Analysis einer Variablen WS 2011/2012 Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. Kai Cieliebak Alexander Dittrich Inhaltsverzeichnis 1 Vollständige Induktion 1.1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Quantoren . . . . . . . . . . 1.2 Prinzip der vollständigen Induktion 1.2.1 Binomialkoeffizienten . . . . 1.2.2 Bemerkung . . . . . . . . . 2 Die 2.1 2.2 2.3 Körperaxiome Konstruktion von Q Anordnung . . . . . Absolutbetrag . . . . 2.3.1 Definition . . 2.3.2 Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3 3 4 4 6 . . . . . 7 8 10 12 12 12 3 Konvergenz von Folgen 14 3.1 Eigenschaften konvergenter Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4 Vollständigkeit 19 5 Reelle Zahlen 23 5.1 Quadratwurzeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5.2 Teilfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6 Mächtigkeit von Mengen 27 6.1 Hilberts Hotel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 7 Reihen 7.1 Alternierende Reihen . . 7.2 Absolute Konvergenz . . 7.3 Umordnung von Reihen 7.4 Doppelreihen . . . . . . 7.5 Exponentialreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 30 31 33 35 37 8 Komplexe Zahlen 40 8.1 Die Exponentialreihe in C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 8.2 Potenzreihen für sin und cos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1 9 Stetigkeit von Funktionen 47 9.1 Eigenschaften stetiger Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 10 Elementare Funktionen 10.1 exp und log . . . . . . . . . . . . . 10.2 sin und cos . . . . . . . . . . . . . 10.3 tan und cot . . . . . . . . . . . . . 10.4 Polardarstellung komplexer Zahlen 10.5 sinh, cosh, tanh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 55 58 61 62 63 11 Differentiation 64 11.1 Rechenregeln für Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 11.2 Höhere Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 12 Anwendung der Differentiation 12.1 Lokale Extrema . . . . . . . . 12.2 Mittelwertsatz . . . . . . . . . 12.3 Monotonie . . . . . . . . . . . 12.4 Konvexität . . . . . . . . . . 12.5 Newton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 70 70 71 72 73 13 Das Riemann-Integral 76 13.1 Riemannsche Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 14 Integration und Differentiation 82 14.1 Integrale elementarer Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 14.2 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 14.3 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 15 Konvergenz von Funktionsfolgen 89 15.1 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2 Kapitel 1 Vollständige Induktion N = {1; 2; 3; . . . } Z = {. . . ; −2; −1; 0; 1; 2; . . . } Q = { pq |p; q ∈ Z; q 6= 0} R 1.1 Aussagenlogik A, B Aussagen (wahr, falsch) A∧B A∨B ¬A „A und B“ B\A w f w w f f f f „A oder B“ B\A w f w w w f w f „nicht A“ A ⇒ B „aus A folgt B“ A ⇔ B „A äquivalent B“ 1.1.1 natürliche Zahlen ganze Zahlen rationale Zahlen reelle Zahlen B\A w f w w w f f w := (A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A) Quantoren Sei M eine Menge ∀m ∈ M ∃m ∈ M „für alle m in M “ „es gibt ein m in M “ Achtung: Reihenfolge von Quantoren ist wichtig! 3 ∀n ∈ N ∃m ∈ N : m > n wahr ∃n ∈ N ∀m ∈ N : m > n falsch 1.2 Prinzip der vollständigen Induktion Sei An eine Aussage über eine natürliche Zahl n. Die folgenden Aussagen seien wahr: - A1 - AN ⇒ An+1 Dann ist An wahr für alle natürlichen Zahlen. Beispiel 1.1: An : 1 + 2 + ... + n = Beweis. A1 : 1 = n(n + 1) 2 1(1 + 1) wahr 2 A An ⇒ An+1 : 1 + 2 + ... + n + (n + 1) =n (n + 1)([n + 1] + 1) An+1 wahr 2 1.2.1 n(n + 1) + (n + 1) 2 Binomialkoeffizienten n! = 1 · 2 · 3 · · · · · n 0! = 1 ( n! 0≤k≤n n := k!(n−k)! k 0 sonst. Lemma 1.1: Für 1 ≤ k ≤ n gilt: n n n+1 + = k k−1 k Beweis. n! n! n n + = + k k−1 k!(n − k)! (k − 1)!(n − (k − 1))! n! (n + 1)! n+1 = (n − k + 1 + k) = = k k!(n − k + 1)! k!(n − k + 1)! Beispiel 1.2: n Die Anzahl der k–elementigen Teilmenge einer n-elementigen Menge (k ≤ n) ist k 4 Beweis. (mit Induktion über n) 1 n = 1(A1 ) k = 0 : =1 0 1 k=1: =1 1 n ⇒ n + 1 Tk;n := Anzahl der k-elementigen Teilmengen einer n-elementigen Menge Sei Mn+1 = {x1; . . . ; xn+1 } eine (n + 1)-elementige Menge Sei A ⊂ Mn+1 eine k-elementige Teilmenge 1. Fall: Ak ⊂ Mn := {x1; . . . ; xn } 2. Fall: Ak =Ak−1 eine (k− 1)-elementige Teilmenge Ak−1 ⊂ Mn ∪{xn+1 }für n n n+1 IV ⇒ Tk;n+1 = + = k k−1 k 1. Fall 2. Fall 2. Beweis. (direkt, ohne Induktion) Die Anzahl der Anordnungen einer n-elementigen Menge ist n!. Wähle k-elementige Teilmenge in n-elementiger Menge wie folgt: n Möglichkeiten zur Auswahl des 1. Elements n-1 Möglichkeiten zur Auswahl des 2. Elements n-k+1 Möglichkeiten zur Auswahl des k. Elements n! Möglichkeiten (n − k)! n! n = ⇒ Anzahl der Teilmengen ist k (n − k)!k! n · (n − 1) · · · (n − k + 1) = Notation: n X ak := am + am+1 + · · · + an k=m n Y ak := am · am+1 · ··· · an k=m Beispiel 1.3: (Binomische Formeln) Für a, b ∈ R, n ∈ N n (a + b) = n X n k=0 k ak bn−k Beweis. siehe Übung. Beispiel 1.4: (endliche geometrische Reihe) Für 1 6= x ∈ R, n ∈ N 1 + x + x2 + · · · + xn = 5 1 − xn+1 1−x Beweis. (1 + x + x2 + · · · + xn )(1 − x) = 1 − x + x − x2 + x2 − x3 · · · + xn−1 − xn + xn − xn+1 = 1 − xn+1 Dann durch 1 − x 6= 0 teilen 1.2.2 Bemerkung Natürliche Zahlen sind eindeutig durch die Peano-Axiome charakterisiert: (P1) 1 ∈ N (P2) Für jede n ∈ N gibt es eine Nachfolgerin n + 1 ∈ N (P3) n 6= m ⇒ n + 1 6= m + 1 (P4) @n ∈ N : n + 1 = 1 (P5) Induktionsprinzip Sei M ⊂ N eine Teilmenge, für die gilt: 1∈M n∈M ⇒n+1∈M Ziel: N Z Q R Ganze Zahlen lassen sich wie folgt aus N konstruieren: Z := N ∪ {0} ∪ −N Definiere Addition und Multiplikation auf Z wie folgt: n + m n, m ∈ N (−n) + (−m) := −(n + m) n − m m<n n + (−m) := 0 m=n −(n − m) m > n n + 0 := n (−n) + 0 := (−n) 0 + 0 := 0 Definiere Multiplikation analog Dann Z die ganzen Zahlen mit der üblichen Addition und Multiplikation 6 Kapitel 2 Die Körperaxiome Rationale Zahlen lassen sich aus Z konstruieren: p Idee | p, q ∈ Z, q 6= 0 q p nicht def. → ersetze durch geordnetes Paar (p; q) q p p0 Problem: = 0 q q Definition 2.1: Seien M, N Mengen Das kartesische Produkt von M und N ist die Menge der geordneten Paare M × N := {(m, n) | m ∈ M, n ∈ N } Eine Relation R auf einer Menge M ist eine Teilmenge R ⊂ M × M Wir schreiben a ∼ b ⇔ (a, b) ∈ R R heißt Äquivalenzrelation falls gilt: (reflexiv) a ∼ a =⇒ a ∈ [a] ((a, a) ∈ R) (symmetrisch) a ∼ b ⇒ b ∼ a =⇒ a ∈ [b] ⇒ b ∈ [a] ((a, b) ∈ R ⇒ (b, a) ∈ R) (transitiv) a ∼ b ∧ b ∼ c ⇒ a ∼ c =⇒ [a] ∩ [b] 6= 0 ⇒ [a] = [b] ((a, b) ∈ R ∧ (b, c) ∈ R ⇒ (a, c) ∈ R) Beispiel 2.1: M = {Personen in C123} a ∼1 b :⇔ a = b a ∼2 b :⇔ a und b haben die selbe Augenfarbe Lemma 2.1: R ⊂ M × M ist eine Äquivalenzrelation ⇔ ∃ disjunkte Zerlegung M = ∪ Mi (I-Menge i∈I (Indexmenge)), so dass a ∼ b ⇔ a, b ∈ Mi für ein i ∈ I z.B. M = Mblau ∪ Mbraun ∪ Mgrün Äquivalenzklasse von a 7 Beweis. (⇐) Eine Zerlegung M = ∪ Mi , definiert Äquivalenzrelation durch i∈I a ∼ b ⇔ a, b ∈ M ; für ein i ∈ I (Axiome nachrechnen) (⇒) Sei R Äquivalenzrelation. Jedes a ∈ M definiert eine Teilmenge [a] = {b ∈ M |a ∼ b} ⊂ M Also bilden die [a] eine disjunkte Zerlegung von M . 2.1 Konstruktion von Q Definition 2.2: eine Äquivalenzrelation auf Z × Z \ {0} 3 (p, q): (p, q) ∼ (p0 , q 0 ) ⇔ pq 0= p0 q p p0 = 0 ⇔ pq 0 = pq 0 q q Q := die Menge der Äquivalentklassen =: Z × Z \ {0}/ ∼ Definition 2.3: Addition und Multiplikation auf Q durch pq 0 + p0 q p p0 + 0 := q q qq 0 Wir müssen zeigen, dass dies wohldefiniert ist, d.h. unabhängig von der Wahl von Elementen in einer Äquivalenzklasse: 00 0 Sei pq0 = pq00 . Dann ist zu zeigen: pq 0 + qp0 ! pq 00 + qp00 = qq 0 qq 00 ⇔ | · qq 0 q 00 ! pq 0 q 00 + qp0 q 00 = pq 00 q 0 + qp00 q 0 ⇔ p0 q 00 = p00 q 0 Dies gilt nach Definition von ∼, da p0 q0 = p00 q 00 p p0 pp0 · 0 := 0 q q qq wohldefiniert: p0 p00 Sei 0 = 00 . Zu zeigen: q q pp00 ! pp0 = 0 qq 00 qq ! ⇔ pqq 0 p00 = pqp0 q 00 ! ⇐ q 0 p00 = q 00 p0 Satz 2.2: (Q; +; ·) ist ein Körper 8 | : pq | : q 6= 0 Definition 2.4: Eine Menge K mit zwei Operationen +; · : K × K heißt Körper, wenn sie folgende Axiome erfüllt: ∀a, b, c ∈ K Axiome der Addition ⇔ (Q; +) Abelsche Gruppe (assoziativ) a + (b + c) = (a + b) + c (kommutativ) a + b = b + a (N ull) ∃0 ∈ K : a + 0 = a ∀ ∈ K (Inverses) ∀a ∈ K ∃ − a ∈ K : a + (−a) = 0 Axiome der Multiplikation ⇔ (Q \ {0}; ·) Abelsche Gruppe (assoziativ) a · (b · c) = (a · b) · c (kommutativ) a · b = b · a (Eins) ∃1 ∈ K : a · 1 = a ∀ ∈ K (Inverses) ∀0 6= a ∈ K ∃a−1 ∈ K : a · a−1 = 1 Distributivgesetz: a · (b + c) = a · b + a · c Beweis. (teilweise) Addition: • 0 := • − 0 1 p 0 p·1+q·0 p + = = q 1 q·1 q p −p := q q p −p pq − pq 0 + = = q q qq q Multiplikation: • 1 := 1 1 p 1 p·1 p · = = q 1 q·1 q −1 q p • := für p, q 6= 0 q p p q pq 1 · = = q p pq 1 In einem Körper schreiben wir: a − b := a + (−b) ab := a · b a = ab−1 , falls b 6= 0 b 9 n · a := a · · + a}, n ∈ N | + ·{z n mal (−n) · a := n(−a) an := a · · · a} | · ·{z n mal n a−n := a−1 , falls a 6= 0 a0 := 1, auch 00 := 1 Übung Aus den Körperaxiomen folgt: (1) a · 0 = 0 ∀a ∈ K (2) Die Inversen der Addition und Multiplikation sind eindeutig bestimmt. (3) a · (−b) = −(ab) (4) (−1)2 = 1 z.B. (1): a · 0 = a(0 + 0) = a · 0 + a · 0 Addiere −(a · 0) zu beiden Seiten 0=a·0 etc. . . Beispiel 2.2: Der kleinste Körper ist K = {0; 1} Addition und Multiplikation sind durch Axiome festgelegt zu: 0+0=0 0·0=0 1 + 0 = 1 1 · 0 = 0 z.B. −1 = 1 0+1=1 0·1=0 1+1=0 1·1=1 1+1+1=1 2.2 Anordnung Definition 2.5: Ein Körper K heißt angeordnet, falls es eine Teilmenge von positiven Elementen a > 0 gibt, so dass gilt (A1) Für jedes a ∈ K gilt genau eine der folgenden Aussagen: a > 0, a = 0, (−a) > 0 (A2) a > 0, b > 0 ⇒ a + b > 0, a · b > 0 Ein angeordneter Körper heißt archimedisch, falls: (A3) a > 0, b > 0 ⇒ ∃n ∈ N : n · a − b > 0 Wir schreiben: a > b :⇔ a − b > 0 a < b :⇔ b − a > 0 a ≥ b :⇔ a > b ∨ a = b a ≤ b :⇔ a < b ∨ a = b Satz 2.3: Q ist ein archimedisch angeordneter Körper p Beweis. Def.: > 0 :⇔ p · q > 0 q p p0 wohldefiniert: Sei = 0 und pq > 0 q q qp0 = pq 0 10 | · pq 0 ⇒ pqq 0 p0 = (pq 0 )2 > 0, da p, q 0 6= 0 ⇒ p0 q 0 > 0 (A1)X (A2) folgt direkt aus: p p0 p > 0 ⇔ = 0 mit p0 , q 0 > 0 q q q p p0 > 0, 0 > 0, oBdA: p, q, p0 q 0 > 0 q q p p0 zu zeigen: n · > 0 für hinreichend großes n ∈ N ⇔ n · pq 0 > p0 q q q >0 Dies gilt, da Z diese Eigenschaften hat. (A3) Sei Übung In jedem angeordneten Körper gilt: 1. a > 0 ⇔ −a < 0 2. a 6= 0 ⇒ a2 > 0 3. 1 > 0 4. a > 0 ⇒ a−1 > 0 5. (1 + a)n ≥ 1 + n · a für a ≥ −1, n ∈ N (Bernoulli-Ungleichung) Der Körper K = {0; 1} besitzt keine Anordnung, denn: 1 > 0 ⇒ 1 + 1 > 0 Definition 2.6: A, B Mengen; Eine Abbildung f : A → B heißt • surjektiv, falls: ∀b ∈ B ∃a ∈ A : f (a) = b • injektiv, falls: ∀a, a0 ∈ A : f (a) = f (a0 ) ⇒ a = a0 • bijektiv, falls f surjektiv und injektiv Satz 2.4: Sei K ein angeordneter Körper. Dann existiert eine eindeutig bestimmte injektive Abbildung ϕ : Q → K mit ∀x, y ∈ Q: 1. ϕ(x + y) = ϕ(x) + ϕ(y) 2. ϕ(x · y) = ϕ(x) · ϕ(y) 3. x > 0 ⇒ ϕ(x) > 0 Wir sagen: K enthält den Körper Q (genauer: ϕ(Q)) Bemerkung: Es folgt, dass jeder angeordnete Körper unendlich ist! Beweis. Eindeutigkeit: Sei ϕ : Q → K gegeben mit (1, 2, 3) (3) 1 > 0 = ϕ(1) > 0 ⇒ ∃ϕ(1)−1 (2) ϕ(1) = ϕ(1) · ϕ(1) ⇒ ϕ(1) = 1 analog: ϕ(0) = 0 11 Für n ∈ N gilt: (1) ϕ(n) = ϕ(1 + · · · + 1) = ϕ(1) + · · · + ϕ(1) = n · 1 ϕ(1) + ϕ(−1) = ϕ(1 − 1) = ϕ(0) = 0 ⇒ ϕ(−1) = −1 ⇒ ϕ(−n) = −n · 1( > 0 falls k > 0 ⇒ ϕ(k) = k · 1 = ∀k ∈ Z < 0 falls k < 0 ⇒ ϕ(k) 0 für k 6= 0 6= p (2) ϕ(p) p·1 p = ⇒ϕ = ∀p, q ∈ Z, q 6= 0, ∀ ∈ Q q ϕ(q) q·1 q p p·1 Existenz: Definiere ϕ : Q → K durch ϕ := ∈K q q·1 p · 1 ! p0 · 1 p p0 ! = 0 wohledfiniert: Sei = 0 , zu zeigen ⇔ (pq 0 − p0 q) · 1 = 0 in K q q q·1 q ·1 ⇔ pq 0 − p0 q = 0 in Z Die selbe Rechnung zeigt auch, dass ϕ injektiv ist. Verifikation von (1)-(3): 0 p p0 pq + p0 q Def. (pq 0 + p0 q) · 1 pq 0 · 1 p0 q · 1 p·1 p0 · 1 1. ϕ + 0 = ϕ = = + = + = qq 0 qq 0 · 1 qq 0 · 1 qq 0 · 1 q·1 q0 · 1 q q 0 p p ϕ +ϕ q q0 2. analog p 3. Sei > 0 ⇒ oBdA p, q > 0 ⇒ ϕ q p p· = = (p · 1) (q · 1) > 0 q q · 1 | {z } | {z } >0 ϕ : Q → K injektiv p·1 p p → =: ∈ K [Schreibweise] q q·1 q p, q ∈ Z, q 6= 0 Sagen: Q ⊂ K Übung: Wo geht der beweis schief für K = {0; 1}? 2.3 2.3.1 Absolutbetrag Definition In einem angeordneten Körper K definieren wir |a| ∈ K: ( a falls a ≥ 0 |a| = −a falls a < 0 2.3.2 Eigenschaften ∀a, b ∈ K 12 >0 1. |a| ≥ 0, und |a| = 0 ⇔ a = 0 2. |a · b| = |a| · |b| 3. |a + b| ≤ |a| + |b| (Dreiecksungleichung) Beweis. Es gilt a ≤ |a|, b ≤ |b| ⇒ a + b ≤ |a| + |b| Es gilt: −a ≤ |a|, −b ≤ |b| ⇒ −a − b ≤ |a| + |b| ⇒ |a + b| ≤ |a| + |b| Bisher haben wir das archimedische Axiom noch nicht verwendet. Folgerung aus dem archimedischen Axiom In jedem archimedisch angeordneten Körper K gilt: 1. ∀a ∈ K ∃!k | {z∈ Z} : k ≤ a < k + 1 Definition: [a] := k ganzzahliger Anteil es gibt ein eindeutiges Element von a (Gaußklammer) Beweis. Existenz: Falls a ≥ 0: Nach (A3) ∃k ∈ Z : k + 1 > a ⇒ k ≥ 0. Wähle das kleinste k ∈ Z mit k + 1 > a. Annahme: k > a ⇒ k − 1 erfüllt (k − 1) + 1 > a dazu, dass k die kleinste ist. Also ist k ≤ a. Falls a < 0: Nach (A3) existiert n ∈ N mit n ≥ −a Wähle das kleinste n ∈ N ⇒ n − 1 < −a k := n ⇒ k ≤ a und a < k + 1 Eindeutigkeit: Falls k, l ∈ Z mit k ≤ a < k + 1; l ≤ a < l + 1 k ≤a<l+1 ⇒ k ≤l ⇒ ⇒k=l l ≤a<k+1 ⇒ l ≤k 2. ∀ε > 0 ∃n ∈ N : 1 1 <ε⇔n> n ε 3. ∀a > 1 ∀k > 0 ∃n ∈ N : an > k Beweis. Nach (A3)∃n ∈ N : n (a − 1) > k − 1 | {z } >0 ⇒ an = (a + (a − 1))n ≥ 1 + n(a − 1) > k 4. ∀a ∈ K mit 0 < a < 1 und ∀ε > 0 ∃n ∈ N: 1 1 an < ε(⇔ n > ) nach (3) a ε 13 Kapitel 3 Konvergenz von Folgen In diesem Kapitel gilt: K: archimedisch angeordneter Körper (K = Q oder R) Definition 3.1: Eine Folge in K ist eine Abbildung: N → K, n → an ∈ K Wir schreiben Folgen als (a1 , a2 , . . . ) = (an )n∈N Allgemeiner sind (an0 , an0+1 , . . . ) = (an )n≥n0 für n0 ∈ Z auch Folgen Eine Folge (an )n ∈ N heißt konvergent gegen a ∈ K, falls ∀ε > 0 ∃N ∈ N : ∀n ≥ N : |an − a| < ε d.h. ∀ε > 0 liegen fast alle an (alle bis auf endlich viele) in (an − ε, an + ε) Beispiel 3.1: 1. Die Folge an = 1 konvergiert gegen 0 n 1 <ε Beweis. Sei ε > 0 gegeben. Nach Folgerung aus (A3) ∃N ∈ N : N 1 1 Damit gilt ∀n ≥ N : ≤ <ε n N 2. an = (−1)n divergent Beweis durch Widerspruch (indirekter Beweis). Annahme: an → a ∈ K Wähle ε = 1 ⇒ Nach Definition der Konvergenz: ∃N ∈ N :|an − a| < 1 ∀n ≥ N Für n ≥ N gerade: |1 − a| < 1 ⇒ a > 1 − 1 = 0 Für n ≥ N ungerade: | − 1 − a| < 1 ⇒ a < −1 + 1 = 0 Also konvergiert (an ) nicht. 3. an = n −→ 1 n + 1 n→∞ n 1 Beweis. 1 − = n + 1 n + 1 n 1 ⇒ − 1 = −→ 0 n+1 n + 1 n→∞ n −→ 1 ⇒ n + 1 n→∞ 14 3.1 Eigenschaften konvergenter Folgen Satz 3.1: Der Grenzwert (Limes) einer konvergenten Folge ist eindeutig bestimmt. Beweis durch Widerspruch. Annahme: an → a, an → b, a 6= b oBdA a < b b−a >0 Sei ε := 2 b−a a+b ⇒ ∃N ∈ N : ∀n ≥ N : |an − a| < b−a 2 ⇒ an < a + 2 = 2 b−a a+b |b − an | = |an − b| < b−a 2 ⇒ an > b − 2 = 2 Definition 3.2: Eine Folge (an ) heißt beschränkt, falls es ein K ∈ K gibt, mit |an | ≤ K ∀n ∈ N Satz 3.2: Jede konvergente Folge ist beschränkt. Beweis. Übung Bemerkung: Die Umkehrung gilt nicht, wie an = (−1)n zeigt. Satz 3.3: Seien (an ), (bn ) zwei konvergente Folgen. Dann gilt: 1. (an + bn )n∈N ist konvergent mit lim (an + bn ) = lim an + lim bn n→∞ n→∞ n→∞ 2. (an · bn )n∈N ist konvergent mit lim (an · bn ) = lim an · lim bn n→∞ n→∞ n→∞ 3. (an − bn )n∈N ist konvergent mit lim (an − bn ) = lim an − lim bn n→∞ n→∞ n→∞ 4. Sei lim bn 6= 0. Dann ∃n0 ∈ N : bn 6= 0 ∀n ≥ n0 und die Folge n→∞ an bn ist konvergent n≥n0 lim an an = n→∞ . n→∞ bn lim bn mit lim n→∞ Beweis. Sei lim an = 0, lim bn = b, Geg. : ε > 0 ε ε 1. |an + bn − (a + b)| ≤ |an − a| + |bn − b| < + = ε ∀n ∈ N | {z } | {z } 2 2 < 2ε ∀n≥N < 2ε ∀n≥N 2. |an bn −ab| = |an bn −an b+an b−ab| ≤ |an bn −an b|+|an b−ab| = |an | · |bn − b| + |{z} | {z } ≤K ε 2 + ε 2 =ε 3. folgt aus 1. und 2. 15 ε < 2K ∀n≥N |a − a| | n{z } ε < 2(|b|+1) ∀n≥N ·|b| < 4. an 1 = an · bn bn Nach 2. reicht es, an = 1 zu betrachten bn → b 6= 0 |b| Sei ε := 2 |b| ⇒ ∃n0 ∈ N ∀n ≥ n0 : |bn − b| < 2 |b| |b| ⇒ |bn | = |bn − b + b| ≥ |b| − |bn − b| ≥ |b| − = > 0 ∀n ≥ n0 2 2 ⇒ bn 6= 0 ∀n ≥ n0 1 ⇒ definiert für n ≥ n0 bn 1 − 1 = |b − bn | ≤ |b − bn | = 2|b − bn | −→ 0 bn n→∞ b |bbn | |b|2 |b| · |b| 2 Satz 3.4: Seien (an ) und (bn ) konvergente Folgen mit an ≤ bn ∀n ∈ N. Dann gilt lim an ≤ lim bn Beweis durch Widerspruch. Annahme: a = lim an > lim bn = b a−b Wähle ε := . Dann ∃N : ∀n ≥ N : 2 a−b a−b a+b |an − a| < ⇒ an > a − = 2 2 2 a−b a−b a+b |bn − b| < ⇒ bn < b + = 2 2 2 ⇒ bn < a+b < an 2 zu an ≤ bn Bemerkung: Insbesondere gilt: Falls A ≤ an ≤ B ∀n, so ist A ≤ lim an ≤ B. Dies gilt nicht bei strikten Ungleichungen (<; >): z.B. an = n1 > 0 ∀n, aber lim n1 = 0 6> 0 Definition 3.3: Eine Folge (an ) heißt divergent gegen +∞ (bzw. −∞), falls ∀K ∈ K ∃N ∈ N : an ≥ K ∀n ≥ N (bzw. an ≤ K∀n ≥ N) Beispiel 3.2: 4. an = n divergiert gegen +∞ (Archimedes) 5. an = (−1)n · n divergiert nicht gegen +∞ oder −∞ Satz 3.5: 1. Die Folge (an )sei divergent gegen +∞ oder −∞. Dann ∃n0 ∈ N, so dass an 6= 0 ∀n ≥ n0 , 1 und die Folge konvergiert gegen 0. an n≥n0 2. Sei (an ) eine Folge positiver (bzw. negativer) Zahlen in K mit lim an = 0, dann divergiert 1 die Folge gegen +∞ (bzw. −∞) an 16 Beweis. 1. Sei (an ) divergent gegen +∞ (−∞ analog) zu K := 1 ∃n0 ∈ N : an ≥ 1 ∀n ≥ n0 . Geg. ε > 0 zu K := 1ε ∃N ∈ N : an > 1ε ∀n ≥ N ⇒ a1n − 0 = a1n < ∀n ≥ N 2. Sei an > 0 ∀n (< 0 analog); lim an = 0 Sei K > 0 gegeben zu ε = K1 ∃N : ∀n ≥ N : 0 < an < K1 ⇒ a1n > K ∀n ≥ N Definition 3.4: Sei (an )n≥0 eine Folge in K 1. Die unendliche Reihe (Summe) der an ist ∞ X := lim k=0 n X n→∞ n X ! ak , falls die Folge der Parti- k=0 alsummen Sn := ak ; n > 0 konvergiert (oder gegen ±∞ divergiert). k=0 P∞ P Bermerkung: ∞ n=0 an etc. k=0 ak = ! ∞ n Y Y 2. Das unendliche Produkt der an ist := lim ak , falls die Folge der Partialprodukte Pn := n Y k=0 n→∞ k=0 ak ; n > 0 konvergiert (oder gegen ±∞ divergiert). k=0 Entsprechend: P∞ k=k0 ak , k0 ∈ Z und Q∞ k=k0 ak , k0 ∈ Z Beispiel 3.3: 6. Für |x| < 1 gilt ∞ X xk = k=0 Beweis. ∞ X k=0 Satz 3.3 = 7. = lim n→∞ n X k=0 1 (geometrische Reihe) 1−x ! xk 1 − xn+1 (endlich geometrische Reihe) n→∞ 1 − x = lim 1 − lim xn+1 1 = , da lim xn+1 = 0 n→∞ 1−x 1−x ∞ X 1 1 1 1 = 1 + + + + · · · = ∞ (harmonische Reihe) k 2 3 4 k=1 Beweis. 1 + 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + ··· + + + ··· + +··· ≥ 1+ + + +··· = ∞ 2 |3 {z 4} |5 {z 8} |9 2 2 2 {z 16} ≥2· 41 = 12 ≥4· 18 = 21 1 ≥8· 16 = 12 17 8. Periodische Dezimalzahlen 0, 35 = 0, 353535 . . . 5 35 35 1 3 5 3 35 1 + + · · · = 35 + ··· = := + + 3 + 4 + ··· = + + 10 100 10 10 100 1002 1003 100 1002 ! 1 100 35 35 −1 = ∈Q⊂K 1 − 1 = 35 99 99 1 − 100 Satz 3.6: ∞ ∞ X X Seien ak und bk konvergente Reiihen und λ ∈ K. Dann gilt: k=0 k=0 1. Die Reihe ∞ ∞ ∞ ∞ X X X X (ak ± bk ) konvergiert mit Grenzwert (ak ± bk ) = ak ± bk k=0 2. Die Reihe ∞ X k=0 λak konvergiert mit Grenzwert k=0 k=0 Beweis folgt aus Satz 3.3 wegen. n n n X X X (ak ± bk ) = ak ± bk k=0 n X k=0 λak = λ k=0 Achtung: n X k=0 ak k=0 X k=0 ∞= 6 ∞ X ∞ X k=0 ! ak ∞ X ! bk k=0 18 λak = λ k=0 ∞ X k=0 ak k=0 Kapitel 4 Vollständigkeit Alle bisherigen Axiome (Körper, Anordnung, Archimedes) werden von Q und R erfüllt. Was unterscheidet Q von R? √ √ In Q fehlen die reellen Zahlen. ( 2, π, prim, e) Beispiel 4.1: 2 √ p 2 6∈ Q, d.h. @p, q ∈ Z 6= 0 mit =2 q Beweis. 2 p =2 Annahme: ∃p, q : q oBdA : p, q teilerfremd p2 = 2q 2 ⇒ 2|p2 ⇒ 2|p ⇒ 4|p2 = 2q 2 ⇒ 2|q 2 ⇒ 2|q ⇒ zu p, q teilerfremd Wie sehen wir Q an, dass Zahlen√“fehlen”? ∃ Folge von an ∈ Q mit an −→ 2 ∈ R (später) n→∞ d.h. die Folge (an ) “will konvergieren”, hat aber keinen Grenzwert in Q. Wie sehen wir, dass (an ) “konvergieren will”? Definition 4.1: Eine Folge (an )heißt Cauchy-Folge, wenn ∀ε > 0 ∃N ∈ N : |an − am | < ε ∀n, m ≥ N Lemma 4.1: Jede konvergente Folge ist eine Cauchy-Folge. Beweis. Geg. ε > 0 ε an → a ⇒ ∃N ∈ N : |an − a| < ∀n ≥ N 2 ⇒ ∀n, m ≥ N : |an − am | ≤ |an − a| + |am − a| < ε | {z } | {z } < 2ε < 2ε D.h. in Q gibt es Cauchy-Folgen, die keinen Grenzwert in Q haben. “Q ist nicht vollständig.” Definition 4.2: Ein angeordneter Körper K heißt vollständig wenn jede Cauchy-Folge in K konvergiert. 19 Also Q ist nicht vollständig. Die Grundlage der ganzen Analysis ist das Folgende: Theorem 4.2: Es gibt genau einen vollständigen archimedische angeordneten Körper. Wir bezeichnen diesen Körper als die reellen Zahlen R. Beweis. später Die Existenz besagt, dass all unsere Axiome simultan erfüllbar sind. Die Eindeutigkeit besagt, dass R durch die Axiome eindeutig festgelegt ist, d.h. jede beweisbare Aussage über R lässt sich aus den Axiomen ableiten! Satz 4.3: (äquivalente Formulierungen der Vollständigkeit) In einem archimedisch angeordneten Körper K sind die folgenden Aussagen äquivalent: 1. K ist vollständig 2. Jede nicht leere, nach oben (unten) beschränkte Teilmenge A ⊂ K hat ein Supremum (Infimum) 3. Jede beschränkte monotone Folge in K konvergiert 4. Sei I1 > I2 > I3 . . . eine geschachtelte Folge abgeschlossener Intervalle Ik = [ak ; bk ] mit Länge |Ik | := bk − ak −→ 0 k→∞ ∞ Dann gibts es ein a ∈ ∩ Ik (Intervallschachtelungsrinzip). k=1 Definition 4.3: Sei A ⊂ K eine nicht leere Teilmenge. Ein b ∈ K heißt • obere (untere) Schranke für A, falls a ≤ b (a ≥ b) ∀a ∈ A • Supremum (Infimum) von A, falls b obere (untere) Schranke und für jede obere (untere) Schranke b0 gilt b0 ≥ b (b0 ≤ b) (d.h. ist die kleinste (größte) obere (untere) Schranke; Schreibweise: b = supA (b = inf A)) • Maximum (Minimum) von A, falls b Supremum (Infimum) von A und b ∈ A • A heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn A eine obere (untere) Schranke hat. A beschränkt: von oben und unten beschränkt Eine Folge (an ) heißt monoton wachsend (fallend), falls a1 ≤ a2 ≤ a3 ≤ . . . (a1 ≥ a2 ≥ a3 ≥ . . . ) monoton: monoton wachsend oder monoton fallend Beweis Satz 4.3. Zeigen: 1. ⇒ 2. ⇑ ⇓ 4. ⇐ 3. 20 1. ⇒ 2.: Sei ∅ 6= A ⊂ K von oben beschränkt. Wähle eine obere Schranke b0 und ein a0 ∈ A Konstruiere induktiv zwei Folgen (an ), (bn ) n ≥ 0 mit: • an ∈ A monoton wachsend • bn obere Schranke, monoton fallend • 0 ≤ bn − an ≤ b0 − a0 . 2n Seien a0 . . . an , b0 · · ·n bereits konstruiert. an + bn c := 2 Falls c obere Schranke ist: bn+1 := c, an+1 := an Falls nicht: Wähle ein an+1 > c bn+1 := bn In beiden Fällen folgt: n Ind b0 −a0 0 ≤ bn+1 − an+1 ≤ bn −a = 2n+1 2 vor. Behauptung: (bn ) ist Cauchy-Folge denn, Gege. ε > 0 ⇒ ∃N ∈ N : b20Na0 < ε (Archimedes) K vollst. −a0 < ε =⇒ bn → b ∈ K ⇒ ∀ m ≥ n ≥ N : bn ≤ bN , bm ≥ aN ⇒ 0 ≤ bn −bm ≥ bN −aN ≤ b02N Behauptung: b obere Schranke für A denn: sonst ∃a ∈ A, a > b ⇒ a > bn für großes n zu bn obere Schranke Behauptung: b ist Supremum denn: sonst ∃b0 < b, b0 obere Schranke ⇒ b0 < an für großes n b0 obere Schranke 2. ⇒ 3.: Sei (an ) monoton wachsende beschränkte Folge 2. ⇒ A := {an |n ∈ N} von oben beschränkt ⇒ A hat ein Supremum a ∈ K Behauptung: an → a denn sonst ∃ε > 0 : an ≤ a − ε ∀n ∈ N ⇒ a − ε ist obere Schranke für A; a − ε < a a kleinste Schranke Falls (an ) monoton fallend: Betrachte (−an ) 3. ⇒ 4.: I1 > I2 > · · · ; |In | → 0 In = [an , bn ] ⇒ (an ) ist monoton wachsend und von oben beschränkt durch b1 3. ⇒ an → a ∈ K ∞ Behauptung: a ∈ ∩ In n=1 Sei n ∈ N geg. ∀m ≥ n gilt: an ≤ am bn ≥ bm ≥ am Satz 3.3 ⇒ ⇒ an ≤ a bn ≥ a 4. ⇒ 1.: Sei (an ) Cauchy-Folge in K ε := ) ⇒ a ∈ In 1 2k+1 21 1 ⇒ ∀k ∈ N ∃N (k) ∈ N : |an − am | < 2k+1 oBdA (nach Vergrößerrn der N (k)): N (1) < N (2) < · · · Definition 4.4: abg. Intervalle Ik := [aN (k) − 21k , aN (k) + 1 ] 2k Behauptung: Ik+1 < Ik ∀k ∈ N 1 denn |aN (k+1) − aN (k) | < 2k+1 nach ~ 1 1 − aN (k+1) − 2k+1 > aN (k) − 2k+1 ⇒ 1 1 + aN (k+1) + 2k+1 < aN (k) + 2k+1 ⇒ Ik+1 < Ik 1 Weiterhin: |Ik | = 2k−1 −→ 0 4. ∀n, m ≥ N (k) ~ 1 2k+1 1 2k+1 = aN (k) − = aN (k) + 1 2k 1 2k k→∞ ∞ ⇒ ∃a ∈ ∩ Ik k=1 Behaptung: an → a denn: Geg.: ε > 0 1 < ε (Archimedes) ⇒ ∃k ∈ N : 2k+1 ⇒ Für alle n ≥ N (k) : |an − a| ≤ |an − aN (k) | + |aN (k) − a| ≤ | {z } | {z } ~≤ 1 2k+1 ≤ 1 , 2k+1 1 2k−1 <ε da a∈Ik R := der eindeutige, vollständige, archimedisch angeordnete Körper. 22 Kapitel 5 Reelle Zahlen 5.1 Quadratwurzeln R+ := {x ∈ R|x > 0} = R+ R− := {x ∈ R|x < 0} = R− Satz 5.1: Zu jedem a ∈ R+ @b ∈ R+ mit b2 = a √ Wir schreiben a := b; Wurzel aus a Beweis. mit Satz 4.3 2. Sei a ∈ R+ Existenz: A von oben beschränkt, denn x2 ≤ y 2 , x, y ∈ R+ ⇔ 0 ≤ y 2 − x2 = (y + x) (y − x) ⇔ x ≤ y | {z } | {z } >0 >0 Falls a ≤ 1 : ∀x ∈ A : x2 ≤ a ≤ 1 ⇒ x ≤ 1 Falls a > 1 : ∀x ∈ A : x2 ≤ a ≤ a2 ⇒ x ≤ a Satz 4.3 2. ⇒ ∃b = supA Behauptung: b2 = a, denn Annahme: b2 < a ⇒ (b + ε)2 = b2 + 2bε + ε2 < a für hinreichend kleines ε > 0 ⇒ b + ε ∈ A, b + ε > b zu b obere Schranke von A Annahme: b2 > a ⇒ (b − ε)2 = b2 − 2bε + ε2 > a ≥ x2 ∀x ∈ A für hinreichend kleines ε > 0 ⇒ b − ε ≥ x ∀x ∈ A ⇒ b − ε ist obere Schranke für A; b − ε < b zu b = supA Eindeutigkeit: Annahme: b, c ∈ R+ mit b2 = c2 = a ⇒ 0 = b2 − c2 = (b + c)(b − c) | {z } >0 ⇒b−c=0⇒b=c 23 Bemerkung: √ √ Die Gleichung x2 = a > 0, x ∈ R hat genau zwei Lösungen: x = a oder x = − a √ √ Beweis. 0 = x2 − a = (x + a)(x − a) Satz 5.2: Sei a ∈ R+ Def. eine Folge (a1 )n≥0 mit x0 = 0 und xn+1 = 12 xn + √ Dann gilt xn −→ a n→∞ Bemerkung: Falls a ∈ Q+ und x0 ∈ Q+ so ist xn ∈ Q ∀n ∈ N a xn ,n ≥ 0 Beweis. 1. xn > 0 ∀n > 0 (per Induktion) 2. xn 2 ≥ a ∀n ≥ 1 2 a denn: xn 2 − a = 12 xn−1 + xn−1 − a = 14 xn−1 2 + 2a + 2 a2 1 a = x − = 14 xn−1 2 − 2a + xn−1 ≥0 n−1 2 4 xn−1 √ Also: xn ≥ a ∀n ≥ 1 3. xn+1 ≤ xn ∀n ∈ N denn: xn − xn+1 = xn − 21 xn + a xn = 1 2 xn − a xn √ xn−1 2 −a 1 2 2xn xn − a ≥0 ≥0 nach 2 = Also (xn )n≥1 monoton fallend und von unten durch √ a>0 a2 a beschränkt Satz 4.3 3. ⇒ 4. Nach Satz 3.3 gilt: x = lim xn+1 = n→∞ ⇒ 2x = x + ⇒ x2 = a lim 1 n→∞ 2 xn + a xn = 1 2 lim xn + n→∞ a x a lim xn n→∞ = 1 2 x+ a x Übung: Sei a ∈ R+ k ∈ N Def. (xn )n≥0 mit x0 > 0 und xn+1 1 := k (k − 1)xn + a xn k−1 Dann konvergiert xn gegen die eindeutig bestimmte Lösung x ∈ R+ von xk = a √ Wir schreiben k a := x Für a ∈ R+ und pq ∈ Q, q > 0 p √ 1 Def.: a q := ( q a)p z.B. a− 2 = √1a 24 xn → x ≥ Übung: Für a, b ∈ R+ ; r, s ∈ Q gilt (ab)r = ar br s ar = (ar )s ar+s = ar as Satz 5.3: (p-adische Darstellung) Für p ≥ 2, p ∈ N gilt 1. Jede reelle Zahl a ∈ R besitzt eine p-adische Darstellung a=± ∞ X ak pk k=k0 mit k0 ∈ Z und ak ∈ Z, 0 ≤ ak ≤ p − 1 Wir schreiben: a = ak0 ak0 +1 . . . a0 , a1 a2 a3 zur Basis p 3 3 z.B. p = 10 : 1, 3333 · · · = a0 , a1 a2 = 1 + 10 + 100 + ... =1 =3=3 Achtung: 0, 9999 · · · = 1, 00000 zur Basis 10 ∞ ∞ X X ak bk und ± repräsentieren genau k p pk k=k0 k=k0 ak = bk ∀k < l al = bl+1 reelle Zahl, wenn entweder ak = bk ∀k oder ∃l ∈ Z: ak = 0 ∀k > l bk = p − 1 ∀k > l von ak und bk vertauscht) 2. Zwei p-adische Darstellung ± dann dieselbe (oder Rolle Folgerung: Für jedes a ∈ R ∃ Folge (an ) rationaler Zahlen mit an → a. (an = Partialsummen in p-adischer Darstellung) d.h. Q ist “dicht” in R 5.2 Teilfolgen Definition 5.1: Sei (an )n∈N eine Folge in R und n1 < n2 < n3 < . . . eine Folge natürlicher Zahlen. Dann heißt (ank )k∈N = (an1 , an2 , an3 , . . . ) eine Teilfolge von (an )n∈N z.B.: (a2k )k∈N = (a2 , a4 , a6 , . . . ) Klar: an −→ a ⇒ ank −→ a n→∞ n→∞ Satz 5.4: (Bolzano-Weierstraß) Die Vollständigkeit von R ist äquivalent zu: 5. Jede beschränkte Folge in R hat eine konvergente Teilfolge. Bsp.: an = (−1)n a2k = (−1)2k = 1 → 1 25 Beweis. “⇐”: Wir zeigen: 5. ⇒ Jede beschränkte Folge konvergiert Sei (an )n∈N beschränkt, oBdA monoton wachsend. 5. ⇒ ∃ Teilfolge ank −→ a k→∞ Behauptung: an −→ a, denn: n→∞ Geg.: ε > 0 ⇒ ∃k ∈ N : |ank − a| < ε Dann gilt ∀n ≥ nk ank ≤ an ≤ a ⇒ |an − a| < ε ∃k 0 ∈ N : nk0 > n ⇒ an ≤ ank0 ≤ a → a “⇒”: Wir zeigen: Intervallschachtelungsprinzip ⇒ 5. Sei (an ) beschränkte Folge. d.h. b < an < c ∀n ∈ N Wir konstruieren induktiv abgeschlossene Intervalle I1 > I2 > I3 > . . . mit • |Ik | = c−b 2k−1 • Ik enthält unendlich viele Folgenglieder an k = 1 : I1 := [b, c] k → k + 1 : Sei Ik = [bk , ck ] bereits konstruiert bk +ck k J0 = [bk , bk +c 2 ]; J1 = [ 2 , ck ] ⇒ J0 ∪ J1 = Ik |J0 | = |J1 | = c−b 2k Ik enthält unendlich viele der (an ) ⇒ J0 oder ( J1 enthalten unendlich viele der (an ) J0 falls J0 unendlich viele an enthält Ik+1 := J1 falls J0 nur endlich viele an enthält Interv. ⇒ ∞ ∃a ∈ ∩ Ik k=1 Wir konstruieren induktiv eine Teilfolge (ank ) mit ank ∈ Ik : k = 1 : n1 := 1 an1 = a1 ∈ I1 k → k + 1 : Sei n1 < n2 < · · · < nk konstruiert. Ik+1 enthält unendlich viele der an ⇒ ∃nk+1 > nk mit ank+1 ∈ Ik+1 Behauptung: ank −→ a n→∞ denn Geg.: ε > 0 ⇒ ∃K ∈ N : 2c−b K−1 < ε Für alle k ≥ K gilt: ank ∈ Ik ⊂ IK a ∈ IK ⇒ |anK − a| < ε c−b |IK | = 2K−1 < ε Definition 5.2: Sei (an ) eine Folge. Ein a ∈ R heißt Häufungspunkt der Folge (an ) wenn es eine Teilfolge (ank ) gibt mit ank −→ a k→∞ Die Aussage 5. im Bolzano-Weierstraß ist äquivalent zu: Jede beschränkte Folge in R hat mindestens einen Häufungspunkt. Beispiel 5.1: (an ) = (−1)n + 1 n hat die zwei Häufungspunkte +1; −1 26 Kapitel 6 Mächtigkeit von Mengen Definition 6.1: (Cantor ca. 1870) Zwei Mengen M, N haben die selbe Mächtigkeit, wenn es eine bijektive Abbildung ϕ : M → N gibt. Bemerkung: Zwei endliche Mengen heben genau dann dieselbe Mächtigkeit, wenn sie dieselbe Anzahl von Elementen haben. • M hat größere Mächtigkeit als N , wenn es eine surjektive Abbildung ϕ : M → N gibt, aber keine injektive • M heißt abzählbar, wenn es eine surjektive Abbildung N → M gibt, abzählbar unendlich, wenn es eine bijektive Abbildung N → M gibt. (d.h. M hat dieselbe Mächtigkeit wie N). 6.1 Hilberts Hotel unendlich viele Zimmer 1, 2, 3, . . . ; alle belegt 1. Ein neuer Gast kommt an Idee: Gäste ziehen um, von Zimmer 1 → 2; 2 → 3; 3 → 4 neuer Gast im Zimmer 1 2. Ein Bus mit unendlichen vielen neuen Gästen 1, 2, 3, . . . kommt an Gäste ziehen um, von Zimmer 1 → 2; 2 → 4; 3 → 6 neue Gäste in Zimmer 1, 3, 5, 7, . . . 3. Unendlich viele Busse (1, 2, 3, . . . ) mit je unendlich vielen Passagieren kommen an Passagiere Bus 1 → 2; 2 → 3 alle Gäste in Bus 1 Verteile Passagiere auf Zimmer so: 27 P assagiere\Bus 1 2 3 4 5 1 1 3 ↓ 4 → . 2 2 3 6 % 5 % → . 8 . 9 4 7 5 15 % 14 % 13 . % 10 12 ↓ % 11 4. Bus mit einem Passagier pro reeller Zahl kommt an. Hotel schließt! In 3. haben wir bewiesen: Satz 6.1: Die Vereinigung abzählbar vieler abzählbaren Mengen ist abzählbar. Korollar 6.2: Q ist abzählbar. Beweis. Für q ∈ N ist Mq := ⇒ Q = ∪ Mq ist abzählbar n p q |p o ∈ Z abzählbar, da Z abzählbar ist. q∈N Satz 6.3: (Cantor 1873) R ist nicht abzählbar! (“überabzählbar”) Beweis. Cantorsches Diagonalverfahren Annahme: (0, 1) ist abzählbar d.h. (0, 1) = {a1 , a2 , a3... } Wir schreiben die Dezimalentwicklung dieser Zahl untereinander: a1 = 0, a11 a12 a13 a14 . . . a2 = 0, a21 a22 a23 a24 . . . a3 = 0, a31 a32 a33 a34 . . . ( anm + 2 falls anm < 5 Def.: b ∈ (0, 1) mit Dezimalentwicklung b = 0, b1 b2 b3 . . . mit bn := ⇒ anm − 2 falls anm ≥ 5 Die Dezimalentwicklungen von b und an unterscheiden sich um 2 an der n-ten Stelle ⇒ b 6= an ∀n Bemerkung: Eine Zahl n ∈ R heißt berechenbar, wenn es ein C-Programm gibt, das zu jeder Eingabe n ∈ N 1 eine Approximation von a mit Fehler < 2n ausgibt. Die Menge aller C-Programme ist abzählbar. ⇒ Die Menge aller berechenbarer Zahlen ist abzählbar. ⇒ Die Menge aller nicht berechenbarer Zahlen √ ist überabzählbar, d.h. insbesondere nicht leer. Aber alle uns bekannten reellen Zahlen wie 2, e, π, . . . sind berechenbar. 28 Bemerkung: Ein berühmtes Problem der Mengenlehre war die Gültigkeit der Kontinuumshypothese. Es gibt keine Mächtigkeit zwischen der von N und der von R . Dies wurde gelöst durch Kurt Gödel und Paul Cohen: Die Kontinuumshypothese ist aus den Axiomen der Mengenlehre weder beweisbar noch widerlegbar. ↑ Cohen 1963 ↑ Gödel 1938 Satz 6.4: Jede unendliche (d.h. nicht endliche Teilmenge) A ⊂ N ist abzählbar unendlich. Beweis. Aus den Peano Axiomen folgt, dass jede Teilmenge von N ein Minimum hat. Wir konstruieren induktiv eine Folge (an )n∈N , an ∈ A : a1 := min A an+1 := min (A \ {a1 , . . . , an }) ⇒ a1 < a2 < a3 < . . . ⇒ Die Abbildung ϕ : N → A ist injektiv n → an Behauptung: ϕ ist surjektiv Annahme: ∃a ∈ A mit a 6= an ∀n ⇒ ∀n : a ∈ A \ {a1 , . . . , an } ⇒ ∀n : a ≥ min(A \ {a1 , . . . , an }) = an+1 > an n:=a ⇒ a>a Also ist ϕ : N → A bijektiv Satz 6.5: (Cantor 1873) Für jede Menge M hat die Potenzmenge P(M ) := {Teilmengen von M } größere Mächtigkeit als M . Daraus folgt: Es gibt beliebig große Mächtigkeiten. Beweis. Def.: Abbildung ϕ : M → P(M ) ist injuktiv Def.: eine surjektive Abbildung ψ : P(M ) → M durch ψ({m}) := m ψ(A) := m0 ∈ M für alle anderen A ⊂ M ↑ fest gewählt ⇒ P(M ) hat mindestens die Mächtigkeit von M Annahme: ∃ surjektive Abbildung ϕ : M → P(M ) Def.: A := {m ∈ M |m ∈ ϕ(m)} ⊂ M ϕ surjektiv ⇒ ∃a ∈ M : ϕ(a) = A Falls a ∈ A : a ∈ / ϕ(a) = A Falls a ∈ / A : a ∈ ϕ(a) = A ⇒ ∃ bijektive Abbildung M → P(M ) Bemerkung: (Russel ∼1900) M := Menge aller Mengen die sich nicht selbst als Element enthalten. ⇒ Übung: P(N) hat dieselbe Mächtigkeit wie R (Dualentwicklung). 29 Kapitel 7 Reihen Ziel: Kriterien für Konvergenz von ∞ X an a=0 Lemma 7.1: 1. (Cauchy-Kriterium) ∞ ∞ X X an konvergiert genau dann, wenn ∀ε > 0 ∃N ∈ N : ak < ε ∀n ≥ m ≥ N n=0 2. ∞ X k=m an konvergiert ⇒ lim an = 0 n=0 n→∞ Beweis. 1. besagt nur, dass die Folge der Partialsummen eine Cauchy-Folge ist. 2. Geg.: ε > 0 P 1. ⇒ ∃N ∈ N : | nk=m ak | < ε ∀n ≥ m ≥ N Setz m = n |an | < ε ∀n ≥ N Beispiel 7.1: 1 − 1 + 1 − 1 + 1 ± . . . konvergiert nicht wegen 2., obwohl ∀|x| < 1 : 1 −→ 12 1 − x + x2 − x3 ± · · · = 1+x x→1 Leibniz, Euler: “1 − 1 + 1 − 1 + 1 ± · · · = 12 ” 7.1 Alternierende Reihen Bsp: (Übung 4 Aufgabe 3) Die alternierende harmonische Reihe 1 − 1 2 + 1 3 − 30 1 4 ± . . . konvergiert. Satz 7.2: (Leibnizsches Konvergenzkriterium) Sei (an )n≥0 eine monoton fallende Folge nicht negativer reeller Zahlenmit lim an = 0. Dann konvergiert die alternierende Reihe ∞ X n→∞ (−1)n an n=0 Beweis.P k Sn := 2n+1 k=0 (−1) ak P2n P artialsummen Tn := k=0 (−1)k ak Sn − Sn−1 = (−1)2n a2n + (−1)2n+1 a2n+1 = a2n − a2n+1 ≥ 0 ⇒ (Sn ) ist monoton wachsend Analog: (Tn ) ist monoton fallend Sn − Tn = (−1)2n+1 a2n+1 ≤ 0 ⇒ Sn < Tn ∀n ⇒ (SN ), (Tn ) monoton wachsend und beschränkt ⇒ Sn → S ∈ R Tn → T ∈ R S − T = lim (Sn − Tn ) = lim (−1)2n+1 a2n+1 = 0 n→∞ n→∞ ⇒S=T Behauptung: P∞ n n=0 (−1) an konvergiert gegen S, denn: Geg.: ε > 0 ⇒ ∃N1 ∈ N : |Sn − S| < ε ∀n ≥ N1 ∃N2 ∈ N : |Tn − T | < ε ∀n ≥ N2 P n ⇒ k=0 (−1)k ak − S < ε ∀n ≥ N := max(2N1 + 1, 2N2 ) Sm falls n=2m+1 Tm falls n=2m 7.2 Absolute Konvergenz Definition 7.1: ∞ ∞ X X Eine Reihe an heißt absolut konvergent, wenn die Reihe |an | konvergiert. n=0 beschränkt monoton ⇐⇒ Folge konvergiert ∃C > 0 : ∞ X n=0 |ak | ≤ C ∀n ∈ N k=0 Lemma 7.3: Jede absolut konvergente Reihe ist konvergent. P Beweis. Sei ∞ n=0 an absolut konvergent ⇒ Cauchy-Kriterium: ∀ε > 0 ∃N : Pnach Pn n | P a | ≤ |a | < ε ∀n ≥ m ≥ N k k k=m k=m ⇒ ∞ a konvergiert nach Cauchy-Kriterium n=0 n Beispiel 7.2: 1 − 12 + 13 − 14 ± . . . ist konvergent, aber nicht absolut konvergent 31 Satz 7.4: (Majorantenkriterium) ∞ X Sei bn eine konvergente Reihe mit bn ≥ 0 ∀n. Ist |an | ≤ bn ∀n, so konvergiert die Reihe ∞ X n=0 an absolut. n=0 Beweis. P∞ Pn Pn k=0 P |ak | ≤ k=0 bk ≤ k=0 bk =: C < ∞ ∀n ∈ N ⇒ an konvergiert absolut. Beispiel P∞ 1 7.3: 1 1 n=1 nk konvergiert für k ∈ N, k ≥ 2, denn nk ≤ n2 ≤ P∞ 1 ⇒ n=1 nk konvergiert nach Majorantenkriterium. 1 n(n−1) ∀n ≥ 2 und P∞ 1 n=2 n(n−1) =1 Satz 7.5: (Quotientenkriterium) Sei an 6= 0 für alle n ≥ n0 und es gebe ein θ ∈ R, 0 < θ < 1, so dass an+1 an ≤ θ ∀n ≥ n0 ∞ X Dann konvergiert die Reihe an absolut. n=0 Beweis. Konvergenzverhalten ändert sich nicht, wenn wir die ersten n0 Terme weglassen ⇒ oBdA : n0 = 0 an+1 ≤θ d.h. ∀n ≥ 0 : an6=0 und an |an ≤ θ|an−1 | ≤ θ2 |an−2 | ≤ · · · ≤ θn |a0 | ∞ X X |a0 | ist Majorante für an ⇒ θ|a0 | = 1−θ n=0 X ⇒ an konvergiert absolut nach Majorantenkriterium Beispiel 7.4: P xn 1. ∞ n=0 n! konvergiert für jedes x ∈ R. Sei n0 ∈ N mit n0 ≥ |x|, denn: xn+1 (n+1)! n = |x| ≥ n0 =: θ < 1 x (n + 1) n0 + 1 n! ∀n≤n0 ⇒ Konvergenz nach Quotientenkriterium P∞ 1 divergent für k = 1 2. n=1 nk konvergent für k ≤ 2 k ∈ N k 1 n (n+1)k = < 1 ∀n ≥ 1 1 n+1 nk k n aber: @θ mit 0 < θ < 1, so dass n+1 ≤θ 32 ∀n ≥ 1! k n da n+1 −→ 1 n→∞ ⇒ Quotientenkriterium nicht anwendbar 7.3 Umordnung von Reihen Definition 7.2: ∞ X Sei an eine Reihe und σ : N0 → N0 = {0, 1, 2, . . . } eine bijektive Abbildung. Dann heißt ∞ X n=0 aσ(n) eine Umordnung von n=0 ∞ X an . n=0 Beispiel 7.5: σ(0) = 1 σ(1) = 0 σ(2k) = 2k + 1 σ(2k + 1) = 2k an = a1 + a0 + a3 + a2 + a5 + a4 . . . Kann sich durch Umordnung das Konvergenzverhalten ändern? Ja! Beispiel 7.6: P∞ (−1)n+1 konvergiert. n=1 n Ordne wie folgt um: 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + − + + + + − + ... 1− + − + 2 3 4 5 7 6 9 11 13 15 8 1 ≥2· 81 − 16 = 12 + 1 1 ≥4· 16 − 18 ≥ 12 1 1 1 1 + n + · · · + n+1 −+ +1 2 +3 2 −1 2(n + 1) | {z } 1 1 1 1 1 n−1 ≥2 · n+1 − ≥ − ≥ + ··· = ∞ 2 2(n + 1) 4 6 12 2n Übung: P∞ (Riemannscher Umordnungssatz) nicht absolut konvergent. Dann gibt es für jedes A ∈ R Sei n=0 eine konvergente Reihe, aber P eine Umordnung σ : N0 → N0 , so dass ∞ n=0 aσ(n) gegen A konvergiert. Beweisidee Summiere die ersten an ≥ 0, bis die Summe > A ist. Addiere dazu die ersten an < 0, bis die Summe < A ist. Addiere dazu die nächsten an ≥ 0, bis die Summe > A ist. etc. an → 0 ⇒ konvergiert gegen A Bei absoluter Konvergenz passiert dies nicht: Satz 7.6: (Kleiner Umordnungssatz) ∞ ∞ X X Sei an eine absolut konvergente Reihe, dann konvergiert jede Umordnung aσ(n) gegen n=0 n=0 den selben Grenzwert. Beweis. A := ⇒ ∃n0 ∈ N : P∞ Geg.:σ : N0 → N bijektiv ε |ak | < 2 k=0 ak ∞ X k=n0 +1 33 ε>0 n0 ∞ X X ε ⇒ A − ak ≤ |ak | < 2 k=0 k=n0 +1 Wähle N ∈ N so groß , dass {0, . . . , n0 } ⊂ {σ(0), σ(1), . . . , σ(N )} (N := max{σ −1 (0), . . . , σ −1 (n0 )}) Dann gilt für alle n ≥ N : n0 n0 n n X X X X aσ(k) − ak < ε aσ(k) ≤ A − ak + A − k=0 k=0 | {z } |k=0 {z k=0 } ∞ ε X ε < ≤ < 2 2 k=n0 +1 Definition 7.3: Sei M eine X abzählbar unendliche Menge, und zu jedem m ∈ M sei ein am ∈ R gegeben. Die Reihe am heißt absolut konvergent, wenn es eine bijektive Abbildung σ : N0 → M gibt, m∈M ∞ X so dass aσ(n) absolut konvergiert. n=0 Nach dem kleinen Umordnungssatz hängt die absolute Konvergenz nicht von der bijektiven Abbildung N0 → M ab. Satz 7.7: (großer Umordnungssatz) X Sei M eine abzählbar unendliche Menge und am eine absolut konvergente Reihe. ∞ m∈M Dann gilt für jede Zerlegung M = ∪ Ik von M i < m paarweise disjunkte Mengen I0 , I1 , . . . : k=0 X m∈M am = ∞ X X ai k=0 i∈Ik Bemerkung: Ik endlich oder abzählbar unendlich und Satz 6.5 Bemerkung: Ik einelementig ∀k ⇒ kleiner Umordnungssatz Beispiel 7.7: P∞ n n=0 (n + 1)x konvergiert absolut für |x| < 1 Ordne nach großem Umordnungssatz um: 1 + 2x + 3x2 + 4x3 + . . . x + 2x2 + 3x3 + . . . x2 + 2x3 + . . . x3 + . . . 1 1 1 1 = 1−x + x · 1−x + x2 1−x + · · · = 1−x (1 + x + x2 + . . . ) = Beweis. P Für I ⊂ M def.: S(I) := i∈I ai 1. Für jedes I ⊂ M ist S(I) absolut konvergent, denn: Falls I endlich: X 34 1 (1−x)2 Falls I unendlich: Nach Satz 6.5 ∃ Bijektion ϕ : N0 → I Sei σ : N → M Bijektion ∀n P ∃N : {ϕ(1), ϕ(n)} ⊂ {σ(1), . . . , σ(N )} P . . . ,P ∞ N n → k=0 aϕ(k) ≤ k=0 aσ(k) ≤ k=0 aσ(k) =: A < ∞ ∀n 2. ∀I ⊂ M : S(I) + S(M \ I) = S(M ), denn: Falls I endlich: . . . , N −P 1} → I {N, N + 1, . . . } → M \ I P∞∃ BijektionPσ{0, N −1 ⇒ S(M ) = n=0 aσ(n) = n=0 aσ(n) + ∞ n=N aσ(n) = S(I) + S(M \ I) Falls I unendlich, M \ I endlich: analog Falls I und M \ I unendlich: ∃ Bijektion σ{0, 2, 4, . . . } → I {1, 3, 5, . . . } → M \ I Für alle n ∈ N gilt: Pn Pn P2k+1 k=0 aσ(2k) + k=0 aσ(2k+1) = k=0 aσ(k) ↓ ↓ n→∞ ↓ n→∞ S(I) + S(M \ I) = S(M ) Satz 3.3 3. Für jede endliche disjunkte Zerlegung M = I0 ∪ · · · ∪ In gilt: S(M ) = S(I0 ) + · · · + S(In ) denn: Induktion über n: n=0:X n → n + 1 : S(M ) = S(I0 ∪ · · · ∪ In ) nach 2. + IV S(In+1 ) = S(I0 ) + · · · + S(In ) + S(In+1 ) ∞ 4. Sei M = ∪ Ik disjunkte Zerlegung k=0 P Zu zeigen: S(M ) = ∞ k=0 S(Ik ) ∞ Nach 3. gilt ∀ ∈ N: S(I0 ) + · · · + S(In ) + S(M \ ∪ Ik )=S(M) k=0 ! Zu zeigen: |S(I0 ) + · · · + S(In ) + S(M )| −→ 0 n→∞ || ∞ S(M \ ∪ Ik ) k=0 Geg.: ε > P0 Sei σ : N0 → M Bijektion ⇒ ∃N : ∞ k=N +1 aσ(k) < ε ∀n ∃k(n) : σ(n) ∈ Ik(n) ⇑ M k := max{k(0), . . . , k(N )} ∞ n ⇒ {σ(0), . . . , σ(N )} ⊂ ∪ Ik ) ⊂ ∪ Ik ) ∀n ≥ k k=0 k=0 P n P aσ(k) < ε n ⇒ ∀n ≤ k : S(M \ ∪ Ik ) ≤ |am | ≤ ∞ k=N +1 m∈M \ ∪ Ik k=0 k=0 7.4 Doppelreihen Erinnerung: M, N Mengen M × N = {(m, n)|m ∈ M, n ∈ N } “kartesisches Produkt” 35 ∞ N0 × N0 = ∪ {i} × N0 i=0 abzählbare Vereinigung abzähl̈barer Mengen ⇒ N0 × N0 abzählbar unendlich Definition 7.4: Jedem (i, j) ∈ N0 × N0 sei eine Zahl aij ∈ R zugeordnet. Def. die Doppelreihe: ∞ X X aij := ij=0 aij (i,j)∈N0 ×N0 falls sie absolut konvergiert. Aus dem großen Umordnungssatz folgt: Korollar 7.8: (Doppelreihensatz) ∞ X Sei aij absolut konvergent. Dann gilt: i,j=0 ∞ X aij = i,j=0 ∞ X ∞ X i=0 aij = j=0 ∞ ∞ X X j=0 ! aij = i=0 ∞ k X X k=0 ! ai,k−i i=0 Beweis. a00 a10 a20 a30 .. . ∞ X a02 a12 a22 a32 .. . a03 a13 a23 a33 .. . ··· ··· ··· ··· .. . ∞ X aij entspricht den aufsummierten Zeilen i=0 ∞ X j=0 ∞ X j=0 i=0 ∞ k X X k=0 a01 a11 a21 a31 .. . i=0 ! aij entspricht den aufsummierten Spalten ! ai,k−i entspricht den aufsummierten Diagonalen von rechts oben nach links unten ∞ ∞ ∞ N0 × N0 ∪ {i} × N0 = ∪ N0 × {i} = ∪ Ik j=0 | {z } j=0 | {z } k=0 Ii Ii Ik = {(0, k), (1, k − 1), . . . , (k, 0)} Korollar 7.9: (Cauchy-Produkt von Reihen) ∞ ∞ ∞ X X X Seien ai und bj absolut konvergente Reihen. Dann ist die Doppelreihe ai bj absolut i=0 j=0 i,j=0 konvergent und es gilt: ∞ X i,j=0 = ∞ X i=0 ! ai ∞ X bj = j=0 ∞ k X X k=0 36 i=0 ! ai bk−i Beweis. P Nur zu zeigen, dass ∞ i,j=0 ai bj absolut konvergent. Dann folgt die Behauptung aus Korollar 7.8. Sei σ : N0 → N0 × N0 Bijektion ∀N ∃k, l : {σ(0), . . . , σ(N )} ⊂ {0, . . . , k} × {0, . . . , l} Schreiben σ(n) = (in , jn ) P P P P∞ Pn Pl P ∞ l k |b | = |a |) |b | ≤ ( |a | |a b | = |a b | ≤ ⇒ N j=0 j i=0 i j=0 j i=0 i j=0 i j i=0 n=0 in jn A< ∀N P∞ ∞ ⇒ i,j=0 ai bj also konvergent 7.5 Exponentialreihen Definition 7.5: exp(x) := ∞ X xn n=0 n! konvergiert absolut ∀x ∈ R (Blatt 4 Aufgabe 3) Satz 7.10: (Funktionalgleichung der Exponentialreihe) exp(x + y) = exp(x) · exp(y) x, y ∈ R Beweis. Nach Korollar 7.9!gilt: ! ! ∞ ∞ n ∞ X X X X ym xk y n−k xn = exp(x) · exp(y) = n! m! k! (n − k)! m=0 n=0 k=0 n=0 ∞ n X X 1 n k n−k = x y = exp(x + y) n! k n=0 k=0 | {z } =(x+y)n nach binom. F ormel Definition 7.6: Die Eulersche Zahl ist e := exp(1) = 1 + 1 1 1 + + + · · · ≈ 2, 71828 1! 2! 3! Korollar 7.11: Die Exponentialreihe hat folgende Eigenschaften: 1. exp(x) > 0 ∀x ∈ R 2. exp(−x) = 3. exp(x) = ex 1 exp(x) ∀x ∈ R ∀x ∈ R 37 Beweis. 2. Nach Funktionalgleichung: exp(x) · exp(−x) = exp(x − x) = exp(0) = 1 1 ⇒ exp(−x) = exp(x) ≥0 1. Falls x ≥ 0: exp(x) = 1 + z}|{ ... ≥ 1 > 0 Falls x < 0: exp(−x) > 0 exp(−x) = exp(x)−1 ⇒ exp(x) > 0 3. Falls x = 0: exp(0) = 1 = e0 Falls x > 0: x = pq mit p, q ∈ N 7.10 7.10 exp( pq )q = exp( pq · q) = exp(p) = exp(1)p = ep p ⇒ exp( pq ) ist die eindeutig bestimmte positive q-te Qurzel aus ep , d.h. exp( pq ) = e q Falls x < 0: −x > 0 2. 1 exp(−x) = e−x = e1x exp(−x) = exp(x) ⇒ exp(x) = ex Definition 7.7: Wegen 3. definieren wir: ex := exp(x) ∀x ∈ R Berechnung von e Lemma 7.12: (Abschätzung des Restgliedes) exp(x) = N X xn n=0 n! + RN +1 (x) 2|x|N +1 N für |x| ≤ 1 + . (N + 1)! 2 (d.h. der Fehler ist zweimal so groß wie das erste nicht berücksichtigte Glied) wobei |RN +1 ()x| ≤ Beweis. ∞ X xn xN +1 x x2 RN +1 (x) = = 1+ + n! (N + 1)! N + 2 (N + 2)(N + 3) n=N +1 |x|N +1 |x| |x|2 |x|N +1 1 2|x|N +1 ≤ 1+ + + . . . = · ≤ (N + 1)! N + 2 (N + 2)2 (N + 1)! 1 − |x| (N + 1)! N +2 | {z } geom. Reihe, konv. für |x| ≤ 12 , N +2 d.h. |x|≤1+ N 2 Folgerung e = exp(1) = N X 1 1 1 + RN +1 (1) mit RN +1 (1) ≤ ≤ für N ≥ 1 n! (N + 1)! N! n=0 z.B. N = 10 : 10! = 3, 6 · 106 38 10 X 1 ⇒e≈ bis auf 6 Stellen hinter dem Komma genau! n! n=0 Insbesondere ist e berechenbar. Korollar 7.13: Die Eulersche Zahl e ist irrational. Beweis. (nach Fourier, gefunden in Königsberger) Annahme: e= m n mit m, n ∈ N, n ≥ 2 (da e ∈ N) 1 m = e = 1 + 1!1 + 2!1 + · · · + n! + Rn+1 (1) | ·n! n 1 m ⇒ 0 < n!Rn+1 (1) = n! n − 1 − 1!1 − · · · − n! ∈N Andererseits gilt nach Lemma 7.12 n!·2 2 n!Rn+1 (1) ≤ (n+1)! = n+1 <1 39 Kapitel 8 Komplexe Zahlen Definition 8.1: Die Komplexen Zahlen sind die Menge C := R × R = {(x, y)|x, y ∈ R} mit folgender Addition und Multiplikation: (x, y) + (x0 , y 0 ) := (x + x0 , y + y 0 ) (Vektoraddition) (x, y) · (x0 , y 0 ) := (xx0 − yy 0 , xy 0 + x0 y) (Verknüpfung von Dreh-Streckungen) Satz 8.1: Die Komplexen Zahlen bilden einen Körper. Beweis. Null in C: (0, 0) Inverses der Addition: −(x, y) = (−x, −y) Eins in C: (1, 0) Inverses der Multiplikation: (x, y) −1 = x −y , x2 + y 2 x2 + y 2 für (x, y) 6= (0, 0) Nachprüfen der übrigen Axiome: Übung Einbettung von R in C Definiere eine injektive Abbildung ϕ : R → C x → (x, 0) Dann gilt: ϕ(x + x0 ) = (x + x0 , 0) = (x, 0) + (x0 , 0) = ϕ(x) + ϕ(x0 ) ϕ(xx0 ) = (xx0 , 0) = (x, 0) · (x0 , 0) = ϕ(x) · ϕ(x0 ) d.h.: Addition in R entspricht unter ϕ der Addition in C, Multiplikation analog Wir betrachten im Folgenden R (via ϕ) als Teilmenge (“Unterkörper”) von C Wir schreiben (x, 0) ∈ C als x ∈ R ⊂ C Definition 8.2: Die imaginäre Einheit ist i := (0, 1) ∈ C. Damit lässt sich jedes z = (x, y) eindeutig schreiben als z = x · (1, 0) + y · (0, 1) = x · 1 + y · i = x + iy x, y ∈ R Beachte: i2 = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1 d.h. i ist eine Quadratwurzel aus −1 Addition und Multiplikation in Schreibweise x + iy: (i2 = −1) (x + iy) + (x0 + iy 0 ) = (x + x0 ) + i(y + y 0 ) 40 (x + iy)(x0 + iy 0 ) = (xx0 − yy 0 ) + i(xy 0 + x0 y) Definition 8.3: Der Realteil von z = x + iy ist Re z := x Der Imaginärteil von z = x + iy ist Im z := y Die Konjugierte von z = x + iy ist z := x − iy Übung: z = Re z + iIm z Re z = 21 (z + z) Im z = 2i1 (z − z) z=z zw = z · w z+w =z+w zz = x2 + y 2 ∈ R+ 0 Definition 8.4: p √ Der Betrag von z = x + iy ist |x| := zz = x2 + y 2 ∈ R+ 0 , die Länge des Vektors z. Lemma 8.2: Für z, w ∈ C gilt: 1. |z| ≥ 0, und |z| = 0 ⇔ z = 0 2. |zw| = |z| · |w| 3. |z + w| ≤ |z| + |w| (Dreiecksungleichung) Beweis. 1. & 2.: X 3. Für z = x + iy p gilt: |Re z| = |x| ≤ px2 + y 2 = |z| |Im z| = |y| ≤ x2 + y 2 = |z| ⇒ |z + w|2 = |z + w| · |z + w| = |z|2 + |w|2 + zw + zw} | {z ≤ |z|2 + |w|2 + =zw+zw=2·Re(zw)≤2|zw|=2|z|·|w| 2|z| · |w| = (|z| + |w|)2 Bemerkung 1. Ein Körper mit Betrag, der 1.,2.,3. erfüllt, heißt bewerteter Körper. (z.B. Q ,R ,C ) 2. C besitzt keine Anordnung, denn: Sonst i > 0 oder −i > 0 ⇒ 1 = i2 > 0 oder −1 = (−i)2 > 0 − 1 > 0, 1 > 0 ⇒ 0 > 0 Damit machen z < w, supA, . . . in C keinen Sinn, aber Konvergenz von Folgen in C macht Sinn: 41 Definition 8.5: Eine Folge (zn )n∈N komplexer Zahlen konvergiert gegen z ∈ C, wenn ∀ε > 0 ∃N ∈ N : |zn − z| < ε ∀n ≥ N ⇔ |zn − z| −→ 0 als Folge reeller Zahlen. n→∞ Wir schreiben zn −→ z oder lim zn = z n→∞ n→∞ Lemma 8.3: lim zn ⇔ n→∞ lim Re zn = Re z n→∞ lim Im zn = Im z n→∞ Beweis. |Re z|, |Im z| ≤ |z| ≤ |Re z| + |Im z| ~ (⇒)|zn − z| −→ 0 n→∞ ~ ⇒ |Re zn − Re z| → 0, |Im zn − Im z| → 0 (⇐)|Re zn − Re z| → 0, |Im zn − Im z| → 0 ~ ⇒ |zn − z| → 0 Folgerung: lim zn = z ⇔ lim zn = z Definition 8.6: Eine Folge (zn ) komplexer Zahlen heißt Cauchy-Folge, falls ∀ε > 0 ∃N ∈ N |zn − zm | < ε ∀n, m ≥ N Wie im Beweis von Lemma 8.3: (zn ) ist Cauchy-Folge in C ~ ⇒ (Re zn ) und (Im zn ) sind Cauchy-Folgen in R R ⇒ Re zn → x ∈ R Im zn → y ∈ R V ollst. Lemma ⇒ 8.3 zn −→ z := x + iy n→∞ Also haben wir gezeigt: Satz 8.4: In C konvergiert jede Cauchy-Folge, d.h. C ist ein vollständiger bewerteter Körper. Wie in R beweist man: Satz 8.5: Seien (zn ), (wn ) konvergente Folgen in C . Dann konvergieren auch (zn ± wn ) und (zn · wn ) und es gilt: lim (zn ± wn ) = lim zn ± lim wn n→∞ n→∞ n→∞ lim (zn wn ) = ( lim zn )( lim wn ) n→∞ n→∞ n→∞ Ist außerdem lim wn 6= 0, so ∃n0 ∈ N : wn 6= 0 ∀n ≥ n0 und es gilt: zn lim zn lim = wn lim wn Definition 8.7: ∞ X Eine Reihe zn komplexer Zahlen heißt konvergent, wenn die Folge der PArtialsummen n=0 42 konvergiert. Sie heißt absolut konvergent, wenn die Reihe ∞ X |zn | in R konvergiert. n=0 Es gilt: (P P Re zn konvergiert (absolut) und zn konvergiert (absolut) ⇔ P Im zn konvergiert (absolut) denn: ohne “absolut”: Lemma 8.3; mit “absolut” folgt dies aus ~ Damit übertragen sich die Sätze über Reihen auf Reihen komplexer Zahlen: • Majorantenkriterium ∞ X Sei an eine konvergente Reihe nicht negativer reeller Zahlen. Sei (zn ) eine Folge komn=0 P plexer Zahlen mit |zn | ≤ an ∀n ∈ N0 . Dann konvergiert ∞ n=0 zn absolut. • Quotientenkriterium P Sei ∞ Reihe komplexer Zahlen. Es gebe ein θ ∈ R, 0 < θ < 1, und ein n0 ∈ N, n=0 zN eine zn+1 P ≤ θ ∀n ≥ n0 . Dann konvergiert die Reihe ∞ zn absolut. so dass n=0 zn • Ebenso gelten der kleine und der große Umordnungssatz für absolut konvergente Reihen komplexer Zahlen. • Leibniz-Kriterium überträgt sich nicht! P • Riemannscher Umordnungssatz überträgt sich nicht! Z.B.: zn , zn ∈ R konvergent, aber nicht absolut. ⇒ ∀z ∈ R ∃ Umordnung → z, aber für z ∈ C \ R @ Umordnung → z 8.1 Die Exponentialreihe in C Definition 8.8: ez := exp(z) := ∞ X zn n=0 n! z∈C Wie in R folgt aus Quotientenkriterium, dass exp(z) für jedes z ∈ C absolut konvergiert. Ebenso folgt: Satz 8.6: (Funktionalgleichung in C ) exp(z + w) = exp(z) · exp(w) z, w ∈ C Daraus folgt: exp(z) 6= 0 ∀z ∈ C, dann exp(z) · exp(−z) = 1 Lemma 8.7: exp(z) = exp(z) ∀z ∈ C Beweis. Pn exp(z) = lim k=0 n→∞ zk k! = lim n→∞ P n zk k=0 k! = exp(z), da lim a = lim an 43 Wichtige Folgerung Für x ∈ R gilt: Lemma Satz | exp(ix)|2 = exp(ix) · exp(ix) = exp(ix) · exp(ix) = exp(ix) · exp(−ix) = exp(ix − ix) = 8.7 8.6 exp(0) = 1 ⇒ eix = exp(ix) liegt auf dem Einheitskreis in C Abbildung 8.1: sin x un cos x am Einheitskreis Definition 8.9: cos x := Re(eix ) sin x := Im(eix ) x∈R ⇒ eix = cos x + i sin x Eulersche Formel Eigenschaften von sin und cos: Satz 8.8: Für x, y ∈ R gilt: 1 1. cos x = (eix + e−ix ) 2 1 sin x = (eix − e−ix ) 2i 2. cos(−x) = cos x sin(−x) = − sin x 3. cos2 x + sin2 x = 1 4. −1 ≤ cos x, s sin x ≤ 1 5. Additionstheoreme cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y 44 Beweis. 1. - 4.: X 5.: cos(x + y) + i sin(x + y) = ei(x+y) = eix eiy = (cos x + i sin x)(cos y + i sin y) = (cos x cos y − sin x sin y) + i(cos x sin y + sin x cos y) 8.2 2n+1 X k=0 Potenzreihen für sin und cos n n n n X X X (ix)k (ix)2k X (ix)2k+1 (−1)k x2k+1 (−1)k x2k = +i + = k! (2k)! (2k + 1)! (2k)! (2k + 1)! k=0 k=0 k=0 n ↓→ ∞ k=0 n ↓→ ∞ n ↓→ ∞ eix Re(eix ) = cos x Im(eix ) = sin x Satz 8.9: Für x ∈ R gilt: ∞ X (−1)k x2k x2 x4 cos x = =1− + − ... (2k)! 2! 4! k=0 ∞ X x3 x5 (−1)k x2k+1 =1− + − ... sin x = (2k + 1)! 3! 5! k=0 und die Reihen für sin x und cos x konvergieren absolut. Lemma 8.10: (Abschätzung des Restglieds) n X (−1)k x2k cos x = + r2n+2 (x) |r2n+2 (x)| ≤ (2k)! k=0 mit n X (−1)k x2k+1 |r2n+3 (x)| ≤ sin x = + r2n+3 (x) (2k + 1)! k=0 Beweis. n P (−1)k x2k (−1)n+1 x2n+2 r2n+2 (x) = ∞ = 1− k=n+1 (2k)! (2n+2)! n+1 x2n+2 = (−1)(2n+2)! 1 − a1 + a2 − a3 + . . . |x|2n+2 (2n + 2)! |x|2n+3 (2n + 3)! x2 (2n+3)(2n+4) + für |x| ≤ 2n + 3 für |x| ≤ 2n + 4 x4 (2n+3)...(2n+6) =a0 x2k mit ak = (2n+3)...(2n+2k+2) x2 ⇒ 0 ≤ ak = ak−1 (2n+2k+1)(2n+2k+2) 2 |x| ak ⇒ ak−1 ≤ 2n+2k+1 2 |x| für k ≥ 1 ≤ 2n+3 ≤ 1 für |x| ≤ 2n + 3 ⇒ a0 = 1 ≥ a1 ≥ a2 ≥ · · · ≥ 0 ⇒ 0 ≤ 1 − a1 + a2 − a3 + a4 − · · · ≤ 1 x2n+2 ⇒ |r2n+2 (x)| ≤ (2n+2)! für |x| ≤ 2n + 3 Abschätzung für r2n+3 (x) analog Korollar 8.11: sin xn = 1 für jede Folge xn → 0, xn 6= 0 ∀n n→∞ xn lim 45 − ... o Beweis. 3 sin x = x + r3 (x) mit |r3 (x)| ≤ x3! für |x| ≤ 4 3 ⇒ | sin x − x| ≤ x3! sin x 2 ⇒ x − 1 ≤ − x3! für 0 < |x| ≤ 4 Für x = xn folgt die Behauptung Satz 8.12: Für jede reelle Zahl x > 0 ist die Länge des Kreisbogens von 1 nach eix gleich x. Beweis. ix 2ix Ln := Länge des Polygonzuges 1, e n , e n , . . . , , eix ix ix ix i(k−1)x P P −ix ikx i(k−1) ix Ln := nk=1 e n − e n = nk=1 e n e n − 1 = n · e n = n · e 2n e 2n − e 2n = | {z } | {z } x =1 =|2·sin 2n | x sin Kor.8.11 x 2n sin = x x2n −→ x 2n 2n n→∞ Aber für n → ∞ approximiert der Polygonzug immer besser den Kreisbogen von 1 nach eix Also: x ist der Winkel (im Bogenmaß) zwischen 1 und eix Bemerkung ix 1. Im Beweis haben wir implizit verwendet, dass 1, e n , e liegen wie im Bild. → später 2ix n , . . . , , eix so auf dem Einheitskreis 2. Für großes x kann der Einheitskreis mehrfach durchlaufen werden! Nächstes Ziel: Definition von π ∈ R Berechnung von π, e2πi = 1 46 Kapitel 9 Stetigkeit von Funktionen Definition 9.1: Sei D eine Teilmenge von R Eine (reellwertige) Funktion auf D ist eine Abbildung f : D → R D heißt Definitionsbereich von f Der Graph der Funktion f ist graph(f ) := {(x, y)|x ∈ D, y = f (x)} ⊂R×R Beispiel 9.1: (D = R wenn nicht anders angegeben) 1. f (x) = x2 √ 2. f (x) = x x ≥ 0 3. f (x) = ex 4. f (x) = |x| ( 0 :x<0 5. f (x) = 1 :x≥0 ( 0 :x∈Q 6. f (x) = 1 :x∈R\Q 7. p(x) = a0 + a1 x + a2 x2 + · · · + an xn Polynom vom Grad n ai ∈ R, an 6= 0 8. r(x) = p(x) q(x) mit p(x), q(x) Polynome mit D = {x ∈ R|q(x) 6= 0} Definition 9.2: f, g : D → R λ ∈ R f +g :D →R (f + g)(x) := f (x) + g(x) Funktionen D → R bilden R-Vektorraum λf : D → R (λf )(x) := λf (x) f g : D → R (f g)(x) := f (x)g(x) f f f (x) : D0 → R (x) := mit D0 := {x ∈ D|g(x) 6= 0} g g g(x) 47 1. 2. 3. 4. 5. Abbildung 9.1: Graphen der Funktionen Beispiel 9.1 1.-5. 48 Definition 9.3: Seien f : D → R g : E → R Funktionen mit g(E) ⊂ D Die Komposition (Verkettung) von f und g ist die Funktion f ◦ g : E → R (f ◦ g)(x) := f (g(x)) Definition 9.4: n o Der Abschluss einer Menge D ∈ R ist die Menge D := x ∈ R|∃xn ∈ D mit xn −→ x n→∞ z.B. D = (0, 1) ⇒ D[0, 1] D=Q⇒D=R Definition 9.5: Sei f : D → R eine Funktion und u ∈ D. Wir schreiben: lim x→a f (x) = c falls für jede Folge (xn ) ⊂ D mit lim xn = a gilt: lim f (xn ) = c n→∞ (x∈D) Analog: limx→a = ∞ limx→∞ = c Wir schreiben: limx&a f (x) = c (bzw. limx%a f (x) = c), falls für jede Folge (xn ) ⊂ D mit xn → a und xn > a ∀n (bzw xn < a ∀n) gilt: f (xn ) −→ c n→∞ Beispiel 5: limx%0 f (x) = 0 limx&0 f (x) = 1 limx→0 f (x) existiert nicht! Definition 9.6: Sei f : D → R eine Funktion und a ∈ D f heißt stetig in a, falls limx→a f (x) = f (a) f heißt stetig (auf D), falls f stetig in jedem a ∈ D ist. Beispiele 9.1 1.-4. sind stetig (Übung) Beispiel 9.1 5.: f√ ist stetig auf R \ {0}, aber nicht stetig in 0 Beispiel 9.1 6.: 2 + Q ⊂ R dicht, R \ Q ist in keinem Punkt stetig! Beispiel 9.1 3.: f (x) = ex ist stetig in jedem a ∈ R, denn: Beweis. Für a, δ ∈ R gilt: ea+δ = ea + eδ (Funktionalgleichung) eδ = 1 + R1 (δ) R1 (δ) ≤ 2|δ| für |δ| ≤ 1 (Abschätzung des Restglieds) ⇒ |ea+δ − ea | = ea |eδ − 1| = ea |R1 (δ)| ≤ 2ea |δ| Also mit x := a + δ: |ex − ea | ≤ 2ea |x − a| für |x − a| ≤ 1 Sei nun xn → a ⇒ |exn − ea | ≤ 2ea |xn − a| −→ 0, also exn −→ ea n→∞ n→∞ Übung: sin x und cos x sind stetig Satz 9.1: Seien f, g : D → R in a ∈ D stetig und λ ∈ R Dann sind f + g, f g, λf in a stetig. 49 Ist g(a) 6= 0 so ist auch f in a stetig. q Beweis. Für jede Folge (xn ) ⊂ D mit xn → a gilt: lim (f + g)(xn ) = lim (f (xn ) + g(xn )) = lim f (xn ) + lim g(xn ) n→∞ n→∞ n→∞ n→∞ Satz 3.3 = f (a) + g(a) = (f + g)(a) Für f g, λf, fg analog. Beispiel 9.1 8.: Jede rationale Funktion ist stetig auf ihrem Definitionsbereich (insbesondere jedes Polynom) f (x) = 1 sind stetig (Übung) denn: f (x) = x Jede rationale Funktion lässt sich aus diesen beiden Funktionen durch wiederholtes Anwenden der Operationen in Satz 9.1 gewinnen ⇒ stetig Satz 9.2: Sei f : D → R und g : E → R Funktionen mit g(E) ⊂ d. Ist g in a ∈ E stetig und f in g(a) stetig, so ist f ◦ g in a stetig. Beweis. Sei (xn ) ⊂ E, xn→a ⇒ g(xn ) → g(a) g stetig ⇒ f stetig 9.1 f (g(xn )) → f (g(a)) Eigenschaften stetiger Funktionen Satz 9.3: (Zwischenwertsatz) Sei f : [a, b] → R eine stetige Funktion mit f (a) < 0 und f (b) > 0 (bzw. f (a) > 0 und f (b) < 0). Dann gibt es ein p ∈ (a, b) mit f (p) = 0. Beweis. Wir konstruieren eine Intervallschatelung. oBdA : f (a) < 0 f (b) > 0, sonst betrachte −f I0 > I1 > I2 > . . . mit: • In = [an , bn ] mit f (an ) ≤ 0, f (bn ) ≥ 0 • |In | = b−a 2n n = 0: I0 := [a, b] n → n + 1: Sei In = [an , bn ] bereits konstruiert n c := an +b 2 Falls f (c) < 0 : an+1 := c, bn+1 := bn Falls f (c) ≥ 0 : an+1 := an , bn+1 := c 50 ∞ Intervallschachtelungsprinzip ⇒ ∃p ∈ ∩ In ⇒ an → p ⇒ f stetig n=0 f (p) = lim f (an ) ≤ 0 n→∞ |{z} ≤0 bn → p ⇒ f (p) = lim f (bn ) ≥ 0 n→∞ |{z} ≥0 f (p) = 0 Korollar 9.4: Eine stetige Funktion f : [a, b] → R nimmt jeden Wert zwischen f (a) und f (b) an. Beweis. Sei c gegeben mit f (a) < c < f (b) (bzw. f (b) < c < f (a)). Wende den Zwischenwertsatz auf die Funktion f − c an. Definition 9.7: Eine Funktion f : D → R heißt beschränkt, falls ∃M > 0 mit |f (x)| ≤ M Menge f (D) ⊂ R ist beschränkt). Definiere: ∀x ∈ D (d.h. die • sup f := sup(f (D)) D • inf f := inf (f (D)) D • max f := max(f (D)), falls existent D • min f := min(f (D)), falls existent D Korollar 9.5: Eine stetige Funktion f [a, b] → R auf einem abgeschlossenem Intervall ist beschränkt und nimmt ihr Maximum und Minimum an. Beweis. Sei s := sup f (s = ∞ ist möglich) D Nach Definition des Supremums existiert eine Folge (xn ) ⊂ [a, b], f (xn ) → s Satz von Bolzano-Weierstraß ⇒ ∃ konvergente Teilfolge xnk −→ p ∈ [a, b] k→∞ f stetig ⇒ f (p) = limk→∞ f (xnk ) = s ⇒ s < ∞ und s = max f [a,b] Für Minimum analog. Beispiel 9.2: f (x) = x1 ; x ∈ (0, 1) 1 = inf f (0,1) @ min f (0,1) Definition 9.8: Ein Intervall I ⊂ R heißt • eigentlich, wenn es beschränkt ist: [a, b) etc. 51 • uneigentlich, wenn es unbeschränkt ist: [a, ∞) • kompakt, wenn es abgeschlossen ist: [a, b] Korollar 9.6: Sei I ein (eigentliches oder uneigentliches) Intervall und f : I → R eine stetige Funktion. Dann ist f (I) ein Intervall. Ist I kompakt, so ist f (I) kompakt. Beweis. A := inf f, B := sup f (A, B = ∞ möglich) I I Behauptung: ∀c mit A < c < B ∃p ∈ I mit f (p) = c (⇒ f (I) ist Intervall von A nach B) denn: Nach Definition des Infimum und Supremum ∃a, b ∈ I : f (a) < c, f (b) > c Nach Zwischenwertsatz ∃p ∈ (a, b) mit f (p) = c Ist I kompakt, so nimmt f nach Korollar 9.5 ihr max(B) und min(A) an ⇒ f (I) = [A, B] kompakt Satz 9.7: (ε-δ-Definition der Stetigkeit) Eine Funktion f : D → R ist in a ∈ D genau dann stetig, wenn gilt ∀ε > 0 ∃δ > 0 : ~ |x − a| < δ(x ∈ D) ⇒ |f (x) − f (a)| < ε Beweis. (⇐): Es gelte ~ Sei (xn ) ⊂ D gegeben mit xn → a Sei ε > 0 gegeben. ~ ⇒ ∃δ > 0 : |x − a| < δ ⇒ |f (x) − f (a)| < ε Wegen xn → a ∃N ∈ N : |xn − a| < δ ∀n ≥ N ⇒ |f (xn ) − f (a)| < ε ∀n ≥ N Also f (xn ) → f (a) (⇒): Sei f stetig. Annahme: ~ gilt nicht, d.h. ∃ε > 0 für das es kein δ > 0 gibt mit |x − a| < δ ⇒ |f (x) − f (a)| < ε ⇒ ∀n ∈ N ∃xn ∈ D : |xn − a| < n1 und |f (xn ) − f (a)| ≥ ε 1 (δ= n ) |xn − a| ≤ f stetig ⇒ in a 1 n ⇒ xn −→ a n→∞ f (xn ) → f (a) zu |f (xn ) − f (a)| ≥ ε ∀n Korollar 9.8: Sei f : D → R stetig in a ∈ D und f (a) > 0. Dann ∃δ > 0 : |x − a| < δ ⇒ f (x) > 0 Beweis. Übung 52 Definition 9.9: Eine Funktion f : D → R heißt gleichmäßig stetig, wenn ∀x > 0 ∃δ > 0 : |x − y| < δ (x, y ∈ D) ⇒ |f (x) − f (y)| < ε D.h. dasselbe δ in der ε-δ-Definition funktioniert für alle Punkte x, y vgl. : Satz 9.7 : ∀a ∀ε > 0 ∃ δ > 0 stetig =δ(a,ε) Def inition 9.9 : ∀ε > 0 ∃ δ > 0 ∀a gleichmäßig stetig =δ(ε) Es gilt: gleichmäßig stetig ⇒ stetig, aber nicht umgekehrt! Beispiel 9.3: f (x) = x1 ; x ∈ R+ Annahme: f gleichmäßig stetig ⇒ zu ε := 1 ∃δ > 0 : |x − y| < δ ⇒ x1 − y1 < 1 1 Betrachte xn = 2n , yn = n1 1 |x n − yn | = 2n < δ für n groß 1 xn − y1n = n ≥ 1 ∀n groß Satz 9.9: Eine stetige Funktion auf einem kompakten Intervall f : [a, b] → R ist gleichmäßig stetig. Beweis. Annahme: f nicht gleichmäßig stetig. ⇒ ∃ ∈> 0 : ∀n ∈ N ∃xn , yn ∈ [a, b] mit |xn − yn | < 1 (δ= n ) 1 n und |f (xn ) − f (yn )| ≥ ε Bolzano-Weierstraß ⇒ ∃ konvergente Teilfolge xnk −→ p ∈ [a, b] k→∞ |xnk − ynk | < n1k −→ 0 k→∞ ⇒ ynk −→ p. k→∞ f stetig ⇒ limk→∞ (f (xnk ) − f (ynk )) = f (p) − f (p) = 0 zu |f (xnk ) − f (ynk )| ≥ ε ∀k Anwendung: Approximation stetiger Funktionen durch Treppenfunktionen Definition 9.10: Funktion ϕ : [a, b] → R heißt Treppenfunktion, wenn es eine Unterteilung a = t0 < t1 < · · · < tn = b und c1 , . . . , cn ∈ R gibt, so dass ϕ(x) = ck für alle x ∈ (tk−1 , tk ), 1 ≤ k ≤ n. Korollar 9.10: Sei f : [a, b] → R stetig. Dann gibt es zu jedem ε > 0 Treppenfunktionen ϕ, ψ : [a, b] → R, so dass 1. ϕ(x) ≤ f (x) ≤ ψ(x) ∀x ∈ [a, b] 2. |ϕ(x) − ψ(x)| < ε ∀x ∈ [a, b] Beweis. Geg.: ε > 0 Nach Satz 9.9 ist f gleichmäßig stetig, d.h. 53 ∃δ > 0 : |x − y| < δ ⇒ |f (x) − f (y)| < ε Wähle n ∈ N mit b−a n <δ k(b−a) Sei tk := a + n , k = 0, 1, . . . , n Sei ck := min f, dk := max f [tk−1 ,tk ] [tk−1 ,tk ] Definiere: ϕ(x) := c1 für x ∈ [t0 , t1 ] ψ(x) := d1 für x ∈ [t0 , t1 ] ϕ(x) := ck für x ∈ (tk−1 , tk ], k ≥ 2 ψ(x) := dk für x ∈ (tk−1 , tk ], k ≥ 2 ⇒ 1. 2.: Nach Korollar 9.5: ∃xk ∈ [tk−1 , tk ] : f (xk ) = ck ∃yk ∈ [tk−1 , tk ] : f (yk ) = dk |xk − yk | < δ ⇒ |ck − dk | = |f (xk ) − f (yk )| < ε ⇒ |ϕ(x) − ψ(x)| < ε ∀x ∈ [tk−1 , tk ], ∀k 54 Kapitel 10 Elementare Funktionen Beispiele: exp, log, sin, cos, sinh, cosh 10.1 exp und log Definition 10.1: Eine Funktion f : D → R heißt (∀x, y ∈ D) • monoton wachsend, falls x < y ⇒ f (x) ≤ f (y) • streng monoton wachsend, falls x < y ⇒ f (x) < f (y) • monoton fallend, falls x < y ⇒ f (x) ≥ f (y) • streng monoton, falls x < y ⇒ f (x) > f (y) Beispiel 10.1: exp : R → R ist streng monoton steigend, denn: >0 z }| { y x < y ⇒ eex = ey − x = 1 + (y − x) + positiv > 1 ⇒ ey > ex Es gilt: Falls f : D → R streng monton wachsend (oder fallend) ⇒ f ist injektiv ⇒ f : D → f (D) bijektiv ⇒ ∃! Umkehrfunktion f −1 : f (D) → D f (x) → x 1 Achtung: f −1 ist nicht die Funktion ! f Satz 10.1: Sei I ⊂ R ein Intervall und f : I → R stetig und streng monoton wachsend (bzw. fallend), Dann ist die Umkehrfunktion f −1 : f (I) → I ebenfalls stetig und streng monoton wachsend (bzw. fallend). Bemerkung: Nach Korollar 9.6 ist f (I) ein Intervall. Beweis. oBdA : f streng monoton wachsend (sonst betrachte −f ) 55 • f −1 streng monoton wachsend, denn: sonst ∃y < y 0 mit x := f −1 (y) ≥ f −1 (y 0 ) =: x0 f streng = monot. wachs. f (x0 ) ≤ f (x) =y 0 =y • f −1 stetig, denn: Sei b ∈ f (I), b = f (a), geg.: ε > 0 Sei zunächst a kein Randpunkt von I: ⇒ [a − ε, a + ε] ⊂ I für ε hinreichend klein a−ε<a<a+ε ⇒ f (a − ε) < b < f (a + ε) ⇒ ∃δ > 0 : (b − δ, b + δ) ⊂ (f (a − ε), f (a + ε)) f −1 ((b − δ, b + δ)) ⊂ (a − ε, a + ε) d.h. ∀y mit |y − b| < δ ⇒ |f −1 (x) − a | < ε f −1 (b) Falls a linke Randpunkt von I: Betrachte [a, a + ε] statt [a − ε, a + ε] . . . Für rechten Randpunkt: Betrachte [a − ε, a] Beispiel 10.2: exp : R → R streng monoton wachsend lim ex = ∞ x→∞ 1 lim ex = lim e−y = lim y = 0 y→∞ y→∞ e x→−∞ ⇒ exp : R → R+ = {x ∈ R| > 0} bijektiv Definition 10.2: Die Umkehrfunktion von exp : R → R+ heißt der natürliche Logarithmus log : R+ → R. (Logarithmus zur Basis e) → log stetig, streng monoton wachsend Korollar 10.2: (Funktionalgleichung für log) log(xy) = log(x) + log(y) ∀x, y ∈ R+ Beweis. exp(log x + log y) = exp(log x) · exp(log y) = xy | log ⇒ log x + log y = log(xy) Definition 10.3: Die Exponentialfunktion zur Basis a > 0 ist expa : R → R expa (x) := exp(x log a) Korollar 10.3: expa ist stetig und es gilt: 1. expa (x + y) = expa (x) expa (y) x, y ∈ /R, a > 0 56 2. expa (x) = ax ∀a > 0, x ∈ Q Beweis. expa ist die Verkettung der stetigen Funktion exp und x → x log a ⇒ stetig 1. expa (x + y) = exp(x log a + y log a) = exp(x log a) exp(y log a) = expa (x) expa y 2. folgt aus 1. wie für exp (Korollar 7.11) Definition 10.4: Wegen 2. definieren wir ax := expa (a) ∀a > 0, x ∈ R. Aus Korollar 10.2 und 10.3 folgen die Rechenregeln für Potenzen (Übung) Für alle a, b > 0 und x, y ∈ R gilt: 1. ax ay = ax+y 2. (ax )y = axy 3. ax bc = (ab)x 4. log(ax ) = x log a Satz 10.4: Sei f : R → R stetig mit f (x + y) = f (x)f (y) x, y ∈ R Dann ist entweder f (x) = 0 ∀x ∈ R, oder a := f (1) > 0 und f (x) = ax ∀x ∈ R d.h. die allgemeine Potenzfunktion x → ax ist durch die Funktionalgleichung und den Wert für x = 1 schon eindeutig bestimmt. Beweis. ∀x ∈ R gilt: f (x) = f ( x2 + x2 ) = f ( x2 )2 ≥ 0 Sei nun a := f (1) > 0 a = f (1 + 0) = f (1)f (0) = af (0) → f (0) = 1 Für alle n ∈ N gilt: f (n) = f (1 + · · · + 1) = f (1)n = an f (−n)f (n) = f (f − n + n) = f (0) = 1 1 ⇒ f (−n) = f (n) = a1n = a−n ⇒ f (p) = ap ∀p ∈ Z Für p ∈ Z q ∈ N gilt: f ( pq )p = f (p pq ) = f (p) = ap p ⇒ f ( pq ) = a q d.h. f (x) = ax ∀x ∈ Q Sei nun x ∈ R und (xn ) eine Folge in Q mit xn → x. f ⇒ f (x) = exp lim f (xn ) = lim axn =a ax stetig n→∞ n→∞ stetig Es gilt: lim ex = ∞ ⇒ lim log(x) = ∞ x→∞ x→∞ x→−∞ x→0 lim ex = 0 ⇒ lim log(x) = −∞ 57 Lemma 10.5: Für jedes α ∈ R+ gilt: ex = ∞ und lim xα e−x = 0 x→∞ x→∞ xα 1. lim 2. lim x→∞ log(x) =0 xα 3. lim xα log(x) = 0 x→0 D.h. ex strebt für x → ∞ schneller gegen ∞ als jede Potenz xα von x log x strebt für x → ∞ langsamer gegen ∞ als jede Potenz xα von x. Man spricht von • exponentiellem Wachstum (∼ ex ) • polynomialem Wachstum (∼ xa ) • logarithmischem Wachstum (∼ log x) Beweis. 1. Wähle n ∈ N mit n > α Für x > 0 gilt: x n−α ex ≥ xn!n , also gilt xeα ≥ x n! −→ ∞ x→∞ 2. Sei (xn ) Folge mit xn → ∞. yn := log(xαn ) = α log(xn ) −→ ∞ log xn xα n = >0 yn −→ αeyn n→∞ 0 n→∞ nach 1. 3. Sei (xn ) Folge mit xn > 0 ∀n und xn → 0 yn := log(xαn ) = α log(xn ) −→ −∞ xαn log xn = 10.2 >0 yn eyn −→ α n→∞ n→∞ 0 nach 1. sin und cos Ziel: • eix durchläuft Einheitskreis gegen den Uhrzeigersinn • Definition von π Lemma 10.6: 1. sin x > 0 für 0 < x < 2 2. cos x ist in [0, 2] streng monoton fallend 58 3. cos 0 = 1, cos 2 < 0 Nach Zwischenwertsatz folgt: Korollar 10.7: cos x hat im Intervall (0, 2) genau eine Nullstelle Definition 10.5: Diese Nullstelle bezeichnen wir als π2 → π ∈ R Numerische Berechnung: π ≈ 3, 1415926 . . . “How I need a drink, alcoholic of course” Zunächst: Lemma 10.8: ∀x, y ∈ R x+y y−x sin 2 2 x+y y−x 2. sin y − sin x = 2 cos sin 2 2 1. cos y − cos x = −2 sin Beweis. u := x+y y =u+v 2 ⇔ x=u−v v := y−x 2 Nach Additionstheoremen folgt: 1. cos y − cos x = cos u cos v − sin u sin v − (cos u cos(−v) − sin u sin(−v)) = −2 sin u sin v = −2 sin x+y sin y−x 2 2 2. analog (Übung) Beweis von Lemma 10.6. 1. Für 0 < x < 2 gilt: sin x = x + r3 (x) mit |r3 (x)| ≤ |x|3 6 < |x|2 <4 |x| ⇒ sin x ≥ x − |x| > 0 2. Für 0 ≤ x < y ≤ 2 giltnach Lemma 10.8 1.: x+y y−x cos y − cos x = −2 sin sin < 0 nach 1. 2 2 | {z } | {z } ∈(0,2) ∈(0,2) 2 3. cos 0 = 1Xcos 2 = 1 − 22 + r4 (2) mit |r4 (2)| ≤ ⇒ cos 2 ≤ 1 − 2 + 23 = − 31 < 0 Folgerung 59 24 4! = 16 24 = 2 3 π 1. ei 2 = cos π + i sin 2 π =0 1 = ei 2 = |i| sin =1 π 2 π , sin π2 > 0 nach 10.6 1. 2 π ⇒ sin π2 = 1 ⇒ ei 2 = i π 2 ⇒ eiπ = ei 2 = i2 = −1 ⇒ eiπ = −1 , e2πi = 1 2. eix = ei(x+2π) = e−ix ⇒ cos(x + 2π) = cos x = cos(−x) sin(x + 2π) = sin x = − sin(−x) cos(π ± x) + ß sin(π ± x) = ei(π±x) = −e+ix = −(cos x ± i sin x) ⇒ cos(π ± x) = − cos x sin(π ± x) = ∓ sin x π π π cos x ± + i sin x + = ei(x± 2 ) = ±ieix = ±i(cos x + i sin x) 2 2 π ⇒ cos x ± = ∓ sin x 2 π sin x ± = ± cos x 2 Abbildung 10.1: sin x und cos x für x > 0 3. sin x = 0 ⇔ x = kπ, k ∈ Z cos x = 0 ⇔ x = π2 + kπ, k ∈ Z eix = 1 ⇔ x = 2πk, k ∈ Z 4. cos : h[0, π] →i[−1, 1] streng monoton fallend und bijektiv π π sin : − , → [−1, 1] streng monoton wachsend und bijektiv 2 2 Definition 10.6: Die Umkehrfunktion von sin, cos sind Arcus-Sinus und Arcus-Cosinus h π πi arcsin : [−1, 1] → − , 2 2 arccos : [−1, 1] → [0, π] 60 Abbildung 10.2: arcsin x und arccos x 10.3 tan und cot Definition 10.7: Tangens und Cotangens sind die Funktionen nπ o tan : R \ + kπ|k ∈ Z → R 2 sin x tan x := cos x cot : R \ {kπ|k ∈ Z} → R cos x cot x := sin x Abbildung 10.3: links: tan x, rechts: arctan x Lemma π10.9: π tan : − , → R ist streng monoton wachsend und bijektiv 2 2 Definition 10.8: Die Umkehrfunktion des Tangens ist der Arcus-Tangens π π arctan : R → − , 2 2 61 Beweis. Für 0 ≤ x < y < π2 : sin x < sin y, cos x > cos y ⇒ tan x < tan y ⇒ tan streng monoton wachsend tan(−x) = − tan(x) Sei (xn ) Folge mit 0 < xn < π2 und lim xn = π2 cos xn n→∞ sin xn >0 ∀n lim = cos π2 sin π2 = 0 1 =0 ⇒ lim tan xn = ∞ n→∞ ⇒ tan(−x) = − tan x lim tan x = −∞ x&− π2 ⇒ tan : − π2 , π2 → R bijektiv 10.4 Polardarstellung komplexer Zahlen Satz 10.10: Jedes z ∈ C hat eine Polardarstellung z = reiϕ , r ∈ R≥0 , ϕ ∈ R Dabei ist r = |z|, und ϕ ist durch z bis auf Vielfach von 2π eindeutig bestimmt. Beweis. Existenz: z = 0 : r := 0, ϕ beliebig z z 6= 0 : r := |z|, w := |z| = u + iv 2 2 2 |w| = u + v = i ⇒ u ∈ [−1, 1] Def.: α = arccos(u) ∈ [0, π] r2 = 1 − u2 = 1 − cos2 α = sin2 α ⇒ v = ± sin α Falls v = sin α : ϕ := α ⇒ eiϕ = cos α + i sin α = u + iv = w Falls v = − sin α : ϕ := −α ⇒ eiϕ = cos α − i sin α = u + iv = w Eindeutigkeit: 0 z = reiϕ = r0 eiϕ 0 ⇒ r = r0 und ei(ϕ−ϕ ) = 1 ϕ − ϕ0 = 2πk, k ∈ Z Komplexe Multiplikation in Polardarstellung z = reiϕ r = |z| 0 z 0 = r0 eiϕ 0 zz 0 = r · r0 ei(ϕ+ϕ ) D.h. komplexe Multiplikation mit z = reiϕ bedeutet Drehung um Winkel ϕ und Streckung um den Faktor r. Beispiel 10.3: n-te Einheitswurzel Die Gleichung z n = 1 n ∈ N 62 z = reiϕ : z n = rn einϕ = 1 ⇔ r = 1 und nϕ = 2πk k ∈ Z ⇔ r = 1 und ϕ = 2πk k∈Z n n verschiedene lösungen k = 0; 1; 2; . . . ; n − 1 Skalarprodukt in C Definition 10.9: Das Skalarprodukt von z = x + iy = reiϕ und w = u + iv = seiψ ist Re(zw) = Re((x + iy)(u − iv)) = xu + yv = Re(rsei(ϕ−ψ) ) ⇔ Re(zw) = |z||w| cos(ϕ − ψ) z.B. gilt: Re(zw) = 0 z, w 6= 0 ⇔ cos(ϕ − ψ) = 0 ⇔ z ⊥ w z steht senkrecht auf w Beispiel 10.4: Satz des Pythagoras z ⊥ w ⇔ |z − w|2 = |z|2 + |w|2 − 2Re(zw) = |z|2 + |w|2 Dies ist kein Beweis des Satzes des Pythagoras, da dieser bereits in der Definition der Länge p 2 eines Vektors z als |z| = x + y 2 verwendet wurde. 10.5 sinh, cosh, tanh Der Sinus (Cosinus, Tangens) Hyperbolicus sind die folgende Funktion: ex + e−x = cos(ix) wobei cos(z), z ∈ C durch die Potenzreihe definiert ist. 2 ex − e−x sin(ix) sinh(x) := = wobei sin(z), z ∈ C durch die Potenzreihe definiert ist. 2 i cosh(x) := tanh(x) := sinh(x) ex − eix = x cosh(x) e + eix Die Umkehrfunktionen heißen Area-Sinus Hyperbolicus arsinh, arcosh, artanh Es gilt: sinh2 x + 1 = cosh2 x 63 Kapitel 11 Differentiation Newton 1687, Leibniz Definition 11.1: Eine Funktion f : D → R heißt in x ∈ D differenzierbar, wenn der Grenzwert f 0 (x) := lim ξ→x ξ6=x f (ξ) − f (x) ξ−x exisitert. Geometrisch: f 0 (x) = Steigung der Tangente an graph(f ) in (x, f (x)) = lim Steigung der Sekanten durch ξ→x (x, f (x)) und (ξ, f (ξ)) f heißt differenzierbar (auf D) wenn f in jedem x ∈ D differenzierbar ist. Bemerkung: Für Definition der Differenzierbarkeit in x muss es mindestens eine Folge (ξn ) ⊂ D geben mit ξn 6= x ∀n und ξn → x Schreibweise: df df (ξ) f (x + h) − f (x) 0 = lim f (x) = (x) = dx d(ξ) ξ=x h→0 h h6=0 Beispiel 11.1: 1. f (x) = c konstante Funktion (x) c−c f 0 (x) = lim f (ξ)−f = lim ξ−x = lim 0 = 0 ξ−x ξ→x ξ→x ξ→x 2. f (x) = xn n −xn f 0 (x) = lim ξ ξ−x = lim (ξ n−1 + xξ n−2 + · · · + ξxn−2 + xn−1 ) = xn−1 + xn−1 + · · · + xn−1 = ξ→x n· ξ→x xn−1 3. f (x) = 1 xn f 0 (x) = lim ξ→x x 6= 0 1 − x1n ξn ξ−x n n = lim ξnxxn−ξ (ξ−x) = ξ→x −nxn−1 xn xn 64 n = − xn+1 4. f (x) = ex sin(h)−sin(x) f 0 (x) = lim sin(x+h)−sin(x) = lim sin(x) cos(h)+cos(x) = h h h→x h→x cos(h) − 1 sin(x) lim + cos(x) h→x h | {z } = lim h→x 1+r2 (h)−1 =0 h sin(h) lim | {z h } h→x =1, nach Korollar 8.11 ⇒ sin0 (x) = cos(x) 5. Analog (Übung): cos0 (x) = − sin(x) 6. f (x) = |x| ist in x = 0 nicht differenzierbar, denn: n Betrachte die Folge ξn = (−1) −→ 0 n n→∞ f (ξn )−f (0) ξn −0 = 1 −0 n (−1)n −0 n = (−1)n konvergiert nicht. Satz 11.1: Sei a ∈ D und es gebe mindestens eine Folge (xn ) ∈ D mit xn 6= 0 und xn → a. eine Funktion f : D → R ist genau dann differenzierbar, wenn es ein c ∈ R gibt, so dass f (x) = f (a) + c(x − a) + R(x) R(x) mit lim = 0 ~ x→a x − a x6=a Dann ist c = f 0 (x) L(x):=f(a)+c(x-a) D.h. f (x) kann in 1. Ordnung durch die lineare Funktion L(x) approximiert werden. Bemerkung: Bedingung ~ wird später zur Definition der Differenzierbarkeit von Funktionen mehrerer Variablen dienen. Beweis. (⇒) f sei in a differenzierbar. Setze c := f 0 (x). Definiere R(x) := f (x) − f (a) − c(x − a) f (x)−f (a) ⇒ R(x) − c −→ f 0 (x) − c = 0 x−a = x−a x→a (⇐) f erfülle ~ (a) ~ ⇒ lim f (x)−f = lim c+ x−a x→a x→a R(x) x−a ⇒ f ist in a differenzierbar mit =c f 0 (a) =c Korollar 11.2: f differenzierbar in a ⇒ f stetig in a (aber nicht umgekehrt, siehe Beispiel 7) Beweis. ~ ⇒ f (x) = f (a) + c(x − a) + R(x) −→ f (a) mit R(x) −→ 0 x→a x→a Landau-Symbole (z.B. g(x) = xn , a = 0) Für Funktionen f, g schreiben wir: 65 (x) • f (x) = og(x) für x → a, falls lim fg(x) = 0 ist, d.h. f (x) geht für x → a schneller gegen Null x→a als g(x) (x) • f (x) = Og(x) für x → a, falls ∃δ, c > 0 fg(x) ≤ c ∀x mit |x − a| < δ, d.h. f (x) geht mindestens so schnell gegen Null wie g(x); “von der selben Ordnung” Satz 11.1 schreibt sich: f (x) = f (a) + c(x − a) + o(x − a) für x → a Restgliedabschätzung von exp: P k ex = nk=0 xk! + O(xn+1 ) für x → 0 11.1 Rechenregeln für Ableitungen Satz 11.3: (Produkt- und Quotientenregel) Seien f, g : D → R in x ∈ D differenzierbar und λ ∈ R. Dann sind auch f + g, λf, f g differenzierbar in x und es gilt: (f + g)0 (x) = f 0 (x) + g 0 (x) (λf )0 (x) = λf 0 (x) (f g)0 (x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) (P roduktregel) Ist g(ξ) 6= 0 ∀ξ ∈ D, so ist auch f g in x differenzierbar und es gilt: 0 f f 0 (x)g(x) − f (x)g 0 (x) (x) = g g(x)2 Beweis. f + g, λf X (f g)0 (x) = limξ→x f (ξ)g(ξ)−f (x)g(x) ξ−x (Quotientenregel) (f (ξ)−f (x))g(ξ)+f (x)(g(ξ)−g(x)) ξ−x f (x) limξ→x g(ξ)−g(x) = f 0 (x)g(x) + f (x)g 0 (x) ξ−x = limξ→x (x) · limξ→x g(ξ) + = limξ→x f (ξ)−f ξ−x da g in x stetig ist 0 f (ξ) f (x) − g(x) (x)g(ξ) (x)((g(ξ)−g(x)) f g(ξ) = limξ→x f (ξ)g(x)−f = limξ→x (f (ξ)−f (x))g(x)−f (x) = lim ξ→x g g(x)g(ξ)(ξ−x) g(x)g(ξ)(ξ−x) ξ−x (x) 1 limξ→x f (ξ)−f g(x) − f (x) limξ−→x g(ξ)−g(x) = g(x1 2 ) (f 0 (x)g(x)−f (x)g 0 (x)) = limξ→x g(x)g(ξ) ξ−x ξ−x Beispiel 11.2: 7. Jede rationale Funktion ist auf ihrem Definitionsbereich differenzierbar. 2 (x) 0 2 cos0 (x) sin 0 8. tan0 (x) = cos (x) = sin (x) cos(x)−sin(x) = cos (x)+sin = cos12 (x) = 1 + tan2 (x) cos2 (x) cos2 (x) Satz 11.4: (Ableitung der Umkehrfunktion) 66 Sei I ein Intervall und f : I → R streng monoton und stetig. Ist f in x ∈ I differenzierbar mit f 0 (x) 6= 0, so ist die Umkehrfunktion f −1 : f (I) → I in y = f (x) differenzierbar und es gilt: (f −1 )0 (y) = 1 f 0 (x) = 1 f 0 (f −1 (y)) Beweis. Sei (ηn ) ⊂ f (I) eine Folge mit ηn 6= y ∀n und ηn → y. Da f −1 stetig ist (Satz 10.1) konvergiert ξn := f −1 (ηn ) → f −1 (y) = x −1 −1 (y) ξ−x 1 ⇒ lim f (ηηnn)−f = lim f (ξ)−f −y (x) = f 0 (x) n→∞ n→∞ Beispiel 11.3: 9. Für x ∈ R+ : log0 (x) = (exp−1 )0 (x) = 1 exp0 (exp−1 (x)) 10. Für x ∈ (−1, 1) : 1 arcsin0 (x) = sin0 (arcsin(x)) = = 1 exp(exp−1 (x)) 1 cos(arcsin(x)) | {z } ∈(− π2 , π2 ) | {z } =√ = 1 x 1 1−sin2 (arcsin(x)) = √ 1 1−x2 >0 11. Analog: Für x ∈ (−1, 1) gilt: 1 arccos0 (x) = − √1−x 2 12. Für x ∈ R: arctan0 (x) = 1 tan0 (arctan(x)) = 1 1+tan2 (arctan(x)) = 1 1+x2 Satz 11.5: (Kettenregel) Sei ein f : D → R und g : E → R Funktion mit g(E) ⊂ D ist g ind x ∈ E differenzierbar und f in g(x) differenzierbar, so ist f ◦ g in x differenzierbar und es gilt: (f ◦ g)0 (x) = f 0 (g(x)) · g 0 (x) Beweis. Sei y := g(x). Nach Satz 11.1 gilt: g(x + h) = g(x) + g 0 (x)h + R(h) f (y + k) = f (y) + f 0 (x)k + S(k) S(k) mit limh→0 R(h) h = 0 = limk→0 k ⇒ f ◦g(x+h) = f (g(x)+g 0 (x)h + R(h)) = f (y)+f 0 (y)k(h)+S(k(h)) = =y f 0 (y)R(h) + S(k(h)) =:T (h) T (h) = 0, denn: n→∞ h lim f 0 (y) R(h) h = 0 nach Voraussetzung n→∞ 0 |k(h)| = |g (x)h + R(h)| ≤ c|h| für eine f (y) +f 0 (y)g 0 (x)h+ =(f ◦g)(x) =:k(h) Behauptung: lim Konstante c ∈ R 67 cS(k(h)) ⇒ S(k(h)) ≤ h k(h) −→ 0 nach Voraussetzung n→0 k(h)→∞ nach Satz 11.1 folgt aus Behauptung: f ◦ g ist differenzierbar in x mit (f ◦ g)0 (x) = f 0 (y)g 0 (x) Beispiel 11.4: 13. f (x) = xα = exp(α log(x)), x > 0, α ∈ R f 0 (x) = exp0 (α log(x)) · α log0 (x) = xα · α · ⇒ (xα )0 = α · xα−1 1 x 14. Die Ableitung der Umkehrfunktion folgt aus Kettenregel: d f 0 (f (x)) = x ∀x dx ⇒ 1 = (f −1 )0 (f (x)) · f 0 (x) ⇒ (f −1 )0 (y) = f 01(x) 15. Anwendung (nicht rigoros): Flächeninhalt eines Kreises vom Radius r ≥ 0 =A(r) A(r + h) − A(r) =Flächeninhalt des Kreisringes von Radius r und Breite h = 2π · r · h + o(h) (Beweis: später) ⇒ A0 (r) = 2π · r ⇒ A(r) = πr2 + c A(0) = 0 = c ⇒ A(r) = πr2 11.2 Höhere Ableitung Definition 11.2: Sei f : D → R eine Funktion und setzte f (0) (x) := f (x) Für k ∈ N definieren wir induktiv. • f heißt in x ∈ D k-mal differenzierbar, falls es ein δ > 0, gibt, so dass f in D ∩ (x − δ, x + δ) (k − 1)-mal differenzierbar ist, und die (k − 1)te Ableitung f (k−1) : D ∩ (x − δ, x + δ) → R ist in x differenzierbar. Wir schreiben: k d k−1 f (k) (x) = ddxfk (x) := dx f (x) für die k-te Ableitung in x. • f heißt in x ∈ D k-mal stetig differenzierbar, falls f in D∩(x−δ, x+δ) k-mal differenzierbar ist, und die k-te Ableitung f (k) : D ∩ (x − δ, x + δ) → R ist in x stetig. Beispiel 11.5: 16. sin0 (x) = sin(1) (x) = cos(x) sin(2) (x) = − sin(x) sin(3) (x) = − cos(x) sin(4) (x) = sin(x) = sin(0) (x) 68 17. Übung( x2 sin x1 x 6= 0 f (x) = 0 x=0 ist auf ganz R differenzierbar, aber die Ableitung f 0 (x) ist bei x = 0 nicht stetig. Also: differenzierbar 6⇒ stetig differenzierbar 69 Kapitel 12 Anwendung der Differentiation 12.1 Lokale Extrema Definition 12.1: Eine Funktion f : D → R hat in p ∈ D ein lokales Maximum (bzw. Minimum), falls ein δ > 0 existiert, so dass f (x) ≤ f (p) (bzw. f (x) ≥ f (p)) für alle x ∈ D mit |x − p| < δ. Gilt f (x) = f (p) nur für x = p, so heißt das lokale Maximum (bzw. Minimum) strikt. Ein lokales Maximum oder Minimum heißt lokales Extremum. Satz 12.1: (notwendige Bedingung für lokale Extrema) Die Funktion f : (a, b) → R sei in p ∈ (a, b) differenzierbar und habe in p ein lokales Extremum. Dann ist f 0 (p) = 0. Beweis. f habe in p lokales Minimum (sonst betrachte −f ) Dann gilt für |x − p| < δ : f (x) ≥ f (p) (p) (p) x > p : f (x)−f ≥ 0 ⇒ limx&p f (x)−f ≥0 x−p x−p Falls f (x)−f (p) f (x)−f (p) ≤ 0 ⇒ limx%p x−p ≤ 0 x<p: x−p f in p differenzierbar ⇒ beide Limites = f 0 (p) Bemerkung: 1. f 0 (p) ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für lokales Extremum z.B. f (x) = x3 hat f 0 (0) = 0, aber kein lokales Extremum in 0 2. Hat f ein (lokales) Extremum an einem Randpunkt p von [a, b] so ist nicht notwendig f 0 (p) = 0 12.2 Mittelwertsatz Lemma 12.2: (Satz von Rolle) Sei f : [a, b] → R stetig und f differenzierbar in (a, b). Ist f (a) = f (b), so gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit f (ξ) = 0 70 Beweis. Falls f konstant:X Falls f nicht konstant: minf < maxf [a,b] [a,b] ⇒ f nimmt das Maximum oder Minimum an einen inneren Punkt ξ ∈ (a, b) an ⇒ f 0 (ξ) = 0 Satz 12.3: (Mittelwertsatz) Sei f : [a, b] → R stetig und f differenzierbar in (a, b). Dann gibt es ein ξ ∈ (a, b) mit (a) f 0 (ξ) = f (b)−f b−a Beweis. Betrachte g(x) := f (x) − f (b)−f (a) x b−a f (b)−f (a) ⇒ g(b) − g(a) = f (b) − f (a) − b−a (b − a) Satz v. (a) ⇒ ∃ξ ∈ (a, b) : 0 = g 0 (ξ) = f 0 (ξ) − f (b)−f b−a Rolle 12.3 =0 Monotonie Korollar 12.4: Sei f : [a, b] → R stetig und f in (a, b) differenzierbar 1. Gilt f 0 (x) ≥ 0 (bzw. > 0, ≤ 0, < 0) ∀x ∈ (a, b), so ist f in [a, b] monoton wachsend (bzw. streng monoton wachsend, monoton fallend, streng monoton fallend) 2. Ist f in [a, b] monoton wachsend (bzw. fallend), so ist f 0 (x) ≥ 0 (bzw. ≤ 0) ∀x ∈ (a, b) Beweis. 1. Sei f 0 (x) ≥ 0 ∀x ∈ (a, b) (andere Fälle analog) Annahme: f ist nicht monoton fallend, d.h. ∃a ≤ x ≤ y ≤ b mit f (x) > f (y) M ittelwert ⇒ satz ∃ξ ∈ (x, y) : f 0 (ξ) = f (y)−f (x) y−x <0 zu f 0 (x) ≥ 0 ∀x ∈ (a, b) 2. Sei f monoton wachsend (monoton fallend analog). Dann gilt ∀x ∈ (a, b) f (y) − f (x) f 0 (x) = limy&x ≥0 y−x | {z } ≥0 ∀x<y Bemerkung: 1. Insbesondere gilt: f 0 (x) = 0 ∀x ∈ (a, b) ⇒ f ist konstant auf [a, b] 2. f streng monoton wachsend 6⇒ f (x) > 0 ∀x ∈ (a, b) z.B. f (x) = x3 71 Satz 12.5: (hinreichende Bedingung für lokale Extrema) Sei f : (a, b) → R stetig und f zweimal differenzierbar in p ∈ (a, b). Gilt f 0 (p) = 0 und f 00 (p) > 0 (bzw. < 0), so hat f in p ein striktes lokales Minimum (bzw. Maximum) Beispiel 12.1: Die Bedingung in Satz 12.5 ist hinreichend aber nicht notwendig z.B. f (x) = x4 hat striktes lokales Minimum an 0, aber f 00 (0) = 0 Beweis. Sei f 00 (p) > 0 (< 0 analog) f 0 (x)−f 0 (p) x−p =0 0 f (x)−f 0 (p) =limx→p ⇒ ∃δ > 0, so dass > 0 ∀x 6= p mit |x − p| < δ x−p 0 ⇒ f (x) > 0 x ∈ (p, p + δ) ⇒ f 0 (x) < 0 x ∈ (p − δ, p) Kor. ⇒ f ist streng monoton wachsend in [p, p + δ] 12.4 f ist streng monoton fallend in [p − δ, p] ⇒ f hat striktes lokales Minimum an p. Beispiel 12.2: Fassbau (Kepler ∼1615) Für welche r, h wird die Oberfläche A bei gegebenen Volumen V minimal? V V = πr2 h = const. ⇒ h = πr 2 2V 2 A = 2πr2 + 2πrh = 2πr2 + 2πrV πr = 2πr + r = A(r) 2V A0 (r) = 4πr − r2 = 0 2 2 V = πr2πh = r 2h ⇒ r3 = 2π ⇒ h = 2r A00 (r) = 4π + 4V > 0 ∀r > 0 r3 ⇒ h = 2r minimiert A 12.4 Konvexität Definition 12.2: Sei I ∈ R ein Intervall. Eine Funktion f : I → R heißt konvex (konkav), wenn für alle x1 , x2 ∈ I und 0 < λ < 1 gilt: f (λx1 + (1 − λ)x2 ) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) {z } (≥) | x Satz 12.6: Sei I ein offenes Intervall und f : I → R zweimal differenzierbar. f ist genau dann konvex, wenn f 00 (x) ≥ 0 ∀x ∈ I Beweis. (⇐) Sei f 0 (x) ≥ 0 ∀x ∈ I Nach Satz 12.4 ist f 0 monoton wachsend in I. Seien x1 < x2 ∈ I und 0 < x < 1 gegeben. x := λx1 + (1 − λ)x2 ⇒ x1 < x < x2 Nach Mittelwertsatz ∃ξ1 ∈ (x1 , x) ξ2 ∈ (x, x2 ), so dass: 72 (x) = f 0 (ξ1 ) ≤ f 0 (ξ2 ) = f (xx22)−f −x x − x1 = (1 − λ)(x2 − x1 ) (x1 ) ≤ Mit folgt: f (x)−f 1−x x2 − x = λ(x2 − x1 ) ⇒ λf (x) − λf (x1 ) ≤ (1 − λ)f (x2 ) − (1 − λ)f (x) ⇒ f (x) ≤ λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) (⇒) Sei f konvex Annahme: ∃p ∈ I mit f 00 (p) < 0 Betrachte g(x) := f (x) − f 0 (p)(x − p) ⇒ g 0 (p) = f 0 (p) − f 0 (p) = 0 g 00 (p) = f 00 (p) < 0 f (x)−f (x1 ) x−x1 f (x2 )−f (x) x Satz ⇒ g hat ein striktes lokales Maximum in p 12.5 ⇒ ∃h > 0 : g(p − h) < g(p) und g(p + h) < g(p) ⇒ f (p) = g(p) > 12 (g(p − h) + g(p + h)) = 12 (f (p − h) + f (p + h)) Mit x1 := p − h, x2 := p + h und λ := 21 gilt also λx2 + (1 − λ)x2 = 21 (p − h + p + h) = p f (λx2 + (1 − λ)x2 ) > λf (x1 ) + (1 − λ)f (x2 ) zur Konvexität von f Beispiel 12.3: f (x) = log x x > 0 f 0 (x) = x1 f 00 (x) = − x12 < 0 ⇒ log ist konkav ⇒ log(λx1 + (1 − x)x2 ) ≥ λ log x1 + (1 − x) log x2 Da exp monoton wachsend ⇒ λx1 + (1 − λ)x2 ≥ xλ1 x1−λ √ 2 2 z.B.: λ = 21 : x1 +x ≥ x1 x2 2 12.5 ∀0 < x1 < x2 , 0 < λ < 1 Newton-Verfahren Ziel: Numerisches Verfahren zur Berechnung einer Nullstelle p von f : [a, b] → R mit Fehlerabschätzung, d.h. Folge (xn ) mit xn → p und |xn − p| ≤ . . . Idee: (hier kommen eigentlich 2-3 Graphen mit Beschriftung, nur leider habe ich keine Zeit dafür, wer welche zeichnet darf sich gerne bei mit melden :) f (xn ) − 0 f (xn ) = f 0 (xn ) ⇔ xn+1 = xn − 0 xn+1 − xn f (xn ) Satz 12.7: (Newton-Verfahren) Sei f : [a, b] → R zweimal differenzierbar mit f (a) < 0 und f (b) > 0 und f 00 (x) > 0 ∀x ∈ [a, b]. Sei x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) > 0. f (xn ) Dann konvergiert die Folge xn+1 := xn − 0 streng monoton fallend gegen die eindeutig f (xn ) bestimmte Nullstelle p ∈ (a, b). Ist f 0 (p) ≥ c > 0 und f 00 (x) ≤ K ∀x ∈ [a, b], so gilt die K Fehlerabschätzung |xn+1 − p| ≤ |xn − p|2 ∀n ∈ N0 (quadratische Konvergenz) c 73 Bemerkung: Quadratische Komvergenz bedeutet: Ist xn auf k Dezimalstellen genau, so ist xn+1 K Dezimalstellen auf 2k − log c genau! Beweis. 1. f hat genau eine Nullstelle p ∈ (a, b) und f 0 (p) > 0 denn: Nach Zwischenwertsatz ∃ Nullstelle p Annahme: f 0 (p) ≤ 0 ⇒ f 0 (x) ≤ 0 ∀x ∈ [a, p] ⇒ f ist monoton fallend in [a, p] f (a) ≥ f (p) = 0 zu f (a) < 0 Annahme: ∃ zwei Nullstellen p < q ⇒ Nach Mittelwertsatz ∃ξ ∈ [p, q] : F 0 (ξ) = 0 f ⇒ konvex f 0 (ξ) ≥ f 0 (p) > 0 2. xn > p ∀n ≥ 0 (und damit f (xn ) > 0 und f 0 (xn ) > 0) denn: f (x0 ) > 0 ⇒ x0 > p Sei induktiv xn > p ⇒ Nach Mittelwertsatz ∃ξ ∈ (p, xn ) : f (xn −0) 0 0 xn −p = f (ξ) < f (xn ) ⇒ p < xn − f (xn ) f 0 (xn ) = xn+1 n) 3. xn+1 = xn − ff0(x (xn ) < xn ⇒ (xn ) streng monoton fallend und xn > p ∀n ⇒ xn −→ x ≥ p n→∞ f (x) n) 0 x = lim xn+1 = lim xn − ff0(x (xn ) = x − f 0 (x) (wegen Stetigkeit nach f ) n→∞ n→∞ ⇒ f (x) = 0 ⇒ x = p D.h. xn −→ p n→∞ 4. Fehlerabschätzung Nach Mittelwertsatz ∃α ∈ (p, xn ) : f (xn ) − 0 = f 0 (α)(xn − p) (1) ∃γ ∈ (α, xn ) : f 0 (xn ) − f 0 (α) = f 00 (γ)(xn − α) (2) ⇒ xn+1 − p = xn − p = ≤K f (xn ) (1) f 0 (xn ) = xn − p − f 0 (α)(xn −p) (2) = f 0 (xn ) ≤x −p n z }| { z }| { 00 f (γ)(xn − p) (xn − α) K = ≤ (xn − p)2 0 c f (x ) | {zn} ≥f 0 (p)≥c>0 74 (xn − p) 1 − f 0 (xn )−f 00 (γ)(xn −α) f 0 (xn ) Beispiel 12.4: f (x) = xk − a a > 0, k > 1, x ≥ 0 f 0 (x) = kxk−1 f 00 (x) = k(k − 1)xk−2 > 0 für x > 0 f (0) < 0, f (a) > 0 ⇒ Newton-Verfahren ist anwendbar Wähle x0 > 0 mit f (x0 ) > 0 xn+1 = n) xn / ff0(x (xn ) √ k = xn − xkn −a kxk−1 1 = xn 1 − 1 k + a kxk−1 n = 1 k (k − 1)xn + xn −→ a n→∞ Dies ist das Verfahren von früher zur Berechnung der k-ten Wurzel. 75 a x1k−1 Kapitel 13 Das Riemann-Integral f : [a, b] → R Idee: Zb f (x)dx =Fläche unter dem Graphen von f a 1. Definition: Integral für Treppenfunktionen 2. Approximation von f durch Treppenfunktionen Definition 13.1: ϕ : [a, b] → R heißt Treppenfunktion, falls ∃ Unterteilung a = x0 < x1 < · · · < xn = b und c1 , . . . , cn ∈ R, so dass ϕ(x) = ck ∀x ∈ (xk−1 , xk ), k = 1 . . . n τ [a, b] := Menge der Treppenfunktionen [a, b] → R Definiere das Integral von ϕ ∈ τ [a, b] durch Zb ϕ(x)dx := a n X ck (xn − xn+1 ) k=1 Lemma 13.1: Rb ϕ(x)dx ist unabhängig von der Unterteilung. a Beweis. Sei a = y0 < y1 < · · · < ym = b eine andere Unterteilung mit ϕ(x) = dl 1, . . . , m Fall 1: {x0 , . . . , xn } ⊂ {y0 , . . . , ym } ∀x(yl−1 , yl ), l = Verfeinerung von {x0 ,...,xn } d.h. ∀k : xk−1 = ylk−1 < ylk−1 +1 < · · · < ylk = xk und dlk−1 +1 = · · · = dlk = ck Pk ⇒ lj=l d (y − yj−1 ) = ck (xk − kk−1 ) P k−1 +1 j j Pn ⇒ m d (y j=1 j j − yj−1 ) = k=1 ck (xk − xk−1 ) Fall 2: {x0 , . . . , xn }, {y0 , . . . , ym } beliebig 76 {x0 , . . . , xn , y0 , . . . , ym } = {z0 , . . . , zr } Pr Pn F all 1 Pm ⇒ l=1 dl (yl − yl−1 ) = j=1 dj (zj − zj−1 ) = k=1 ck (xk − xk−1 ) Definition 13.2: f, g : [a, b] → R f ≤ g :⇔ f (x) ≤ g(x) ∀x ∈ [a, b] Lemma 13.2: Seien ϕ, ψ ∈ τ [a, b] und λ ∈ R. Dann sind ϕ + ψ, λϕ ∈ τ [a, b] und es gilt: Zb Zb (ϕ + ψ)(x)dx = 1. a ϕ(x)dx + a Zb a a ϕ(x)dx (Linearität) a Zb 3. ϕ ≤ ψ ⇒ Zb ϕ(x)dx ≤ a Zc ψ(x)dx (Monotonie) a Zb ϕ(x)dx + 4. ψ(x)dx (Linearität) Zb (λψ)(x)dx = λ 2. Zb a Zb ϕ(x)dx ∀c ∈ (a, b) (Additivität) ϕ(x)dx = c a Beweis. 1. oBdA (nach Verfeinerungen): ϕ, ψ haben dieselbe Unterteilung a = x0 < · · · < xn = b ϕ = ck auf (xk−1 , xk ) ψ = dk Rb P ⇒ ϕ + ψ = ck + dk auf (xk−1 , kk ), d.h. ϕ + ψ ∈ τ [a, b] und (ϕ + ψ)(x)dx = nk=1 (ck + a dk )(xk − xk−1 ) = Rb ϕ(x)dx a 2. ähnlich wie 1., aber eifnacher 3. oBdA : ϕ = ck , ϕ = dk auf (xk−1 , xk ) ϕ ≤ ψ ⇒ ck ≤ dk ∀k Rb Rb P P ⇒ ϕ(x)dx = nk=1 ck (xk − xk−1 ) ≤ nk=1 dk (xk − xk−1 ) = ψ(x)dx a a 4. Wähle Unterteilung die c enthält Bemerkung: 1. f (b) ⇔ τ [a, b] ist ein R-Vektorraum und Rb : τ [a, b] → R ist eine lineare Abbildung a Übung: Die Dimension von τ [a, b] ist überabzählbar unendlich d.h. @ Pendliche oder abzählbare Basis e1 , e2 , e3 , . . . , so dass jedes ϕ ∈ τ [a, b] sich eindeutig als ϕ = endlich λi ei λi ∈ R schreiben lässt 77 Definition 13.3: Sei f : a, b] → R eine beschränkte Funktion Das Ober- und Unterintegral von f sind b Z ψ ∈ τ [a, b] • I+ (f ) := inf ψ(x)dx ∈R mit ψ ≥ f a • I− (f ) := sup b Z a ϕ ∈ τ [a, b] ϕ(x)dx ∈R mit ϕ ≤ f Zb f heißt Riemann-integrierbar, wenn I+ (f ) = I− (f ) =: Zb f (x)dx =: a f a Zb Also f Riemann-integrierbar ⇔ ∀ε > 0 ∃ϕ, ψ ∈ τ [a, b] mit ϕ ≤ f ≤ ψ und ψ(x)dx − a Zb ϕ(x)dx < ε a Beispiel 13.1: 1. Jede Treppenfunktion ist Riemann-integrierbar ( 0 x ∈ [a, b] ∩ Q 2. f (x) := ist nicht Riemann-integrierbar, 1 x ∈ [a, b] \ Q denn I+ (f ) = b − a und I− (f ) = 0 Satz 13.3: 1. Jede stetige Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-integrierbar 2. Jede monotone Funktion f : [a, b] → R ist Riemann-integrierbar Beweis. 1. f : [a, b] → R stetig Nach . . . gilt: ∀ε > 0 ∃ϕ, ψ ∈ τ [a, b] mit ϕ ≤ f ≤ ψ und ψ(x) − ϕ(x) < Lemma Rb Rb Rb ε ψ(x)dx − ϕ(x)dx ≤ b−a = ε a a 13.2 a 2. Sei f : [a, b] → R monoton wachsend (fallend analog) Wähle äquidistante Unterteilung a = x0 < x1 < · · · < xn = b, d.h. xk := a + nk (b − a) ϕ(x) := f (xk−1 ) für x ∈ [xk−1 , xk ), k = 1, . . . , n ψ(x) := f (xk ) für x ∈ [xk−1 , xk ) ϕ(b) = ψ(b) := f (b) 78 ε b−a ∀x ∈ [a, b] f monoton wachsend ⇒ ϕ ≤ f ≤ ψ Rb Rb P ψ(x)dx − ϕ(x)dx = nk=1 (f (xk ) − f (xk−1 )) (xk − xk−1 ) = | {z } a a b−a n (f (x1 ) − f (x0 ) + f (x2 ) − = b−a n f (x1 ) + · · · + f (xn ) − f (xn−1 )) = Also ist f Riemann-integrierbar b−a n (f (b) − f (a)) −→ 0 n→∞ Satz 13.4: Seien f, g : [a, b) → R integrierbar und λ ∈ R. Dann sind f + g und λf integrierbar und es gilt: Zb Zb (f + g) = 1. a f+ a Zb (λf ) = λ a f (Linearität) a Zb 3. f ≤ g ⇒ Zb f≤ a Zc Zb f+ 4. g (Linearität) a Zb 2. Zb a g (Monotonie) a Zb f= c f ∀c ∈ (a, b) (Additivität) a Beweis. 1. Geg.: ε > 0 ∃ϕ1 , ϕ2 , ψ1 , ψ2 ∈ τ [a, b) : Rb Rb ϕ1 ≤ f ≤ ψ1 und ψ1 − ϕ1 < ϕ2 ≤ g ≤ ψ2 und a Rb a ψ2 − a Rb ϕ2 < a ε 2 ε 2 Rb Rb ⇒ ϕ1 + ϕ2 ≤ f + g ≤ ψ1 + ψ2 und (ψ1 + ψ2 ) − (ϕ1 + ϕ2 ) < ε 13.2 a a ( ) ϕ1 ϕ2 ∈ τ [a, b] Rb Rb Rb Rb Übg. ⇒ f + g integrierbar und (f + g) = sup ϕ1 + ϕ2 = f+ g ϕ1 ≤ f, ϕ2 ≤ g a a 2. ähnlich wie 1. 3. ähnlich wie 1. ) ( ) ( Rb Rb Rb Rb 4. f = sup ϕ ϕ ∈ τ [a, b], ϕ ≤ f ≤ sup ϕ ϕ ∈ τ [a, b], ϕ ≤ g = g a a a a 79 a a 13.1 Riemannsche Summen f : [a, b] → R a = x0 < x1 < · · · < xn = b Zerlegung ξk ∈ [xk−1 , xk ] k = 1, . . . , n Stützstellen Definition 13.4: Die Riemannsche Summe n X f (ξk )(xk − xk−1 ) k=1 max(xk − xk−1 ) 1 ≤ k ≤ n “Maschenweite” der Unterteilung Satz 13.5: Für jede Riemann-integrierbare Funktion f : [a, b] → R gilt: Zb f (x) dx = n X lim max(xk −xk−1 )→0 k a f (ξk )(xk − xk−1 ) k=1 Bemerkung: Dies bedeutet explizit: Für jedes ε > 0∃δ > 0, so dass für jede Zerlegung a = x0 < · · · < xn = b mit max(xk −xk−1 ) < k δ und beliebige ξk ∈ [xk−1 , xk ] gilt: b Z n X f (x) dx − f (ξk )(xk − xk−1 ) < ε k=1 a Beweis. Geg.: ε > 0 Rb ψ(x)dx − ϕ(x)dx < 3ε a a ϕ = cl ⇒ ∃a = t0 < · · · < tm = b : auf (tl−1 , tl ) ψ = dl Sei nun a = x0 < x1 < · · · < xn = b beliebige Zerlegung mit max(xk − xk−1 ) < δ und ⇒ ∃ϕ, ψ ∈ τ [a, b] : ϕ ≤ f ≤ ψ und Rb k ξk ∈ [xk−1 , xk ] beliebige Stützstellen K := {k ∈ {1, . . . , n}|[xk−1 , xk ] entählt ein tl } ⇒ |K| ≤ 2m Für k ∈ / K gilt: [xk−1 , xk ] ∈ (tl−1 , tl ) für ein l ⇒ ϕ(ξk ) ≤ f (ξk ) ≤ ψ(ξk ) Daraus folgt mit M := max(|f | + |ϕ|): [a,b] Pn R f (ξ )(x − x ) − ϕ(x)dx k k k−1 k=1 Rxk P P = k∈K f (ξ ) − ϕ(ξ )(x − x ) + f (ξ )(x − x ) − ϕ(x)dx k k k k−1 k k k−1 / k∈K xk−1 P ≤ k∈K (ψ(ξk ) − ϕ(ξk ))(xk − xk−1 ) + 2mδM Zb < 2ε ≤ (ψ(x) − ϕ(x))dx + |2mδM 3 {z } |a ε < 3ε für δ< 6mM {z < 3ε } 80 Rb Rb Mit f − ϕ < a a ε 3 folgt die Behauptung Beispiel 13.2: 3. f (x) = ex auf [a, b] stetig → integrierbar Berechnung durch Riemannsche-Summen: xk := a + b−a n k k = 0, . . . , n ξk := xk−1 Nach Satz 13.5 gilt: n−1 Zb n n X b − a a X b−a k b − a X a+ b−a (k−1) x xk−1 n = lim e dx = lim e xk − xk−1 = lim e e e n n→∞ n→∞ | {z } n→∞ n n k=1 k=1 b−a a |k=0 {z ! } n b−a 1− e n = = (b − a)ea (1 − eb−a ) lim n→∞ 1 1 = (b − a)(ea − eb ) n 1 − e b−a n 1 ! lim n n→∞ b−a b−a n 1 − |{z} e (b − a) =x = limx→0 ea − eb 1 (1 − ex ) x | {z } ea − eb = = eb − ea −1 =1−1−x+O(x2 ) Satz 13.6: (verallgemeinerter Mittelwertsatz der Integralrechnung) Sei f : [a, b] stetig und g[a, b] integrierbar mit g(x) ≥ 0∀x. Dann ∃ξ ∈ [a, b], so dass Zb Zb f (x)g(x)dx = f (ξ) a g(x)dx a Spezialfall g = 1 Mittelwertsatz der Integralrechnung Zb f (x) dx = f (ξ)(b − a) a Beweis. m := minf M := maxf [a,b] [a,b] g≥0 ⇒ mg ≤ f g ≤ M g Rb Rb Rb ⇒ m g ≤ fg ≤ M g M onotonie a ⇒ ∃c ∈ [m, M ] : a Rb a a Rb fg = c g a Nach Zwischenwertsatz ∃ξ ∈ [a, b] : f (ξ) = c 81 b−a 1−e n n Kapitel 14 Integration und Differentiation I Intervall (eigentlich oder uneigentlich) Definition 14.1: Eine differenzierbare Funktion F : I → R heißt Stammfunktion von f : I → R, falls F0 = f Theorem 14.1: Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Sei f : I → R stetig und a, b ∈ I 1. F (x) := Rx f (x) dt ist eine Stammfunktion von f a 2. Sind F, G Stammfunktionen von f , so ist F − G konstant 3. Für jede Stammfunktion F von f gilt: Zb f (x) dx = F (b) − F (a) a D.h.: d dx {stetig differenzierbare Funktion} {stetige Funktion} Rx a sind Inverse von einander (bis auf Konstante) Beweis. 1. F (x + h) − F (x) = x+h R f (x) dt x Nach Mittelwertsatz der Integralrechnung ∃ξh ∈ [x, x + h] : x+h R f (x) dt = f (ξh )h x ⇒ limh→0 F (x+h)−F (x) h = limh→0 f ( ξh ) = f (x), da f stetig in x −→x h→0 82 2. F, G Stammfunktion von f ⇒ (F − G)0 (x) = f (x) − f (x) = 0 ∀x ∈ I Kor12.4 ⇒ F − G ist konst 3. Sei F Stammfunktion von f Rx 1. 2. ⇒ F (x) = f (x) dt + c für ein c ∈ R a ⇒ F (b) − F (a) = Rb f (x) dt + c − a Ra f (x) dt − c = a | {z } Rb f (x) dt a 0 Notation • Für a > b def.: Rb Ra f (x) dx := − f (x) dx a b • F (b) − F (a) =: [F (x)]ba =: F (x)|ba R • F (x) = f (x)dx heißt: F ist eine Stammfunktion von f (eindeutig bis auf Konstanten) 14.1 Zb 1. a Zb 2. Integrale elementarer Funktionen b xs+1 für s ∈ R : s 6= 1 a, b > 0 x dx = s + 1 a für s ∈ N : a, b beliebig s 1 dx = log x|ba x a, b > 0 a Für a, b < 0 : Zb ⇒ Za ⇒ d 1 1 log(−x) = − = dx −x x 1 dx = log(−x)|ba x a, b < 0 1 dx = log |x| x 6= 0 x Z sin(x)dx = − cos(x) 3. Z cos(x)dx = sin(x) Z 4. Z 5. ex dx = ex 1 dx = arcsin(x) |x| < 1 1 − x2 Z 1 dx = arctan(x) 1 + x2 √ 83 Z 6. 1 dx = arsinh(x) 1 + x2 Z 1 √ dx = arcosh(x) |x| > 1 2 x −1 Z 1 dx = artanh(x) 1 − x2 √ P (x) 7. Jede rationale Funktion Q(x) kann durch Polynomdivision und Partialbruchzerlegung als Linearkombination von Termen folgender Art geschrieben werden: 1 Polynom, x+c , x2x+c , x21+c ⇒ Finden Stammfunktion: 1 1 1 2 2 z.B. 1−x |x| = 6 1 2 = 1−x + 1+x R 1 6. 1+x 1 1 ⇒ 1−x2 = 2 (log |1 + x| − log |x − 1|) = 2 log x−1 = artanh(x) |x|<1 14.2 Integrationsmethoden Satz 14.2: Substitution Sei f : I → R stetig und ϕ : [a, b] → R stetig differenzierbar mit ϕ([a, b]) ⊂ I. Dann gilt: Zb ϕ(b) Z f (ϕ(t))ϕ (t)dt = f (x) dx 0 a ϕ(a) Beweis. Sei F : I → R Stammfunktion von f ⇒ (F ◦ ϕ)0 (t) = F 0 (ϕ(t))ϕ0 (t) = f (ϕ(t))ϕ0 (t) ϕ(b) R Rb ϕ(b) ⇒ f (ϕ(t))ϕ0 (t)dt = F ◦ ϕ(t)|ba = F (x)|ϕ(a) = f (x) dx a ϕ(a) R Merkregel: Ersetze in f (x)dx jedes x durch ϕ(t) : f (x) → f (ϕ(t)) 0 dx → d(ϕ(t)) = d·ϕ(t) dt · dt = ϕ (t)dt Integrationsgrenzen ϕ(a), ϕ(b) für x → Integrationsgrenzen a, b für t Beispiel 14.1: 8. Fläche des Einheitskreises {z ∈ C||z| ≤ 1} π π − π2 R1 √ R2 p R2 R 2 2 2 Fläche = 2 · 1 − x dx = 2 1 − sin (t) cos(t)dt = 2 cos (t)dt = 2 sin2 (t)dt {z } π | π π −1 − − 2 =π =cos(t) Satz 14.3: (partielle Integration) 84 2 2 Seien f, g : [a, b] → R stetig differenzierbar. Dann gilt: Zb 0 f (x)g (x)dx = Zb f (x)g(x)|ba − a f 0 (x)g(x)dx a Beweis. F := f · g Nach Produktregel gilt: F 0 (x) = f (x)g 0 (x) + f 0 (x)g(x) = Rb f (x)g 0 (x)dx + Rb a f 0 (x)g(x)dx = a Rb F 0 (x)dx = F (x)|ba = a f (x)g(x)|ba Beispiel 14.2: 9. R log(x)dx |part. Integration: f (x) = log(x), g(x) = x R = x · log(x) − x1 · x dx = x(log(x) − 1) 10. Für m ∈ No betrachte die Integrale Im := Rb sinm (x) dx |f (x) = sinm−1 x, g(x) = a − cos x, (m ≥ 2) Rb 2 = − sinm−1 x · cos x|ba + (m − 1) sinm−2 x · cos | {z x} dx a =1−sin2 x m−1 x · cos x|ba + (m − 1)Im−2 = − sin m−1 ⇒ Im = − sin mx cos x |ba + m−1 m Im−2 Jetzt: a = 0, b = π2 : Im = m−1 m Im−2 m ≥ 2 π I0 = 2 − (m − 1)Im m≥2 π I1 = R2 π sin x dx = − cos x|02 = 1 0 Ind (2n−1)(2n−3)·...·3·1 π ·2 2n(2n−2)·...·4·2 2n(2n−2)·...·4·2 I2n+1 = (2n−1)(2n−3)·...·5·3 · 1 Betrachte Grenzwerte Nach Definition von Im : ∀x ∈ [0, π2 ] : sin2n+2 x ≤ sin2n+1 x ≤ sin2n x ⇒ I2n+2 ≤ I2n+1 ≤ I2n ⇒ I2n = Übung: limm→0 Im = 0 lim I2n+2 = lim 2n 2n+1 n→∞ 2n+2 n→∞ ≤ lim n→∞ für n → ∞ : =1 I2n+1 I ≤ lim I2n =1 I2n n→∞ 2n =(2n)2 I2n+1 n→∞ I2n ⇒ 1 = lim z}|{ 2n·2n ··· ·2 (2n+1)(2n−1) ··· ·π n→∞ | {z } = lim = 2 π 4n2 n=1 4n2 −1 Q∞ =4n2 −1 Korollar 14.4: Wallissches Produkt ∞ Y π 4n2 = 2 4n2 − 1 n=1 85 14.3 Uneigentliche Integrale Definition 14.2: 1. Sei f : [a, b) → R inegrierbar über jedes kompaktes Teilintervall [a, β] ⊂ [a, b) (b = ∞ möglich) Zb Zb Zβ Das Integral f (x) dx heißt konvergent, falls f (x) dx := lim f (x) dx existiert. β%b a a a Analog für f : (a, b] → R Zb Zb f (x) dx := lim 2. f (x) dx (falls existent) α&a a α 3. Sei f : (a, b) → R integrierbar über jedes kompaktes Teilintervall [α, β] ⊂ (a, b) und sei c ∈ (a, b) beliebig. Zb Zc Zb f (x) dx heißt konvergent, falls f (x) dx und f (x) dx konvergieren und wir setzen a a Zb Zc f (x) dx := a c Zb f (x) dx + a f (x) dx c Beispiel 14.3: 11. • f (x) = xs x ∈ (0, ∞), s ∈ R R1 s x dx konvergent für s > −1, nicht für s ≤ −1 0 denn: s > −1 : ε > 0 : R1 xs dx = ε 1 xs+1 s+1 ε = 1 s+1 − εs+1 1 s+1 −→ ε→0 s+1 s ≤ −1 : ∀x ∈ (0, 1] ist xs ≤ x−1 R1 R1 ⇒ x3 dx ≥ x1 dx = − log ε −→ ∞ ε • R∞ • R∞ ε ε→0 xs dx konvergiert für s < −1, nicht für s ≥ −1 (analog: Übung) 1 xs dx konvergiert für kein s ∈ R 0 12. Die Gamma-Funktion R∞ Γ(x) := tx−1 e−t dt x > 0 a Lemma 14.5: Γ(x) konvergiert für alle x > 0 86 Beweis. f (t) := tx−1 · e−t t ∈ (0, ∞), x > 0 e := 1 Für 0 < ε < ε0 ≤ 1 gilt: 0 ε0 R1 1 ε R R R x−1 −t e dt ≤ tx−1 dt −→ 0 für x > 0 nach Bsp 11. f − f = t |{z} ε ε,ε0 →0 ε ε ε0 ≤1 R1 ⇒ f konvergent. 0 Es gilt: limt→∞ tx+1 e−t = 0 ⇒ ∃t0 > 0 : tx−1 e−t ≤ t12 ∀t ≥ t0 Dann R < R0 : 0 gilt für t0 < 0 RR RR RR x−1 −t RR0 1 f − f = t e dt ≤ t2 dt −→ 0 nach Bsp 11. 1 R R R,R0 →0 1 R∞ R∞ ⇒ konvergiert ⇒ konvergiert 1 0 Satz 14.6: Γ(x + 1) = x · Γ(x) ∀x > 0 Γ(n + 1) = n! ∀n ∈ N0 Beweis. partielle Integration: R∞ x −t e dt (x > 0) Γ(x + 1) = |{z} t |{z} 0 g0 f ∞ R∞ = −tx e−t 0 + xtx−1 e−1 dt = xΓ(x) | {z } 0 =0 R∞ Γ(1) = 0 Induktion ⇒ ∞ e−t dt = −e−t 0 = 1 Γ(n + 1) = nΓ(n) = n · (n − 1) · · · · · 1 · Γ(1) = n! Bemerkung: 1. Γ(x + 1) ist also eine Fortsetzung von n! auf alle x > 0 Γ(x) ist unendlich oft differenzierbar, sogar “reell analytisch” (später) Daraus erhält man Aussagen über n!, z.B. die Stirlingsche Formel lim √ n→∞ 2. Γ 1 2 =2· = R∞ R∞ 1 0 n! =1 2πnnn e− n 1 t− 2 e−t dt |t = x2 dt = 2xdx 0 −x2 xe · x dx 87 R∞ = 2 später e−x dx = √ π −∞ Satz 14.7: (Integral-Vergleichs-Kriterium für Reihen) Sei f : [1, ∞) → R monoton fallend, f ≥ 0. Dann gilt: ∞ X Z∞ konvergent ⇔ n=1 f (x) dx konvergent 1 Beweis. Def.: ϕ, ψ : [1, ∞) → R ψ(x) := f (n) für x ∈ [n, n + 1) ϕ(x) := f (n + 1) ⇒ϕ≤f ≤ψ RN RN RN P P −1 ⇒ N = ϕ(x) dx ≤ f (x) dx ≤ ψ(x) dx = N n=2 n=1 f (n) (⇐) R∞ 1 1 f (x) dx konvergiert ⇒ 1 (⇒) ⇒ P∞ R∞ n=1 f (n) konvergiert ⇒ 1 P∞ n=2 f (n) R∞ konvergiert f (x) dx monoton wachsend in R und von oben beschränkt 1 f (x) dx konvergiert 1 R∞ 1 Beispiel 14.4:13. xs dx konvergiert für s > 1 (Bsp. 11) 1 P∞ 1 ⇒ n=1 ns konvergiert für alle s > 1 (früher: für alle s > 1, s ∈ Q) Riemannsche Zeta-Funktion ζ(s) Riemannsche-Vermutung: Alle Nullstellen s ∈ C von ζ(s) außer −2, −4, −6, . . . haben Re(s) = 88 1 2 Kapitel 15 Konvergenz von Funktionsfolgen (Cauchy, Cour d’Analyse 1821) Sei fn : [a, b] → R eine Folge stetiger Funktionen und f (x) = lim fn (x) ∀x ∈ [a, b]. Dann n→∞ ist f stetig. Geg.: x ∈ [a, b], ε > 0 Es gilt: für y ∈ [a, b] : |f (x) − f (y)| ≤ |f (x) − fn (x)| + |fn (x) − fn (y)| + |fn (y) − f (y)| < ε für |x − y| < δ | {z } | {z } | {z } < 3ε für n≥N da fn (x)→f (x) < 3ε für |x−y|<δ da fn stetig < 3ε für n≥N da fn (y)→f (y) ⇒ f stetig in x Beispiel 15.1: 1. fn (x) = xn x ∈ [0, 1] ( 0 x ∈ [0, 1) fn (x) −→ f (x) = n→∞ nicht stetig 1 x=1 Erklärung (Seidel 1948) fn (x) → f (x) = 0 für x < 1 konvergiert immer langsamer für x nahe an 1 Brauchen “gleichmäßige Konvergenz” In diesem Kapitel alles in C statt in R! stetig Definition 15.1: Sei D ⊂ C. eine Funktion f : D → C heißt stetig in z ∈ D, falls lim f (w) = f (z) w→z d.h. für jede Folge (wn ) ⊂ D mit wn → z gilt: f (wn ) → f (z) Definition 15.2: Sei D ∈ C; f, fn : D → C, n ∈ N 1. Die Folge (fn ) konvergiert punktweise gegen f , falls lim fn (z) = f (z) ∀z ∈ D n→∞ 89 d.h. ∀z ∈ D ∀ε > 0 ∃N = N (z, ε) : |fn (z) − f (z)| < ε ∀n ≥ N 2. Die Folge (fn ) konvergiert gleichmäßig gegen f , falls ∀ε > 0 ∃N = N (ε) : |fn (z) − f (z)| < ε ∀n ≥ N, ∀z ∈ D Wichtig: N hängt nicht von z ab! Satz 15.1: Sei fn : D ⊂ C → C eine Folge stetiger Funktionen, die gleichmäßig gegen f : D → C konvergiert. Dann ist f stetig. Beweis. Geg.: z ∈ D, ε > 0 Wegen gleichmäßiger Konvergenz fn → f ∃N = N (ε) : |fn (w)−f (w)| < fN stetig in z ⇒ ∃δ > 0 : [|z − w| < δ ⇒ |fN (z) − fN (w)| < 3ε ] Für w ∈ D mit |z − w| < δ gilt dann: |f (z) − f (w)| ≤ |f (z)| − fN (z) + |fN (z)| − fN (w) + |fN (w)| − f (w) < ε | {z } | {z } | {z } < 3ε < 3ε < 3ε ⇒ f stetig in z Beispiel 15.2: ( 0 x ∈ [0, 1) 1. fn (x) = −→ f (x) = n→∞ 1 x=1 fn → f punktweise, aber nicht gleichmäßig! Für x < 1 : |fn (x) − 0| < ε ⇔ xn < ε ⇔ n log x < log ε ε ⇔ n > log log ε = N (x, ε) −→ ∞ xn x%1 Also keine gleichmäßge Konvergenz Definition 15.3: f : D ⊂ C → C Definiere Supremumsnorm von f ||f ||D := sup |f (z)| ∈ R≥0 ∪ {∞} z∈D Es gilt: 1. f beschränkt ⇔ ||f ||D < ∞ 2. fn : D → C konvergiert gleichmäßig gegen f ⇔ limn→∞ ||fn − f ||D = 0 denn: ||fn − f ||D < ε ⇔ |fn (z) − f (z)| < ε ∀z ∈ D 90 ε 3 ∀n ≥ N ∀w ∈ D Satz 15.2: (Konvergenzkriterium von Weierstraß) Seien fn : D → C stetige Funktionen, so dass ⊂C ∞ X ||fn ||D < ∞ n=0 Dann konvergiert die Reihe ∞ X fn absolut und gleichmäßig auf D gegen eine stetigt Funktion n=0 F :D→C Beweis. 1. Für z ∈ D: P |fn P (z)| ≤ ||fn ||D ∀n und ∞ n=0 ||fn ||D < ∞ f (z) =: F (z) konvergiert nach Majorantenkriterium (absolut) ⇒ ∞ n=0 n Pn Dies definiert eine Funktion F : D → C, nd Fn := k=0 fk → F punktweise 2. Behauptung: F : n → F gleichmäßig denn: Geg.: ε > P 0 ⇒ ∃N = N (ε) : ∞ k=n+ ||fk ||D < ε ∀n ≥ N Für alle z ∈ D; n ≥ P∞ P∞ PN : |F (z) − fn (z)| = | ∞ k=n+1 ||fk ||D < ε k=n+1 |fk (z)| ≤ k=n+1 fk (z)| ≤ Satz ⇒ F stetig 15.1 15.1 Potenzreihen f (z) = ∞ X cn (z − a)n cn , a ∈ C n=0 Satz 15.3: Die Potenzreihe f (z) = Dann konvergiert ∞ X ∞ X cn (z − a)n konvergiere für ein z0 ∈ C, z0 6= a. n=0 cn (z − a)n für jedes r < |z0 − a| absolut und gleichmäßg auf dem Kreis n=0 K(a, r) := {z ∈ C||z − a| ≤ r} Beweis. P fn (z) := cn (z − a)n , d.h. f (z) = P∞ n=0 fn (z) Nach Vorraussetzung konvergiert ∞ n ∈ N0 n=0 fn (z0 ) ⇒ |fn (z0 )| ≤ M Für jedes z ∈ K(a, r) gilt: n n z−a n mit θ := |z0r−a| < 1 |fn (z)| = |cn (z − a) | = |cn (z0 − a) | {z } z0 − a | | {z } ≤M ≤θ 91 P∞ n P ⇒ ∞ n=0 θ konvergiert (geom. Reihe) n=0 |fn (z)| ≤ M n ⇒P ||fn ||D ≤ M θ P∞ n ⇒ ∞ n=0 ||fn ||D ≤ M n=0 θ konvergiert P∞ Satz ⇒ f = n=0 fn konvergiert absolut und gleichmäßig in D = K(a, r) 15.2 Korollar 15.4: In von Satz 15.3 konvergiert die formal differenzierte Potenzreihe g(z) := P∞der Situation n−1 ebenfalls absolut und gleichmäßig auf K(a, r) n=1 n cn (z − a) Beweis. Wie im Beweis von Satz 15.3: gn (z) := n cn (z − a)n−1 ||gnP || ≤ n M θn−1 D P = K(a, r), θ < 1 ∞ n−1 konvergiert (Quotientenkriterium) ⇒ ∞ ||g || ≤ M n D n=1 nθ n=1 P Satz ∞ ⇒ n=1 gn konvergiert absolut und gleichmäßig auf K(a, r) 15.2 Bemerkung: Insbesondere sind f und g stetig auf K(a, r) Später: g = f 0 Definition 15.4: P n Der Konvergenzradius der Potenzreihe ∞ n=0 cn (z − a) ist ( ∞ ) X n R = sup r cn (z − a) konvergiert in K(a, r) ∈ R≥0 ∪ {∞} n=0 Aus Satz 15.3 folgt: • ◦ P n=0∞ cn (z − a)n konvergiert absolut im offenen Kreis K(a, R) := {z ∈ C||z − a| < R} ◦ Aber die Konvergenz ist i.A. nicht gleichmäßig auf K(a, R) • außerhal̈b von K(a, R): Divergenz • Auf {z||z − a| = R} ist Konvergenz oder Divergenz möglich Beispiel 15.3: 2. P∞ − a)n = ez−a konvergiert ∀z ∈ C ⇒ R = ∞ 3. P∞ − a)n konvergiert nur für z = a ⇒ R = 0 4. P∞ 1 n=0 n! (z n=0 n!(z (−1)n−1 n z =: f (z) Pn∞ (−1)n−1 f (1) = n=1 P∞ n 1 konvergiert (Leibniz) f (−1) = − n=1 n divergiert (harmonische n=1 Reihe) ⇒R=1 Berechnung des Konvergenzradius 92 Definition 15.5: (an )n∈N beschränkte Folge reeller Zahlen ⇒ (supak )n∈N monoton fallende Folge, von unten beschränkt k≥n ⇒ lim sup an := lim (sup ak ) Limes Superior n→∞ k≥n n→∞ Analog: Limes Inferior lim inf an := lim ( inf an ) n→∞ z.B. an = n1 + (−1)n lim sup an = +1 6= sup an = lim inf an = −1 = inf an lim an existiert nicht n→∞ k≥n 2 3 n→∞ Satz 15.5: (Wurzelkriterium) ∞ X Die Reihe cn , cn ∈ C n=0 p 1. konvergiert, falls lim sup n |cn |[n] < 1 p 2. divergiert, falls lim sup n |cn | > 1 p n Beweis. 1. lim sup |cn |[n] < 1 p n ⇒P ∃n0 ∈ N : |cP n |[n] ≤ θ < 1 ∀n ≥ n0 ∞ n ⇒ P∞ |c | ≤ n=n0 n n=n0 θ konvergiert ∞ ⇒ n=0 cn konvergiert (absolut) nach Majorantenkriterium p 2. lim p sup n |cn |[n] > 1 ⇒ n |cn |[n] > 1 für unendlich viele n ⇒P |cn | > 1 für unendlich viele n ⇒ cn konvergiert nicht (Lemma 7.1) Korollar 15.6: P n Der konvergenzradius von ∞ n=0 cn (z − a) ist R= 1 p lim sup n |cn | n→∞ p Beweis. L := lim sup n |cn | Nach Satz 15.5 gilt: p Falls lim sup n |cn (z − a)n | < 1 ⇒ Konvergenz ⇒ R ≥ = |z − a| · L p= Falls lim sup n |cn (z − a)n | > 1 ⇒ Divergenz Beispiel 15.4: 93 ⇒R≥ 1 L 1 L ⇒R= 1 L 2. P∞ 1 n n=0 n! (z − a) 1 q R= lim sup | 3. 1 n! } =0 P∞ R n n=0 n!(z − a) 1 √ = lim sup = n n! | 4. n {z = ez−a =∞ P∞ {z =∞ 0 } (−1)n−1 n z n 1 q = 1 lim sup n n n=1 R= | {z =1 1 } Identitätssatz Für Polynome P (z), Q(z) vom Grad n gilt: Falls P (zi ) = Q(zi ) für n + 1 verschiedene z1 . . . zn+1 ∈ C ⇒ P = Q Verallgemeinerung für Potenzreihen Satz 15.7: (Identitätssatz für Potenzreihen) ∞ ∞ X X n Seien f (z) = an z , gn (z) = bn z n n=0 (an , bn ∈ C) zwei Potenzreihen mit positiven Kon- n=0 vergenzradien. Gilt f (zn ) = g(zn ) für eine Folge von zn ∈ C, zn 6= 0 zn −→ 0, so ist an = bn n→∞ f =g Beweis. h0 (z) := f (z) − g(z) = =c0 P∞ n=0 cn z n, c n ∀n ∈ N0 , d.h. = an − bn ◦ definiert eine stetige Funktion auf K(0, R) h0 (zn ) = 0 ∀n, zn → 0 ⇒ h0 (0) = lim h0 (zn ) = 0 h0 stetig P∞ P n =z· c z cn+1 z n ⇒ h0 (z) = ∞ n=1 n | n=0{z } =:h1 (z) Potenzreihen mit demselben Konvergenzradius R>0 h0 (zn ) = 0 ∀n zn h1 (zn ), zn 6= 0 ⇒ h1 (zn ) = 0 ∀n ⇒ h1 (0) = lim h1 (zn ) = 0 =c1 h1 stetig n→∞ Beispiel 15.5: 5. Sanskrit-Dichtung (Hemachandra ca. 1150 AD) • kurze Silbe: 1 Schlag − lange Silbe: 2 Schläge Fn := Anzahl der Möglichkeiten, lange und kurze Silben auf n Schläge zu verteilen F1 = 1: • F2 = 2: ••, − F3 = 3: •••, •−, −• F4 = 5: ••••, ••−, •−•, −••, −− 94 F5 = 8: Fibonacci: 1202 AD: Fn = Anzahl der Kaninchenpaare im n-ten Monat • Kaninchen sind nach 1 Monaz zeugungsfähig • Jedes zeugungsfähige Paar zeugt jeden Monat ein neues Paar Sanskrit-Dichtung: Rekursionsformel: Fn+1 = Fn + Fn−1 F0 := 1; F1 := 1 Berechnung der Fn Betrachte Potenzreihe Pdie ∞ f (z) := n=0 Fn z n z ∈ C Fn+1 Fn−1 Fn Fn = Fn + Fn ≤ 2 Quot. = Konvergenzradius R ≥ Krit. 1 2 Für |z| < 12 gilt: P P∞ P∞ n+2 n+1 − n (1 P − z − z 2 )f (z) P = ∞ n=0 Fn z n=0 Fn z −P n=0 Fn z ∞ ∞ ∞ Fn−1 z n − n=2 Fn−2 z n = n=0 Fn z n − n=1 P∞ = F0 + F1 z − F0 z + n=2 (Fn − Fn−1 − Fn−z )z n = 1 | {z } | {z } =0 =0 ∀n≥2 1 1 ⇒ f (z) = 1−z−z 2 für |z| < 2 Partialburchzerlegung: z2 + z − 1 = (z + λ)(z + µ) √ √ 1+ 5 mit λ = 2 > 12 µ = 1−2 5 < − 12 1 √ √1 1 5 5 ⇒ 1−z−z 2 = − z+λ + z+µ = − √15λ · 1+1 z + √15µ · 1+1 z P λ (−1)n n µ 1 P∞ (−1)n n √ = − √15λ ∞ n=0 λn z + 5µ n=0 µn z P∞ (−1)n 1 1 = n=0 √5 (− λn+1 + µn+1 )z n P∞ = n=0 Fn z n für |z|< 12 n Identitätssatz (−1)n µn+1 −λn+1 1 1 √ √ ⇒ Fn = (−1) − + = n+1 n+1 λ µ (λ,µ)n+1 5 5 | {z } =−1 ⇒ √ n+1 √ n+1 1+ 5 − 1−2 5 2 λn+1 − µn+1 √ Fn = = λ−µ 5 verblüffenderweise natürliche Zahlen! F0 = 1 F1 = λ + µ = 1 √ √ F2 = λ2 + λµ +µ2 = 1+2 4 5+5 + 1−2 4 5+5 = 2 |{z} =−1 Bemerkung √ 1+ 5 λ= heißt der Goldene Schnitt 2 95 Abbildungsverzeichnis 8.1 sin x un cos x am Einheitskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 9.1 Graphen der Funktionen Beispiel 9.1 1.-5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 10.1 sin x und cos x für x > 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 10.2 arcsin x und arccos x . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 10.3 links: tan x, rechts: arctan x . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 96