................................................................................................................ 37
Rede der Jurek Henselmann & Markus Truckses, Helene-Lange-Gymnasium Markgröningen
7. Preisträger ................................................................................................................... 43
Rede des Georg Gauger, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
8. Preisträger ................................................................................................................... 47
Rede der Magdalena Pils, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
9. Preisträgerin ................................................................................................................ 50
Rede der Katja Schabet, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
10. Preisträgerin .............................................................................................................. 55
Rede der Linda Ratschke, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
11. Preisträgerin .............................................................................................................. 57
Rede der Lisa Reichle und Saskia Siegel, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
12. Preisträgerinnen ........................................................................................................ 59
Rede des Johannes Schütz, Theodor-Frey-Schule Eberbach
13. Preisträger ................................................................................................................. 64
Rede der Viorica Engelhardt, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
14. Preisträgerin .............................................................................................................. 68
Rede der Lea Bader und Neele Porth, Helene-Lange-Gymnasium Markgröningen
15. Preisträgerinnen ........................................................................................................ 70
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Geleitworte der Europaverbände
Der Europäische Wettbewerb ist ein seit dem Jahr 1953 von der Europäischen
Bewegung Deutschland ausgerufener Wettbewerb. Er ist der älteste
Schülerwettbewerb der Bundesrepublik Deutschland, eine der ältesten
transnationalen Initiativen zur politischen Bildung in Europa und steht unter der
Schirmherrschaft des Bundespräsidenten.
Der Europäische Wettbewerb ist in den nun 60 Jahren seines Bestehens in
Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg zu einer festen Einrichtung in
den Schulen geworden.
Wir freuen uns, dass dieser Wettbewerb gerade bei uns im Lande eine besonders
große Resonanz findet, da er die Möglichkeit bietet, unsere junge Generation bereits
in der Schule an das Thema Europa heranzuführen und für Toleranz und
Völkerverständigung zu werben.
Das Landeskomitee Baden-Württemberg der Europäischen Bewegung und der
Landesverband Baden-Württemberg der Europa-Union haben den Europäischen
Wettbewerb durch einen eigenen Aufsatzwettbewerb „Rede über Europa!“ an den
Oberstufen der allgemein- und berufsbildenden Gymnasien aufgewertet und ergänzt.
Seit 7 Jahren entstehen so immer wieder begeisternde Redebeiträge zur Thematik
des jeweiligen Europäischen Jahres. 2013 ist das Europäische Jahr der Bürgerinnen
und Bürger, so konnte das Thema „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ (nach
Perikles) vorgegeben werden.
Erfreulich ist, und dafür werben wir, dass wir den Schülerinnen und Schülern die
Gelegenheit verschaffen können, ihre preisgekrönten Reden bei herausgehobenen
öffentlichen Anlässen auch vorzutragen.
Wir haben uns auch dieses Jahr wieder entschlossen, durch die gedruckte Ausgabe
der 15 Redebeiträge zum Jahresthema 2013 diese Texte einer breiteren
Öffentlichkeit vorzustellen.
Wir hoffen, dass auch im Jahr 2014 wieder so viele hervorragende Arbeiten
eingereicht werden und wir die begeisternden Reden auszeichnen und hören dürfen!
Stuttgart, im Mai 2013
Rainer Wieland MdEP
Vizepräsident des
Europäischen Parlamentes
Vorsitzender des Landesverbandes
Baden-Württemberg der Europa-Union e.V.
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Prof. Dr. Christian O. Steger
Präsident des Landeskomitees
Baden-Württemberg der
Europäischen Bewegung e.V.
Baden-Württembergische Landesstelle des Europäischen
Wettbewerbs im Europa Zentrum Baden-Württemberg
Europäischer
Wettbewerb
„Wir sind Europa! Wir reden mit!“ – Unter diesem Motto ging der
60. Europäische Wettbewerb 2013 in die Jubiläumsrunde. Rund
um das Thema des „Europäischen Jahres der Bürgerinnen und
Bürger“ waren auch diesmal wieder die kreativen Ideen, das
künstlerische Können sowie die Rede- und Schreibgewandtheit
der Schülerinnen und Schüler gefragt.
Ziel des Europäischen Wettbewerbs ist die Förderung der europäischen Integration
bei der jüngeren Generation. Aufgrund der spezifisch europäischen
Aufgabenstellungen für alle Jahrgangsstufen ist der älteste Schülerwettbewerb
Deutschlands oft die erste Auseinandersetzung mit Europa im Klassenzimmer. Seit
1953 ist der Europäische Wettbewerb somit ein wichtiger Beitrag zur politischen
Bildung in der Schule.
Der im Jahresturnus ausgeschriebene Wettbewerb findet in allen 16 deutschen
Bundesländern statt und wird auf Landesebene von den jeweiligen Kultusministerien
und Senatsverwaltungen finanziert und organisiert. In Baden-Württemberg beauftragt
das Kultusministerium seit 2009 das Europa Zentrum Baden-Württemberg mit der
Organisation und Durchführung des Europäischen Wettbewerbs. Neben der
Bewerbung der Ausschreibung des Wettbewerbs und der Kommunikation mit den
Lehrkräften sowie den Preisverleihungsstellen organisiert das Team der badenwürttembergischen Landesstelle des Europäischen Wettbewerbs außerdem die
Tagung der Landesjury sowie die Urkunden und die Landespreise für die
erfolgreichen Schülerinnen und Schüler. Mit 24.140 teilnehmenden badenwürttembergischen Schülerinnen und Schülern gleicht die Organisation des
Wettbewerbs dem Management eines Großprojekts.
Die baden-württembergische Landesjury bestand im Jahr 2013 aus 14 Lehrkräften,
die von den Regierungspräsidien ernannt und durch das Kultusministerium
eingeladen wurden. Während einer fünftägigen Tagung bewerteten die
Jurymitglieder in der Jubiläumsrunde des Wettbewerbs rund 10.000 eingesandte
Beiträge und kürten 3.500 Preisträgerinnen und Preisträger.
Neben der Unterstützung durch das Kultusministerium verfügt die Landesstelle im
Europa Zentrum Baden-Württemberg außerdem über ein breites
Kooperationsnetzwerk auf kommunaler Ebene. Lokale Verwaltungsstellen,
Kreissparkassen sowie Kreisverbände der überparteilichen Europa-Union
Deutschland e. V. organisieren jedes Jahr im gesamten „Ländle“ mehr als 50
Preisverleihungen für die Preisträgerinnen und Preisträger.
Eine baden-württembergische Besonderheit des Europäischen Wettbewerbs ist die
jährliche zusätzliche Ausschreibung des Aufsatzwettbewerbs „Rede über Europa!“
durch den Landesverband der Europa-Union Deutschland e. V. und das
Landeskomitee der Europäischen Bewegung e. V. Die Aufsatzbeiträge zum
Europäischen Wettbewerb qualifizieren sich automatisch für den Zusatzwettbewerb
„Rede über Europa!“ und haben so eine weitere Chance auf tolle Sach- und
Geldpreise. Darüber hinaus erhalten die erfolgreichen Verfasserinnen und Verfasser
die Möglichkeit, ihre Rede über Europa vor einem ausgewählten Publikum
vorzutragen.
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Baden-Württembergische Landesstelle des Europäischen Wettbewerbs im
Europa Zentrum Baden-Württemberg
Kontakt:
Karl-Heinz Bohny
Wettbewerbsbeauftragter
Europa Zentrum Baden-Württemberg
Abteilung Europäischer Wettbewerb
Nadlerstraße 4
70173 Stuttgart
Tel.: 0711/234 9375
E-Mail: [email protected]
Internet: europa-zentrum.de/ewbw
Ellen Lindner
Projektassistentin
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1. Rang: Katharina Scheidemantel, Robert Bosch Gymnasium Gerlingen
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine Rede zum Thema Europa – nichts dürfte geringeren Seltenheitswert haben in
dieser Zeit, in der jeder überall und immer von Europa redet, von diesem so
unübersichtlich und abstrakt gewordenen Begriff, der vor allem im Zusammenhang
mit horrenden Geldsummen genannt wird. Was also soll ich Ihnen über Europa
erzählen, das Sie nicht schon wissen? Wenn Sie sich über die Schuldenkrise
informieren wollen, können Sie sie googeln, wenn Sie darüber schimpfen wollen,
suchen Sie den Stammtisch auf. Und wenn Sie wirklich einmal eine Rede dazu hören
wollen, schauen Sie einfach „Bundestag Live“.
Aber wieso müssen Sie sich eigentlich damit beschäftigen? Wieso sollten Sie
gemeinsam mit den Griechen darauf warten, dass die sprichwörtlichen Eulen wieder
nach Athen zurückkehren?
Ganz einfach: Sie sind Bürger Europas, genau wie die Griechen, die Iren und die
Spanier. Und darüber dürfen Sie schimpfen. Denn: „Ein stiller Bürger ist kein guter
Bürger“. Das sagte Perikles vor etwa 2 500 Jahren in dem Athen, das jetzt nach
seinen Eulen und Hilfe seitens der EU sucht und das zum Geburtsort des
demokratischen Gedankens wurde. Er forderte von seinen Mitbürgern die
regelmäßige Zahlung von Steuern und die Erfüllung sonstiger aktiver Pflichten, etwa
in Form eines Amtes, gleichzeitig revolutionierte er aber durch zahlreiche Reformen
den Status des Bürgers und ermöglichte erstmals in der damals noch jungen
europäischen Geschichte eine „Herrschaft des Volkes“, die heute in Artikel 20,
Absatz 2 unseres Grundgesetzes verankert ist. Auch wenn Frauen, Sklaven und
Händler ausgeschlossen bleiben, erhielt ein Großteil der Athener neue Rechte – und
neue Pflichten. Denn Demokratie bedeutet nicht, einfach wahllos ein Kreuz zu
machen oder die Hand für einen Namen zu heben, weil man es eben darf.
Demokratie bedeutet Verantwortung. Wir bestimmen, wen wir wählen. Wir
bestimmen die Menschen, die unsere Zukunft formen. Als Wähler ist es unsere
Aufgabe, genau zu prüfen, wen wir wählen, wem wir unsere Zukunft anvertrauen
wollen. Und wenn wir die Antworten, die wir auf offene Fragen suchen, nicht finden,
dann haben wir das Recht, unsere Stimme zu erheben und nach ihnen zu fragen.
Wenn wir nicht verstehen, warum Milliarden unserer Steuern nach Griechenland
fließen, dann haben wir das Recht, zu fragen. Wenn wir nicht verstehen, warum
weitere Milliarden in neue, unberechenbare Kriege wie etwa den Militäreinsatz in
Libyen 2012 fließen, dann haben wir das Recht, zu fragen. Wir dürfen fragen, wenn
wir nicht verstehen, warum manche EU-Bürger fünf Autos und einen Pool haben,
während andere monatelang auf ein lebenswichtiges Medikament sparen müssen
und wir dürfen fragen, warum die EU mit Frontex ihre Außengrenzen bewacht wie die
Amerikaner das Pentagon. Wir dürfen nicht nur fragen, wir müssen fragen. Indem wir
jemanden wählen, leihen wir ihm oder ihr unsere Stimme, um für uns zu sprechen.
Wir tragen also genau wie die Politiker selbst die Verantwortung für das, was im
täglichen Nahkampf der Politik vorgebracht wird und wenn wir merken, dass das,
was unsere Stimme dort sagt nicht das ist, was wir mit unserem Kreuz auf dem
Wahlbogen sagen wollten, dann haben wir das Recht und die Pflicht, nach dem
Grund dafür zu fragen. Oft bekommen wir vielleicht keine zufriedenstellende Antwort,
aber dann haben nicht wir unsere Pflichten vernachlässigt, sondern die Politiker.
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Ist der ideale Bürger Europas also jemand, der ständig auf die Straße geht, um seine
Meinung kundzutun, bei jedem Thema, nach jeder Tagesschau, um nachdrücklich
nach Antworten zu fragen? Ist es gar der Wutbürger, der durch Stuttgart 21
deutschlandweiten Ruhm erlangte?
Demokratie gibt dem Bürger das mittlerweile selbstverständlich erscheinende Recht,
mit zu entscheiden. Wir werden gefragt, zwar nur alle vier Jahre, aber wir haben
heute gesetzlich das Recht, selbst zu regieren, mittels indirekter Wahlen. Das
bedeutet aber nicht, dass Demokratie ein Wundermittel gegen jede Form der
politischen Probleme ist. Im Gegenteil: Demokratie ist die trägste vorstellbare Form
der Politik, weil immer wieder neue Ansichten und Überzeugungen die Überhand
gewinnen, je nachdem, wem das Volk seine Stimme gibt. Und auch nach
möglicherweise verlorenen Wahlen muss man sich als Partei dem Wähler treu
zeigen und das tun, das man versprochen hat – ob als Regierung oder Opposition.
Dass die Mühlen in diesem scheinbar unendlichen Ping-Pong-Spiel langsam mahlen,
ist gut vorstellbar – und deshalb können sich Erfolge auch nur gemächlich einstellen.
Auch, wenn es unsere Pflicht ist, die Stimme, die uns das Grundgesetz gibt, zu
benutzen, müssen wir das nicht immer sofort und laut brüllend tun. Würden Bürger
bei jedem Misserfolg wütend auf die Straße gehen, so würden die politischen Organe
vollständig zum Erliegen kommen, weil sie nur noch mit der Bewältigung von
Negativ-Schlagzeilen beschäftigt wären. Auch das Recht zur freien
Meinungsäußerung, ebenso im Grundgesetz verankert, ist also mit Verantwortung
verbunden. Wir haben die Pflicht zu erkennen, wann jemand einen menschlichen
Fehler gemacht hat und wann jemand eine grundlegend inakzeptable,
antidemokratische oder menschenverachtende Ansicht in sich trägt. Der europäische
Bürger muss also ein hinterfragender, aber auch ein nachdenkender Bürger sein.
Es reicht nicht, „nicht still“ zu sein, wie Perikles es fordert, es reicht nicht, zu reden,
sondern wir sollten wissen, wovon wir reden. Nur so kann konstruktive Kritik
funktionieren – und konstruktive Kritik ist bekanntlich die einzige, die einen Fortschritt
bewirkt.
Wir haben also die Pflicht, zu hinterfragen und dennoch nachzudenken, bevor wir
unsere Zweifel äußern, und das nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch auf
Kommunen-, Landes- und Bundesebene. Irgendwie scheint das staatsbürgerliche
Dasein von sehr vielen Pflichten geprägt zu sein – Steuern zahlen wir schließlich
auch. Aber dass davon Kindertagesstätten und Schulen gebaut werden, Straßen
instand gehalten werden und für uns auch dann gesorgt wird, wenn wir arbeitslos,
krank oder alt sind, das wissen wir schließlich. Wenn auch mit grimmiger Miene
akzeptieren wir deshalb diese Pflicht. Und wird ein bestimmtes Limit überschritten,
haben wir schließlich die Möglichkeit, unsere Stimme zu erheben.
Ein durchaus erwähnenswerter Teil dieses Geldes, das wir, einsichtig wie wir sind,
für Kindergärten und Krankenhäuser zahlen, soll jetzt aber plötzlich in ausländische
Kindergärten und Krankenhäuser fließen, oder sogar in Banken, deren Namen wir
nicht einmal aussprechen können. Während wir über heimische Schlaglöcher fahren,
erfahren wir über das Autoradio, dass Millionen in den Eurorettungsschirm fließen.
Und selbst ohne Eurokrise teilte Deutschland wie jedes Land auch in guten Zeiten
eines Teil seines Bruttoinlandsproduktes mit den anderen Staaten in der EU, um
europäische Projekte aller Art umzusetzen, von Militäreinsätzen über EU-Gipfel bis
hin zur Anschaffung neuer EU-Flaggen. Alles kostet Geld, und auch die EU muss
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das Geld von ihrem Bürger nehmen. Aber leistet die EU auch etwas für ihre Bürger,
so wie der Staat oder die Kommune?
Die Leistungen der EU nimmt unsere Generation mit so großer Selbstverständlichkeit
in Anspruch, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen können, wie das Leben ohne sie
eigentlich funktionieren soll. Zwischen Deutschland und den Niederlanden gab es
früher eine Grenze? Zwischen Deutschland und Frankreich gab es Konflikte, die sich
in Weltkriegen entluden? Es war kompliziert, sich ein Kleidungsstück aus Mailand zu
bestellen und auf die ohnehin exorbitanten Preise kam dann auch noch Zoll?
Natürlich wissen wir das – aus dem Geschichtsunterricht. Aber außerhalb des
Geschichtsbuches und den Nachrichten haben Grenzen und Kriege nicht mehr viel
Platz in unserer Wirklichkeit, in unserer unmittelbaren Nähe. Vorurteile und
Konkurrenzkämpfe existieren weiter, manch einer verkündet laut, die Bevölkerung
auf der anderen Seite einer nur noch in Köpfen und auf dem Papier vorhandenen
Grenze innig zu hassen. Es toben wilde Diskussionen – wer braut das beste Bier
Europas? Wer hat die beste Fußballmannschaft? Welche Sprache ist die schönste,
und welche kann man aus dem Lehrplan streichen? Und gehört Mallorca zu Spanien
oder doch zu Deutschland?
Bei all der Rage, bei all den Vorurteilen über rotbärtige Iren, biertrinkende Deutsche
und langfingrige Polen – von Krieg redet niemand. Wenn die eigene Mannschaft das
Länderspiel verliert, wird drei Tage gelitten und dann wieder mit den spanischen
Nachbarn gegrillt. Das Sprachproblem löst man, indem an vielen Schulen zwischen
Französisch und Spanisch gewählt werden kann. Was wie eine Aufzählung banaler
Beispiele wirkt, bestimmt den Alltag der meisten EU-Bürger, und wenn von krieg
geredet wird, dann wird von fernen Ländern geredet: Von Afghanistan, vom Irak, von
Syrien oder Mali. Dass wir in Frieden leben, steht außer Frage – schließlich ist das
seit fast 60 Jahren so. Als die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekam, wurde
vielerorts der Kopf geschüttelt. Die EU beteiligte sich selbst an vielen militärischen
Einsätzen und stand bisher zwar für Diplomatie, aber nicht für Pazifismus. Für den
Frieden in der Welt tat sie nicht viel. Im Gegenteil – sie schien stets die Sicherheit
und den Wohlstand ihrer eigenen Bürger an erster Stelle zu stellen. Und genau
davon profitieren inzwischen etwa 500 Millionen Menschen, die auf EU-Territorium
leben.
Die EU mag nicht viel für die Welt getan haben, aber für diese 500 Millionen hat sie
sehr viel getan. Sie ermöglicht uns ein Leben in Frieden auch die nächsten Wochen,
Monate, Jahre, ja, Jahrzehnte überdauern wird. Bevor wir schimpfen, sollten wir uns
das vor Augen führen. Die EU nimmt uns in die Pflicht, obwohl wir keinerlei sachliche
Gegenleistung dafür erhalten. Was sie uns aber gewährleistet, sind Freiheit,
Menschen- und Bürgerrechte und Sicherheit. Natürlich müssen wir deswegen nicht
immer einverstanden sein mit dem, was EU-Politiker beschließen und natürlich darf
man die EU deshalb nicht glorifizieren. Aber bevor wir alles grundsätzlich verteufeln,
was in Brüssel oder Straßburg beschlossen wird, bevor wir unsere Steuergelder
lauthals zurückverlangen, bevor wir mit unserer Kritik die unendlichste Liste der
Dinge verlängern, die die EU nicht getan hat, sollten wir uns vor Augen führen, was
sie alles getan hat. Denn um zu überleben braucht Europa vor allem Bürger, die an
den europäischen Traum glauben und die vielen Erfolge sehen, die die EU bereits
errungen hat, sei es das Schengener Abkommen oder den Beobachterstatus in der
UNO. Die Geschichte hat bewiesen, dass es sich auch lohen kann, seine Stimme für
und nicht gegen die EU zu erheben.
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Trotzdem ist die EU mit all ihren internen Streitigkeiten, den natürlichen
Begleiterscheinungen, die auftreten, wenn 27 souveräne und zutiefst eigensinnige
Staaten eine historisch einmalige Partnerschaft eingehen, weit von Perfektion
entfernt. Viele bezweifeln, dass sich das jemals ändern wird. Rührt daher die aktuelle
Politikverdrossenheit? Eine unpolitische Generation würde heranwachsen, lassen
Experten verlauten, die Wahlbeteiligung verbucht stetig schrumpfende Werte, bei
Europawahlen hievt sie sich nur in wenigen Ländern über fünfzig Prozent. Sind die
aktuellen Bürger Europas also träge aus Resignation? Oder sind sie vielleicht
eingelullt von einer fast makellosen Welt, die ihnen selbst so viele Möglichkeiten
eröffnet, dass sie vergessen, über den Tellerrand ihres Mikrokosmos zu blicken?
Vermutlich ist beides zutreffend. Trotz aller vereinigenden Verträge bleibt Europa
gespalten, so, wie jedes Land gespalten ist, ja, eigentlich jede Stadt: in Reich und
Arm, Geber und Nehmer, Sieger und Verlierer. Manch einer nennt es das Nord-SüdGefälle Europas, aber Armut ist nicht an geografische Grenzen gebunden. Es gibt sie
überall: In Deutschland wie in Großbritannien, in Schweden wie in Italien. Sie mag
unterschiedliche Ausmaße haben, aber egal wo, sie zieht die gleichen Folgen nach
sich: Hoffnungslosigkeit, Frust, Resignation bis hin zur Selbstaufgabe. Warum noch
sprechen, wenn niemand zum Zuhören da ist? Auch wenn es regelmäßig
Demonstrationen in den krisengeplagten Euro-Staaten gibt, an denen sich vor allem
junge, gut ausgebildete, aber arbeitslose Menschen beteiligen, scheinen die Parolen
der Demonstranten auf taube Ohren zu stoßen. Wenn dann wieder keine Antworten
aus der europäischen Führungsetage kommen, gibt ein Großteil der Demonstranten
die Hoffnung auf, sie jemals zu erreichen. Man kehrt zurück in seine tristen Alltag mit
weniger Hoffnung als je zuvor. Was können schon Wörter ausrichten, die im
friedlichen Europa die einzige Waffe zu sein scheinen, mit der man seinen Unmut
kundtun kann? Und auch diejenigen, die nicht bereit sind, einfach aufzugeben,
kommen in letzter Zeit allzu oft auf denselben Gedanken: Wenn Wörter nicht helfen,
beginnen Steine zu fliegen, werden Rauchbomben angezündet und Polizisten
angegriffen. Die Stimme scheint kein besonders effektives Mittel zum Zweck mehr zu
sein. Hat Perikles also unrecht? Muss man sich zwischen einem stillen Bürger und
einem gewalttätigen Bürger entscheiden? Und wäre es dann nicht klüger, einen
stillen Bürger vorzuziehen?
Die Geschichte hat oft genug bewiesen, dass das falsch ist. Viele soziale
Veränderungen gingen mit Blutbädern einher. Aber die erfolgreichsten
Revolutionsgeschichten sind diejenigen, die den Satz „Alle Gewalt geht vom Volke
aus“ nicht wörtlich nahmen, sondern ihre Gewalt auf friedliche Weise ausübten, etwa
durch zivilen Ungehorsam und Streiks. Prominente Beispiele sind die
Bürgerrechtsbewegung in den USA durch Millionen afroamerikanischer Bürger. Auch
die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien wurde zu großen Teilen gewaltlos
erstritten. Beides geschah nicht ohne das Fließen von Blut, doch die entscheidenden
Erfolge wurden durch völlige Gewaltlosigkeit seitens der Protestierenden erreicht,
durch die Besetzung eines Bussitzes oder die unerlaubte Herstellung von Salz.
Wenn das Volk seine ihm gesetzlich zugesicherte Souveränität einfordert, muss es
sich auch moralisch souverän zeigen gegenüber jenen, die es provozieren. Ein
europäischer Bürger hat das Recht auf eine Stimme und er sollte sie nutzen, im
Bewusstsein, dass sie zwar nicht die tödlichste, aber die nachhaltigste Waffe ist.
Während gewaltsame Revolutionen wie etwa die Französische Revolution
längerfristig scheiterten und sich nach dem ersten Erfolg viele Rückschläge
einstellten, schaffen es Worte und mediale Aufmerksamkeit, das Bewusstsein der
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Bevölkerung langsam, aber wirksam zu verändern. Eine funktionierende Demokratie
bietet die idealen Voraussetzungen dafür, dass diese Bewusstseinsveränderung
auch Früchte trägt.
Die Stille in Europa darf also gebrochen werden. Was nicht gebrochen werden darf,
nicht von den Bürgern und noch weniger vom Staat, ist der Friede. Auch in
wirtschaftlich turbulenten Zeiten existieren die Grundrechte weiter. Die Bürger
Europas müssen nicht still sein, aber ein gewisses Maß an Zurückhaltung kann
verhindern, dass Worte zu Gewaltausbrüchen werden.
Einen Grund, diese Stille zu brechen, haben vor allem diejenigen, denen es im
jetzigen Europa nicht so gut geht, weil sie arm sind, sich diskriminiert oder ungerecht
behandelt fühlen. Wie aber verhält es sich mit denen, denen es gut geht, die vom
aktuellen Zustand womöglich sogar profitieren? Trotz Finanzkrise dürfte das
weiterhin die Mehrheit der EU-Bürger sein, das Einkommen pro Kopf in der EU
beträgt etwa das Dreifache des weltweiten Durchschnitts und liegt in keinem
Mitgliedsstaat unter dem Durchschnitt. Ist der Grund für die aktuelle
Politikverdrossenheit also doch eine allgemeine Sättigung? Wieso sollten wir uns
einmischen, wenn es uns doch gut geht? Was egoistisch erscheinen mag,
praktizieren Millionen europäischer Bürger, einfach, weil es die einfachste Methode
ist. Viele komplexe Prozesse versteht der Otto-Normalverbraucher doch gar nicht
und dass die EU sich die letzten 60 Jahre über bewährt hat, haben wir ja vorhin
herausgefunden. Ein stiller Bürger mag ja vielleicht kein guter Bürger sein – aber
doch bestimmt kein schlechter? Wir nehmen uns zwar die Möglichkeit, uns
einzumischen und unsere Wünsche zu vertreten, aber Schaden können wir mit
unserem Schweigen oder der Wahlmüdigkeit doch nicht anrichten.
Im Moment funktioniert ja alles so, wie es funktionieren soll, wir können also getrost
von den Nachrichten auf die Casting-Show umschalten. Und tatsächlich – solange
sich Politiker nur darum streiten, ob man genetisch veränderten Mai jetzt anbauen
darf oder nicht und alle vier Jahre genug Bürger ein Kreuzchen für die Demokratie
machen, können wir es uns leisten, ihnen passiv dabei zuzusehen. Perikles wird
nicht gemeint haben, dass der Bürger pausenlos protestiert, nur, weil er ein guter
Bürger sein möchte. Aber wie schon am Anfang ausgeführt wurde, erhält der Bürger
mit der Demokratie nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und die wichtigste
Pflicht ist die der Aufmerksamkeit. Vernachlässigen die Bürger diese Pflicht, erteilen
sie einer Regierung indirekt die Erlaubnis, die Stimme, die ihr ihre Wähler einmal
gegeben haben, umzuinterpretieren oder gar zu missbrauchen. Wenn die Mehrheit
des Volkes nicht wählen geht, kann es sein, dass extreme Ansichten plötzlich
unverhältnismäßig stark vertreten werden. Egal, wie fortschrittlich wir sein mögen, es
wird immer Menschen geben, die der Ansicht sind, einzelne Bevölkerungsgruppen
müssten diskriminiert werden, einzelne Rechte müssten außer Kraft gesetzt werden
und einzelne Menschen müssten profitieren von einem System, das in ihren Augen
gerecht ist, für die Mehrheit aber nichts als Unrecht beinhaltet. Spätestens dann
müssen wir wach werden, hochschrecken, unseren Politikverdruss beenden und
bemerken, dass etwas nicht stimmt. Dann hat das souveräne Volk nicht nur das
Recht, sondern auch die Pflicht, seiner Rolle nachzukommen und seine Macht
auszuüben.
Wenn man einem Kind etwas verbietet, ist das oft ein besonderer Anreiz, es doch zu
tun. Die Situation in einer politisch prekären Lage oder in einem unterdrückenden
Staat ist viel ernster, aber doch vergleichbar: Wird das Reden verboten, ist es Zeit,
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die Stimme zu erheben. Wenn wir diesen Moment verpassen, werden wir schuldig
gegenüber all denen, die unter einem Regime leiden, das wir nicht verhindern. Ein
trauriges Beispiel hierfür ist die nationalsozialistische Diktatur. Die Schuldigen sind
Hitler und seine NSDAP. Aber jetzt, viele Jahrzehnte später, kann nicht mehr
geleugnet werden, dass viele Bürger tatenlos zusahen, ohne einen Versuch des
Widerstands zu machen. Dass sie Angst um ihr Leben hatten, ist endgültig zu einer
vollkommenen Alltäglichkeit geworden. Wir behandeln uns untereinander mit
Respekt, ohne Gewalt und sind bereit, mittels Steuern und Sozialsystem zu teilen.
Die Starken helfen den Schwachen. Es mag verklärend klingen, aber tatsächlich gab
es in Deutschland nie einen Zustand, der einer utopischen Gesellschaft näher kam
als das, was wir gerade erleben.
Und natürlich sind wir nicht die einzigen, die diese Werte leben. In jedem unserer
Nachbarländer, jedem Mitgliedsstaat der EU sind sie Grundlage der Staatsordnung,
das ist Voraussetzung für einen Beitritt. Nicht überall mögen sie juristisch und
politisch so gut umgesetzt sein wie bei uns, aber im Leben der ganz normalen
Menschen spielen sie eine ebenso wichtige Rolle wie hier bei uns Deutschen. Wir
sollten diese Leute also als das sehen, was sie sind: Menschen. Menschen wie wir,
Menschen mit ganz ähnlichen Ansichten und Werten, Menschen, die manchmal
unsere Hilfe brauchen, weil sie schwächer sind als wir, Menschen, die wir aber auch
in schweren Zeiten um Hilfe bitten dürfen. Menschen, deren Freiheit und individuelle
Entfaltung wir respektieren sollten, so, wie wir uns respektiert fühlen wollen.
Menschen, die wir gerecht behandeln, so, wie wir uns von ihnen Gerechtigkeit
wünschen. Die Bürger Europas müssen genau zu dem werden – zu Bürgern
Europas.
Wir mögen Deutsche sein, Franzosen, Portugiesen, Finnen, Tschechen, Rumänen –
letztendlich gehört Europa uns allen. Europa – das sind nicht nur steif gekleidete
Politiker, komplizierte Verträge und taumelnde Banken. Europa – das sind wir. So,
wie Deutschland aus 83 Millionen Bürgern besteht, besteht die EU aus 500 Millionen
Bürgern. Diese Bürger tragen steife Anzüge oder fleckige Blaumänner, sie
unterzeichnen die kompliziertesten Verträge oder bauen die einfachsten teile
zusammen, sie jonglieren mit Millionen Euro oder wenigen Cents. „United in
Diversity“, „In Vielfalt geeint“ – das ist das Motto der Europäischen Union. Und keines
könnte zutreffender sein, wenn man die vielen verschiedenen Menschen betrachtet,
die unter ihrer Flagge leben. Es wird Zeit, dass sie aufeinander zugehen und
miteinander sprechen, nicht nur die Regierungschefs und Außenminister, sondern
jeder einzelne von ihnen.
Offenheit, Toleranz und Solidarität sind die Qualitäten, die ein EU-Bürger besonders
braucht. Europa kann nur funktionieren, wenn sich jeder einzelne seiner Bewohner
darauf einlässt und bereit ist, seinen Horizont zu öffnen. Gerade in schweren Zeiten
ist der Austausch miteinander wichtig, um nicht alleine zu verzweifeln.
Also machen Sie sich auf, treten Sie in den Dialog mit ihren Mitbürgern, mit Ihren
Miteuropäern. Denn, so Perikles: „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger.“
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2. Rang: Philipp Schneider, Robert-Schuman-Schule Baden-Baden
„Das Haus Europa darf kein Krankenhaus sein”, sagte einst Karl Dedecius, ein
deutscher Schriftsteller. Ob er damals wusste, mit welchen Problemen dieser
Kontinent und speziell der Staatenbund auf diesem, die EU, zu kämpfen hätte, das
ist fraglich und wissen wird es nur er selber.
Doch wollen wir nicht damit anfangen und alles „schwarz reden“, wollen wir nicht nur
von Dingen reden, die nicht funktionieren, von Dingen, die so manch einer von uns
gerne sofort ändern würde.
Reden wir zuerst einmal über die Erfolgsgeschichte, die vor rund 60 Jahren ihren
Lauf nahm. Eine Geschichte, die zeigt, dass auch Erzfeinde zu Freunden und
Kriegsgegner zu Bündnispartnern werden können. Eine Geschichte, die von Frieden
zeugt, eine Geschichte, die uns allen als Vorbild dienen sollte.
Begründet durch die Montanunion, ausgewachsen aus der Idee zweier Männer,
Robert Schuman und Konrad Adenauer, weiterentwickelt über Jahrzehnte, schreitet
die Europäische Union voran, auch wenn ihr viele Steine im Weg liegen mögen.
Doch wäre diese Entwicklung nicht möglich ohne Menschen, die ihre Meinung
kundgetan, die sich für oder gegen etwas ausgesprochen und somit etwas zum
Fortschritt beigetragen haben. Die EU braucht Menschen, die sich für sie
interessieren und die sich über die vorherrschende Politikverdrossenheit
hinwegsetzen.
Doch müssen wir auch darüber nachdenken, warum Politikverdrossenheit
heutzutage eine so große Rolle spielt und zum Beispiel die Prozentzahlen der
Wähler bei Europawahlen immer weiter sinken. Zuletzt lagen diese 2009 bei 43,3%.
Folgende Fragen sollten wir uns stellen:
Was ist der Grund dafür, dass die EU für den Normalbürger an Attraktivität verliert?
Was ist der Grund dafür, dass der Reiz eines Staatenbundes für den Normalbürger
sinkt?
Was ist der Grund dafür, dass Kritik und Zweifel immer lauter werden?
Es ist zu einfach, dem Normalbürger zu unterstellen, dass er immer fauler wird!
Es ist zu einfach zu behaupten, dass die komplexen Strukturen der EU für den
Normalbürger unverständlich sind!
Und es ist zu einfach zu sagen, dass das Phänomen des Wutbürgers unbegründet
und unverständlich ist!
Erstmal muss geklärt werden, was Europa ist, was Europa will und für was Europa
steht. Zu unklar sind Vorgehensweisen, zu unklar sind Entscheidungen und zu
uneinig ist das so genannte vereinte Europa. Dass dies den Normalbürger frustriert,
sodass er sich früher oder später davon abwendet, liegt auf der Hand. Die EU hat an
Authentizität verloren, genauso wie ihre Politik und ihre Politiker.
Nehmen wir einmal als Beispiel die Menschenrechte.
Eines der Hauptziele der EU ist es, die Menschenrechte sowohl innerhalb ihrer
Grenzen als auch weltweit zu fördern. „Menschenwürde, Freiheit, Demokratie,
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Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte“ – dies ist einer von
vielen Grundwerten der EU. Seit der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon im
Jahr 2009 sind alle diese von der EU garantierten Rechte in der Charta der
Grundrechte verankert. Die Institutionen der EU, „Organe“ genannt, sind zur Achtung
dieser Rechte verpflichtet, und die Regierungen der EU-Länder müssen sie bei der
Anwendung des EU-Rechts einhalten.
So ist es auf der Homepage der Europäischen Union zu lesen. Doch schauen wir
doch mal genauer, wie sich die EU gegenüber den Menschenrechten innerhalb und
außerhalb ihres Staatenbundes verhalten hat.
Human Rights Watch wies 2012 auf besorgniserregende Trends bei den
Menschenrechten innerhalb der EU hin und hebt die Ereignisse in neun
Mitgliedstaaten sowie Entwicklungen auf den Gebieten Migration und Asyl,
Diskriminierung und Intoleranz sowie Terrorismusbekämpfung hervor. Laut Human
Rights Watch werden Menschenrechte immer weniger geachtet, ihre Verletzung
nimmt zu und gegen diese wird nur mangelhaft vorgegangen. Auch ein Zuwachs für
die rechtsextremen Parteien ist zu erkennen.
Benjamin Ward, stellvertretender Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien von
Human Rights Watch, meinte dazu, wenn man sich die hochtrabende Rhetorik zum
Arabischen Frühling anhöre, sollte man denken, dass die Menschenrechte ein
zentrales Anliegen der EU sind. Doch die traurige Wahrheit sei, dass EURegierungen die Menschenrechte, insbesondere die Rechte von schutzlosen
Minderheiten und Migranten, häufig außer Acht lassen, wenn sie sich als lästig
erweisen, und dass sie Kritik an Menschenrechtsverletzungen unter den Teppich
kehren.
Obwohl es weit hergeholt erscheinen mag, von einer Menschenrechtskrise in der EU
zu sprechen, zeigt eine nähere Betrachtung zutiefst besorgniserregende Trends.
Dabei stechen vier Entwicklungen ins Auge: Die Aushöhlung der Menschenrechte im
Rahmen der Terrorismusbekämpfung, die wachsende Intoleranz und repressive
Politik gegenüber Minderheiten und Migranten, der Aufstieg populistischextremistischer Parteien und ihr Einfluss auf die politische Mitte sowie die
nachlassende
Wirksamkeit
der
Instrumente
und
Institutionen
zum
Menschenrechtsschutz.
All dies sind Dinge, die an der Glaubwürdigkeit der EU zweifeln lassen und genau
dies sind Dinge, die die Bürger mitbekommen, die Entscheidungen der Bürger
beeinflussen und ihren Unmut steigern.
Die EU-Kommission wurde ihrer Pflicht nicht gerecht, entschlossen gegen
Maßnahmen vorzugehen, welche die EU-Grundrechtecharta und anderes EU-Recht
verletzen.
Sie
akzeptierte
halbherzige
Veränderungen
eines
äußerst
problematischen Mediengesetzes in Ungarn, verzichtete trotz fortdauernder Verstöße
bei der Abschiebung von Roma aus Osteuropa auf ein Strafverfahren gegen
Frankreich und stellte ein Verfahren gegen Griechenland ein, obwohl das Land sein
mangelhaftes Asylverfahren nicht reformierte und die unmenschlichen und
erniedrigenden Haftbedingungen für Migranten nicht beendete. Am 17. Januar
kündigte die Kommission zwar Zwangsmaßnahmen gegen Ungarn wegen der
Herabsetzung des Höchstalters für Richter an, es bleibt jedoch unklar, inwieweit
dieser Schritt die Einmischung der Regierung in Justiz und Medien beeinflussen wird.
14
All das muss sich ändern, diese Beispiele sind nur einige von vielen Anzeichen einer
vorherrschenden Doppelmoral, die abgeschafft werden muss! Nur so kann die
Europäische Union wieder an Echtheit gewinnen. Nur so kann sie wieder auch die
Allgemeinheit erreichen!
Die Europäische Union muss sich neu profilieren, neue Wege einschlagen, einfach
wieder bürgernah werden. Und vor allem muss sie auf die Stimmen der Bürger
hören, diese ernst nehmen und auch teilweise danach handeln.
Dass dies nicht innerhalb der nächsten Tage oder Monate passieren kann ist
natürlich klar, aber es muss ein Richtungswechsel geschehen, wenn die steigende
Wut der Bürger vermieden werden soll.
Ein weiteres Problem, an dem gearbeitet werden muss, ist der Fakt, dass die
Europäische Union seitens der Bürger immer mehr an Aufmerksamkeit verliert! Das
Europaparlament sei „Demokratie in Aktion", heißt es in einer EU-Broschüre: "Hier
wird europäische Demokratie lebendig. Das Europaparlament wird immer mehr zur
zentralen Gestaltungsmacht der Europapolitik." Dabei ist das Interesse der
Unionsbürger an der Europawahl stark rückläufig. In Deutschland ist die
Wahlbeteiligung seit der ersten Direktwahl 1979 um 22 Prozent gesunken.
Grund dafür ist schlicht und ergreifend die Unwissenheit vieler EU-Bürger über die
Rolle des Europaparlaments als demokratisches Organ und gesetzgebende
Institution. Die Europawahl wird, etwa im Vergleich zur Bundestagswahl, als „nicht so
wichtig" wahrgenommen. Auch ist weitgehend unbekannt, dass das
Europaparlament auf bestimmten wichtigen Politikfeldern ein Mitentscheidungsrecht
erkämpft hat, das es in der Tat zu einem Angelpunkt europäischer Politik werden
ließ. Die Europapolitik generell ist für viele Bürger unverständlich. Sie wird als
kompliziert, verwirrend und vom Einzelnen als nicht beeinflussbar wahrgenommen.
"Europa" scheint vom Lebensalltag oft sehr weit entfernt. Europapolitiker sind im
Allgemeinen weniger bekannt als nationale Politiker, was nicht zuletzt der geringeren
Präsenz der europäischen Berichterstattung in den Medien zuzuschreiben ist. Auch
die Parteienstruktur des Europaparlaments ist schwerer zu durchblicken, da es keine
klar definierten Parteien, sondern nur Zusammenschlüsse nationaler Parteien gibt.
Generell ist man sich heute in den Organen der EU einer zentralen Problematik der
EU-Politik, der mangelnden Transparenz und der fehlenden Bürgernähe, durchaus
stärker bewusst als früher. Auch ist diese Kritik in den letzten Jahren immer lauter
geworden, da die Mitgliedstaaten immer mehr Entscheidungsbefugnisse und
Vollmachten auf die EU übertragen, die sie bislang in ihren eigenen nationalen,
demokratisch legitimierten Entscheidungsprozessen entschieden oder regelten. In
der EU werden solche Befugnisse jedoch durch Gremien ausgeübt, deren
demokratische Legitimation nicht transparent genug ist.
Vielen EU-Bürgern ist auch noch immer nicht bewusst, dass sie seit dem Vertrag von
Maastricht, der 1992 unterzeichnet wurde, neben ihrer Staatsbürgerschaft auch eine
"Unionsbürgerschaft" besitzen. Sie etabliert ein Rechteverhältnis zwischen der Union
und ihren Bürgern, das Freizügigkeit, Aufenthaltsrecht, Diskriminierungsverbot,
Wahlrecht, diplomatischen Schutz, Petitionsrecht und Amtssprachenrecht umfasst.
Pflichten sind nicht vorgesehen. Die Zugehörigkeit zur Union ist auf jedem EU15
Reisepass deutlich erkennbar und ist, neben anderen Symbolen wie Sternenkreis,
Hymne, Wahlspruch, gemeinsamer Währung, ein wichtiges, europäisches
Bewusstsein und Identität stiftendes Element.
Es kommt hinzu, dass die nationalen Regierungen alles Gute, was in ihren Ländern
geschieht, gerne für sich reklamieren, während bei Fehlentwicklungen die
europäische Union zum Sündenbock erklärt wird. Weil die Wähler aber durchaus
wissen, dass sie ihre nationalen Regierungen bei der Europawahl nur indirekt
abstrafen, jedenfalls nicht abwählen können, bekommt der ganze Wahlgang einen
nahezu virtuellen und abstrakten Charakter.
Viele der EU-Bürger fordern mehr Mitspracherechte in der Europäischen Union. Drei
von vier Bürgern befürworten etwa europaweite Volksbegehren. 69% der Befragten
sprechen sich dafür aus, künftig einen Präsidenten der EU in direkter Wahl zu
bestimmen.
Europa steht auf der Kippe. Entweder es kommt unter dem Druck der Märkte
tatsächlich zu einem massiven Integrationsschub, oder es kippt in die andere
Richtung und schlägt den schleichenden Weg der Desintegration ein. In beiden
Fällen ist die fehlende europäische Bürgerbeteiligung ein systemisches Risiko, das
auch im Falle eines Integrationsschubes einen nachhaltigen Weg aus der Krise
gefährdet. Andererseits kann es gerade der Druck von besorgten europäischen
Bürgern sein, der Europas Eliten zwingt, Europa nach vorne und aus der Krise zu
führen.
Das Versprechen Europas ist, dass es allen immer besser gehen wird. Die Finanzund Schuldenkrise hat dieses Versprechen ins Wackeln gebracht. Ohne Wohlstand
wird Europa keine Unterstützung von seinen Bürgern erhalten. Aber was ist
Wohlstand im 21. Jahrhundert? Wie wird Wohlstand gerecht verteilt? Was heißt es
konkret, immer besser leben zu wollen? Kann unser Wohlstandsniveau im globalen
Wettbewerb überhaupt gehalten werden? Das sind die Fragen, die Europa um- und
antreiben müssen. Das ist die originäre Vision Europas und hier gilt es zeitgemäße
Antworten und Wege zu finden.
Wie passend folgendes Zitat nach Perikles aus seiner berühmten Leichenrede im
peloponnesischen Krieg „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ ist, wird also in
diesem Zusammenhang klar. Also fangen wir an, auf die Sorgen und auf die Wut der
Bürger zu reagieren, fangen wir an die Bürger ernst zu nehmen!
Doch Europa fehlt echte politische Legitimität. Die Wahlen zum Europäischen
Parlament sind Abstimmungen über nationale Politik, deren Ausgang sich nicht in
einer europäischen, politischen Exekutive niederschlägt. In der Vergangenheit haben
nationale Eliten dies kompensiert, indem sie als Teil nationaler Politik aktiv für
europäische Visionen und Projekte geworben haben. Das tun sie heute weniger oder
schlechter. Die Brüsseler Institutionen können da nichts kompensieren. Sie wurden
zu einer unpolitischen Bürokratie zurechtgestutzt.
"Europa" ist für viele Menschen hierzulande und in der Nachbarschaft etwas, was
ihren Status quo zu gefährden scheint, was sie eher als bedrohlich empfinden. Es
sieht fast so aus, als reihe sich "Europa" und die zugehörige Assoziationskette ein
16
unter jene Dunkle-Wolken-Begriffe, die man vor einem bestimmten Publikum nur mit
Augenrollen erwähnen muss, um eindeutige Reaktionen zu erzeugen.
Die Europäische Union befindet sich an einem Scheideweg. Einerseits hat die
Schuldenkrise die Notwendigkeit verstärkter Koordination und Integration gezeigt.
Andererseits schwindet der gesellschaftliche Rückhalt für eine erweiterte Haftungsund Solidargemeinschaft. Doch bei aller Skepsis gegenüber einer weiteren
Zentralisierung politischer Entscheidungen wächst auch die Erwartung an die EU,
sich drängenden globalen Herausforderungen zu stellen. Es gibt ein verbreitetes
Bewusstsein, dass Europa sich zusammenschließen muss, um als Gestaltungskraft
handeln zu können. Um die Zustimmung der europäischen Öffentlichkeit zu
gewinnen und eine neue Dynamik der Zusammenarbeit zu erzeugen, brauchen wir
neue Schlüsselprojekte für die EU genauso wie eine Stärkung der europäischen
Demokratie.
Der Anfang wurde mit dem Petitionsrecht, welches besagt, dass EU-Bürger
Petitionen beim Europäischen Parlament einreichen können, sowie dem Recht auf
Beschwerde beim Bürgerbeauftragten des Europäischen Parlaments, gemacht. Doch
müssen nun weitere Schritte eingeleitet werden um die Demokratie innerhalb der
Europäischen Union zu stärken! Volksbegehren müssen ausgeweitet, sowie eine
direkte Wahl zur Bestimmung des EU Präsidenten möglich gemacht werden!
„Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit mit seinem Zustand,
ist also Leiden, solange es nicht befriedigt ist (...).“, sagte einst Arthur Schopenhauer.
Und um diese Unzufriedenheit zu tilgen, muss nach vorne geschaut werden! Die
europäische Union darf, was das Mitbestimmungsrecht der Bürger angeht, nicht
stagnieren! Denn nur so kann sie sich weiterentwickeln und erfolgreich
voranschreiten.
Ziel muss sein, die europäischen Parlamentswahlen 2014 zu einer echten
Richtungswahlwahl für Europa zu machen. Europäische Inhalte, über die man
politisch und emotional einen Richtungsstreit führen kann, gibt es genügend.
Wie kann Europa in Zukunft Wohlstand und Stabilität sichern?
Wie soll europäische soziale Umverteilungspolitik aussehen?
Wie kann Europa notwendige Zuwanderung besser steuern?
Wie sieht Industriepolitik im Globalisierungsalter aus?
Wie kann man durch nachhaltige Energiepolitik Innovation und Wohlstand schaffen?
Europa hat Geschichte, Europa hat Zukunft, Europa hat Gegenwart!
Nur müssen Dinge getan werden, um diese Zukunft ein wenig bunter für die
Europäische Union zu gestalten, um die Zufriedenheit und die Aufmerksamkeit der
europäischen Bürger zu steigern und um stabil und erfolgreich weiterhin zu
bestehen.
Also lasst uns zusammen daran arbeiten, Politiker und Bürger! Politiker, indem sie
sich anhören, was die Einwohner Europas zu sagen haben, was sie bewegt und was
ihnen auf dem Herzen liegt.
Bürger, indem sie sich äußern, sich nicht zu schnell enttäuschen lassen und ihren
Unmut mitteilen.
17
Ich danke Ihnen recht herzlich für ihre Aufmerksamkeit und wünsche noch einen
schönen Abend!
Quellen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/zukunft-der-eu-wie-das-projekt-europa-gelingenkann-1.1468806 ; abgerufen am 04.02.13
http://bildungsklick.de/a/68812/politikverdrossenheit-bei-jungen-menschen/ ;
abgerufen am 30.01.13
http://www.kas.de/wf/de/21.5/ ; abgerufen am 30.01.13
http://www.bpb.de/apuz/31957/die-deutschen-vor-der-europawahl-2009?p=all ;
abgerufen am 29.01.13
http://www.dieeuros.eu/spip.php?page=print&id_article=2979&lang=fr ; abgerufen am
03.02.13
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/geringe-wahlbeteiligung-europa-laesst-diedeutschen-kalt-a-629035.html ; abgerufen am 29.01.13
http://www.euractiv.com/de/soziales-europa/ecas-kritisiert-unionsbuergersch-news250718 ; abgerufen am 29.01.13
http://www.hrw.org/de/news/2012/01/22/eu-menschenrechtsverletzungenmitgliedstaaten-ignoriert ; abgerufen am 30.01.13
http://www.bpb.de/politik/wahlen/europawahl/71369/relevanz-und-resonanz ;
abgerufen am 04.02.13
http://www.zeit.de/politik/2011-10/leserartikel-europa-zukunft/seite-2; abgerufen am
04.02.13
18
3. Rang: Sarah Wilhelm, Goethe-Gymnasium Gaggenau
Ich habe heute das Ziel, liebe Schüler und Schülerinnen, in euch den Willen zu
politischem Engagement zu wecken. Wenn ihr heute diese Aula verlasst, werdet ihr
Europas Politik mitgestalten wollen, wenn ihr heute Abend nach Haus kommt, werdet
ihr die Zeitung in die Hand nehmen, wenn ich zu Ende gesprochen habe, werdet ihr
die Zukunft Europas mitgestalten wollen!
In Europa gilt die Demokratie als die beste Staatsform. Die Wiege der Demokratie
liegt bekanntlich im antiken Athen. Um mir bei meinem Vorhaben die Sache etwas
einfacher zu machen, werde ich daher auf das Zitat des griechischen Politikers
Perikles zurückgreifen. Er soll einmal gesagt haben „Ein stiller Bürger ist kein guter
Bürger“. Ich werde selbstverständlich die Bürgerinnen miteinschließen.
Bevor wir uns nun aber über diese These hermachen, schlage ich vor wir reden
vielleicht erst einmal mit dem Urheber dieses Zitates. Leider gestaltet sich das als
etwas schwierig, da der Verfasser Perikles seit ungefähr 2400 Jahren nicht mehr
unter uns weilt. Was nun? Ich habe da eine Idee.
Liebe Lehrer*innen, liebe Schüler*innen, darf ich Sie zu einer kleinen Zeitreise
einladen? Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie stünden im antiken Athen des 5.
Jahrhunderts vor Christus auf dem Marktplatz; vor Ihnen die Akropolis. Die alten
Bauten um den Platz sehen aus wie neu, strahlen golden in der Sonne und sind mit
prächtigen Farben bemalt. Auf dem großen Platz herrscht reges, nein ein geradezu
pulsierendes Treiben. Menschen in bunten Gewändern wuseln durcheinander,
Sklaven ziehen, tragen, schleppen; andere bleiben stehen um auf dem Markt zu
handeln und zu feilschen. Sie reden, sie rufen, sie schimpfen und lachen1.
Es ist die Zeit des Perikles, des „bedeutendste(n) Staatsmann[es] in Athen“ 2. Als
Politiker, Rhetoriker und Feldherr hatte er Athen zu demokratischer und kultureller
Blütezeit geführt. Als Anhänger der „radikalen Demokraten“ 3 setzte er eine
Verfassungsreform durch. In der Volksversammlung, der „wichtigste[n] Institution“ 4,
hatten alle attischen Bürger danach gleiches Mitbestimmungsrecht. Ausgeschlossen
waren allerdings Frauen, Sklaven und Fremde5.
Doch schon bald senkte sich ein Schatten über Athen und seinen attischen Seebund.
Das gereizte Verhältnis zu der Großmacht Sparta entlud sich 431 vor Christus im
peloponnesischen Krieg6. Über diesen wissen wir vor allem durch das
Geschichtswerk des Thukydides „Geschichte des peloponnesischen Krieges“
bescheid7.
Vgl. Gaarder, Jostein: Sofies Welt. Ein Roman über die Geschichte der Philosophie.
München Wien 1993, Seite 90
2 Prof. Gutjahr, Hans-Joachim (Hsg.): DUDEN Geschichte. Basis Wissen Schule. Mannheim
2007, Seite 107 ff.
3 Vgl. Ziegler, Konrad/ Sontheimer, Walther: Der kleine Pauly (=Band 4). München 1979,
Seite 634 f.
4 ebd.: DUDEN Geschichte 2007, Seite 107
5 ebd.: DUDEN Geschichte 2007, Seite 107
6 ebd.: DUDEN Geschichte 2007, Seite 110
7 Vgl.:2005. http://de.wikipedia.org/wiki/Peloponnesischer_Krieg#Quellen. Stand
27.01.2013
1
19
Daher wechseln wir gedanklich den Schauplatz. Verlassen Sie den Marktplatz in
Athen mit seinem bunten Treiben und stellen Sie sich vor, wie das übermächtige
Landheer der Spartaner, bewaffnet bis an die Zähne, das attische Land stürmt,
plündert und verwüstet8. Sehen Sie die zerstörten Behausungen der attischen
Bauern? Die schwelenden Überreste und Leichen?
Versetzten Sie sich in die Lage des Perikles, der zur traditionellen Bestattung und
Ehrung der Gefallenen eine Lobrede halten muss9, um gleichzeitig die übrigen
Bürger zum Kampf zu motivieren. Was würden Sie sagen? Wie würden Sie zu denen
sprechen, die Väter, Brüder und Söhne verloren haben? Wie würden Sie diese
Menschen motivieren?
Perikles tut dies, bei Thukydides, in dem er unter anderem erklärt, warum Athen „der
Bewunderung wert ist“10 und weshalb es deswegen nötig ist, weiter zu kämpfen. Der
Bewunderung ist Athen, nach Perikles, deshalb wert, weil die athenische
„Verfassung (…) den Namen Volksregierung [trägt], weil sie nicht zum Vorteile von
Wenigen, sondern der Mehrzahl eingerichtet ist (…)“11. In seiner Rede fällt auch der
Satz „Wir allein erklären den, welcher an jenen [den öffentlichen Angelegenheiten]
keinen Anteil nimmt, nicht für einen Ruheliebenden, sondern für einen unnützen
Menschen. (…)“12 Oder anders ausgedrückt: „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“.
Machen Sie sich das klar: Diese Aussage macht Perikles, um die Athener zum
Kampf zu motivieren. Die Möglichkeit zur politischen Teilhabe der Bürger aller
Einkommensklassen sieht Perikles also als eine Errungenschaft an, für die es sich zu
kämpfen lohnt.
Sie dürfen sich nun gedanklich wieder in das 21. Jahrhundert begeben. Ich halte
noch einmal fest: Perikles meint also, dass ein stiller Bürger kein guter Bürger sei.
Aha. Was soll das für uns überhaupt heißen? Spricht ein*e „stille*r Bürger*in“ leise,
ist er*sie zurückhaltend, schüchtern, stumm? Wohl kaum. Ein*e stille*r Bürger*in ist
jemand, der*die keine Meinung zu politischen Themen hat. Jemand, der*die nicht
wählen geht. Jemand, der*die an den –nach Perikles- „öffentlichen
Angelegenheiten“13 keinen Anteil nimmt.
Soso. Und der soll also nicht gut sein? Was denn heißt „gut“ überhaupt? Bei „gut“
denkt man zuerst einmal an das moralische „gut“ und „schlecht“. Ist also ein*e stille*r
Bürger*in moralisch schlecht? Hat politisches Engagement überhaupt etwas mit
Moral zu tun? Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass ein werteorientiertes
Leben im Privaten ausreicht, um moralisch gut zu sein. Auf den zweiten Blick ist das
O.V.: Verlauf der peloponnesischen Kriege. schülerlexikon.de, 2013.
http://www.schuelerlexikon.de/SID/1edeb0d93d6c3386545b1da8558b979d/lexika/g
eschichte/cont/cont0100/cont0117/full.htm. 20.01.2013
9 Thukydides/ Nathanael, Christian (Übers.): Geschichte des peloponnesischen Krieges
(=Band 1) Stuttgart 21827, Seite 171 ff. Abrufbar im Internet:
http://books.google.de/books?id=I1gMAAAAYAAJ&pg=PA141&hl=de&source=gbs_toc_
r&cad=4#v=onepage&q&f=false. Stand: 20.01.2013
10 ebd.: Thukydides Geschichte des peloponnesischen Krieges 1827, Seite 176
11 ebd.: Thukydides Geschichte des peloponnesischen Krieges 1827 Seite 174
12 ebd.: Thukydides Geschichte des peloponnesischen Krieges 1827, Seite 177
13 ebd.: Thukydides Geschichte des peloponnesischen Krieges 1827, Seite 177
8
20
mitnichten so. Denn soziale Missstände müssen öffentlich angeklagt werden. Sonst
ändert sich ja nichts.
Die Bürger müssen aktiv werden, aktiv werden zum Beispiel mit einem
Volksbegehren, wie wir es gerade in Bayern miterleben. Dort wurde ein
Volksbegehren gegen Studiengebühren eingeleitet, die eine soziale Gerechtigkeit
nicht gerade befördern. Und dieses „Volksbegehren zur Abschaffung der
Studiengebühren (…) war erfolgreich“14. Hätte sich keiner empört, wäre auch nichts
geschehen.
Aber „gut“ kann auch etwas ganz anderes bedeuten. Halten wir uns an die Definition
von Perikles, so heißt „nicht gut sein“ gleich „unnütz“15 sein. Mit Blick auf das heutige
Thema, die Unionsbürgerschaft, ist demnach ein*e gute*r Bürger*in eine*r, der*die
mitwirkt an der Fortentwicklung der Gesellschaft/des Staates hin zu verwirklichten
Menschenrechten und zu gelebter Demokratie. Jemand, der Demokratie und
Menschenrechten also „nützt“.
Aber wer nennt die Anschläge, zählt die Schlagzeilen? Verübt von politisch aktiven
Rechtsextremist*innen. Berichtend von Salafisten, die einen Gottesstaat predigen,
oder von katholische Extremist*innen, die sich homophob und antisemitisch16
äußern. Demokratie und Menschenrechte werden dabei weder unterstützt noch
gefördert. Diese Bürger*innen sind zwar nicht still, aber auch nicht gut.
Genauso gilt das für diejenigen, die den tagesschau-Brei unverdaut wieder von sich
geben. Auch die Wähler*innen gehören dazu, die aus dem Bauch heraus eine Partei
wählen, die die eigenen Interessen vertritt (und dabei zum Beispiel gegen lästige
Steuererhöhungen ist, mit denen man unnötige Projekte fördern könnte, wie zum
Beispiel die Einstellung von mehr Lehrern). Solche sollten besser „still“ sein, um als
„gute Bürger*innen“ zu gelten. Denn um die Politik sinnvoll mitzugestalten, muss sich
jede*r kritisch mit den Themen und sich selbst auseinandersetzten, sowie sich aus
verschiedenen Quellen informieren. Denn im Brockhaus heißt es: „Je besser die
Bürger dazu erzogen sind, sich ein eigenes Urteil zu bilden, (…) umso besser ist
gewährleistet, dass die herrschende Mehrheit (…) auf demokratischem Wege
zustande kommt“17.
Aber nicht alle Bürger*innen sind rechtsextrem, oder bevorzugen zumindest, wenn
keine Diktatur, dann wenigstens einen Gottesstaat. Nein. Der erste Kritikpunkt trifft
also nicht auf die Mehrheit der Bevölkerung zu.
Nebenbei gesagt müssen wir auch unbedingt beachten, was Demokratie eigentlich
bedeutet. Griechisch „Volksherrschaft“18 funktioniert schlecht bis gar nicht, wenn die
Bürger*innen nicht politisch engagiert sind. Ein*e „stille*r Bürger*in“ ist also doch
„kein*e gute*r Bürger*in“. Schlimmer noch: Er*Sie entzieht der Demokratie ihren
ZEIT online: Volksbegehren gegen Studiengebühren erfolgreich. 31.01.2013.
http://www.zeit.de/studium/hochschule/2013-01/studiengebuehren-bayernvolksbegehren. Stand: 02.02.2013
15 ebd.: Thukydides Geschichte des peloponnesischen Krieges 1827, Seite 177
16 Decker, Markus: katholische Extremisten im Visier. 30.03.2012. http://www.fronline.de/politik/verfassungsschutz-katholische-extremisten-imvisier,1472596,13977660.html. Stand: 19.01.2013.
17 Der große Brockhaus (= Band 3). Wiesbaden 16 1953, Seite 100.
18 ebd.: Der große Brockhaus 1953, Seite 100.
14
21
Wesenskern. So wie eine Monarchie ohne König, oder ein Gottesstaat ohne Gott,
kann es eine Demokratie nicht ohne ein Volk geben, das sich an der Politik beteiligt.
Um noch einmal auf den Polit-Wiederkäuer zurückzukommen: Hier stoßen wir auf die
inhaltliche Grenze des Zitats. Wir haben gesehen, dass ein*e stille*r Bürger*in heute
kein*e gute*r Bürger*in ist. Aber auch, dass das bei weitem nicht ausreicht.
Es geht um mehr, es geht um viel mehr. Dafür frage ich euch Schüler*innen zuerst:
Was ist für eine gute mündliche Note im Unterricht zu leisten, was müsst ihr
Schüler*innen tun, auf was achten Sie Lehrer*innen? Klar: Auf Quantität und
Qualität. Aber vor allem auf Qualität. Wenn ihr Schüler*innen zehnmal im Unterricht
etwas Falsches sagt, ist das schlechter, als wenn ihr dreimal etwas Richtiges sagt.
Wer inhaltlich und sprachlich gut argumentieren und die eigenen Gedanken
formulieren kann, ist klar im Vorteil. Wieso sollte es in der Politik anders sein? Ihr
sollt schließlich auch zu „politischer Verantwortlichkeit“19 – Zitat aus der
Landesverfassung Baden-Württembergs– erzogen werden.
Also gilt auch in der Politik: Qualität vor Quantität. Aber Qualität muss erst einmal
erreicht werden. Das heißt im Klartext: Informiert euch! Lest nicht nur eine Zeitung!
Keine Boulevardpresse! Hinterfragt was ihr lest! Denkt! Und seit kritisch, kritisch vor
allem zu euch selbst und eurer Meinung! In einem Gedicht von Bertolt Brecht heißt
es: „(…)Die etwas fragen/ Die verdienen Antwort(…)“20- aber es muss erst einmal
gefragt werden! Ja, das ist nicht immer einfach und oft unangenehm, aber wie der
SPD-Politiker Müntefering einmal gesagt hat: „Demokratie ist keine Hängematte“21!
Ok. Stopp. Ich gebe zu für euch Schüler*innen ist das vielleicht ein bisschen viel für
den Anfang. Ihr denkt euch wahrscheinlich jetzt auch: Was habe ich eigentlich mit
Politik zu tun? Das ist so weit weg und eigentlich habe ich auch noch etwas anderes
vor. Zeit ist sowieso keine da. Denn morgens in der Schule reden die Lehrer an euch
Schüler hin, endlich einmal zu lernen, weil ihr von selbst dazu offenbar nicht fähig
seid. Kaum seid ihr, völlig fertig, zu Hause, verlangen die Eltern ein anständiges
Benehmen und Gehorsam – „Solange du die Füße unter meinen Tisch…“ und so
weiter, man kennt das ja. Immer dieser Stress. Jetzt verlange ich von euch auch
noch politisch aktiv zu werden. Wie denn das? Die meisten von uns Schüler*innen
dürfen doch noch gar nicht wählen. Und selbst wenn, wen denn? Europa ist sowieso
viel zu weit weg, der Pickel auf der eigenen Nase ist da um einiges näher und
verdient mehr Aufmerksamkeit.
Von wegen Europa ist weit weg. Wir stecken mittendrin und Politik fängt ja nicht
gleich im Europaparlament an. Im Klassenzimmer fängt die Politik an. Das ist meist
der erste Ort an dem wir anfangen, uns eine Meinung zu bilden und zu diskutieren.
Dabei dürft und müsst ihr auch die Lehrer*innen hinterfragen. Traut euch selbst
Stellung zu nehmen!
Landtag von Baden-Württemberg (Hrsg.): Landesverfassung Baden-Württemberg
2010, Art 12 §1
20 Bertolt Brecht /Suhrkamp Verlag (Hrsg.): Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem
Band. Main 1981, Seite 662
21 Kucznierz, Christian Interview mit Müntefering, Franz: Demokratie ist keine
Hängematte. 10.07.2012.
http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/politik/artikel/demokratie-hat-keinehaengematte/806576/demokratie-hat-keine-haengematte.html. Stand 03.02.2013
19
22
Bei der Klassensprecher*innen Wahl ist auch mehr Politik im Spiel, als wir denken.
Durch eine Wahl übertragen wir einem*r Schüler*in das Amt des*r
Klassensprechers*in. Und schon haben wir die erste Form von Parlament, die SMV.
Dort geht es um nicht weniger und nicht mehr, als die Interessen der Schüler*innen
gegenüber der Schulleitung zu vertreten.
Ihr kennt das doch auch, und ihr wollt schließlich auch mitreden, wenn es darum
geht, ob die Oberstufe eine eigene Sitzecke bekommen soll, ob auf dem Schulhof ein
Turngerät stehen soll, ob die uralten Toiletten renoviert werden sollen, ob auf dem
Schulhof geraucht werden darf oder nicht. Deshalb wählt ihr ja schließlich den
Klassensprecher, der eure Interessen vertritt.
Aber vielleicht kennt ihr es auch aus eigener Erfahrung, dass ihr nach der
Klassensprecher*innen-Wahl eure Wahl bereut habt, oder dass ihr verärgert wart,
weil die Schulleitung eure Ideen nicht aufgenommen hat, oder vielleicht habt ihr euch
auch schon einmal gefreut, dass ein Projekt besonders gut geklappt hat, weil sich
mehrere Schüler dafür eingesetzt haben.
Das und nichts anderes ist Politik im kleinen Rahmen - und dabei gar nicht so schwer
und kompliziert, oder?
Wenn wir die Schule (gedanklich) verlassen, ist das nächste größere Umfeld, in dem
wir uns befinden, die Stadt, in der wir wohnen. Oft gibt es dort einen
Jugendgemeinderat. Der hat es schon mit echten Politikern zu tun, wenn er unsere
Interessen vor dem Gemeinderat vertritt. Im Grunde ist das aber auch nichts anderes
als wenn die SMV auf die Schulleitung trifft. Denn auch hier wählen wir, um unsere
Interessen vertreten zu lassen, um die Stadt, in der wir wohnen, mitgestalten zu
können. Hier geht es eben um einen Jugendtreff, Eintrittskosten ins Schwimmbad,
oder die drohende Schließung einer Disco.
Wenn wir jetzt Blut geleckt haben, können wir auch in eine (Jugend-)Partei eintreten,
oder in eine Nichtregierungsorganisation. Hier treffen wir auf Menschen mit
denselben politischen Ansichten, und nach und nach werden wir mit den Themen,
die auch Bundes- und Europaweit relevant sind, vertraut. Es ist alles halb so
schlimm, wir müssen uns nur erst einmal dazu aufraffen zur Gemeinderatswahl zu
gehen oder uns in eine Partei zu trauen. Nehmt einfach eure Freunde mit! Angela
Merkel und Peer Steinbrück wurden schließlich auch nicht im Bundestag geboren.
Und woher sollen wir wissenm, welches Thema in der Stadt, im Bund oder
europaweit aktuell wichtig ist? Oder ob eine Partei vor Ort überhaupt vertreten ist?
Nichts einfacher als das. Hier gilt, wie bei den meisten in allen Lebenslagen: „Nicht
verzagen – Google fragen“. Oder vorher vielleicht noch: Im Unterricht aufpassen, um
sich eine Grundbildung anzueignen. Das ist aber nur der erste Schritt. Denn neben
der Tageszeitung zu Hause hat man zum Beispiel in Büchereien eine große Auswahl
an Zeitungen, Zeitschriften und Flyern, die man nutzen kann, um sich zu informieren.
Als Schüler*innen, Lehrer*innen oder einfach Bürger*innen Europas stellt sich uns
nun die Frage, wie wir konkret auf die Europapolitik Einfluss nehmen können.
Welche Möglichkeiten habe ich als Einzelne*r überhaupt?
Um das zu wissen genügt ein Blick in die Europäische Charta der Grundrechte. Da
heißt es zum einen in Artikel 42, dass jede*r Unionsbürger*in das „Recht auf Zugang
23
zu Dokumenten“ hat22. Die Möglichkeit sich direkt zu informieren besteht also. Das ist
aber erst die Grundlage. Denn Einfluss haben wir damit noch nicht genommen.
Artikel 39 besagt: „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen (…) das aktive
und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.“23 Inwiefern
können wir damit Einfluss nehmen?
Nun, dafür muss man zuerst einmal wissen, wie „Gesetze“ in der EU gefasst werden.
Daran sind die sogenannte Kommission, der Ministerrat und das Europaparlament
beteiligt. Das einzige direkt gewählte Organ unter diesen drei ist das
Europaparlament24. Nicht gewählt ist der Ministerrat, der „aus je einem[*r] (…)
Minister[*in] pro Mitgliedstaat“25 besteht. Weil er aus den Minister*innen der Staaten
besteht, ist er ein Teil der Exekutive und der Legislative. Ebenfalls nicht direkt
gewählt ist die Kommission. Zusammengesetzt aus „nationalen Politikern [*innen]“ 26,
gehört sie zur Exekutive, der Legislative und hat „richterähnliche“ 27 Befugnisse.
Was sagt uns das? Zuerst einmal, dass die Gewaltenteilung nicht durchgesetzt ist.
Aber weiter.
Gesetze kann nur die Kommission auf den Weg bringen. Sie hat also das alleinige
Initiativrecht28. Die Gesetze werden von dem Europaparlament und dem Ministerrat
diskutiert. Werden die beiden sich nicht einig, gibt es noch ein Vermittlungsverfahren.
Nach diesem Hin und Her steht dann ein Gesetz - das aber nicht so genannt wird.
Dieses kann für die Staaten verbindlich oder unverbindlich sein29.
Sind wir des Rätsels Lösung jetzt näher gekommen? Ein bisschen, denn wir sehen,
dass eine Möglichkeit, auf Europas Politik Einfluss zu nehmen, bei der Wahl des
Europaparlaments liegt. Damit beeinflussen wir zu einem Drittel die Gesetzgebung.
Da Kommission und Ministerrat von den Nationalregierungen beschickt werden,
nimmt man auch durch die Wahl des Nationalparlaments Einfluss auf die
Europapolitik. Also erste Regel: Wählen gehen! Das hatten wir bei der SMV und dem
Jugendgemeinderat auch schon.
Damit geben wir uns aber nicht zufrieden. Als Bürger*innen wollen wir auch direkten
Einfluss nehmen.
Die Grundrechte-Charta sieht hierfür in Artikel 43 einen Bürgerbeauftragten vor, den
man „im Fall von Missständen bei der Tätigkeit der Organe“30 kontaktieren kann. Der
Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften: Charta der Grundrechte der
Europäischen Union 2000. Abrufbar im Internet:
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf. Stand 26.01.2013
23 Ebd.: Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000
24 Vgl. Melanie Piepenschneider: Vertragsgrundlagen und Entscheidungsverfahren. In:
Informationen zu politischen Bildung 2012, Nr. 279, Seiten 17 - 32
25 Maurer, A.: Ministerrat. In: Hüttmann, Martin Große/ Wehling, Hans-Georg: Das
Europalexikon. Marburg 2009, Seiten 240 ff.
26 Bauer, M.W./ Heisserer, B.: Europäische Kommission. In: Hüttmann, Martin Große/
Wehling, Hans-Georg: Das Europalexikon. Marburg 2009 Seiten 111 ff.
27 ebd.: M.W. Bauer: Europäische Kommission. 2009 S.112
28 ebd.: Melanie Piepenschneider: Vertragsgrundlagen und Entscheidungsverfahren.
2012 Seite 20
29 ebd.: Melanie Piepenschneider: Vertragsgrundlagen und Entscheidungsverfahren.
2012 Seite 18
30 ebd.: Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000
22
24
wird bei rund 500 Millionen Einwohnern der EU31 aber ziemlich beschäftigt sein.
Deshalb ist es effektiver, sich auf den Artikel 44 zu berufen, das den Unionsbürgern
das Petitionsrecht verleiht32. Das Europaparlament hat dafür einen
Petitionsausschuss, an den sich jede*r Bürger*in wenden kann, um Beschwerden
oder andere Anliegen vorzubringen33.
Nochmal zum Mitschreiben: Als Bürger*in der EU kann ich politisch aktiv werden,
indem ich erstens das Nationalparlament wähle, das Europaparlament wähle,
zweitens den Bürgerbeauftragten kontaktiere und eine Petition einreiche. Und ihr
seht, dass auch die EU nicht so demokratisch ist, wie sie immer vorgibt zu sein. Ein
Grund mehr für uns, sich politisch zu wehren!
Vergesst nicht: Europa lebt aufgrund der Idee der Demokratie, der Menschenrechte
und des Friedens! Demokratie lebt nur von den Bürgern, von uns! Unsere
Menschenrechte müssen verteidigt werden! Unser Frieden muss gesichert werden!
Wenn gesagt wird, Europa sei eine sogenannte „Kopfgeburt“34, dann heißt das für
uns: Gestalten wir es mit Köpfchen und Verstand! Bieten wir Europaskeptikern die
Stirn! Denn nicht ein stiller Bürger ist kein guter Bürger, sondern ein unmündiger und
stiller Bürger ist ein schlechter Bürger!
Wir, liebe Schüler und Schülerinnen sind die Zukunft Europas! Also nehmen wir sie
in die Hand!
Literaturverzeichnis
1.1 Wissenschaftliche Quellen
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München Wien 1993, Seite 90
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Landtag von Baden-Württemberg (Hrsg.): Landesverfassung Baden-Württemberg
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Bertolt Brecht /Suhrkamp Verlag (Hrsg.): Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem
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Bauer, M.W./ Heisserer, B.: Europäische Kommission. In: Hüttmann, Martin Große/
Wehling, Hans-Georg: Das Europalexikon. Marburg 2009 Seiten 111 ff.
ebd.: vgl.: Hüttmann, Martin Große (Hsg.): das Europalexikon. Beigefügte Karte
ebd.: Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000
33 ebd.: Melanie Piepenschneider: Vertragsgrundlagen und Entscheidungsverfahren,
2012 Seite 31
34 Alojado Publishing: http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_ralf_dahrendorf_287.html.
Stand 03.02.2013
31
32
25
1.2 Zeitgeschichtliche Quellen
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O.V.: Verlauf der peloponnesischen Kriege. schülerlexikon.de, 2013.
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Decker, Markus: katholische Extremisten im Visier. 30.03.2012. http://www.fronline.de/politik/verfassungsschutz-katholische-extremisten-imvisier,1472596,13977660.html. Stand: 19.01.2013.
Kucznierz, Christian Interview mit Müntefering, Franz: Demokratie ist keine
Hängematte. 10.07.2012.
http://www.mittelbayerische.de/nachrichten/politik/artikel/demokratie-hat-keinehaengematte/806576/demokratie-hat-keine-haengematte.html. Stand 03.02.2013
Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften: Charta der Grundrechte der
Europäischen Union 2000. Abrufbar im Internet:
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf. Stand 26.01.2013
Alojado Publishing: http://www.gutzitiert.de/zitat_autor_ralf_dahrendorf_287.html.
Stand 03.02.2013
26
4. Rang: Alisa Jauch, Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart
„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger.“ Dies soll Perikles, ein athenischer
Staatsmann, gesagt haben. Ein Satz, der noch Jahrtausende später in der Welt
nachklingt. Dass ein Bürger ohne Worte und Taten seinen Staat nicht unterstützt und
somit kein guter Bürger sein kann, erscheint logisch. Aber was ist denn eigentlich ein
guter Bürger? Was ist ein guter Bürger angesichts der modernen Welt? Einer Welt, in
der Schnelligkeit und Globalität eine immer stärkere Rolle spielen, in der
Nationalitäten zurücktreten hinter Kontinente. Was ist ein guter Bürger angesichts
Europas und der EU?
Europa und die EU, ein Duo, das mit vielen Problemen zu kämpfen hat. Die EU, das
ist der Verbund von siebenundzwanzig europäischen Staaten. Mit einem
schwächelnden Euro und verschuldeten Mitgliedsstaaten im Gepäck versucht er den
Kontinent und die Zukunft von fünfhundert Millionen Bürgern zu gestalten. Dabei
muss er immer wieder schwere Hindernisse aus dem Weg räumen. Die Spalten
zwischen der nationalstaatlichen Loyalität und den Interessen der EU stellen ihm
ebenso Fallen wie der zunehmende Rassismus. Auch die Asyl- und
Einwanderungspolitik bereitet große Schwierigkeiten. Selbst den eigenen Bürgern
erscheint die EU fremd. Mehr als die Hälfte der Menschen hat kein positives Bild der
Union und schenkt ihr kein Vertrauen.
Doch das ist falsch. Ein Bürger muss sich für seine Stadt, für sein Land und seinen
Kontinent begeistern können, denn Begeisterung ist der Schlüssel zum Engagement.
Aber können wir uns für Europa begeistern? Für eine zusammengewürfelte
Sammlung von Staaten, die um ihre eigenen Vorteile feilschen? Für eine Union, in
der Solidarität zu „Blauäugigkeit“ und Naivität herabgestuft wird? Für das
Bürokratiemonster in Brüssel? Nein, das können wir nicht. Auch wenn Begeisterung
meist als realitätsferne Schwärmerei abgetan wird, so lässt sich doch nichts ohne
wirkliche Leidenschaft bewegen. Jeder Bürger braucht also das Gefühl der
Verbundenheit und Begeisterung für Europa. Um uns aber für Europa zu begeistern,
müssen wir tiefer gehen und uns die Idee und die Erfolge dieses
Zusammenschlusses anschauen.
Wir Europäer können zurückschauen auf eine lange geistige Tradition. Wir haben mit
unserer Kultur, unseren Erfindungen und Innovationen die Welt geprägt wie kaum ein
anderer Kontinent. Eine lange Reihe von klugen und berühmten Männern hat
Visionen ausgearbeitet, wie man diesen Kontinent einen und Frieden und
Demokratie auf Dauer sichern könnte. Als diese Visionen Wirklichkeit wurden, war
das die größte Erfolgsgeschichte Europas. Sechzig Jahre Frieden auf einem
Jahrtausende lang zerstrittenen Kontinent. Das hätte kaum jemand für möglich
gehalten.
Die Europäische Union ist nicht nur die blanke Ökonomie. Es geht um mehr als die
gerechte Verteilung der Schulden. Es geht um ein europäisches Wir-Gefühl. Das
entsteht aus der gemeinsamen europäischen Kultur, die sich aus der griechischrömischen Antike entwickelt hat, aber auch durch eine gemeinsame Geschichte. Die
Menschen durchlebten die gleichen Nöte, Katastrophen und Kriege, zuletzt die
beiden Weltkriege. Die Europäer tragen gemeinsam die Verantwortung für die
Zukunft. Der Zusammenhalt der europäischen Völker ist der beste Schutz vor einer
Wiederholung der Geschichte.
Es war ein entscheidender Schritt in ein geeintes Europa, als 2002 der Euro
eingeführt wurde. Zwölf Nationen zahlten ab diesem Jahr nur noch in der
27
europäischen Währung. Damit war die Idee eines gemeinsamen Marktes und einer
Wirtschaftsunion Europas Realität geworden. Eine neue Epoche Europas war
angebrochen und brachte die Völker Europas näher zusammen als je zuvor. Der
Euro trug damit einen wichtigen Teil zur europäischen Identität bei. Noch nie war das
Wir-Gefühl Europas stärker als zu diesem Augenblick. Doch der Euro droht ein
Jahrzehnt später Europa zu spalten. Die Schulden der Mitgliedsländer steigen.
Manchen droht gar der Ruin. Die Krise verschont nicht die Wirtschaftskraft des
Euros, sondern macht ihm schwer zu schaffen. Dies führt zu Konflikten zwischen den
europäischen Ländern und wirft die Frage auf, wie weit gehen wir tatsächlich für
unsere Unionspartner? Wie solidarisch sind wir? Doch das Auseinanderdriften der
europäischen Völker gilt es zu verhindern. Dank dem Euro sind wir die
zweitwichtigste Finanzkraft der Welt und nur gemeinsam können wir uns auch in
Zukunft auf dem Weltmarkt behaupten. Ohne den Euro werden wir zwischen den
zwei bestimmenden Großmächten USA und China verkümmern. Der Euro ist ein
wichtiges Bindeglied zwischen den Staaten. In Zeiten der Krise müssen die
europäischen Völker zusammenhalten. Wer über einen Ausschluss einzelner
europäischer Nationen spricht, verrät die Idee eines geeinten Europas und damit die
Richtigkeit eines Projekts, welches uns den längsten Frieden in der Geschichte
dieses Kontinents brachte. Wir dürfen nicht aufgrund der ersten Krise diesen
einzigartigen Zusammenschluss der europäischen Nationen auflösen.
Der Verbund der europäischen Länder erhält seine Einzigartigkeit auch durch die
Vielgestaltigkeit der Natur und der Vielfalt der Kulturen. Gerade die Vielfalt der Ideen
und die unterschiedlichen Verhaltensmuster verleihen Europa seine Stärke. Sie alle
bereichern den Kontinent auf ihre Weise und machen ihn besonders. Die
Notwendigkeit gemeinsamer Regeln bedeutet nicht Zentralisierung und
Gleichmachung aller europäischen Völker. Jedes System braucht feste Regeln, um
funktionieren zu können. Wer die Zeichen der EU - Flagge, Währung und Hymne einmal genau betrachtet, erkennt in allen das Motto „Einheit in der Vielfalt“.
Die Idee eines geeinten Europas ist besonders stark in der europäischen Hymne zu
erkennen. Die Ode an die Freude von L. v. Beethoven ist wohl der feierlichste Aufruf
an die Menschen, sich zusammenzuschließen. In diesem gewaltigen,
freudengetränkten Stück tritt der Gedanke der Einigung der Menschen klar zum
Vorschein. „Alle Menschen werden Brüder“, schrieb Schiller als Text. Diese
freudenvolle Vision von den Menschen, die zusammenfinden, gleich welcher
Herkunft sie sind und welche Interessen sie haben, eint alle und kennt keine
Grenzen; weder die der Länder noch die der Gesellschaftsschichten. Die Botschaft
Beethovens ist klar und deutlich und führt uns zurück zu den kulturellen Wurzeln der
europäischen Einigung. Die Menschen Europas müssen zusammen wachsen. Nicht
die Politik, nicht die Regierung, nicht die Politiker schaffen Europa, sondern die
Bürger. Allein wir haben die Macht, Europa durch unsere Begeisterung für diese
Vision zu einen. Diese Macht gilt es zu gebrauchen.
Wer sich für die EU begeistert und sich mit Europa verbunden fühlt, der wird sich
auch durch sein Engagement für die Union auszeichnen. Denn was man gutheißt
und schätzt, das unterstützt man auch. Das gilt nicht nur für das Privatleben, sondern
auch für das öffentliche Wirken eines jeden Bürgers.
Die EU stärkte 2009 mit dem Vertrag von Lissabon die Demokratie auf Europaebene.
Die Stimme jedes europäischen Bürgers erhielt mehr Gewicht. Außerdem wurde zum
ersten Mal eine Möglichkeit für die Bürger geschaffen, direktdemokratisch auf die
Politik der EU einzuwirken. Wir haben nun die Chance, mit der europäischen
Bürgerinitiative unsere Interessen durchzusetzen und ein Europagesetz zu
28
beantragen. Trotz dieser Erneuerungen entziehen sich immer mehr Bürger der
Politik. Ganz besonders weit weg erscheinen ihnen dabei Europa und die EU.
Wenn sich in einer Demokratie die Bürger von der Politik fernhalten, verliert das
System sein Gleichgewicht. Es gerät ins Wanken. Eine Demokratie lebt von dem
Engagement ihrer Bürger. Sie benötigt ein Volk, das sich seiner Macht bewusst ist
und diese auch auslebt. Oder können Sie sich eine Demokratie ohne Demokraten
vorstellen? Es ist unsere Pflicht unseren Einfluss auszuüben, ansonsten könnten wir
sie verlieren.
Eine Staatsbürgerschaft bringt eine Verantwortung dem Staat gegenüber mit sich.
Somit bringt die EU-Bürgerschaft eine Verantwortung der EU gegenüber mit sich.
Wer sich der Politik aus Bequemlichkeit entzieht, handelt selbstbezogen. Man muss
sich für die Gemeinschaft, deren Teil man ist, einsetzen. Aktiv am politischen Leben
teilzuhaben und sich einzumischen sind Ziele, nicht aber ein nörglig-resigniertes
Abseitsstehen.
Politikverdrossene Menschen schaden sich selbst. Wer an den Fragen, die seine
Zukunft gestalten, bewusst keinen Anteil nimmt, über dessen Schicksal entscheiden
andere. Wer sich von der Politik fernhält, beraubt sich selbst seiner Mitgestaltungsund Mitentscheidungschancen. Dabei gibt es viele verschiedene Möglichkeiten sich
einzubringen.
Wählen zu gehen ist wohl die offensichtlichste davon. Alle fünf Jahre hat jeder
Bürger der EU die Möglichkeit direkt zu wählen, welcher Politiker Abgeordneter des
europäischen Parlaments wird. Bei der größten multinationalen Wahl der Welt
können wir bestimmen, wer die nächsten Jahre über wichtige Zukunftsfragen
debattiert. Dabei spielt nicht nur die Finanzpolitik eine wichtige Rolle. „Wie können
wir den CO2-Ausstoß minimieren? Woher beziehen wir in Zukunft unsere Energie?
Und wie können wir die Überfischung der Weltmeere stoppen?“ Das sind genauso
wichtige Fragen wie „Auf welche Weise können wir Terrorismus vermeiden? Wie
bekämpfen wir Armut in Entwicklungsländern am besten und stärken stattdessen
Demokratie und Menschenrechte? Wird in Zukunft auch die Türkei ein Mitglied der
EU sein? Wer darf nach Europa einwandern?“ Über all das diskutiert das
europäische Parlament und trifft Entscheidungen. Es verfügt dabei über das Recht,
zusammen mit dem Rat Gesetze zu erlassen und bestimmt auch über den
europäischen Haushalt. Es ist eine starke Gestaltungsmacht der EU.
Außerdem kann man mit Feder und Stimme viel bewegen. Niemand kann
behaupten, dass ihn die Themen der europäischen Politik nichts angingen. Daher
sollte sich jeder für seine Interessen einsetzen. Auch wer Leserbriefe schreibt,
Websites erstellt, Bürger informiert oder Demonstrationen organisiert, nimmt am
politischen Leben teil. Er unterstützt damit nicht nur seine eigenen Ziele, sondern
stärkt auch die Demokratie und damit die EU.
Genauso kann man sich direkt an die Politiker wenden. Der europäische
Bürgerbeauftragte hat allein die Aufgabe, unseren Fragen und Beschwerden Rede
und Antwort zu stehen.
Mehr als ein einzelner Bürger können jedoch organisierte Interessengruppen
erreichen. Nichtregierungsorganisationen können Druck auf die Politik ausüben.
Zivilgesellschaften
wie
Wohlfahrtsverbände,
Forschungsgruppen
oder
Gewerkschaften gestalten alle unseren Alltag. Durch ihren Einfluss auf die
Gesellschaft erlangen sie Einfluss auf die Politik.
2009 eröffnete sich auch eine ganz neue Möglichkeit, sich politisch einzumischen
und Diskussionen anzuregen. Die Möglichkeit eine Bürgerinitiative europaweit zu
starten. Bürger aus ganz Europa können sich zusammenfinden und sich gemeinsam
für ein Ziel stark machen. Damit werden die Bürger selbst zum Auftraggeber eines
29
Gesetzes. Sie erhalten die Chance, dem europäischen Parlament ihre Interessen
deutlich zu machen. Vertreter einer Bürgerinitiative können unmittelbar als Initiator an
politischen Entscheidungen teilhaben. In der ersten europäischen Bürgerinitiative
forderten eine Million Menschen den Zulassungsstopp genmanipulierter Pflanzen.
Eine weitere Gruppe sammelt im Moment Unterschriften um das Menschenrecht, das
die UN 2010 beschlossen hat, durchzusetzen - das Recht aller Menschen auf
Wasser und eine sanitäre Grundversorgung. Die Bürgerinitiative ermöglicht es,
unseren Zielen nicht nur europaweit Gehör zu verschaffen, sondern sie auch
europaweit durchzusetzen.
All dies hilft, dass auch Europa endlich eine breite Öffentlichkeit erhält. Denn diese
bedarf keiner gemeinsamen Sprache, wie die Schweiz zeigt, sondern der
Begeisterung, dem Engagement und dem Zusammenhalt der Bürger.
Jeder Bürger Europas sollte sich also dreier Punkte bewusst sein:
Erstens: Seit Langem schon leben die europäischen Völker nicht mehr abgegrenzt
voneinander und ihre Wirtschaften sind nicht mehr getrennt. Jeder kann sich frei in
Europa über Landesgrenzen hinweg bewegen, dort arbeiten und leben. Durch die
gemeinsame Währung haben wir eine enge Wirtschaftsunion. Also warum sollten wir
noch länger in unserem Kopf diese Mauern aufrechterhalten? Unser Denken muss
frei sein von Mauern und Staatsgrenzen. Es ist lächerlich, sich in einer Welt, die von
Großmächten geprägt ist, selbst zum Zwerg zu machen. Dieser Zwerg wäre dazu
verdammt zwischen den Riesen unterzugehen.
Zweitens: Wir müssen bestehende Konflikte auflösen, andernfalls wird nie Einigkeit
zwischen den europäischen Völkern herrschen können. Allein wir Bürger haben die
Macht, das Zusammenleben der europäischen Völker zu gestalten. Denn keinen
Krieg mit seinen Nachbarn zu führen ist nicht genug. Unser Ziel ist die Freundschaft
aller europäischen Länder. Wenn wir uns für die Idee Europas begeistern, wird unser
Ziel Wirklichkeit werden.
Drittens: Europa und die EU können ohne das politische Engagement ihrer Bürger
nicht bestehen und den globalen Herausforderungen gerecht werden. Denn wir sind
es, die den Politikern die Macht zu handeln und zu entscheiden verleihen. Wenn wir
dessen müde werden sollten hätte das fatale Folgen für das System, in dem wir
leben. Die Union würde zu einem undurchschaubaren Spiel von abgehobenen Eliten
werden. Diese wären machtlos gegenüber den Finanzmärkten, da sie nicht über „die
freie Kraft, Intelligenz und Dynamik der Bürger verfügten“ 1. „Frage [also] nicht was
Europa für dich tun kann, sondern was du für Europa [...] tun kannst!“ 35
Wenn wir uns dieser drei Punkte bewusst sind und nach ihnen handeln, dann tragen
wir auf unersetzliche Weise dazu bei, Europa zu gestalten. Dann sind wir gute
europäische Bürger.
Die EU ist es wert, dass wir uns für sie begeistern und einsetzen. „Es ist wahrlich
fantastisch, was dieser Kontinent geschafft hat, als er sich von einem des Krieges zu
einem Kontinent des Friedens wandelte“, sprach der Norweger Thorbjörn Jagland,
als er der Europäischen Union den Friedensnobelpreis 2012 überreichte. Dieser
erinnerte uns wieder daran, um was es bei der europäischen Union wirklich geht.
Nämlich um die Freundschaft zwischen den Staaten und die Verbrüderung der
Menschen. Bis diese Vision vollständig Realität geworden ist, wird es noch eine Zeit
dauern. Doch wenn wir „das Erreichte hüten und das Geschaffene verbessern“, wie
Jagland sagte, kann Europa in eine erfolgreiche Zukunft blicken.
http://www.ftd.de/politik/europa/:mythen-europas-mehr-begeisterung-fuereuropa-aber-wie/70117287.html
35
30
Wenn wir nun zurückdenken an Perikles, dann sehen wir, dass wir zu dem gleichen
Schluss gekommen sind wie er. Denn wir können nicht nur durch Worte die Stille
vertreiben, sondern auch unsere Taten für sich sprechen lassen.
Der Satz „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ gilt wie so vieles der Griechen bis
heute und hat in zweitausend Jahren nichts an seiner Aktualität verloren. Das
Wohlergehen einer Gemeinschaft hängt von ihren Mitgliedern ab. Nur wer sich für
seine Gemeinschaft einsetzt, ist ein guter Bürger.
Quellenverzeichnis
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Broschüre Europa 2012 des Europäischen Parlaments
Reichstein, Ruth (2012). Die 101 wichtigsten Fragen: Die Europäische Union. 1.
Auflage, München: Beck
Frisch, Stephan (2007). Taschenatlas Europäische Union. 3.Auflage, Stuttgart: Klett
Weeber, Karl-Wilhelm (2012). Hellas sei Dank! Was Europa den Griechen schuldet.
1. Auflage, München: Siedler Verlag
Winkler, Ulrich (2004). Kompakt-Wissen Geschichte Abitur, 1. Auflage, Freising:
Stark Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Abromeit, Heidrun (2002). Wozu braucht man Demokratie? Das Individuum und
seine Autonomie. 1. Auflage, Opladen: Leske + Budrich
Dr. Reichinger, Martin (2010). Mensch & Politik. 1. Auflage, Braunschweig:
Schöningh Winklers GmbH
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http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/35799/verfassung-dereuropaeischen-union (09.12.12)
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opa (09.12.12)
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http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-12/eu-nobelpreis-oslo (04.01.2013)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/friedensnobelpreis-geht-an-eu-a-860905.html
(04.01.2013)
http://www.ftd.de/politik/europa/:mythen-europas-mehr-begeisterung-fuer-europaaber-wie/70117287.html (26.01.2013)
http://www.ftd.de/politik/europa/:mythen-europas-taugt-die-eu-als-vorbild-fuer-diewelt/70114303.html (26.01.2013)
http://www.ftd.de/politik/europa/:pro-und-contra-bruessel-schuetzt-uns-dieeu/70111656.html (26.01.2013)
http://ec.europa.eu/citizenship/about-the-europe-for-citizens-programme/how-to-takepart/index_en.htm (26.01.2013)
31
5. Rang: Philipp Drixler, Justinus-Kerner-Gymnasium Weinsberg
Ich darf Sie alle herzlich willkommen heißen und freue mich sehr, dass Sie heute,
anlässlich der Veranstaltung „Europa rückt zusammen“36, so zahlreich hier in Brüssel
erschienen sind.
In diesem Jahr feiert die Europäische Union (EU) das „Europäische Jahr der
Bürgerinnen und Bürger“37. Heute vor 20 Jahren wurde eines der bedeutendsten
Gesetze für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union eingeführt. Mit dem
Artikel 17 des EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft)
eröffnete die EU ihren Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern viele neue, nie
dagewesene Perspektiven. Erstmals war es damals zum Beispiel Bürgerinnen und
Bürgern, die Staatsangehörige eines europäischen Mitgliedstaates waren, erlaubt,
sich im gesamten Gebiet der EU frei zu bewegen und aufzuhalten. Zudem stand
allen Bürgerinnen und Bürger mit einer Unionsbürgerschaft das Recht zu, in allen
europäischen Mitgliedsländern als ein Inländer behandelt zu werden.
Dies, meine Damen und Herren, ermöglichte vielen, vor allem jungen Leuten, auch in
einem Mitgliedsland der EU zu studieren und dort sogar eine Arbeitsstelle
anzunehmen38.
Ich denke, die Arbeit und die damit verbundenen erfolgreichen kleinen Schritte der
EU sind tagtäglich zu sehen, auch wenn sie vielleicht nicht für jeden auf den ersten
Blick ersichtlich sind. Ob es nun die Einführung der Unionsbürgerschaft oder
unzählige von der EU mitfinanzierte Projekte in den Ländern und Kommunen sind.
Nicht zuletzt haben Sie dies bei Ihrer Anreise zur heutigen Veranstaltung erlebt. Für
uns ist es heute selbstverständlich, doch noch vor 20 Jahren war es unvorstellbar die Abschaffung der stationären Grenzkontrollen dank des Schengener Abkommens!
Dies sind nur wenige Beispiele dafür, welche Möglichkeiten und Neuerungen die EU
ihren Bürgerinnen und Bürger geschaffen hat. Wenn man es nicht besser wüsste,
würde man meinen, dass sich die Beteiligung und die Zufriedenheit der Unionsbürger
mit der europäischen Politik stets auf einem hohen Niveau befunden hätten.
Jedoch sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Während im Jahr 1979
europaweit noch 63,0 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gingen, war bei der
letzten Europawahl 2009 in Deutschland nur noch eine Wahlbeteiligung von 43,3
Prozent und in ganz Europa sogar nur noch 43,0 Prozent39 zu verzeichnen.
Diese bedenkliche Entwicklung, sehr verehrte Anwesende, bedeutet, dass sich
weniger als die Hälfte der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger für die Europapolitik
interessiert beziehungsweise es für notwendig empfindet, sich zu äußern oder
Verantwortung zu übernehmen. Als Ergebnis muss festgestellt werden, dass das
36
fiktive Veranstaltung mit Parlamentariern und öffentlicher Beteiligung im Jahr 2013
vgl. Onlinepräsenz des Europäischen Wettbewerbs, Online: URL:
http://www.europaeischer-wettbewerb.de/start [Datum der Recherche: 25.11.2012]
37
38
vgl. Onlinepräsenz des Europäischen Parlaments, Online:
URL: http://www.europarl.de/view//Europa/EU_Vorstellung/Unionsburgerschaft.html
[Datum der Recherche: 25.11.2012]
39
vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, Online: URL:
http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-undfakten/europawahl/60473/wahlbeteiligung-1979-2009 [Datum der Recherche:
29.11.2012]
32
Mitspracherecht immer mehr ignoriert wird, sodass die „Stille“ im europäischen
Dialog immer größer wird.
Doch woraus resultiert dieser Trend? Und was können wir gemeinsam unternehmen,
um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Um das zu erklären, möchte ich die Meinung des hellenischen Staatsmannes
Perikles zur Hilfe nehmen. Dieser sagte in seiner Staatsrede 430 v. Chr. zum
Andenken an die im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges Gefallenen, dass der
Bürger, der keinen Anteil an den politischen Geschäften nimmt, kein stiller Bürger,
sondern ein schlechter sei40.
Oder um es anders auszudrücken: Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger!
Wenn man bedenkt, dass die heutige Zeit als schnelllebig und auch sehr vergänglich
angesehen wird, ist es doch erstaunlich, was diese knapp 2400 Jahre alte Aussage
auch heute noch für uns eine tagesaktuelle Bedeutung hat.
Man erkennt daran, dass die Themen Partizipation / Verantwortung / Teilhabe schon
damals diskussionswürdig waren und es wohl auch zukünftig bleiben werden.
Jedoch drängen sich folgende Fragen auf:




Was macht einen guten Bürger aus?
Muss sich dieser jeden Tag mit der europäischen Politik beschäftigen?
Muss er sich in einer Partei engagieren?
Ist ein „lauter Bürger“ im Umkehrschluss automatisch ein guter Bürger?
Um Antworten auf diese Entwicklungen zu finden, müssen wir erst versuchen zu
ergründen, warum sich immer mehr Bürger „still“ verhalten.
Ich persönlich denke nicht, dass die Politikabstinenz nur auf eine
Politikverdrossenheit reduziert werden kann. Vielmehr ist meines Erachtens auch
eine Ursache, dass die Informationsweitergabe zwischen Politik und einfachem
Bürger zu kompliziert geworden ist und zu sehr in den letzten Jahren unter medialer
Einwirkung, beziehungsweise medialer Lenkung gelitten hat.
In jedem Staat gibt es mindestens eine mediale Einrichtung, vor allem bei Zeitungen
und Fernsehsendern, die sich in ihrer Berichterstattung weniger auf rationale Fakten
berufen, als auf „verkaufsfähige“ Schlagzeilen und Reportagen. In Deutschland ist
die „Bildzeitung“ ein Beispiel eines solchen Medienapparates. Falls dort ein Artikel
über die EU erscheint, stellt dieser oft nur negativ die Schuldenkrise in Europa dar
und hinterfragt gleichzeitig in diesem Zusammenhang die ganze Idee der EU.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, meine Damen und Herren, ich habe nicht
speziell etwas gegen solche Medien, jedoch wird dem Leser meist nur ein
„schlechtes Image“ der Europäischen Union vermittelt, wogegen ihre Potentiale und
Chancen wenig kommuniziert werden.
So ist es kein Wunder, dass viele Menschen nur noch mit den Augen rollen, wenn sie
auf das Thema EU angesprochen werden. Deshalb kann man sagen, dass ein
Großteil der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sich auf Grund von einseitiger
Berichterstattung von dem Thema Europapolitik abwendet, ohne wirklich zu wissen,
welche Möglichkeiten und Chancen die EU für sie persönlich birgt. Sie werden zu
politisch passiven und somit zu „stillen“ Bürgern.
40
vgl. Wikipedia, Online: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Perikles [Datum der
Recherche: 25.11.2012]
33
Um nochmals Perikles zu bemühen, frage ich nun: Wie sieht überhaupt ein guter,
„lauter“ Bürger aus?
Zuerst einmal kann man sagen, dass ein „guter“ Bürger nicht unbedingt in einer
Partei Mitglied sein muss. Es gibt heute viele Menschen, die durch ihre Arbeit und
die Familie sehr eingespannt sind. Es wäre dann zu viel verlangt, wenn sie sich noch
mit einer Parteimitgliedschaft einer zusätzlichen Belastung aussetzen müssten.
Meines Erachtens ist es jedoch notwendig, dass die Unionsbürgerinnen und
Unionsbürger sich engagierter an der Europäischen Politik beteiligen. Damit meine
ich aber nicht nur eine punktuelle und temporäre Teilnahme41, zum Beispiel sich in
Bürgerinitiativen zu beteiligen, die einen „nur persönlich“ betreffen, ohne dass ich
diese Möglichkeit abwerten will. Eine kontinuierliche Teilnahme an den politischen
Geschäften der Europäischen Union muss das Ziel sein. Diese beinhaltet, dass man,
sofern die Möglichkeiten dazu bestehen, sich über die EU und deren Politik laufend
informiert.
Es gibt ein enormes Informationsangebot im Internet oder auch bei den regionalen
europäischen Kreisverbänden. Im heutigen digitalen Zeitalter sollte also die kritische
Informationsbeschaffung kein Problem mehr darstellen.
Des Weiteren sollte man versuchen, wieder mehr an den Europawahlen
teilzunehmen und auch seine Freunde dazu aufzufordern, denn eine so niedrige
Wahlbeteiligung wie im Jahr 2009 hat der europäische Gedanke nicht verdient.
Europa muss wieder mehr zusammenrücken und seine Stärke im Zusammenhalt
aller Länder präsentieren. Nur so kann man diese schwere Krisenzeit überwinden
und für die gemeinsame Zukunft neue Strategien, Möglichkeiten und Visionen
schaffen.
Ich denke auch, dass jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger und damit
natürlich auch Sie, meine Damen und Herren, eine gewisse Pflicht haben, sich an
diesem Prozess zu beteiligen. Wenn man bedenkt, was die EU für jeden von uns
schon an Vorteilen gebracht hat, so muss man auch bereit sein, ein Stückchen
zurückzugeben, und wenn es „nur“ die eigene Meinung oder die Beteiligung an den
Wahlen ist.
Das Grundelement einer Demokratie, so wie wir sie hier in Europa haben, ist der
Bürgerwille! Ohne diesen ist die Demokratie nicht mehr repräsentativ, sondern nur
noch ein Interessenskonflikt einiger weniger Parteien. Deshalb müssen die
Bürgerinnen und Bürger wieder neue Motivation finden, um wieder aktiv und „lauter“
an der Politik in Europa teilzunehmen.
Es gibt einige Verbesserungsmöglichkeiten, um die breite Masse wieder mehr zu
mobilisieren. Zum einen von der politischen Seite, aber auch auf Seiten jedes
einzelnen Bürgers der EU.
Zuerst einmal braucht es mehr Aufklärung und Information zu folgenden Fragen:


Was verbirgt sich hinter der EU?
Was tut die EU für mich?
41
vgl. Kretschmann im Interview „Jeder erhabene Gedanke kann sich an der Wirklichkeit blamieren“,
Süddeutsche Zeitung, Online: URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/winfried-kretschmann-dasvolk-ist-nicht-duemmer-oder-klueger-als-eine-parlamentsmehrheit-1.1086339-2
[Datum der Recherche: 25.11.2012]
34

Was tut die EU für mein Bundesland,
für Deutschland und für die europäische Gemeinschaft?
Dies sind alles Fragen, die eigentlich jeder Unionsbürger für sich beantworten
können sollte. Wie zu Beginn schon erwähnt, ist dies leider häufig nicht der Fall.
Die gesellschaftlichen Assoziationen mit der EU sind meist mit Begriffen wie Krisen
und Schulden belegt. Deshalb muss eine Aufklärung über die wirklichen Belange der
EU besonders in unserem täglichen Leben stattfinden. Das kann zum Beispiel mit
Artikeln zur EU in der jeweiligen Regionalzeitung geschehen oder durch Beiträge in
regionalen Radio- und Fernsehsendern. Das sind öffentliche Einrichtungen, die auch
einen Bildungsauftrag haben, meine Damen und Herren! Dieser Bildungsauftrag
sollte von einem regional - staatlichen Bildungsauftrag zu einem
regional - staatlich - und europäischen Bildungsauftrag erweitert werden.
Darüber hinaus müssen auch die jeweiligen staatlichen Parteien mehr über ihre
europapolitischen Konzepte aufklären. Beziehungsweise, da es keine Staatsparteien
im europäischen Parlament gibt, sondern nur übergeordnete Fraktionen, sollten
diese über ihre politischen Konzepte und Ziele stärker informieren.
Ein weiterer Punkt ist die generationenübergreifende Einbeziehung in EUAngelegenheiten. Ein erster Schritt wurde hier schon im letzten Jahr unter dem Motto
„Europäisches Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“ 42
gemacht. Es wurden einige Projekte initiiert, die den Generationenaustausch fördern.
Diese Projekte müssen unbedingt weitergeführt werden und dürfen nicht einmalig
bleiben. Denn der Austausch von Erfahrungen und neuen Bedürfnissen ist
grundlegend für ein harmonisches und zukunftsfähiges Miteinander innerhalb der
EU.
Des Weiteren muss auf regionaler Ebene der europäische Gedanke wachsen. Die
Damen und Herren Europaabgeordneten sind oft schon engagiert in ihren
Wahlkreisen unterwegs, besuchen Schulen und andere Institutionen. Ich wünsche
mir aber mehr Veranstaltungen in den Kommunen, die sich mit EU-Angelegenheiten
beschäftigen. Nur durch Präsens und lebhafte Diskussionen kann sich der Einzelne
ein kritisches und konstruktives Bild von Europa machen. Solche Veranstaltungen
könnte man attraktiv gestalten, indem populäre und engagierte Europäer,
Wissenschaftler, regionale Politiker und regionale Europaabgeordneten sich daran
beteiligen, ob mit ihrer Anwesenheit und Teilnahme an der Diskussion oder per LiveChat im Internet. Somit hätte man eine direkte Mitwirkung und Resonanz zu den
Diskussionsergebnissen. Ich denke, derartige Veranstaltungen würden großen
Zuspruch in der Bevölkerung finden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der interkulturelle Austausch stärker gefördert
werden muss. Vorreiter hierfür sind internationale Partnerschaften von Gemeinden,
wie sie vor allem zwischen Deutschland und Frankreich praktiziert werden. So
könnten sich beispielsweise Partnerschaftsnetzwerke mit mehreren Gemeinden aus
den verschiedenen Mitgliedsstaaten zusammentun und sich jeweils in einem
unterschiedlichen Staat der EU treffen. So verbindet zum Beispiel ein Band der
Freundschaft meine Heimatgemeinde Obersulm mit Partnergemeinden in Frankreich,
Österreich und Ungarn. Partnerschaftstreffen mit Bürgerinnen und Bürgern aller
42
Onlinepräsenz des Europäischen Wettbewerbs, Online: URL:
http://www.europaeischer-wettbewerb.de/ablauf-und-ergebnisse/praemiertearbeiten/2012-europa-meine-deine-unsere-zukunft/ [Datum der Recherche:
25.11.2012]
35
Gemeinden spiegeln die Vielfalt Europas! Sie stärken das europäische Gemeinschaftsgefühl, fördern das Verständnis der verschiedenen Kulturen in Europa und die
Freude an Begegnungen und damit auch die Freude an Europa.
Ich kann nur zur Nachahmung dieses Beispiels ermuntern!
Dies, meine Damen und Herren, sind einige Beispiele wie Bürgerinnen und Bürger
die Zukunft in Europa „mit-gestalten“ können, sich ihrer Stimme in Europa bewusster
werden, um sich „laut“, das heißt aktiv, einzubringen.
Schlussendlich liegt es an uns, den Bürgerinnen und Bürgern der EU, ob wir als
„stille Bürger“ im Sinne von Perikles die politischen Entscheidungen einer Minderheit
überlassen oder ob wir diese Chancen und Angebote, die uns unsere Demokratie
bietet, wahrnehmen. Jeder Einzelne ist aufgefordert sich zu engagieren und
möglichst auch Freunde und Bekannte zu motivieren, sich an der Gestaltung
Europas aktiv zu beteiligen.
Denn nur durch das persönliche Engagement in Verbindung mit einem
„Zusammenrücken“ der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger lässt sich eine positivdynamische Zukunft der Europäischen Union bewerkstelligen.
In diesem Sinne lautet mein Appell:
Rückt zusammen!
Für uns und die Zukunft unserer Kinder!
Für ein friedliches, freies, demokratisches und lebendiges Europa!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Literaturverzeichnis
Internet
 Bundeszentrale für politische Bildung, Online: URL:
http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-undfakten/europawahl/60473/wahlbeteiligung-1979-2009 [Datum der Recherche:
29.11.2012]
 Onlinepräsenz des Europäischen Parlaments, Online: URL:
http://www.europarl.de/view//Europa/EU_Vorstellung/Unionsburgerschaft.html
[Datum der Recherche: 25.11.2012]
 Onlinepräsenz des Europäischen Wettbewerbs, Online: URL:
http://www.europaeischer-wettbewerb.de/start [Datum der Recherche:
25.11.2012]
 Kretschmann im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, Online: URL:
http://www.sueddeutsche.de/politik/winfried-kretschmann-das-volk-ist-nichtduemmer-oder-klueger-als-eine-parlamentsmehrheit-1.1086339-2 [Datum der
Recherche: 25.11.2012]
 Wikipedia, Online: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Perikles [Datum der
Recherche:25.11.2012]
36
6. Rang: Verena Mayer, Hölderlin-Gymnasium Nürtingen
Wieder einmal ist es soweit: Die alljährliche Europawoche vom 4. bis zum 12. Mai 1
rückt beständig näher. Allerdings ist die diesjährige Aktionswoche nicht wie jede
andere. Denn es ist die Europawoche 2013! Und das Jahr 2013 steht ganz im
Zeichen Europas und der EU. Ich denke dabei an den 50. Jahrestag des ElyséeVertrags zur deutsch-französischen Freundschaft. Und vor allem auch an die
Inkraftsetzung des Vertrags von Maastricht zur Gründung der Europäischen Union,
die sich dieses Jahr zum 20. Mal jährt.
Sie sehen, es handelt sich bei der diesjährigen Europawoche wirklich um etwas ganz
Besonders. Und wir feiern diese Woche auch nicht allein. Ganz Europa feiert mit uns!
Und deshalb freue ich mich auch sehr, dass ich zu diesem für uns alle so
besonderen Anlass hier sprechen darf!
Sie können mir glauben, dass ich mir sehr lange überlegt habe, was ich dazu sagen
möchte. Ich habe mir diese Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht, denn obwohl
es darüber genug zu sagen gäbe, möchte ich keine pessimistische Rede halten über
die Probleme, an denen Europa täglich krankt. An Pessimismus gibt es in Europa
nämlich wahrhaftig genug. Radio und Zeitungen sind tagtäglich voll davon:
„griechische Zahlungsfähigkeit heruntergestuft, Verdacht der Geldwäsche in
Zypern…“2 Sie kennen selbst genug von diesen Schlagzeilen, ich möchte Sie damit
nicht langweilen. Und erst recht möchte ich heute nicht darüber sprechen, denn
diese Dinge sind zwar ernste Themen, über die man sehr wohl sprechen sollte. Aber
es gibt eine Zeit für alles und mir scheint, als wäre heute kein guter Tag, um sich in
pessimistischen Zukunftsprognosen zu verlieren. Denn hätten unsere Vorfahren dies
getan, gäbe es Europa heute vermutlich noch nicht.
Pessimismus würde dem heutigen Anlass auch nicht gerecht werden. Darum sollten
wir heute lieber darüber nachdenken, was für Vorteile und Verbesserungen uns
diese 20 Jahre seit der Entstehung der EU gebracht haben, wie wir diese nutzen
können und vor allem positiv in die Zukunft blicken. Wir haben allen Grund dazu!
Und dies bringt mich nun dazu, worüber ich gerne zu Ihnen sprechen möchte: Es ist
noch gar nicht so lange her, dass ich, noch während ich über diese Rede
nachdachte, in einem Buch* über ein Zitat des bekannten altgriechischen
Staatsmannes Perikles gestolpert bin: „Ein stiller Bürger
* fiktives Buch
ist kein guter Bürger“. Da wurde mir urplötzlich war klar, was für eine ungeheure
Bedeutung die EU-Mitgliedschaft eigentlich für uns und unser Leben besitzt.
Genau darum geht es mir heute: was die EU für jeden einzelnen von uns bedeutet…
warum jeder einzelne von uns den näher rückenden 20. Jahrestag ihrer Gründung
dankbar begehen sollte…und warum wir alle eine Gemeinschaft sind!
Aber was meinte Perikles jetzt mit diesem seltsamen Zitat? „Ein stiller Bürger ist kein
guter Bürger“. Wieso? Die lauten machen doch viel mehr Ärger? Wieso ist der Müller
im Nachbarhaus, der sein Radio immer voll aufdreht, denn bitteschön ein besserer
Bürger als ich? Die Stillen stören wenigstens keinen. Und überhaupt: Kann uns doch
egal sein, was da mal irgendwann irgendeiner, den sowieso keiner kennt, gesagt hat,
oder?
Nein, eben NICHT, meine Damen und Herren, weil dieser Mann so recht hatte! Er
hat mit diesem Ausspruch den Finger genau ins richtige Loch gelegt.
Denn natürlich hat er das „still“ im übertragenen und nicht im wörtlichen Sinn gemeint
und mit diesem weisen Satz auf die Bürgerbeteiligung abgezielt. Ohne
Bürgerbeteiligung funktioniert in einem Bundesland nämlich nichts, in einem Staat
37
erst recht nichts und in einer staatsübergreifenden Gemeinschaft, wie die EU eine ist,
schon mal überhaupt gar nichts.
Die Einbeziehung der Bürger ist das herausragendste Kennzeichen der Demokratie
und ihre wichtigste und deutlichste Abgrenzung gegen die Diktatur, dem ärgsten
Feind des Friedens.
Da die Europäische Union eine demokratische Einrichtung sein sollte und zur
Wahrung des Friedens auf dem europäischen Kontinent auch sein muss, ist die
Bürgerbeteiligung auch ihr wichtigstes Kennzeichen, das unabdingbar für ihr
Funktionieren ist.
Nimmt ein Bürger seine Möglichkeiten zur politischen Partizipation nicht wahr, äußert
er seine Meinung nicht, bleibt also still. Bleibt ein Bürger aber still, trägt er nichts zum
demokratischen Gelingen der EU bei und äußert dadurch sein Desinteresse am
Erhalt der EU und somit am Erhalt des Friedens, der unmittelbar mit der EU
zusammen hängt. Wer aber so desinteressiert an unserer aller Schicksal ist, den
kann man wohl wirklich nur noch einen „schlechten Bürger“ nennen.
Sie sehen also, was hinter diesem Zitat steckt. Sie sehen die Wichtigkeit der EU. Sie
ist ein Garant für Frieden und Demokratie. Für uns alle!
Aber was bedeutet die EU jetzt für unser Leben?
Die EU kann, sofern wir uns nicht wie schlechte Bürger verhalten, für uns die
Möglichkeit bereithalten, die Welt nach unseren Wünschen zu verändern. Wir haben
dank der EU die Möglichkeit, laut zu werden, unsere Stimme für unsere Ziele zu
erheben. Wir haben die Möglichkeit, unsere Meinung auf dem Wahlzettel kund zu
tun, aber nicht nur das. Es gibt noch viele andere Partizipationsmöglichkeiten, z.B.
die Einreichung einer Petition an das Europäische Parlament, die Kontaktaufnahme
zu dem Europäischen Bürgerbeauftragten oder die noch relativ junge, weil erst
letztes Jahr eingeführte, Europäische Bürgerinitiative.3 Wir haben so die Möglichkeit,
nicht nur unser eigenes Süppchen zu kochen, sondern wir können uns, zusammen
mit Menschen aus ganz Europa, für unsere Ziele einsetzen. Wir haben so die
Möglichkeit, Europa unmittelbar mitzugestalten und damit Einfluss auf die
Entwicklung eines ganzen Kontinents und somit auch der ganzen Welt zu nehmen.
Wir haben die Möglichkeit zu einer Gemeinschaft zu werden. Wir sind Europa!
Und auch wenn der Frieden unbestreitbar das höchste Gut der Menschheit ist, so hat
Europa dennoch weit mehr zu bieten.
Ich denke dabei gerade an uns, an die junge Generation. Denn wir profitieren
nämlich, genau wie alle anderen Generation, sehr von Europa. Als Beispiel denke
man dabei an die unzähligen Schüler- und Studentenaustausche, die alljährlich
stattfinden. Ein Schüleraustausch stellt für beide Seiten eine unglaubliche
Bereicherung dar und kann einen Horizont sehr erweitern. Ich spreche aus
Erfahrung. Die neu erlebte Kultur, die ganzen neuen Menschen, die man getroffen
hat, so viele neue Eindrücke, all das kann einen Menschen prägen. Ich selbst
möchte die Erfahrung meines Frankreichaustausches in der Mittelstufe nicht mehr
missen. Denn durch diese Erfahrung des vollkommen und rundum Neuen wird man
viel offener gegenüber fremden Personen und lernt, mit neuen Situationen fertig zu
werden. Das Zusammenleben gelingt so besser. Auch das ist ein Verdienst von
Europa.
Auch rein wirtschaftlich gesehen ist Europa natürlich eine große Chance. Ich weiß,
das hört sich angesichts der akuten Eurokrise wie blanker Hohn an, aber es ist die
reine Wahrheit. Europa ist wirtschaftlich eine Chance!
Denn haben Sie sich einmal überlegt, dass Sie ohne eine Europäische Union
morgen zum Frühstück keine Orange essen könnten? Dass Sie im Supermarkt nicht
rund ums Jahr Erdbeeren kaufen könnten? Wenn man die biologischen Aspekte
38
dazu einmal beiseitelässt, wird jeder feststellen, dass auch in diesem Punkt jeder
einzelne von uns profitiert.
Und wenn man bei dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt bleibt, auch wenn dieser in
der Idee der EU prinzipiell nicht im Vordergrund steht, so ergibt sich natürlich auch
der große Zuwachs an Arbeitsplätzen. Ohne Europa wären höchstwahrscheinlich
deutlich weniger Firmen sogenannte „Global Player“4, international agierende und
expandierende Unternehmen, die durch den Import und Export, zum Beispiel gerade
von Orangen und Erdbeeren, einen großen Bedarf an Mitarbeitern zu decken haben.
Außerdem warten in den europäischen Organen und der Lobby um sie herum
natürlich auch noch diverse Arbeitsplätze, für Übersetzer und Dolmetscher, für
Juristen, für politische Sprecher, Generalsekretäre, kurz: für qualifizierte
Arbeitnehmer aller Art. Europa schützt also, wenn man es als etwas gewagte These
ausformulieren möchte, sogar vor Arbeitslosigkeit!
Und ohne die EU wären für die meisten europäischen Bürger noch viele andere
Dinge nicht oder nur sehr erschwert möglich. Um Ihnen einmal einen Eindruck dieser
Dinge zu vermitteln, habe ich hier eine bunte Auswahl5 zusammen gestellt:
Urlaubsflüge in fremde Länder ohne Zollkontrollen, die umfassende
Gleichberechtigung von Mann und Frau, der ständige Zugriff auf sauberes
Trinkwasser, der Verbraucherschutz, das alles und noch viel mehr wird über die
Europäische Union festgelegt, ohne dass es uns wirklich zu Bewusstsein kommt.
Haben Sie sich schon mal klar gemacht, in wie viele unserer Lebensbereiche Europa
eigentlich hineinreicht? Wie sich unser Leben durch die EU verbessert und
vereinfacht hat?
Bürger in diktatorisch regierten Ländern, in denen jeder gegen jeden kämpft, Bürger,
die in Armut oder in der Diaspora leben, die unterdrückt und verfolgt werden, würden
für die Möglichkeit, in so einer ideellen und wirtschaftlichen Gemeinschaft zu leben,
sehr viel geben. Viele riskieren dafür sogar jeden Tag ihr Leben. Und viel zu viele
verlieren es leider auch dabei. Man muss nur mal in Richtung Arabische Welt
schauen, wo die Menschen reihenweise gemeinsam aufstehen, um sich die Freiheit
zu erstreiten. Wobei…soweit muss man nicht einmal gehen.
In unserem eigenen Land ist dieser Kampf um „Einigkeit und Recht und Freiheit“, um
unsere berühmten drei deutschen Werte, doch noch gar nicht so lange erst blutig
ausgefochten worden.
Ich rede vom Zweiten Weltkrieg!
Aber die Opfer, die damals gebracht worden sind, wurden nicht umsonst gebracht.
Denn sie bilden das Fundament unserer EU. Auf dem Trümmerhaufen des
damaligen Europas konnte ein vollkommen neues Europa erblühen. Ein Europa, das
heute völlig unmöglich erscheinen lässt, was damals gang und gäbe war: Soldaten,
die über den ganzen Kontinent marschieren, die in andere Länder einfallen,
Kriegserklärungen, Erschießungen wegen öffentlichen Meinungsbekundungen,
Bespitzelungen, Indoktrination und vor allem der übermenschliche Hass gegenüber
allen andersartigen.
Natürlich war Deutschland hier der Auslöser, aber die Konsequenzen betrafen
gesamt Europa und gingen noch darüber hinaus. Heute ist vor allem – und man
muss sagen „zum Glück!“ – dieser Hass aus den Köpfen verschwunden.
Heute müssen wir Europäer uns den Frieden auch nicht mehr erkämpfen. Denn für
uns ist Europa bereits so selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen. Aber wenn
wir uns klarmachen, wie die Welt vor der EU ausgesehen hat, dann finde ich, haben
wir allen Grund, um dankbar zu sein!
Auch das kann man in das Zitat von Perikles hineininterpretieren. Ein stiller Bürger,
der nichts zu der Entscheidungsfindung im politischen Prozess beiträgt, ist deshalb
39
ein schlechter Bürger, weil er den Schatz, der ihm durch die EU entsteht, nicht zu
würdigen weiß und nicht dankbar ist, für das, was er hat: den Frieden, in dem er lebt,
und sein Mitbestimmungsrecht, das ein großes Privileg ist!
Lassen Sie uns den heutigen Tag mit dem Wissen begehen, dass die Welt durch
Europa ein gutes Stück besser geworden ist. Und auf diese Entwicklung kann durch
die EU jeder einzelne von uns Einfluss nehmen. Keiner muss sich übergangen
fühlen, keiner muss hinten anstehen.
Das ist das Vermächtnis, dass uns die Gründer der Europäischen Union hinterlassen
haben. Wir wären undankbar zu nennen, wenn wir nicht mit all unserer Kraft
versuchen würden, dieses Europa zu hegen und zu pflegen.
Ich sehe jedoch Ihren Gesichtern an, dass Sie sich fragen, wie Sie mit all Ihrer Kraft
an die glückliche Zukunft Europas glauben sollen, wenn Sie doch täglich in den
Medien daran erinnert werden, dass Europa auch recht bald scheitern kann. Aber ich
frage Sie: Gibt es nicht immer die Möglichkeit zu scheitern? Wir Menschen müssen
lernen, mit dieser Möglichkeit leben zu können. Wir müssen lernen, trotz dieser
Möglichkeit andere Möglichkeiten zu suchen und zu finden. Wir müssen lernen,
Visionen zu haben. Auch Visionen sind ein wichtiger Baustoff der EU. Glauben Sie,
die Gründer der EU wären sich nicht bewusst gewesen, dass ihr Projekt auch
grandios scheitern kann? Natürlich waren sie sich dessen bewusst.
Denn sie standen am Ende eines riesigen Krieges, der die Welt beinahe in den
Abgrund gerissen hätte. Und zuerst war die Einigung des damaligen Europas auch
auf rein ökonomischen Interessen gegründet. Die Vorläufer der EU, zuerst die
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die EGKS6 und hinterher die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die EWG, lassen ja schon an den Namen die
wirtschaftliche Orientierung erkennen. Sie sollten auch ursprünglich lediglich dazu
dienen, Europa, das nach dem Krieg wirtschaftlich vollkommen am Boden war,
wieder aufzurichten.
Aber die Männer und Frauen, die zur Schließung des Vertrags von Maastricht 1992
beigetragen haben, wollten mehr. Sie wollten weg von der ökonomischen Ebene und
hin zu der menschlichen, zu Völkerverständigung, zu Einigung und Einheit. Aber sie
waren sich bei allen Träumen von einem friedlichen, geeinten Europa, dass auch die
Menschen hinter der Wirtschaft wahrnimmt, nur allzu bewusst, dass die EU auch
sehr, sehr schnell an ihre eigenen Grenzen stoßen könnte, dass sich der Hass
zwischen den Völkern und die Schranken in den Köpfen als unüberwindbar
herausstellen könnten.
Wenn diese Männer und Frauen, die erst an den Anfängen der EU standen und noch
nicht wissen konnten, wie sich ihr „Hirngespinst“, für das sie womöglich noch
belächelt wurden, entwickeln würde, wenn diese Menschen ihre Hoffnung und ihren
Optimismus bewahren konnten, glauben Sie mir, meine Damen und Herren, dann
können wir, die wir ja schon auf 20 Jahre erfolgreiche Geschichte zurückblicken
können, dann können wir das erst recht!
Wir sollten den heutigen Tag deshalb nutzen, um dankbar zu sein, für das, was
schon erreicht wurde. Wir sollten den heutigen Tag aber auch nutzen, um
innezuhalten und uns zu überlegen, wie wir Europa in der Zukunft noch besser
gestalten könnten.
Ich spreche dabei gar nicht von der noch ausstehenden Lösung der Euro-Krise.
Denn natürlich muss diese Krise für ein stabiles Weiterbestehen der EU gelöst
werden. Aber die Zukunft Europas muss auch noch in anderen Aspekten geformt
werden. Wir sollten uns zum Beispiel überlegen, wie wir eine noch engere
Zusammenschließung aller europäischen Staaten und Völker erreichen könnten und
wie wir Barrieren, die noch bestehen, abbauen können. Denn trotz der
40
Osterweiterung der EU 2004 und 20076 bin ich der Meinung, dass die zukünftigen
Chancen der EU im Osten liegen. Wenn wir die ehemaligen Länder der Sowjetunion
ins Boot der Europäischen Union hereinholen würden, wäre das eine einzigartige
Chance, auch die letzten Barrieren zu überwinden, die in Europa entstanden sind,
als Ost und West durch den Eisernen Vorhang getrennt waren. Wir könnten diese
Trennung ein für alle Mal überwinden und statt der Trennung eine Vereinigung
herbeiführen, eine Vereinigung für immer!
Und hier an diesem Punkt kommt auf einmal wieder das Zitat von Perikles ins Spiel.
Denn um diese Vereinigung zu bewältigen, braucht die EU die Unterstützung ihrer
Bürger. WIR müssen diese Vereinigung auf den Weg bringen. Wir dürfen nicht auf
die Politiker vertrauen. Wir müssen selbst anpacken. Doch um Europa weiter zu
einen, brauchen wir keine stillen Bürger. Auch wenn der stille Bürger manchmal
bequemer für die Regierenden ist. Und auch wenn es manchmal der bequemere
Weg ist, still zu bleiben.
Nein, was wir brauchen, sind mutige Männer und Frauen, die bereit sind, für diese
Vereinigung Anstrengungen zu unternehmen, die bereit sind, dem Wunsch und der
Notwendigkeit nach einer fortschreitenden Einung stellvertretend für alle
europäischen Bürger ihre Stimme zu leihen und zu erheben. Solche Bürger brauchen
wir!
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, werden Sie zu lauten Bürgern! Für Sie selbst
und für andere! Denn die EU braucht Sie!
Glauben Sie nicht, dass man eh nichts erreichen würde, weil „die da oben“ sowieso
machen würden, was sie wollen. Denn nur, wenn man lernt, „die da oben“ zu stören
und sich nicht abschrecken und abwimmeln lässt, nur dann kann und wird man auch
etwas erreichen.
Denn obwohl wir dieses Jahr den 20. Jahrestag seit Inkraftsetzung der EU Gründungsverträge feiern, und mit ihnen alles, was bisher erreicht wurde, so gibt es
doch noch eine Menge zu tun.
Werden Sie zu lauten Bürgern und fordern Sie ein, was Ihnen zusteht und was
eigentlich schon längst umgesetzt sein sollte: Für noch mehr Bürgerbeteiligung und
Transparenz! Für ausgeprägtere Kommunikation zwischen den Einwohnern der EU!
Für noch mehr Einigung und Vereinigung! Für Demokratie und Frieden!
Und vielleicht sogar können wir alle zusammen den Gedankengang der EU-Gründer
zu Ende denken und eine übernationale, föderale Gemeinschaft schaffen! Die
Vorteile der EU, ob wirtschaftlich oder ideell, könnten sich dadurch nur verstärken!
Glauben Sie nicht, dass es sich dafür lohnt, zu einem lauten Bürger zu werden? Ich
glaube es mit meinem ganzen Verstand und mit diesem möchte ich Sie auch bitten:
Lassen Sie es uns versuchen! Es ist nicht so schwer, wie wir glauben!
Quellenverzeichnis
Direkt in der Rede verwendete Informationen (keine wörtlichen Zitate):

1
Webseite von Berlin, „ Das offizielle Hauptstadtportal“, Artikel zur Europawoche:
http://www.berlin.de/rbmskzl/europa/oeffentlichkeitsarbeit/europawoche.html 24.01.13
 2 Webseite von SPIEGEL Online: http://www.spiegel.de/thema/euro_krise_2010/
21.01.13
 3 Grafik „Partizipationsmöglichkeiten – Beispiele für Bürgerbeteiligung in der
Europäischen Union“ der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung:
http://www.bpb.de/themen/I3K62B,0,Partizipationsm%F6glichkeiten.html
41

4
Fischer Lexikon, Band 4, Seite 2260, Fischer Taschenbuchverlag GmbH, 2004,
Frankfurt am Main, Stichwort „Global Player“
 5 Grafik „Ich und die EU – EU im Alltag“ der Seite der Bundeszentrale für politische
Bildung: http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/42848/grafik-ichund-die-eu 23.01.13
 6 Seite der Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier „Europa kontrovers“ zu der
EU - Osterweiterung und Geschichte der EU:
http://www.bpb.de/internationales/europa/europa-kontrovers/38055/einleitung 20.01.13
und Seite des Europäischen Parlaments, Schlagzeilen zur EU – Osterweiterung:
http://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/content/20130121STO05413/html/Ba
lkan-Staaten-machen-Fortschritte-auf-dem-Weg-nach-Europa 23.01.13
Allgemeine Recherche zur EU:
 Seite des „Forum[s] junger Menschen zur Partizipation in Europa – Europa nur mit
uns!“, Zeitzeugenfilm zur Rede Charles de Gaulles vor der deutschen Jugend:
http://www.europa-nur-mit-uns.eu/zeitzeugen.html17.01.13 allgemeine Informationen
zu Europa und seiner Geschichte
 Webseite des „Portal[s] für Europäische Nachrichten, Hintergründe und Kommunikation
EurActiv“: http://www.euractiv.de/europa-2020-und-reformen/artikel/20-jahre-vertragvon-maastricht---europa-hat-mehr-mut-verdient-005941 23.01.13 Standpunkt von
Angelica Schwall-Düren (SPD) zum 20. Jahrestag der EU und zur EU selbst
42
7. Rang: Jurek Henselmann & Markus Truckses
Helene-Lange-Gymnasium Markgröningen
Hatten Sie bereits positive Konflikte beziehungsweise gibt es überhaupt positive
Konflikte? Hatten Sie bereits Auseinandersetzungen nach welchen Sie glücklich
waren, nach welchen Sie ausschließlich Zufriedenheit empfanden?
Natürlich gibt es solche positiven Konflikte – für einen selbst meist dann, wenn man
als Gewinner, als Sieger aus einer Debatte, aus einem Streit geht. Wenn man den
anderen fertig gemacht hat, ihn zu Boden geschlagen hat, wenn man selbst über
seinem Gegner steht. Doch diese Art von positiven Konflikten meine ich nicht, denn
mich interessiert es nicht, wenn irgendjemand durch irgendeinen Kampf an Ansehen
oder an Zufriedenheit gewonnen hat. Doch wenn man sagen kann, dass ein Konflikt
einen großen Teil einer Bevölkerung, einer Union verändert und zwar ins Positive,
dann hat das auch mich zu interessieren, denn auch ich bin ein Teil unserer
Bevölkerungen – genauso wie Sie es sind.
Positive Konflikte basieren auf der Meinungsverschiedenheit der Menschen, welche
für die Verbesserung einer Union unvermeidbar ist.
Demnach stellt sich die Frage, was für Bürger unsere Union für die sachliche
Austragung dieser positiven Konflikte braucht. Wie sollte ein perfekter Bürger
aussehen? Ein perfekter Bürger, welcher unsere Union positiv verändern kann?
Da es „den Perfekten“ in der Realität natürlich nicht gibt – lasst ihn uns doch einfach
mal backen.
Dazu nehme man eine Handvoll Vernunft und gebe diese in eine große Schüssel
Aktivität.
Fast jeder volljährige europäische Bürger hat in seinem jeweiligen Land, hat in
unserer Union das Recht seine Macht, welche er in der Demokratie hat einzusetzen.
Dies kann er in erster Linie bei den Wahlen z.B. den Bundestagswahlen tun. Leider
scheint dieses Recht, zumindest in Deutschland, nicht mehr von allzu großer
Bedeutung zu sein. Die Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen sinkt langsam
aber sicher – während 1998 noch 82 Prozent die Wahl besuchten, waren es 2009
nicht mal mehr 71 Prozent. Das ist ein Rückgang von fast 14 Prozent – innerhalb von
11 Jahren. Wenn wir so weiter machen beträgt die Wahlbeteiligung im Jahre 2021
gerade mal 61,1 Prozent - 2033 können wir die Bundesregierung dann losen.
Um dies zu verhindern sollte jeder von Ihnen, sollte jeder europäische Bürger,
weitere 3 Tropfen Information in seine Schüssel Aktivität geben. Es muss nicht
grenzenloses Wissen bezüglich Politik sein, es müssen nur 3 Tropfen Information
über sein Land, 3 Tropfen Information über das was in der Europäischen Union
abgeht sein. Einen Teil dieser Zutat gibt es am Kioskstand zu erwerben. Den zweiten
Teil Information können Sie sich täglich um 20 Uhr aneignen. Meist reicht hierbei ein
einziger Knopfdruck. Praktisch dabei: Innerhalb einer viertel Stunde wissen Sie über
das Gröbste bescheid. Wenn Sie Kinder haben, dann motivieren Sie diese ebenfalls
dazu, denn je früher diese Zugang zu politischen Themen finden, desto früher steigt
deren Interesse an Politik und auch an unserer Gesellschaft. Je früher Ihre Kinder
mit den Problemen in unserer Gesellschaft konfrontiert werden, desto früher
versuchen sie Lösungen zu finden und desto stärker ist später der Ehrgeiz
mitmischen zu wollen. Es ist Ihre Aufgabe ihrem Kind die Chance zu geben sich für
unser Land, für unsere europäische Union zu interessieren. Und das nicht nur ein,
zwei Mal. Geben Sie Ihrem Kind das dringende Gefühl der absoluten Notwendig des
Interesses an Politik und Ihr Kind wird das schon bald verstehen. Denn was soll aus
43
uns oder besser gesagt, was soll aus Ihnen werden, wenn sich in 20 Jahren niemand
mehr um unsere Nation beziehungsweise unsere Union kümmert? Wenn Sie zu alt
und zu schwach dazu sind? Und wenn Sie dann die Chance verpasst haben, Ihrem
Sohn oder Ihrer Tochter zu zeigen, wie wichtig es ist, sich in der Politik einzumischen
und mitzuwirken. Wenn Sie eventuell verpasst haben Ihren Kindern zu zeigen wie
wertvoll die Demokratie ist und wie scheußlich eine Diktatur oder ähnliches ist.
Bei mir hieß es früher meistens: Aber nach den Nachrichten geht’s ins Bett. Ich war
zufrieden, ich durfte eine halbe Stunde länger wach bleiben und dabei noch
fernsehschauen. Natürlich kannte ich damals noch nicht den Hintergedanken meiner
Eltern, doch es hat geklappt. Ich bin mit der Politik, mit den Nachrichten
aufgewachsen und lernte so schon früh Grundlegendes zu verstehen.
Schieben Sie die Aufgabe, ihrem Kind die große Welt der Politik, der
Wirtschaft und Ähnlichem zu zeigen, also auf keinen Fall komplett auf die Schulen
ab, denn nur Sie sind das Vorbild Ihres Kindes und diese Funktion kann Ihnen keine
Schule abnehmen. Dies sollte aber keinesfalls heißen, dass die Schulen keine
Verantwortung für die politische Bildung der Jugend hat. Ganz im Gegenteil,
politischer Unterricht ist ein wichtiger Bestandteil unseres Schulsystems und sollte in
Zukunft auch weiter gefördert werden. Denn nicht alle Erziehungsberechtigten sind in
der Lage ihre Kinder über die politischen Situationen aufzuklären. Ein
Klassenkamerad aus meiner Grundschulklasse sagte mir damals, dass seine Mutter
kaum deutsch spreche. Keine Einzelfall wie ich mittlerweile herausgefunden habe.
Wie soll diese Mutter in der Lage sein, ihrem Kind die politische Lage in Deutschland
beziehungsweise in Europa zu erklären? Wenn sie selbst das politische Geschehen
in ihrem eigenem Land nicht versteht?
Genau hier wird dies dann zur Aufgabe der Schulen beziehungsweise des Staates.
Dieser sollte dafür sorgen, dass jeder in Deutschland wohnende Bürger, dass jeder
in der Europäischen Union sesshafte Bürger das deutsche und europäische
politische System begreift, denn nur so können diese auch Zugang zum Thema
Politik bekommen – durch politische Bildung.
Doch zurück zu unseren Zutaten. Der dritte Tropfen Information ist ein Besonderer,
da er ein sehr stark dosierter Tropfen ist und deshalb nur gegebenenfalls
hinzugegeben wird. Nämlich dann, wenn Bundestags-, Landtags- oder andere
Wahlen anstehen. Vor den Wahlen sollte sich jeder Bürger mit den Wahlprogrammen
der verschiedenen Parteien auseinandersetzen. Da nicht jeden Sonntag gewählt
wird, sollte ein bisschen mehr Zeit in diesen Teil investiert werden. Es reicht also
nicht, wenn Sie während des Autofahrens hin und wieder einen Blick auf die
Wahlplakate werfen. Einmal meinte mein Cousin, er habe einen Freund, welcher
täglich auf das Zähneputzen verzichte und stattdessen jeden Abend auf einem
Zahnpflegekaugummi kaue. Das dieser Kaugummi für das Erhalten von gesunden
Zähnen nicht annähernd ausreicht, liegt auf der Hand. Und genauso reicht es nicht
aus, sich einen Flyer über die Wahlen durchzulesen, welchen man beim Einkaufen in
die Hand gedrückt bekommen hat. Denn auch Ihre Stimme entscheidet, welche
Partei vier Jahre lang die Macht haben wird.
Wichtig ist, dass Sie die Prise Verantwortung nicht vergessen, welche sofort nach
den Tropfen Information in unsere Schüssel Aktivität hinzugegeben werden muss.
Seien Sie dabei großzügig und lassen Sie die Prise eher etwas größer ausfallen.
Denn eines sollten Sie immer im Hinterkopf behalten, eines müssen Sie immer im
Hinterkopf behalten: Die Landtagswahlen, die Bundestagswahlen oder ähnliche
Wahlen sind nicht die Klassensprecherwahlen und auch nicht die Wahlen für den
Vorsitzenden Ihres Stammtisches. Die Partei, welche die Bundestagswahlen
gewinnt, wird vier Jahre lang die größte Macht über Ihr Land haben. Sie wird
44
Gesetze beschließen, sie wird die Steuern erhöhen, sie wird ausländerfeindlich
wirken oder die Atomkraftwerkzeit verlängern. Je nachdem, welche Prioritäten Sie
setzen wird sich zeigen, was Sie in die Wege leiten – oder auch nicht.
Einen zweiten Teil der Verantwortung erfüllen Sie bereits durch Ihre Teilnahme an
den Wahlen. Denn eine Volksherrschaft, bei welcher nur 2/3 des Volkes beteiligt ist,
ist keine Volksherrschaft mehr. Durch Ihre Nicht-Teilnahme tragen sie indirekt zu
einer Zerstörung unserer Demokratie bei, da dann nicht mehr die Meinung aller
Bürger, sondern lediglich die Meinung einiger Bürger unsere Zukunft entscheidet.
Damit wir jemanden wählen können braucht es natürlich auch Bürger, welche
sich aktiv in Parteien einsetzen, welche sich aktiv an der Politik beteiligen. Und diese
Bürger sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Demokratie – genauer gesagt
könnte unsere Demokratie ohne diese Personen nicht weiter bestehen. Wir sollten
diesen Bürgen folglich besonders dankbar für ihr Engagement und ihren Einsatz
sein.
Denn der Grundstein unserer Demokratie sind die verschiedenen Meinungen, welche
zusammen viele unterschiedliche Aspekte und Gedanken bei politischen
Entscheidungen aufwerfen. Und da wäre wieder dieser positive Konfliktpunkt:
Wir Menschen sind nicht alle einer Meinung was gut und wichtig ist. Wir sind weder
alle Befürworter von strengeren Internetkontrollen noch sind wir alle Gegner von
Kernenergie.
Und das Wichtigste dabei: Wir wissen, dass wir unsere Meinung auch vertreten
dürfen beziehungsweise vertreten sollten und wir wissen auch was passiert, falls
eine Meinungsgleichheit unter allen Bürgern eintreten sollte – wir kennen die
Gefahren. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 hat uns diesbezüglich gelehrt.
Doch diese Zeit hat uns noch viel mehr gezeigt, zum Beispiel was geschieht, wenn
sich die Menschen unterkriegen lassen, wenn sie sich nicht wehren, wenn sie still
sind. Und diesen Fehler, still zu sein, dürfen wir auf keinen Fall noch einmal machen.
Wir nehmen also 500 Milliliter Mut und geben diese zu unserem bisherigen
Gemisch bei. Nun sind wir in der Lage demonstrieren zu gehen.
Demonstrationsteilnehmer sind die Opposition unserer Bevölkerung und gerade
deshalb so wichtig für unser politisches Zusammenleben. Denn hier zeigt sich wieder
die Meinungsverschiedenheit untereinander, welche den Staat auf mögliche Fehler
aufmerksam machen kann. Handelt der Staat beziehungsweise die Regierung nur
noch in eigenem Interesse, so ist es unsere Aufgabe dies zu verhindern und der
Regierung zu zeigen, dass es so nicht geht. Man muss der Regierung zeigen, dass
sie nicht machen und lassen kann was sie will, dass man sie stetig unter Kontrolle
hat. Die Medien können wir dabei gerne als Vorbild nehmen: Sobald diesen etwas
faul erscheint, gehen sie dieser Sache nach. Wie sich in letzter Zeit gezeigt hat meist
auch mit Recht. Namen wie zu Guttenberg, Wulff oder aktuell auch Schavan sind
hierbei nur Stichwörter. Erst durch unsere ständige Kontrolle pushen wir die
Regierung zu Bestleistungen – und wir verhindern gleichzeitig weitere ähnliche Fälle.
Nun wird sich ein angehender Politiker sicherlich zweimal überlegen, ob er
tatsächlich seine Doktorarbeit durch unerlaubte Hilfe ein wenig schneller
voranbringen will.
Wir verlassen uns bei der Abgabe unserer Wahlstimme auf diese Partei,
diesen Politiker oder diese Politikerin. Wir haben ein gewisses Vertrauen in diese
Person, dass sie hält was sie versprochen hat und dass sie dabei immer fair und
korrekt vorgeht. Denn wir haben diese Partei nicht wegen ihres Namens und auch
nicht wegen ihrer Farbe gewählt, sondern ausschließlich wegen ihrer Einstellung zu
bestimmten politischen Angelegenheiten. Und wenn sich diese Einstellung auf
einmal ändert oder wenn auf einmal eine nicht-korrekte und eventuell sogar illegale
45
Vorgehensweise eines Politikers, einer Politikerin oder einer Partei zu Tage kommt,
dann dürfen wir, dann müssen wir unsere Unzufriedenheit zeigen und etwas
dagegen unternehmen.
Wichtig ist, dass wir dabei die Vernunft, welche wir ganz zu Beginn in unsere
Schüssel gegeben haben, nicht vergessen. Kommt es nun aufgrund einer
Demonstration zu einem Volksentscheid, so sollte das Ergebnis des
Volksentscheides akzeptiert werden. Denn ein Volksentscheid spiegelt die direkte
Meinung aller Bürger wider. Vorausgesetzt alle Bürger nehmen daran teil. Bestes
Beispiel: Stuttgart 21. Natürlich, es gibt immernoch einige Demonstrationen, doch
trotzdem wurde das Ergebnis des Volksentscheides anerkannt. Es wurde meist auch
von den Gegnern des Projektes akzeptiert. Man muss kein Befürworter des Projektes
werden, man sollte es nach dem Entscheid aber zumindest annehmen.
Und spätestens hier merken wir, welche Zutat unserem Gemisch noch fehlt.
Die Kompromissfähigkeit. Wir schneiden also circa 250 Gramm davon ab und geben
diese ebenfalls in unsere große Schüssel. Politisches Mitwirken ist wichtig und
wertvoll, nur auf seine Meinung zu bestehen ist allerdings kindisch.
Wenn jeder Bürger seine eigene Meinung durchbringen will, dann kann daraus nichts
werden. Ist Kompromissfähigkeit nicht vorhanden so führt dass nur zu Spannungen
oder sogar Krieg. In Syrien ein anhaltender Streit, weil keine Seite nachgeben will,
weil beide Seiten auf ihr Recht bestehen. Und auch hier lehrt uns erneut die
Vergangenheit zu deutlich: Im kalten Krieg gab es natürlich viele Aspekte, die in
dieser grausamen Zeit eine Rolle spielten. Einer davon war aber sicherlich die
fehlende Kompromissfähigkeit auf beiden Seiten. Sowohl die Kapitalisten als auch
die Kommunisten bestanden auf ihre Meinung. Was folgte wissen wir alle nur noch
zu gut: Es war ein negativer Konflikt, um es mal harmlos auszudrücken. „Negativ“
betone ich hierbei besonders, da ich vorher von positiven Konflikten gesprochen
habe, durch welche unser Zusammenleben verbessert wird. Positive Konflikte, durch
welche wir mit Hilfe unserer Stimme, mit Hilfe unserer Demonstrationen oder ganz
einfach durch unsere Aufmerksamkeit solche „negativen“ Konflikte verhindern. Denn
dass ein stiller Bürger kein guter Bürger ist, dass wusste bereits Perikles.
Letztendlich haben wir also eine riesige Schüssel Aktivität, welche uns aufgrund der
Vernunft zur Information führt. Durch ein wenig Verantwortung und Mut werden wir
unsere Union mit Einsatz, Engagement und Stolz ins positive Verbessern.
Und deshalb geben wir unserem Gemisch noch die Hefe hinzu, damit unser Bürger
auch aufgeht, heizen dann unseren Backofen auf 200°C ein, rühren noch einmal
kräftig um und fangen dann elanvoll an zu löffeln.
46
8. Rang: Georg Gauger, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“, dieses Zitat stammt von einem ehemaligen
führenden griechischen Staatsmann aus der Antike, Perikles. Er ist der Erbauer der
Akropolis und Mitbegründer der attischen Demokratie, die das Vorbild unserer
heutigen Demokratie ist. Dazu stelle ich mir die Frage, wenn die Staatsform aktuell
ist, ist dieses 2000 Jahre alte Zitat auch noch aktuell? Stichwort Bürgerbeteiligung in
der Europäischen Union?
Direkte und häufige Bürgerbeteiligung ist mit Bürokratie unlösbar verbunden,
aber auch mit der Demokratie. Es hat sehr viele Vorteile warum Bürger sich
einbringen sollten und warum sie, die Bürgerbeteiligung, meiner Meinung auch nötig
ist, auf der anderen Seite stehen die Fragen: Muss wirklich jeder Bürger seine
Meinung in eine Diskussion einbringen? Muss jeder eine Meinung haben? Muss
jeder kleine Beschluss zu einer großen Diskussion zwischen den Konfliktparteien
führen, nur weil dies ein wenig Veränderung für eine Minderheit bedeutet?
Die Unionsbürgerschaft kann man sich gut vorstellen als WG mit BigBrotherContainer. In einer WG leben viele unterschiedliche Menschen auf engem Raum
zusammen. Sie teilen sich Finanzen, Arbeit, ihr Bad und natürlich ihren Wohnraum.
Oft bilden sich in kürzester Zeit Probleme, sei es über den Putzplan oder über die
Finanzen. Warum BigBrother-Container? Ich stelle mir das Gefühl, in einer
Abstimmung zu sitzen und zu wissen- dass 100 000 Menschen, die alle auf mich
schauen, etwas erwarten, was andere 100 000 nicht wollen, so vor wie in einem
BigBrother-Container zu sitzen. Wie bei BigBrother, jeder kann einem bei allem
zuschauen und kann einen abwählen. Um jetzt aber zu der eigentlichen WG zu
kommen ein kurzes Beispiel, alles rein hypothetisch, ich möchte nicht, dass sich
jemand beleidigt fühlt: Mitbewohner Spanien hat den Putzplan, symbolisch für
Feinstaubrichtlinien, nicht eingehalten. In einer WG entwickeln sich zum einen solche
Situationen oft in eine unproduktive Richtung. Plötzlich nimmt auch Mitbewohner
Italien die Vorschriften nicht mehr so ernst und auch Deutschland. Dänemark und
Frankreich wollen von den Pflichten entbunden werden. Um einen Beitrag über WGs
der Süddeutschen-Zeitung zu zitieren: „Denken ist der Anfang vom Ende“. Jedenfalls
wenn es um die Einhaltung von Richtlinien geht.43
Aber braucht Europa wirklich eine aktive Bürgerbeteiligung um zu funktionieren? Ja,
natürlich! Wenn in unserer Euro-WG ein Mitbewohner beschließt, eine
Kaffeemaschine für alle von der Gemeinschaftskasse zu kaufen. Ohne Rücksprache
geht er jetzt eine Kaffeemaschine kaufen und fordert danach die Mitbewohner auf,
ihren Anteil zu bezahlen, da jetzt Teetrinkerin England ihren Anteil verweigert ist der
Streit vorprogrammiert.
Worauf ich hinaus will ist, dass um ein einheitliches System zu erreichen, die
Meinung von allen wichtig ist, da sonst nicht jeder bereit ist für die Kaffeemaschine
zu bezahlen. Die Bürger der Länder müssen miteinander reden und einen
Kompromiss finden, nur dann kann sich jeder mit dem Kompromiss abfinden,
dahinterstehen und, das wichtigste, ist bereit den Kauf mitzufinanzieren.
In dem WG-Beispiel könnte ein möglicher Kompromiss sein, eine Maschine mit
Heißwasser-Funktion zu kaufen.
Was bedeutet das Zitat in Bezug auf Perikles politische Laufbahn? Was war er für
ein Politiker? Was war er für ein Mensch? Nach Isokrates war er allen Rednern
immer mehrere Schritte rhetorisch voraus und war der einzige Redner, der es
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/487677/1/1#texttitel aufgerufen
am 22.1.13 um 15:05
43
47
schaffte, die Bürger mental mitzureißen.44 Platon meinte von ihm, er würde die
Bürger auf einen ethisch und moralisch besseren Weg führen45. In der attischen
Demokratie sollten gute Bürger ihren sozialen und militärischen Pflichten
nachkommen. Diese Pflichten sind in Bezug auf Europa meiner Meinung nach eher
der Pflicht auf Widerstand und Beteiligung gewichen. Denn ein stiller Bürger lässt
ohne Widerstand alles zu, selbst Dinge, die für ihn und seine Mitbürger sehr schlecht
sind.
So z.B. die „Media Markt“-Werbung, in der WG-Bewohner beschließen, alle teuren
neuen technischen Geräte zu kaufen. Beendet wurde die Werbung mit dem Satz:
„Ich liebe Demokratie“. Und das, so glaube ich, ist der Grund warum eine
repräsentative Demokratie der direkten Demokratie überlegen ist. Warum? Weil
wenn jeder Bürger von Staatsgeld alles kauft, ist von dem Budget sehr schnell nichts
mehr übrig, in diesem Fall wäre die WG-Kasse leer. Der Grundgedanke einer
demokratischen Grundordnung ist, das alle sich daran beteiligen. Außerdem müssen
freie Wahlen und Presse möglich sein, doch der entscheidende Faktor für eine
funktionierende Demokratie ist die Akzeptanz und der Respekt für die politische
Oppositionen. Ohne sie hat die regierende Partei praktisch Narrenfreiheit.
Ohne eine Gegenmeinung wird eine Demokratie schnell zu einer Ochlokratie, eine
Demokratie, die zum Eigennutz benutzt wird. Thomas Hobbes, ein englischer
Mathematiker, Staatstheoretiker und Philosoph sagte: „Der Mensch ist von Grund auf
böse“. John Locke, ein bedeutender Naturwissenschaftler und Philosoph hingegen
war der Meinung, dass dieser Zustand erst seit der Einführung des Geldes der Fall
sei. Ebenfalls wie die Macht. Bestes Beispiel sind Machtmissbräuche in Diktaturen in
der meistens Fällen, in denen zu viel Macht auf zu wenige Personen verteilt waren
oder sind.
Eine Demokratie braucht immer eine Opposition, die die regierende Partei in die
Schranken weißt, wenn sie der Meinung ist, dass diese einen Fehler gemacht hat
oder eine Grenze überschritten hat. Jedoch auch wenn es nur um eine Ankündigung
von Gesetzesbeschlüssen oder neuen Regelungen geht, was natürlich auch oft eine
Blockierung überfälliger Reformen zur Folge hat. Der Zusammenhang zwischen
Perikles ist schon sehr gut zu erkennen. Wenn keiner den Mund aufmacht, aus
welchem Grund auch immer, haben alle ein Problem. Die Europäische Union soll für
alle Europäer gut sein und nicht nur für Firmen, Banken oder Ratingagenturen.
Aber um so eine Gemeinschaft zu schaffen ist eine Opposition bestehend aus
Europagegnern nötig, die einschreitet, wenn ihre Rechte verletzt werden. Damit wäre
auch das erste Kriterium für einen guten EU-Bürger fest. Ein Europäer oder eine
Europäerin sollte kritisch sein. Menschen, die ihre Meinung vertreten, sich gegen
etwas wehren, die auf die Straße gehen für ihre Überzeugungen.
Was sind andere Eigenschaften, die einen guten Europäer ausmachen?
Es gehört mehr dazu als nur kritisch zu sein, was hilft ein Dialog zwischen
Konfliktparteien, wenn sich diese auf einem zu emotionalem Niveau bewegt?
Natürlich ist eine komplett sachliche Diskussion auch nicht immer möglich, aber
Sätze wie: „Nieder mit diesen Tyrannen, die uns unsere Gärten wegnehmen wollen“
sind in einer Diskussion über eine Umgehungsstraße nicht hilfreich zur Lösung des
Konflikts.
Natürlich auch unabdingbar ist Toleranz. Toleranz ist der Schlüssel zum Gelingen
eines übernationalen Projekts wie Europa, in dem die Europäischen Bürger eine
entscheidende Rolle spielen. Toleranz heißt nicht, dass man alles hinnehmen muss.
44
45
Eupolis PCG V fr. 102; zit.n. Lehmann, S. 22.
Platon, Gorgias 515e 1–5
48
Wenn ich es toleriere, dass mein Nachbar Moslem ist und 5 mal am Tag laut mit
Gesang betet, dann ist es durchaus angebracht, es zu tolerieren, aber wenn ich dann
jeden Morgen geweckt werden, dann darf meiner Meinung nach jeder den Nachbarn
fragen, ob er während der Ruhezeiten etwas leiser beten könnte.
So komme ich zum nächsten Punkt, der zum Gelingen von Demokratie wichtig ist:
Kompromissfähigkeit. Kompromissfähig ist eigentlich jeder, fast jeder. Ohne diese
Eigenschaft ist es praktisch nicht möglich, soziale Kontakte zu pflegen. Das gilt auch
für gemeinsame Projekte unter EU-Ländern.
Risikobereitschaft. Etwas wagen, warten bis die Umgehungsstraße fertig ist, um zu
merken, dass plötzlich alles schneller geht und die LKWs nicht mehr durch die Stadt
fahren. Ich bin davon überzeugt, dass es viele Menschen in Europa gibt, die mir
erzählen wollen, dass die EU ein risikoreiches Projekt ist, das gehört definitiv dazu
und ein paar Schmuggler mehr oder weniger sind nichts gegen die Vorteile einer
Reise- und Arbeitsfreiheit für EU Bürger.
Zusammengehörigkeitsgefühl ist der letzte Punkt auf den ich eingehen möchte. Was
ist eine Gemeinschaft ohne Zusammengehörigkeit? Welcher Grieche fühlt sich mit
Deutschen und Franzosen in einer Gemeinschaft verbunden? Das wird eine große
Hürde sein, alle Europäer in eine Gemeinschaft zu integrieren. Es wird noch viele
Jahre dauern und wir wissen es alle, Menschen, jeder kennt es, sind subjektiv, sind
oft sofort auf 180 wenn es um Veränderung geht, es wird wahrscheinlich nicht
möglich sein, alle zufrieden zu stellen. Zu viele sind verschlossen gegen Fremdes
und es ist nur selten möglich, sie von einer anderen politischen Richtung zu
überzeugen oder sie dazu zu bewegen, sich auf eine sachliche Diskussion
einzulassen. Also ein Europäischer Bürger sollte ein kritischer, toleranter,
risikobereiter Mensch sein, der bereit ist, für seine Überzeugungen einzustehen. Nur
gemeinsam können wir, als Bürger Europas, ein Europa schaffen, das wir alle unser
Zuhause nennen können, egal in welchem Land wir sind.
Doch eins ist klar, in Europa muss die Zeit der stillen Bürger endgültig vorbei sein!
49
9. Rang: Magdalena Pils, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
Sicher ist einigen oder vielleicht auch den meisten von Ihnen der Satz „Ein stiller
Bürger ist kein guter Bürger“ aus Perikles’ berühmter Leichenrede im
peloponnesischen Krieg bekannt. Doch da stellt sich die Frage, ob nicht ein aktiver,
ein sich beteiligender Bürger besser für die Europäische Union wäre oder nicht.
Im Folgenden will ich einige Punkte für aber auch wider der Behauptung von Perikles
vor dem Hintergrund der Unionsbürgerschaft erörtern. Denn wie Perikles ein
andermal erwähnte „[Kommt] es [...] nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen,
sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ Daraus ergibt sich, dass es besser ist
sich Gedanken zu machen, welchen Bürger die EU in Zukunft braucht. Dies möchte
ich nun im Folgenden klären.
Zuerst möchte ich Ihnen noch ein paar grundlegende Informationen zu Perikles,
welcher das vorher genannte Zitat aufgestellt hat, geben. Er gehörte zu den
führenden Staatsmännern Athens und der griechischen Antike im 5. Jahrhundert vor
Christus. Im Jahre 462 vor Christus trat er an die Spitze der Demos von Athen. Ab
443 vor Christus wird Perikles mehrmals zum Strategen wiedergewählt. Unter seiner
Führung erreichte Athen die Vormachtstellung im Attischen Seebund. Der Bund
wurde nach dem Perserkrieg in fünf Steuerkreise unterteilt und alle mussten die
attische Demokratie einführen, da Perikles aus dem Bund ein Attisches Reich
machen wollte. Mit der verfeindeten Stadt Sparta schaffte er für 15 Jahre Frieden,
welcher jedoch nach seinem Tod zerbrach. Perikles ist bekannt und zugleich
berühmt, da er ein begnadeter Redner war und so auch das Volk sehr gut zu
überzeugen wusste.
Das Bild, das die Athener zu dieser Zeit aus Sicht ihres führenden Vertreters
verkörpern wollten bzw. sollten, beschrieb der Geschichtsschreiber Thukydides
folgendermaßen:
„Wir vereinigen in uns die Sorge um unser Haus zugleich und unsre Stadt, und den
verschiedenen Tätigkeiten zugewandt, ist doch auch in staatlichen Dingen keiner
ohne Urteil. Denn einzig bei uns heißt einer, der daran keinen Anteil nimmt, nicht ein
stiller Bürger, sondern ein schlechter, und nur wir entscheiden in den
Staatsgeschäften selber oder denken sie doch richtig durch. Denn wir sehen nicht im
Wort eine Gefahr fürs Tun, wohl aber darin, sich nicht durch Reden zuerst zu
belehren, ehe man zur nötigen Tat schreitet.“
Hier finden wir den Gedanken vom stillen Bürger wieder. Doch wie die Situation
wirklich war erklärt Thukydides so: "Athen ist dem Namen nach eine Demokratie, in
Wirklichkeit die Monarchie eines Mannes“, nämlich die des Perikles.
Mein nächster Punkt dient zur Klärung der Frage, was die Unionsbürgerschaft
eigentlich ist, was sie verspricht oder auch bewirkt und für wen sie eigentlich
bestimmt ist.
Die Unionsbürgerschaft wurde 1992 durch den Vertrag von Maastricht, Art. 17 des
Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), eingeführt und gilt für
alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU laut Art. 201 des Vertrags über
die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Sie verleiht den Bürgern bestimmte Rechte, insbesondere in den Mitgliedsstaaten, in
welchen sie keine Staatbürger sind. Sich daraus ergebende Rechte sind z.B. sich frei
in der EU aufzuhalten bzw. zu bewegen zu dürfen, aber auch das aktive sowie das
passive Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen in seinem jeweiligen
Wohnsitzland, auch wenn man nicht die Staatsangehörigkeit dieses Landes besitzt.
50
Ein weiteres Recht ist, sich in seiner jeweiligen Amtssprache an alle Organe der EU
wenden zu dürfen und in derselben Sprache Antwort zu bekommen. Es ergibt sich
aber auch das Recht Gesetzesvorlagen zu initiieren, das heißt Bürgerinitiativen ins
Leben zu rufen. Aber auch das Recht sich an die Europäischen Bürgerbeauftragten
zu wenden. Natürlich beinhaltet die Unionsbürgerschaft noch mehr Rechte, die den
Bürgern der EU zustehen, über welche Sie sich, liebe Mitbürger, anderweitig
informieren können.
Doch um herauszufinden was für einen Bürger die EU braucht, müssen wir erst
einmal betrachten, welche unterschiedlichen Bürger es überhaupt gibt. Man kann sie
in vier unterschiedliche „Typen“ unterteilen.
Der erste ist der „politische Desinteressierte“, welcher aufgrund seiner Distanzierung
zur Politik eine geringe Partizipationsbereitschaft besitzt.
Der zweite Bürgertyp ist der „reflektierte Zuschauer“, welcher durch Informieren zwar
das politische Geschehen verfolgt, aber nicht aktiv wird. Zu diesem Typ von Bürger
würde ich den „stillen Bürger“ des Perikles zählen, da er nicht zwangsläufig
desinteressiert ist, sich aber politisch nicht beteiligt und somit still ist, da er nie etwas
gegen eine Sache unternimmt oder neue Vorschläge einbringt.
Als nächsten Typ gibt es den „interventionsfähigen Bürger“, welcher nur dann aktiv
wird, wenn die Situation es erfordert. Er besitzt genügend Kenntnisse,
Urteilsvermögen und Selbstvertrauen um sich gegebenenfalls einzusetzen.
Als vierten und damit auch letzten Bürgertyp gibt es den „Aktivbürger“, welcher sich
dauerhaft aktiv einsetzt und engagiert, um etwas mit zu gestalten, sich somit in einer
Partei oder einem Interessenverband engagiert.
Da wir nun wissen wer Perikles war, was und für wen die Unionsbürgerschaft
eigentlich ist und was für verschiedene Bürger es gibt, betrachten wir uns noch die
Europäische Union näher, da wir letztendlich wissen wollen, welchen Bürger sie
benötigt.
Die EU ist einzigartig und eine politische sowie wirtschaftliche Partnerschaft
zwischen 27 europäischen Staaten. Jedoch ist zu beachten, dass nicht alle Staaten,
welche in Europa liegen, der EU angehören.
1958 wurde mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (kurz:
EWG) der Grundstein der EU zwischen zunächst einmal sechs Ländern gelegt. Mit
der Zeit kamen aber auch andere politische Felder hinzu. 1993 wurde die EWG
deshalb in die Europäische Union (EU) umbenannt.
Die EU wuchs durch eine gemeinsame Währung und eine Abschaffung der
Grenzkontrollen, dies bedeutete die Reisefreiheit, noch mehr zusammen. Die EU hat
schon für ein halbes Jahrhundert Frieden gesorgt, gleichzeitig aber auch Stabilität
und Wohlstand gebracht. Sie hat unterschiedliche Ziele, welche in schriftlichen
Verträgen, die freiwillig aber zugleich demokratisch sind, vereinbart sind. In diesem
Prinzip erkennt man, dass die EU die Prinzipien eines Rechtsstaates bekräftigt.
Die Organe der EU müssen die vereinbarten Rechte achten. Das wichtigste Recht
und zugleich Ziel sind die Einhaltung der Menschenrechte, welche die Würde des
Menschen schützen, aber auch Freiheit, Demokratie, Gleichheit und
Rechtsstaatlichkeit garantieren.
Um die EU noch weiter zu verbessern, versucht sie ihre Organe noch transparenter
und demokratischer zu gestalten und den Bürgern mehr Chancen zur aktiven
Beteiligung an der Europapolitik zu geben.
Doch wie können sich die Bürger bei Interesse aktiv an dieser Politik auf EU-Ebene
beteiligen? Die einfachste Partizipationsmöglichkeit ist die Wahl des Europäischen
51
Parlaments. Der Bürger kann dabei mitentscheiden wer im Parlament sitzen soll und
später am Gesetzgebungsprozess beteiligt ist. Die innerstaatlichen Wahlen, bei
denen der Bürger erneut beteiligt ist, führen zu einer vom Volk gewählten Regierung,
welche wiederum volles Mitspracherecht im wichtigsten Entscheidungsorgan der EU,
dem Rat der Europäischen Union, auch Ministerrat genannt, hat. Auch
Interessenverbände oder Bürgerinitiativen, in welchen sich der Bürger engagieren
kann, können eine wichtige Rolle im politischen Prozess sein. Außerdem haben die
Bürger der EU das Recht auf eine direkte Willens- und Meinungsäußerung
gegenüber Institutionen der EU. Ein weiteres Angebot zur Partizipation der EUBürger sind die sogenannten Bürgersprechstunden, bei denen es zum Direktkontakt
zu Europaabgeordneten kommen kann.
Es
gibt
also
offensichtlich
schon
heute
viele
unterschiedliche
Partizipationsmöglichkeiten auf EU-Ebene, sie müssen nur auch von den Bürgern
genutzt werden. Daher kann man sagen, dass es eigentlich keinen Bürger geben
dürfte, welcher aufgrund von angeblich mangelnden Partizipationsmöglichkeiten kein
politisches Interesse hat und deshalb nicht aktiv werden möchte.
Nachdem nun jedermann dieselben grundlegenden Information erhalten hat und
jeder somit auf demselben Wissensstand ist, komme ich nun auf die ursprüngliche
Frage, welche es heute bestmöglich zu beantworten gilt, zurück. Denn es ist die
Frage, welchen Bürger die EU braucht mit in Bezugnahme der Unionsbürgerschaft
und der Idee des „stillen Bürgers“ von Perikles.
Ein „politisch desinteressierte Bürger“ ist meiner Meinung nach ein Bürger, welchen
die EU überhaupt nicht braucht, da dieser sich so von der Politik distanziert ohne
jegliche Partizipationsbereitschaft zu entwickeln. Doch jeder Bürger braucht eine
Politik um Ordnung in das System zu bringen. Ganz wie es Perikles einmal
formulierte: „Nur weil du dich nicht für Politik interessierst, heißt das noch lange nicht,
dass die Politik sich nicht für dich interessiert.“ Dies kann man in der
Unionsbürgerschaft wiederfinden, welche durch die Politik beschlossen wurde, um
den Bürgern in der EU mehr Rechte außerhalb ihres Landes zu garantieren. Die
Unionsbürger sind teils auch „politisch Desinteressierte“, welche durch die Politik
nicht ausgeschlossen wurden. Von diesen Rechten erfährt man allerdings auch nur,
wenn man sich ein Minimum für Politik interessiert.
Der „reflektierte Zuschauer“, welcher wenigstens das politische Geschehen verfolgt,
könnte zu der Information der durch die Unionsbürgerschaft erlangten Rechte
gelangen. Auch an dieser Stelle möchte ich Ihnen ein passendes Zitat von Perikles
vorstellen: „Wir halten den, der sich den politischen Angelegenheiten fernhält, nicht
für einen ruheliebenden, sondern für einen unnützen Menschen.“ Perikles nach zu
urteilen kann man also die gerade vorgestellten zwei Bürgertypen als „unnütz“
bezeichnen, da sie keinen Beitrag zum Politikgeschehen leisten und es durch diese
Art von Bürger auch nicht zu gravierenden, von ihnen hervorgerufenen
Veränderungen kommen wird. Denn wäre es ohne die aktive Beteiligung der Bürger
je zum Mauerfall in Deutschland 1989 gekommen? Sie alle können einmal darüber
nachdenken, was aktive Bürger schon geleistet haben und wie heute die Situation
ohne den aktiven Einsatz wäre.
Die nächste Stufe in der „Bürgerskala“ ist der „interventionsfähige Bürger“. Doch nun
stellt sich die Frage, ob solch ein Bürger der Richtige für die EU ist. Genügt es
wirklich, nur dann aktiv zu werden, wenn die Situation es erfordert oder hat die EU
den „aktiven Bürger“, den sich dauerhaft engagierenden Bürger nötig? Auch für den
„interventionsfähigen Bürger“ habe ich ein passendes Zitat, welches erneut von
Perikles stammt: „Denn wir sehen nicht im Wort eine Gefahr fürs Tun, wohl aber
52
darin, sich nicht durch Reden zuerst zu belehren, ehe man zur nötigen Tat schreitet.“
Hierbei kann man erkennen, dass der „interventionsfähige Bürger“ sich aber vor dem
Aktivwerden über die gegebene Situation informieren muss, um auch wirklich
angemessen handeln zu können. Tut er dies nicht, könnte es, wie Perikles sagte,
eine Gefahr für das Tun werden, da sich der Bürger nicht im Klaren ist, was er durch
sein Handeln bewirken könnte. Durch die Unionsbürgerschaft erhalten die
berechtigten Bürger zwar das Recht, Gesetzesvorlagen zu initiieren, doch was ist,
wenn sich der Bürger vorher nicht oder nicht ausreichend informiert hat? Entweder
würde er ein Gesetz initiieren, welches bereits existiert, schon einmal initiiert worden
ist, nicht gesetzeskonform ist, oder andere Folgen haben könnte. Dies alles würde
nur extra Arbeit für die Verwaltung und damit auch unnötige Kosten bedeuten. Daher
kann man also sagen, dass auch dieser Bürger nicht der Optimale und vor allem
nicht der Optimale der EU ist.
Bleibt schließlich nur noch der „aktive Bürger“, welchen man als den Bürger, den die
EU braucht, bezeichnen kann. Doch ist dies wirklich der Fall oder braucht die EU
einen ganz eigenen, nur in der EU existieren könnenden Bürger, von dem man
bisher noch gar nicht weiß, ob es ihn gibt? Allein der Punkt des Engagements in
einer Partei spricht für den „aktiven Bürger“. Denn wenn die Leute sich nicht in einer
Partei engagieren würden, könnten auch keine Parteien im EU-Parlament vertreten
sein und es gäbe ein Problem der mangelnden Personen, welche ein politisches Amt
ausüben wollten.
Ein „aktiver Bürger“ würde auch die Rechte, welche in der Unionsbürgerschaft
festgelegt worden sind, als Anstoß sehen, vielleicht einmal das Recht, sich an einen
Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden oder das aktive bzw. passive
Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen in seinem Wohnsitzland ohne dessen
Staatsangehörigkeit zu besitzen, wahrzunehmen. Ein „aktiver Bürger“ ist nun einmal
aktiv. Doch finde ich sollte es mehr Einbürgerungen geben, um diesen noch nicht
eingebürgerten Menschen die Chance auf die Wahrnehmung der dann bestehenden
Rechte zu geben. In Österreich entfielen der STATISTIK AUSTRIA zufolge auf 100
ausländische Staatsangehörige im statistischen Durchschnitt 2001 noch 4,4
Einbürgerungen. Dieser Wert hat sich bis 2011 auf 0,7 Einbürgerungen verringert.
Auch in Deutschland sind die Einbürgerungen laut dem statistischen Bundesamt
rückläufig. Daher würde ich gerne dem Zitat von Perikles beistimmen, welches
besagt: „Beurteilt die Menschen nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrer
Leistung.“ Dies bedeutet für mich konkret, dass man auch den aktiv werden
wollenden ausländischen Bürgern die Chance durch die Einbürgerung auf die
Ergreifung der Rechte geben sollte.
Wie vorher genannt gibt es schon Partizipationsmöglichkeiten für Bürger auf EUEbene. Doch sind dies auch Möglichkeiten, von denen die Bürger gerne Gebrauch
machen würden? Einer aktuellen Studie der TSM Emnid zufolge, welche 2012
veröffentlicht wurde, kommen für 94% aller Befragten die Wahlen als
Partizipationsmöglichkeit in Frage. Doch hier stellt sich mir und auch sicher Ihnen die
Frage, weshalb es dann zu einer manchmal doch teils ernüchternden
Wahlbeteiligung bei Wahlen kommen kann. Dies hier zu erläutern würde uns nicht
weiterbringen, denn es zählt, dass Wahlen immer noch die beliebteste
Partizipationsmöglichkeit der Bürger ist, auch wenn sie nicht von allen genutzt wird.
Anders als andere Möglichkeiten, welche mehr Engagement fordern. Auch dies kann
man anhand dieser Studie erkennen. 65% der Befragten wollen nie in einer
Bürgerinitiative Mitglied werden. Selbst das Mitwirken in einer Partei ohne deren
Mitglied zu sein kommt für 67% der befragten Personen nicht in Frage. Doch nur
wenn man dieses Engagement aufbringt, kann man auch etwas erreichen.
53
Abschließend möchte ich Ihnen noch eine Botschaft mit auf den Weg geben. Hierfür
ziehe ich ein letztes Zitat von Perikles herbei: „Wer an den Dingen seiner Gemeinde
nicht Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger.“ Wenn man dieses
Zitat zum Positiven wenden würde, könnte es auch so heißen: Nehmen Sie Anteil an
Ihrer Gemeinde, oder in unserem heutigen Fall: Nehmen Sie Anteil an unserer
Europapolitik, werden Sie eine aktive Bürgerin, ein aktiver Bürger! Beteiligen Sie
sich, engagieren Sie sich und werden Sie so aus dem stillen, dem schlechten Bürger
ein aktiver, ein mitgestaltender, ein mitmischender Bürger, den die EU braucht um
ein Europa durch die Politik zu schaffen, welches auch von Bürgern für Bürger
gedacht wurde und allen Freude und Bereitschaft an der Teilhabe der Politik bereitet.
Denn „die Vorstellung, dass ohne Bürger kein Staat zu machen ist, gehört zum
Fundament antiker Staatsphilosophie.“ Deshalb nochmals ein Aufruf, den sie an alle
Bürger Europas weitertragen können: Werden Sie aktiv, gestalten Sie mit, nur so
kann Europa zu unserem Europa werden, mit dem sich jeder Bürger identifizieren
kann!
Quellen:
-
Perikles, Leben in Athen, http://de.wikipedia.org/wiki/Perikles, ,
http://www.welt-geschichte.de/html/das_leben_in_athen.html 09. 12. 2012
Bürgerleitbilder, http://www.unibielefeld.de/soz/ag/hedtke/pdf/Loewen_Buergerleitbild_2004.pdf ,
09. November 2012
EU, http://europa.eu/about-eu/basic-information/index_de.htm,
http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/42835/warumeuropa?p=all, 09. November 2012
Partizipationsmöglichkeiten in der EU,
http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/42974/grafikpartizipationsmoeglichkeiten, 09. November 2012
Einbürgerungszahlen,http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/e
inbuergerungen/index.html, 11. November 2012
Unionsbürgerschaft, http://www.eu-info.de/europa/unionsbuergerschaft/,
http://europa.eu/legislation_summaries/glossary/citizenship_de.htm,
24. November 2012
Bürgerbeteiligung,
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/190511/umfrage/formen-vonbuergerbeteiligung-in-deutschland/, 08. Dezember 2012
Zitate Perikles, http://www.zitate.de/autor/Perikles/, http://www.gratisspruch.de/spruch/autor/sprueche/Perikles/aid/740/, 25. November 2012
54
10. Rang: Katja Schabet, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
Beginnen möchte ich meine Rede mit einem Zitat des Griechen Perikles. Vor etwa
2400 Jahren sagte dieser: „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“.
Perikles war Stratege, Redner und, was von besonderer Bedeutung war und bis in
die heutige Zeit noch ist, beteiligt am Ausbau der Attischen Demokratie.
Die Attische Demokratie war die allererste Form der Demokratie, die schon vor
hunderten von Jahren im antiken Griechenland unter anderem durch Perikles
begründet wurde, und Vorläufer unserer heutigen Demokratie. Sie zeichnete sich
durch ihre direktdemokratischen Ansätze und den Ausbau der Volkssouveränität aus.
Das Volk bestimmte zum ersten Mal in der Geschichte die Politik – wobei allerdings
erwähnt werden muss, dass Frauen, Sklaven und Ausländer zur damaligen Zeit von
der Politik ausgeschlossen waren.
Auf Volksversammlungen wurden Reden gehalten, unterschiedliche Meinungen
angehört und anschließend über Vorgehensweisen und Gesetze nach
demokratischen Grundsätzen abgestimmt. D.h. jeder wahlberechtigte Bürger hatte
eine Stimme, die genauso viel zählte wie jede andere Stimme auch. Gute Rhetoriker,
also „laute“ Bürger, bestimmten die Politik und konnten ihre Interessen durchsetzen sie bekamen durch die Überzeugungskraft ihrer Reden die Mehrheit der
Bürgerstimmen. „Stille“ Bürger, die keine Reden hielten oder sich gar bei
Abstimmungen enthielten, beteiligten sich nicht an der Demokratie und Politik und
waren deshalb nach Perikles keine guten Bürger. Durch ihre Passivität trugen sie
nicht zum Wohlstand des Landes bei.
Heute sind die meisten Demokratien, so auch die in Deutschland, repräsentativ und
nicht mehr direktdemokratisch wie im alten Griechenland. Die Bürger stimmen nicht
mehr direkt über Gesetze ab, sondern wählen Politiker, die dann stellvertretend für
sie agieren.
„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“. Hat Perikles mit seiner Aussage auch noch
heutzutage Recht? Welche Bürgerinnen und Bürger braucht die EU? Was zeichnet
gute Bürger aus? Müssen gute Bürger, wie Perikles sagte, „laut“ sein, um „gut“ zu
sein?
Bei diesen Fragen sollte der Blick zunächst auf die Unionsbürgerschaft gelenkt
werden. Diese besondere Bürgerschaft ergänzt die nationale Staatsangehörigkeit
und prägt die europäische Identität maßgebend. Bürger, die die Staatsbürgerschaft
eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Union besitzen, sind automatisch
Unionsbürger. Dadurch erlangen sie eine Reihe von neuen Rechten, beispielsweise
das Recht, sich frei in EU-Ländern zu bewegen - in diese einzureisen oder in diesen
zu wohnen und zu arbeiten – und dort, an ihrem „neuen“ Wohnsitz, aktiv und passiv
an Kommunalwahlen teilzunehmen. Darüber hinaus haben sie das Wahlrecht zum
Europäischen Parlament, das allerdings schon vor der Unionsbürgerschaft bestand,
und ein Petitions- und Beschwerderecht bei der EU.
Nach diesem kleinen Exkurs zur Unionsbürgerschaft wäre ich auch schon bei der
ersten Eigenschaft, die heutzutage einen guten Bürger auszeichnet: Er nutzt seine
politischen Partizipationsrechte. Durch Demonstrationen, Gründung einer oder
Beitritt in eine politische Partei vertritt er seine individuellen Interessen. Er hat die
Möglichkeit Beschwerdebriefe zu verfassen, die er auch direkt bei der EU einreichen
kann und bei denen er ein Recht darauf besitzt, dass ihm in der gleichen Sprache,
sofern es sich um eine der Amtssprachen der EU handelt, geantwortet wird. So teilt
er der Politik bzw. den Politikern seine Meinung und seine Kritik mit. Die Politiker
müssen die Ansichten der Bürger kennen, um diese vertreten zu können. Dies kann
wegen vieler unterschiedlicher Meinungen zwar die politischen Entscheidungs55
findungsprozesse erschweren, aber die Politik in einer Demokratie ist schließlich
dazu da, den Willen des Volkes auszudrücken.
Die Politiker wissen aber nur um die Meinungen der Bürger, wenn diese zu den
verschiedenen politischen Themen aktiv Stellung beziehen. Das kann nicht
geschehen, wenn die Bürger „still“ sind und ihre Meinung nicht „laut“ äußern.
Somit spricht dieser erste Punkt auf jeden Fall für Perikles These.
Eine weitere, sehr wichtige Eigenschaft eines guten Bürgers ist, dass dieser von
seinem Wahlrecht Gebrauch macht. Um „richtig“ und überlegt wählen zu können und
nicht einfach nur irgendetwas auf dem Wahlzettel anzukreuzen, muss sich ein guter
Bürger dazu aber über die Politik informieren. Auf diese Weise kann er sich mit den
Interessen einer bestimmten Partei identifizieren und dieser seine Stimme geben. Ein
sehr guter, hoch engagierter Bürger geht noch einen Schritt weiter, tritt dieser Partei
bei bzw. gründet eine eigene Partei und lässt sich unter Umständen selbst zur Wahl
aufstellen. Auch in dieser Hinsicht sind gute Bürger nicht „still“.
Die Realität zeigt zur Zeit, dass die Zahl der „guten Bürger“ abnimmt: Vielerlands
sind die Wahlbeteiligungen in den letzten Jahren stark gesunken. Die
Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament zum Beispiel ist seit
1972 mit ungefähr 62 % bis 2009 auf etwa 43 % gesunken. Diese 20 % sind viel nicht einmal mehr die Hälfte aller Unionsbürger ist 2009 zur Wahl gegangen! Das ist
traurig! Es scheint, als verliere die Bevölkerung mit den Jahren das Interesse an der
Demokratie und an der gesamten Politik; das Volk wird zunehmend „still“.
Auf das antike Griechenland, zur Zeit des Perikles, kann man die These, dass stille
Bürger keine guten Bürger seien, wörtlich anwenden. Stille Bürger diskutierten bei
den Volksversammlungen nicht mit. Für Perikles bedeutete dies wahrscheinlich eine
Verschmähung und Beleidigung der damaligen Demokratie. Also waren diese
Bürger, die nicht aktiv an der Politik teilnahmen, für ihn „schlecht“.
Auf die heutige Zeit des Internets, des Briefverkehrs und der repräsentativen
Demokratie muss man Perikles Aussage übertragen. Meinungsäußerungen in Form
von Briefen oder die Wahl per Wahlzettel sind nicht direkt „laut“, im übertragenen
Sinne aber schon.
Man ist ein stiller Bürger, wenn man seine politischen Meinungen nicht äußert, indem
man seine Partizipationsrechte nicht nutzt oder nicht zur Wahl geht. Solche Bürger
sind auch heute keine guten Bürger. Sie unterstützen die Demokratie, die Politik und
damit die Zukunft des eigenen Landes nicht. Demnach trifft „Ein stiller Bürger ist kein
guter Bürger“ auch heutzutage noch zu!
Und nun meine Aufforderung an Sie: Seien Sie keine stillen Bürger! Informieren Sie
sich über die Politik! Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung und äußern Sie diese auch!
Gehen Sie zur Wahl! Und Sie werden sehen, wie interessant und wichtig Politik ist.
56
11. Preisträgerin: Linda Ratschke, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
Ich freue mich, Sie heute hier so zahlreich begrüßen zu dürfen. Schließlich ist das
heutige Thema für uns alle präsent, persönlich relevant und zukunftsweisend. Viele
von Ihnen fühlen sich möglicherweise eher ihrem Heimatland verbunden und sehen
sich noch nicht wirklich als einen Bürger bzw. eine Bürgerin der Europäischen Union.
Vor 20 Jahren wurde die Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von Maastricht
eingeführt. Seit dem 1. Dezember 2009 wird im Vertrag von Lissabon über die
Arbeitsweise der Europäischen Union auch die Unionsbürgerschaft geregelt. Die
Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ohne sie jedoch zu
ersetzen. Außerdem ist sie in einem Artikel als Bestandteil der Europäischen
Verfassung verankert. Durch die Unionsbürgerschaft entstehen den EU-Bürgern zum
aktuellen Zeitpunkt keinerlei Pflichten – jedoch werden ihnen zahlreiche Rechte
zugestanden. Diese Rechte sind im einzelnen
- Freizügigkeit: Das heißt freie Wahl des Aufenthalts- und Arbeitsortes
- Diskriminierungsverbot: Das heißt, alle EU-Bürger sind gleichberechtigt
- Kommunalwahlrecht am Wohnort: Das heißt Mitbestimmung der Politik im
Heimatland
- Wahlrecht zum Europäischen Parlament: Das heißt Mitbestimmung der EUPolitik
- Diplomatischer und konsularischer Schutz
- Petitions- und Beschwerderecht
- Recht, sich in einer der Amtssprachen der EU mit der EU in Verbindung zu
setzen und in derselben Sprache eine Antwort zu erhalten
Neben Wirtschafts- und Währungsunion ist die Unionsbürgerschaft ein Teil der
Europäischen Gemeinschaft. Und wir hier alle besitzen sie. Aber was tun wir
eigentlich damit? Vielleicht wussten einige von Ihnen bis heute noch nicht einmal,
dass Sie als Bürger der EU weitergehende Rechte besitzen. Lassen Sie mich an
dieser Stelle Perikles, einen Philosophen der griechischen Antike, zitieren: „Ein stiller
Bürger ist kein guter Bürger“. Dieser Satz hat auch heute noch Gültigkeit. Denn was
nützen alle in den EU-Verträgen festgelegten Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten, wenn die wenigsten davon Gebrauch machen. Ein solches Konstrukt
kann doch nur mit Leben gefüllt werden, wenn es durch die Kreativität und das
Engagement der Menschen, die unter seinem Schutzschirm existieren,
praxisbezogen und lebensnah umgesetzt wird. Damit also die Unionsbürgerschaft
die gesteckten Ziele erreichen kann, müssen wir alle dazu beitragen, indem wir aktiv
von unseren Rechten Gebrauch machen. Doch wie können wir das tun? Ich möchte
hier auf einige der bereits erwähnten Unionsbürgerrechte Bezug nehmen, die es
erlauben, sich in besonders großem Umfang auf EU-Ebene einzubringen. Da wäre
zunächst unser verbrieftes Recht auf Mitbestimmung der EU-Politik. Leider ist in
einigen Ländern mittlerweile generell eine gewisse Wahlmüdigkeit eingetreten – doch
das ist falsch! Wie viele Menschen haben in der Geschichte dafür gekämpft und
sogar ihr Leben gelassen, um ein Wahlrecht durchzusetzen? Für uns ist es heute
eine Selbstverständlichkeit – also sollte dieses Recht doch zumindest auch eine
moralische Pflicht sein. Gehen Sie wählen und verleihen Sie Ihrer Stimme Ausdruck.
Es ist auf europäischer Ebene, wo so vielen verschiedenen ethnischen Gruppen mit
unterschiedlichem kulturellem Hintergrund Rechnung getragen werden soll,
besonders wichtig, dass die landesspezifischen Bedürfnisse und Vorstellungen
transparent werden, damit sie in die Europapolitik einfließen können. Und dazu –
meine Damen und Herren – ist es von höchster Priorität, dass nicht nur einige
wenige, sondern die Mehrheit eines Landes ihr Wahlrecht nutzt.
57
Aber auch auf der Ebene der Kommunalpolitik sollte ein pflichtbewusster Bürger in
einem demokratischen System sein Wahlrecht nicht vernachlässigen! Aufgrund des
Freizügigkeitsrechts in der EU ist es ja heute keine Seltenheit mehr, dass
Staatsbürger des einen Landes in einem anderen EU-Staat leben und arbeiten. Doch
man kann sich trotzdem leicht an Kommunalwahlen in seinem Heimatland beteiligen.
Es ist nicht notwendig, dazu große Reisen zu unternehmen. Dieses Recht greift für
jeden Unionsbürger. Und es sollte auch für jeden im Ausland lebenden EU-Bürger
eine Selbstverständlichkeit sein, dieses Recht auszuüben und auch aus der Ferne an
der politischen Gestaltung seines Heimatlandes mitzuwirken.
Die multikulturelle Zusammensetzung in der EU bietet allen Unionsbürgern
größtmögliche Entwicklungschancen. Wir können voneinander lernen. Um hier
Vorbehalten und Vorurteilen vorzubeugen, ist das Diskriminierungsverbot ein
fundamentaler Bestandteil des EU-Rechts. Doch was nützt ein solches Verbot auf
dem Papier, wenn niemand seine Stimme gegen derartiges Unrecht erhebt? Es
gehört natürlich Mut dazu, derartiges Fehlverhalten anzuprangern, womit eventuell
auch ein persönliches Risiko verbunden ist. Aber Wegschauen hat noch nie zum
Besseren geführt – wer ignoriert und schweigt, macht sich auch schuldig. Und
schließlich ist die EU doch die ideale Plattform, um andere Kulturen näher kennen zu
lernen, Vorurteile abzubauen und in jeder Hinsicht vom Nachbarn und seiner
Lebensweise zu profitieren.
Als dritten Punkt möchte ich das Petitions- und Beschwerderecht als wichtigen
Baustein der Unionsbürgerschaft hervorheben. Sehr verehrtes Publikum – können
Sie sich vorstellen, wie ein „Stiller Bürger“ hier irgendetwas erreichen kann? Dieses
Recht schreit geradezu nach Meinungsäußerung! Tatsache ist: Mit ihren 20 Jahren
kann man die Unionsbürgerschaft als politische Institution auf jeden Fall noch als
sehr jung bezeichnen. Da kann einfach noch nicht alles optimal und im Sinne aller
EU-Bürger geregelt sein. Und viele Missstände betreffen vielleicht nur Einzelne und
nicht die breite Masse. Doch auch für den Einzelnen ist es notwendig, dass für ihn
eine gerechte Regelung gemäß der EU-Richtlinien gefunden wird. Und jeder
Präzedenzfall ist für künftige, ähnlich gelagerte Fälle wichtig. Sorgen Sie dafür, dass
Fälle dieser Art, die Ihnen persönlich widerfahren oder in Ihrem Verwandten- oder
Bekanntenkreis vorkommen, nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden, weil man
die Bürokratie scheut. Verschaffen Sie sich gemeinsam Gehör und leisten Sie damit
Ihren Beitrag zu einem gesunden Gemeinschaftsleben in der EU, das an seinen
täglichen Aufgaben wächst.
Sehr verehrtes Publikum, wenn wir heute nicht aus den Augen verlieren, dass wir
nicht nur Deutsche, Franzosen, Italiener usw. sind, sondern auch Bürger der
Europäischen Union, und entsprechend agieren, so bin ich davon überzeugt, dass
sich die Union in einer positiven Richtung weiter entwickeln wird und wir für unsere
Nachkommen einen wertvollen Beitrag für ihr künftiges Zusammenleben mit ihren
Nachbarn in der EU-Gemeinschaft leisten. Wir dürfen alle auch in Zukunft unsere
jeweilige Nationalität leben und stolz darauf sein, aber ebenso sollten wir stolz darauf
sein, ein Teil einer solch vielfältigen Gemeinschaft wie der Europäischen Union sein
zu dürfen. Lassen Sie uns den europäischen Gedanken leben.
Quellen:
1. http://de.wikipedia.org/wiki/Unionsb%C3%BCrgerschaft´
2. http://ec.europa.eu/eu_law/your_rights/your_rights_de.htm
3. http://www.linse.uni-due.de/linse/publikationen/Hass/Stark_Unionsbuergerschaft.pdf
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Europawahl#Das_Wahlsystem_in
58
12. Rang: Lisa Reichle und Saskia Siegel, Otto-Hahn-Gymnasium Ludwigsburg
Jeder einzelne von Ihnen ist ein Teil unserer Europäischen Gemeinschaft. Als
Unionsbürger erhalten Sie mit Ihrer Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der
Europäischen Union zusätzlich die Unionsbürgerschaft, welche Ihre nationale
Staatsbürgerschaft zwar nicht ersetzt dafür, aber ergänzt. Doch was bedeutet das für
jeden einzelnen von uns?
Die Europäische Union hat das Ziel gesetzt, die Unionsbürgerschaft zu stärken und
die verschieden europäischen Völker dahin zu bringen, dass sie sich mit einem
einheitlichen Europa identifizieren können. Vor allem die vielen verschieden
Sprachen stellen dabei zwar auf der einen Seite ein Hindernis dar, auf der anderen
Seite aber auch den kulturellen Reichtum Europas. Gemeinsame Interessen und
gemeinsame Geschichte sollen zu einem einheitlichen Europa verhelfen.
Eine Staatsbürgerschaft ist immer verknüpft mit Rechten. Aber auch Gesetze, an die
man sich halten muss spielen eine wichtige Rolle. Lässt sich dies auch auf
europäische Ebene übertragen? Welche Rechte bringt die Unionsbürgerschaft ihren
Bürgern? Und stehen wir in der Pflicht, etwas dafür zu tun und uns zu engagieren?
Die Frage ist nun, ob Ihnen bewusst ist, welche Rechte Ihnen als EU-Bürger und
-Bürgerinnen überhaupt zustehen? Im Europäischen Gemeinschaftsvertrag sind die
besonderen Rechte der Unionsbürger und Bürgerinnen niedergeschrieben. Jedoch
finden sich dort kaum Pflichten. Dass man sie trotzdem erwähnt, liegt daran, dass
man in Zukunft eine Rechte- und Pflichten-Beziehung aufbauen will.
Zunächst das Recht auf Freizügigkeit. Mit ihr können Sie zum einen Ihren Wohnsitz
im gesamten Gebiet der Europäischen Union frei wählen und zum anderen in jeden
Mitgliedsstaat einreisen und sich dort aufhalten. An diesem Ort haben sie dann die
gleichen Arbeits-, Bildungs- und sozialrechtlichen Bedingungen wie jeder andere
Staatsbürger dieses Landes. Außerdem sind Sie im Gegensatz zu früher nicht mehr
dazu verpflichtet, dort eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuführen.
Ein weiteres Recht, dass Ihnen zusteht, ist das aktive und passive Wahlrecht bei
Kommunalwahlen und bei Wahlen zum Europäischen Parlament. Gleich ob Sie sich
zum Zeitpunkt der Wahl in ihrem Heimatland oder einem anderen Mitgliedsstaat der
Europäischen Union befinden. Auch hier haben Sie, wie jeder andere Staatsbürger
des Landes, die gleichen Bedingungen für diese Wahlen.
Für Unionsbürger gilt das folgende Verbot der Diskriminierung aufgrund seiner
Staatsangehörigkeit. Damit ist es verboten, einen Unionsbürger gegenüber einem
Inländer oder einem anderen Drittstaatangehörigen rechtlich schlechter zu stellen.
Das Recht, sich in der Amtssprache seiner Heimat an alle Organe der Europäischen
Union zu wenden und in derselben Sprache eine Antwort zu erhalten, ist ein
grundlegendes und wichtiges Recht aller Unionsbürger. Es ermöglicht Ihnen
genügend Informationen zu erhalten.
Das nächste Ihnen zustehende Recht ist das Recht, sich mit Ihren Beschwerden an
den Europäischen Bürgerbeauftragten zu wenden. Dieser versucht dann aufgrund
Ihrer Petition einen annehmbaren Kompromiss zwischen Ihnen und den
Europäischen Organen zu finden. Petitionen eignen sich vor allem dann, wenn sie
Angelegenheiten betreffen, die für die Europäische Union von Bedeutung sind und
Sie unmittelbar betreffen, beispielsweise Umweltfragen, Verbraucherschutz oder
Anerkennung von beruflichen Qualifikationen.
Des Weiteren steht Ihnen als Unionsbürger ein diplomatischer und konsularischer
Schutz in Drittstaaten zu. Sie erhalten den Schutz eines jeden anderen
Mitgliedstaates, wenn Ihr Heimatstaat in diesem Drittstaat nicht vertreten ist. Vor
59
allem bei Todesfällen, schweren Unfällen und Erkrankungen, aber auch bei
Festnahmen steht Ihnen Hilfe zu.
Dies alles sind Rechte, die Ihnen die Europäische Gemeinschaft zuschreibt, um ein
einheitliches Europa zu schaffen. Die Pflicht der Bürger fällt zunächst wesentlich
geringer aus. Es heißt, dass die wichtigste Pflicht eines Unionsbürgers die ist, die
Union und das Gemeinschaftsrecht zu achten und zu schützen, da auch andere
Pflichten, wie beispielsweise eine europäische Wehrpflicht bislang nicht vorgesehen
sind.
Aus diesen Rechten ergibt sich, dass es kaum Pflichten für die Unionsbürger gibt,
nur die Aufforderung, dass sich die Bürger für die Europäische Gemeinschaft
engagieren sollen.
Perikles Zitat „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ trifft diese versteckte
Aufforderung recht gut. Nach Perikles Definition ist es besser über Dinge zu reden,
die Sie als Bürger stören oder die Ihnen missfallen, anstelle zu schweigen und diese
Unzufriedenheit und den damit verbundenen Unmut auf schädliche Aktivitäten zu
übertragen.
Das Mitwirken der Bürger auf die Entwicklung der Gemeinschaft und ihrer Werte
kann beispielsweise eine Stadt lebendiger machen. Dies ist ebenso auf das Land
und auf Europa übertragbar. Würden zum Beispiel in Stuttgart nur stille Bürger leben,
so wäre diese mit Sicherheit nicht die Stadt, die wir heute anträfen.
Nach Perikles ist ein guter Bürger ein Bürger, der sich im Staat politisch engagiert.
Er fordert daher mit seinem Zitat „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ die
Menschen dazu auf, sich aktiv an der Politik ihres Landes und in diesem
Zusammenhang ganz besonders für die Politik der Europäischen Gemeinschaft zu
engagieren.
Zu seiner Zeit, im fünften Jahrhundert vor Christus, war politisches Engagement sehr
wichtig, um den Stadtstaat erhalten zu können. Hätten die Bürger damals nur an sich
selbst gedacht, wären eben diese Stadtstaaten sicher untergegangen, da es ihnen
beispielsweise an der nötigen Verteidigung gefehlt hätte.
Heute, im Bezug auf die Europäische Union, geht es nicht mehr um finanzielle und
militärische Pflichten, sondern vielmehr darum, dass sich die Menschen mit ihren
Ideen, Vorschlägen und Meinungen auf europäischer Ebene einbringen können.
Dazu gibt es bereits eine Vielzahl an Möglichkeiten, nur mit dem Problem, dass diese
von den Unionsbürgern oft als viel zu weit entfernt eingeschätzt werden.
Da die Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten eine bedeutende Rolle innerhalb der
EU spielen, erscheinen die politischen Institutionen der Europäischen Union, das
heißt das Europäische Parlament, der Europäische Rat und die Europäische
Kommission, außerhalb des Erreichbaren eines Bürgers.
Aus diesem Grund sieht der Vertrag von Lissabon vor, dass die Bürger aller
Mitgliedsstaaten im Europäischen Parlament vertreten sind und die nationalen
Parlamente der Mitgliedsstaaten stärker in die Europäische Politik miteinbezogen
werden. Auch die Menge an verschieden politischen Institutionen hat die Bürger
verwirrt und verwirrt sie auch heute noch teilweise, da sie oft nicht sicher wissen, an
wenn sie sich mit ihren Anliegen wenden können. Die eindeutige Klärung der
Zuständigkeiten der einzelnen Institutionen soll das System deutlich transparenter
machen.
Aber welche Partizipationsmöglichkeiten habe ich jetzt schlussendlich als Bürger in
der Europäischen Union?
60
Zunächst einmal wäre da die einfachste, bekannteste und direkteste Möglichkeit. In
der Regel wird alle fünf Jahre das Europäische Parlament gewählt. Während einer
bestimmten Zeitspanne, die vom Europäischen Rat nach den traditionellen
Wahllokal-Öffnungstagen der einzelnen Mitgliedsstaaten bestimmt wird, kann jeder
Unionsbürger, der das Wahlrecht besitzt, egal in welchem Mitgliedsstaat er zu
diesem Zeitpunkt lebt, seine Stimme zur Bundes- oder Landesliste abgeben. Dabei
wird in allen Mitgliedsstaaten nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, gleich ob in
diesem Land normalerweise das Mehrheitswahlrecht oder das Verhältniswahlrecht
gilt.
Ebenfalls mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Möglichkeit eingeführt, eine
europäische Bürgerinitiative zu gründen. Dabei benötigt man die Unterschriften von
einer Million EU-Bürgern aus mindestens sieben verschiedenen EU-Staaten. So wird
Ihnen als Bürgern die Chance gegeben, Ihre eigenen Ideen in Europa stärker
einzubringen und direkt und unmittelbar auf den Politikprozess Einfluss zu nehmen.
Mit einer Bürgerinitiative ist die Europäische Kommission in der Pflicht, neue
politische Vorschläge zu einem bestimmten Thema zu unterbreiten und diese im
Europäischen Parlament und Rat zu behandeln.
Auch die Möglichkeit einer persönlichen Kontaktaufnahme besteht.
Die Europaabgeordneten haben in ihren Wahlkreisen Büros und bieten oftmals
Bürgersprechstunden an.
Darüber hinaus haben Sie als Unionsbürger die Möglichkeit, direkten Kontakt zum
Europäischen Parlament herzustellen, um Bürgeranfragen zu stellen, Informationen
abzufragen oder um dem Parlament Vorschläge zu unterbreiten. Da dies eines Ihrer
Rechte als Unionsbürger ist und jeder Bürger aus jedem Mitgliedsstaat berechtigt ist,
seine Ideen und Vorschläge einzubringen, hat auch jeder Einzelne von Ihnen das
Recht, seine Antwort in seiner Muttersprache zu erhalten, sofern sie eine der 23
offiziellen Amtssprachen der EU ist.
Eine weitere Möglichkeit, die sich oftmals für Vereine und Unternehmen, aber auch
für jeden einzelnen Bürger eignet, der oder die sich durch die Verwaltung der
Gemeinschaftsorgane benachteiligt fühlen, ist die Option, Beschwerde beim
Europäischen Bürgerbeauftragten einzulegen. Dieser versucht dann nach seinen
Möglichkeiten, einen annehmbaren Kompromiss für beide Seiten zu entwerfen.
Falls Sie sich als Bürger nicht durch ein Gemeinschaftsorgan diskriminiert fühlen,
sondern vielmehr um eine mögliche Rechtsverletzung durch einen der
Mitgliedsstaaten bangen, steht ihnen die Option offen, sich mit einer Petition direkt
an das Europäische Parlament zu wenden. Mit einer solchen Petition können Sie als
Bürger das Europäische Parlament auffordern, zu dieser Sache Stellung zu nehmen.
Das Parlament selbst kann, wenn sich Ihre Vermutung als Verstoß gegen ein
Gemeinschaftsrecht herausstellt, Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben
und die anderen Unionsbürger so auf das Problem aufmerksam machen.
Vor allem aus wirtschaftlichen Interessen trifft man in der EU eine weitere Gruppe an,
die durch Lobbyismus Zugang zu den Organen der EU gewonnen hat. Da die
Lobbyisten direkt vor Ort tätig sind, können sie ihre Verbände und Unternehmen über
Prozesse in der Politik informieren. Des weiteren stellen sie gleichzeitig durch ihre
Kompetenz und ihren Sachverstand eine bedeutende Informationsquelle für die
Abgeordneten dar und haben so eine unterstützende Funktion.
Aber auch Besuche, Besichtigungen und die Teilnahme an wichtigen
Veranstaltungen, wie beispielsweise Plenarsitzungen im Europäischen Parlament,
sind für alle Bürger in allen drei Arbeitsorten Brüssel, Straßburg und Luxemburg
möglich. Wobei Sie nach Terminabsprache auch ein persönliches Gespräch mit
einem der Abgeordneten führen können.
61
Dies alles waren Möglichkeiten der politischen Partizipation, bei denen Sie oftmals
sehr stark selbst die Initiative ergreifen müssen. Doch es gibt auch weitere
Möglichkeiten, wie die Meinungsumfragen, die das Europäische Parlament in
regelmäßigen Abständen durchführt, und die nach der Veröffentlichung beiden
Seiten als wichtige Informationsquelle dienen.
Ein weiterer Punkt zur Partizipation in Europa ist der Fakt, dass sich die Bürger nur
dann beteiligen und die Initiative ergreifen können, wenn sie ausreichend informiert
sind. Aus diesem Grund hat sich die Europäische Union der Transparenz verpflichtet,
so dass Sie als Unionsbürger mit kleinen Einschränkungen Zugriff auf fast alle
Dokumente der Europäischen Organe haben. Falls Ihnen dieser Zugriff verweigert
wird, haben Sie wieder die Möglichkeit, den Europäischen Bundesbeauftragten zu
Rate zu ziehen und sich zu beschweren.
All diese öffentlichen Möglichkeiten helfen dabei, mehr Aufmerksamkeit auf das
Europäische Parlament zu richten und wie Sie erkennen können sind bereits
zahlreiche Möglichkeiten der politischen Partizipation von der Europäischen Union
umgesetzt. Diese bereits umgesetzten Modelle können für weiteres europapolitisches Engagement der Bürger werben. Natürlich muss weiter daran gearbeitet
und geworben werden, aber nun ist es auch Ihre Aufgabe als Unionsbürger, ein Teil
der Europäischen Gemeinschaft zu werden und sich aktiv an einer der vielen Ihnen
gebotenen Möglichkeiten zu beteiligen!
Die nötigen Rechte für dieses Engagement haben Sie bereits. Es liegt an Ihnen,
diese auch umzusetzen. Denn diese Rechte sind nur theoretische Grundlage Ihrer
politischen Partizipation.
Es gibt bereits einige konkrete Projekte, sehr geehrte Damen und Herren, bei denen
Ihnen die Möglichkeit geboten wird, sich zu engagieren und selbst ein Teil der
Europäischen Gemeinschaft zu werden. So können sie selbst ein politisches
Programm für Europa entwerfen.
In Deutschland haben beispielsweise verschiedene Stiftungen ein Forum entwickelt,
auf dem jeder Bürger die Möglichkeit hat, seinen Vorschlag zur europäischen
Gestaltung einzubringen. Auf diesem Forum ist auch Bundeskanzlerin Angela Merkel
vertreten und diskutiert mit den Bürgern über eben diese Themen. Dabei kommen
die Ansichten der Bürger zu Tage und können über die Regierung ins Europäische
Parlament gebracht werden. Einige Meinungen, die auf diesem Forum diskutiert
wurden, möchte ich Ihnen nun kurz präsentieren.
Die Bürger haben beispielsweise den Wunsch bei Großprojekten und wichtigen
politischen Entscheidungen ein Mitspracherecht zu haben, da diese zu oft über die
Köpfe der Bürger hinweg entschieden werden. Außerdem wird der Wunsch nach
Workshops geäußert, die die Interessen der Bürger aktiv integrieren und
berücksichtigen. Zusätzlich fordern die Bürger, dass alle Planungsunterlagen im
Internet verfügbar und damit auch Diskussions- beziehungsweise Beteiligungsplattformen mit eingebunden sind.
Wie Sie sehen können gibt es einige Bürger, die sich bereits aktiv für die Politik
engagieren und gehört werden wollen. Auf einem solchen öffentlichen Forum, bei
dem auch die Bundeskanzlerin Zugriff hat und Vorschläge ans Europäische
Parlament weiterleiten kann, hat ein „lauter Bürger“ einen Teil seiner Pflicht schon
mal geschafft. Er ist zu diesem Zeitpunkt ein „guter Bürger“, der sich für die
Europäische Gemeinschaft interessiert und seine Vorschläge auch dementsprechend einbringt.
62
Wir brauchen mehr aktive Bürger, damit klar wird, dass man auch als einfacher
Bürger seine Ideen mit in die Politik einfließen lassen kann und sie dadurch auch
verändern kann!
Seien Sie keine stillen Bürger, denen alles egal ist, sondern lassen Sie Ihre Stimmen
laut und deutlich vernehmen!
Quellenangabe:
http://www.bpb.de/ (4.12.12)
http://www.europa-nur-mit-uns.eu/die-moeglichkeiten-zur-partizipation-in-europa.html
(4.12.12)
http://www.esslingen.de/site/ (4.12.12)
http://www.juraforum.de/lexikon/unionsbuergerschaft (18.11.12)
http://www.europarl.de/view//Europa/EU_Vorstellung/Unionsburgerschaft.html
(18.11.12)
http://europa.eu/legislation_summaries/justice_freedom_security/citizenship_of_the_
union/index_de.htm (18.11.12)
http://www.sueddeutsche.de/politik/ (18.11.12)
http://ec.europa.eu/soteu2012/index_de.htm (4.12.12)
http://gesetz.li/UB.html (4.12.12)
http://de.wikipedia.org/wiki/Unionsb%C3%BCrgerschaft (10.12.12)
http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10644_de.htm (7.12.12)
http://www.bmvbs.de/cae/servlet/contentblob/94800/publicationFile/65797/handbuchbuergerbeteiligung-auflistung-stellungnahmen.pdf (7.12.12)
http://www.europarl.at/view/de/SERVICE/BURGERANLIEGEN/rechte.html (7.12.12)
http://m.faz.net/themenarchiv/2.1242/europawahl/buergerforum-diskutiert-mitkanzlerin-wenn-die-eu-nicht-buergernaeher-wird-wird-sie-scheitern-1771512.html
(7.12.12)
http://eacea.ec.europa.eu/citizenship/index_de.php (7.12.12)
63
13. Rang: Johannes Schütz, Theodor-Frey-Schule Eberbach
„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger.“ Damit meinte Perikles all die Bürger, die
keinen Anteil an den politischen Vorgängen haben. Die heute als Politikverdrossene
bezeichneten waren für Perikles „schlechte Bürger“1. Zu der Frage, auf was dieses
ca. 2500 Jahre alte Zitat uns heute noch hinweisen kann, ist es sinnvoll, einen Blick
in die Zeit und das Umfeld, in dem dieses Zitat entstanden ist, zu werfen.
Perikles war einer der führenden Staatsmänner in der s.g. „Attischen Demokratie“.
Ein Stadt-Staat mit Einfluss, blühender Kultur und noch viel wichtiger, einer der
ersten Volkssouveränitäten.
In dieser Demokratie hatten die Bürger Mitbestimmungs-Rechte und MitVerantwortung für das Gemeinwohl. 2
Wir schauen also zurück auf die Anfänge unserer politischen Kultur, auf die Anfänge
Europas.
Und wir sehen ähnliche Probleme. Probleme, die mit der Ausgestaltung von
Demokratie, der Teilhabe an Demokratie und Legitimation selbst zu tun haben.
Nicht jeder Bewohner der „Polis“ Athen hatte Mitbestimmungsrecht, der oben zitierte
Perikles trumpfte mit genialer Rhetorik, durch die er sich Zustimmung sicherte, und
Privilegierte sowie organisierte Bürger nahmen in Form von Verbänden in
Volksversammlungen teil. 2
Mit Verweis auf die Diskussion zu Demokratiedefiziten innerhalb der EU, die Macht
von Verbänden sowie Klientel-Politik und politisches Kalkül, lassen sich
Ähnlichkeiten erkennen, wenn auch auf einer anderen Ebene.
Die wichtigste Frage jedoch ist die: „Welche Bürgerinnen und Bürger braucht die
Europäische Union?“ Nicht im Sinne von „wie kann das Volk am besten der
Europäischen Union als Bürokratie und Machtkonstrukt zur Erhaltung dienen?“,
sondern genauer: „Wie sollen wir als Bürgerinnen und Bürger uns gegenüber den
von uns und für uns gewählten Vertretern verhalten?“
Wir als Bürgerinnen und Bürger müssen anfangen, den Staat als Dienstleister zu
sehen und auch dementsprechend damit umzugehen. Der Staat stellt öffentliche
Güter bereit, für die niemand zahlen, die aber jeder nutzen will. Diese Güter nennt
man öffentliche Güter. Wie viel von welchem öffentlichen Gut jeder nutzen möchte
liegt an den eigenen Präferenzen.
Möchte ich mehr Straßen nutzen, weil ich einen tollen A8 fahre, oder möchte ich
einen Kita-Platz nutzen, weil ich ein tolles Kind habe? Der Politiker oder die Summe
der Politiker versuchen diese Präferenzen zu befriedigen, denn sie sind auf uns alle
als Wähler angewiesen.
Bei einer Wahl legen Bürgerinnen und Bürger, sofern sie sich an einer solchen
beteiligen, ihre Präferenzen offen.
1 Gefunden in: Wikipedia/Perikles-Rede, Link: http://de.wikipedia.org/wiki/Perikles,
zuletzt zugegriffen am:
2.02.2013
2 Gefunden in: (Wikipedia/Attische Demokratie), Link:
http://de.wikipedia.org/wiki/Attische_Demokratie, zuletzt
zugegriffen am: 01.02.2013
2
Mit der Wahl einer Partei stimmen Sie für ein ganzes Ideologiepaket, das s.g.
Parteiprogramm.
64
Damit drücken die Wahlbeteiligten aus, was sie von ihren Auftragnehmern erwarten,
nicht alle Einzelentscheidungen, aber doch Richtungen oder Tendenzen.
Das führt uns zu einem ersten Attribut eines Bürgers den die EU als Summe aller
Bürger braucht. Einen beteiligten Bürger, einen der zur Wahl geht.
Nur durch eine hohe Wahlbeteiligung kann eine ausreichende Legitimation und
Gerechtigkeit gegenüber den Wünschen der Bürger sichergestellt werden. Prinzipiell
haben die Bürger/innen immer zwei Möglichkeiten auf Politik und die resultierenden
Entscheidungen zu reagieren.
„Exit“ und „Voice“ 3. Die erste Möglichkeit bedeutet, bei nicht zufriedenstellender
Politik, dass jeder sich einen Ort suchen könnte, an dem er sich besser
betreut/regiert fühlt. Depardieu hat dies erst kürzlich getan und sich für 13% Steuern
in Russland (anstatt ca. 50% in FRA) entschieden.
Auch in der DDR war eine solche Abstimmung mit den Füßen zu beobachten.
Einleuchtend ist jedoch, dass es für diese Möglichkeit enorme Hemmnisse gibt.
Umzugskosten, Arbeitsplatz finden, Freunde/Familie verlassen, das eigene Leben
riskieren (DDR), wären nur ein paar Beispiele hierfür.
Die zweite Möglichkeit erscheint also plausibler und praktischer. Mit Voice ist die
freie Meinungsäußerung im Grunde gemeint. Im weiteren Sinne die freie
Meinungsäußerung mit dem Ziel politisches Handeln zu Steuern.
Hier stehen einem engagierten Bürger viele Möglichkeiten offen, die auch zu nutzen
sind.
Auf einen Politiker wirken 3 Gruppen ein: Die Bevölkerung (Wahl), organisierte
Gruppen (Verbände, ADAC, Hoteliers, IGM...) und die Presse (beeinflusst
Wahlverhalten).
In allen drei Gruppen kann sich jeder Bürger beteiligen, wenn auch nicht selbst als
Politiker.
In Verbänden kann ein Bürger sehr gezielt Partialinteressen durchsetzen oder
artikulieren.
Gleichzeitig führen diese Einzelinteressen zu einem Wohlfahrtsverlust für alle nicht
organisierten Bürger.4 Setzt der ADAC den Ausbau einer Autobahn durch, sind
Anwohner gestört und Umweltschützer empört (da die Autobahn ein wertvolles MoorBiotop zerstört). Allerdings haben auch Anwohner und Umweltschützer die
Möglichkeit sich zu organisieren. Ein Beispiel wäre eine Bürgerinitiative oder ein
Verband mit berechtigten Gegeninteressen. Ein Wettbewerb der Interessensgruppen
könnte also die gesamtwirtschaftliche Effizienz5 und die Legitimität von
Entscheidungen steigern.
3 Hirschman, A. O. : Exit, Voice and Loyalty. Responses to Decline in Firms,
Organizations and States. Harvard University Press, Cambridge MA 1970,
ISBN 0-674-27650-7
4 Olsen, M. (2004): Die Logik des kollektiven Handelns. 5. Auflage, Tübingen
5 Becker, G. S. , (1996a): Interessengruppen und politisches Verhalten (1985). in:
Becker, Gary S.: Familie,
Gesellschaft und Politik, Nr. 96, S. 163-184.
Becker, G. S., (1996b): „A Theory of Competition Among Pressure Groups for
Political Influence“, in Journal of Economics 38, S. 329-347
3
Es ist also ein weiteres Attribut des guten Bürgers, dass er sich engagiert, seine
Interessen
artikuliert und organisiert.
65
Desweiteren sollte der Bürger sich für politische Prozesse und Entscheidungen
sowie die Kontrolle der durch ihn beauftragten Person interessieren.
Hier ist ein grundlegendes Problem, welches bei der Delegation von Aufgaben kaum
zu vermeiden ist, zu beachten.
Ist ein Politiker einmal gewählt, hat der Bürger es schwer, seine Arbeit zu bewerten.
Als Bürger kann ich nicht jede Einzelentscheidung bewerten, d.h. Kosten und Nutzen
abwägen.
Der Politiker handelt vielleicht nicht immer Gesamtwohl maximierend, sondern
Eigenwohl maximierend.
Der Bürokratieapparat könnte sich unnötig ausdehnen und Leistungen über ein
effizientes Maß hinaus bereitstellen.
Zu welchen Folgen eine zu hohe Staatsquote führen kann ist in den vergangenen
Jahren sehr gut in manchen Süd-Europäischen Ländern zu beobachten gewesen. Es
wurden übermäßig viele Bürger beim Staat beschäftigt, was zu einem übermäßigen
Maß an Steuerbelastung führte, was schnell auch zu Schulden führte (da
Steuererhöhungen eine Wiederwahl gefährden, werden viele Staatsausgaben
Schulden-finanziert). 6
Es liegt in der Hand jeden Bürgers, in wie weit er sich von Politikern beeinflussen
lässt, oder in wie weit er sie selbst beeinflusst. Bei einem mündigen Bürger ist
letzteres der Fall.
Ein mündiger, also guter Bürger weiß, dass für Griechenland ein Schuldenerlass
kommt, aber eben nicht vor der nächsten Wahl. Ein mündiger Bürger weiß um die
Anreize von Politikern, vor bzw. nach der Wahl Geschenke zu verteilen (FDP
Hoteliers entlastet, CDU/FDP Praxisgebühr abgeschafft), er weiß, dass eine
Beteiligung am Mali-Konflikt außenpolitisch sinnvoll wäre, aber eben nicht während
der Niedersachsen-Wahl.
Dies wären nur einige Beispiele, die zu nennen sind. Ein mündiger Bürger wäre für
solche wohlfahrtssenkenden kurzfristigen politischen Kalküle nicht empfänglich.
Politiker würden einen großen Teil der Anreize für Klientel- und kurzfristige
Politik verlieren.
Dennoch ist ein solcher Bürger selten, denn für jeden Einzelnen ist eine
bestmögliche Informationsfülle zu politischen Entscheidungen und Hintergründen
nicht effizient, da der Zeitaufwand zu enorm wäre.
Diese Mündigkeit übertragen wir mehr oder weniger seriösen Medien, welche eine
Kontrollfunktion gegenüber Politikern einnehmen. Diese bezeichnet man auch als
vierte Gewalt.7 Klar stimmt nicht alles was in der BILD steht, aber genauso wenig
stimmt alles was in der „Zeit“ steht. Dennoch sind Politiker durch die Medien unter
Beobachtung und zu ständigen Stellungsnahmen gefordert.
Dies führt sicher zu weniger Verschwendung wegen einer erhöhten Haftung der
Politiker bei Fehlentscheidungen. Beispiele hierfür wären der Guttenberg-Rücktritt,
die Berliner Flughafen-Diskussion und die Diskussion über Stuttgart 21.
6
Buchanan, J. M.; Wagner, Richard E. (1977). Democracy in Deficit: The Political
Legacy of Lord Keynes, New York, Academic Press
7
Gefunden in: Hessischer Rundfunk, Online, Link: http://www.hronline.de/website/specials/wissen/index.jsp?rubrik=68533&key=standard_document
_39345529, zugegriffen am 02.02.2013
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Politiker müssen sich rechtfertigen, sowie in jedem demokratischen Prozess eine
vorhergehende Diskussion nötig ist, welche die Kosten, Nutzen, Präferenzen und
Opportunitätskosten einer Entscheidung abwägt. Wichtig ist, dass der gute Bürger
daran teilnimmt und sich für oder gegen Änderungsvorschläge ausspricht.
Nur so kann ein funktionierendes Rückkopplungssystem zwischen Staatsführung und
Bevölkerung funktionieren. Nur durch teilhabende Bürger können in einer Demokratie
effiziente und legitimierte Entscheidungen getroffen werden.
Quellenangaben
1 Gefunden in: Wikipedia/Perikles-Rede, Link: http://de.wikipedia.org/wiki/Perikles,
zuletzt
zugegriffen am: 2.02.2013
2 Gefunden in: (Wikipedia/Attische Demokratie), Link:
http://de.wikipedia.org/wiki/Attische_
Demokratie, zuletzt zugegriffen am: 01.02.2013
3 Hirschman, A. O. : Exit, Voice and Loyalty. Responses to Decline in Firms,
Organizations and
States. Harvard University Press, Cambridge MA 1970, ISBN 0-674-27650-7
4 Olsen, M. (2004): Die Logik des kollektiven Handelns. 5. Auflage, Tübingen
5 Becker, G. S. , (1996a): Interessengruppen und politisches Verhalten (1985). in:
Becker, Gary S.:
Familie, Gesellschaft und Politik, Nr. 96, S. 163-184.
Becker, G. S., (1996b): „A Theory of Competition Among Pressure Groups for
Political Influence“,
in Journal of Economics 38, S. 329-347
6 Buchanan, J. M.; Wagner, Richard E. (1977). Democracy in Deficit: The Political
Legacy of
Lord Keynes, New York, Academic Press
7 Gefunden in: Hessischer Rundfunk, Online, Link: http://www.hronline.de/website/specials/
wissen/index.jsp?rubrik=68533&key=standard_document_39345529, zugegriffen am
02.02.2013
weitere Quellenangaben:
Putnan, R, (1993), Making Democracy Work, Princeton
Nordhaus, W., (1975), „The Political Business Cycle“, Review of Economic Studies
42, S.169-190
Erlei, M., Leschke, M., Sauerland, D., (2007), Neue Institutionenökonomik, Stuttgart,
Schäffer-Poeschel Verlag
67
14. Rang: Viorica Engelhardt, Goethe-Gymnasium Ludwigsburg
„Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse,
sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt. Dieses gemeinsame Interesse
beschränkt sich nicht auf die Summe der einzelnen Willensäußerungen, sondern
geht über sie hinaus.“ – Jean-Jacques Rousseau: Le contrat social
Der Satz von Rousseau, einem der geistigen Wegbereiter der Französischen
Revolution, ist unbeschränkt anwendbar auf die Charakterisierung der
Unionsbürgerschaft. Wie in jeder Gemeinschaft müssen auch in einer so großen,
hunderte von Millionen Menschen umfassenden wie der EU Partikularinteressen
hinter Gemeinschaftsinteressen zurückstehen. Dabei ist die Verlagerung von
individualstaatlichen Prozessen hin zur EU durchaus nicht für alle EU-Bürger leicht
nachzuvollziehen. Der gewohnte Rahmen ist immer zunächst der überschaubare,
das heißt der staatliche, manchmal gerade noch in der älteren Generation sogar nur
der regionale. Erst vor wenigen Tagen sprach ich mit einer Schweizerin (dass die
Schweiz nicht EU-Mitglied ist, ist hier unerheblich), deren jetzt 70jährige Schwester in
ihrem Leben kaum aus ihrem Kanton herausgekommen ist, gerade je einmal nach
Österreich und Italien. Wie soll bei einem solchen Leben eine mehr als bestenfalls
nationale Identität entstehen? Diese Frau ist genau die „stille, aber nicht die gute
Bürgerin“, die Perikles gemeint hat.
Ihm ging es dabei nicht um die menschliche Geringschätzung solcher Personen und
ihrer individuellen Lebensentwürfe. Aber er wusste, dass ein Gemeinwesen sich nur
entwickeln kann, wenn es außer den persönlichen Interessen auch übergeordnete
gibt, die von der Allgemeinheit getragen werden.
Daher steht am Beginn jeder erweiterten Orientierung zunächst mal die Bereitschaft
für Neues, die Offenheit, über den Tellerrand hinauszublicken und eine gewisse
Großzügigkeit der Perspektive. Natürlich bildet sich dies durch Reisen, das Erlernen
von Sprachen, durch das Kennenlernen fremder Kulturen. Dann wird es auch ein
Verständnis dafür geben, dass das große Gemeinsame dem Einzelnen wieder zu
Gute kommen kann. Offene Grenzen, eine gemeinsame Währung, die Erleichterung
des Binnenhandels sind Beispiele für eine gelungene Umsetzung des
Unionsgedankens. Beim Reisen innerhalb der EU auf Pass- und Zollkontrollen zu
verzichten, kein Geld umtauschen zu müssen, bedeutet für den Einzelnen eine große
Erleichterung. Gerade ein wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland profitiert vom
erleichterten Binnenhandel, die Arbeitsplätze vieler Menschen hängen davon ab.
Dabei kommen wir natürlich auch immer wieder an emotionale Grenzen. Als ich
gestern mit dem Schulorchester in unsere französische Partnerstadt gereist bin und
der Bus 15 Minuten an einer Mautstation stand, die es so bei uns gar nicht gibt, hat
sich bei mir kein besonderes Unionsgefühl eingestellt. Von diesem kleinen Beispiel
aus auf das große Ganze gesehen: Es ist den Menschen schwer vermittelbar, warum
die EU über die Effizienz von Glühbirnen wachen muss, die Arbeits- und Ruhezeiten
von Krankenhausärzten in Liverpool und Ludwigsburg regelt oder die Tabakwerbung
reguliert, wenn doch jeder Mitgliedsstaat sein eigenes Gesundheitssystem hat. Es
war der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel, der eine
Erklärung dafür verlangte, warum ein Landratsamt zwar ein Naturschutzgebiet
ausweisen darf, ein Vogelschutzgebiet aber von der EU-Kommission bestimmt wird.
Zurück zu Perikles: Wir gewinnen den „guten Bürger“ nur, wenn für ihn ein Vorteil
ersichtlich ist bei der politischen Mitsprache. Dass die traditionellen Parteien immer
wieder Wähler verlieren an freie Wählerschaften oder Parteien wie die Piraten zeigt,
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dass es Zweifel daran gibt, wie und von wem die politische Willensbildung
repräsentiert wird.
Es könnte im Vergleich zu früheren Zeiten auch ein Nachteil für das System des
„guten Bürgers“ sein, dass wir gerade in Deutschland immer noch in sehr
gesicherten Verhältnissen leben, die bei vielen eher ein Gefühl der politischen
Lethargie auslösen, da es für sie keinen unmittelbaren Anlass gibt, sich politisch zu
bilden, zu beteiligen und zu einer Weiterentwicklung beizutragen. Außerdem leben
im Osten Deutschlands immer noch viele Menschen mit einer DDR-Vergangenheit,
für die es bis 1989 vollkommen unmöglich war, ein Bürger im Sinne von Perikles zu
sein und die entsprechend sozialisiert wurden.
Da die EU erkannte, wie sehr sie auf eine Mitwirkung ihrer Bürger angewiesen ist,
die nicht dem Einzelinteresse, sondern der Gemeinschaft dient, rief sie das Jahr
2011 zum Jahr des Ehrenamts aus. In Vereinen, Kirchen und Verbänden gibt es
unzählige Menschen, die bereit sind, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Freizeit für
die Gemeinschaft bereit zu stellen. Andererseits macht die zunehmende
Individualisierung der Gesellschaft und die Auflösung traditioneller Familienstrukturen
es genau diesen Institutionen schwer, neue Mitglieder zu gewinnen.
Wenn wir sehen, wie ehemals politische Schwellenländer wie China, Indien und
Brasilien wirtschaftlich aufgeholt haben, können wir es uns nicht leisten, untätig zu
sein. Ich appelliere an uns alle, sich politisch zu bilden, wach zu sein für das, was
diese Gesellschaft von uns braucht und bereit zu sein, zu geben – um dafür auch
etwas zurück zu bekommen in Form von gesellschaftlicher Anerkennung, politischer
Teilhabe und dem Bewusstsein, gestalterisch tätig zu sein: Etwas, was mit Geld nicht
zu bezahlen ist.
69
15. Rang: Lea Bader und Neele Porth, Helene-Lange-Gymnasium Markgröningen
Wir alle sind heute hier zusammengekommen, weil wir etwas verändern wollen.
Wenn ich in eure Gesichter schaue, sehe ich Menschen, die etwas erreichen wollen,
die sich für ihre Meinung stark machen wollen. Junge Erwachsene, die erkannt
haben, dass es eine Zukunft ohne sie nicht gibt, denn wir alle sind die Zukunft
unseres Kontinents!
Wir leben in einer Welt, die immer nur so gut sein kann, wie wir sie gestalten. Wir
tragen die Verantwortung für unsere Nachkommen. Ihnen eine Welt zu hinterlassen,
in der es sich lohnt zu leben, das muss unser Ziel sein.
Zusammen müssen wir uns für ein Europa stark machen, in dem Zusammenhalt statt
Egoismus zählt und Rücksicht Vorurteile überwindet. Wir müssen laut sein, gegen
Ungerechtigkeit ankämpfen und uns für andere einsetzen. Wir alle können, indem wir
nicht still schweigend über Ungerechtigkeit hinweg sehen, eine andere, eine bessere
Welt schaffen. Denn schon in der Antike stellte der Philosoph Perikles fest, dass ein
stiller Bürger kein guter Bürger ist.
Wo wären wir heute, wenn sich keiner wehren würde gegen Ungerechtigkeit?
Wir haben es dem Durchsetzungsvermögen und Kampfgeist vieler Menschen in der
Vergangenheit zu verdanken, dass wir heute die Rechte haben, die ein jeder von uns
besitzt. Ohne diese Rechte würde es uns sehr viel schlechter gehen und wir würden
unter Unterdrückung leiden oder gar in Sklaverei leben. Doch dadurch, dass
Menschen aus diesem Zustand fliehen wollten, sich dieses nicht länger gefallen
lassen wollten, kam es zu unseren Menschenrechten. An diese muss sich jeder
Staat in der Europäischen Union halten. Das ist eine Errungenschaft von guten
Bürgern, von Bürgern, die den Zustand nicht einfach so hinnahmen.
Unsere Vorfahren konnten schon so viel erreichen, indem sie sich
zusammenschlossen um etwas zu ändern. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die
Französische Revolution. In dieser Revolution hat sich die einfache Arbeiterschaft
gegen die Adligen und den König erhoben. Sie wollten sich die Zustände nicht länger
gefallen lassen. Was mit dem Sturm auf die Bastille begann, endete mit dem Sturz
des Königs. Sie wollten etwas bewegen und haben etwas bewegt. Wieso nehmen wir
uns also nicht ein Beispiel an diesen mutigen und starken Menschen?
Dank unserer Vorfahren leben wir heute in einem Europa, in dem mehr Länder unter
einer Demokratie als Diktatur geführt werden. Dies ist jedoch kein Zustand,auf dem
wir uns ausruhen und zurücklehnen können. Unser Ziel muss es sein, die Menschen
in den Ländern zu unterstützen, die noch immer unter einer versteckten Diktatur
leiden. Ein Bespiel hierfür ist der arabische Frühling. Es begann damit, dass ein
Mann sich in Brand gesetzt hat, um ein Zeichen zu setzen. Er wollte sich nicht länger
die Ungerechtigkeiten gefallen lassen. Durch seine Tat fanden die Menschen den
Mut, den sie brauchten, um sich gegen die totalitären Regierungen zu wehren.
Die Menschen in Ägypten trafen sich Tag für Tag auf dem Tahrir-Platz, um für ihre
Meinung einzustehen. Die Regierung zum Sturz zu bringen war das Ziel und sie
ließen sich nicht durch den Einsatz von Waffen daran hintern. Und als sie endlich ihr
Ziel erreichten hatten und Präsident Mubarak sich zurückzog, kam der nächste
Tiefschlag. Der neugewählte Präsident Mursi wollte den Bürgern ihre Rechte
entziehen und die richterliche Gewalt außer Kraft setzen. Doch nach allem, was die
Bürger Ägyptens getan hatten, wollten sie sich das nicht gefallen lassen. Sie gingen
weiter auf die Straße. Sie machten weiter auf sich Aufmerksam. Sie zeigten der Welt
weiter, was bei ihnen falsch läuft. Und siehe da, dass alles zeigte seine Wirkung.
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Präsident Mursi distanzierte sich von seinen Absichten und es sollte einen
Volksentscheid geben.
Die Tatsache, dass es eine Gruppe von Menschen geschafft hat, einen Präsidenten
zum Umdenken zu zwingen, sollte uns Mut machen. Mut machen für etwas, was in
unserer Gesellschaft ganz wichtig ist. Nämlich das Interesse an Politik. Wir müssen
uns weiter in der Politik engagieren, denn die Demokratie lebt vom Volk, sie lebt von
uns!
Sobald sich keiner von uns mehr in der Politik engagiert, kann es keine Demokratie
geben. Es liegt vor allem an uns Jugendlichen, sich zu engagieren. Wir müssen
politisch aktiv sein, wenn wir wollen, dass auch noch unsere Kinder oder Enkel in
einer Demokratie leben können. Denn wo keine Wähler sind, kann es irgendwann
auch keine Wahlen mehr geben!
Es ist aber leider eine Tatsache, dass die Politikverdrossenheit steigt und die
Wahlbeteiligung immer mehr sinkt. 2009 bei den Bundestagswahlen war der
Tiefpunkt der Wahlbeteiligung erreicht. Nur noch 72,2% der Wahlberechtigten
machten von ihrem Recht Gebrauch und gingen wählen. Wir sollten doch aber viel
eher stolz darauf sein, dass wir in Deutschland das Recht haben mitzubestimmen.
Wir haben die Möglichkeit zu bestimmen, welches politische Programm wir haben
wollen und können helfen, dieses dann in die Tat umzusetzen.
Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass so viele von uns dieses Privileg nicht zu
schätzen wissen. Es gibt Millionen von Menschen, denen es ganz anders geht. Die
viel dafür geben würden, unsere Rechte zu haben und nicht unter Unterdrückung
leiden zu müssen. Wenn wir also die Möglichkeit haben müssen wir sie doch auch
nutzen, das sind wir den Menschen schuldig, denen dieses Recht nicht vorbehalten
ist.
Ich möchte uns aber nicht nur kritisieren, denn wir sollten auch stolz auf uns sein! Als
große Gruppe trauen wir uns, etwas verändern zu wollen. Ich spiele hier auf die
zahlreichen Demonstrationen an, die in unserer heutigen Zeit sehr populär geworden
sind. In Ihnen kämpfen wir gegen Arbeitslosigkeit und Projekte und für Naturschutz
und vieles andere.
Wir sind nämlich noch lang nicht in einer Welt angekommen, die ganz und gar
problemlos ist. Ganz im Gegenteil: Mit neuen Entwicklungen ergeben sich immer
wieder auch neue Probleme.
Ein Beispiel für solche Demonstrationen ist zum Beispiel die Demo gegen und für
Stuttgart 21. Die Demonstranten erreichten mit ihren wöchentlichen
Demonstrationen, dass die Politiker eine Volksabstimmung zu dem Bahnprojekt
durchziehen mussten. Diese fiel zwar für das Projekt aus, da sich auch
Demonstrationen Pro Stuttgart 21 gebildet hatten und dennoch sollten wir uns
dadurch nicht entmutigen lassen. Denn das wichtigste ist, dass hier das Volk
gesprochen hat! Egal auf welcher Seite wir kämpfen, wir alle versuchen etwas zu
erreichen und wollen nicht einfach irgendwelche Entscheidungen von Politikern
hinnehmen.
Denn mal ehrlich: Es gibt keinen Menschen, der keine Meinung hat. Wir alle bilden
uns durch die Medien oder durch Gespräche mit anderen eine Meinung. Und wenn
wir sie doch haben, warum sollten wir sie nicht dann auch vertreten?
Nun habe ich aber ziemlich viel über Politik gesprochen, aber ich bin der Meinung,
dass man Perikles Zitat auch auf ganz andere, aber deshalb nicht weniger aktuelle
Themen beziehen kann.
71
Für uns alle momentan ein sehr präsentes Thema ist wohl das Problem Zivilcourage.
Wenn wir in der Zeitung lesen müssen, dass ein 14-Jähriger von zwei 16-Jährigen
auf offener Straße zusammengeschlagen worden ist, so müssen wir uns doch
fragen, was da falsch läuft. Und es ist definitiv so, dass wenn wir daran vorbei laufen
und wegschauen und hinter behaupten nichts gesehen zu haben, dass in unserer
Gesellschaft irgendetwas schief läuft. Ein stiller Bürger schaut bei Gewalt einfach
weg, aber das kann keine Lösung sein, dann ist derjenige kein guter Bürger.
Wir alle bewundern die Menschen, die es sich getraut haben, etwas gegen diese
Gewalt zu unternehmen. Wir zeichnen sie mit Orden und Preisen aus. Dabei könnte
jeder von uns zu einem kleinen Helden des Alltags werden, wie zum Beispiel der
Mann der im September 2009 sich schützend vor vier Kinder stellte, um sie vor
angreifenden Jugendlichen zu schützen. Er wurde in der folgenden Prügelei zu Tode
geschlagen. Im Nachhinein zeigen wir Bestürzung, aber dennoch hat sich keiner am
besagten Tag getraut einzugreifen und so den Mann vielleicht vor dem Tod gerettet.
Aber es muss nicht gleich dieser große Held sein, der wir sind. Es geht auch viel
kleiner, aber deswegen nicht weniger wichtig. Zivilcourage fängt nämlich schon sehr
viel früher an. Schon das Aufbegehren gegen ungerechte Behandlung, wie
Benachteiligung durch einen Lehrer oder das Mobbing eines Mitschülers, braucht
Mut und hat etwas mit Zivilcourage zu tun. Also kann jeder etwas gegen
Ungerechtigkeiten unternehmen, egal wie klein der Versuch auch ist. Es darf aber
nie unser Ziel sein, dies nur zu tun, um nachher als Held dazustehen. Die Menschen,
die andere verteidigen oder sich in gefährliche Situationen begeben, haben dies für
andere gemacht und nicht für das eigene Image oder die persönliche Wertschätzung.
Das wäre auch falsch!
Es reicht, wenn jeder Einzelne von uns versucht die Welt jeden Tag ein wenig besser
zu machen.
Und so hoffe ich, dass ihr nach meiner Rede heute raus in die Welt geht und der
Menschheit nicht länger eure Meinung verschweigt, sondern ihr euch für sie einsetzt
und vor allem auch andere dazu anstiftet, sich mehr in unserer Gesellschaft zu
engagieren. Wir haben Rechte und wir sollten diese Rechte für uns nutzen!
Wir alle wissen, dass es Mut braucht, wenn wir etwas verändern wollen. Es ist nicht
immer einfach und geht ganz gewiss nicht immer schnell, aber wenn viele, wenn wir
alle das gleiche Ziel vor Augen haben und dieses auch unbedingt erreichen wollen,
dann können wir das auch schaffen. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen und
einfach so hinnehmen. Setz euch ein und seid laute Bürger, die nicht alles mit sich
machen lassen!
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