JONATHAN ROTH „Präsenz zeigen“. Sehen und Gesehenwerden als politische Praxis. „Nah‘ bei den Leuten“ – dieser Ausdruck steht nicht nur für die rheinland-pfälzische „Bürgermeisterdemokratie“ Kurt Becks, sondern generell für ein populäres Selbstverständnis politischer Parteien: Bürgernähe. Während allein die Intention hinter dieser Formel dabei sinnigerweise ihr genaues Gegenteil offenbart, nämlich eine faktische Distanz zwischen den „Eingeweihten“ der politischen Elite und „Nicht-Eingeweihten“ der Zivilgesellschaft (Bourdieu), die es zu überwinden gilt, stellt sie die Parteien vor die Herausforderung, wie die politische Repräsentation der Bürgerinnen und Bürger in eine wahrnehmbare Nähe übersetzt werden kann. Die Antworten auf diese Frage lassen sich insbesondere in Wahlkampfzeiten beobachten, wenn sich Parteien öffentlichkeitswirksam durch Plakate, Infostände und Hausbesuche in Szene setzen, um sich als Volksvertreter zu bewerben. Darüber hinaus ist auch das Tagesgeschäft der Parteien auf kommunaler Ebene in großem Maße von dem Versuch geprägt, jenseits der eigenen Organisationsstrukturen „Präsenz zu zeigen“, etwa bei Bürgersprechstunden, Familienfesten oder Rundgängen. Aufbauend auf ausgewählten ethnographischen Fallbeispielen eines laufenden Forschungsprojektes zur politischen Alltagskultur lokaler Parteiarbeit, soll in diesem Beitrag „Präsenz zeigen“ als eine politische Praxis beschrieben werden, die auf eine Inszenierung wechselseitiger Wahrnehmung abzielt und dabei das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Zivilgesellschaft veranschaulicht. Das Sichtbarmachen von Partei, Person und Programm erfordert von den Akteuren unterschiedliche inkorporierte Techniken der öffentlichen Selbstdarstellung. Gleichzeitig wird dem Gesehenwerden, der (angenommenen) Wahrnehmung der eigenen Präsenz, eine besondere politische Authentizität zugeschrieben. Mit dem Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden kommt der Sinnlichkeit von Politik damit eine konstituierende Rolle der lokalen Parteiarbeit zu, die eine soziale und politische „Communitas“ (Turner) erst herstellbar und wahrnehmbar werden lässt. Gleichermaßen bietet sich mit dem Fokus auf diese Ebene des Sinnlichen ein ethnographisches Fenster in die alltagskulturellen Praxen politischer Felder.