Geleitwort Geleitwort Zu den generellen Definitionsmerkmalen einer chronischen Erkrankung zählen das Vorliegen einer biologischen oder psychologischen Störungsursache, eine Erkrankungsdauer von mindestens einem Jahr und das Auftreten von Folgebelastungen in mindestens einem der folgenden Bereiche: Einschränkungen der Alltagsaktivitäten, die Angewiesenheit auf Hilfe zur Kompensation oder Minimierung der funktionellen Einschränkung und ein erhöhter Bedarf an medizinisch-psychologischer Versorgung. Chronisch kranke Kinder und Jugendliche bedürfen in der Regel einer dauerhaften Therapie. Diese bedingt eine kontinuierliche Disziplin im Rahmen der Therapiemitarbeit, gegebenenfalls auch im Ertragen von wiederholten schmerzhaften Prozeduren sowie im Tolerieren von körperlichen, mentalen oder ästhetischen Behandlungsnebenwirkungen. Nach einem Regelschema von Petermann münden diese Faktoren in einem Circulus vitiosus: Die chronische Krankheit führt unweigerlich zu einer familiären Belastung. Das resultierende Bewältigungsverhalten hängt von verschiedenen Merkmalen des Patienten und der Familie ab, insbesondere von den verfügbaren Ressourcen, die geeignet sind, Belastungen abzupuffern. Deswegen gilt es auch ein psychosoziales Betreuungskonzept zu entwickeln, nach dem die Patienten selbst und die betroffenen Familien von einem interdisziplinären, interaktiv arbeitenden Team betreut werden müssen. Patienten und Familien sollten dabei je nach Bedarf und in Abhängigkeit von Diagnose, Krankheitsstadium und vom Schweregrad der Erkrankung sowie vom Alter des Kindes verschiedene Mitglieder des Teams in Anspruch nehmen können. Zur Bewältigung der Erkrankung und zur notwendigen Prävention und Reduktion von Belastungen ist neben der Verbesserung der familiären Integration insbesondere die Mobilisation von sozialer Unterstützung von Bedeutung. Einen hohen Stellenwert haben zudem die Erhöhung der Langzeitcompliance zur Durchführung der notwendigen Therapiemaßnahmen und die systematische Anleitung zur Selbsthilfe, z. B. durch Schulungsprogramme. Entsprechende Programme sind in den letzten Jahren beispielhaft z. B. für das Asthma bronchiale, die Adipositas und den Diabetes mellitus entwickelt worden. Hieran haben sich weitere Selbstbehandlungsprogramme für andere chronische Erkrankungen orientiert. Die Erfolge dieser Maßnahmen wurden evaluiert und wissenschaftlich dokumentiert. Im vorliegenden Buch werden neben den Besonderheiten von Selbsthilfeprogrammen bei spezifischen Erkrankungen die Grundlagen, die Rahmenbedingungen für die Implementierung der Selbstmanagementprogramme sowie spezifische Techniken zur Förderung des Selbstmanagements abgehandelt. 11 vonHagen-Schwarz_AK.indd 11 27.10.2010 06:11:56 Geleitwort Das Buch knüpft nahtlos an den kürzlich publizierten Band des gleichen Autorenteams mit dem Titel „Psychische Entwicklung bei chronischer Krankheit im Kindes- und Jugendalter“ an und stellt eine wertvolle Ergänzung dar. Die beiden Autoren sind seit vielen Jahren am Dr. von Haunerschen Kinderspital tätig und verfügen über große Erfahrung in der Behandlung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Da die Zunahme chronischer Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter und damit auch die Bewältigung dieser Erkrankungen eine wichtige Problematik in der Kinderheilkunde und der Jugendmedizin darstellt, hoffe ich sehr, dass dieser Band eine große Leserschaft findet. München, August 2010 Prof. Dr. Dr. h. c. Dietrich Reinhardt 12 vonHagen-Schwarz_AK.indd 12 27.10.2010 06:11:56 Vorwort der Herausgeber Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band basiert auf einem Symposium zum Thema „Selbstmanagement bei chronischer Krankheit im Kindes- und Jugendalter“, zu dem die Herausgeber Wissenschaftler1 verschiedener Fachrichtungen, Vertreter der Krankenkassen und des Bundesversicherungsamtes sowie Experten aus der Industrie im Dezember 2008 eingeladen hatten, um die vielfältigen Facetten der Thematik interdisziplinär zu erörtern. Für den vorliegenden Band wurden die Vorträge ausgearbeitet. Ergänzend wurden weitere Fachbeiträge, die sich insbesondere mit den entwicklungs- und motivationspsychologischen Grundlagen des Selbstmanagements, der Anwendung von Selbstmanagementtechniken bei einzelnen Krankheitsbildern und spezifischen Techniken des Selbstmanagements befassen, einbezogen. Nachdem sich die psychologische Literatur im Kontext chronischer Krankheiten im Kindes- und Jugendalter bis vor einigen Jahren schwerpunktmäßig mit Fragen der Adaptation und des Copings sowie den Determinanten von Compliance und Non-Compliance befasst hat, wird in neueren Ansätzen zunehmend die Bedeutung des eigenverantwortlichen Selbstmanagements der jungen Patienten und ihrer Familien betont. Im Mittelpunkt des Selbstmanagement-Ansatzes stehen die Autonomie des Menschen und die als erlernbar betrachtete Fähigkeit zur Selbstregulation. Gemäß dem Selbstmanagement-Ansatz sollte dem Menschen bei der Gestaltung seines Lebens eine aktive Rolle zugeschrieben und die Freiheit des Einzelnen maximiert werden. Gleichzeitig wird von einem Pluralismus von Werten und Lebensstilen ausgegangen und die Dynamik des menschlichen Lebens hervorgehoben. Aus den Merkmalen dieses Menschenbildes lassen sich übergeordnete therapeutische Strategien für die Betreuung von Familien mit einem chronisch körperlich kranken Kind bzw. Jugendlichen ableiten. Hierzu zählen insbesondere die umfassende Patienteninformierung und Patientenschulung sowie die Maximierung der Eigenverantwortung für die Durchführung des Behandlungsregimes. Bereits seit Mitte der 1990er Jahre hat der Selbstmanagement-Ansatz Berücksichtigung in den verschiedenen Behandlungsempfehlungen der Fachgesellschaften gefunden. Für eine Reihe chronischer Erkrankungen wie Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Neurodermitis und Adipositas sind strukturier- 1 Die Personenbezeichnungen im Text beziehen sich gleichermaßen auf Frauen wie auf Männer. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde jedoch darauf verzichtet, in jedem Fall beide Geschlechter zu benennen. 13 vonHagen-Schwarz_AK.indd 13 27.10.2010 06:11:56 Vorwort der Herausgeber te und qualitätsgesicherte Patienten- bzw. Familienschulungen integraler Bestandteil der Therapie. Zwischenzeitlich wurden auch für seltenere Krankheitsbilder wie das Nephrotische Syndrom Schulungsprogramme konzipiert und evaluiert. Das gemeinsame Ziel dieser Programme besteht darin, die Kinder und Jugendlichen in altersangemessener Weise zu Sachverständigen für ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und das Krankheitsmanagement auszubilden. Dies ist nicht nur für diejenigen Kinder und Jugendlichen ein erstrebenswertes Ziel, die wiederholt die Erfahrung von krankheitsbedingten Einschränkungen und Abhängigkeiten gemacht haben, sondern stellt eine generelle Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Um chronisch kranke Kinder und Jugendliche und ihre Eltern in die Lage zu versetzen, ein möglichst hohes Maß an Verantwortlichkeit für die Therapiemaßnahmen zu übernehmen, müssen gemeinsam mit dem Arzt bzw. dem Behandlungsteam unter Berücksichtigung der aktuellen Lebenssituation der Familie zunächst realistische Behandlungsziele definiert und im Anschluss daran adäquate Problemlösungsfertigkeiten trainiert werden. Bei der Vermittlung der jeweils spezifischen Schulungsinhalte sollten insbesondere diejenigen Verhaltensstrategien ausgeformt werden, die dem Kind oder Jugendlichen bzw. den Eltern ein hohes Maß an Handlungskompetenz im Alltag erlauben. Von besonderer Bedeutung ist daher die Vermittlung von Fertigkeiten, die eine situationsangemessene Handhabung der allgemeinen Strategien im Umgang mit der Krankheit ermöglichen. Da es aufgrund der komplexen Verläufe chronischer Krankheiten nicht möglich ist, alle in Zukunft auftretenden Problemsituationen antizipieren und entsprechende Lösungsstrategien einüben zu können, sollte zudem auch die Förderung von Kreativität und Flexibilität einen hohen Stellenwert haben. Um eine solide Motivation des Patienten zur Mitwirkung bei der Therapie aufzubauen und dauerhaft zu implementieren, sind neben der adäquaten Vermittlung relevanter Wissensinhalte in Form von Patientenschulungsprogrammen auch spezifische verhaltensmedizinische Maßnahmen von Bedeutung. Eine wesentliche Voraussetzung für die langfristige Förderung von Eigenverantwortlichkeit und Autonomie besteht zudem in einer stützenden Beziehung zu den einzelnen Mitgliedern des Behandlungsteams im Sinne eines Coachings. Die Art der Gestaltung der Informationsvermittlung bzw. der Patientenschulung ist stark abhängig vom Alter des Kindes bzw. Jugendlichen. Grundsätzlich sollten die Kinder und Jugendlichen alle Komponenten des Krankheitsmanagements selbst übernehmen, für die sie über die notwendigen kognitiven, motorischen, motivationalen und emotionalen Voraussetzungen verfügen. So sind beispielsweise Kinder mit Typ-1-Diabetes bereits im Alter von drei bis vier Jahren in der Lage, unter Aufsicht Blutglukosemessungen selbstständig durchzuführen. Sie können die Teststreifen einlegen und den Bluttropfen auftragen, der zuvor von der Betreuungsperson gewonnen wurde. Die Verantwortung für die korrekte Umsetzung der Therapiemaßnahmen liegt jedoch zunächst noch bei den Eltern. Mit dem Übergang von der Kindheit in die Adoleszenz werden die Verantwortlichkeiten dann schrittweise übertragen, um eine Loslösung von 14 vonHagen-Schwarz_AK.indd 14 27.10.2010 06:11:56 Vorwort der Herausgeber den Eltern ohne Gefährdung der Gesundheit zu ermöglichen. In den Schulungen Jugendlicher ist darauf zu achten, dass die Unterrichtsmaterialien auf krankheitstypische Problemsituationen zugeschnitten und die jeweiligen Konkretisierungen an der Lebenswelt des einzelnen Patienten orientiert sind. Wesentlich ist zudem das Einüben sozialer Kompetenzen in Situationen, in denen Gruppendruck und damit die Gefahr der Vernachlässigung relevanter Therapiemaßnahmen besteht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass aufgrund einer häufig noch unzureichenden Selbstkontrollfähigkeit die Gefahr der Überforderung besteht. In welchem Umfang dem Kind bzw. Jugendlichen die Verantwortung für das Krankheitsmanagement übertragen wird, sollte gemeinsam mit dem jungen Patienten, den Eltern und dem Behandlungsteam entschieden werden. Dabei sollten nicht das kalendarische Alter des Patienten bzw. soziale Vergleichsprozesse als Grundlage dienen, sondern es sollte jeweils individuell eruiert werden, welche Voraussetzungen gegeben sind. Dabei sind die Kinder bzw. Jugendlichen unbedingt danach zu fragen, welche Schritte sie sich bereits zutrauen und welche Schwierigkeiten möglicherweise auftreten könnten. Im Rahmen der Verlaufskontrolle ist dann zu prüfen, ob die jeweiligen Techniken hinreichend beherrscht werden. Werden Defizite konstatiert, sollte die weitere Aufgabenübertragung zunächst zurückgestellt werden. Mit der systematischen Berücksichtigung des Selbstmanagement-Ansatzes in der Betreuung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien gehen vielfältige Gewinne einher. Eines der Hauptziele des systematischen Empowerments der Patienten besteht in der Sicherung bzw. Steigerung der Lebensqualität, indem der Patient in die Lage versetzt wird, eigene Präferenzen einzubringen, eigenverantwortlich zu handeln und sein Leben stärker selbst zu bestimmen. Gleichzeitig trägt ein eigenverantwortliches Krankheitsmanagement zur Prävention von Akutkomplikationen und Folgeerkrankungen und den damit verbundenen zusätzlichen Arztbesuchen bzw. Sekundärhospitalisierungen bei. Je besser der Patient aufgeklärt ist, umso souveräner kann er Entscheidungen treffen und erforderliche Anpassungen in der Behandlung selbst vornehmen. Durch die Patientenorientierung und die gemeinsame Zielbestimmung sollte eine höhere Mitwirkungsbereitschaft bei den erforderlichen Behandlungsmaßnahmen erzielt werden können und damit eine bessere Therapieumsetzung gelingen. Die Förderung des Selbstmanagements ist somit nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern gleichsam auch eine ökonomische Notwendigkeit, wobei die Wirksamkeit und die Nachhaltigkeit einzelner Maßnahmen selbstverständlich sorgfältig zu prüfen sind. Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Selbstmanagement bei chronischer Krankheit im Kindesund Jugendalter zu dokumentieren, um Möglichkeiten der Implementierung unterschiedlicher Maßnahmen in den Klinik- und Praxisalltag und Perspektiven für weitere Studien zu den Wirkungsweisen einzelner Programme aufzuzeigen und einen kreativen Umgang mit neuen Medien zur Steigerung der Selbstmanagement-Kompetenzen anzuregen. Dazu soll in einem ersten Teil zunächst der 15 vonHagen-Schwarz_AK.indd 15 27.10.2010 06:11:56 Vorwort der Herausgeber Begriff des Selbstmanagements erläutert und entwicklungs- und motivationspsychologische Grundlagen sowie die kulturspezifischen Besonderheiten des Selbstmanagements dargestellt werden. Darüber hinaus wird auf den Stellenwert von Selbstmanagement-Interventionen bei Kindern mit besonderem Versorgungsbedarf eingegangen. Der zweite Teil befasst sich mit den Rahmenbedingungen für die Implementierung von Selbstmanagement. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich die Patientensouveränität steigern und die Informationsasymmetrie zulasten des Patienten korrigieren lässt. Dabei geht es im einzelnen um Selbstmanagement in strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke, um ökonomische Aspekte des Selbstmanagements, das Selbstmanagement aus der Sicht der Krankenkassen und die institutionalen Voraussetzungen für die Umsetzung von Selbstmanagement. Im dritten Teil wird auf die Anwendung von Selbstmanagementtechniken bei einzelnen chronischen Erkrankungen eingegangen. Im Mittelpunkt stehen dabei Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Adipositas, angeborene Herzfehler und chronische Nierenerkrankungen. In den beiden abschließenden Kapiteln werden spezifische Techniken zur Förderung des Selbstmanagements präsentiert. Als Herausgeber des Bandes möchten wir uns bei unseren Autorinnen und Autoren für die äußerst konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Durch das große Engagement bei der Erstellung der anspruchsvollen wissenschaftlichen Beiträge konnte diese dem aktuellen Forschungsstand entsprechende Übersicht über die Thematik erstellt werden. Unser ganz besonderer Dank gilt Dr. Wiese vom Bundesversicherungsamt in Bonn, der die Herausgeber in zahlreichen Gesprächen dazu ermuntert hat, die Thematik inter- und multidisziplinär zu erörtern und den Stellenwert der Patientenautonomie und -souveränität in der Versorgung chronisch Kranker herauszuarbeiten. Ulrike Merkel vom Verlag W. Kohlhammer danken wir für die Betreuung von Verlagsseite, ihre stets geduldige und zuversichtliche Art und die hilfreichen Anregungen. Bei Dr. Stephanie Putzker möchten wir uns dafür bedanken, dass sie sich neben ihrer klinischen und wissenschaftlichen Arbeit die Zeit genommen hat, inhaltliche Aspekte mit uns zu diskutieren, mit großer Sorgfalt die Druckvorlage zu erstellen und das Stichwortregister anzufertigen. Raphael von Hagen, dem zehnjährigen Sohn der Herausgeberin, danken wir für den anregenden Austausch über das Thema Gesundheitserziehung und Eigenverantwortlichkeit sowie die kreativen Vorschläge, Selbstmanagementstrategien kindgerecht zu vermitteln. Cornelia von Hagen und Hans Peter Schwarz München, August 2010 16 vonHagen-Schwarz_AK.indd 16 27.10.2010 06:11:56 I Grundlagen des Selbstmanagements vonHagen-Schwarz_AK.indd 17 27.10.2010 06:11:56 1 Begriffsbestimmung 1 Begriffsbestimmung Antje Otto 1.1 Einleitung Der Begriff der Compliance war lange Zeit gleichbedeutend mit der Befolgung von Anweisungen des Arztes, ohne diese zu hinterfragen. Im Zuge der weiten Verbreitung des Internets ist heute allerdings eine Fülle an Informationen abrufbar und für bestimmte Diagnosen werden verschiedenste alternative Heilmethoden vorgeschlagen. Der Patient kann sich ohne Arzt über Therapien informieren und tritt durch das eigene erworbene Wissen auf kongenialer Ebene in das Gespräch mit dem Arzt ein, er wird mündig (empowered). Damit eine Therapie möglichst konstruktiv verläuft, muss sich der Umgang mit dem Patienten an die aktuellen Gegebenheiten anpassen. Der Fokus auf die „Compliance“ (d. h. auf die strikte Befolgung der ärztlich-medizinischen Anweisungen) wird verschoben in Richtung Hilfe zur Selbsthilfe und somit einem Problemlösetraining. Das Ziel der am Versorgungsprozess beteiligten Leistungserbringer ist nicht mehr nur die „Compliance“, sondern die „Adherence“ des Patienten. Das bedeutet, der Patient soll selbstverantwortlich aus eigener Überzeugung heraus das Beste für sich und seine Gesundheit tun, indem auch eigene Ressourcen genutzt werden. Voraussetzung hierfür ist eine partnerschaftliche Beziehung zwischen dem Arzt und seinem Patienten. Hieraus entstehen Herausforderungen für den Arzt und seine Mitarbeiter, die aber, wenn sie gut umgesetzt werden, bessere Bedingungen für die Behandlung schaffen, indem die Mitwirkungsbereitschaft durch intrinsische Motivation des Patienten nachhaltig gestärkt wird. Die Theorien zum Thema Selbstmanagement zeigen diese Herausforderungen für den Arzt und seine Mitarbeiter auf und geben Ansätze zur Lösung der damit verbundenen Aufgaben. Zuerst wird hier der Begriff des Selbstmanagements genauer erläutert, bevor die Herausforderungen und Ansatzpunkte zur Lösung beschrieben werden. Aus der Vielzahl der Theorien zum Thema Selbstmanagement wie der Lerntheorie (Rotter, 1954; Bandura, 1979), Motivationstheorie (Heckhausen, 2006), Handlungstheorie (Skinner, 1973) etc. wurde hier die Theorie der Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer, 1992) ausgewählt, da sich hieraus zahlreiche Implikationen für die Praxis ableiten lassen. 19 vonHagen-Schwarz_AK.indd 19 27.10.2010 06:11:56 I Grundlagen des Selbstmanagements 1.2 Eine Begriffsklärung im Kontext der Patientenversorgung Selbstmanagement ist ein Oberbegriff für Therapieansätze, die darauf abzielen, Patienten zu einer besseren Selbststeuerung anzuleiten und sie so zur möglichst eigenständigen und aktiven Problembewältigung zu befähigen (Kanfer, 1987, 2006). Folgende Ziele resultieren daraus: • Eine aktive Problembewältigung, d. h. nicht medizinische Wunder werden erwartet, sondern der Patient kann seine Situation durch eigenes Verhalten positiv beeinflussen. • Die Autonomie des Patienten, d. h. der Patient wird als Individuum in seiner eigenen speziellen Lage gesehen, so dass nicht bei allen Patienten mit der gleichen Diagnose die gleiche Therapie immer genauso effektiv und effizient sein muss. • Die Anleitung zur Selbststeuerung, d. h. zur Selbstregulation, die später noch genauer erläutert wird. Die Grundlage der Selbstmanagement-Theorien ist ein bestimmtes Menschenbild, demgemäß alle Menschen danach streben, über alle Ereignisse, die ihr Leben unmittelbar betreffen, Kontrolle auszuüben. Mangelnde Einflussmöglichkeiten auf diese Ereignisse führen dahingegen zu Resignation oder sogar Verzweiflung (Bandura, 1997). Tritt eine Erkrankung auf, ist die Kontrollierbarkeit des Lebens gefährdet. Die Therapie, die dem Patienten von Ärzten angeboten wird, stellt eine Verhaltensmöglichkeit für den Patienten dar, die es ermöglicht, ein gewisses Maß an Kontrolle zurückzuerlangen. Wenn ein Patient die Therapie in diesem Sinne als wirksame Verhaltensmöglichkeit begreift, wird die „Compliance“ verbessert, da eine positive Wirksamkeitseinschätzung des Verhaltens gegeben ist und dadurch die Häufigkeit des Verhaltens steigt – in diesem Fall die Durchführung der erforderlichen Therapiemaßnahmen. Positive Wirksamkeitseinschätzung bedeutet jedoch nicht, dass der Patient lediglich von der Wirksamkeit der Therapie überzeugt ist, sondern die Wirksamkeitseinschätzung ist zu verstehen als Selbstwirksamkeitserwartung des Patienten. 1.3 Selbstwirksamkeitserwartung Will man ein bestimmtes Verhalten fördern, wie z. B. die Therapieeinhaltung und -aufrechterhaltung, sollte zunächst die Selbstwirksamkeitserwartung genauer betrachtet werden, da diese ein Schlüsselfaktor für menschliches Handeln ist und als wichtigster Mediator für die Veränderung von Verhalten gilt. Die Selbstwirksamkeitserwartung ist die Erwartung, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen durchführen zu können, die zu einem angestreb20 vonHagen-Schwarz_AK.indd 20 27.10.2010 06:11:56 1 Begriffsbestimmung ten Ziel führen (Schwarzer, 1992). Aus dieser Definition geht hervor, dass bei Selbstwirksamkeitserwartung ein angestrebtes Ziel existieren muss, was besonders bei chronischen Erkrankungen, insbesondere bei progredient verlaufenden, keine einfache Aufgabe darstellt. Weiterhin müssen die eigenen Kompetenzen bekannt sein, was wiederum die Fähigkeit zur Selbstreflexion voraussetzt. Auch die nötigen Handlungen müssen geläufig sein, wie die genaue Vorgehensweise bei der Therapie, und es muss die Erwartung bestehen, dass diese Handlungen korrekt ausgeführt werden können. Wenn z. B. ein Diabetespatient eine Spritzenphobie hat, wird die Erwartung, in der Lage zu sein, sich täglich mehrmals Insulin zu injizieren, eher gering sein. Im Folgenden sollen die Prozesse, aus denen sich die Selbstwirksamkeitserwartung zusammensetzt, detaillierter beschrieben werden. Kognitive Prozesse Kognitive Prozesse umfassen die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung eines Individuums. Die Kognition befähigt ein Individuum, sich selbst einzuschätzen und zu reflektieren, sich Strategien und Handlungsalternativen zu überlegen sowie sich selbst zu regulieren (Bandura, 1986). Die Selbstregulation stellt eine besondere Form der Kognition dar, nämlich die kontrollierte Kognition. Die kontrollierte Kognition ist das Gegenteil zur automatisierten Kognition, wie sie beim Autofahren oder Essen erfolgt. Die Selbstregulation setzt ein, wenn ein gewohnter Verhaltensfluss bewusst unterbrochen wird. Der Ablauf ist seriell und wird in Abbildung 1.1 dargestellt. Korrigierendes Feedback anhand der Konsequenzen Antizipatorischer Zyklus Externe Situation Stimuli Internal psychologische Komponenten Reaktion Korrektiver Zyklus Konsequenz Biologische Gegebenheiten Organismus Ve rgleich der Reaktion mit bestimmten Standards Beeinflusst die Wahrnehmung und den Einfluss von Umgebungsreizen Attribution Abb. 1.1: Ablaufschema der Selbstregulation (in Anlehnung an Kanfer, 1987) 21 vonHagen-Schwarz_AK.indd 21 27.10.2010 06:11:56