MOBILITÄTSPARTNERSCHAFTEN 3.2 Inhalte: Interessen der EU-Staaten dominieren In den Vereinbarungen zu den Mobilitätspartnerschaften sollen sich beide Seiten – EU und Mitgliedstaaten einerseits und Herkunftsstaaten andererseits – nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit jeweils zu bestimmten Leistungen bereiterklären: Für Erleichterungen der legalen Zuwanderung in die EU sollen die Drittstaaten im Gegenzug bspw. zusagen, bei der Rückführung eigener Staatsangehöriger bzw. über ihr Territorium eingereister irregulärer Zuwanderer stärker zu kooperieren. Zudem sollen sie intensiver daran mitwirken, irreguläre Migration zu verhindern. Die konkreten Maßnahmen, die EUInstitutionen, Mitgliedstaaten und beteiligte Drittstaaten festgelegt haben, unterscheiden sich je nach Partnerschaft. Es gibt keine einheitliche, für alle Länder gültige Schablone von Maßnahmen; vielmehr wird die Kombination von Maßnahmen jeweils konkret an die rechtlichen und sozioökonomischen Bedingungen des Partnerlandes angepasst und mit diesem ausgehandelt. So waren für die Republik Moldau, die von hoher Abwanderung betroffen ist, entwicklungspolitische Maßnahmen wichtig. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Förderung von Rückwanderung und Wiedereingliederung. In der Vereinbarung mit den Kapverdischen Inseln hingegen standen vor allem Grenzverwaltung und -sicherung, Identitäts- und Reisedokumente, Visaerleichterungen sowie die Steuerung der legalen Migration im Mittelpunkt. Die Maßnahmen insgesamt lassen sich grob den Bereichen legale Migration und Beschäftigung, Arbeitsmarkt, zirkuläre Migration sowie Asyl, Rückkehr, Rückübernahme und Grenzsicherung zuordnen (vgl. Tab. E.3.1). Mit den Mobilitätspartnerschaften verbinden die beteiligten EU-Mitgliedstaaten vorrangig die Absicht, in den Herkunftsländern Kapazitäten zur Steuerung von Migrationsbewegungen (insbesondere der Unterbindung irregulärer Migration) und zur Förderung von Rückwanderung aufzubauen. Entsprechend dominant sind in den Vereinbarungen Maßnahmen im Bereich der Grenzsicherung. Tab. E.3.1 verdeutlicht zudem, dass die Herkunftsländer eine eher passive Rolle spielen. Das Gros der Maßnahmen wurde von den EU-Mitgliedstaaten oder von EUInstitutionen wie Frontex vorgeschlagen und damit wohl auch inhaltlich von diesen bestimmt. Die begrenzte Zahl der Teilnehmer und die geringe inhaltliche Reichweite der Vereinbarungen zeigen zugleich, dass sich die meisten EU-Mitgliedstaaten eher abwartend verhalten. Dennoch lassen sich auch für die drei Herkunftsländer gewisse Anreize ausmachen, an der Kooperation teilzunehmen. So versprechen die Vereinbarungen – jenseits verschiedener Hilfestellungen zur Abwehr und Rückübernahme irregulärer Migranten – z. B. einen einfacheren Transfer von Rücküberweisungen oder einen besseren Sozialschutz für die eigenen Staatsangehörigen (etwa durch bilaterale Sozialversicherungsabkommen zwischen Bulgarien und Georgien). Ein großes Defizit aus Sicht der Herkunftsländer ist jedoch, dass einfache Möglichkeiten zur legalen Zuwanderung in die EU-Länder weitgehend fehlen. Die Pilotvereinbarungen halten zwar als eines der vorrangigen Ziele fest, dass die „Rahmenbedingungen für die legale Mobilität“ zu fördern seien – dies ist sicher auch der wichtigste Anreiz für die Herkunftsstaaten, an den Mobilitätspartnerschaften teilzunehmen. Die Vorschläge dazu sind jedoch vage und bleiben weit hinter diesen Ansprüchen zurück. Sie schreiben meist bereits Vorhandenes fort, bspw. die unverbindliche Bereitstellung von Informationen über den europäischen Arbeitsmarkt. Zusätzlich wird festgehalten, dass sich sämtliche Verfahren zur Erleichterung der Wirtschaftsmigration nach dem geschätzten Ar- MIGRATION UND ENTWICKLUNG die EU-Nachbarschaftspolitik und die Kapverdischen Inseln als Mitunterzeichner des Cotonou-Abkommens164. Damit zielte die Länderauswahl auf eine möglichst hohe Erfolgsaussicht der Partnerschaften. Den Mitgliedstaaten der EU steht die Teilnahme an den Programmen frei. An den jeweiligen Partnerschaften beteiligen sich oft jene EU-Länder, die zu den Partnerstaaten ohnehin historische und sprachlich-kulturelle Verbindungen oder eine besondere geografische Nähe haben. So wurde die Mobilitätspartnerschaft mit der Republik Moldau von 15 EU-Mitgliedstaaten165 unterzeichnet, die mit Georgien von 16166, die mit Kap Verde dagegen nur von vier Staaten167. Auffällig ist dabei, dass kaum ein Mitgliedstaat der EU-27 an allen drei Partnerschaften teilnimmt; das ist derzeit nur für Frankreich der Fall. Finnland, Irland, Malta und Österreich haben bisher gar keine Mobilitätspartnerschaft unterzeichnet. Deutschland hat die Vereinbarungen mit der Republik Moldau und Georgien unterzeichnet. 164 Das Cotonou-Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der EU und den 79 AKP-Mitgliedstaaten (Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten). Es schreibt zwischenstaatliche Vereinbarungen in den Bereichen Entwicklungshilfe, Handel, Investition und Menschenrechte zwischen der EU und den AKP-Staaten fest, die zum Großteil ehemalige Kolonien der EU-Mitgliedstaaten sind. 165 Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. 166 Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden, Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. 167 Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien (die Niederlande traten der Partnerschaft später bei). Jahresgutachten 2011 217