Auswirkungen für Pharmaunternehmen mit Blick auf die Onkologie

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: V O R T R A G
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Individualisierte Medizin –
die Grenzen des Machbaren
Auswirkungen für Pharmaunternehmen
mit Blick auf die Onkologie-Forschung
DR. CLEMENS STOFFREGEN, MEDICAL AFFAIRS MANAGER EUROPE, LILLY DEUTSCHLAND / PROFESSOR DR. AXEL-RAINER HANAUSKE,
VICE PRESIDENT LILLY ONCOLOGY MEDICAL EUROPE, AUSTRALIA, ELI LILLY AND COMPANY
V
ergleichsweise wenige neue Substanzen,
Einleitung
Nischenprodukte statt Blockbuster: Angesichts der hohen Versagerrate von Phase
3-Studien setzen forschende Pharmaunternehmen
immer häufiger auf ein adaptives Studiendesign, um
den Misserfolg klinischer Tests bereits in früheren
Phasen vorhersagen zu können. Dabei steht für viele
Unternehmen der wettbewerblich stark umkämpfte
Onkologie-Markt im Fokus des Interesses. Besonders
dort wird die personalisierte Behandlung von Krebspatienten in Verbindung mit prädiktiven Biomarkern
erforscht. Dabei wird das Design klinischer Studien
in den Phasen 1 und 2 bei der Entwicklung personalisierter Therapien mit dem Ziel verändert, möglichst
früh eine therapeutische Beurteilung des neuen Produkts erreichen zu können. An mehreren Beispielen
lässt sich zeigen, dass die Identifikation der richtigen
Targets und die Auswahl der passenden Patienten
gute Erfolge bei der Entwicklung gezielter Krebstherapien gehabt hat.
Seit einigen Jahren setzen große Pharmakonzerne weltweit vermehrt auf den Ausbau ihrer Onkologie-Pipelines.
Dabei werden sie nicht nur durch harte Konkurrenz auf
dem Markt und steigenden Kostendruck, sondern auch
durch hohe Versagerquoten im Verlauf der klinischen Entwicklung vor Probleme gestellt. So kann häufig in Phase
3-Studien der für die Zulassung eines Präparates nötige
Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werden.
Auch gestiegene Anforderungen an die Sicherheit und
Verträglichkeit neuer Therapien tragen dazu bei, dass nur
vergleichweise wenig neue Substanzen zugelassen werden.
Die Kosten für die klinische Entwicklung neuer Arzneimittel
sind in den letzten Jahren stark gestiegen (Abbildung 1).
Produkte, die in der präklinischen Entwicklung Antitumorpotenzial zeigen und erst in den späten, kostenintensiven
Phasen der klinischen Entwicklung aufgrund mangelnder
Wirksamkeit oder schwerer Nebenwirkungen versagen,
stellen für die Forschung ein Finanzierungsproblem und
für Pharmunternehmen ein hohes ökonomisches Risiko
dar. Es werden dringend neue Ansätze benötigt, um die
Erfolgsquote für Neuentwicklungen in der Krebstherapie
zu erhöhen.
Derzeit wird die Forschung in der Onkologie dominiert
von der Entwicklung personalisierter, zielgerichteter Therapien in der Hoffnung, die personalisierte Medizin könne
den Weg hin zu höheren Wirksamkeitsraten und höheren
Erfolgsquoten bei der Entwicklung bereiten.
Im Gegensatz zur klassischen Chemotherapie, bei
der Zytostatika weitgehend unabhängig vom individuellen
Tumortyp angewendet werden, werden bei der personali-
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Neuzulassungen auf dem Pharmamarkt und Anstieg der Kosten für die Produktentwicklung
60
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30
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13
Kosten für F&E
39
Neuzulassungen
(Milliarden US-Dollar)
Neuzulassungen
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Kosten für F&E
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1963
1968
1973
1978
1983
1988
1993
1998
2003
0
2008
Quelle: Modiziert nach: Kaitin KI. Clin Pharmacology & Therapeutics 2010
Abbildung 1: Die Entwicklung neuer Wirkstoffe hat sich für forschende Pharmaunternehmen in den vergangenen Jahren immer öfter zu einem
ökonomischen Risiko entwickelt.
sierten Medizin stratifizierte Patientengruppen zielgerichtet
behandelt. Dies erfolgt unter Berücksichtigung krankheitsrelevanter, individueller molekularbiologischer Merkmale
des Tumors und soll zu einer Steigerung der Erfolgsquote
führen. Bedingt durch die zunehmende Personalisierung
der onkologischen Therapie findet eine Verlagerung der
Forschungsschwerpunkte statt, weg von sogenannten
Blockbustern hin zu teuren Nischenpräparaten für kleinere Zielgruppen.
Aktuelle Trends in der Krebsforschung
Trotz historisch niedriger Erfolgsquoten in der onkologische Produktentwicklung boomt der Markt für Krebsmedikamente, und weltweit setzen Pharmaunternehmen auf
die Erweiterung ihrer Onkologie-Pipelines. Dabei führen
unter anderem die hohe Versagerquote bei der Entwicklung neuer aktueller Therapien, die verschärfte Wettbewerbssituation auf dem Markt und hohe Produktionskos-
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ten dazu, dass Pharmaunternehmen sich zunehmend auf
die Entwicklung personalisierter Therapien für spezifische
Patientengruppen konzentrieren und das Design ihrer Studien, insbesondere in den frühen Phasen klinischer Entwicklung, neu überdenken.
Niedrige Erfolgsquote bei Neuentwicklungen in der
Krebstherapie
Die Erfolgsquote bei der Entwicklung neuer Arzneimittel für die Krebstherapie ist deutlich niedriger als in anderen therapeutischen Gebieten. Nur etwa fünf Prozent
aller onkologischen Neuentwicklungen, die in der präklinischen Entwicklung Antitumorpotenzial zeigen, können
in den späteren klinischen Phasen bestehen und erhalten
die Zulassung. Zudem werden viele bereits zugelassene
Wirkstoffe wegen starker Nebenwirkungen oder einem
unzureichenden Nachweis der Wirksamkeit wieder vom
Markt genommen.
Die Gründe für die vergleichsweise niedrige Prozentzahl an Neuzulassungen sind komplex. Oft beruht das
Versagen eines neuen Wirkstoffs auf der Unzulänglichkeit des entsprechenden präklinischen Modells. Ein in der
präklinischen Entwicklung gezeigtes Antitumorpotenzial
kann häufig in klinischen Studien späterer Phasen nicht
bestätigt werden. Probleme können aber auch in der klinischen Entwicklung entstehen, beispielsweise durch ein
unzureichendes Design oder die Wahl unpassender Endpunkte in Phase 2-Studien, was zu falschen Voraussetzungen für den Übergang in die Phase 3 führen kann. Doch
selbst wenn das präklinische Modell sorgfältig auf Basis
eines validierten Targets ausgewählt wurde und die Phase
2-Studien erfolgreich waren, können im späteren Verlauf
schwere Nebenwirkungen auftreten, die unweigerlich zum
Scheitern der Zulassung oder zur Marktrücknahme bereits
zugelassener Wirkstoffe führen.
Die hohe Versagerrate teurer Phase 3-Studien von etwa
63 Prozent stellt für Pharmafirmen ein enormes Finanzierungsproblem dar. Eine Steigerung der Erfolgsquote ist nur
dann möglich, wenn bereits in der präklinischen Entwicklung molekulare Targets korrekt identifiziert und validiert
werden, mögliche Resistenzmechanismen verstanden sind
und die Phase 1- und 2-Studien so geplant werden, dass
sie aussagekräftige Ergebnisse für die Entscheidung über
ein „go“ oder „no go“ bzw. das Design der folgenden
Phase 3-Studien liefern.
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Adaptives Studiendesign
Um das Design der teuren Phase 3-Studien zu optimieren,
oder einen Misserfolg bereits in den früheren Phasen klinischer Entwicklung vorherzusagen und somit den Umfang
und die Kosten klinischer Studien zu reduzieren, geht der
Trend in der Onkologie wie auch in anderen Therapiegebieten vermehrt hin zu adaptiven Studiendesigns. Während
der Erfolg herkömmlicher klinischer Studien von der Richtigkeit und Genauigkeit vordefinierter Parameter abhängt,
erlaubt das adaptive Studiendesign die Bewertung vorläufiger Ergebnisse und die Modifizierung von Studienparametern während des Verlaufs. So können Annahmen zu
Beginn der Studie, die sich im Verlauf als nicht zutreffend
herausstellen, nachträglich anhand vordefinierter statistischer Regeln korrigiert werden. Mit diesem Ansatz soll
die Menge der verwertbaren Daten maximiert und die von
überflüssigen Daten minimiert werden, um so Entwicklungsdauer und -kosten reduzieren zu können.
Adaptive Studiendesigns ermöglichen z.B. die Optimierung der Zieldosis während der Dosis-Findungsphase
oder die Anpassung der Stichprobengröße während der
laufenden Studie. Auch kann die fortlaufende Randomisierung rekrutierter Studienteilnehmer in die einzelnen Behandlungsarme basierend auf der Analyse der Ansprechraten angepasst werden. Belegen schon die vorläufigen
Ansprechraten einen deutlichen Erfolg oder weisen sie auf
einen Misserfolg der geprüften Substanz hin, so ist eine
vorzeitige Beendigung der Studie oder einzelner Behandlungsarme möglich.
Die Planungsphase für Studien mit adaptivem Design
ist meist länger als bei herkömmlichen Studien. Der Prozess fortlaufender statistischer Analysen der anfallenden
Daten ist aufwendig und erfordert eine laufende Kontrolle
der Datenqualität. Herkömmliche Studien sind häufig die
bessere Wahl, wenn auf Grundlage von qualitativ hochwertiger Information geplant werden kann. Doch sobald
die Datenlage in der Planungsphase begrenzt ist, kann ein
adaptiver Ansatz die Entwicklungskosten und die Entwicklungsdauer deutlich reduzieren.
Boom des Onkologie-Markts
Trotz der niedrigen Erfolgsquoten bei der Neuentwicklung boomt der Onkologie-Markt. Steigende Neuerkrankungszahlen, ungesunde Lebensweise und die immer älter
werdene Bevölkerung, aber auch früheres Erkennen von
Tumoren durch effektiveres Screening und längere Be-
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Konkurrenz auf dem Onkologie-Markt
Noch vor 15 Jahren versprach der Onkologie-Markt hohe
Gewinne bei moderaten Investitionen und geringem Konkurrenzdruck. Heute stehen die Pharmafirmen im ständigen
Wettbewerb miteinander. Eine große Zahl an Wirkstoffen
zielt auf die selben (validierten) Targets und Mechanismen,
und die Pipelines verschiedener Pharmafirmen überlappen
sich zunehmend. Der stetige Anstieg an klinischen Studien
führt zu einer enormen Konkurrenz um Patienten, und
die klinische Entwicklung ist geprägt durch langwierige
Programme mit komplexen Studiendesigns. Denn soll ein
neuer Wirkstoff auf dem überfüllten Markt bestehen, so
muss das Unternehmen viel Geld investieren, um nicht nur
die Sicherheit und Wirksamkeit, sondern auch die Überlegenheit seines Produkts (eventuell auch in Kombination
mit anderen Wirkstoffen) nachzuweisen.
Zulassungsprozess
Bereits seit 1992 ist in den USA eine beschleunigte Zulassung für Produkte zur Behandlung schwerer oder lebensbedrohlicher Krankheiten basierend auf anderen
Endpunkten als der Überlebenszeit möglich. Kann allerdings der klinische Nutzen in Studien nach der Zulassung
nicht belegt werden, kann dies zur Rücknahme der Indikation führen.
Auch für Studien in der Onkologie sind die Zulassungsbestimmungen in den USA in den letzten Jahren etwas gelockert worden. Nach wie vor gilt in der Onkologie das Gesamtüberleben als härtestmöglicher Wirksamkeits-Endpunkt
und die Verlängerung der Überlebenszeit als anerkanntes
Therapieziel. Doch bei der Analyse des Gesamtüberlebens
kann es zum Teil lange Nachbeobachtungszeiten geben,
was die Entwicklung und Zulassung neuer Präparate stark
verzögern kann. Auch können Kombinations- oder Folge-
Erweiterung der Onkologie-Pipelines von
2000 bis 2010
140
Große Onkologie-Studien
der Pharmaindustrie
handlungsdauer durch verbesserte Überlebensaussichten
führen zu einem steten Anstieg der Patientenzahlen und
zu einem signifikanten Bedarf („unmet medical need“). Die
steigenden Patientenzahlen und die erheblichen Nebenwirkungen der klassischen Zytostatika erfordern neue Therapieansätze. Die Pharmaindustrie folgt diesem Ruf. Bereits
seit einigen Jahren setzen Pharmafirmen auf die stete Erweiterung ihrer Onkologie-Pipelines. So wuchs von 2000
bis 2010 die Zahl neuer Wirkstoffe in klinischen Studien,
die von Pharmafirmen für die Krebstherapie entwickelt
wurden, um das 2,5-fache.
4,1×
120
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I
II
III
Phase
Modifiziert nach: Steward J, Naeymi-Rad N, et al.
Abbildung 2: Die Zahl klinischer Studien in der Krebsforschung war
2010 2,5-fach so hoch wie zehn Jahre zuvor.
therapien eine Beurteilung des Gesamtüberlebens durch die
eigentliche Prüfsubstanz erschweren. Zunehmend akzeptieren die Zulassungsbehörden deshalb mittlerweile auch
das progressionsfreie Überleben und die Ansprechrate als
Endpunkte in onkologischen Studien für eine beschleunigte
Zulassung, insbesondere dann, wenn weitere Präparate zur
Verfügung stehen, die einen Einfluss auf das Gesamtüberleben haben können. Im Anschluss an eine beschleunigte
Zulassung muss eine Vorhersage des klinischen Nutzens
durch die Ersatzendpunkte in weiteren klinischen Studien
bestätigt werden.
Trotz dieser Versuche, die Zulassungsstudien für
Krebsmedikamente zu beschleunigen, gibt es weitere
Hindernisse im Bereich der Studiendurchführung. Beispielsweise muss jede große, multizentrische Studie bei
einer Vielzahl von Ethikkommissionen zur Genehmigung
eingereicht werden. Bei einer deutschlandweit durchgeführten Studie sind das alleine 45 Kommissionen, bei
einer europaweit durchgeführten Studie müssen bei bis
zu 130 Ethikkommissionen und 27 Oberbehörden unterschiedliche Dokumente eingereicht werden. Diese Bedingungen machen multinationale Studien derzeit quasi unmöglich und können u.a. zu einer zeitlichen Verzögerung
von zehn bis 15 Jahren von der ersten klinischen Studie
bis zur Zulassung führen.
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Personalisierte Medizin hat den Onkologie-Markt erobert
Bereits heute hat die personalisierte Medizin den Onkologie-Markt wie keinen anderen Bereich des Pharma-Marktes
verändert. Entwicklungen im Bereich der Biomarker tragen
dazu bei, dass personalisierte Therapien mittlerweile einen
Großteil der Krebsforschung ausmachen. 2011 waren zwei
von insgesamt sechs neu in den USA zugelassenen Produkten im Bereich der Onkologie personalisierte Krebspräparate.
Personalisierte Medizin in der Onkologie
Die personalisierte Behandlung von Krebspatienten berücksichtigt bei der Therapieentscheidung nicht nur den histologischen Typ, das Tumorstadium und den Gesamtstatus
des Patienten, sondern zusätzlich die Ergebnisse molekularer Diagnosemethoden, mit denen sich der Tumor etwa
im Hinblick auf die Expression tumorspezifischer Biomarker
charakterisieren lässt. So können Patientengruppen mit
bestimmten Tumorprofilen identifiziert und dann gezielt
behandelt werden (Abbildung 3). Auf diesem Weg soll die
personalisierte Medizin dazu beitragen, die Toxizität onkologischer Therapien zu senken und gleichzeitig das Überleben der Patienten zu verbessern. Die ersten Präparate
sind auf dem Markt, und für eine Vielzahl weiterer Ansätze
sind Produkte in der klinischen Entwicklung. Die Bedeutung
der personalisierten Medizin und der begleitenden molekularen Diagnostik wird in Zukunft noch weiter steigen.
Biomarker in klinischen Studien und die Fragmentierung
des Markts
Prädiktive Biomarker sollen eine Vorhersage darüber ermöglichen, ob ein bestimmter Behandlungsansatz bei
einem Patienten Erfolg verspricht oder nicht. Ein bekanntes Beispiel ist der Biomarker HER2-neu beim Mammakarzinom: Nur wenn ein Mammakarzinom HER2-positiv ist, ist
eine Behandlung mit Herceptin sinnvoll. In den letzten Jahren ist der Anteil von Phase 1- und 2-Studien mit Biomarkern an der Gesamtzahl klinischer Studien stark gestiegen.
Allerdings ist der Vergleich der Wirksamkeit der Therapie
zwischen Biomarker-positiven und Biomarker-negativen
Patienten bisher nur selten das primäre Studienziel, und
große Phase 3-Studien zur Verwendung von Biomarkern
bleiben selten. Die Entwicklung von einfacher testbaren,
kostengünstigen Biomarkern, die für teure Phase 3-Studien geeignet sind, könnte helfen, die Effizienz klinischer
Studien zu erhöhen. Den pharmazeutischen Unternehmen
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ist die Bedeutung prädiktiver Marker für die Patientenauswahl und die personalisierte Therapie durchaus klar, und
sie treiben ihre Entwicklung insbesondere im Bereich der
Tumortherapie voran. Die vermehrte Nutzung von Biomarkern und dadurch bedingte Definition immer kleinerer
Patientenpopulationen hat allerdings auch die Fragmentierung des Onkologie-Markts zur Folge.
Hohe Kosten personalisierter Therapieansätze
Für die Entwicklung von personalisierten, molekularen
Krebstherapien sind komplexe, extrem aufwendige und
kostenintensive klinische Studien erforderlich. Um die Responder zu identifizieren und die therapeutische Überlegenheit gegenüber bisherigen Therapien nachzuweisen,
werden qualitativ hochwertige molekulare Daten und große Patientenzahlen benötigt. Passende Patienten müssen
durch ein aufwendiges Screening identifiziert werden.
Kosten und Umfang für das Patienten-Screening steigen
dabei rasant, sobald Biomarker ins Spiel kommen.
Denn zum einen sind die erforderlichen genetischen
Tests zum Nachweis bestimmter Mutationen sehr teuer,
und zum anderen müssen die Tests bei einer großen Patientenzahl durchgeführt werden, da oft nur ein kleiner Teil
der gescreenten Patienten die gesuchte Mutation aufweist.
Gleichzeitig wird der mögliche Profit des Pharmaunternehmens mit zunehmender Personalisierung der Therapie
kleiner, denn je individualisierter der Therapieansatz, desto kleiner wird die Patientengruppe, bei der er verwendet
werden kann. Gemeinsam mit den immens hohen Entwicklungskosten führt diese Fragmentierung des Markts
dazu, dass personalisierte Therapien sehr teure Produkte
sind. Es besteht ein dringender Bedarf, die Erfolgquote in
der klinischen Entwicklung personalisierter Therapieansätze zu verbessern und gleichzeitig die Kosten zu senken.
Blockbuster versus Nischenprodukte
In Deutschland müssen pharmazeutische Unternehmen
nicht mehr nur die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Medikamente belegen, sonderen auch einen Zusatznutzen im
Vergleich zu bereits auf dem Markt erhältlichen Präparaten.
So wird es für die Unternehmen zunehmend schwieriger,
Umsatzerfolge in den klassischen Blockbuster-Indikationen
zu erzielen. Statt auf validierte Targets zu setzen, konzentrieren sich die Pharmafirmen vermehrt auf die Entwicklung
vergleichsweise teurer Spezialpräparate und Produkte für
kleinere Patientenpopulationen. Im Jahr 2000 beispiels-
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Mögliche Ansatzpunkte für zielgerichtete Therapien in der Onkologie
EGFRInhibitoren
Cyclinabhängige
Kinaseinhibitoren
Erhaltung der
proliferativen
Signalkaskade
Inhibitoren der
aeroben Glykolyse
Umgehung der
Wachstumshemmung
Deregulation
des zellulären
Energiehaushalts
Proapoptotische
BH3-Mimetika
Immunaktivierende
Anti-CTLA4 mAb
Verhinderung der
Zerstörung durch
das Immunsystem
Tumorwachstum
Apoptoseresistenz
Tumorstimulierende
Entzündung
Instabilität
des Genoms
& Mutation
Stimulation der
Angiogenese
PARP-Inhibitoren
Telomeraseinhibitoren
Unbegrenzte
Replikation
Inhibitoren des
VEGF-Signalling
Aktivierung von
invasivem Wachstum
und Metastasierung
Selektive
antientzündliche
Wirkstoffe
Inhibitoren
HGF/c-Met
Modifiziert nach: Steward J, Naeymi-Rad N, et al.
Abbildung 3: Nicht nur der histologische Typ, das Tumorstadium und der Gesamtstatus des Patienten, sondern auch die Ergebnisse molekularer
Diagnosemethoden werden bei der Therapieentscheidung von Krebspatienten berücksichtigt.
vweise, wurden 63 Prozent der onkologischen Neuentwicklungen in Phase 3- und 4-Studien bei den fünf weitesten verbreiteten soliden Tumore (Brust, Prostata, Lunge,
Magen und Darm) getestet. Zehn Jahre später ist dieser
Anteil auf unter 50 Prozent gesunken.
Veränderung des Studiendesigns
Auf dem Weg hin zu einer Steigerung der Erfolgquote und
Senkung der Produktionskosten in der klinischen Entwicklung, hat sich das Design von Phase 1- und 2-Studien bei
der Entwicklung personalisierter Therapien verändert. Neue
Studiendesigns beinhalten zunehmend Endpunkte wie z.B.
Lebensqualität, die bereits zu einem frühen Zeitpunkt in
der Entwicklung eine bessere therapeutische Beurteilung
des Produkts erlauben. Auch in der personalisierten Medizin wird immer häufiger darauf abgezielt, Phase 1- und
2-Studien so zu planen, dass sie eine bessere Vorhersage
über den Erfolg teurer Phase 3-Studien erlauben. Zudem
hat in den letzten Jahren bei den Phase 2-Studien eine
Verlagerung vom nicht-randomisierten, einarmigen Einzelgruppen-Design zu randomisierten kontrollierten Studien
stattgefunden. Da es deutliche Hinweise darauf gibt, dass
die Identifizierung von Biomarkern und die Auswahl von
Patienten entsprechend ihres persönlichen biomolekularen
Profils den therapeutischen Nutzen eines Wirkstoffs stark
verbessern und seine Entwicklungszeit verringern können,
wird mehr denn je versucht, bereits in den frühen Phasen
die passende Zielpopulation auszuwählen.
Erfolgreiche gezielte Krebstherapien
Einige Neuzulassungen haben in den vergangenen Jahren
gezeigt, dass sich bei Identifikation der richtigen Targets
und Auswahl der passenden Patienten gute Erfolge mit
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der Entwicklung gezielter, personalisierter Krebstherapien
erzielen lassen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
Imatinib
Imatinib (Gleevec®) wurde bereits 2001 in Europa für die
Behandlung der chronischen myelotischen Leukämie (CML)
und später auch für die Behandlung verschiedener gastrointestinaler Tumore zugelassen. Imitanib ist ein Tyrosinkinase-Inhibitor. Eine dauerhaft aktivierte und dysregulierte
ABL-Tyrosinkinase gilt als Ursache der CML. Der Tyrosinkinase-Hemmer hemmt dieses Target-Protein und greift den
Tumor so gezielt auf zellulärer und subzellulärer Ebene an.
Studien belegen die hohe Wirksamkeit des Präparats. In
einer Follow-up-Studie über fünf Jahre zeigten 98 Prozent
der Patienten eine zytologische Komplettremission; nach
fünf Jahren lag die Gesamtüberlebensrate bei 89 Prozent.
Vemurafenib
Der monoklonale Antikörper Vemurafenib (Zelboraf®)
wurde 2011 von der FDA für die Behandlung bestimmter inoperabler metastasierender Melanome in einem beschleunigten Zulassungsverfahren lizensiert. Vemurafenib
ist das einzige bislang für die personalisierte Therapie des
malignen Melanoms zugelassene Präparat. Vemurafenib
ist ein selektiver Inhibitor des Onkogens B-Raf, einer Serin/Threonin-Kinase. Eine Aktivierung dieses Onkogens ist
bei der Hälfte aller Patienten mit malignem Melanom für
das unkontrollierte Zellwachstum verantwortlich. In einer
aktuellen Studie konnte für Vemurafenib eine relative Reduktion der Mortalität um 63 Prozent im Vergleich zu einer
herkömmlichen Chemotherapie gezeigt werden.
Crizotinib
Crizotinib (Xalkori®) wurde 2011 von der FDA in einem
beschleunigten Verfahren innerhalb von weniger als fünf
Monaten für die Behandlung eines bestimmten Typs des
nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) zugelassen,
der sich durch eine bestimmte Chromosomenmutation auszeichnet, die etwa fünf Prozent aller NSCLC-Patienten aufweisen. Die Mutation führt zu einer Daueraktivierung des
Enzyms ALK (anaplastische Lymphomkinase), und Crizotinib
hemmt dieses Enzym sowie auch andere Tyrosinkinasen. Eine
tumorinhibierende Wirkung – Stabilisierung oder Remission
– konnte in Phase 1- und 2-Studien nachgewiesen werden
(Ansprechraten von 57 Prozent in einer Phase 1-Studie und
50 Prozent in der Zwischenanalyse einer Phase 2-Studie.
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Pemetrexed
Pemetrexed (Alimta®) wurde 2004 von der FDA ursprünglich für die Behandlung des malignen Pleuramesothelioms
zugelassen. Seit 2009 ist Pemetrexed für die Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen oder metastasierenden
NSCLC zugelassen, außer bei Tumoren mit überwiegend
plattenepithelialer Histologie. Pemetrexed hemmt drei verschiedene (folatabhängige) Schlüsselenzyme, die für die de
novo Biosynthese von Thymidin- und Purinnukleotiden benötigt sind, die Thymidylat-Synthase (TS), Dihydrofolat-Reduktase (DHFR) und Glycinamidribonucleotidformyl-Transferase (GARFT). Aufgrund der Vielzahl der Angriffspunkte
wird Pemetrexed auch als Multi-Target-Enzym-Inhibitor
bezeichnet.
Bei Patienten mit plattenepithelialer Histologie des Tumors war Pemetrexed in Kombination mit Cisplatin weniger
wirksam als die Standard-Vergleichstherapie mit Gemcitabin plus Cisplatin. Bei Patienten mit allen anderen NSCLCHistologien konnte Alimta® das progressionsfreie Überleben
und das Gesamtüberleben signifikant verbessern.
Cetuximab
Cetuximab (Erbitux®) ist ein chimärer monoklonaler Antikörper gegen den Epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) der 2004 von der FDA für die Kombinationsbehandlung mit einer Chemotherapie bei Patienten mit
fortgeschrittenem EGFR-exprimierendem metastasierendem
Kolorektalkarzinom zugelassen wurde. Später erhielt Erbitux die erweiterte Zulassung zur Kombinationsbehandlung
mit einer Strahlentherapie bei Patienten mit einem lokal
fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinomen des Kopfes
und Halses und zur Monotherapie bei Patienten mit rezidivierenden und/oder metastasierenden Plattenepithelkarzinomen des Kopfs und Halses, die auf eine vorherige
Chemotherapie nicht angesprochen haben.
Cetuximab bindet an den EGFR, blockiert somit die
nachfolgende Signalkaskade und hemmt und die Proliferation der Zellen. Sicherheit und Wirksamkeit von Erbitux®
für diese Indikation wurden in einer multizentrischen klinischen Studie belegt. Eine Kombinationsbehandlung von
Cetuximab und Chemotherapie führte zu einem längeren
Überleben als eine alleinige Behandlung mit Chemotherapie (10,1 vs. 7,4 Monate), zu einer längeren progressionsfreien Zeit (5.6 vs. 3.3 Monate) und zu einer besseren Ansprechrate (36 Prozent vs. 20 Prozent).
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Panitumumab
Panitumumab (Vectibix®) ist ein humaner monoklonaler
Antikörper gegen den EGFR mit dem gleichen Wirkmechanismus wie Cetuximab, der 2006 von der FDA und
2007 in Europa für die Monotherapie des metastasierten,
EGFR-exprimierenden kolorektalen Karzinoms mit nichtmutiertem (Wildtyp-) KRAS-Gen für Patienten zugelassen,
bei denen herkömmliche Chemotherapien versagt haben.
Eine signifikante Verlängerung der progressionsfreien Zeit
bei Behandlung mit Panitumumab konnte nachgewiesen
werden (mittlere Zeit von 13,8 vs. 8,5 Wochen ohne Behandlung mit Panitumumab).
lationen reduzieren. Durch weniger Bürokratie, insbesondere bei der Prüfung multinationaler Studien, könnte der
Zulassungprozess deutlich verkürzt werden.
Literatur bei den Autoren
E-Mail-Kontakt: [email protected] und
[email protected]
DR. MED. CLEMENS STOFFREGEN.
Dr. Stoffregen, Jahrgang 1957, arbeiGefitinib
Gefitinib (Iressa®) ist ein Tyrosinkinasen-Hemmer, der 2009
in Europa für die Behandlung nicht-kleinzelliger Bronchialkarzinome mit aktivierenden EGFR-Mutationen zugelassen wurde, für Patienten, die auf herkömmliche Chemotherapien nicht ansprechen. Die Wirkung von Gefitinib
beruht auf der Hemmung der Tyrosinkinase des EGFR. In
verschiedenen Therapiestudien konnte gezeigt werden,
dass die Behandlung mit Gefitinib bei einer Untergruppe
der Patienten (mit einer Mutation im EGFR-Gen) eine höhere Wirksamkeit erzielte, als die Behandlung mit einer
herkömmlichen Chemotherapie.
tet seit zwölf Jahren bei dem Unternehmen Lilly. Er ist als Medical affairs
Manager für Filialen in Europa tätig.
Nach seiner Ausbildung zum Humanmediziner hat er 14 Jahre an der Universitätsklinik in Kiel gearbeitet, zuletzt
als internistischer Oberarzt im Bereich
Onkologie und Hämatologie. Er ist zertifizierter „Health care economist“. Durch seine Arbeit in
der klinischen Forschung bei Lilly muss er sich immer mit
neuen Wegen bei der Entwicklung von Medikamenten
Fazit
In der Hoffnung auf eine mögliche Steigerung der Erfolgsrate und Verträglichkeit bei Behandlungen im Bereich der
Onkologie haben personalisierte Tumortherapien in den
letzten Jahren zunehmend den Onkologie-Markt erobert.
Dieser Trend wird sich auch in Zukunft fortsetzen, bringt
jedoch einige Herausforderungen mit sich. Durch die große Konkurrenz auf dem Onkologie-Markt findet auch bei
Nischenindikationen und bei der Entwicklung personalisierter Therapieansätze ein enormer Wettbewerb statt. Hohe
Investitionen in die Entwicklung neuer Wirkstoffe werden
getätigt, aber die Zahl an erfolgreichen Neuzulassungen
ist vergleichsweise gering. Auch wenn eine beschleunigte
Zulassung und die Verlagerung hin zu anderen Endpunkten die Lizensierung neuer Präparate in der Krebstherapie
erleichtern kann, ist der Weg zur Zulassung lang.
Ein beschleunigtes Zulassungsverfahren kann das finanzielle Risiko bei der Entwicklung von Nischenpräparaten und
personalisierten Therapieansätzen für kleine Patientenpopu-
auseinandersetzen.
PROFESSOR DR. AXEL-RAINER HANAUSKE, MBA
Professor Hanauske hat in Göttingen
und Gießen Medizin studiert und erhielt 1980 seine Approbation. Er ist
Facharzt für Innere Medizin sowie Hämatologie/Onkologie. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Asklepios Krankenhaus St. Georg, Hamburg, arbeitete
er seit 2006 unter anderem als Global
Brand Development Leader und Senior
Medical Director bei Eli Lilly & Co. Seit 2010 ist er Vice
President und Senior Medical Director, Lilly Oncology
Medical Europe and Australia.
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