Kuhschellen – das Blumengold unserer Frühlingslandschaft Wolfgang Klaeber Im Jahre 1999 – mein neues Heim war fertiggestellt – erfolgte als Nachtrag noch der fällige Terrassenbau. Den unversiegelten Steinfugen entwuchsen bald erste Grashalme, die in Zeitabständen ein Kantenschneider gnadenlos zurückstutzte. Doch nach etwa sechs Jahren entsprossen den Fugen auch zwei gefiederte Blättchen einer Kräuterart. Abmähen oder zu Studienzwecken belassen? Unter den neidischen Blicken der noch zu kürzenden Grashalme blieben die Babyblätter verschont. Zwei Jahre später dann die erste Blüte: eine Echte Kuhschelle! Vermutlich segelten ihre leichten Federschweifsamen aus Nachbars Garten herbei und bohrten sich zum Keimen in die Fugen ein. Im Frühjahr 2009, also nur zwei Jahre später, war dann Gigantomanie angesagt. Die größere der beiden Blumen besaß einen Durchmesser von 53 Centimeter und wies 116 Blüten auf. Man bedenke (!), jede einzelne Pflanzenzelle musste durch einen ein bis zwei Milli- meter breiten Spalt transportiert werden. Diese Glanzleistung ist jedoch nur Ausdruck einer hohen Steingartentauglichkeit und verläuft so unter fast konkurrenzlosen Bedingungen. Kuhschellen gehören bei uns auch zu den Wildpflanzen und unter unseren aktuellen Umweltbedingungen fallen die Blühergebnisse ganz anders aus. Nämlich negativ. Brandenburg ist Heimat von vier Kuhschellenarten: Frühlings-Kuhschelle, Heide-Kuhschelle, Echte Kuhschelle und Wiesen-Kuhschelle. Die Frühlings-Kuhschelle (Pulsatilla vernalis) gilt, was Schönheit betrifft, als das 900er Gold der vier Arten. Mit ihren großen, innen weiß, außen rosenrot bis rötlich-violett überlaufen Blüten strahlt sie den Betrachter bei Frontalsicht bereits aus zehn Meter Entfernung an. Wegen des dicht goldbronzierten Haarpelzes der äußeren Blütenhülle nennen die Schweizer sie Wiesen-Kuhschelle (Pulsatilla pratensis) · Foto: Wolfgang Klaeber (2009) auch »Wolfs-Blume«. Die Verbreitung im Tiefland liegt in Polen und Südskandinavien. Brandenburg liegt bereits in der westlichen Auflockerungszone der Vorkommen. Von allen vier Arten ist die Frühlings-Kuhschelle am stärksten an natürliche Vorkommen der Kiefer gebunden. Darum beginnt das geschlossene Verbreitungsareal erst östlich der Oder. In Brandenburg ist die Art seit etwa 1960 ausgestorben. Zur Ursache: Im Holzzeitalter früherer Jahrhunderte war der Wald zum Selbstbedienungsladen »Warenhaus Wald« für einige Haupt- und viele Nebennutzungen »verkommen«. Man kann aber auch sagen, es war die Förderung ausgeräumter WaldSavannenlandschaften mit herrlichen Bedingungen für konkurrenzschwache und dabei schönblütige Kräuter. Und keiner sorgte für Baumnachwuchs. Ende des 18. Jahrhunderts gab es hier einen Höhepunkt an Lichtgenuss und Nährstoffarmut. Anfang des 19. Jahrhunderts zog der Staat mit der Separation (= Flurbereinigung) die Notbremse und trennte die vielen, meist feindlich-gegensätzlichen Nutzungsarten in Wald-Wiese-(Weide-)Ackerland. Eine nunmehr reguläre Forstwirtschaft setzte zeitgleich auf Aufforstung mit Kiefern-Monokultur und Kahlschlag im Intervall. Der Altersklassenforst wurde geboren. Dichte und dabei dunkle Wälder vertrug die Kuhschelle aber gar nicht. Den Rest besorgten ihre immer zahlreicher werdenden besten Freunde: Botaniker, Blumenfreunde und Gärtner. Getreu nach dem Motto: »Wir töten was wir lieben«. Die Fotografie war im 19. Jahrhundert als Dokumentationsinstrument noch nicht bzw. wenig in Gebrauch. Mit Herbarbelegen, dass sind getrocknete und gepresste Pflanzen, »belegte« man nachweislich Pflanzenvorkommen. Bei botanischen Seltenheiten führte die Sammelei schnell zu pflanzenleeren Flächen. Auch Studenten mit ihren »Pflichtherbaren« und Herbarhändler mischten kräftig mit. Und wo gedeihen heute noch Frühlingskuhschellen? In der Bundesrepublik gibt es noch Vorkommen im Alpenraum, wo die Pflanzen bodensaure Matten, Weiden und Zwergstrauchheiden besiedeln. Das Hochlandvorkommen ist vom ehemaligen Tieflandvorkommen räumlich abgetrennt, man nennt dies disjunktes Vorkommen. Mit den Synonymen Ausgebreitete Kuhschelle und Finger-Kuhschelle weist die HeideKuhschelle (Pulsatilla patens) zugleich auf die Fähigkeit maximaler Streckung ihrer blauen Blütenhüllblätter bei Sonneneinstrahlung hin. Das, und die nach der Blüte erscheinenden fingerartigen Grundblätter, die der Pflanze ihren Namem gaben, unterscheidet sie von der Echten Kuhschelle. Doch das ist für Ungeübte dünnes Bestimmungs-Eis mit entsprechender Verwechslungsgefahr. Die Art fürchtet gleichfalls Dauerschatten und Nährstoffüberfrachtung, liebt es aber etwas wärmer als die Frühlings-Kuhschelle. Die Verbreitung liegt in Nordost-Osteuropa mit Westeinstrahlung in Ostbrandenburg. Subkontinentale Trockenrasen und natürliche Wintergrün-Kiefernwälder zählen zu den Lieblingsstandorten. Gern wächst sie auch zusammen mit der Frühlings-Kuhschelle, dann bilden sich auch Hybridformen. In Brandenburg erfolgte 1957 am letzten Heide-Kuhschellen Standort bei Guben der Exitus. Ein »Liebhaber« grub alle blühfähigen Exemplare aus. Die verbliebenen, noch nicht blühfähigen Pflanzen konnten leider Frühlings-Kuhschelle (Pulsatilla vernalis) · Foto: Wolfgang Klaeber (1973) Heide-Kuhschelle (Pulsatilla patens) · Foto: Wolfgang Klaeber (1973) den Bestand nicht wieder aufbauen. Seit 1973 fehlt die Art in der Flora von Brandenburg. Wenige Funde gibt es noch im Hügelland von Bayern. Für die gesamte BRD gilt daher: »vom Aussterben bedroht«. Als die Kuhschelle der Gartenfreunde versteht sich hingegen die Echte Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris). Der Pflanzenhandel bietet ein reiches Sortiment in farblicher Blütenvielfalt an. Ausgraben lohnt nicht, denn ausgegrabene Wildpflanzen wachsen nicht an! So pflegeleicht im Allgemeinen die Haltung von gärtnerisch gezogenen Echten Kuhschellen im Garten ist, so spröde wirkt ihr Verhalten als Wildpflanze gegenüber heutigen Umweltbedingungen. Auch die Echten Kuhschellen unterliegen der Konkurrenz stärker wachsender Arten. Als Zentraleuropäer liegt ihr brandenburgischer Verbreitungsschwerpunkt in der atlantisch geprägten Prignitz. So gibt es die Art auch heute noch auf den Magerrasen bei Perleberg. Insgesamt gilt aber für Brandenburg auch hier: »vom Aussterben bedroht«. Gesamtdeutsch ist die Art jedoch nur »schwach gefährdet«, weil in Mittel- und Süddeutschland noch reiche Felsrasenvorkommen über Silikat, Gips und Kalk existieren. Als kontinentale Art erreicht die WiesenKuhschelle (Pulsatilla pratensis) die absolute Westgrenze ihrer natürlichen Verbreitung an der Südwestgrenze von Sachsen-Anhalt zu Thüringen. Hier kann Brandenburg mit 420 bekanntgewordenen Vorkommen maximal punkten. Davon konnten nach dem Jahr 2000 noch 74 bestätigt werden. Die meisten Vorkommen gibt es im Oderhügelland. Die Art liebt Kalkboden, zu- mindest im Untergrund. Sie ist eine Leitart der Wiesen- und Waldsteppe. Die kleinen, hängenden, schwarzvioletten Blüten führen zu einem der Trivialnamen: »Glockrose«. Auch bezieht sich der Gattungsname Kuhschelle ausschließlich auf diese Art. Die 74 Fundpunkte sollen aber nicht täuschen, der Gefährdungsstatus für Brandenburg lautet: »stark gefährdet«. Die meisten Vorkommen leiden heute unter Verwilderung der Standorte durch fehlende extensive Nutzung wie Mahd und/oder Beweidung. Dazu kommen die Auswirkungen des sauren Regens. Es fehlt an Kalk im Boden. Große Unterschiede in puncto Pulsatillen gibt die einstige und jetzige Verbreitung im Gebiet zwischen Dahme und Spree wieder. Vom Naturpark Märkische Schweiz ist bisher nur die Wiesen-Kuhschelle bekannt, deren Vorkommen um Buckow noch spärlich aktuell sind. Im Naturpark Schlaubetal gibt es historische Meldungen von allen vier Kuhschellenarten, davon ist aktuell jedoch nichts mehr vorhanden. Den gleichen Status muss leider dem Biosphärenreservat Spreewald verliehen werden. Früher gab es hier Wiesen- und Frühlings-Kuhschellen. Mehrere aktuelle Funde der WiesenKuhschelle kann immerhin der Naturpark Niederlausitzer Landrücken vorweisen. Eine aktive Erfolgsgeschichte schreibt dabei der »Pontische Hügel bei Schlagsdorf«, wo durch Pflegeaktivitäten und Nachzuchten unter Schirmherrschaft des Biologischen Arbeitskreises »Alwin Arndt« Luckau e.V. der Bestand im Jahre 2008 auf 100 blühende Exemplare stieg. Erloschen sind aber auch hier die Vorkommen von Frühlings- und Echter Kuhschelle. Wo nichts war kann auch nichts erlöschen. Dies gilt für den Naturpark Dahme-Heideseen, in dessen Bereich nie Kuhschellen nachgewiesen wurden. Ob das auch in der Realität immer so war? Der Streganzer Berg, Kolberg und der Schwenower Forst könnten in vorindustrieller Zeit – also im 18. Jahrhundert und früher – durchaus positive Wuchsmöglichkeiten für die Kuhschellen besessen haben. Damals gab es ja noch nicht den »Botanischen Verein für die Provinz Brandenburg«, dessen Gründung, mit positiven Wirkungen für die botanische Erforschung der Mark, erst 1858 erfolgte. Echte Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris) · Foto: Wolfgang Klaeber (1985) Randlich nur wenig außerhalb des Naturparks gab und gibt es aber Kuhschellen-Vorkommen. Bei Rietzneuendorf siedelte einst im Dünen-Kiefernwald die Frühlings-Kuhschelle. Die Wiesen-Kuhschelle kam einst auf dem Groß Machnower Weinberg bei Mittenwalde vor. Noch heute befindet sich ein kleiner Bestand von Wiesen-Kuhschellen im Bereich einer Bahnböschung bei Brand. Ansiedlungsstart dürfte die Bahnstreckengründung zum Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein. Wiesenkalk aus dem Untergrund dürfte dabei mit Dünensand eine förderliche Bodenmixtur eingegangen sein. 1981 blühten hier etwa 100 Exemplare. 2011 waren es aber nur noch sieben Pflanzen. Negative Einflüsse durch Bahntrassenpflege, vermutlich auch saurer Regen und zeitweiliger Wildkaninchenverbiss sind als Grund des Rückgangs anzunehmen. Im Rahmen der Bahnsanierung Berlin – Cottbus kam es unglücklicherweise auch zu Störungen. Eine Sanierung und Pflege des Standortes befindet sich jetzt aber in Planung und ist von der Bahn zugesichert. Folgen Sie mir nun abschließend in ein einstiges Kuhschellenparadies. Nachdem 1969 in der Zeitschrift »Naturschutzarbeit in Berlin und Brandenburg« ein zusammenfassender Artikel über die Gattung Pulsatilla vom Botaniker Wolfgang Fischer erschienen war, packte auch mich das Kuhschellenfieber. Von 1970 bis 1974 kamen voller Hoffnung alle einstigen Fundplätze der Frühlings- und Heide-Kuhschelle unter die Lupe: bei Gartz an der Oder, Joachimsthal, Eberswalde, Müllrose, Guben, Trebbin, Lübben… Leider war alles Suchen erfolglos. Auch Exkursionen östlich der Oder brachten kein positives Ergebnis. Erst als sich 1973 meine Aktivitäten fast bis zur Weichsel ausdehnten, wurde das »Blumengold« plötzlich sichtbar. Die Tuchler Heide (Bory Tucholska), eine übersandete Hochfläche zwischen Konitz (Chojnice) und der Weichsel besteht aus schier endlosen Kiefernwäldern. Von etwa 120 Meter im Süden steigt das Gelände allmählich auf 170 Meter an, um in den Endmoränen der Kassubischen Schweiz mit maximal 329 Meter zu enden. In tiefen Schluchtmulden der Hochebene sind zahlreiche Seen eingebettet. Dazu naturbelassene Fließe und Flüsschen, wie Brahe (Brda) und Schwarzwasser (Wda). Fließe mit stellenweise Wildwasserqualität, die der Weichsel entgegeneilen. Höhe und geografische Nordostlage führen bereits zu grimmiger Winterkälte. Die Kiefer ist hier auch von Natur aus der beherrschende Waldbaum und hat im Schlepp die ihr eigene Flora. Hier reckten sich zahlreich die goldbraunen Pelzfäuste der Frühlings-Kuhschelle. Weniger zahlreich war die Heide-Kuhschelle. Stetig und daher vorankündigend musste immer auf Preiselbeere und Heidekraut geachtet werden. Kam aber Heidelbeere hinzu, war es den beiden Kuhschellen zu frisch und man suchte sie vergeblich. Als dritte Art trat die Wiesen-Kuhschelle an warmen kalkhaltigen Abhängen von Brahe, Schwarzwasser und Cersker Fließ hinzu. Nach einem halben Menschenleben konnte ich für 2010 den Gärtner und Hobbybotaniker Christoph Buhr für eine Nachsuche auf »meinen Spuren« begeistern. Mit Kartenkopien und Kreuzmarkierungen sollte es doch gelingen, die Kuhschellen zu finden. Das Ergebnis: nur zwei blühende Pflanzen Frühlings-Kuhschelle. Das sagt wohl alles, welch katastrophaler Rückgang dieser Art. Erst die tatkräftige Hilfe eines polnischen Förster, der auch als Taxichauffeur fungierte, holte die letzten Reserven bei Pulsatilla heraus. Immerhin fanden sie knapp 50 Pflanzen, darunter eine Heide-Kuhschelle. Alle Funde lagen aber weit auseinander. Meine Nachsuche 2011 ergaben gar nur neun plus eine Pflanze. Ob die Polen ihr Blumengold noch retten können, da die Kuhschellen ja nun weder Kultur noch Wildnis vertragen? Letztere gab es nämlich auch noch. Kleinflächige Waldschutzabschnitte. Doch diese waren durch Wacholder und Kiefernjungwuchs verdunkelt. Für die Kuhschellen heißt dies: zum Erhalt ungeeignet. Hinweis: Ein Kalenderblatt zur Echten Kuhschelle finden Sie auf Seite 40. Literatur Christoph Buhr (2008): Zum Vorkommen der Arten der Gattung Pulsatilla in Brandenburg und Berlin. In Verh.- Bot. Verein Berlin Brandenburg. Wolfgang Fischer (1969): Die vier Arten der Gattung Pulsatilla in Brandenburg. In Naturschutzarbeit in Berlin und Brandenburg. I