Kapitel 6 Metrik und Topologie In diesem Kapitel wollen wir die Grundlagen der Theorie stetiger Funktionen auf metrischen bzw. topologischen Räumen erarbeiten. Dazu gehen wir nach Forster [7] sowie Koliha [26] vor. Zum Selbststudium empfehlen wir auch Hilgert [19]. 6.1 Metrische, normierte und topologische Räume 6.1.1 Metrische Räume Wir beginnen mit dem Begriff Definition 6.1. Es sei X eine nichtleere Menge. Eine Funktion d : X × X → [0, ∞) heißt Metrik auf X , falls für alle x, y, z ∈ X gelten: (M1) (M2) (M3) (M4) d(x, y) ≥ 0; d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y; d(x, y) = d(y, x); d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z). Das Paar (X, d) heißt dann ein metrischer Raum. In dieser Definition bezeichnen ◦ ◦ ◦ (M1) die Nichtnegativität der Metrik, (M3) die Symmetrie der Metrik, (M4) die Dreiecksungleichung. Die nichtnegative Zahl d(x, y) ≥ 0 heißt auch Abstand oder Distanz der Punkte x, y ∈ X . Die Axiome (M1) bis (M4) finden sich auch häufig unter der Bezeichnung Hausdorffaxiome. 177 178 6 Metrik und Topologie 6.1.2 Beispiele metrischer Räume Wir wollen drei wichtige Beispiele diskutieren, von denen insbesondere das dritte Beispiel im weiteren Aufbau der Analysis eine wichtige Rolle spielen wird. 1. Das Standartbeispiel eines metrischen Raumes ist die Menge R der reellen Zahlen zusammen mit der Euklidischen Metrik d(x, y) := |x − y|. Hierin bedeutet | · | : R → [0, ∞) die gewöhnliche Betragsfunktion +z, falls z ≥ 0 . −z, falls z < 0 |z| = Einen detaillierten Nachweis, dass (R, d) tatsächlich ein metrischer Raum ist, belassen wir als Übungsaufgabe. 2. Auch die spezielle Abbildung d(x, y) := 0, falls x = y 1, falls x = y auf einer beliebigen, nichtleeren Menge X ist eine Metrik. Verifizieren Sie die geforderten Eigenschaften (M1) bis (M4) ebenfalls als Übung. 3. Als drittes Beispiel betrachten wir den n-dimensionalen Zahlenraum Rn = R × . . . × R zusammen mit der Abbildung 1 2 n ∑ |xk − yk |2 d(x, y) := , k=1 wobei wir x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn usw. abkürzen. Dann ist auch (Rn , d) ein metrischer Raum. Den Nachweis der Eigenschaften (M1), (M2) und (M3) belassen wir erneut als Übung. Ein Nachweis der Dreiecksungleichung (M4) ist allerdings aufwendiger. Um uns also von dieser Eigenschaft zu überzeugen, gehen wir aus von der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung n n ∑ |ξk ηk | ≤ ∑ |ξk | k=1 k=1 1 2 2 n · ∑ |ηk | 1 2 2 k=1 die wir bereits in Kapitel 1, Abschnitt 1.5.5 für den Fall komplexwertiger Vektoren ξ = (ξ1 , . . . , ξn ) ∈ Cn und η = (η1 , . . . , ηn ) ∈ Cn bewiesen haben. 6.1 Metrische, normierte und topologische Räume 179 Mit ihrer Hilfe schätzen wir wie folgt ab n ∑ |ξk + ηk |2 ≤ k=1 n ∑ (|ξk | + |ηk |)2 = k=1 n ≤ ∑ |ξ k | 2 k=1 n n n n k=1 k=1 ∑ |ξk |2 + ∑ |ηk |2 + 2 ∑ |ξk ηk | k=1 1 2 n 2 + ∑ |ηk | + 2 · k=1 ∑ |ξ k | 2 k=1 1 2 n ∑ |ηk | · 2 . k=1 Die Summanden auf der rechten Seite können wir zu einem vollständigen Quadrat zusammenfassen, n n k=1 k=1 1 2 ∑ |ξk + ηk |2 ≤ ∑ |ξk |2 1 2 n , ∑ |ηk |2 + 2 k=1 und wir erhalten nach Radizieren 1 2 n ∑ |ξk + ηk | 2 ≤ k=1 1 2 n ∑ |ξ k | 2 n + k=1 ∑ |ηk | 1 2 2 . k=1 Das ist ein Spezialfall der sogenannten Minkowskiungleichung, die wie später in unendlich dimensionalen Zahlenräumen kennenlernen werden. Ersetzen wir jedenfalls in dieser Ungleichung ξk := xk − yk , ηk := yk − zk , so gelangen wir zu 1 2 n ∑ |xk − zk | k=1 2 n ≤ ∑ |xk − yk | 1 2 2 n + k=1 ∑ |yk − zk | 1 2 2 k=1 bzw. mit obiger Definition des Abstands d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z). Also ist auch (Rn , d) ein metrischer Raum. Weitere Beispiele von Metriken in zwei Dimensionen sind: d(x, y) = |x1 − y1 |2 + |x2 − y2 |2 , ρ (x, y) = |x1 − y1 | + |x2 − y2|, σ (x, y) = max{|x1 − y1 |, |x2 − y2|} . An diesen Beispiel wird die Bedeutung des Begriffes einer Metrik als eine Verallgemeinerung des naiven Abstandbegriffs auf abstrakte Räume deutlich. 180 6 Metrik und Topologie 6.1.3 Normierte Räume Als Nächstes führen wir eine die bekannte Betragsfunktion | · | : R → [0, ∞) verallgemeinernde Abbildung auf reellen Vektorräumen ein. Definition 6.2. Es sei V ein reeller Vektorraum. Eine Abbildung · : V → [0, ∞) heißt eine Norm auf V, falls für alle x, y ∈ V und alle λ ∈ R gelten (N1) (N2) (N3) (N4) x ≥ 0; x = 0 genau dann, wenn x = 0; λ x = |λ | · x ; x+y ≤ x + y . Das Paar (V, · ) heißt dann ein normierter Vektorraum. In dieser Definition bezeichnen ◦ ◦ ◦ (N1) die Nichtnegativität der Norm, (N3) die Homogenität der Norm, (N4) die Dreiecksungleichung. Liegt auf einem reellen Vektorraum V eine Norm vor, so induziert diese sofort eine Metrik, wie unser erster Satz in diesem Kapitel lehrt. Satz 6.1. Es sei (V, · ) ein normierter Vektorraum. Dann wird vermöge d(x, y) := x − y , x, y ∈ V, eine Metrik auf V definiert. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ 6.1.4 Beispiele normierter Räume 1. Betrachte wieder den n-dimensionalen Vektorraum Rn , ausgestattet mit dem Standartskalarprodukt x, y := x1 y1 + x2 y2 + . . . + xn yn (zur Definition eines Skalarprodukts verweisen wir auf die Vorlesungen zur Linearen Algebra). Dann erfüllt x 2 := x, x , x ∈ Rn , die sogenannte Euklidische Norm, die Eigenschaften einer Norm im Sinne unserer vorigen Definition 6.2, d.h. (Rn , · 2) ist ein normierter Raum. 6.1 Metrische, normierte und topologische Räume 2. Eine weitere Norm auf dem Zahlenraum Rn ist die Maximumsnorm x 3. 181 ∞ := max{|x1 |, . . . , |xn |} . Für einen Nachweis der Normeigenschaften (N1) bis (N4) verweisen wir auf die Übungen. Als Verallgemeinerung dieser beiden Beispiele wollen wir die endlichdimensionalen p-Normen anführen 1 p n x p ∑ |xk | := p k=1 für reelles 1 ≤ p < ∞. Die Fälle p = 1 und p = 2 im dritten Beispiel spielen eine besondere Rolle: p = 1 : Betragssummennorm, p = 2 : Euklidische Norm. Formal lässt sich die Maximumsnorm aus dem zweiten Beispiel wie folgt aus der endlichdimensionalen p-Norm für p → ∞ ableiten“: Für x = 0 haben wir zunächst ” 1 p n x p = ∑ |xk | p n = x k=1 ∞· ∑ k=1 1 p p |xk | x ∞ =: x ∞ · (Σ ) 1 p . Man überlege sich nun, dass gilt 1 ≤ Σ ≤ n, und zwar unabhängig von x = 0 und 1 ≤ p < ∞. Wir schließen also n lim x p→∞ p = x ∞· lim p→∞ ∑ k=1 |xk | x ∞ p 1 p = x ∞ · 1. Um Abstandsmessungen über Normen durchzuführen, ist es natürlich wesentlich, welche Norm zu diesem Zweck verwendet wird. Handelt es sich allerdings um Abstandsmessungen im Rn (oder überhaupt um endlichdimensionale Vektorräume), so gilt die folgende grundlegende Aussage: → Im Rn sind alle Normen äquivalent, d.h. zu zwei beliebig vorgegebenen Normen · : Rn → [0, ∞) und · ∗ : Rn → [0, ∞) existieren stets reelle Zahlen λ , µ > 0 mit der Eigenschaft λ x ≤ x ∗ ≤µ x für alle x ∈ Rn . Zum Beweis dieser Aussage benötigt man insbesondere ein höherdimensionales Analogon des Fundamentalsatzes von Weierstraß aus Kapitel 3, Satz 3.6 unserer Vorlesung. Wir kommen an geeigneter Stelle darauf zurück. 182 6 Metrik und Topologie 6.1.5 Offene Mengen Wir wollen nun darstellen, was im Rahmen der Theorie der metrischen Räume unter einer offenen Menge zu verstehen ist. Es sei also (X , d) ein metrischer Raum, und wir bezeichnen zunächst mit Br (a) := {x ∈ X : d(a, x) < r} die offene Kugel mit Mittelpunkt a ∈ X und Radius r bez. der gewählten Metrik d. Definition 6.3. Eine Teilmenge U ⊂ X eines metrischen Raumes (X , d) heißt eine Umgebung des Punktes a ∈ X, falls ein reelles ε > 0 existiert mit Bε (a) ⊂ U. Zwei verschiedene Punkte eines metrischen Raumes lassen sich durch zwei Umgebungen voneinander trennen. Man sagt: In einem metrischen Raum gilt das Hausdorffsche Trennungsaxiom (siehe auch Abschnitt 6.1.8 unten). Satz 6.2. Es sei (X , d) ein metrischer Raum. Zu zwei beliebig gewählten, verschiedenen Punkten x, y ∈ X existieren dann zwei zueinander disjunkte Umgebungen U ⊂ X von x und V ⊂ X von y, d.h. es gilt U ∩V = 0. / Beweis. Setze nämlich 1 · d(x, y) > 0 2 und betrachte die beiden Umgebungen ε := U := Bε (x) und V := Bε (y). Dann sind U und V zueinander disjunkt, d.h. es existiert kein z ∈ X mit z ∈ U ∩ V. Andernfalls wäre nämlich für ein solches z ∈ U ∩V auch z ∈ U, z ∈ V, d.h. d(x, z) < ε , d.h. d(y, z) < ε . Aus der Dreiecksungleichung (M4) folgt nun 2ε = d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) < ε + ε = 2ε , ⊔ also 2ε < 2ε . Das ist aber ein Widerspruch. ⊓ Definition 6.4. Sei (X , d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge U ⊂ X heißt offen in (X , d), wenn sie Umgebung jedes ihrer Punkte ist, d.h. wenn zu jedem a ∈ U ein ε > 0 existiert mit der Eigenschaft Bε (a) ⊂ U. 6.1 Metrische, normierte und topologische Räume 183 Die einfachsten Beispiele offener Mengen in einem metrischen Raum (X , d) sind (Erläutern Sie ausführlich!): ◦ ◦ das offene Intervall (x, y) ⊂ R, wobei genauer X = R und d(x, y) = |x − y|, oder die offene Kugel Br (a) ⊂ X selbst. Ferner sind offen (beide Aussagen sind trivial“): ” ◦ die Menge X selbst ◦ und die leere Menge 0. / Satz 6.3. Es sei (X , d) ein metrischer Raum, und es seien U,U1 ,U2 , . . . ,V ⊂ X Teilmengen. Dann sind die folgenden Aussagen richtig: (i) (ii) Sind U und V zwei offene Mengen, so auch ihr Durchschnitt U ∩V. Sind Ui , i ∈ I mit einer Indexmenge I, offen, so auch die Vereinigung Ui . i∈I Beweis. Wir führen den Beweis in zwei Schritten: (i) Wähle ein x ∈ U ∩ V. Da U und V nach Voraussetzung offen sind, existieren reelle Zahlen ε1 > 0 und ε2 > 0 mit Bε1 (x) ⊂ U, Bε2 (x) ⊂ V. Mit ε := min{ε1 , ε2 } sind dann aber auch Bε (x) ⊂ U (ii) und Bε (x) ⊂ V, d.h. Bε (x) ⊂ U ∩V, und daher ist U ∩V offen. Wähle ein beliebiges Element x∈ Ui . i∈I abDann existiert ein Index i0 ∈ I mit x ∈ Ui0 , und da nach Voraussetzung die Menge Ui0 offen ist, gibt es ein ε > 0 mit der Eigenschaft Bε (x) ⊂ Ui0 ⊂ Ui . i∈I Daher ist die rechts stehende Vereinigung offen. Der Satz ist vollständig bewiesen. ⊓ ⊔ Wir weisen darauf hin, dass nach Aussage (i) dieses Satzes der Durchschnitt endlich vieler offener Mengen wieder offen ist. → Der Durchschnitt unendlich vieler offener Mengen muss aber nicht mehr notwendig offen sein. 184 6 Metrik und Topologie Betrachte nämlich als Gegenbeispiel die folgende Familie offener Mengen 1 1 Ui = − , 1 + i i ⊂ R, i = 1, 2, . . . , für deren Durchschnitt wir ermitteln ∞ i=1 Ui = [0, 1] ⊂ R. Die Menge [0, 1] ist in R aber nicht offen. 6.1.6 Beispiele Auch die folgende Bezeichnung ist üblich: Definition 6.5. Es seien (X , d) ein metrischer Raum und U ⊂ X eine Teilmenge. Ein Punkt a ∈ U heißt innerer Punkt von U in (X, d), falls es ein ε > 0 gibt mit Bε (a) ⊂ U. Die Menge aller inneren Punkte a ∈ U einer solchen Teilmenge U ⊂ X heißt auch das Innere von U, in Zeichen Ů. → Die Teilmenge U ist also genau dann offen in (X, d), wenn jeder Punkt a ∈ U ein innerer Punkt von U ist, d.h. wenn U mit ihrem Inneren übereinstimmt. Die folgenden Beispiele sollen zeigen, dass alle diese Begriffsbildungen wesentlich von den folgenden drei Faktoren abhängen: ◦ ◦ ◦ der zu betrachtenden Teilmenge U ⊂ X , der gewählten Metrik d(x, y), und der einbettenden (übergeordneten) Menge X selbst. Das dritte Beispiel beinhaltet eine überraschende Eigenschaft diskreter Mengen. 1. Vorgelegt seien der metrische Raum (R, d) mit d(x, y) = |x − y| sowie die Teilmenge U = (0, 1] ⊂ R. Wir wollen zeigen, dass U in (R, d) nicht offen ist. ◦ Jeder Punkt a ∈ (0, 1) ist ein innerer Punkt von U, denn mit der Wahl 0 < ε < min{a, 1 − a} haben wir ε < a und ε < 1 − a bzw. 0 < a − ε und a + ε < 1. Also ist auch (diese Abschätzungen benötigen wir in der zweiten Zeile!) Bε (a) = {x ∈ R : d(x, a) < ε } = {x ∈ R : |x − a| < ε } = (a − ε , a + ε ) ⊂ (0, 1) ⊂ (0, 1] = U. 6.1 Metrische, normierte und topologische Räume ◦ 2. 185 Der Punkt a = 1 gehört zu U, aber jeder offene Ball Bε (a) mit ε > 0 enthält Punkte x > 1 aus R, die nicht zu U gehören. Also ist U ⊂ R in (R, d) nicht offen. Vorgelegt sei der metrische Raum (T, d) mit T = (−∞, 1] und d(x, y) = |x − y|. Wähle auch jetzt wieder U = (0, 1] ⊂ T. Wir wollen zeigen, dass U in (T, d) offen ist. Unter Kenntnis des vorigen Beispiels genügt es dazu, nur noch den Punkt a = 1 zu untersuchen: B 1 (1) = x ∈ T : |x − 1| < 2 1 2 = 1 3 ∩ − ∞, 1 = , 2 2 1 ,1 . 2 Zusammenfassend ist B 1 (1) = 2 3. 1 , 1 ⊂ 0, 1 = U, 2 d.h. a = 1 ist ein innerer Punkt von U in (T, d). Zusammen mit dem vorigen Beispiel folgt, dass U ⊂ T in (T, d) offen ist. Drittens sei N = {1, 2, 3, . . .} die Menge der natürlichen Zahlen, ausgestattet mit der diskreten Metrik d(x, y) aus dem zweiten Beispiel aus Abschnitt 6.1.2. Dann ist jede Teilmenge U von N offen in (N, d), denn wählen wir einen Punkt a ∈ U beliebig, so ist B1 (a) = {x ∈ N : d(a, x) < 1} = {a} ⊂ U. 6.1.7 Abgeschlossene Mengen Wir kommen nun zur nächsten Definition 6.6. Eine Teilmenge U ⊂ X eines metrischen Raumes (X, d) heißt abgeschlossen, wenn ihr Komplement X \ U offen ist. Die einfachsten Beispiele abgeschlossener Mengen sind (Erläutern Sie!) ◦ ◦ das abgeschlossene Intervall [x, y] ⊂ R, oder die abgeschlossene Kugel Kr := {x ∈ Rn : x 2 ≤ 1} ⊂ Rn . Ferner sind abgeschlossen (Warum?) ◦ ◦ die Menge X selbst und die leere Menge 0, / Das Beispiel des Intervalls (x, y] ⊂ R, welches in R weder offen noch abgeschlossen ist, zeigt uns: Eine Menge, die nicht offen ist, ist nicht notwendig abgeschlossen, und umgekehrt. 186 6 Metrik und Topologie Satz 6.4. Es seien (X , d) ein metrischer Raum, und es seien U,U1 ,U2 , . . . ,V ⊂ X Teilmengen. Dann sind folgende Aussagen richtig: (i) (ii) Sind U und V abgeschlossen, so auch ihre Vereinigung U ∪V. Sind Ui , i ∈ I mit einer Indexmenge I, abgeschlossen, so auch Ui . i∈I Beweis. Übungsaufgabe. Verwenden Sie die de Morganschen Regeln der Mengenlehre zusammen mit Satz 6.3. ⊓ ⊔ Definition 6.7. Es seien (X, d) ein metrischer Raum und U ⊂ X eine Teilmenge. Ein Punkt a ∈ X heißt Randpunkt von U, falls in jeder Umgebung von a sowohl ein Punkt von U als auch ein Punkt von X \ U liegt. Die Menge aller Randpunkte einer solchen Teilmenge U ⊂ X heißt Rand von U und wird mit ∂ U bezeichnet. Beispielsweise besitzt die in (Rn , · 2) abgeschlossene Kugel Kr := {x ∈ Rn : x 2 ≤ r} ⊂ Rn mit Zentrum 0 ∈ Rn und Radius r > 0 den Rand ∂ Kr = {x ∈ Rn : x 2 = r} und das Innere K̊r = {x ∈ Rn : x 2 < r} . Offenbar ergibt sich Kr = ∂ Kr ∪ K̊r . Satz 6.5. Es seien (X, d) ein metrischer Raum und U ⊂ X eine Teilmenge. Dann sind folgende Aussagen richtig: (i) (ii) (iii) Die Menge U \ ∂ U ist offen. Die Menge U ∪ ∂ U ist abgeschlossen. Die Menge ∂ U ist abgeschlossen. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ Die Menge U ∪ ∂ U bezeichnen wir auch als den Abschluss von U, in Zeichen U = U ∪ ∂ U. 6.1.8 Topologische Räume Bislang haben wir Offenheit und Abgeschlossenheit für Teilmengen metrischer Räume kennengelernt. Es zeigt sich aber, dass der Begriff der offenen Menge elementarer ist als der der Metrik. Um uns vom Begriff der Metrik zu lösen, benötigen wir die folgende 6.2 Konvergenz in metrischen Räumen und Stetigkeit 187 Definition 6.8. Es sei X eine Menge. Ein System T von Teilmengen von X heißt eine Topologie auf X , falls gelten: (T1) (T2) (T3) 0/ ∈ T und X ∈ T ; U,V ∈ T, so auch U ∩V ∈ T ; Ui ∈ T für alle i ∈ I mit einer Indexmenge I, so auch i∈I Ui ∈ T. Das Paar (X, T ) heißt dann ein topologischer Raum. Nach obigem Satz 6.3 sowie der diesem Satz vorangehenden Bemerkung bildet das System der offenen Mengen eines metrischen Raumes eine solche Topologie, weshalb sich die Theorie der metrischen Räume der Theorie der topologischen Räume unterordnet. Wir bezeichnen eine Teilmenge U ⊂ X eines topologischen Raumes (X, T ) als ◦ ◦ offen, falls U ∈ T, abgeschlossen, falls X \ U offen ist. Ist ferner a ∈ X ein beliebig gewählter Punkt, so bezeichnet V ⊂ X eine Umgebung dieses Punktes, falls es eine offene Teilmenge U ⊂ X gibt mit a ∈ U ⊂ V. Falls schließlich zu zwei verschiedenen Punkten x, y ∈ X disjunkte Umgebungen U von x bzw. V von y existieren, die also die Punkte x und y trennen, so heißt der topologische Raum (X, T ) ein Hausdorffraum. Für ausführliche Betrachtungen zu metrischen und topologischen Räumen verweisen wir auf J.J. Kolihas Lehrbuch Metrics, norms and integrals (2008). 6.2 Konvergenz in metrischen Räumen und Stetigkeit 6.2.1 Konvergenz von Punktfolgen Wir wollen nun den Begriff der Konvergenz aus Kapitel 1, Definition 1.29 in den Kontext metrischer Räume übertragen. Dazu werden wir von unserer bisher benutzten Notation {xk }k=1,2,... für (Zahlen- oder Punkt-)Folgen abweichen und diese ersetzen durch {x(k) }k=1,2,... Definition 6.9. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X von Punkten aus X heißt gegen einen Punkt x ∈ X konvergent, falls zu jedem ε > 0 ein N(ε ) ∈ N existiert mit der Eigenschaft d(x(k) , x) < ε für alle k ≥ N(ε ). 188 6 Metrik und Topologie In diesem Fall schreiben wir auch x := lim x(k) oder x(k) → x für k → ∞ . k→∞ Gleichwertig können wir auch sagen, dass {x(k) }k=1,2,... gegen ein x ∈ X konvergiert, falls zu jeder offenen Umgebung U dieses Punktes ein Index N ∈ N existiert, so dass x(k) ∈ U für alle k ≥ N. Satz 6.6. Der Grenzwert x ∈ X einer konvergenten Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X eines metrischen Raumes (X , d) ist eindeutig. Beweis. Es seien nämlich x ∈ X und y ∈ X zwei dieser Grenzwerte. Dann ermitteln wir mit Hilfe der Dreiecksungleichung (M4) 0 ≤ d(x, y) ≤ d(x, x(k) ) + d(x(k) , y) −→ 0 und nach (M1) ist notwendig x = y. für k → ∞ , ⊔ ⊓ Wir können die vorige Definition leicht auf den metrischen Raum (Rn , d) mit der Euklidischen Abstandsmetrik n d(x, y) = ∑ |xk − yk |2 k=1 für Vektoren x = (x1 , . . . , xn ) und y = (y1 , . . . , yn ) spezifizieren, indem wir die Konvergenz vektorieller Punktfolgen auf die (Betrags-)Konvergenz ihrer einzelnen Komponentenfolgen zurückführen: Satz 6.7. Die Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ Rn des normierten Raumes Rn konvergiert genau dann gegen ein x ∈ Rn , falls zu jedem ε > 0 ein N(ε ) ∈ N existiert mit (k) |xℓ − xℓ| < ε für alle k ≥ N(ε ) und alle ℓ = 1, 2, . . . , n. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ 6.2.2 Charakterisierung abgeschlossener Mengen Nach Definition 6.6 ist eine Menge abgeschlossen, wenn ihr Komplement offen ist. Der vorige Konvergenzbegriff erlaubt uns nun die folgende Charakterisierung von Abgeschlossenheit in metrischen Räumen: Satz 6.8. Es sei (X , d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge U ⊂ X ist genau dann abgeschlossen, wenn für jede Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ U mit x(k) → x ∈ X gilt lim x(k) = x ∈ U. k→∞ 6.2 Konvergenz in metrischen Räumen und Stetigkeit 189 Beweisskizze. Der Beweis besteht aus zwei Teilen. (i) (ii) Ist U abgeschlossen, so ist x ∈ U. Andernfalls wäre x ∈ X \ U, und da X \ U als Komplement von U offen ist, stellt X \U selbst eine Umgebung von x dar. Nach Definition 6.9 und der anschließenden Bemerkung existiert dann aber auch ein Index ℓ ∈ N mit xℓ ∈ X \ U im Widerspruch zu {x(k) }k=1,2,... ⊂ U. Nun gelte x(k) → x ∈ U für jede beliebige Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ U. Wir zeigen, dass das Komplement X \ U von U offen ist und schließen daraus die Abgeschlossenheit von U. Zu diesem Zweck wählen wir ein z ∈ X \ U. Falls nun für jedes ε > 0 gelten würde Bε (z) ∩U = 0/ , so finden wir auch zu jedem k ∈ N ein z(k) ∈ U mit (Übung!) d(z(k) , z) < 1 , k k = 1, 2, . . . Das bedeutet aber nach Voraussetzung z(k) → z ∈ U im Widerspruch zur Annahme z ∈ X \ U (vgl. Satz 6.2!). Es existiert also ein ε > 0 mit Bε (z) ∩U = 0/ bzw. Bε (z) ⊂ X \ U, d.h. X \ U ist offen. Damit ist der Satz bewiesen. ⊓ ⊔ 6.2.3 Vollständige metrische Räume Fundamental für die gesamte Analysis ist nun die Definition 6.10. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X heißt eine Cauchyfolge, wenn zu jedem ε > 0 eine natürliche Zahl N(ε ) ∈ N existiert mit der Eigenschaft d(x(m) , x(n) ) < ε für alle m, n ≥ N(ε ). Wie in Satz 1.22 aus Kapitel 1 beweist man den Satz 6.9. Jede im Sinne von Definition 6.9 konvergente Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X eines metrischen Raumes (X , d) ist eine Cauchyfolge. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ Satz 1.22 aus Kapitel 1 besagt aber darüberhinaus, dass auch jede Cauchyfolge in R konvergiert, was wir als Vollständigkeit der reellen Zahlen bezeichnet haben. Diese Beobachtung machen wir jetzt zur Definition: 190 6 Metrik und Topologie Definition 6.11. Ein metrischer Raum (X , d) heißt vollständig oder ein Banachraum, falls jede Cauchyfolge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X gegen ein x ∈ X konvergiert. Satz 6.10. Der normierte Vektorraum Rn ist vollständig. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ Beispiel 6.1. Betrachte den metrischen Raum (X , d) mit X = (0, 1] und d(x, y) = |x − y|. Dann ist die vermöge 1 , k = 1, 2, . . . , k gegebene Folge eine Cauchyfolge, denn zu beliebig vorgelegtem ε > 0 ermitteln wir x(k) = d(x(m) , x(n) ) = 2 1 1 1 1 − ≤ + ≤ <ε m n m n N(ε ) für alle m, n ≥ N(ε ) und geeignet zu wählendem Index N(ε ) ∈ N. Es konvergiert aber {x(k) }k=1,2,... ⊂ X nicht gegen ein Element in X. Wäre nämlich x ∈ X ein solcher Grenzwert, so berechnen wir für alle n ≥ 2x d(x(n) , x) = 1 x 1 −x = x− ≥ . n n 2 Erklären Sie diese Beobachtung. 6.2.4 Der Cantorsche Durchschnittssatz Betrachte die reellen, abgeschlossenen und nichtleeren Teilintervalle Uk = x ∈ R : 0 ≤ x ≤ 1 , k k = 1, 2, . . . Offenbar gehört die Zahl 0 ∈ R allen diesen Teilintervallen an: 0 ∈ U1 ∩U2 ∩U3 ∩ . . . Überhaupt existiert als Konsequenz der Vollständigkeit der reellen Zahlen zu jeder Folge reeller, nichtleerer, abgeschlossener und ineinander geschachtelter Teilmengen stets ein Punkt x0 ∈ R, welcher allen diesen Teilmengen angehört. → Das verstehen wir unter dem Cantorschen Durchschnittssatz in R. Der Cantorsche Durchschnittssatz lässt sich nun auf unsere allgemeine Situation übertragen. Dazu benötigen wir die 6.2 Konvergenz in metrischen Räumen und Stetigkeit 191 Definition 6.12. Es sei U ⊂ X eine Teilmenge des metrischen Raumes (X , d). Dann verstehen wir unter ihrem Durchmesser diamU := sup{d(x, y) : x, y ∈ U} . Satz 6.11. Es sei (X , d) ein vollständiger metrischer Raum. Ferner sei vermittels U0 ⊃ U1 ⊃ U2 ⊃ U3 ⊃ . . . eine Folge nichtleerer, abgeschlossener und ineinander geschachtelter Teilmengen gegeben mit der Eigenschaft lim diamUk = 0. k→∞ ∞ Dann existiert genau ein Punkt x ∈ X mit x ∈ Uk . k=1 Beweis. Wir beweisen die Eindeutigkeit und die Existenz eines solchen Punktes. (i) (ii) Eindeutigkeit: Führe als Übung die Annahme zweier verschiedener solcher Punkte x = y vermittels des Trennungsaxioms zu einem Widerspruch. Existenz: Zu jedem Index ℓ = 1, 2, . . . wählen wir ein x(ℓ) ∈ Uℓ . Da gilt d(x(m) , x(n) ) ≤ diamUN für alle m, n ≥ N, bildet die so gewählte Folge {x(ℓ) }ℓ=1,2,... ⊂ X eine Cauchyfolge. Nun ist (X , d) nach Voraussetzung vollständig. Es existiert also ein x ∈ X mit x(ℓ) → x für ℓ → ∞ . Fixiere jetzt einen beliebigen Index k ∈ N. Da x(n) ∈ Uk für alle n ≥ k richtig ist, und Uk ist nach Voraussetzung abgeschlossen, folgern wir {x(n) , x(n+1) , . . .} ⊂ Uk , und wegen der Abgeschlossenheit gilt x ∈ Uk für alle k = 1, 2, . . . Damit ist der Satz bewiesen. ⊓ ⊔ 6.2.5 Stetige Abbildungen auf metrischen Räumen Im nächsten Schritt betrachten wir Abbildungen zwischen metrischen Räumen. Definition 6.13. Es seien (X, d) und (Y, ρ ) zwei metrische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heißt stetig im Punkt x0 ∈ X , falls zu jedem ε > 0 ein δ (x0 , ε ) > 0 existiert mit der Eigenschaft ρ ( f (x), f (x0 )) < ε für alle x ∈ X mit d(x, x0 ) < δ (x0 , ε ). Die Funktion f : X → Y heißt stetig auf X , falls sie in jedem Punkt x ∈ X stetig ist. 192 6 Metrik und Topologie Äquivalent zu dieser Definition ist: → Die Abbildung f : X → Y ist stetig im Punkt x0 ∈ X , falls gilt lim f (x) = f (x0 ), x→x0 d.h. wenn f (x(k) ) −→ f (x0 ) für jede Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ X mit xk → x0 . Einen detaillierten Beweis dieser behaupteten Äquivalenz belassen wir als Übung und verweisen auf unsere Untersuchungen aus Kapitel 1. Wir wollen die Definition 6.13 in Termen offener Mengen formulieren: Satz 6.12. Die Abbildung f : X → Y zwischen den beiden metrischen Räumen X und Y ist stetig im Punkt x0 ∈ X , falls zu jeder offenen Umgebung V ⊂ Y des Bildpunktes f (x0 ) ∈ Y eine Umgebung U ⊂ X des Urbildpunktes x0 ∈ X existiert mit der Eigenschaft f (U) ⊂ V. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ In Rückblick auf den obigen Abschnitt 6.1.8 beinhaltet dieser Satz die fundamentale Aussage: → Stetigkeit ist eine topologische Eigenschaft. Erzeugen zwei Metriken dieselbe Topologie und sind in diesem Sinne äquivalent, so bleibt Stetigkeit nach Wechsel zwischen diesen Metriken erhalten. Aus diesem Resultat schließen wir nun das folgende topologische Kriterium zur Stetigkeit: Satz 6.13. Die Abbildung f : X → Y zwischen den metrischen Räumen (X, d) und (Y, ρ ) ist genau dann stetig auf X , falls für jede in (Y, ρ ) offene Menge W ⊂ Y das inverse Bild f −1 (W ) := {x ∈ X : f (x) ∈ W } offen in (X, d) ist. Beweis. Zum Beweis gehen wir in zwei Schritten vor: (i) Die Abbildung f : X → Y sei stetig auf X . Für eine beliebig gewählte offene Teilmenge W ⊂ Y setzen wir A := f −1 (W ) = {x ∈ X : f (x) ∈ W } , d.h. für jeden Punkt a ∈ A gilt f (a) ∈ W. Sei nun also ein Punkt a ∈ A beliebig gewählt. Da W ⊂ Y offen ist, existiert zunächst nach Definition 6.4 ein offener Ball B( f (a)) ⊂ W mit Zentrum f (a) ∈ W. 6.2 Konvergenz in metrischen Räumen und Stetigkeit 193 Aus der Stetigkeit der Funktion f folgt dann die Existenz eines offenen Balles B(a) ⊂ X mit Zentrum a ∈ X , so dass mit Satz 6.12 gilt f (B(a)) ⊂ B( f (a)) ⊂ W, d.h. es ist f (x) ∈ W (ii) für alle x ∈ B(a). Aus der Definition der Menge A = {x ∈ X : f (x) ∈ W } folgt jetzt B(a) ⊂ A, d.h. die Menge A ist offen. Nun werden offenen Mengen in Y vermittels der Inversen f −1 : Y → X von f : X → Y offene Mengen in X zugeordnet. Um die Stetigkeit der Abbildung f nachzuweisen, wählen wir einen beliebigen Punkt a ∈ X sowie eine beliebige offene Umgebung W ⊂ Y des Bildpunktes f (a) ∈ Y. Nach Voraussetzung ist dann die Menge A := f −1 (W ) offen in X und gleichzeitig eine offene Umgebung des Punktes a ∈ X . Außerdem gilt f (A) = f ( f −1 (W )) = f ({x ∈ X : f (x) ∈ W }) ⊂ W, und nach Satz 6.12 ist f stetig. Damit ist der Satz bewiesen. ⊓ ⊔ Abschließend wollen wir die wichtigsten algebraischen Rechenregeln zwischen stetigen Funktionen notieren. Für den Fall reellwertiger Funktionen, zwischen deren Funktionswerten die gewöhnliche Addition, Multiplikation und Division in den reellen Zahlen erklärt sind, gilt zunächst der Satz 6.14. Es sei (X , d) ein metrischer Raum, und es seien f , g : X → R stetige Funktionen. Dann sind auch die Funktionen ( f + g)(x) := f (x) + g(x) und ( f · g)(x) := f (x) · g(x) stetig. Gilt zusätzlich g(x) = 0 auf X, so ist auch der Quotient f g definiert vermöge f (x) g(x) stetig auf X . Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ Satz 6.15. Es seien f : X → Y und g : Y → Z stetige Funktionen zwischen den metrischen Räumen X und Y bzw. Y und Z. Dann ist auch die Komposition h: X → Z vermöge h := g ◦ f stetig auf X . Beweis. Übungsaufgabe unter Benutzung von Satz 6.13. ⊓ ⊔ 194 6 Metrik und Topologie 6.3 Kompaktheit 6.3.1 Kompakte Mengen In den bisherigen Kapiteln haben wir uns oft mit kompakten Intervallen [a, b] ⊂ R beschäftigt. Unter Kompaktheit“ verstanden wir dabei – gemäß Vereinbarung und ” nicht nach Definition – Abgeschlossenheit und Beschränktheit. Ziel dieses Abschnittes ist nun eine Definition des Kompaktheitsbegriffs im Rahmen der Theorie metrischer Räume und ein einführendes Studium stetiger Funktionen auf kompakten Mengen. Dazu müssen wir zunächst klären, was wir unter einer offenen Überdeckung einer Teilmenge U ⊂ X verstehen, nämlich eine Familie {Ui }i∈I (mit einer beliebigen Indexmenge I) von offenen Teilmengen Ui ⊂ X mit der Eigenschaft U⊂ Ui . i∈I Definition 6.14. Es sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Teilmenge U ⊂ X heißt kompakt, wenn es zu jeder offenen Überdeckung {Ui }i∈I von U eine endliche Teilüberdeckung gibt, d.h. mit endlich vielen Indizes i1 , . . . , ik ∈ I gilt U ⊂ Ui1 ∪Ui2 ∪ . . . ∪Uik , k ∈ N. Genauer sprechen wir in dieser Definition von Überdeckungskompaktheit. 6.3.2 Beispiele Wir betrachten zunächst zwei Beispiele nicht kompakter Mengen und anschließend ein Beispiel einer kompakten Menge. 1. Die Teilmenge (0, 1) ⊂ R ist (in (R, d) mit der üblichen Abstandsmetrik d) nicht kompakt, denn es bildet z.B. die Familie {Ui }i=0,1,2,... ⊂ R der offenen Mengen Ui := 1 1 , 2i+2 2i , i = 0, 1, 2, . . . , eine offene Überdeckung von (0, 1), denn es gilt (0, 1) ⊂ ∞ 1 1 1 1 1 ∪ ∪ . . . = Ui , ,1 ∪ , , 4 8 2 16 4 i=0 aber keine aus dieser offenen Überdeckung beliebig ausgewählte endliche Teilfamilie offener Mengen Ui überdeckt (0, 1). 6.3 Kompaktheit 195 2. Die Teilmenge (0, 1] ⊂ R ist ebenfalls nicht kompakt. Zum Nachweis betrachte man z.B. die Familie {Ui }i=1,2,... ⊂ R von offenen Mengen Ui := 1 1 , ,1 + i i i = 1, 2, 3, . . . Auch hieraus genügt es zur Überdeckung von (0, 1] nicht, endlich viele Teilmengen Ui auszuwählen. 3. Um schließlich zu zeigen, dass die Teilmenge [0, 1] ⊂ R kompakt ist, konstruieren wir wie folgt einen Widerspruch: Angenommen, [0, 1] ist nicht kompakt. Dann gehen wir wie folgt vor: ◦ Nach Annahme existiert eine offene Überdeckung {Ui }i∈I dieser Menge, die keine endliche Teilüberdeckung besitzt. ◦ Betrachte ein nichtleeres und abgeschlossenes Intervall [a1 , b1 ] ⊂ R mit der Eigenschaft [0, 1] ⊂ [a1 , b1 ], und setze Ω1 := [0, 1] ∩ [a1, b1 ]. Nach Voraussetzung überdeckt {Ui }i∈I die Menge Ω1 , aber {Ui }i∈I besitzt keine endliche Teilüberdeckung. ◦ Wir halbieren nun Ω1 in die Teilintervalle Ω1,ℓ und Ω1,r , so dass also gilt Ω1 = Ω1,ℓ ∪ Ω1,r . Beide Teilintervalle Ω1,ℓ und Ω1,r werden durch {Ui }i∈I überdeckt, aber zu wenigstens einem dieser beiden Teilintervalle existiert keine endliche Teilüberdeckung. Ein solches Teilintervall bezeichnen wir mit Ω2 . Wir führen dieses Halbierungsverfahren sukzessive fort und erhalten so eine Folge nichtleerer, abgeschlossener und ineinander geschachtelter Teilintervalle Ωk ⊂ R, k = 1, 2, 3, . . . , mit der Eigenschaft Ω1 ⊃ Ω2 ⊃ Ω3 ⊃ Ω4 ⊃ . . . mit lim diam Ωk = 0. k→∞ Nach dem Cantorschen Durchschnittsatz existiert dann genau ein a ∈ [0, 1] mit ∞ a∈ Ωk . k=1 Da aber eben a ∈ [0, 1], existieren auch ein Index m ∈ N und eine zugehörige offene Menge Um ∈ {Ui }i∈I mit a ∈ Um , sowie ein ε > 0 mit Bε (a) ⊂ Um . Wähle nun zu diesem ε > 0 ein N(ε ) ∈ N mit der Eigenschaft diam Ωk < ε 2 für alle k ≥ N(ε ). Dann wird aber Ωk von der einen offenen Menge Um überdeckt – Widerspruch. 196 6 Metrik und Topologie Dieses dritte Beispiel dient uns als Vorbild zum Beweis des Satz 6.16. Der abgeschlossene Quader Q := {x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn : ak ≤ xk ≤ bk , k = 1, . . . , n} mit den reellen Zahlen −∞ < ak ≤ bk < +∞, k = 1, . . . , n, ist kompakt. Beweis. Übungsaufgabe. 6.3.3 Der Satz von Heine und Borel Wir wollen nun gegenseitige Zusammenhänge kompakter und abgeschlossener bzw. beschränkter Mengen herausarbeiten. Dazu beginnen wir mit dem Satz 6.17. Es seien (X, d) ein metrischer Raum und U ⊂ X eine kompakte Teilmenge. Dann ist U beschränkt und abgeschlossen. Beweis. Mit Forster [7], Satz 3 aus §3, gehen wir in zwei Schritten vor: (i) Zum Nachweis der Beschränktheit von U ⊂ X wählen wir einen Punkt a ∈ X beliebig. Dann gilt zunächst ∞ Bk (a), X= k=1 Bk (a) = {x ∈ X : d(x, a) < k} , so dass {Bk (a)}k=1,2,... auch eine offene Überdeckung von U ⊂ X ist. Da U aber kompakt ist, gestattet diese Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung von U, d.h. wir können endlich viele Indizes k1 , . . . , kℓ ∈ N auswählen mit ℓ U⊂ Bk j (a). j=1 Setzen wir nun N := max{k1 , . . . , kℓ }, so ist insbesondere U ⊂ BN (a), (ii) d.h. U ⊂ X ist beschränkt. Wir kommen nun zum Nachweis der Abgeschlossenheit von U ⊂ X : Wähle dazu ein x ∈ X \ U beliebig und führe die offenen Mengen Un := y ∈ X : d(x, y) > 1 n als Komplemente“ offener Bälle um x ∈ X \ A der Radien r = n1 . ” 6.3 Kompaktheit 197 Es gelten ∞ X \ {x} = Uk k=1 ∞ U ⊂ X \ {x} = da U \ X und x ∈ X. Un , k=1 Also bildet {Un }n=1,2,... eine offene Überdeckung von U ⊂ X. Da U aber kompakt ist, gestattet diese Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung von U, d.h. wir können endlich viele Indizes k1 , . . . , kℓ ∈ N auswählen mit ℓ U⊂ Uk j . j=1 Setzen wir wieder N := max{k1 , . . . , kℓ }, so folgt offenbar B 1 (x) ⊂ X \ A, N d.h. x ist ein innerer Punkt von X \ A. Da aber x ∈ X \ A beliebig gewählt wurde, sind X \ A offen und damit A abgeschlossen. Damit ist der Satz vollständig bewiesen. ⊓ ⊔ Für Teilmengen U ⊂ Rn des Euklidischen Raumes Rn gilt sogar die folgende, als Satz von Heine und Borel bekannte Verschärfung des vorigen Resultats: Satz 6.18. Eine Teilmenge U ⊂ Rn ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist. Beweis. Wir gehen in mehreren Schritten vor: (i) (ii) Ist U ⊂ Rn kompakt, so auch beschränkt und abgeschlossen vorigem Satz. Ist U ⊂ X abgeschlossen und beschränkt, so ist U in einem hinreichend großem Quader Q ⊂ Rn enthalten, der nach Satz 6.16 kompakt ist: U ⊂ Q ⊂ Rn . (iii) Es verbleibt zu zeigen, dass dann auch U ⊂ Q kompakt ist als Teilmenge des kompakten Quaders. Das können wir aber auch viel allgemeiner beweisen: Sei nämlich K ⊂ X eine kompakte Menge eines metrischen Raumes (X, d), und sei V ⊂ K eine abgeschlossene Teilmenge. Dann ist auch V kompakt. Denn betrachte eine offene Überdeckung {Vi }i∈I von V, genauer V⊂ Vi . i∈I 198 6 Metrik und Topologie Da V ⊂ X abgeschlossen ist, ist das Komplement X \ V offen, und es gilt K ⊂ X = (X \ V ) ∪ Ui . i∈I Da K kompakt ist, finden wir nun endlich viele Indizes k1 , . . . , kℓ ∈ N mit K ⊂ (X \ V ) ∪ Uk1 ∪ . . . ∪Ukℓ , und wegen V ⊂ K schließen wir V ⊂ Uk1 ∪ . . . ∪Ukℓ . Also ist V ⊂ X kompakt. Damit ist der Satz bewiesen. ⊓ ⊔ 6.3.4 Konvergente Folgen in metrischen Räumen Betrachten wir noch einmal konvergente Folgen in einem metrischen Raum: Satz 6.19. Es sei (X , d) ein metrischer Raum, und es sei {x(k) }k=1,2,... ⊂ X ein konvergente Folge mit lim x(k) = x ∈ X. k→∞ Dann ist die Menge A := x(1) , x(2) , x(3) , . . . ∪ {x} kompakt. Beweis. Es sei {Ui }i∈I eine offene Überdeckung von A, aus der eine offene Teilüberdeckung von A gewonnen werden muss. ◦ ◦ ◦ Wegen x ∈ A existiert ein Index i0 ∈ I mit x ∈ Ui0 . Da Ui0 offen ist, ist Ui0 selbst eine Umgebung von x. Da x(k) → x für k → ∞, existiert ein Index N ∈ N mit x(n) ∈ Ui0 für alle n > N. Die anfänglichen endlich vielen Folgenelemente x(ℓ) , ℓ = 1, 2, . . . , N, sind aber ebenfalls Elemente irgend einer Menge Uik ⊂ {Ui }i∈I : x(ℓ) ∈ Uiℓ ⊂ {Ui }i∈I für ℓ = 1, 2, . . . , N. Insgesamt haben wir also mit A ⊂ Ui1 ∪Ui2 ∪ . . . ∪UiN ∪Ui0 eine endliche Teilüberdeckung von A gefunden. ⊓ ⊔ Aus den Sätzen 6.17 und 6.19 schließen wir nun sofort: → Jede konvergente Folge in einem metrischen Raum ist beschränkt. 6.3 Kompaktheit 199 Auch der Weierstraßsche Häufungsstellensatz, Satz 1.23 aus Kapitel 1 findet seine allgemeine Formulierung: Satz 6.20. Es seien (X, d) ein metrischer Raum und K ⊂ X eine kompakte Teilmenge. Ferner sei {x(k) }k=1,2,... ⊂ K eine Punktfolge. Dann existiert eine Teilfolge {x(kℓ ) }ℓ=1,2,... ⊂ K mit der Eigenschaft lim x(kℓ ) = x ∈ K. ℓ→∞ Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ Insbesondere haben wir damit die Aussage: → Jede beschränkte Folge {x(k) }k=1,2,... ⊂ Rn besitzt eine konvergente Teilfolge. Denn jede solche beschränkte Folge ist enthalten in einem hinreichend großen, abgeschlossenen Quader Q ⊂ Rn , der nach Satz 6.16 kompakt ist. Das vorige Resultat zeigt dann die Behauptung. 6.3.5 Stetige Funktionen auf kompakten Mengen Wir wollen auch stetige Funktionen zwischen metrischen Räumen auf kompakten Teilmengen studieren. Satz 6.21. Es seien (X , d) und (Y, ρ ) metrische Räume, und es sei f : X → Y eine stetige Abbildung. Ist K ⊂ X eine kompakte Teilmenge, so auch f (K) := { f (x) ∈ Y : x ∈ K} . Beweis. Es sei {Vi }i∈I eine offene Überdeckung des Bildes f (K). Dann sind auch alle Mengen Ui := f −1 (Vi ) offen nach dem Topologiekriterium der Stetigkeit aus Satz 6.13. Es gilt dabei K ⊂ Ui . i∈I Da aber K ⊂ X kompakt ist, existiert eine endliche Teilüberdeckung mit n K⊂ woraus wir schließen n f (K) ⊂ Also ist auch f (K) kompakt. ⊓ ⊔ n ∈ N, Uiℓ , ℓ=1 Viℓ . ℓ=1 200 6 Metrik und Topologie Wir können nun den Fundamentalsatz von Weierstraß, Satz 3.6 aus Kapitel 3, auf den Fall von auf metrischen Räumen definierten, reellwertigen Funktionen verallgemeinern. Satz 6.22. Es seien (X, d) ein kompakter metrischer Raum und f : X → R eine stetige Funktion. Dann ist die Menge f (X) ⊂ R beschränkt, und f (x) nimmt ihr Minimum und ihr Maximum in X an, d.h. es existieren xmin ∈ X und xmax ∈ X mit f (xmin ) ≤ f (x) ≤ f (xmax ) für alle x ∈ X . Beweis. Nach vorigem Satz 6.21 ist die Bildmenge f (X ) ⊂ R kompakt und nach Satz 6.17 auch beschränkt und abgeschlossen. Es existieren also µ := inf { f (x) : x ∈ X} und ν := sup { f (x) : x ∈ X} , und es gelten µ , ν ∈ f (X), da f (X) kompakt ist. Daher existieren auch xmin ∈ X und ⊔ xmax ∈ X mit den genannten Eigenschaften. ⊓ Neben Definition 6.13 stellen wir noch die Definition 6.15. Eine Abbildung f : X → Y zwischen den zwei metrischen Räumen (X , d) und (Y, ρ ) heißt gleichmäßig stetig auf X, falls zu jedem ε > 0 ein δ (ε ) > 0 existiert mit der Eigenschaft ρ ( f (x), f (y)) < ε für alle x, y ∈ X mit d(x, y) < δ (ε ). Wie im Reellen gilt auch hier der Satz 6.23. Es seien (X , d) ein kompakter metrischer Raum und (Y, ρ ) ein metrischer Raum. Dann ist die stetige Abbildung f : X → Y gleichmäßig stetig auf X. Beweis. Übungsaufgabe. ⊓ ⊔ 6.3.6 Nachtrag: Äquivalenz der Normen in Rn Bereits in Abschnitt 6.1.4 haben wir die Äquivalenz der Normen im Rn behauptet. Mit den eben bereit gestellten Hilfsmitteln wird uns nun sogar ein Beweis der folgenden Behauptung gelingen. Satz 6.24. Sämtliche Normen eines n-dimensionalen linearen Raumes X sind untereinander äquivalent, d.h. sind · : X → [0, ∞) und · ∗ : X → [0, ∞) zwei Normen, so existieren reelle Zahlen λ > 0 und µ > 0 mit λ x ≤ x ∗ ≤µ x für alle x ∈ X . Beweis. Der vorzutragende Beweis ist H. Triebels Lehrbuch Höhere Analysis, Beweis zu Satz 1.1, entnommen. 6.3 Kompaktheit 1. 201 Es sei {x1 , . . . , xN } eine Basis des N-dimensionalen linearen Raumes X . Dann kann man jedes Element x ∈ X eindeutig darstellen vermittels n x = ∑ λ i xi i=1 mit Koeffizienten λi . Wir setzen n x := ∑ |λi |. i=1 2. Dann ist · eine Norm auf X . Im Folgenden zeigen wir, dass jede andere Norm auf X zu · äquivalent ist. Sei also · ∗ eine weitere Norm auf X . Dann haben wir zunächst x ∗ n = ∑ λ i xi i=1 ∗ ≤ max xi 1≤i≤n ∗ n ∑ |λ i | = c 0 x i=1 mit c0 := max xi für i = 1, . . . , n. Das ist bereits die erste Richtung. Für die Rückrichtung betrachten wir den abgeschlossenen und beschränkten Einheitsball bez. · -Norm, d.h. n Λ := (λ1 , . . . , λn ) : ∑ |λ i | = 1 , i=1 und hierauf die Funktion n f (λ1 , . . . , λN ) := ∑ λ i xi ∗ i=1 , (λ1 , . . . , λn ) ∈ Λ . Zunächst ist f (λ1 , . . . , λn ) > 0. Um zu zeigen, dass f auf Λ stetig ist, berechnen wir unter Verwendung der inversen Dreiecksungleichung x − y ≤ x − y (Übungsaufgabe!) n f (λ1 , . . . , λn ) − f (µ1 , . . . , µn ) ≤ ∑ (λi − µi)xi i=1 ∗ n ≤ c0 ∑ |λi − µi |, i=1 und daraus folgt die behauptete Stetigkeit. Also nimmt f (x) auf der kompakten Menge Λ nach dem Fundamentalsatz von Weierstrass ihr positives Minimum an, und es folgt n ∑ λ i xi i=1 ∗ ≥ 1 1 = x C C n für alle x ∈ X mit x = ∑ |λi | = 1. i=1 Das Homogenitätsaxiom (N3) sichert x ≤ C x für alle x ∈ X . ⊔ ⊓