WER NICHT FEIERT, HAT VERLOREN! neuntermai.vvn-bda.de 2 Editorial3 Über uns 5 Der 8. und der 9. Mai 1945 7 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung Chance für Frieden und Demokratie in Europa 9 70 Jahre Sieg und Befreiung 11 Die Notwendigkeit einer umfassenden Entschädigung für Zwangsarbeit 14 Antifa Erben der Antifaschistischen Aktion 17 Konsequent gegen Neonazismus, Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und Krieg Solidarisch mit Geflüchteten und Opfern rassistischer Gewalt 23 Die Bundesregierung instrumentalisiert den 70. Jahrestag gegen Russland 26 Basisorganisation (BO) 8.Mai der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten neuntermai.vvn-bda.de | [email protected] Gestaltung: jorodesign.eu - V.i.s.d.P.: Berliner VVN-BdA eV., Franz-Mehring Platz 1 - 10243 Berlin Gefördert durch 3 EDITORIAL „Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg!“ lautete der Schwur der Überlebenden am 8./9. Mai 1945 in Europa und in der Welt. Es war der Tag der Befreiung vom nazistischen Joch, der Tag des Sieges über den deutschen Faschismus. Für Millionen Menschen, Opfer der nazistischen Diktatur kam dieser Tag zu spät; für Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Zwangsarbeiter_ innen. Zu spät aber auch für Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen, Gewerkschafter_innen, Christ_innen und viele politisch antifaschistisch Denkende und Handelnde. Sie und hunderttausende alliierter Soldat_ innen, Partisan_innen, Widerstandskämpfer_innen in vielen Ländern mussten für den Sieg und die Befreiung ihr Leben geben, weil der Widerstand gegen Faschismus und Krieg in Deutschland zu schwach war. Viele, aber dennoch viel zu wenige Menschen haben Widerstand geleistet. Die Hauptlast im Kampf gegen Nazi-Deutschland trug die Sowjetunion. Der deutsche Antifaschist, Exilant und Veteran der Roten Armee Stefan Doernberg war einer von ihnen. Er brachte es einst in seiner Rede auf unserem Fest zum 9. Mai auf den Punkt: »Die Rote Armee rettete die Zivilisation«. Deshalb wollen wir uns auch und ganz besonders am 70. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus bei allen antifaschistischen Kämpfer_innen bedanken, die zur Zerschlagung Nazideutschlands einen Beitrag geleistet haben. An sie alle feierlich zu erinnern, ist der Anlass unseres fröhlichen Festes im Treptower Park, unweit des 4 Sowjetischen Ehrenmals. In diesem Geiste wollen wir am 9. Mai zusammen feiern. Auch im achten Jahr organisieren wir deshalb ehrenamtlich unser nicht-kommerzielles Fest zum Tag des Sieges und feiern, essen und trinken zusammen mit den zahlreichen Gästen, Musiker_innen und Freund_innen. Der Kampf um den Frieden ist auch 70 Jahre nach der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus durch die Armeen der Anti-Hitlerkoalition, die antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen und Partisan_innen unsere tägliche Aufgabe. Denn auch 70 Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus existieren immer noch Neo-Nazi-Gruppen. Neofaschistische, antisemitische, antiziganistische, rassistische und nationalistische Einstellungen gewinnen in der Welt an Popularität und sind Faktoren, die die Gesellschaft in Deutschland wie auch z.B. in der Ukraine und Russland ernsthaft gefährden. Neonazis und Nationalist_innen nutzen die Krise, um Stimmung zu machen. Sie setzen auf Ängste und Gefühle der Menschen in prekären Verhältnissen, auf Ängste vor Wohlstandsverlusten, vor Verlust sozialer Sicherheit, vor einem sozialen Abstieg. Jedoch wird die „Soziale Frage“ unter dem völkischem Aspekt gestellt und reaktionär beantwortet. Es geht dabei nicht um Lösungsansätze gegen die eigentlichen Ursachen dieser Krisen – den Kapitalismus. Es geht mit platten Parolen gegen Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma und Migrant_innen im Allgemeinen und Muslime im Besonderen. Feindbild sind aber auch jene, die sich antifaschistisch und antirassistisch engagieren. Und auch heute leisten viele, aber dennoch viel zu wenige Widerstand. In diesem Jahr möchten wir in unserer Broschüre unser Augenmerk nicht auf faschistische Propaganda und Strukturen, sondern auf die Aktualität antifaschistischen Widerstandes richten. Wir berichten darüber, wer in Deutschland Rassismus und Faschismus aktiv bekämpft und damit das Erbe der antifaschistischen Kämpfer_innen für sich angenommen hat und fortsetzt. Hitler kaputt! Wer nicht feiert, hat verloren! Basisorganisation (BO) 8.Mai der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Antifaschistische Initiative Moabit (AIM) | Autonome Antifa Berlin (A2B) FelS - Für eine linke Strömung organisiert in der Interventionistischen Linken (IL) | Kollektiv Zielona Gora e.V 5 ÜBER UNS Als am Abend des 8. Mai 2006 im Kapitulationsmuseum in Karlshorst (im Deutsch-Russischen Museum) auf den 61. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus angestoßen wurde, waren auch wir, acht Frauen und Männer dabei. Wir traten an diesem Tag gemeinsam in die „Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) ein. dem Exil zurückkehren konnten, bedeutete der 8. Mai 1945 Befreiung, was sonst! as d as d N IE Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Da wir seit vielen Jahren gemeinsam antifaschistisch aktiv sind, entschlossen wir uns, Die VVN-BdA steht in der Tradition des „an- diesen Aktivitäten einen festen Rahmen in deren Deutschlands“ zwischen 1933 und der Berliner VVN-BdA zu geben und uns in 1945, repräsentiert von den Widerstands- einer eigenen Basisorganisation (BO) zu organisieren. Der Name unserer BO ist nicht kämpferinnen und -kämpfern gegen den ganz überraschend „8. Mai“. Unsere deutschen Faschismus – unabhängig NIE WIEDER BO ist für all jene offen, die sich von ihrer politischen Herkunft. KRIEG! mit ihren Ideen und MöglichFür alle Menschen, die aus den keiten in die antifaschistische Konzentrationslagern, GefängArbeit einbringen wollen. nissen, aus ihren Verstecken im Um die BO „8. Mai“ haben sich weiUntergrund befreit wurden, die aus NIE WIEDER FASCHISMUS! 6 tere Berliner Antifa- Gruppen zusammengefunden. Unser gemeinsames zentrales Anliegen ist der Kampf gegen alte und neue Nazis, gegen staatlichen Rassismus, Antisemitismus und der Kampf gegen die Militarisierung der Bundesrepublik. Das heißt auch, sich den Nazis dort entgegen zu stellen, wo sie sich zeigen. Doch wir halten es für unbedingt notwendig, sich nicht alleinig auf die Verhinderung von Aktionen der Neonazis, wie Demonstrationen zu beschränken. Für genauso wichtig halten wir es, eigene Akzente zu setzen. Seit Jahren mehren sich geschichtsrevisionistische Angriffe, die den Beitrag der damaligen Sowjetunion bzw. der Roten Armee zur Befreiung Deutschlands und Europas vom Faschismus schmälern und relativieren wollen. Deshalb haben wir mit unserem alljährlichen Fest zum 9. Mai unter dem Motto „Wer nicht feiert, hat verloren“ ein fröhliches Fest etabliert, das sich entschieden gegen diese Versuche die Geschichte zu verfälschen, wendet. Der 9. Mai wird in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als Tag des Sieges über den deutschen Faschismus gefeiert. Jedes Jahr werden neben Informations- und Bücherständen, Führungen zum Ehrenmal, einem Kinderprogramm und russischer Küche auch ein deutsch/russisches Kulturprogramm geboten. Zeitzeugen der Roten Armee wie Moritz Mebel, Stefan Doernberg, Ilja Kremer und Wladimir Gall oder Hania Szelewicz von der 1. Polnischen Armee bereicherten das Fest mit Schilderungen ihrer Erlebnisse. Dieses Fest ist ein Beispiel für unser Verständnis antifaschistischer Arbeit. Denn wir wollen ein deutliches Zeichen unseres entschiedenen Widerstandes gegen geschichtsrevisionistische Tendenzen und das unterschiedslose Gedenken bzw. der Vermischung von Opfern und Tätern setzen und festlich daran erinnern, dass erst mit der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands und dem Sieg der Alliierten und vor allem Dank der Roten Armee das von Berlin ausgegangene Morden ein Ende fand. Für uns gilt ganz im Sinne von Ernest Hemingway: „Jeder Mensch, der die Freiheit liebt, hat der Roten Armee mehr zu verdanken, als er jemals in seinem Leben bezahlen könnte.“ Für die Menschen in Deutschland und Europa waren der 8. und 9. Mai 1945, die Befreiung, der erste Tag des Friedens. Aber das „Morgenrot der Menschheit“ das unser Genosse und Widerstandskämpfer Peter Gingold am 8. Mai 1945 aufscheinen sah, eine „Welt des Friedens und der Freiheit“ für die zu kämpfen uns die Häftlinge des KZ-Buchenwalds nach ihrer Selbstbefreiung in ihrem Schwur auftrugen, ist längst nicht verwirklicht. Unser Kampf geht weiter. Auch dafür steht unser Fest. 7 DER 8. UND DER 9. MAI 1945 Bedingungslose Kapitulation Nazideutschlands, Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus und Tag des Sieges Als in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst Vertreter des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die offizielle Urkunde über die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet hatten, war ein verbrecherisches System zerschlagen worden, dessen Weltherrschaftspläne, Herrschaftspraxis und Rassenwahn die menschliche Zivilisation generell in Frage gestellt hatten. Der Sieg über den deutschen Faschismus und die Befreiung Europas bleiben eine Leistung aller Verbündeten in der Anti-Hitler-Koalition. Die Bedrohung führte Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und Menschen unterschiedlichster Weltanschauung und politischer Orientierung zusammen. An der Seite der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition kämpften Partisanen_innen und Widerstandskämpfer_innen in allen okkupierten Gebieten für die Freiheit ihrer Län- der. Deutsche Antifaschist_innen reihten sich ebenfalls in die Armeen der Anti-Hitler-Koalition und in die Partisanen- und Widerstandsgruppen ein. Nicht vergessen werden dürfen die mutigen Frauen und Männer, die aus den unterschiedlichsten Motiven unter ständiger Lebensgefahr im Deutschen Reich Widerstand gegen das Naziregime leisteten. Die Hauptlast im Kampf gegen Nazi-Deutschland trug jedoch die Sowjetunion. Sie hatte den entscheidenden Anteil am Sieg. Die Ostfront war die Hauptfront des Zweiten Weltkrieges. Lange bevor endlich die zweite Front eröffnet wurde, hatten sowjetische Soldat_innen den Feind vor Moskau gestoppt, in Stalingrad und im Kursker Bogen die Wende des Krieges erzwungen. Der Preis für diese Leistung war hoch. Mit über 30 Millionen Menschen hatte die Sowjetunion die mit Abstand größten Verluste zu beklagen. Über 8 Millionen sowjetische Soldat_innen ließen dafür an der Front ihr Leben. Mehr als 26 Millionen Zivilpersonen wurden ge- 8 tötet oder starben unter den unmittelbaren Kriegseinwirkungen. Der deutsche Aggressor hinterließ eine Spur der „verbrannten Erde“: 1.710 Städte und 70.000 Dörfer, 31.800 Industriebetriebe, 13.000 Brücken und 65.000 Kilometer Eisenbahnnetz zerstört, gesprengt oder niedergebrannt. Die Bilanz des Zweiten Weltkrieges ist eine Bilanz des Schreckens. Mehr als 60 Millionen Menschen starben bei Kampfhandlungen, durch Repressalien, Massenvernichtungsaktionen und Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Konzentrationslager verbrachte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Arbeit vernichtet. Unfassbar der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen. In Deutschland mussten fast acht Millionen und in Japan über zwei Millionen Menschen aus den eroberten Ländern Zwangsarbeit leisten. China zahlte mit 10-15 Millionen, Polen mit sechs Millionen, Jugoslawien mit 1,5 Millionen, Frankreich mit etwa 700.000, die USA und Großbritannien mit jeweils ca. 400.000 und Italien mit 500.000 Toten ebenfalls einen hohen Blutzoll. Im April 1945 war der Krieg an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt. In Berlin waren mit der „Machtergreifung“ im Januar 1933 die Weichen für die „Neuordnung Europas“ gestellt worden. Von hier aus wollte sich ein “Tausendjähriges Reich” über die versklavten Völker erheben. Dem Terror nach innen folgte der Terror nach außen. Die Revision des Versailler Vertrages war das Vorspiel zur Eroberung von „Lebensraum“ und Rohstoffquellen, die den planmäßigen Völkermord einschloss. In Berlin befanden sich die Kommandozentralen des verbrecherischen Naziregimes. Der 8. Mai 1945 markiert das Ende der nazistischen Diktatur. Für Millionen von KZ-Häftlingen, Zwangsarbeiter_innen, Widerstandskämpfer_innen, Sinti und Roma, politischen Gegnern und sonstigen „Feinden“ war die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung. Während in der DDR der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus gefeiert wurde, blieb er für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft eher ein unbequemes Datum. Dort war er kein offizieller Gedenktag. Im Vordergrund stand die Erinnerung an „Flucht und Vertreibung“. Obwohl das besiegte Deutschland bereits am Abend des 8. Mai 1945 gegenüber den Truppen der Sowjetunion kapitulierte, wurde die Siegesmeldung erst einige Stunden später, um 2.10 Uhr morgens über Radio Moskau bekannt gegeben. Zusammen mit der Meldung von der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches erklärte das Präsidium des Obersten Sowjet den 9. Mai zum landesweiten arbeitsfreien Feiertag zu Ehren des Sieges über Nazideutschland. Seitdem wird der 9. Mai in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion als „Tag des Sieges“ gefeiert. 9 8. MAI 1945 – TAG DER BEFREIUNG Chance für Frieden und Demokratie in Europa Am 8. Mai wurde ganz Europa von der Geißel des Faschismus befreit. In Deutschland erlebten in erster Linie die überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen diesen Tag als Befreiung. Aber auch wir alle, die wir heute leben, verdanken die Grundlagen unseres Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt den Siegern des 8. Mai. Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen hatte, sind und bleiben auch unsere Befreier. Mit besonderer Dankbarkeit erinnern wir an den Beitrag, den der deutsche antifaschistische Widerstand in Deutschland, in der Emigration, als Teil von Partisanenverbänden und in den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition geleistet hat. Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Na- zi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und ihrem Leben. Die deutsche Wirtschaft, allen voran Chemie- und Rüstungsindustrie und Banken waren die Gewinner von „Arisierung“, Krieg und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter_innen. Diese Gewinne bildeten die Grundlage des „Wirtschaftswunders“ in der Bundesrepublik, während die Opfer um jede Mark Entschädigung kämpfen mussten und bis heute kämpfen müssen. In nahezu allen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/ 10 oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, das war auch in der DDR der Fall. Genau 40 Jahre hat es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik an einem 8. Mai von Befreiung gesprochen hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis, der Deutsch-Nationalen, der „Frontkämpfer“, der Profiteure und Mitläufer das offizielle Vokabular geprägt: Zusammenbruch, Kapitulation, Besatzer. Mit Weizsäckers Rede wurde die Perspektive der Verfolgten des Nazi-Regimes „gesellschaftsfähig“. Damit das so bleibt, fordern wir, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg endlich auch in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag wird. Wir wissen, dass die Früchte des 8. Mai stets gefährdet sind. Rassismus, Chauvinismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Islamfeindlichkeit – alle möglichen Ideologien zur Begründung sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Ausgrenzung haben Konjunktur. Wir wissen, die soziale Spaltung der Gesellschaft hat ein Ausmaß erreicht, in dem die Angst vor dem Abstieg Anpassungsdruck und Ausgrenzungsbereitschaft erhöht. Wir erleben, dass Grundrechte immer weiter eingeschränkt werden. Wir sehen mit Sorge, wie unbarmherzig unsere Gesellschaft Flüchtlingen gegenübertritt und gewaltsame Übergriffe duldet. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in nahezu allen europäischen Län- dern verlangt entschiedene Gegenwehr. Der Wiedereintritt Deutschlands in die Reihe der Krieg führenden Länder stellt einen Bruch mit dem Nachkriegskonsens „Es soll nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen“ als wichtigste Lehre aus der jüngeren deutschen Geschichte dar. In vielen Ländern der Welt, im Irak, in Syrien, in der Ukraine und in weiten Teilen Afrikas toben Kriege. Wieder sind deutsche Waffen - und oft auch deutsches Militär - überall beteiligt. Die Bereitschaft, „deutsche Interessen“ erneut mit militärischen Mitteln durchzusetzen ist gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung in Regierung und Bundestag wieder politische Praxis geworden. Gerade darum wollen wir den Tag zum Feiertag machen, den die Überlebenden als „Morgenröte der Menschheit“ erlebt haben, wie es der als Jude und Kommunist verfolgte Résistance-Kämpfer Peter Gingold ausgedrückt hat. Wir wollen am 8. Mai vor allem an die Hoffnung der Befreiten auf eine Welt ohne Kriege, Elend und Unterdrückung erinnern und diese als Impuls nehmen, weiter an der Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit zu arbeiten, so wie es die befreiten Häftlinge von Buchenwald geschworen haben. In diesem Sinne rufen wir auf: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg! 11 70 JAHRE SIEG UND BEFREIUNG Mehr als 60 Millionen Menschen starben bei Kampfhandlungen, durch Repressalien, Massenvernichtungsaktionen und Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Konzentrationslager verbrachte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Arbeit vernichtet. Unfassbar der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen. China zahlte mit 10-15 Millionen, Polen mit sechs Millionen, Jugoslawien mit 1,5 Millionen, Frankreich mit etwa 700.000, die USA und Großbritannien mit jeweils ca. 400.000 und Italien mit 500.000 Toten ebenfalls einen hohen Blutzoll. Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg! lautete deshalb der Schwur der meisten Überlebenden am 8. Mai 1945 in Europa und überall in der Welt. Nach 70 Jahren definiert Deutschland seine neue Rolle alt Deutschlands neue Rolle entspringt dabei einem deutschnationalen Ja zu deutscher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft inklusive eines starken deutschen Staates. Und so wird vor dem Hintergrund des Gedenkens an den Ersten Weltkriegs, der sich 2014-2018 zum hundertsten Mal jährt, die deutsche Geschichte dahingehend umgedeutet, dass es einen zielstrebigen Griff nach der Weltmacht nicht gegeben habe. Dabei werden Reden wie Taten der deutschen Staatsführung als gegenteilige Beweise mit dem Verweis weggewischt, auch andere Großmächte Europas hätten diesen Krieg gewollt. In den letzten Jahren und gerade auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts haben die Versuche sowohl in der Bundesrepublik als auch der Europäischen Union zugenommen, den Beitrag der damaligen Sowjetunion, der Roten Armee sowie der Partisan_innen zur Befreiung vom verbrecherischsten System – dem deutschen Faschismus – zu negieren und zu relativieren. So zum Beispiel, indem der CDU-Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther von einem Übergang „von einer braunen Diktatur in eine rote Diktatur mit Gefängnissen und Internierungslagern wie Bautzen, Buchenwald und Hohenschönhausen“ spricht. Damit wird eine 12 faktische Gleichsetzung der Befreier_innen mit Nazideutschland vorgenommen, weil „weder die Sowjets noch die Nationalsozialisten verteidigt werden [müssen]; denn keins war schlimmer als das andere!“ Eine entsprechende Gleichstellung erfolgt immer wieder auch insbesondere von den baltischen Staaten, wenn sie ein Verbot sowjetischer Symbole fordern. Die Bundesregierung verbindet mit ihrer Geschichtsinterpretation bezogen auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie deren Ergebnisse nach innen, wie nach außen, um klarzumachen, welche Rechte sich die deutsche Staatsführung in der Gegenwart und Zukunft herausnehmen will. Nach 70 Jahren geht Krieg wieder von deutschem Bo­den aus Von deutschem Boden sollten nie wieder Krieg, sondern Frieden und gute Nachbarschaft mit allen Ländern ausgehen. Doch 70 Jahren nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus werden Drohungen mit militärischer Gewalt, militärische Einsätze und Angriffskriege immer mehr zu „legitimen“ Mitteln der herrschenden Politik. Deutschland führt wieder Krieg und steht bewaffnet in vielen Teilen der Welt. Es verfügt über so genannte Krisenreaktionskräfte und schnelle Eingreiftrup­pen und wieder über eine aggressive, expansionistische Militärdokt­rin. Die Bundeswehr wird zur weltweit einsatzfähi­ gen Interventionstruppe umgebaut und aufgerüstet. Die Vorstellung, die europäische Einigung sei für den Friedenserhalt da gewesen und überwinde „nationale Dünkel“, beruht auf falschen Annahmen. Denn so wie nach 1945 die Kooperation der westeuropäischen Staaten gegen den Ostblock nicht durchgeführt wurde, damit es „Frieden“ gibt, sondern um den kalten Krieg effektiver zu führen und zu gewinnen, soll sie heute eine Weltmachtposition neben den USA erreichen. Frieden gibt es nur insoweit, als dass die Mitglieder der EU ihre Konflikte miteinander nicht kriegerisch austragen, dagegen nach außen gemeinsam oder alleine Kriege wieder führen. Maßgeblich durch Deutschland wurde aus dem viel beschworenen gemeinsamen Haus Europa, die Festung Europa, an deren Mauer Jahr für Jahr tausende Flüchtlinge sterben, Nachbarn mit militä­rischer Potenz einschüchtert und von wo aus vermeintliche „humanitäre Interventionen“ heuchlerisch und zynisch mit der Forderung „Nie wieder Auschwitz!“ betrieben werden. Unter dem Banner „responsibility to protect“ werden Regime-changes zur Schaffung faktischer Protektorate instrumentalisiert. Die blutigsten Kriege der letzten beiden Jahrzehnte im Kongo, in Irak, Afghanistan, Sudan oder um das Kosovo gegen Jugoslawien und andere Sezessionskriege sind geopolitisch motiviert und fanden mit direkter oder indirekter Beteiligung der Bundeswehr statt.. Nach 70 Jahren marschieren immer noch und verstärkt wieder Nazis Auch 70 Jahre nach Zerschlagung der Nazi-Diktatur hetzen Nazis gegen Frieden und Solidarität, dürfen sich zusammenrotten und mit Mord und Totschlag drohen. In ihren fast wöchentlichen Aufmärschen ver­unglimpfen 13 sie Flüchtlinge und Migrant_innen, grölen rassistische und antisemitische Parolen. Doch es bleibt nicht bei Drohungen. Seit 1990 wurden in Deutschland über 180 Menschen Opfer neonazistischer oder rassistischer Gewalt. Behörden und Justiz erweisen sich weniger als unfähig sondern mehr als unwillig. Die Enttarnung des Nazi-Trios um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) verstärkt den Eindruck, dass staatliche Stellen und Nazis Hand in Hand gehen und die Sicherheitsbehörden nun mit allen erdenklichen Mitteln versuchen, dies zu vertuschen. Die Nazis setzen auf ein durch den Staat geschaffenes rassistisches Klima geprägt durch Ausgrenzung, Abschiebung von Asylbewerbern und Kriminalisierung von Flucht und Migration. Ein massiver Abbau von Demokratie, Bürgerrechten, rechts- und sozial­ staatlichen Standards sowie Angriffe auf gewerk­schaftliche Rechte befördern einen Nährboden, auf dem die Demagogie der Nazis gedeihen kann. Was bereits seit dem 9. September 2011 – dem Tag der Terroranschläge unter anderem auf das World Trade Center (WTC) – immer offensichtlicher wurde, zeigt sich in 2014 deutlicher denn je: Gruppen wie die „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) und noch mehr die „Patriotischen Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) stehen für eine antiemanzipatorische, rechte, rassistische und antimuslimische Mobilisierung. Der Kampf gegen den Islam wird unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Salafismus/islamischen Fundamentalismus zum einenden Band zwischen sich gemäßigt gebenden Rassist_innen, der extremen Rechten und sich sonst möglichst unpolitisch gebenden Fußballfans sowie Bürger_innen. Dabei können sie sich auf einen politischen Mainstream stützen, der nicht müde wird den Islam als Ganzes und muslimische Menschen zum Feindbild aufzubauen und auszugrenzen. Gerechtigkeit schafft die Voraussetzung für Frieden Der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus und der Tag des Sieges über die Nazi-Diktatur vor 70 Jahren erinnern uns an unsere Verantwortung vor der Geschichte. Für uns heißt das: Gegen Krieg, Faschismus, Rassismus und Nationalismus. Deshalb treten wir ein: ∙Für eine Gesellschaft, in der Menschen gleiche Rechte haben – unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung. ∙Für ein gemeinsames und konsequentes Zurückweisen jeder neonazistischen und rassistischen Politik, egal aus welcher Partei, Organisation, Strömung oder Person. ∙Für demokratische Rechte und Freiheiten. Schluss mit der immer engmaschigeren Ü­berwachung der Bürger_innen und der Kriminalisierung antifaschistischen Engagements. ∙Für Abrüstung und Frieden. Ächtung und Verweigerung des Krieges. 70 Jahre nach der Befreiung schuldet Deutschland der Welt keine Soldat_innen und keine Waffen, sondern Beiträ­ge zu Frieden, solidarischer Zusammenarbeit und sozialer Gerechtigkeit. 14 DIE NOTWENDIGKEIT EINER UMFASSENDEN ENTSCHÄDIGUNG FÜR ZWANGSARBEIT* Christian Hartz Bundespräsident Gauck machte 2014 die Grundlinie deutscher Entschädigungspolitik deutlich: Rechtsweg ausgeschlossen. Das Kapitel der Entschädigung von NS-Opfern sei „für Deutschland abgeschlossen“. Angesichts des siebzigsten Jahrestags der Befreiung am 8. Mai 1945 muss die Diskussion über „offene Rechnungen“ wegen der NS-Verbrechen erneut vernehmbar werden. Zwangsarbeit war einer der zentralen Bestandteile der deutschen NS-Herrschaft. Ohne sie wäre eine zeitweise erfolgreiche Kriegsführung unmöglich gewesen. Dimensionen der NS-Zwangsarbei Was NS-Zwangsarbeit betrifft, so knüpften die Nazis an Instrumente zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit während der Weimarer Republik an. Die Arbeitsverfassung der Republik wurde zerschlagen, Pflicht- wie Zwangsarbeitsverhältnisse eingeführt. Zwangsarbeit betraf die Häftlinge der Arbeitserziehungslager, Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma, später neben den nach Deutschland verschleppten Kriegsgefangenen und ZivilistInnen auch die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete. HistorikerInnen gehen von ca. 13 Millionen zivilen ZwangsarbeiterInnen innerhalb der Reichsgrenzen aus. Dazu kommen, über die Kriegszeit verteilt, ca. 4,5 Millionen Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz, die mehrheitlich französische und sowjetische Soldaten waren. Ab 1941 setzte man jährlich ca. 1,3 Millionen Kriegsgefangene ein. Die westeuropäischen und polnischen Kriegsgefangenen wurden mit der Zeit in den Zivilstatus überführt. Ausgenommen waren die sowjetischen Kriegsgefangenen, von mindesten 5,7 Millionen überlebten über 3 Millionen die Gefangenschaft nicht. 1939 standen einer ausländischen Arbeitskraft ca. 130 deutsche gegenüber. Bis 1944 reduzierte sich dieses Verhältnis auf 1:4. * Gekürzte und bearbeitete Fassung eines Beitrages für Sozial.Geschichte Online, Heft 15 / 2015. duepublico.uni-duisburg-essen.de/go/sozial.geschichte-online 15 der Vernichtungslager transportierte jüdische KZ-Häftlinge wieder im Reichsgebiet ein. 1944 waren 3/4 aller ausländischen Arbeitskräfte zivile ZwangsarbeiterInnen, 1/4 bestand aus Kriegsgefangenen. Die Mehrheit stellten die „Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion (SU) und Polen, mit über 4,4 Millionen (59 %). Die übrigen Arbeitskräfte kamen aus Frankreich und anderen Ländern. Den größten weiblichen Anteil bildeten mit ca. 51% Frauen aus der Sowjetunion. Im Argrarbereich war nahezu jede/r zweite Beschäftigte ZwangsarbeiterIn. Im Bergbau, der Metallund Chemieindustrie, den Zentren der Rüstungsindustrie, betrug der Anteil ca. 30%. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion waren deutsche, zur Armee eingezogene Arbeitskräfte zu ersetzen. Aus rassistischen Gründen wurde die an polnischen ZwangsarbeiterInnen erprobte Ausgrenzung für zwangsrekrutierte Arbeitskräfte aus der SU verschärft. Die KZ-Lager wandelten sich zu einem Strafsystem für ZwangsarbeiterInnen. Die KZ-Häftlinge wurden ebenfalls in der Produktion eingesetzt. Bereits Ende 1940 fand ein zuerst zögerlicher Einsatz von KZ-Häftlingen in Unternehmen in den KZ-Lagern statt. Ab Sommer 1942 genehmigte die SS, nach Unternehmensanfragen, die KZ-Zwangsarbeit auch außerhalb der Lager. Im Laufe des Jahres 1944 setzte die SS aufgrund des Arbeitskräftemangels in Richtung Resultate der Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen Veränderte staatlichen Lenkung und die Restrukturierung der Industrie ermöglichten zwischen 1941 und 1944 eine Verdreifachung der Rüstungsproduktion. Der millionenfache Einsatz von Zwangsarbeit entfaltete weitere wirtschaftliche Wirkung. ZwangsarbeiterInnen erhielten im Schnitt 50% niedrigere Löhne als deutsche Beschäftigte. Die eingesparten Löhne entsprachen ca. 20 Mrd. RM, die zusätzlich investiert wurden. Nach Ende des Krieges standen in den Industriebetrieben 16 trotz Bombardierungen und Demontagen mehr und modernere Anlagen als vor dem Krieg. Ein Teil des „Wirtschaftswunders“ Deutschlands resultiert aus der mit den vorenthaltenen Löhnen im Krieg finanzierten Erneuerung der Kapitalbasis der deutschen Industrie. Zwangsarbeitsentschädigungen Die vorenthaltenen Löhne betrugen 1999 geschätzte 114 Mrd. €, das entspricht rechnerisch ca. 7.500 € pro Zwangsarbeitskraft. In Anbetracht dieser Schätzung fiel die Höhe der von der Stiftung „Erinnerung Verantwortung und Zukunft“ zur Verfügung gestellten Entschädigungssumme niedrig aus. Es wurden etwas über 4 Mrd. € ausgezahlt, bis zu 7.500 € an ehemalige KZ-Häftlinge und bis zu 2.500 € an ehemalige ZwangsarbeiterInnen. Von ca. 13 Millionen ZwangsarbeiterInnen lebten im Jahr 2000 noch ca. 2,7 Millionen. Kriegsgefangene, Landarbeits-, Kommunal-, und Kirchenarbeitskräfte sowie Dienstleistungsbeschäftigte blieben von einer Entschädigung ausgeschlossen, außer sie erlitten KZ-Haft. Von den im Jahre 2000 noch lebenden ehemaligen ZwangsarbeiterInnen blieben ca. 1,3 Millionen anspruchsberechtigte übrig. Resümee Ende 2012 weist das Bundesfinanzministerium Entschädigungsleistungen von ca. 70 Milliarden € aus. Der darin enthaltene Anteil für die ZwangsarbeiterInnen entspricht ca. 3,5% aller Entschädigungsleistungen. Gelingt es nicht, nochmals eine internationale Kampagne zu initiieren, die die Unzulänglichkeiten und offenen Fragen bezüglich der bisher erfolgten Entschädigung klärt und erweitert steht einer Schlussstrichpolitik nichts im Wege. 17 ANTIFA Erben der Antifaschistischen Aktion Der deutsche Kommunist Hans Beimler schrieb nach seiner abenteuerlichen Flucht aus dem Konzentrationslager Dachau im Mai 1933, was er dort an Folterungen, Erniedrigungen, aber auch an Solidarität unter den Häftlingen erlebte. Ihm ging es insbesondere darum, zum Widerstand gegen die Nazidiktatur in Deutschland und im Ausland aufzurufen. Er sah die Machtergreifung der Nazis vor allem in der Spaltung der Arbeiterklasse, aber auch der mangelnden Einheitsfront aller antifaschistischen Kräfte begründet. Seine Konsequenz war, bei allen politischen Unterschieden, gemeinsam gegen den Faschismus mit allen zu kämpfen, die dazu bereit waren und sich dafür gewinnen ließen. Damit war Beimler auch ein Verfechter der am 10. Juli 1932 während des Reichseinheitskongresses in Berlin ausgerufenen Antifaschistischen Aktion. Für Hans Beimler war die praktische Konsequenz, dass er zunächst illegale Aufklärungs- und Bündnisarbeit von Frankreich, der Tschechoslowakei und der Schweiz aus leistete. Später ging er mit den ersten Freiwilligen nach Spanien, um dort mit den Internationalen Brigaden die Volksfront gegen Franco zu unterstützen. Am 1. Dezember 1936 fiel Hans Beimler vor Madrid. Das Vermächtnis ist der Grundgedanke einer antifaschistischen Aktionseinheit im Kampf gegen alte und neue Nazis. Zur Abwehr neonazistischer Gefahren müssen breite Bündnisse von den Arbeiterinnen und Arbeitern bis zu Unternehmerinnen und Unternehmern, von Atheisten bis zu Christinnen und Christen, von sozialdemokratischen, kommunistischen und gewerkschaftlichen bis zu auch konservativen und liberaldemo- 18 kratischen Kräften usw. sein, die fähig und entschlossen sind, gegen faschistische Ideologien und Strukturen zu kämpfen. Dieses Vermächtnis speist sich für die radikale Linke genauso wie bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVNBdA) aus dem Schwur von Buchenwald: “Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.” Die VVN-BdA ist dabei ein Zusammenschluss (partei)politisch unterschiedlich orientierter und motivierter Personen. Sie eint der Kampf – unabhängig davon wie dieser im Detail verstanden wird – gegen (neo)nazistische Gruppen und deren ideologischen Versatzstücke. Dabei sieht ein Teil der Mitgliedschaft diesen Kampf unabhängig vom Kampf gegen den Kapitalismus. So teilen sie möglicherweise noch Theodor Adornos Sorge, dass „das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie […] potentiell bedrohlicher [ist] denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie“, die er 1980 in seinem Vortrag „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“ äußerte. Doch wollen viele nicht den Schluss von Max Horkheimer ziehen: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll über den Faschismus schweigen.“ Konsequenter Antikapitalismus ist der nachhaltigste Antifaschismus Drei zentrale Bezugsgrößen waren und sind identitätsstiftend für die Politik der radikalen Linken; sei es nun die radikale Linke, die parlamentarische oder außerparlamentarische Linke, anarchistische, syndikalistische oder kommunistische Linke: Antifaschismus, Antikapitalismus und Antirassismus. Die Notwendigkeit antifaschistischer und antirassistischer Arbeit ist offensichtlich. Denn gerade im Zuge der deutschen Vereinigung 1990 fand im nationalistischen Taumel eine Hetzkampagne von Politik und Leitmedien gegen einen angeblichen „Asylmissbrauch“ und gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“ sowie eine herbei halluzinierte „Asylantenflut“ statt. Die Folge waren 1992 pogromartige Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Ähnliche rassistische Angriffe hatte es bereits 1991 im sächsischen Hoyerswerda und im Mai 1992 in Mannheim in Baden Württemberg gegeben. Von 1990 bis 1992 verfünffachte sich die Zahl rechter Straftaten auf mehr als 7.000. Allein 1992 fielen mindestens 18 Menschen rassistischen Angriffen zum Opfer. Dieser Rassismus der Straße fand am 26. Mai 1993 seine gesetzliche Umsetzung, als sich CDU/ CSU, FDP und SPD 1992 als vormalige geistige Brandstifter/innen nun zum Erfüllungsgehilfen des rassistischen Mobs machten 19 und den sog. Asylkompromiss beschlossen und damit faktisch das Recht auf Asyl abschafften. Drei Tage nach dem Beschluss starben erneut fünf Menschen durch einen rassistisch motivierten Brandanschlag auf ein Haus in Solingen. Seit 1990 sind nach Recherchen der MUT-Redaktion und des Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung über 180 Menschen durch Nazis sowie Rassistinnen und Rassisten ermordet worden. Zu ihnen gehören auch 10 Opfer der Nazi-Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Über 13 Jahre konnten die drei NSU-Mitglieder neun rassistisch motivierte Morde begehen, eine Polizistin töten und sich für zwei schwere Bombenanschläge sowie ca. 14 Banküberfälle verantwortlich zeichnen. Antifaschismus kommt aber aus radikal linker Sicht an einer Auseinandersetzung mit kapitalistischen Herrschaftsstrukturen nicht vorbei, will er sich nicht allein an den Symptomen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Rechtstrends abarbeiten. Antifaschistischer Kampf ist in dieser Hinsicht der „Kampf ums Ganze“. Denn der „bürgerliche Antifaschismus“, der die bürgerlich-parlamentarische Demokratie verteidigen will, bzw. einen „sozialen“ und „humanen“ Kapitalismus anstrebt, bietet selbstredend Ansatzpunkte zum gemeinsamen Kampf gegen nazistische Bestrebungen. Doch Sozialstaat beinhaltet eben nur die nationalstaatliche Milderung der Auswirkungen des Zwangs- verhältnisses der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, nicht seine Aufhebung. Antifaschismus, der den Schwur von Buchenwald einlösen, d. h. den Nazismus mit seinen Wurzeln beseitigen und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufbauen will, muss daher in seiner weiterführenden Perspektive den Kapitalismus angreifen. Er muss antikapitalistisch sein, will er Grundwerte wie Emanzipation, ein Leben ohne Ausbeutung, freie Entfaltung aller und gleiche Rechte für alle verwirklichen. Kapitalismus braucht die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die dem kapitalistischen System immanente Konkur- 20 renzlogik trifft sich in diesem Punkt mit dem Verständnis der Nazis von einem ständigen Kampf ums Dasein, von der Einteilung in Höher- und Minderwertige, vom Überleben des Stärkeren. Sozialdarwinismus und Rassismus sind ideologische Übersetzer der Verwertungslogik. Verdrängungsprozesse im Zuge der Privatisierung öffentlicher Räume, führen faktisch zu „No-Go-Areas“ für Obdachlose und Drogenabhängige. Sichtbar Arme, Obdachlose und bettelnde Menschen stören das Bild. Das gilt auch für die öffentliche Debatte über „nützliche“ und „unnütze“ Ausländer bzw. Migrantinnen und Migranten. Die „unnützen“ Migrantinnen und Migranten, wie viele Flüchtlinge, werden abgeschoben, oftmals in Hunger, Elend, Folter oder gar in den Tod. Dass sich Nazis unter einem Klima des Primats der Verwertbarkeit häufig als verlängerter Arm und Vollstrecker eines staatlichen Konzeptes der Verdrängung sehen, bzw. als solcher wahrgenommen werden, überrascht deshalb kaum. Erst, wenn die Nazis sich als Bedrohung für die „nützlichen“ Ausländerinnen und Ausländer oder für die „Standortkonkurrenz“ erweisen, bekommen sie dies zu spüren. Versuch der Entsolidarisierung Hinsichtlich antifaschistischer Aktivitäten (Gegendemos, Blockaden von Nazi-Demos etc.) zielt die Debatte als auch das staatliche Agieren vordergründig darauf ab, die außerparlamentarische radikale Linke als Bündnispartnerin und damit die antifaschistischen Bündnisse generell durch Ent- solidarisierung und Distanzierung von- und untereinander zu schwächen. Dabei ist die Auseinandersetzung um Militanz das Einfallstor für die Frage, wer mit wem in antifaschistischen Bündnissen zusammenarbeiten darf. Staatsschutz, Verfassungsschutz und andere Strafverfolgungsbehörden nutzen ihre Möglichkeiten, konservative Kräfte in Politik, Wirtschaft und Medien auf ihre Weise dahingehend zu unterstützen, einer engeren Zusammenarbeit zwischen parlamentarischen Parteien und den außerparlamentarischen Linken gezielt entgegenzuwirken. Insbesondere die Etikettierung als „verfassungsfeindlicher Extremismus“ soll links und rechts gleichgesetzt, der Widerstand gegen Nazis und gesellschaftliche Ungleichheit mit der reaktionären Hetze von NPD und Kameradschaften auf eine Stufe gestellt werden. Darüber hinaus geht es aber auch um die Spaltung des Protestes der linken Kräfte in Gut und Böse. Im Mittelpunkt stehen dabei Aktionsformen, die sich z.B. gegen Ämter, die mit Hartz IV zu tun haben und deshalb mit Repression in Verbindung gesetzt werden;. gegen Rüstungskonzerne, Bundeswehr und Militärlogistiker wie DHL und Deutsche Post AG, die mit weltweiten Kriegen (beide für das US-Militär im Irak und auch für die Bundeswehr in Afghanistan) oder die Deutsche Bahn mit Castortransporten assoziiert werden, richten. Gerade in Großstädten wie Berlin und Hamburg sind es aber auch Aktivitäten gegen Luxussanierungen und Fragen 21 der Stadtumgestaltung nach neoliberalen Maßstäben, die zu Protesten führen. Nicht entsolidarisieren (lassen)! Für die radikale Linke ist die Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen gesellschaftlichen Akteuren wie der VVN-BdA wesentlicher Teil der politischen Wirkungsmacht. Gerade in diesem Zusammenspiel sowie der Vernetzung mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen, anderen antifaschistischen und antirassistischen sowie antimilitaristischen Gruppen ist entscheidend für die gesamtgesellschaftliche Kampagnenfähigkeit der linken Kräfte. Natürliche Bündnispartner/ innen sind jene Menschen, die die Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wollen, um den Kapitalismus zugunsten einer friedlichen, sozial gerechten und solidarischen Gesellschaft zu überwinden; einer Gesellschaft, in der im Sinne von Marx „die freie Entwicklung jedes Einzelnen die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ ist. Darüber hinaus aber brauchen wir auch ein Bündnis mit jenen Kräften, die innerhalb der ihnen gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen den Kampf gegen Patriarchat, Militarismus, Repression, Rassismus und Antisemitismus führen wollen. Hier gibt es mit der VVN-BdA und deren Mitgliedschaft viele Berührungspunkte. Klar ist: die radikale Linke und die VVN-BdA haben eine eigene Logik des politischen Handelns. Daraus resultieren auch sehr unterschiedliche Organisationskulturen und Aktionsformen. Diese beinhalten jede für sich spezifische Stärken, Schwächen und Aufgaben. Trotz aller möglichen Widersprüche gibt es punktuell gemeinsame Interessen. Deren Zusammenwirken schafft die Voraussetzung für ein effektives Agieren gegen Neonazismus und Rassismus. Gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung der unterschiedlichen Ansprüche und Herangehensweisen an Politik ist hierbei Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit. Wichtig ist, tatsächlich gesellschaftlich zu intervenieren. Das bedeutet aber nicht, in breiten Bündnissen Repräsentantinnen und Repräsentanten der „gesellschaftlichen Mitte“ nicht mehr mit den Konsequenzen ihrer eigenen Politik zu konfrontieren. Diese Politik muss auch weiterhin in Frage gestellt werden. Bündnisse um der Bündnisse wegen darf es nicht geben. Ein gemeinsames Agieren gegen Neonazismus und Rassismus muss selbstverständlich auch das Bündnis 22 selbst zum Schauplatz gesellschaftlicher Auseinandersetzungen machen. Wer was wann politisch mitgetragen und beschlossen oder dagegen gestimmt bzw. eingesetzt hat, muss thematisiert werden können. Das geht natürlich oftmals nicht konfliktfrei; ja brachten manch herbe Enttäuschung; auf allen Seiten. Antifaschistische Politik bleibt erfolglos, wo sie versucht, mit bürgerlichen Kräften zusammen zu agieren und dafür deren oftmals rassistischen und nationalistischen Argumentationen in den Bündnissen ignoriert und sie somit gar mitträgt. Immer wieder steht die VVN-BdA wegen ihrer Zusammenarbeit mit antifaschistischen Gruppen wegen vermeintlicher Unterstützung „extremistischer“ Gruppierungen im Fokus der Sicherheitsbehörden wie dem Verfassungsschutz. Bestes Beispiel sind die Aktivitäten rund um den 13. Februar 2010 in Dresden gegen den damals größten Naziaufmarsch Europas. Dort vereinnahmte die Oberbürgermeisterin von Dresden, Helma Orozs, im Zusammenspiel mit den Behörden (einschließlich Polizei) im Handstreich den Anti-Nazi-Protest und erklärte die von ihr mitinitiierte Menschenkette zum einzig demokratischen Protest und einzig „würdige“ Form des Gedenkens. Den in diesem Sinne „dialogbereiten“ respektive dem vermeintlich demokratischen Spektrum wurde entsprechend ein offenes Forum geschaffen. Die anderen werden als „Gewaltbereite“ bzw. 1 www.zentralratdjuden.de/de/topic/70.html „Militante“ kriminalisiert. Wer sich aus Sicht der Konservativen und Sicherheitsbehörden nicht hinreichend von diesen „Gewaltbereiten“ bzw. „Militanten“ distanziert sowie deren Kriminalisierung selbst bei Umgehung propagierter rechtsstaatlicher Methoden nicht mit trägt, wird selbst Ziel politischer Anfeindungen. Der Generalsekretär des Zentralrats des Juden, Stephan J. Kramer, der selbst an der Menschenkette teilgenommen hat, sagte dagegen: „Hätten sich die Blockaden nicht als so erfolgreich erwiesen, hätte auch die Menschenkette keinen Erfolg gehabt“. Auch Nora Goldenbogen, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, würdigte die Aktivitäten des Bündnis ‚Nazifrei - Dresden stellt sich quer‘. „Ohne sie hätten wir unsere Aktion nicht durchziehen können.“1 Unabhängig also von der Frage, welche Vorgehensweise, im Detail der/die Einzelne und die beteiligten Organisationen und Gruppen richtig finden oder verwirklichen könnten, muss es genau um diese Abstimmung des Widerstandes und gegenseitige Akzeptanz geben. Das heißt, dass sich die stattfindenden unterschiedlichen Protest- und Widerstandsformen solidarisch zueinander verhalten, konstruktiv ergänzen und sich im Wechselspiel zu einem gemeinsamen Erfolg verhelfen müssen. 23 KONSEQUENT GEGEN NEONAZISMUS, NATIONALISMUS, ANTISEMITISMUS, RASSISMUS UND KRIEG Solidarisch mit Geflüchteten und Opfern rassistischer Gewalt Gestern… Am 16./17. Januar 1948 wurde in den Räumen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gegründet. An der Gründungsversammlung nahmen Delegierte der Naziopfer aller Berliner Stadtbezirke teil. Sie verstanden sich als Repräsentant_innen der Überlebenden des Holocausts, der antifaschistischen Widerstandskämpfer_innen, der Verfolgten des Naziregimes, der Überlebenden der Zuchthäuser und Konzentrationslager, der antifaschistischen Exilant_innen. Ihre Forderung lautete: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Die befreiten Häftlinge des KZ Buchenwald brachten das Vermächtnis des Schwurs von Buchenwald mit: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel! Dass dieser Schwur vom 19. April 1945 bis heute schmerzhaft aktuell bleiben würde, hätte damals keiner der befreiten Häftlinge geglaubt. So bleibt und ist er unser Leitmotiv. … und heute Heute ist die Berliner VVN-BdA einer der ältesten und mit etwa 700 Mitgliedern auch die größte antifaschistische Organisation Berlins. Beitreten kann jede/r, die/der unsere Ziele teilt. Und das haben in den vergangenen Jahren viele Menschen getan, von 18 bis 80. Unsere Bundesorganisation hat deutschlandweit 7.000 Mitglieder. Die von uns initiierten Kampagnen wie „NoNPD“ zum Verbot der Neonazipartei NPD oder „Naziaufmärsche blockieren ist unser Recht“ und Veranstaltungen 24 wie unsere jährlichen Kundgebungen am 8. Mai zum Tag der Befreiung vom Faschismus, unser Fest zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai oder der „Tag der Mahnung, Erinnerung und Begegnung“ im September, seit dem 9. September 1945 als Tag der Opfer des Faschismus begangen, bringen das sonst stark fragmentierte antifaschistische Spektrum zusammen. Die VVN-BdA beteiligt sich bundesweit nach Kräften an zahlreichen bundesweiten und lokalen antifaschistischen Bündnissen und Initiativen gegen Neonazi-Aufmärsche, gegen rassistische Proteste vor Asylbewerberheimen und gegen islamfeindliche Hetze von „Pegida“ „Pro Deutschland“ und ähnlichen Gruppierungen. Solidarität mit Flüchtlingen und Migrant_innen, die staatlichen Repressionen, rassistischen Sondergesetzen und nicht selten Neonaziterror ausgesetzt sind, ist ein unbedingtes Muss in unserer Organisation. Wir setzen uns für die Entschädigung der Angehörigen von deutschen Massakern in Italie, Griechenland und Frankreich sowie von italienischen Zwangsarbeitern und sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Wir sind auch europaweit aktiv, als Mitglied der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer F.I.R haben wir zum Beispiel 2014 gegen einen Aufmarsch von Waffen-SS-Veteranen in Riga demonstriert. Antifa*schismus - keine Frage des Alters Bei uns treffen 14-jährige Schüler_innen auf 90-jährige ehemalige antifaschistische Emigrant_innen und Widerstandskämpfer_innen. Bei uns treffen sich auch die An- gehörigen der „zweiten Generation“, also die Nachkommen der Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen. Hier diskutiert der Enkel mit dem Opa und auch auf Demonstrationen und Blockaden gegen Neonazis stehen oder sitzen drei Generationen Schulter an Schulter. Das ist manchmal anstrengend, aber auch wunderschön. Gerade für viele der älteren Mitglieder ist die VVN-BdA auch eine politische Heimat mit gewachsenen persönlichen Beziehungsnetzen, in der praktische Solidarität gelebt wird. Der Berliner VVN-BdA ist der generationsübergreifende Kontakt unter den Antifaschist_innen besonders wichtig. „Unser“ Antifaschismus – Einigkeit in Vielfalt Die Berliner VVN-BdA vereint Antifaschist_innen aus Ost und West. Wir haben ganz unterschiedliche politische und persönliche Biografien und kommen aus unterschiedlichen antifaschistischen Traditionslinien und sozialen Bewegungen. Wir verstehen uns ausdrücklich als partei- und strömungsübergreifende Organisation. Das führt zu mitunter anstrengenden aber immer interessanten Diskussionen. Es eröffnet uns zugleich den Zugang zu einem breiten gesellschaftlichen Spektrum – und da wollen wir auch hin! Um es mit den Worten des jüdischen kommunistischen Résistancekämpfers Peter Gingold (8. März 1916 – 29. Oktober 2006) zu sagen: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. (…) Heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle künftigen Generationen gibt 25 es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“ Wir treten für einen weiten Begriff von Verfolgung und Widerstand ein, der alle gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen umfasst, die aus unterschiedlichen Gründen zu Opfern des Nazi-Regimes wurden. Gerade weil der VVN-BdA die als sogenannte „Zigeuner“ oder „Asoziale“ Verfolgten ebenso wichtig sind wie die aus politischen oder religiösen Gründen Verfolgten, die jüdischen Menschen oder die Opfer der nazistischen Eroberungsund Vernichtungskriege, ist sie auch heute besonders wachsam. Die in der Nazizeit wirksamen Ideologien und Ausgrenzungsmechanismen spielen noch heute eine Rolle. Dass Antisemitismus – nicht nur in Deutschland – wieder zu einer Meinung unter anderen zu werden droht, bereitet uns große Sorgen. …für Morgen: Das antifaschistische Erbe weitertragen Als größten Schatz betrachtet die Berliner VVN-BdA die Erfahrungen der Verfolgten und Widerstandskämpfer_innen in ihren Reihen und ihrem Umfeld. Das Erbe von Verfolgung und Widerstand hat aktuelle politische Gültigkeit, denn Ideologien der Ungleichwertigkeit, Ausgrenzung und Unterdrückung bestehen auch heute noch und gewinnen wieder an „Attraktivität“, wie nicht nur die rassistischen „Pegida“-Demonstrationen zeigen. So sie noch leben, sind die ehemaligen www.vvn-bda.de, www.berlin.vvn-bda.de, www.npd-verbot-jetzt.de Nazi-Verfolgten keine bloßen Zeitzeug_innen, sondern aktive Mitkämpfer_innen für unsere Ideale und Ziele. Sie haben uns erklärt, was es bedeutet, als Flüchtling leben zu müssen, was es bedeutet, nicht mehr als Mensch betrachtet zu werden. Aber sie haben uns auch nahegebracht, wie wichtig Solidarität und Widerstand sind. Sie haben uns begleitet, unterstützt und ermutigt. Wir werden unsere Kämpfe bald ohne sie führen und eigene Worte und Wege finden müssen. Die VVN-BdA versucht, ihre Stimmen auch für zukünftige Zeiten einzufangen und immer wieder in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen, zum Beispiel durch Zeitzeug_innen-Gespräche, Veranstaltungen und Ausstellungen. In einer Zeit, in der das Erinnern und Gedenken an die Zeit des Nazismus nur zu häufig im Interesse staatlicher und nationaler Image-Pflege betrieben wird, sieht sich die VVN-BdA in der Pflicht zur Mahnung und Aufklärung. Die Berliner VVN-BdA tritt energisch gegen jede Verfälschung der Geschichte ein, insbesondere gegen Versuche, bestimmte Gruppen von Verfolgten und Widerständigen abzuwerten und in Vergessenheit geraten zu lassen. Und nicht zuletzt wendet sich die VVN-BdA energisch gegen alle Versuche, Faschismus und Nazismus mit dem Sozialismus gleichzusetzen und so zu verharmlosen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! 26 DIE BUNDESREGIERUNG INSTRUMENTALISIERT DEN 70. JAHRESTAG GEGEN RUSSLAND Bundesregierung will Nazi-Kollaborateure nicht verurteilen Im Dezember 2014 verabschiedete die UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit eine Resolution zur Bekämpfung der Glorifizierung des Nazismus. In 48 Punkten wurde darin unter anderem vorbehaltlos die Leugnung des Holocausts verurteilt und eine tiefe Besorgnis über die Verherrlichung des Nazismus ausgedrückt. Für den Resolutionsentwurf stimmten 115 Staaten, 54 weitere Staaten (darunter alle EU-Staaten) enthielten sich. Die USA, Kanada und die Ukraine stimmten sogar dagegen. Die ukrainische Ablehnung wurde damit gerechtfertigt, dass der Stalinismus auch viele Menschen im Gulag getötet habe und sowohl Hitler als auch Stalin Kriminelle seien. Deswegen dürfte nicht nur die Verherrlichung des Nazismus kritisiert werden. 70 Jahre nach der Befreiung erklärt die Bun- desregierung also die Verherrlichung von Angehörigen der Waffen-SS und Kämpfern gegen die Anti-Hitler-Koalition für unbedenklich. Die Kollaboration mit den Nazi ist offenkundig kein Problem, solange die Betreffenden nicht in Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert waren. Das wird aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Dagdelen von der Linksfraktion im Bundestag deutlich (Bundestagsdrucksache 18/3779). Damit stellt sich die Bundesregierung schützend vor Nazi-Kollaborateure und Partnerländer wie Ungarn, die baltischen Staaten und auch die Ukraine. Denn in diesen wird das Andenken an die Opfer des Nazismus durch die Errichtung von Denk- 27 und Ehrenmälern und die Veranstaltung öffentlicher Demonstrationen von ehemaligen Mitgliedern der SS beschmutzt. Gleiches geschieht auch durch die Verklärung derer, die gegen die Anti-Hitler-Koalition kämpften und mit der nationalsozialistischen Bewegung kollaborierten (wie z.B. Angehörige der SS-Division Galizien, 15. Waffen-Grenadier-Division der SS (lettische Nr.1), Sonderkommando Arajs, 20. Waffen-Grenadier-Division der SS (estnische Nr. 1) etc.) zu „Mitwirkenden nationaler Befreiungsbewegungen“. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise und der anti-russischen Hetze werden gezielt Nazi-Kollaborateure und ihr Kampf gegen die Rote Armee politisch instrumentalisiert, um ihren „patriotischen“ Kampf gegen die Sowjetunion mit dem jetzigen Kampf gegen Russland zu verbinden. Wenig verwunderlich, wenn die Bundesregierung den zunehmenden geschichtsrevisionistischen Kult um Stepan Bandera sowie die „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) und die „Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA) akzeptiert. Schließlich sind in der verbündeten ukrainischen Führung extreme Rechte vertreten, die Anhänger von Bandera oder der UPA sind oder sich in deren Stil äußern. So beschimpfte der ukrainische Regierungschef Jazenjuk seine Gegner im Bürgerkrieg als „subhumans“ („Untermenschen“) und erweckte im deutschen Fernsehen den Anschein, dass nicht Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfallen habe, sondern das Opfer gewesen sei. 70. Jahrestag der Befreiung ist der Bundesregierung egal Die Bundesregierung stellt sich aber nicht nur schützend vor ihre Verbündeten und Nazi-Kollaborateure. Sie instrumentalisiert die Krise mit Russland, um das Gedenken an die Sieger über den deutschen Zivilisationsbruch zu entsorgen. Während sie im letzten Jahr noch mit einigem Tamtam den 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges beging (BT-Drucksache 18/686), fällt der 70. Jahrestag der Befreiung vom Nazismus bei ihr ins bundespolitische Nirwana. Sie verweigert damit vor allem den Angehörigen der Roten Armee ein ehrendes und würdiges Gedenken. Denn sie war es, die dem Morden in Auschwitz ein Ende gesetzt und mit enormen Opfern wesentlich zur Niederlage der Nazi-Diktatur beigetragen hat. Doch weder im In- noch im Ausland plant die Bundesregierung irgend welche eigenen Aktivitäten. Das ist ein offener Affront gegen die noch lebenden und für die Freiheit gefallenen Befreier_innen. Diese Ignoranz insbesondere gegenüber Russland als Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist besonders deutlich im Streit um die Einladung des ukrainischen Präsidenten Poroschenko und der faktischen Ausladung des russischen Präsidenten Putin geworden. Zu dieser Ungeheuerlichkeit stellte der Direktor des Jerusalemer Büros des Otto-Wiesenthal-Instituts, Ephraim Zuroff, fest, dass „es die Rote Armee gewesen sei, die dem Morden in Auschwitz ein Ende gesetzt und mit enor- 28 men Opfern wesentlich zur Niederlage des Dritten Reichs beigetragen habe“ und, „wenn es jemand verdiene, an den Feierlichkeiten teilzunehmen, dann Putin“. Ähnlich äußerte sich der Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees (CID). zusätzlich zum Weltflüchtlingstag noch einen nationalen Gedenktag einführt, der der Flucht und Vertreibung der Deutschen gedenkt. Gemeint sind dabei insbesondere die „deutschen Vertriebenen“ nach dem „Potsdamer Abkommen“. Wenig verwunderlich ist, dass die Bundesregierung zusätzlich zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, den 8. Mai nicht als Feier- und Gedenktag an die Befreier_innen einführen will. Ihr Geschichtsverständnis zeigt die deutsche Regierung lieber, in dem sie Wir verurteilen jedwede Form der Verherrlichung des Nazismus unmissverständlich. Dazu gehört auch die Nazi-Kollaboration, die den rassistischen Massenmord und Vernichtungskrieg mit möglich gemacht hat. Unser Dank gilt jenen, die die Menschheit vom Nazismus befreit haben. 9. MAI - TAG DES SIEGES Fest zum 70. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus S-BAHNHOF TREPTOWER PARK PUS CHK INA LLE E ATZ PARKPNLGARTEN ROSE Musik: Internationale Musikgruppe Impuls Gropiusstadt / Trio Dawaj Walaj Trio Scho? / MirMix Orchestra / Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot / Polkageist / Zeitzeug_innen / Führung zum Ehrenmal / Russische Küche Kinderspiele / Informations- und Bücherstände 11 Uhr Parkplatz Treptower Park an der Puschkinallee (Rosengarten) in der Nähe des Sowjetischen Ehrenmals