Gartenkolumne von Kathrin Hofmeister

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Gartenkolumne von Kathrin Hofmeister
auf www.stauden-stade.de
© 2000 - 2013 Staudenkulturen Stade / Kathrin Hofmeister
Gartenkolumne: Was will der Kiesgarten uns mit seiner Staudenpracht sagen?
Steinreich zu sein, ist schon okay. Aber viel Kies und
artenarm, das geht ja gar nicht. Ich komme drauf im
Angesicht einer um sich greifenden Versteinerung der
Vorgärten. Der Anspruch für die Visitenkarte in
Gartenformat ist nachvollziehbar: Pflegeleicht und
gleichzeitig rund ums Jahr attraktiv soll die Anlage sein.
Beim Begriff „attraktiv“ allerdings liegen Welten zwischen
den Vorstellungen von Staudenfreunden und
„Steinwüstlingen“. Wir Pflanzenbegeisterte finden
nämlich, die eigentliche Bedeutung von „anziehend“
erhält ein Kiesgarten erst mit dem Einzug von Stauden
aus dem Lebensbereich mit dem Kürzel FS für
Felssteppe. Das Desertec unter den
Freiflächenpflanzungen ist eine Erfolgsgeschichte. Die
äußeren Beweggründe sind schnell erzählt: Der
Klimawandel beschert uns tendenziell trockenere
Sommer, vor allem in den östlichen Teilen Deutschlands.
Die ebenso kostbare wie immer kostspieligere Ressource
Wasser soll geschont werden. Stauden für Durststrecken
wachsen und gedeihen aber nicht nur ohne Gießen,
sondern auch ohne zusätzlichen Dünger. Dabei wirkt das
aride Terrain alles andere als dürr. Im Frühsommer wird
es mit blauviolettem Steppensalbei (Salvia nemorosa)
und cremegelber Färberkamille (Anthemis tinctoria)
richtig bunt. Silberlaubige Arten und weißblühende
Charaktere legen einen Dunstschleier über die
Farbteppiche aus Thymian (Thymus) und Fetthennen
(Sedum).
Salvia nemorosa 'Caradonna'
Künstlerisch betrachtet, kenne ich keine Komposition in
vollsonniger Lage, die das Feuer der Begeisterung
schneller entfachen könnte als der Kiesgarten. Schon als
ich meinen Fuß das erste Mal auf die knirschenden
Steinchen rund um die Blütenteppiche im Garten der
Sinne im saarländischen Merzig setzte, reizte mich das
Werk an Farben, Formen und Strukturen zur
Beetinterpretation. Hella Kreiselmeyer legte ihn 2002 in
der Senke einer ursprünglich von aromatischen Kräutern
wie Dost und Kamille bewachsenen Ruderalfläche an.
Aktuell hat sie eine Triologie entworfen (s. Verlinkung
hierzu am Ende des Textes), die vom Ineinanderweben
erzählt. Im Bewusstsein der Ökologie wächst hier eine
pflanzliche Kombination aus „Das Parfüm“ und Goethes
Farbenlehre zusammen. Die Künstlerin selbst hat über
ihre Arbeitsweise einmal gesagt: „Am Anfang ist ein
Garten nicht mehr als ein Raum voller Ideen und
Träume.“ Wie also gestaltet man aus einer „diffusen
Sehnsucht nach Farben, Gerüchen, Blüten und Mustern“
eine spannende Geschichte?
Artemisia schmidtiana 'Nana'
Entscheidend sind Handlung und Charaktere. In groben
Zügen erzählt, tut sich hier eine Gruppe silberlaubiger
Überlebenskünstler zusammen. Kopf der Gruppe scheint
Artemisia zu sein. Ist die Sorte ‚Powis Castle’ (Artemisia
arborescens) der Anführer? Schauen wir uns den
Halbstrauch mit dem tief eingeschnitten Silberlaub
genauer an. Seine adelige Abstammung aus dem
gleichnamigen Herrensitz in Wales-Großbritannien mit
einer über 700 Jahre alten Geschichte ist nicht zu
übersehen. Aber mit den kleinen, gelblichen
Blütenkörbchen, die von Juli bis Oktober erscheinen, hält
er sich dezent zurück. Sein Herrenparfüm hat ein herb
duftendes, aber nicht unangenehmes Aroma. Der kleine
Cousin Artemisia schmidtiana ‚Nana’ kann kaum der
Drahtzieher der Gruppe sein. In seiner polsterigen Art
spielt der – wie der Engländer sagen würde - „mit einem
Silberlöffel auf die Welt gekommene“ Bodendecker, nur
eine Rolle am Rande. Dreht sich also alles um die
Thüringer Buschmalve ‚First Light’ (Lavatera
thuringiaca)? Sie ist ein Dauerblüher von strahlender
Erscheinung, robuster Natur (kein Malvenrost) und guter
Winterhärte, sofern sie im Frühjahr gepflanzt wird. Mit
einem Meter Wuchshöhe, und angesichts ihres
weichfilzig-grauen Blattes und weißer Blütenfarbe hat sie
offensichtlich eine reine Weste. Im Unklaren lässt uns die
Katzenminze ‚Dropmore’ (Nepeta x faassenii). Hat man
die kompakten Dauerblüher hierher gepflanzt, um eine
exklusive Gastronomie für tierische Flugreisende aller Art
aufzubauen? An Sonnentagen herrscht hier Hochbetrieb –
wie übrigens an allen Lippenblütlern. Oder sollen die
Insektenmagneten hinter ihren verschleiernden blauen
Blütenwolken, die Neugier auf das dahinter wecken? Auf
Nepeta faassenii 'Dropmore'
die zauberhaften Sonnenröschen (Helianthemum x
cultorum) vielleicht, die mit nur 15 bis 20 Zentimeter Wuchshöhe die Grenzen der Kiesbeetpflanzung markieren.
Ab und an rufen sie nach dem Gärtner, er solle ihnen die
toten, verholzten Teile sorgfältig von unten
herausschneiden, das verlängere die Lebenszeit um
weitere Jahre. Dazu muss man wissen, dass die
Zwergsträucher für mineralstoffreiche Böden im
Kiesgarten vor der, für sie oft tödlichen Winternässe
besonders gut geschützt sind. Das gilt für alle
mediterranen Gewächse, die im Kiesgarten eine neue
Heimat finden. Heiligenkraut (Santolina
chamaecyparissus) beispielsweise gehört zu den
geliebten Vertretern des südländischen Lebensgefühls.
Die Sorte ‚Edward Bowles’ ist nach einem englischen
Gärtner, Autor und „Plantsman“ (1865-1954) benannt.
Der Meister selbst sagte über das Heiligenkraut, es werde
am besten jährlich radikal zurück geschnitten, um es in
Form zu halten. Er selber aber ließ immer ein paar
Pflanzen ungeschoren davon kommen, bis sich die
gekappten Exemplare regeneriert hatten, „um die graue
Tradition der Gruppe“ aufrecht zu erhalten. Mir persönlich
sind die Blüten fast noch wichtiger als die
architektonische Wirkung des halbkugeligen Strauches.
Und da hat ‚Edward Bowles’ gegenüber der reinen Art
eine besonders reiche, von Juni bis Juli frühere Blüte zu
bieten. Wie die Manschettenknöpfe an den Hemden eines
Santolina chamaecyparissus 'Edward Bowles'
Gentleman, schmücken sich die aromatisch Kontaktdufter
mit hell cremegelben Blütenknöpfen. Im Silberanzug laufe hier noch mehr Gestalten rum. Da, endlich, ist der
Protagonist ausgemacht: Der Spanische Salbei (Salvia lavandulifolia) – schmalblättrig und ganzjährig
strukturgebend. Unbestritten sind seine Verdienste als Diplomat, der zwischen aufregenden Farben vermittelt. Er
gibt über mehrere Jahre eine gute Figur ab und zeigt dabei die gleichen Qualitäten wie der verwandte
Küchensalbei (Salvia officinalis). Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Ab und an hilft der edle Herr in der
Küche aus. Seine Blätter würzen Saltimbocca und Quiche.
Eindeutiger ist da die Zuständigkeit der weißwolligen
Perlkörbchen (Anaphalis triplinervis) und Strohblumen
(Helichrysum thianshanicum). Mit ihren Blütenkörbchen,
die noch in trockenem Zustand attraktiv aussehen sind,
füllen sie die Pflanzung. Die Strohblumensorte
‚Schwefellicht’ ist eine besonders schöne vegetativ
vermehrte Sorte in schwefeligem Gelb. Erst jetzt wird
einem die auffällige Häufung an filzig behaartem
Blattwerk bewusst. Oberflächlich betrachtet, schützen
sich die Trockenheitskünstler durch den
Verdunstungsschutz gegen starke Sonneneinstrahlung.
Mit Spürsinn analysiert, offenbart sich ein
Firmengeflecht: Der Wollziest (Stachys byzantina) hat in
den Außenbezirken doch ein Bettenlager eröffnet:
Spatzen sind dabei beobachtet worden, wie sie sich den
wolligen Filz der kuscheligen Blätter für den Nestbau
holten. Das Hornkraut ‚Silberlicht’ (Cerastium
tormentosum) ist unter die Polsterer gegangen. Die
Lichtnelke (Lychnis coronaria) eröffnet jedes Jahr
irgendwo anders eine Filiale. Die kurzlebige Art mit dem
weißfilzigen Blatt erhält sich durch Selbstaussaat. Noch
stärker animieren die weichen Blätter der Kretischen
Schwarzwurzel (Ballota pseudodictamnus) zum Anfassen.
Man darf vermuten, dass sie hier einen Streichelzoo
etablieren will. Schneidet man die Pflanze im
Frühsommer komplett zurück, preschen die jungen
Schosse hervor und treiben in nur wenigen Wochen
neues Laub. Die winzigen Blüten packt der Lippenblütler
in auffallend blassgrüne Bommel unter jedem Blattpaar.
Ein Fall für Entdecker: Von Juli bis August blüht die dann
gut kniehohe Pflanze. Leuchtturmwärter-Funktion
übernimmt die silberwollige Königskerze ‚Polarsommer’
Helichrysum thianshanicum 'Schwefellicht'
(Verbascum olympicum). Denn spannungsreich wird ein
Kiesbeet, wenn aus den dichtbuschigen Pflanzen und Staudenpolstern vertikale Stauden ragen. Durch
gegensätzliche Erscheinungen steigert man die Dramaturgie.
Ein Beispiel: Den weichen Polstern, flauschigen
Kandelabern und stofflichen Pflanzenwolken setzen
silbergraue Distelgewächse ihre liebenswerte
Kratzbürstigkeit entgegen. Bis 80 cm ragt in dieser
Kiesgarten-Geschichte Alpen-Mannstreu ‚Blue Star’
(Eryngium alpinum) aus einem Heer schwertförmiger
Binsenlilien (Sisyrinchium striatum) und einem Meer von
Bergastern (Aster amellus) empor. Von Beruf Graveur,
setzt er die graphischen Blütenkegel in Stahlblau auf
einen silbrigen Kranz von Hüllblättern, die er sternförmig
ausgestanzt hat. Genau in dem Augenblick, in dem seine
Blütezeit beginnt, also ab Juli, gelangt die Handlung zu
ihrem Höhepunkt. Prachtkerze ‚Whirling Butterflies’
(Gaura lindheimeri) wirbelt um den von Bienen
umschwirrten Mannstreu. Wenngleich kompakter im
Wuchs als ihre langbeinigen Schwestern, ist die Sorte an
Blütengröße und Reichblütigkeit kaum zu übertreffen.
Was viele nicht wissen: die Blütenrispen der Prachtkerze
eignen sich hervorragend zur Auflockerung von
Blumensträußen. Selbst die obersten Knospen brechen in
der Vas noch auf. Hinter Mannstreu und Prachtkerze fährt
Blaustrahlhafer ‚Saphirsprudel’ (Helictotrichon
sempervirens) seine Antennen aus. Einer vom
Abschirmdienst? Nein, der stahlblaue Blatthorst mit den
vom Winde bewegten Blütenrispen spielt Halma. Damit
tut das wintergrüne Ziergras genau das, wofür hohe
Gräser im Kiesgarten eingesetzt werden: Sie lockern auf,
fächern Natürlichkeit ins Beet und illustrieren die
Jahreszeiten mit weichem Federstrich. Blütezeit ist hier
von Frühsommer bis zum ersten Frost. Dauerblüher wie
Leinkraut (Linaria purpurea) glänzen mit Samenständen
weit darüber hinaus. Blattschmuck rettet über die
Gaura lindheimeri 'Whirling Butterflies'
Winterzeit. Natürlich ist auch diesbezüglich ein Vertreter
der Staude des Jahres in die Handlung des Kiesgartens verstrickt: Die Goldwolfsmilch (Euphorbia polychroma).
Ich will nicht sagen, die Sorte ‚Bonfire’ sei der James Bond unter den Actiondarstellern im Kiesgarten. Aber wie sie
ihre zunächst grüne Blattfarbe von gelborange nach braunrot färbt und im Herbst dann knallrot in Flammen steht,
das hat schon Klasse. Die Geschichte um Reichtum und Freiheit hält sie selbst im Winter a Laufen. Auf den immer
noch rötlich getönten wintergrünen Blatttürmchen lässt ‚Bonfire’ Frostdiamanten glitzern.
Wie man eine Kiesgartengeschichte mit Wolfsmilcharten
aufzieht, weiß Beth Chatto zuerzählen. Ihr „Gravel
Garden“ im niederschlagsarmen Essex in England ist
eines der berühmtesten Vorbilder. Von Haus aus gleicht
der Boden einem Strand mit einer Mischung aus Steinen
und gelbem Sand. Da liegt die Anlage eines Kiesbeetes
nahe. Strandläuferatmosphäre wünschen sich aber auch
Gärtner, deren Gummistiefel nach einem Rundgang in
Regenperioden fünf Zentimeter hohe Absätze eines
Ton-Lehmbodengemisches tragen. Kein Problem, wissen
Staudengärtner. Marion Hüning beschreibt, wie man eine
Pflanzfläche für ein
Kies- oder Splittbeet anlegt. Bei
entsprechender Bodenvorbereitung und Drainage haben
Kiespflanzen nichts gegen einen Extra Schluck Wasser
einzuwenden. Sie kommen halt nur, auch ohne Gießen
aus.
Die Idee von Kies umspülten Pflanzinseln kam der
englischen Gardenlady Beth Chatto übrigens in einem
ausgetrockneten Flussbett. Hungrig von einer
Bergwanderung in Neuseeland, hatten ihr Mann und sie
sich auf den mächtigen, zur Schmelzwasserzeit von
tosendem Gebirgswasser geschliffenen Steinen
niedergelassen und ihre Brote ausgepackt. Eine schöne
Vorstellung: Die Steine im Kiesgarten als Zeugen
geologischer Epochen, die unseren Begriff von Zeit
gehörig ins Wanken bringen. Die Pflanzen in ihrer
Kalligraphie, Farbigkeit und unbekümmerten
Zwanglosigkeit empfehlen sich als Nahrung für all unsere
Sinne, die in einer rein materiellen Welt ständig zu kurz
kommen.
Euphorbia polychroma 'Bonfire ®'
Pflanzpläne der Triologie von Hella Kreiselmeyer:
Kiesbeet in 3 Teilen – Teil 1
Kiesbeet in 3 Teilen – Teil 2
Kiesbeet in 3 Teilen – Teil 3
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