Medizintechnologie.de Maschinenperfusion in der Transplantationsmedizin 36 Grad in der Box Das Herz ist angeschlossen und wird von einer mobilen Maschine künstlich durchblutet. Das Organ Care System von TransMedics ist weltweit das erste im Einsatz. Quelle: TransMedics/Youtube 24.09.2015 Mediziner und Entwickler suchen einen Weg, um die Qualität von Spenderorganen und die Zahl der Spender zu erhöhen. Derzeit untersuchen zwei Forscherteams in Deutschland und in den USA ein neues Verfahren anhand einer mobilen Maschine, die Spenderherzen durchblutet. Diese Technologie könnte die Transplantationsmedizin revolutionieren. von Matthias Lehmphul Der Mensch ist bereits tot. Doch sein Herz schlägt noch. In einer Maschine. Dort ist es an Schläuche angeschlossen und wird so künstlich mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Diese innovative Medizintechnik – Organ Care System genannt – schafft den Chirurgen und ihren Teams vor allem eines: Zeit. „Wir bereiten Spender und Empfänger parallel im Operationssaal so vor, dass es normalerweise zu keinen Wartezeiten kommt“, sagt Professor Matthias Siepe, Abteilungschefarzt der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des UniversitätsHerzzentrum Freiburg am Standort Bad Krozingen. Schon bevor das Spenderorgan im Operationssaal eingetroffen ist, öffnen die Chirurgen den Brustkorb des Empfängers – zunächst mit einem etwa 20 Zentimeter langen Schnitt in der Haut. Um an das Herz zu gelangen, wird das Brustbein durchtrennt und anschließend mechanisch auseinander geklappt. In der Regel dauert dies nur wenige Minuten, bis die Operateure das kranke Herz schlagen sehen. „Diese Maschine hilft unter anderem dann, wenn die Öffnung des Brustkorbs aufgrund vieler Voroperationen unvorhersehbar lange dauert und wir das Spenderherz nicht planmäßig einbauen können.“ Diese unerwarteten Verzögerungen können die operative Vorarbeit durchaus um drei Stunden verlängern. „Dann ist eine künstliche Durchblutung des neuen Herzens sinnvoll.“ Die Ärzte transplantieren Organe nur, wenn das Herz eines Patienten droht, akut zu versagen und keine andere lebensrettende Therapie – etwa eine Herzklappen oder Bypassoperation – in Frage kommt. Allerdings ist die Nachfrage bei Weitem größer als das Angebot. Zum einen sinkt die Spendebereitschaft in der Bevölkerung. Gerade einmal 864 Organspender gab es nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) im Jahr 2014 – bundesweit. Zum anderen nimmt die Qualität der Herzen ab, denn das Alter der Spender steigt. Experten schätzen, dass bis zu 60 Prozent der Spenderorgane gar nicht genutzt werden. Deshalb suchen die Mediziner und Entwickler nach neuen Technologien, um die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen. Kalte Lagerung überwunden Das Gerät von TransMedics ist weltweit das erste seiner Art, das die Chirurgen in Kliniken anwenden. Neu ist das Grundprinzip nicht: Es heißt Maschinenperfusion. Das entnommene Herz wird über Schläuche an einen künstlichen Blutkreislauf angeschlossen und steril in einer entsprechenden Box gelegt. Das dafür verwendete Blut stammt vom Spender. Allerdings gilt die mobile Maschine von TransMedics unter Praktikern als In dieser mobilen Maschine können die Herzen transportiert werden. Dabei werden sie künstlich mit dem Blut der Spender versorgt. Quelle: TransMedics/Youtube innovativ. Denn mit ihrer Hilfe kann die so genannte „kalte Lagerung“ des explantierten Herzens überwunden und dadurch die Zeit bis zum Einpflanzen des Organs erheblich verlängert werden. In der Regel werden Spenderherzen nach der operativen Entnahme bis zum Öffnen der Hauptschlagader im Empfänger nicht durchblutet. Sind Vene und Aorta durchtrennt, legen die Ärzte das Herz in eine spezielle Flüssigkeit und dann auf Eis. So kühlen sie dessen Betriebstemperatur von 36 Grad auf vier Grad herunter. Dadurch wird der Stoffwechsel der Zellen gebremst und der Muskel so konserviert, dass er nicht gleich abstirbt. In diesem sogenannten ischämischen Zustand – also ein bestimmter Moment ohne jegliche Durchblutung – kann das Organ etwa drei bis vier Stunden gehalten werden, ohne Schaden zu nehmen. Das schränkt den Radius für erfolgreiche Transplantationen erheblich ein – nicht nur geografisch. Denn jede einzelne Transplantation muss geplant, klinisch vorbereitet und durchgeführt werden. Diese Apparatur verlängert nicht nur die mögliche Transportzeit der Spenderorgane. Während das Herz mit warmen, sauerstoffreichen Blut versorgt wird, kann es von Medizinern unter anderem mit Hilfe der Echokardiografie untersucht werden. Das ist bislang gar nicht Während des Transports wird das Herz im Organ Care Systems überwacht. Die Funktionsdiagnostik war bislang gar nicht möglich. Quelle: TransMedics/Youtube möglich. In der Regel verlassen sich die Mediziner auf die Patientenakte und die Voruntersuchungen des Spenders. Unter anderen überprüfen die Ärzte mit Ultraschallbildern, ob die Herzklappen voll funktionsfähig sind. Das Wissen über die Leistungsfähigkeit des Organs hilft den Chirurgen, wesentliche Entscheidungen vor dem operativen Austausch zu treffen. Desweiteren können die Mediziner mit einer „warmen Lagerung“ die Herzen konditionieren. „Gerade Spenderherzen mit verdickten Wänden können Schwierigkeiten nach dem Einpflanzen haben, also genau dann, wenn wir die Aorta öffnen und das Blut in das Herz fließt“, sagt Professor Siepe. Würde die Durchblutung mithilfe des Organ Care Systems nur sehr kurz unterbrochen, pumpten sie auch im Empfänger weiter. Noch kein belastbarer Nachweis über Patientennutzen In Deutschland wurde 2006 erstmalig ein Spenderherz am Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen „warm“ transplantiert. Mittlerweile verfügen sechs Kliniken über ein Organ Care System. Chirurgen am Deutschen Herzzentrum in Berlin lagerten ein Spenderherz 7,5 Stunden erfolgreich zwischen – das ist schon rekordverdächtig. Der Apparat ist sehr teuer. Allein der Anschaffungspreis liegt laut MIT Technology Review bei umgerechnet etwa 220.000 Euro. Der einmalige Einsatz kostet laut GKVSpitzenverband derzeit 43.881 Euro – zusätzlich zur eigentlichen Behandlung in den beteiligten Krankenhäusern sowie der Organisation der Transplantation und dem Transport des Herzens. Der Preis beinhaltet die sterilen Teile der Maschine, die nur einmal verwendet werden können. Da ist die Frage nach dem Patientenutzen und der Wirtschaftlichkeit nur berechtigt. Allerdings gibt es weltweit noch keine Studien, die belegen, dass diese neue Behandlungsmethode erfolgreicher ist als das Regelverfahren – also die „kalte Lagerung“. Deshalb übernimmt die gesetzliche Krankenkasse derzeit nicht die Kosten dafür. Allerdings gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Hersteller, dem GKV- Spitzenverband und und der Deutschen Stiftung Organtransplantation über die „kontrollierte Einführung“ des Organ Care Systems in Deutschland - eine Regelung um diese Technik im Rahmen der klinischen Forschung einsetzen zu können. Professor Matthias Siepe überprüft seit 2012 den Einsatz dieser mobilen Maschine in einer multizentrischen Studie. Das heißt, sechs deutsche Herzzentren beteiligen sich an diesem Forschungsprojekt. 19 Transplantationen erfolgten bislang im Rahmen dieser Untersuchung. Erste Zwischenergebnisse könnten im kommenden Jahr Aufschluss darüber geben, ob dadurch bewiesen werden kann, dass der Einsatz dieser Geräte sinnvoll ist. Parallel dazu gibt es ein Forscherteam in Los Angeles, das die neue Behandlungsmethode analysiert. Aufgrund von drei Herausforderungen wäre diese neue Methode in der Transplantationsmedizin durchaus sinnvoll: 1. um große Entfernungen zu überbrücken; 2. um die Qualität des Organs zu verbessern; und 3. um es im Falle einer unvorhersehenen verlängerten Präparationszeit des Empfängers im Operationssaal zwischenzulagern. Erweiterung der Spendergruppe durch Maschinenperfusion möglich Es gäbe auch einen vierten Indikator: mehr Spender. Allerdings ist dies umstritten. In Deutschland kommen derzeit nur Spender für Herztransplantationen in Frage, die von zwei Ärzten unabhängig voneinander für hirntot erklärt wurden und deren lebenserhaltenden Geräte noch nicht abgeschaltet sind. 2014 entnahmen Chirurgen in Australien Prof. Dr. med. Matthias Siepe ist Abteilungschefarzt erstmals drei Herzen von Spendern, der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie des die an Herz-Kreislauf-Versagen Universitäts Herzzentrum Freiburg Bad Krozingen. verstorben waren (sogenannte Er leitet die multizentrische Studie über den Nutzen DCD-Spender), und schlossen die des Organ Care Systems von TransMedics. Herzen innerhalb von 22, 25 und 28 Quelle: Universitäts-Herzzentrum Freiburg Minuten an jeweils einen künstlichen Blutkreislauf an. „Die Möglichkeit, ein Spenderherz von DCD-Spendern sicher einzupflanzen, könnte ein Paradigmenwechsel sein, der die Anzahl verfügbarer geeigneter Spenderherzen für Patienten steigern könnte, die an Herzversagen in der Endphase leiden“, sagt Waleed Hassanein, Vorstandsvorsitzender von TransMedics. Professor Siepe hält die Erweiterung der Spendergruppe aufgrund dieser innovativen Technologie für ethisch vertretbar. „Wenn eine Patientenverfügung vorhanden ist und die Familienangehörigen zustimmen, dann sehe ich keinen Grund für zusätzliche ethische Bedenken.“ Die lebenserhaltenen Maßnahmen würden beim Todkranken eingestellt und der Patient stirbt durch den Herzstillstand. Erst nach dem ärztlich attestierten Herzstillstand entnähmen die Operateure das Organ. Und erst in der mobilen Maschine würde es dann wieder anfangen zu schlagen. Vor allem Unfallopfer könnten so ihr Herz spenden. Auch Menschen über 55 Jahre, deren Herzwände verdickt sind, kämen dann in Betracht. Aber gerade im Hinblick auf die Organspendeskandale in der jüngsten Vergangenheit, scheint eine Abänderung des Transplantationsgesetzes in Deutschland wenig wahrscheinlich – zumindest aus heutiger Sicht. Auch im Hinblick auf die „erstaunlichen Ergebnisse“ dieser Technologie bei der Transplantation andere Organe ist eines für Studienleiter Siepe schon heute klar: „Die Maschinenperfusion revolutioniert die Transplantationsmedizin.“ Mehr dazu im Internet: Vereinbarung zur kontrollierten Einführung des OCS in Deutschland Studie über den Einsatz des Organ Care Systems in Australien (Lancet 2015) Studie PROCEED II über den Einsatz des Organ Care Systems (Lancet 2015) © medizintechnologie.de