KLINIK REPORT Fachklinik für Neurologie und Physikalisch-rehabilitative Medizin • Ärztlicher Direktor: Dr. Bernd Schönberger • Tel. 0 80 42-50 40 • www.fachklinik-lenggries.de Ausgabe September 2002 INHALT REHABILITATION HEUTE Neurokardiologie Rehabilitation von Schlaganfallpatienten mit Herz-Kreislauferkrankungen in der Fachklinik Lenggries Kontrolliertes Training ist auch bei herzkranken Patienten der richtige Therapieansatz. Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden erhöht sich dramatisch, wenn strukturelle Herz-Kreislauferkrankungen vorliegen. Hier sind zu nennen: Hypertonie, Vorhofflimmern, rheumatische Herzklappenfehler und ein offenes Foramen ovale. Die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten, die gleichzeitig herzkrank sind, stellt somit eine besonders große therapeutische Herausforderung dar. Die Fachklinik Lenggries erfüllt die dafür notwendigen Voraussetzungen in optimaler Weise: Sie verfügt sowohl über ein multiprofessionelles Team als auch über eine Vielzahl modernster diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten. Der Schlaganfall ist die häufigste neurologische Erkrankung und steht nach Herzerkrankungen und Krebs mit 11,4 Prozent an Platz 3 der Todesursachen in Deutschland. Dabei sind Hirninfarkte in etwa 80 Prozent der Fälle Ursache für einen Schlaganfall. Bei mehr als einem Drittel der Betroffenen bedingt eine embolische Streuung aus dem Herzen einschließlich der Herzklappen und Hauptschlagader den Gefäßverschluss beim Hirninfarkt. Zudem sind Patienten mit kardioembolischen Hirninfarkten durch eine sehr hohe Sterblichkeit (38 %) und Rezidivrate (17 %) in den ersten 12 Monaten massiv gefährdet. Die Einschätzung des individuellen Schlaganfall- bzw. Rezidivrisikos und die Einleitung der adäquaten Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Hirninfarkte ist eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben in unserer Klinik. Effektive Blutdrucksenkung Unabhängiger Risikofaktor für ein Schlaganfallrezidiv bei Hochdruckkranken ist die vergrößerte Herzmasse, die so genannte Linksherzhypertrophie (LVH). Das Vorliegen einer LVH lässt sich mit Hilfe von EKG- oder Herzultraschall-Untersuchungen erkennen. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die effektive Blutdruckeinstellung und die Rückbildung der Linksherzhypertrophie durch die Behandlung der Hypertonie besonders vorteilhaft in Hinblick auf die Reduktion der Schlaganfallrezidive ist. Bis zu 40 Prozent lässt sich die Schlaganfall- LEITARTIKEL UND KOMMENTAR Telematik im Gesundheitswesen Um die medizinische Versorgung stetig zu verbessern, wird der schnelle und kontrollierte Zugriff auf Gesundheitsdaten in Zukunft immer wichtiger. Seite 2 SCHLUCKTHERAPIE Physiologie des Schluckens Schlucken ist einer der komplexesten Abläufe im Körper. Wir erklären Ihnen, was beim Schluckvorgang genau passiert. Seite 5 Experteninterview Über Diagnostik und Therapie neurologisch bedingter Schluckstörungen sprechen wir in einem Interview mit Dr. med. Mario Prosiegel, Chefarzt des Neurologischen Krankenhauses München/Tristanstraße. Seite 8 SCHLUCKTHERAPIE HILFE ZUR SELBSTHILFE Fachübergreifende Förderung Die Deutsche Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation e. V. (DGNR) stellt sich vor. Seite 10 ÜBERSICHT Rehabilitation Heute . . . . . . . . . . Seite 1 Leitartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 2 Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3 Schwerpunkt: Schlucktherapie Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4 Porträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7 Experteninterview . . . . . . . . . . Seite 8 Hilfe zur Selbsthilfe . . . . . . . . . . . Seite 10 Buchtipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 10 Gesundheits- und Sozialpolitik . . Seite 11 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11 Aktuelles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12 KLINIKREPORT rezidivrate durch effektive Blutdrucksenkung reduzieren. Zudem scheint die Blutdrucksenkung auch auf die kognitiven Funktionsverluste (Demenz) einen positiven Effekt auszuüben. Kardiogene Embolie als Ursache Hinter jedem dritten ischämischen Hirninfarkt versteckt sich eine Embolie. Wird ein kleines Bruchstück aus einem Thrombus im linken Vorhof oder der linken Herzkammer durch die Blutströmung verschleppt und bleibt es in einer der hirnversorgenden Arterien hängen, kommt es zu einer fokalen Ischämie im Versorgungsgebiet der betroffenen Arterie. Die Folge ist ein Schlaganfall mit plötzlichem Beginn und maximaler Ausprägung der Defizite. Mögliche Emboliequellen sind neben einem akuten Herzinfarkt oder einer Herzschwäche unter anderem auch das so genannte Vorhofflimmern. Das Vorhofflimmern ist gekennzeichnet durch eine unregelmäßige Kammerschlagfolge im EKG und birgt zweierlei Gefahren: zum einen die Verschlechterung der Herzleistung und folglich der körperlichen Belastbarkeit und zum anderen das deutlich erhöhte Schlaganfallrisiko. Man unterscheidet nach der Erstmanifestation zwischen paroxysmalem Vorhofflimmern (selbstlimitierend), persistierendem Vorhofflimmern (nicht selbstlimitierend) und permanentem Vorhofflimmern (dauerhaft, sog. „akzeptiertes“ Vorhofflimmern). Bei dem überwiegen- Die Einschätzung des individuellen Schlaganfall- bzw. Rezidivrisikos und die Einleitung der adäquaten Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Hirninfarkte ist eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben in der Fachklinik Lenggries. den Teil unserer Patienten in der Fachklinik Lenggries konnte ein permanentes Vorhofflimmern festgestellt werden. Therapieziele hierbei sind erstens die Zunahme der körperlichen Belastbarkeit durch Verbesserung der Hämodynamik (sog. Frequenzkontrolle), was zu einer erhöhten Ausdauerleistung führt und zweitens die Reduktion des Schlaganfallrisikos durch die Gabe von gerinnungshemmenden Substanzen wie zum Beispiel Marcumar. Offenes Foramen ovale (PFO = patent foramen ovale) Nach dem Lausanne-Stroke-Register liegt die totale Rezidivrate für alle ischämischen Ereignisse beim PFO jährlich bei 3,8 Prozent (1,9 % Hirninfarkt, 0,7 % Todesfälle, 1,9 % TIA). Besondere Risikofaktoren für ein Embolierezidiv beim offenen Foramen ovale sind der Rechts-Links-Shunt in Ruhe (großer Shunt) und die mobile Septummembran (> 6,5 mm). Diese Patienten haben in einem Zeitraum über 3 Jahre ein Schlaganfallrezidivrisiko von 12,5 Prozent. Kontrollierte Trainingstherapie in der neurologischen Rehabilitation Ein wesentlicher Therapieansatz für herzkranke Patienten in der neurologischen Rehabilitation ist die kontrollierte Trainingstherapie. Fester Bestandteil der physikalischen Therapie in unserer Klinik ist daher das computergestützte, kreislaufüberwachte Fahrradergometertraining sowie das individuell angepasste Krafttraining. Sowohl die Daten wissenschaftlicher Forschung als auch unsere klinischen Erfahrungen zeigen, dass die Trainingstherapie hier bisher sehr gute Ergebnisse erzielen konnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es das oberste Gebot in der neurokardiologischen Rehabilitation ist, das richtige Maß der Dinge für Herz und Hirn zu finden. Gleichzeitig gilt in unserem therapeutischen Team zusätzlich, die persönlichen Wünsche und Ziele der einzelnen Patienten wahrzunehmen und beim Zusammenstellen des Therapieplans zu berücksichtigen. OA Dr. Peter Szabo LEITARTIKEL In Zukunft unverzichtbar Elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen Mit Verdacht auf Schlaganfall wird der 50-jährige Herr H. in ein Krankenhaus eingeliefert. Seine Patientendaten aber liegen wohl verwahrt bei seinem Hausarzt und sind in der Notfallnacht, weil dieser im Urlaub ist, nicht verfügbar. Doch keineswegs nur beim Wettlauf mit dem Tod spielt der rasche und kontrollierte Zugriff auf Gesundheitsdaten und -fakten eine entscheidende Rolle. Denn moderne Informationstechnologien – E-Mail und Internet – optimieren die Qualität medizinischer Versorgung, verbessern die patientenorientierten Angebote und erschließen letztend- lich auch Wirtschaftlichkeitspotentiale im Gesundheitswesen, wenn sie denn aufeinander abgestimmt, verzahnt und kompatibel wären. Während in Deutschland die zweite Generation der Krankenversicherten-Karte – der elektronische Gesundheitspass – noch heftig diskutiert wird, gibt es in den USA bereits mehrere praktizierte Lösungen, und zwar sowohl für die in einem Ärztenetz angelegte und gepflegte elektronische Patientenakte mit Notfalldaten, Befunden und Diagnosen als auch für die vom Patienten selbst angelegte und geführte Gesundheitsakte im Internet. Hier kann der Patient Daten lesen und eingeben; Ärzte können das ebenfalls, aber nur, wenn der Patient sie dazu autorisiert. Schlusslicht Deutschland Mit wachsender Geschwindigkeit wandelt sich das Internet vom reinen Informationsmedium zu einer weltweiten Kommunika- KLINIKREPORT KOMMENTAR Ganz bequem von zu Hause aus kann der Patient seine Gesundheitsakte im Internet selbst verwalten. tionsplattform, und die am GesundArzneimitteldokumentation dienen und als heitsprozess Beteiligten, also Patienten, Ärzte, Kommunikationsschnittstelle BehandlungsApotheker, Therapeuten und Krankenhausund Verwaltungsabläufe unterstützen, beimanager, tun gut daran, im wechselseitigen spielsweise durch den elektronischen Arztbrief Interesse politische, technische, rechtliche und oder das elektronische Rezept. sozial-ethische Lösungen einzufordern und in einer konzertierten Aktion voranzutreiben. Daten weltweit verfügbar Und dies nicht nur, weil die Zeit drängt, denn nach dem Beschluss der EU-Regierungschefs Hauptvorteil einer gemeinsam von Arzt und vom Juni 2000 haben sich die Mitgliedstaaten Patienten geführten elektronischen Gesunddazu verpflichtet, bis Ende dieses Jahres eine heitsakte hingegen ist, dass ihre Daten weltflächendeckende Teleweit verfügbar sind, wo matik-Infrastruktur für immer ein Arzt oder ein den ambulanten und mündiger und internetBei dem Begriff Telematik den stationären Sektor fähiger Bürger und handelt es sich um eine zur Verfügung zu stelPatient über einen Wortschöpfung der 70er len. Doch Fehlanzeige Internet-Rechner verfüJahre. Sie setzt sich zusamderzeit in Deutschland: gen. Als Herr seiner men aus den Worten Im Unterschied zu Daten kann der Patient, Telekommunikation und anderen europäischen der seine GesundheitsInformatik. und außereuropäischen akte im Internet im Staaten gibt es immer Wesentlichen selbst noch kein nationales Strategiepapier zur einrichtet und pflegt, entscheiden, wem er Umsetzung dieses Beschlusses. Zugriff auf seine Daten gewährt. Ausgewählte Teilbereiche seiner GesundheitsDer guten Vorsätze gibt es indes viele: So biograf ie kann er an seine Gesundheitssoll die zweite Generation der Krankenbetreuer weitergeben und somit ermöglichen, versicherten-Karte auf Basis einer multifunkdass auch eine Kommunikation unter Ärztionalen Smart-Card als Datenspeicher mediten, Apothekern, Therapeuten und Krankenzinische Angaben über die Erkrankung und kassen unter seiner Kontrolle aufgebaut werMedikation des Patienten enthalten, zur den kann. Elektronischer Gesundheits-, Notfall- und Mutterpass sowie die Gesundheitsakte im Internet sind sowohl unverzichtbare Bausteine eines modernen, patientenorientierten Gesundheitssystems als auch schlüssige Konsequenz touristischer und medizinischer Globalisierung. Da sich die verschiedenen Dokumentationssysteme auf unterschiedliche Ländersprachen umstellen lassen, könnte sich selbst ein chinesischer Arzt in Mandarin einen Überblick über den Gesundheitszustand seines deutschen Patienten verschaffen. Solcher Möglichkeiten wollen wir uns doch angesichts einer immer enger zusammenwachsenden Weltbevölkerung nicht begeben. Jedoch ist die persönlich geführte und von Ärzten sowie Therapeuten kontrollierte Gesundheitsakte im Web nicht für jeden Patienten geeignet. Vergessen dürfen wir vor allem nicht jene älteren und weniger mit informationstechnologischen Raffinessen vertrauten Generationen, die in unserem Solidarsystem ebenso berechtigte Ansprüche auf dessen ITbasierte Vorzüge haben. Um einen weiteren, vertiefenden Schritt in das Zwei-Klassen-System abzumildern, muss hier der Hausarzt als Datentreuhänder fungieren, trotz komplizierten Datenschutzes bei wechselseitig wachsendem Informationsbedürfnis. Zunächst jedoch gilt es, unsere Hausaufgaben zu machen. Und da kommen uns die Bundestagswahlen zur Erinnerung daran gerade recht. Denn die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin verwies erst kürzlich auf einen vom niederländischen Gesundheitsministerium durchgeführten internationalen Vergleich von acht hoch entwickelten Industriestaaten zum Einsatz von Informationstechnologien und Telematik im Bereich Gesundheit. Dabei lag Deutschland nur im Mittelfeld und in einigen Anwendungsfeldern sogar zurück. Was wir also schnellstens brauchen, sind klare Entscheidungen der Gesundheitsministerkonferenz, um die Ergebnisse laufender Pilotprojekte in den Bundesländern synergetisch zu koordinieren und bei Würdigung aller berechtigten Interessen der Kostenträger und Leistungserbringer die Rolle des Patienten in der Telematik nicht zu vernachlässigen. RA Erhard Hackler Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga e.V. KLINIKREPORT SCHLUCKTHERAPIE • SCHLUCKTHERAPIE INTERVIEW Wieder schlucken lernen Schlucktherapie in der Fachklinik Lenggries Bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen treten neben Sprach- und Sprechstörungen in vielen Fällen auch Schluckbeschwerden auf, die unbehandelt zu schwer wiegenden Komplikationen führen können. Mit Hilfe von hoch spezialisierten Diagnoseverfahren erstellt die Fachklinik Lenggries in interdisziplinärer Zusammenarbeit einen individuell auf den Patienten ausgerichteten Therapieplan. Mehr über den Behandlungsablauf und die Betreuung von Patienten mit Schluckstörungen und deren Angehörigen erfahren wir in einem Interview mit Doris Klintwort und Barbara Lueb, Sprach-, Sprech- und Schlucktherapeutinnen in der Fachklinik Lenggries. Wieder richtig schlucken zu können, bedeutet vor allem einen Zugewinn an Lebensqualität. Was passiert, wenn sich der Verdacht auf eine bestehende Schluckstörung in der ärztlichen Erstuntersuchung ergibt oder erhärtet? Bei Verdacht auf eine bestehende Schluckstörung gibt es grundsätzlich zwei parallele diagnostische Wege: zum einen die klinische Untersuchung durch die Schlucktherapeutin und zum anderen die Schlucklaryngoskopie durch den behandelnden Arzt. In der klinischen Diagnostik untersucht die Therapeutin die am Schlucken beteiligten Muskeln und Nerven. Dazu gehören unter anderem Lippen, Zunge und Kehlkopf. Daran schließt sich, möglichst schnell, die laryngoskopische Schluckuntersuchung an. Hierbei beobachtet der Arzt über ein Endoskop den Kehlkopf des Patienten beim Schlucken verschiedener Nahrungskonsistenzen. Die zuständige Schlucktherapeutin ist bei dieser Untersuchung in der Regel anwesend. Gemeinsam mit dem Arzt wird festgelegt, ob der Patient normal essen und trinken kann oder eine angepasste Kostform (z. B. passierte Kost oder angedicktes Trinken) benötigt. Stellt sich im schlimmsten Fall heraus, dass Essen und Trinken für den Patienten eine Lebensbedrohung darstellt, muss jegliche orale Nahrungsaufnahme vorläufig untersagt werden. Bei diesen Patienten kann es sinnvoll sein, eine direkte Magensonde (PEG) anzulegen, damit die Ernährung gesichert ist. Patienten mit schweren Schluckstörungen dürfen in der Akutphase häufig zunächst nichts essen oder trinken. Wie kommen sie wieder zur normalen Nahrungsaufnahme? Im ersten Schritt der Therapie wird der Patient dazu gebracht, „Einzelschlucke“ nach vorangegangener Stimulation auszuführen. Kann der Patient dies sicher bewältigen, wird die Nahrungsmenge langsam erhöht bis sie eine ganze Mahlzeit umfasst. Die angebotenen Speisen sind anfangs püriert und die Flüssigkeiten mit einem Pulver angedickt. Schließlich werden die Nahrungskonsistenzen in mehreren Stufen zur Normalkost gesteigert. Die einzelnen Therapieschritte werden durch erneute laryngoskopische Untersuchungen abgesichert. Um einen sicheren Kostaufbau zu ermöglichen, begleitet die Therapeutin den Patienten beim Essen. Hier achtet sie insbesondere auf eine gute Körperhaltung und die Einhaltung bestimmter Essregeln (z. B. kleine Bissen/ Schlucke, Räuspern, Nachschlucken u. ä.). Bessern sich die muskulären Funktionen des Patienten, so dass er in der Lage ist, die Essregeln gut umzusetzen, kann ein weiterer Kostaufbau mit Ausweitung auf drei volle Mahlzeiten täglich erfolgen. Schwerstbetroffene Patienten müssen in der Phase der Frührehabilitation oft noch intensivmedizinisch betreut werden. Wie sind die therapeutischen Schritte, zum Beispiel bei Patienten mit Trachealkanülen? Schwerstbetroffene Patienten, die sich am eigenen Speichel verschlucken oder denen der Speichel vielleicht sogar ungehindert in die Lunge laufen würde und sie damit lebensgefährlich bedrohen könnte (z. B. durch Verursachung von Lungenentzündungen), sind in der Regel mit einer geblockten Trachealkanüle versorgt (geblockte Trachealkanüle = in einen Luftröhrenschnitt eingepasste Kanüle, die in geblocktem Zustand die unteren Luftwege schützt). Bei diesen Patienten bestehen die Ziele der Schlucktherapie zunächst darin, die eigene Körperwahrnehmung und KLINIKREPORT SCHLUCKTHERAPIE • SCHLUCKTHERAPIE die Schutzreflexe zu verbessern. Der Patient muss ebenfalls wieder lernen, durch Mund und Nase zu atmen. Mit welchen grundsätzlichen Methoden werden Schluckstörungen in der Fachklinik Lenggries behandelt? Neben den schon erwähnten aktiven Übungen wendet die Therapeutin zahlreiche passive Methoden an. Die Entwöhnung von der Trachealkanüle ist ein langwieriger Prozess und dauert häufig Monate. Der therapeutische Weg geht über die Ausweitung der Entblockungszeiten bis hin zur dauerhaften Entblockung. Erst dann kann die Kanüle gezogen werden. In Bezug auf Schluckstörungen haben sich in den letzten Jahren verschiedene Behandlungsansätze etabliert, so zum Beispiel die funktionelle Dysphagie-Therapie (FDT) nach Bartolome sowie die facio-orale-TraktTherapie (FOTT) nach Kay Coombes. Man unterscheidet grundsätzlich kausale Therapiemethoden (z. B. Bewegungsübungen, Stimulation des Schluckreflexes mit Kältereizen) von Physiologie des Schluckens Bevor man sich die Frage nach einer Störung des Schluckens stellt, muss man sich vergegenwärtigen, wie normalerweise geschluckt wird. Was passiert also beim physiologischen, d. h. unbeeinträchtigten, Schlucken? Am Kauen und Schlucken sind über 50 Muskelgruppen beteiligt, die von 5 Hirnnerven gesteuert werden. Grundsätzlich kann man das Schlucken in verschiedene Phasen einteilen. In der präoralen Phase nimmt die Person mit den Augen Kontakt zum Essen auf, Hand- und Armbewegungen werden mit den Bewegungen des Oberkörpers, des Kopfes und des Unterkiefers abgestimmt, damit die Speise zum Mund geführt werden kann. Sobald die Nahrung im Mund ist, spricht man von der oralen Phase, in der die Nahrung kompensatorischen (z. B. Kostformanpassung, Erlernen von Schlucktechniken). Nach dem individuellen Störungsprofil des Patienten finden entsprechende Methoden in Einzelund/oder Gruppentherapie ihre Anwendung. Hat ein Patient beispielsweise eine Halbseitenlähmung, die sich auf das Gesicht, die Zunge (vor allem Störung der oralen Phase) und die Kehlkopfmuskulatur (vor allem Störung der pharyngealen Phase) erstreckt, so wird mit thermalen Reizen (Kälte/Wärme) und durch gezielte Bewegungsübungen die betroffene Muskulatur wieder aufgebaut. durch Kaubewegungen zerkleinert und eingespeichelt wird, so dass sich ein homogener Speisebrei ergibt. Dieser wird mit der Zunge zu einem Bolus geformt und dann entlang der zentralen Zungenrinne nach hinten Richtung Rachen befördert (Bolustransport). Mit dem Auslösen des Schluckreflexes beginnt die pharyngeale Phase (Pharynx = Rachen), in der der Bolus vom weichen Gaumen am Kehlkopf entlang in die Speiseröhre gleitet. Normalerweise sind dabei die unteren Atemwege (Lunge) in dreifacher Weise vor eindringender Nahrung geschützt: So senkt sich während des Schluckens der Deckel des Kehlkopfes schützend über diesen, und die Stimmlippen sowie die Taschenfalten schließen sich und schützen damit die unter dem Kehlkopf beginnende Luftröhre. Gleichzeitig hebt sich der Kehlkopf und dehnt den Speiseröhreneingang auf, so dass die Nahrung hineingleiten kann. Sobald sich der Nahrungsbrei in der Speiseröhre befindet, spricht man von der ösophagealen Phase (Ösophagus = Speiseröhre), in der die Nahrung in den Magen transportiert wird. Grundsätzlich kann jede der 4 unterschiedenen Schluckphasen durch neurologische Erkrankungen beeinträchtigt werden, woraus sich spezielle Probleme ergeben, die einer individuell ausgerichteten Schlucktherapie bedürfen. Doris Klintwort und Barbara Lueb KLINIKREPORT SCHLUCKTHERAPIE • SCHLUCKTHERAPIE Welche Ziele verfolgen Sie mit einer schlucktherapeutischen Behandlung? ihm die normalerweise unbewussten Teilprozesse des Schluckens bewusst zu machen. Nur dann ist es möglich, auch kompensatorisch darauf einzuwirken. Oberstes Ziel der Schlucktherapie ist es, den Patienten vor einer Aspiration (= Eindringen von Fremdkörpern in die Luftwege) Stichwort Interdisziplinarität. Mit welzu schützen. Die weiteren Ziele richten sich chen Fachbereichen arbeiten Sie bei der nach dem individuelTherapie von Schlucklen Störungsbild. Bei störungen zusammen? schwerstbetroffenen Liegt eine Schluckstörung Schluckpatienten, Gerade bei den deren Schutzreflexe schwerstbetroffenen vor, erleben es Patienten (z. B. Husten) stark Patienten ist eine enge und/oder Angehörige als sehr eingeschränkt sind, Zusammenarbeit mit kann das nahe Ziel dem gesamten Stationspeinlich, nicht „richtig“ oder nicht die orale team erforderlich. Um Nahrungsaufnahme eine effektive Schlucknicht „anständig“ essen zu sein. Vielmehr geht es therapie durchführen zu können und für eine Mahlzeit erst einmal darum, können, benötigt die dass der Patient sich Therapeutin zunächst extrem lange zu brauchen. nicht am eigenen die medizinischen Speichel verschluckt. Informationen (z. B. UntersuchungsergebFür andere Patienten wird das Essen und nisse, Medikamentenumstellung, KomplikaTrinken wieder möglich. Es müssen jedoch tionen wie Fieber). Besonders wichtig sind mäßig besprochen. Auch bei den Patienten, bei denen das vorrangige Ziel der Schlucktherapie im Kostaufbau besteht, ist interdisziplinäres Arbeiten äußerst wichtig (z. B. Rückmeldungen von der Pflege darüber, ob sich ein Patient beim Essen verschluckt). Die Schlucktherapie wird in unserem Hause zum Teil auch von der Ergotherapie übernommen. So wird beispielsweise die täglich stattfindende Schluckgruppe gemeinsam mit der Ergotherapie durchgeführt. Inwieweit binden Sie Angehörige in die Therapie ein? Gleich zu Beginn der Therapie wird dem Angehörigen die spezif ische Schluckproblematik erklärt. Ein gutes Verständnis für die speziellen Probleme ist unerlässlich, damit der Angehörige den Patienten motivieren und unterstützen kann. Auf der anderen Seite kann ein Angehöriger durch Schilderung von Verhaltensbeobachtungen wichtige Informationen in die Schlucktherapie einbringen. In einigen Fällen wird er als CoTherapeut angeleitet, um mit dem Patienten therapieergänzend zu üben oder auch die Essensbegleitung zu übernehmen. Schwerstbetroffene Patienten werden in der Regel über eine Sonde ernährt. Welchen Stellenwert hat die Schlucktherapie in Hinblick auf die Lebensqualität der Betroffenen? bestimmte Vorsichtsmaßnahmen konsequent angewendet werden (z. B. Schlucktechniken, Vermeiden von bestimmten Speisen). Ein Großteil der Patienten kann sich nach erfolgreicher Schlucktherapie wieder normal ernähren. Immer ist es wichtig, den Patienten für seine Störung zu sensibilisieren, das heißt, hier die pflegerischen Beobachtungen und die für die Schlucktherapie vorbereitenden Maßnahmen. In Zusammenarbeit mit der Krankengymnastik und/oder Ergotherapie wird der Patient mobilisiert und in eine Haltung gebracht, in der Schlucktherapie möglich und sinnvoll ist. Im Team werden die einzelnen Therapien zeitlich aufeinander abgestimmt und das Schluckmanagement regel- Essen und Trinken haben neben dem Ernährungszweck auch eine wichtige soziokulturelle Bedeutung. Man isst in Gesellschaft von Familie oder Freunden und genießt seine Lieblingsspeisen. Liegt eine Schluckstörung vor, erleben es Patienten und/oder Angehörige als sehr peinlich, nicht „richtig“ oder nicht „anständig“ essen zu können und für eine Mahlzeit extrem lange zu brauchen. Dementsprechend hoch ist die Motivation der Patienten für die Schlucktherapie, deren Ziel es selbstverständlich auch ist, dass der Patient Essen wieder genießen kann. Wir bedanken uns bei Frau Klintwort und Frau Lueb ganz herzlich für das Interview. KLINIKREPORT SCHLUCKTHERAPIE • SCHLUCKTHERAPIE PORTRÄT Doris Klintwort Barbara Lueb Sprach-, Sprech- und Schlucktherapeutin in der Fachklinik Lenggries Sprach-, Sprech- und Schlucktherapeutin in der Fachklinik Lenggries Geboren: 1960 in Hamburg, zwei Töchter (12 und 18 Jahre) Geboren: 1971 in Viersen (NRW) Beruflicher Werdegang: 1992–1997 Studium der Sprachheilpädagogik, Neuropsychologie und Soziologie an der LudwigMaximilian-Universität in München mit dem Abschluss Magister Artium; im Rahmen der Magisterarbeit: Zusammenarbeit mit der neuropsychologischen Abteilung des städt. Krankenhauses Bogenhausen; Beruflicher Werdegang: 1990–1998 Studium der Fächer Linguistik, Publizistik und Psychologie an der WWU in Münster mit Abschluss Magister Artium; seit September 1997 als Sprach-, Sprech- und Schlucktherapeutin in der Fachklinik Lenggries tätig; seit März 2002 Leitung der Abteilung für Sprach-, Sprech- und Schlucktherapie; u. a. Fortbildungen zum Thema „Schluckstörungen“, im Mai 2002 einwöchiges Hospitationspraktikum in der schlucktherapeutischen Abteilung des Neuropsychologischen Krankenhauses Tristanstraße in München; Juli 1998–Juni 1999 einjähriges Postgraduiertenpraktikum in der Fachklinik Bad Heilbrunn mit Zusatzqualifikation „Klinische Linguistin (BKL)“; seit Juli 1999 in der Fachklinik Lenggries als Sprach-, Sprech- und Schlucktherapeutin tätig; zahlreiche Fortbildungen zum Thema „Schluckstörungen“ (u. a. bei Frau Bartolome sowie FOTT-Kurs), im Dezember 2001 einwöchiges Hospitationspraktikum in der schlucktherapeutischen Abteilung des Neurologischen Krankenhauses Tristanstraße in München. im August 2002 Veröffentlichung der Bogenhausener Semantik-Untersuchung – BOSU – mit den Co-Autoren Glindemann, Ziegler, Goldenberg; Verlag Urban & Fischer. Essen und Trinken gehören zu den existenziellen menschlichen Bedürfnissen. Umso gravierender für die Betroffenen sind Behinderungen bei der Befriedigung dieser Bedürfnisse. Durch die komplexen Zusammenhänge von muskulären, sensiblen und auch kognitiven Leistungen, die ein physiologisches Schlucken ermöglichen, ist die Störanfälligkeit entsprechend hoch. Wir Schlucktherapeutinnen erfüllen daher durch unsere Arbeit in diesem Bereich eine besonders anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe. Ein reger Fachaustausch und die Zusammenarbeit im interdisziplinären Team ermöglichen erst einen optimalen Verlauf. Zudem kann man sich als Schlucktherapeutin im klinischen Alltag – sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf seine Therapeutenpersönlichkeit – beständig weiterentwickeln. Daher schätzen wir den hohen Stellenwert, den die Behandlung von Schluckstörungen in unserer Klinik hat, und dass dies auch mit Möglichkeiten zur externen und internen Fachweiterbildung und -vertiefung unterstützt wird. In der Schlucktherapie kann man den Patienten professionell dabei unterstützen, sich nach einer schweren Erkrankung ein Stück Lebensqualität zurückzuerobern. Wenn dies immer wieder gelingt, sorgt es nicht nur für eine große Zufriedenheit und Motivation bei dem Patienten, sondern auch bei uns Therapeutinnen. KLINIKREPORT EXPERTENINTERVIEW Neurogene Dysphagien Interview mit Dr. med. Mario Prosiegel, Chefarzt des Neurologischen Krankenhauses München/Tristanstraße Herr Dr. Prosiegel, wie entstehen Schluckstörungen? Neurologisch bedingte Schluckstörungen, so genannte neurogene Dysphagien, kurz ND, werden durch Schädigungen verschiedenster Bereiche des Zentralnervensystems (schluckrelevante Bereiche des Großhirns, Schluckzentren des Hirnstamms, für Schlucken verantwortliche Hirnnerven) verursacht. Man weiß erst seit wenigen Jahren, dass im Großhirn eine Schluckdominanz besteht; das heißt, bei einigen Menschen sind rechtsseitige, bei anderen linksseitige Großhirnabschnitte für das Schlucken verantwortlich. Deshalb wird bei gleichem Schädigungsort zum Beispiel ein Mensch mit rechtshirniger Schluckdominanz und rechtsseitigem Schlaganfall eine ND entwickeln, ein Mensch mit linkshirniger Schluckdominanz und rechtshirniger Schädigung hingegen nicht oder in viel geringerem Ausmaß. Schließlich kommen ND bei Erkrankungen der neuromuskulären Übergangsregion (Synapse zwischen Hirnnervenfaser und Muskelfaser) und der Schluckmuskulatur vor. Bei ND liegt typischerweise eine oropharyngeale Schluckstörung vor, das heißt, die Dysphagie ist die Folge von Funktionsstörungen im Bereich der Muskulatur der Mundhöhle (insbesondere Zunge) und des Rachens. Bei welchen Störungsbildern treten Schluckstörungen vermehrt auf ? Die häufigste Ursache von ND ist der Schlaganfall. In der Akutphase nach Schlaganfall leiden ca. 50 Prozent der Betroffenen an einer ND, in der chronischen Phase etwa 25 Prozent. Ca. 10 Prozent aller Schlaganfallpatienten entwickeln innerhalb eines Jahres eine (auch heute noch lebensbedrohliche) Aspirationspneumonie (Lungenentzündung durch Speichel/Nahrungsteile, In diagnostischer Hinsicht sind neben einer eingehenden Anamnese und neurologischen Untersuchung besonders wichtig: die röntgenologische Untersuchung des Schluckvorgangs: Hierzu werden wegen der kurzen Dauer des Schluckens (Sekundenbereich) ganz spezielle, zeitlich hochauflösende Verfahren wie z. B. die sog. Videofluoroskopie eingesetzt; Mario Prosiegel Dr. med. Mario Prosiegel ist seit 1990 Chefarzt des Neurologischen Krankenhauses München/Tristanstraße die auf Grund der ND in die Atemwege gelangten). Die Häufigkeit von ND bei verschiedenen anderen neurologischen Krankheiten stellt sich wie folgt dar: Morbus Parkinson ca. 50 Prozent, Multiple Sklerose ca. 40 Prozent, schweres Schädelhirntrauma über 70 Prozent, Myasthenie über 20 Prozent, Myositis (Muskelentzündung) je nach Art der Muskelentzündung bis zu 80 Prozent. Welche Anzeichen deuten auf Schluckstörungen hin? Häuf igste Anzeichen, die auf eine Schluckstörung hindeuten, sind: erhöhter Zeitbedarf beim Essen oder Trinken, Husten-/ Erstickungsanfälle beim Essen/Trinken, das Gefühl des „Steckenbleibens von Nahrung in der Kehle“, der Eintritt von Flüssigkeit/Nahrung in den Nasenraum beim Trinken/Essen, Gewichtsabnahme, Fieberschübe, bedingt durch (evtl. unbemerkte) Aspirationen, und eine durch Aspiration verursachte Lungenentzündung (Aspirationspneumonie). Welche diagnostischen Verfahren werden zur genauen Abklärung der Schluckstörungen heutzutage eingesetzt? die Endoskopie: dabei wird über die Nase ein dünnes Endoskop eingeführt, wobei alle relevanten Strukturen wie z. B. Zungengrund, Rachenhinterwand, Stimmbänder etc. visuell genau analysiert werden können (sog. fiberendoskopische Untersuchung des Schluckens). Die beiden Methoden konkurrieren nicht, sondern ergänzen sich in ihrer Aussagekraft; sie sind für den Patienten nicht oder allenfalls wenig belastend. Welche Komplikationen können durch eine nicht behandelte Dysphagie auftreten? Im Falle einer nicht behandelten Dysphagie können besonders folgende Komplikationen auftreten: ständiges Aspirieren mit der Gefahr von Aspirationspneumonien, Gewichtsverlust und Mangelernährung, Dehydratation (Austrocknung durch Flüssigkeitsverlust), im schlimmsten Fall auch der Tod durch Ersticken oder durch eine Aspirationspneumonie. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob ein Patient über eine PEG-Sonde ernährt wird oder nicht? Die Indikation zur Sondenernährung besteht in der Regel dann, wenn der Patient nicht in der Lage ist, außer seinem Speichel genügend Nahrung bzw. Trinkmenge ohne KLINIKREPORT Die Indikation zur Sondenernährung besteht in der Regel dann, wenn der Patient nicht in der Lage ist, genügend Nahrung bzw. Trinkmenge ohne Gefahr Die Aspirationspneumonie, die mit hohem Fieber einhergeht, ist häufig Folge einer nicht behandelten Dysphagie. des Verschluckens zu sich zu nehmen. Gefahr des Verschluckens zu sich zu nehmen. Eine PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastroskopie), d. h. eine Sonde, die direkt von der Bauchhaut in den Magen verläuft, ist dann vorzuziehen, wenn zu erwarten ist, dass die Schluckstörung länger als 4–6 Wochen andauern wird. Ansonsten kann (für eine kürzere Zeitdauer) eine nasogastrale Sonde (Sonde, die über die Nase in den Magen vorgeführt wird) verwendet werden. Eine PEGSonde ist für den Patienten und den Therapeuten aus vielen Gründen vorteilhafter. Inwieweit arbeiten Sie mit der Fachklinik Lenggries zusammen? Im Dysphagiebereich arbeiten wir mit der Fachklinik Lenggries zusammen. Zum einen werden einige Patienten nach der Akutphase nach Lenggries weiterverlegt, wobei die Schlucktherapie nach denselben Therapieprinzipien weitergeführt wird. Zum anderen bieten wir jährlich Schluckseminare für Mitglieder verschiedenster Berufsgruppen (z. B. Therapeuten, Ärzte etc.) an, die auch von Mitarbeitern der Fachklinik Lenggries zahlreich besucht werden. Die Dysphagie ist ein weit verbreitetes Phänomen. Wie sieht die Versorgungslage von Patienten mit Schluckstörungen in Deutschland aus? Die Versorgungslage von Patienten mit Schluckstörungen in Deutschland ist derzeit noch nicht so gut wie etwa die in den USA. Allerdings besteht in den meisten Bundesländern ein eindeutiger Trend in Richtung einer zunehmend besseren Versorgung mit Schlucktherapieeinrichtungen an Akut- und Rehakliniken. Sie sind Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation (DGNR). Inwieweit setzen Sie sich hier für die Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Schlucktherapie ein? Anzeichen einer Schluckstörung: erhöhter Zeitbedarf beim Essen oder Trinken Husten-/Erstickungsanfälle beim Essen/Trinken das Gefühl des „Steckenbleibens von Nahrung in der Kehle“ der Eintritt von Flüssigkeit/Nahrung in den Nasenraum beim Trinken/ Essen Gewichtsabnahme eine durch Aspiration verursachte Lungenentzündung (Aspirationspneumonie), dadurch bedingte Fieberschübe Als 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neuropsychologie (DGNKN) verfolge ich als eines der gesteckten Ziele, in verschiedenen Reha-Bereichen bis Anfang 2003 die Formulierung von Leitlinien voranzubringen. Im Dysphagiebereich leite ich die Kommission „Leitlinien Dysphagie“. Wir setzen uns auch für eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Schlucktherapie ein, indem wir jährliche Grundlagen-/Praxis-/ Endoskopie-Seminare sowie Seminare für Pflegekräfte an unserer Klinik anbieten. Außerdem haben wir im Jahr 2000 die „Akademie für Schlucktherapie und Schlucktherapieforschung bei Patienten mit neurologischen Erkrankungen (AST)“ gegründet; die Ziele der AST können einem bei mir erhältlichen Info-Flyer entnommen werden. Zwei Schlucktherapeutinnen meiner Klinik (Fr. Michaela Heintze und Fr. Felicitas Koch) haben die erste Selbsthilfegruppe in Deutschland auf dem Dysphagiesektor gegründet, die „Münchner Selbsthilfegruppe und Beratungsstelle für Menschen mit Schluckstörungen und deren Angehörige (MÜSS)“ (Telefon: 0 89-3 60 87-187). Ganz aktuell haben wir in der Zeitschrift „Nervenarzt“ (Prosiegel et al., 2002) eine Studie publiziert, die die Effizienz von Schlucktherapie bei Patienten mit ND belegt. Wir bedanken uns bei Herrn Dr. Prosiegel ganz herzlich für das Interview. KLINIKREPORT HILFE ZUR SELBSTHILFE • HILFE ZUR SELBSTHILFE HILFE ZUR SELBSTHILFE BUCHTIPP Fachübergreifende Förderung Deutsche Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation Die Rehabilitation nimmt einen bedeutenden Stellenwert bei der Behandlung neurologischer Erkrankungen ein. Die Rehabilitation von neurologischen Patienten nimmt fortlaufend an Bedeutung zu. Dies ist einerseits auf den steigenden Bedarf an rehabilitativen Maßnahmen und andererseits auf neue therapeutische Möglichkeiten im Bereich der neurologischen Rehabilitation zurückzuführen. Um dieser wachsenden Bedeutung Rechnung zu tragen, wurde im August 1989 in Berlin die Deutsche Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation (DGNR) gegründet. Die grundlegenden Ziele der Gesellschaft umfassen neben der Weiterentwicklung von Methoden und Verfahren in der neurologischen Rehabilitation, die wissenschaftliche Effizienzkontrolle neurorehabilitativer Verfahren einschließlich der Koordination multizentrischer Studien sowie die Erarbeitung und Empfehlung personeller, struktureller und organisatorischer Standards. Ebenfalls unterstützt die DGNR die Förderung der ärztlichen Weiterbildung im Bereich der Rehabilitation und wirkt intensiv bei der Erarbeitung von Ausbildungsrichtlinien anderer an der Rehabilitation beteiligter Berufsgruppen mit. Eine Zusammenarbeit besteht sowohl mit den Leistungsträgern und weiteren für die Rehabilitation verantwortlichen Organen und Organisationen als auch mit Behindertenverbänden und Selbsthilfegruppen. Schluckstörungen Diagnostik und Rehabilitation S c h l u c k s t ö r u n ge n sind mehr und mehr zu einem ernst zunehmenden Phänomen geworden. Während früher die Versorgung schluckgestörter Patienten sowohl im Akut- als auch im Rehabereich eher vernachlässigt wurde, ist heute die Notwendigkeit einer umfassenden Diagnostik und gezielten Therapie erkannt. Die Autoren des Buches beschäftigen sich in erster Linie mit der Diagnostik und Rehabilitation von oropharyngealen Dysphagien. Dabei geben sie eine praxisorientierte Einführung in die hier relevanten Krankheitsbilder und stellen die Methoden der klinischen, endoskopischen, radiologischen und manometrischen Diagnostik dar. Gleichzeitig findet der Leser eine ausführliche Beschreibung der funktionellen Therapie, sinnvoll ergänzt durch zahlreiche praktische Beispiele. Die zweite Auflage des weit verbreiteten Standardwerkes behandelt neben neurologischen Schluckstörungen auch Beeinträchtigungen des Schluckvorganges nach morphologischen Organveränderungen, zum Beispiel infolge von Tumorresektion und Bestrahlung. Öffentlichkeitsarbeit und Interdisziplinarität werden beim DGNR groß geschrieben. Die Gesellschaft veranstaltet nicht nur Tagungen, Vorträge und Lehrgänge, sondern fördert auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller an Problemen der neurologischen Rehabilitation beschäftigten Arzte und Therapeuten. Obwohl sich das Wissen um das Störungsbild Dysphagie beträchtlich erweitert hat, bleiben noch immer viele Fragen offen und manche Erklärungsversuche unbefriedigend. Ziel der Autoren war es deshalb auch, die Methoden sachlich und gleichzeitig kritisch darzustellen. Informationen erhalten Interessierte bei der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation e.V. (DGNR), Waldstraße 2–10, 53177 Bonn Gudrun Bartolome, Schluckstörungen – Diagnostik und Rehabilitation, München, Jena: Urban & Fischer Verlag, 49,95 Euro KLINIKREPORT GESUNDHEITS- UND SOZIALPOLITIK Zukunft Gesundheit Reformvorschläge der Parteien zur Gesundheitspolitik Die Bundestagswahl steht vor der Tür, der Wahlkampf läuft auf Hochtouren. Dauerbrenner in der Wahlkampfdebatte ist die kontrovers geführte Diskussion über die Zukunft der Gesundheitspolitik. Die Vorschläge für das vielleicht schwierigste Reformprojekt der neuen Bundesregierung gehen weiter auseinander als bisher angenommen. Unionspolitiker und Sozialdemokraten werfen sich gegenseitig vor, eine unsoziale „Zweiklassen-Medizin“ anzusteuern. Trotz unterschiedlicher Reformpläne sind sich dennoch alle Parteien einig, dass niemand von der Gesundheitspolitik ausgeschlossen werden darf. Ein Überblick. Die steigenden Kosten für die medizinische Versorgung sind nun schon seit 25 Jahren im Blickpunkt der politischen Diskussion in Deutschland. Doch keine Regierung hat es bisher geschafft, das Problem zu lösen. Die angestrebten Sparmodelle blieben allesamt ohne Erfolg. Mit der Bundestagswahl im September dieses Jahres steht, wie die Wahlprogramme der Parteien zeigen, eine Richtungsänderung an. Versicherungsschutz für alle Die SPD betont den sozialen Ausgleich: „Das Prinzip der solidarischen Ausrichtung bleibt richtig“, heißt es im Regierungsprogramm. Das bedeutet umfassenden Versicherungsschutz für alle, unabhängig vom Einkommen. Außerdem setzen die Sozialdemokraten auf Qualitätsverbesserungen und höhere Anforderungen an die Ärzteschaft. Behandlungs-Leitlinien, die von unabhängigen Sachverständigen festgelegt werden, sollen zukünftig die Qualität der Versorgung verbessern und zusätzlich Kosten einsparen. „Kosten sparen“ lautet auch die Forderung von Ulla Schmidt. Durch verschiedene Sparregelungen wie Aut idem-Regelung oder den Preisabschlag auf Arzneimittel ohne Festbetrag versucht die Bundesgesundheitsministerin derzeit, die Arzneimittelausgaben drastisch einzudämmen. Ob ihr das gelingen wird, bezweifeln allerdings viele Kritiker. Mehr Wahlfreiheit Sparen hin oder her – Sparmaßnahmen, wie die Verabschiedung des Sparpakets seien nur „Peanuts“, meinen Unionspolitiker. „Wir müssen den Menschen klipp und klar sagen, dass das heutige Angebot an Leistungen im bisherigen System nicht mehr zu finanzieren ist.“ „Der Versicherte soll künftig eine größe- re Wahlfreiheit über den Umfang seines Versicherungsschutzes bekommen“, heißt es deshalb in dem Wahlprogramm der Union. Jeder Versicherte soll demnach selbst entscheiden können, ob er den bisherigen Versorgungsumfang beibehalten, zusätzliche Leistungen beantragen oder bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung Leistungen abwählen oder einen Selbsterhalt übernehmen will. CDU und CSU wollen dadurch den Wettbewerb fördern und so mehr Dynamik in die starren Vertragsstrukturen zwischen Arzt und Kasse bringen. Gefordert wird in ihrem Wahlprogramm ebenfalls ein Mehr an Transparenz. Behandlungsmaßnahmen und deren Kosten sollen künftig klar aufgeschlüsselt vorliegen. Die Kassen sollen ihren Mitgliedern – wie heute schon in Frankreich möglich – die Abrechnung nach dem Prinzip der Kostenerstattung anbieten. Im Klartext: Patienten müssen Arztrechnungen zunächst selbst bezahlen, ehe sie dann das Geld von der Kasse zurückverlangen. Die Grünen versus FDP Auf Solidarität bauen auch die Reformvorschläge der Grünen. Sie legen in ihrem Wahlprogramm den Schwerpunkt darauf, dass sich künftig die Beitragssätze der Kassen am jeweiligen Gesamteinkommen orientieren sollen. Dazu zählen auch nebenberufliche Einnahmen wie Mieteinnahmen oder Spekulationsgewinne. Dies sei, so die führenden Politiker der grünen Partei, nicht nur ein Schritt in Richtung mehr Beitragsgerechtigkeit, sondern auch eine wirkungsvolle Maßnahme zur Senkung der Lohnnebenkosten. Die Liberalen sehen diesen Weg jedoch eher als Sackgasse. Umgekehrt fordern sie deshalb, die „Zwangsbeiträge“ auf Wird unser soziales Gesundheitssystem uns auch noch in Zukunft gut versorgen können? Kernleistungen zu beschränken und grundsätzlich Kostenerstattung einzuführen. Eine Selbstbeteiligung der Patienten soll als Anreiz für kostenbewusstes Verhalten dienen. Wie unterschiedlich sich die Positionen der großen Parteien auch darstellen, es gibt dennoch Gemeinsamkeiten: Stärkung der Prävention, Verbesserung der Versorgungsqualität und der Patientenrechte gehören zu den Forderungen aller Parteien und natürlich die Kernaussage: Niemand soll von den medizinisch notwendigen Leistungen ausgeschlossen werden. IMPRESSUM KLINIKREPORT Herausgeber: MedCom Verlags GmbH Godesberger Allee 154, 53175 Bonn, Tel.: 02 28/30 82 1-0, Fax: 02 28/30 82 1-33 in Zusammenarbeit mit Fachklinik Lenggries für Neurologie und Physikalischrehabilitative Medizin GmbH Bergweg 21 83661 Lenggries Tel.: 0 80 42/50 40 Fax: 0 80 42/50 47 77 Internet: www.fachklinik-lenggries.de E-Mail: [email protected] Chefredaktion (V. i. S. d. P.): Dipl. Biol. Andrea Hertlein Medizinisch-wissenschaftliche Mitarbeit: Prof. Dr. med. Gerd Paal Dr. med. Bernd Schönberger Aktuelles Kompetenzen bündeln Internetportal der Kompetenznetze in der Medizin Fachleute sowie weitere themenspezifische Service- und Informationsleistungen bieten die Netze auf ihren Internetseiten an. www.kompetenznetze-medizin.de – unter dieser Internetadresse haben Ärzte und Patienten einen schnellen Zugang zu aktuellen Informationen über verschiedene Krankheiten und ihre Behandlung. Ob Rheuma oder Schlaganfall, Blutkrebs oder Depression, Lungenentzündung oder Parkinson: Das Portal führt die Internetpräsenzen der Kompetenznetze in der Medizin zusammen. Patienteninformationen, der aktuelle Stand des medizinischen Wissens zu definierten Krankheitsbildern, Studienregister, Veranstaltungstermine für Betroffene, Ärzte und andere In den Kompetenznetzen haben sich bundesweit Zentren der Spitzenforschung, führende Versorgungseinrichtungen, engagierte niedergelassene Ärzte sowie Selbsthilfeorganisationen zusammengeschlossen. Die Kooperation hat zum Ziel, den Austausch zwischen Grundlagenforschung und klinischen Forschern zu fördern, den Transfer von Forschungsergebnissen in die Patientenversorgung zu beschleunigen sowie den Dialog mit Betroffenen und mit der Öffentlichkeit zu führen. Initiator der Netzwerke ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das die Kompetenznetze fünf Jahre lang mit bis zu 2,5 Millionen Euro pro Jahr fördert. Bisher sind zwölf Netzwerke aktiv, die sich jeweils um ein spezifisches Krankheitsbild kümmern. Besserer Durchblick PC-Training hilft Patienten mit Sehfeld-Defekt Für Patienten mit kortikaler Blindheit gibt es jetzt ein neues Sehtraining: Am heimischen Computer führen die Betroffenen verschiedene Übungen zur Verbesserung ihrer Sehleistung durch. Dabei müssen zunächst Hell-Dunkel-Reize und später geometrische Figuren, Farben, Muster oder Buchstaben auf dem Bildschirm erkannt und mit Tastendruck bestätigt werden. Gleichzeitig wird das Training von einem Klinikarzt via Internet kontrolliert und an die individuellen Leistungen angepasst. Bei Patienten mit kortikaler Blindheit ist die Sehrinde geschädigt, etwa durch einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma. Durch das Sehtraining werden überlebende Neurone stimuliert, was zu einer Verbesserung der Sehleistung führen kann. Voraussetzung für die Teilnahme an einem solchen Training ist jedoch, dass Auge und Sehnerv noch intakt sind. Interessierte erhalten Informationen unter unter: 02 34/3 02 65 17 Bewegungstraining nach Schlaganfall Die verbesserte Beweglichkeit auf Grund des Taubschen Bewegungstrainings bei Patienten mit Hemiparesen nach einem Schlaganfall verändert auch die Hirnaktivität. Wie die Arbeitsgruppe um Professor Wolfgang Miltner vom Institut für Psychologie an der Universität in Jena herausgefunden hat, erstreckt sich die neuronale Aktivität im motorischen Kortex nach dem Training über ein größeres Areal als vor Beginn des Trainings. Die Repräsentation von Arm und Hand im Kortex ist deutlich vergrößert. Während des Trainings von etwa zwei Wochen wird die Bewegung des gesunden Armes stark eingeschränkt. Der Patient muss etwa sechs Stunden täglich versuchen, den gelähmten Arm zu bewegen. Bayern setzt auf Telemedizin Mit dem telemedizinischen Pilotprojekt „Tempis“ soll künftig die Schlaganfallversorgung in Bayern verbessert werden. Geplant ist eine telemedizinische Vernetzung von spezialisierten Schlaganfallstationen (Stroke Units) und regionalen Krankenhäusern. Vorgesehen sind außerdem spezifische Qualitätssicherungsmaßnahmen. „Das Projekt kann voraussichtlich noch in diesem Jahr in Südostbayern beginnen und soll nach erfolgreicher Evaluierung schrittweise auf die übrigen Landesteile ausgedehnt werden“, kündigt der Staatssekretär im Bayerischen Sozialministerium, Georg Schmid, an. In Bayern erleiden jedes Jahr etwa 30 000 Personen einen Schlaganfall, etwa 80 000 Menschen leiden an den Folgen eines Schlaganfalls. Wegen der demographischen Entwicklung müsse künftig mit einer weiteren Zunahme von Schlaganfällen gerechnet werden, erklärt Schmid. Die Verbesserung der Schlaganfallversorgung gehöre deshalb zu den vordringlichsten gesundheitspolitischen Aufgaben.