Gesetzlich versicherte Patienten nicht vor den Kopf stoßen

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Gesetzlich versicherte Patienten nicht vor den Kopf stoßen
Da die Einnahmen im GKV-Bereich immer mehr zurückgehen, ist es nur konsequent,
dass sich viele Praxen verstärkt um Privat- und IGeL-Patienten bemühen. Wenn das
aber dazu führt, dass die gesetzlich versicherten Patienten sich als „Patienten 2. Klasse“ fühlen, kann sich die wirtschaftliche Lage der Praxis unter Umständen sogar verschlechtern statt verbessern. Schließlich machen Einnahmen aus dem GKV-Bereich in
der Regel zwischen 70 und 90 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Wenn der Praxis hier
also die Patienten davon laufen, können die Verluste nicht bzw. auf jeden Fall nicht
schnell genug durch höhere Privateinnahmen kompensiert werden.
VON GÜNTHER FRIELINGSDORF*
Berichte über eine demonstrative Bevorzugung von Privatpatienten haben in den letzten
Wochen in den Medien viel Aufmerksamkeit erregt und auch für Beunruhigung unter gesetzlich versicherten Patienten gesorgt. Dass solch eine Stimmung für das Arzt-Patientenverhältnis nicht förderlich ist und damit auch der Praxis schadet, hat Dr. N. schon vor zwei
Jahren in der eigenen Praxis erlebt.
Der Ärger darüber, dass seine Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen oft nicht
mehr angemessen honoriert wurden, war bei dem Internisten immer größer geworden. Deshalb beschloss er, seine Praxis für Privatpatienten attraktiver zu machen und auch Selbstzahler-Leistungen in sein Praxisspektrum aufzunehmen. Da seine Praxis in einem Stadtteil
liegt, in dem viele gut verdienende Menschen leben und arbeiten, schien seine Rechnung
zunächst auch aufzugehen. Zumindest gelang es Dr. N. innerhalb eines Jahres seinen Privatumsatz deutlich zu steigern.
Seine Einnahmen insgesamt waren jedoch nicht höher als früher, sondern sie waren im Gegenteil leicht gesunken. Denn im Laufe des Jahres hatten immer mehr gesetzlich versicherte
Patienten die Praxis verlassen. Sie fühlten sich offenbar vor den Kopf gestoßen, weil sie erleben mussten, dass Privatpatienten demonstrativ bevorzugt wurden: Die Arzthelferinnen am
Empfang begegneten ihnen freundlicher, sie bekamen schneller einen Termin, mussten nicht
so lange warten und auch Dr. N. schien ihnen mehr Zeit zu widmen als den gesetzlich Versicherten.
Dr. N. sah sich in einer Zwickmühle. Einerseits konnte und wollte er den Privat- und Selbstzahler-Bereich nicht wieder einschränken. Schließlich war es für seine Praxis angesichts der
niedrigen Honorare im GKV-Bereich existenziell wichtig, zusätzliche Einnahmen außerhalb
dieses Bereiches zu erwirtschaften. Andererseits konnte er es sich aber auch nicht leisten,
weitere Kassenpatienten zu verlieren. Deshalb wandte er sich schließlich an einen betriebswirtschaftlichen Berater, mit dessen Hilfe er die Praxis wieder auf Erfolgskurs brachte.
Mehr Privat- und IgeL-Patienten erfordern effektivere Praxisorganisation
Nach eingehender Beschäftigung mit den Praxiszahlen der Vergangenheit und Gegenwart
sowie nach einer Analyse des Praxisumfeldes und der Praxisorganisation bestätigte der Experte zunächst einmal, dass N.’s Strategie, den Privatumsatz in seiner Praxis zu erhöhen,
durchaus sinnvoll und notwendig war. Schließlich zeigten die Erfahrungen aus der Vergangenheit, dass die Einnahmen im GKV-Bereich auch bei gleich bleibenden Fallzahlen zurückgehen.
Bei der Umsetzung hatte Dr. N. allerdings wie viele seiner Kollegen den Fehler gemacht,
seine Praxisorganisation nicht an die geänderte Zielsetzung anzupassen. Er hatte nicht überprüft, ob unter den gegebenen Umständen im Praxisablauf überhaupt ausreichend Zeit
für eine Erweiterung des Praxisspektrums um ausgewählte IGeL-Angebote und für eine steigende Anzahl von Privat- und IGeL-Patienten war, zumal diese Patienten dann noch besonders zuvorkommend betreut werden sollten. Unter diesen Vorraussetzungen musste sein
Vorhaben über kurz oder lang dazu führen, dass die Kassenpatienten in seiner Praxis vernachlässigt wurden. Schließlich bedeuteten mehr Privat- und IGeL-Patienten für die Helferinnen aber auch für Dr. N. mehr Arbeit. Und da auf anderem Wege keine Freiräume dafür
geschaffen worden waren, ging diese Arbeit naturgemäß auf Kosten der Kassenpatienten.
Zur Erleichterung von Dr. N. zeigte sich aber, dass die Lösung dieses Problems kein „Entweder – Oder“ sein muss. In einer gut organisierten Praxis ist es vielmehr möglich, dass sowohl Kassenpatienten als auch Privat- und Selbstzahler-Patienten zu ihrem Recht kommen.
Gemeinsam mit dem Berater und unter Einbeziehung der Helferinnen hat Dr. N. die Arbeitsorganisation und die Terminplanung in seiner Praxis neu strukturiert. Aufgaben wurden zum
Teil neu verteilt und einige Arbeitsabläufe sogar geändert. Schon dadurch wurden Freiräume
geschaffen. Die durchgreifensten Änderungen gab es aber bei der Terminplanung.
Früher hatten die Helferinnen Termine einfach im 10-Minuten-Takt vergeben. Kamen Patienten ohne Termin in die Sprechstunde, wurden sie meist dazwischen geschoben. Heute versuchen die Helferinnen schon bei der Terminvergabe möglichst genau zu erfahren, warum
der Patient in die Praxis kommt. Denn wenn sie wissen, welche Untersuchungs- bzw. Behandlungsmethoden anstehen, können sie nun sehr viel genauer einschätzen, wie viel Zeit
der Arzt für diesen Patienten braucht und dies bei der Terminplanung berücksichtigen. Damit
dies möglich wurde, hatten Dr. N. und seine Helferinnen zuvor über mehrere Tage protokolliert, wie viel Zeit die verschiedenen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in Anspruch
nehmen und eine entsprechende Übersicht erstellt, die nun Grundlage für die Terminplanung
ist.
Schnell- und Privatsprechstunden entzerren die Patientenströme
Auch Pufferzeiten werden nun bei der Planung eingehalten. Schließlich kann es immer mal
vorkommen, dass Behandlungen länger dauern als geplant, oder dass ein Notfall eintritt.
Außer dringenden Notfällen werden in der laufenden Sprechstunde allerdings keine Patienten mehr „dazwischen geschoben“. Vielmehr wird Patienten, die unangemeldet in die Praxis
kommen, zunächst angeboten, einen Termin zu vereinbaren oder, wenn sie unbedingt doch
am gleichen Tag behandelt werden möchten, sie auf die so genannte Schnellsprechstunde
verwiesen. An vier Vormittagen und drei Nachmittagen wird bei der Terminplanung für diese
Schnellsprechstunde jeweils ein fester Zeitblock am Ende der Sprechstunde reserviert. Die
Patienten können also noch am gleichen Tag behandelt werden, ohne den bestehenden
Terminplan durcheinander zu bringen. Allerdings werden in dieser Sprechstunde auch nur
akute Anliegen behandelt. Besteht weiterer Untersuchungs- oder Behandlungsbedarf, müssen sich die Patienten dafür einen Termin geben lassen.
Eine weitere Neuerung in der Sprechstundengestaltung ist, dass ein Nachmittag pro Woche
reserviert ist für Privat- und IgeL-Patienten. Behandlungen, die besonders viel Aufmerksamkeit und Zeit erfordern, werden, wann immer möglich, auf diesen Nachmittag gelegt. Diese
Regelung hat mehrere Vorteile: Sie schont das Budget, da in dieser Zeit keine Kassenpatienten behandelt werden und die Patienten müssen nicht in einem vollen Wartezimmer warten.
Was bei den Patienten besonders gut ankommt, ist aber vor allem, dass Dr. N. sich hier
mehr Zeit für sie nehmen kann.
Insgesamt haben die Neuregelungen in Dr. N.’s Praxis dazu geführt, dass die Patientenzahlen wieder deutlich angestiegen sind. N. und seinem Praxisteam ist es dabei nicht nur gelungen, kontinuierlich mehr Kassenpatienten zu gewinnen und an die Praxis zu binden, so dass
die Umsatzverluste aus der Vergangenheit hier wieder wett gemacht wurden, sie konnten
daneben auch noch die Privateinnahmen weiter steigern. Wobei die höheren Einnahmen vor
allem im Bereich der individuellen Gesundheitsleistungen erzielt wurden. Dies zeigt, dass es
doppelt wichtig ist, bei einer Erweiterung des Praxisspektrums um Privat- und IGeLAngebote die gesetzlich versicherten Patienten nicht zu vernachlässigen. Nämlich nicht nur,
weil die GKV-Einnahmen immer noch den weitaus größten Anteil am Umsatz der Praxis haben, sondern auch, weil viele gesetzlich versicherte Patienten an individuellen Gesundheitsleistungen interessiert sind und auch bereit und in der Lage sind, dafür zu bezahlen. Und es
ist ohne Zweifel wesentlich einfacher, Patienten, die schon in der Praxis sind, für diese Leistungen zu gewinnen, als Patienten, die die Praxis noch gar nicht kennen.
*Günther Frielingsdorf ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen
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