MEINE SPRECHSTUNDE ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Krebs-Reha: Heilung für Körper und Seele Krebs befällt nicht nur Organe. Auch die Psyche leidet. Bei einer Reha können Patienten beides stärken, Körper und Seele. In der Klinik Prof. Schedel versucht man, Prof. Dr. Christian Stief Betroffenen mit psychoAls Chefarzt im Münchner onkologischen AngeboKlinikum Großhadern erlebe ten ihre Ängste zu nehich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Mei- men. Inge Bock hat dies ne Kollegen und ich möchten genützt – und neue Kraft den Merkur-Lesern daher je- getankt. den Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht im Brustkrebsmonat Oktober die Reha von Krebspatienten. Und diese haben nicht nur körperliche Probleme. In der Klinik Prof. Schedel in Kellberg bei Passau suchen Experten wie Geschäftsführer Prof. Hannes Schedel und Chefarzt Dr. Markus Higi, nach Möglichkeiten, die Patienten auch seelisch zu unterstützen. Stichwort: Psychoonkologie Das medizinische Fachgebiet, das sich mit der Behandlung von Krebspatienten befasst, ist die Onkologie. Ihr Schwerpunkt ist die Therapie von Tumoren sowie die Erforschung neuer Methoden. Hierbei wurden in den vergangenen Jahrzehnten teils große Fortschritte erzielt. Immer öfter können Patienten geheilt werden oder leben mit ihrer Krankheit viele Jahre lang. Das heißt aber auch: Sie müssen immer öfter mit den Belastungen zurechtkommen, welche die Krankheit und deren Therapie mit sich bringen. Das heißt: Sie haben körperliche Einschränkungen, leiden unter Nebenwirkungen der Medikamente und leben mit der Angst vor einem Rückfall oder dem Tod. Dies führte dazu, dass ein Teilgebiet der Onkologie immer wichtiger wurde: die Psychoonkologie oder auch psychosoziale Onkologie. Sie befasst sich mit allen Fragen, die über die rein medizinische Therapie hinausgehen. Betreut werden dabei sowohl die Patienten als auch deren Angehörige. Studien zeigen, dass sich die Lebensqualität der Betroffenen dadurch deutlich verbessern lässt. Bis auf wenige Schwerpunktzentren ist das Angebot aber oft noch nicht in den klinischen Alltag integriert. sog VON SONJA GIBIS Angst, nein, die habe sie nicht gehabt, erzählt Inge Bock. Nicht, als sie im Herbst vergangenen Jahres im Badezimmer plötzlich diesen Knoten in ihrer linken Brust ertastete. Auch dann nicht, als der Frauenarzt sagte: „Der muss raus“ – und es Inge Bock längst klar war, dass die Geschwulst nicht gutartig sein würde. „Ich wusste: Das geht nicht von alleine weg“, sagt sie. Doch wusste sie nicht alles: „Ich habe nicht geahnt, wie viel da auf mich zukommt“, sagt sie. Denn obwohl der Kampf gegen Brustkrebs heute in vier von fünf Fällen gut ausgeht. Eines ist er fast immer: lang und beschwerlich. Bock hat ihn erst mal hinter sich. „Ich hatte Brustkrebs“, sagt sie. Sie legt dabei Wert auf die Vergangenheitsform. Nur wer es weiß, bemerkt, dass die dichten grauen Haare nicht ihre eigenen sind. Jetzt will sie Kraft tanken – für ein Leben nach dem Krebs. „Um mich zu erholen und die Kraft wieder weitergeben zu können“, sagt sie. Zum Beispiel bei den Wanderungen, die die ausgebildete Kräuterpädagogin in Bad Tölz gibt. Deshalb hat sich die Frau aus Kochel eine Auszeit genommen. Seit zwei Wochen ist sie in der Klinik Prof. Schedel in Kellberg. Der idyllische Ort mit Blick auf den Bayerwald ist nicht nur ein Platz, an dem man Ruhe findet. Die 120 Mitarbeiter sind auf die Reha von Krebskranken spezialisiert – und auf ihre Bedürfnisse. Nicht nur die medizinischen Betreuer sind für die Therapie von Tumorpatienten geschult, die oft schwere Operationen, Bestrahlungen, Chemotherapien hinter sich haben. Auch die Seele kann hier heilen: In der Reha-Klinik sucht man nach Wegen, wie man Patienten psychoon- Die Reha ist ein Ort, um Kraft zu tanken: Patientin Inge Bock im Gespräch mit dem Psychologen Karsten Weidmann und Markus Higi, Chefarzt der Klinik Prof. Schedel FOTO: URSULA WATZL kologisch unterstützen kann. Auch Inge Bock ahnte zunächst nicht, wie sehr der Krebs ihre Kräfte aufzehren würde. Als Kunstpädagogin half sie selbst viele Jahre lang Krebskranken über eine schwere Zeit. Durch künstlerisches Gestalten unterstützte sie Patienten darin, ihre kreativen Kräfte wieder zu entdecken. Doch von der Krankheit selbst habe sie nicht viel gewusst. „Jetzt habe ich mich damit beschäftigen können“, sagt Inge Bock. Sie vermeidet das Wort „müssen“ – ganz bewusst. Von Anfang an wollte sie die Krankheit auch als Chance verstehen. Doch die Zahl der Untersuchungen und Therapien, die sie durchmachen muss, machen ihr das nicht leicht. „Ich dachte: Klinik, Operation, fertig“, sagt sie. Doch die mo- derne Krebstherapie setzt sich aus mehreren Teilen zusammen. Mediziner sprechen von Modulen. Jeder Tumor ist anders – und braucht eine eigene Therapie. Diese wird auf die Erkrankte individuell zugeschnitten. „Wie ein Maßanzug“, erklärt Dr. Markus Higi, der im Skelett noch in anderen Organen fanden sich Absiedelungen des Krebses. Auch die nahen Lymphdrüsen, in welche Krebszellen zuerst abwandern, waren nicht befallen. Die Untersuchung des Tumorgewebes zeigte jedoch: Der Krebs ist aggressiv. Die Angst belastet die Patienten oft mehr als das körperliche Krebsleiden. Chefarzt der Klinik Prof. Schedel. Das lohnt sich: Studien belegen den Erfolg der modernen Methoden, die häufig auch verhindern, dass der Krebs zurückkehrt. Doch für die Patientinnen bedeutet das nicht selten eine langwierige Therapie, selbst wenn der Tumor früh erkannt wurde. Inge Bock hatte Glück. We- „Ich hatte G3“, sagt Bock. Mediziner teilen die Tumorzellen verschieden ein, je nachdem wie stark sie sich vom gesunden Ursprungsgewebe unterscheiden. Je höher der Grad, desto aggressiver der Tumor. G 3 gilt als die höchste Stufe. Um einzelne abgewanderte Krebszellen abzutöten, raten Experten Bock zu einer Chemotherapie. Denn diese wird heute bei Weitem nicht nur dann eingesetzt, wenn eine andere Behandlung nicht mehr möglich, der Krebs unheilbar ist. Inge Bock beschließt: „Ich geh da durch, angstfrei und zuversichtlich.“ Sie informiert ihre Freunde, auch die Gemeinde ihrer Freikirche. „Sie haben für mich gebetet“, sagt sie. „Ich habe mich getragen gefühlt.“ Im Dezember geht sie ins Krankenhaus. Die OP verläuft gut, die Brust kann erhalten werden. Doch die Chemo ist strapaziös. „Viele Nebenwirkungen lassen sich heute gut beherrschen“, sagt Higi. Doch manche Folgen sind unvermeidbar. Nicht nur die Haare fallen aus. Auch feine Nerven, zuständig etwa für Tastsinn oder Geschmack, leiden: „Mein Arzt sagte: Banane schmeckt nach Hering, Hering nach Banane“ – und behielt recht. Doch viel schlimmer ist die Erschöpfung. Viele Patienten leiden nach einer Chemo an so einem FatigueSyndrom. „Dieses Gefühl, neben sich zu stehen. Nicht mehr bei sich und mit sich zu sein“, beschreibt Bock. „Ich war auf dem Zahnfleisch.“ Doch Bock wusste, dass das vorübergeht. Als die letzte Infusion etwas zurückliegt, fährt sie nach Kellberg bei Passau in die onkologische Reha. Im Krankenhaus hatte man sie darauf hingewiesen, dass eine solche allen an Krebs Erkrankten zusteht. Hier erhalten alle Patientinnen auch psychologische Hilfe, etwa in der „MammaGruppe“. Auch Einzelgespräche mit Therapeuten sind möglich. Die Patientinnen können ihre Ängste hier frei aussprechen – ohne wieder Angst davor haben zu müssen, jemanden mit seinen Sorgen zu belasten. Sei es die Angst vor unheilbarem Leiden und Tod. Oder die Sorge, nicht genügend für die Familie da sein zu können. Die Angst, im Alltag nicht mehr zu bestehen. Nicht selten sind es solche Gefühle, welche die Patienten mehr belasten als das körperliche Krebsleiden. Eine Gefahr, in Depression oder Selbstmitleid abzugleiten habe sie nie verspürt, erzählt Inge Bock. Doch auch sie erfährt das Angebot als eine wichtige Hilfe. „Man merkt, dass man nicht alleine ist damit.“ Gut tut ihr in der Klinik auch der „wunderbar freundliche Ton“. „Jedes ,Guten Morgen‘ kommt hier von Herzen“, sagt sie. „Das sieht man in den Gesichtern.“ Doch auch den Körper zu kräftigen, kann die Seele stärken. In der Reha entdeckt Inge Bock ihre Liebe zum Ballspiel. „Ich hatte da immer eine Abneigung“, erzählt sie und schüttelt lachend den Kopf. Doch hier spielt sie plötzlich Badminton, übt mit dem Pezzi-Ball. So einen hat sie sich gleich für Zuhause bestellt. Und sie freut sich schon auf Nordic-Walking-Touren mit ihrer Tochter. Schade findet sie nur, dass sie den BarfußPark nicht mehr testen kann. Der wird gerade gebaut. Mit ihrem Schicksal hadert Inge Bock indes nicht. Sie ist dankbar für viele gesunde Jahrzehnte. Und kann hoffen, dass noch manche folgen werden. Psychoonkologie: Hilfe, wenn der Tumor auf die Seele drückt VON SONJA GIBIS „Sie haben Krebs.“ Diese Worte ändern auf einen Schlag das ganze Leben. Aus einem Menschen, der sich oft völlig gesund fühlte, wird ein Kranker. Die Betroffenen brauchen dann nicht nur medizinische Hilfe. Denn die Erkrankung ist auch eine enorme seelische Belastung. Die oft langwierige Therapie zehrt die Kräfte auf. Hinzu kommen Ängste – nicht nur um das eigene Leben. Viele haben auch das Vertrauen in den eigenen Körper verloren. Die Psychoonkologie versucht, diese Ängste und Bedürfnisse der Krebspatienten aufzufangen. Sie hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr etabliert. Viele moderne Kliniken arbeiten inzwischen mit spezialisierten Therapeuten zusammen, die Krebspatienten sowie deren Angehörige betreuen. Auch in onkologischen Reha-Kliniken nehmen solche Angebote zu. „Die psychologische Betreuung ist überaus wichtig“, sagt auch Klinikleiter Prof. Hannes Schedel in Kellberg. Doch müssen sich RehaKliniken damit heute einer doppelten Aufgabe stellen: Die Zeit, welche die Kranken in der Klinik verbringen, ist extrem geschrumpft. Ursache sind gesundheitspolitische Vorgaben. In der sogenannten Anschlussheilbehandlung in der Reha-Klinik brauchen die Patienten daher oft noch intensive medizinische Betreuung. Doch ist es wichtig, dass die Patienten in der Reha auch Kraftquellen für ihre Seele finden – und das bei Weitem nicht nur in Einzelsitzungen mit Therapeuten. Zumal nicht jeder innerlich dazu bereit sei, sich in einem intensiven Gespräch einem Fremden zu öffnen, meint Schedel. „Man darf niemanden dazu drängen“, sagt er. Er setzt daher in der Psychoonkologie auf verschiedene Bausteine. Einer ist die sachliche Information: In Vorträgen erhalten die Patienten Antworten auf viele Fragen, erfahren etwa was das eigentlich ist „Krebs“. Sie lernen Wichtiges über den richtigen Lebensstil im Umgang mit der Erkrankung. Prof. Hannes Schedel ist Leiter der Klinik Prof. Schedel in Kellberg. Erholung im Grünen: In der Klinik Prof. Schedel in Kellberg bei Passau ist man auf die Rehabilitation von Krebspatienten spezialisiert. FKN Nicht selten begegnet den Experten dabei auch die Sorge der Patienten, selbst schuld an der Erkrankung zu sein. Viele vermuten, dass unbewältigte Probleme die Erkrankung ausgelöst haben. „Doch davon ist man völlig abge- kommen“, sagt Psychologe Karsten Weidmann. Natürlich hat die Lebensweise Einfluss. So fördert etwa das Rauchen oder zu viel Alkohol die Entstehung von Krebs. Doch eine „Krebspersönlichkeit“ gebe es nicht. Leichter als das Einzelgespräch beim Therapeuten fällt vielen zunächst der Austausch in der Gruppe. Hier können die Teilnehmer auch nur zuhören, fühlen keinen Druck, rasch über ihre eigenen Probleme zu sprechen. Und sie lernen: Ich bin nicht allein. Auch Übungen, um Ruhe zu finden, etwa die Muskelentspannung nach Jacobson, sowie Ergotherapie helfen der Seele, sich zu öffnen und neue Kraft zu tanken. „Wir geben Impulse“, sagt Schedel. Wer möchte, dem steht in der Reha auch das Einzelgespräch mit dem Therapeuten offen, etwa mit dem Psychologen Karsten Weidmann. Männer hätten oft ein Problem, sich Angst und Trauer einzugestehen, erzählt er. Durch die Krankheit fühlen sie sich schwach, haben Existenzängste. Frauen hätten indes oft die Sorge, andere zu belasten. In Familie und Be- ruf müssen sie nicht selten mehrere Rollen erfüllen. „Sie wollen es allen Recht machen“, sagt er. Doch besonders nach der Krankheit müssen sie lernen, auf sich zu achten. Sonst droht ein Burnout, ein krankhaftes Ausgebranntsein. Im Gespräch lernen sie, ihr Probleme auszudrücken – und dass sie darüber reden dürfen. Wann fühle ich mich beschützt? Was spendet mir Trost? Gemeinsam mit dem Therapeuten suchen sie auch nach Kraftquellen. „Wir versuchen herauszufinden, wer von welchen Angeboten besonders profitiert“, sagt Schedel. Dazu hat die Klinik Fragebögen ausgearbeitet, die bald alle Patienten erhalten sollen. Dass sie auf dem richtigen Weg ist, zeigen auch Patientenbefragungen: „Fast alle haben am Ende ihrer Reha überhaupt keine Angst mehr vor dieser Krankheit und bezeichnen ihre Zukunftsperspektive als überdurchschnittlich positiv.“ Fragen an den Experten: [email protected]