50 rubin | sonderheft 10 Bakterien können mit Hilfe von RNA-Thermometern die Temperatur „messen“ Manche mögen´s heiSS Viele krankheitserregende Bakterien scheiden ihre Gifte nur dann aus, wenn sie ihren Wirtsorganismus besiedelt haben. Doch woher weiß das Bakterium, dass es in seinen Wirt eingedrungen ist? Es misst die Temperatur. Die dafür notwendigen RNAThermometer sind erst seit etwa zehn Jahren bekannt. Bisher sind nur wenige erforscht, die meisten von ihnen am Lehrstuhl für Biologie der Mikroorganismen. Im Fokus steht hier zurzeit unter anderem das RNA-Thermometer eines Bakteriums, das Hitze liebt und in heißen Quellen in Japan lebt. In jedem Organismus trägt die DNA (Desoxyribonukleinsäure, engl. deoxyribonucleic acid) die genetische Information. In einem ersten Prozess (Transkription) wird diese in RNA (Ribonukleinsäure) umgeschrieben, welche die Grundlage für den nächsten Schritt, die Translation (Proteinsynthese) darstellt. Bei diesem Schritt bindet ein Übersetzerprotein, das Ribosom, an seine am Anfang der RNA info 1 Nicht-kodierende RNA = Genmüll? RNA wurde lange Zeit ausschließlich als Zwischenspeicher der Erbinformation angesehen. DNA-Abschnitte, welche keine Protein-Information tragen, wurden noch bis in die 90er Jahre oft als Müll abgetan, von diesen Abschnitten gebildete RNA für funktionslos gehalten. Die neuere Forschung hingegen bringt ganz andere Erkenntnisse: RNA-Stücke können vielfältige regulatorische Funktionen übernehmen. Sog. kleine, nicht-kodierende RNAs kommen dabei sehr häufig vor. Diese sind RNA-Stücke, welche nicht in Protein übersetzt werden, sondern nur der Regulation dienen. Diese kleinen RNAs können sich z.B. an andere RNA-Bereiche anlagern und so verhindern, dass das Ribosom an diese binden kann oder sorgen für den Abbau der RNA. In beiden Fällen wird kein Protein gebildet. RNA-Thermometer sind ein weiteres Beispiel für regulatorische RNAs. liegende Bindestelle. Anschließend übersetzt es den Rest der RNA in Protein (s. Info 1). Proteine bilden das Grundgerüst der Zelle und sorgen für den Ablauf aller lebenswichtigen Prozesse. RNA-Thermometer können die Translation temperaturabhängig regulieren. Sie liegen am Anfang der RNA und falten in eine komplexe Struktur, welche durch doppelsträngige RNA-Bereiche stabilisiert wird. Dadurch wird die Bindestelle des Ribosoms verdeckt und die Translation verhindert (s. Abb. 2). Die RNA kann nicht „gelesen“ und nach ihrem Bauplan kein Protein gebildet werden. Bei erhöhten Temperaturen „schmilzt“ die Struktur auf und die RNA liegt wieder einzelsträngig, d.h. „lesbar“, vor. Das Ribosom kann dann die RNA binden und in Protein übersetzen. Im Falle krankheitsauslösender Bakterien ist der abrupte Temperaturanstieg nach dem Eindringen in den Wirtsorganismus somit das Signal zur Ausschüttung von Bakteriengiften. Doch RNA-Thermometer dienen nicht nur als Signalgeber für Krankheitserreger, sondern auch als „Alarmanlagen“, die bei zu großer Hitze anschlagen. Denn Hitze kann, wie z.B. bei Fieber, zum Tod führen. Bei Bakterien spricht man von Hitzeschock. Als Schutzmaßnahme wird die Hitzeschockantwort eingeleitet (s. Info 2). Zwar sind einige Bakterien Hitze gegenüber nicht so empfindlich – sie werden thermophil (wärme-liebend) genannt. Doch auch sie können keine unbegrenzt hohen Temperaturen aushalten. Eine interessante Frage ist nun: Gibt es RNA-Thermometer auch in thermophilen Bakterien? Bislang ist kein Beispiel bekannt. Aktuell untersuchen wir ein mögliches thermophiles RNAThermometer aus dem Cyanobakterium Thermosynechococcus elongatus. Es stammt aus einer heißen Quelle in Südjapan und 51 Abb.1: Der Krankheitserreger Staphylococcus aureus (gelb) „im Kampf“ mit menschlichen weißen Blutkörperchen nach dem Eindringen in den Körper. Auch in diesem Bakterium wurden mögliche RNA-Thermometer gefunden, welche an der RUB untersucht werden. 52 rubin | sonderheft 10 Abb. 3: Molekularbiologisches Arbeiten ist ein großer Bestandteil der Analyse von RNA-Thermometern. Annika Cimdins bereitet DNA-Proben für eine Gelelektrophorese auf. benötigt zum optimalen Wachstum eine Temperatur von 55°C. Wir untersuchen die mögliche Regulation des kleinen Hitzeschockproteins HspA durch ein RNA-Thermometer. Der Anfangsbereich der hspA-RNA faltet laut Computervorhersage in eine sehr stabile, doppelsträngige Struktur, welche die Bindung des Ribosoms an die RNA verhindert und somit die Proteinsynthese hemmt. Die mögliche Thermometerfunktion wurde zunächst in vivo, d.h. im lebenden Organismus überprüft. Dies führen wir standardmäßig in dem Modellorganismus Escheri- chia coli, einem Darmbakterium, durch. Das RNA-Thermometer wird dabei vor ein sog. Reportergen gesetzt. Als Reporter eignen sich Proteine, welche ein Substrat umsetzen und so Farbreaktionen hervorrufen können oder fluoreszieren wie das grünfluoreszierende Protein GFP. Dieser Farbumschlag oder die Fluoreszenz zeigen im Experiment an, ob das Protein, dessen Bauplan im Gen kodiert ist, hergestellt wird oder nicht. Hinter Reportergenstudien steckt folgendes Prinzip: Bei 30°C sollte das RNAThermometer aus dem wärme-liebenden oso Rib m RBS Ribosom RNA RNA Proteininformation RBS Temperaturanstieg Protein Abb. 2: Schmelzmodell eines RNA-Thermometers. Bei niedrigen Temperaturen ist die Bindestelle des Ribosoms nicht zugänglich, da das Thermometer als stabile Struktur vorliegt. Bei erhöhter Temperatur „schmilzt“ es auf, das Ribosom kann binden und die RNA in Protein übersetzen (RBS= Ribosomenbindestelle). 53 30°C 20 m 20 m 45°C 20 m 20 m Abb. 4: Fluoreszenzaufnahmen von Escherichia coli-Bakterien, welche das hspA-RNA-Thermometer aus Thermosynechococcus elongatus mit GFP (grün-fluoreszierendes Protein) enthalten. Links die Durchlichtaufnahmen, rechts die Fluoreszenzaufnahmen für 30°C bzw. 45°C. Bei 45°C ist die gebildete GFP-Menge deutlich erhöht. Bakterium stabil gefaltet und daher die Ribosomenbindestelle blockiert sein. Das Ribosom kann nicht an die RNA binden und es findet keine Translation statt, also auch kein Farbumschlag oder Leuchten. Dagegen wird die Bindestelle nach einem Hitzeschock zugänglich und Reporterprotein wird hergestellt. Die Aktivität des Reporters GFP kann direkt am Fluoreszenzmikroskop bestimmt werden. Durch GFPReportergenstudien mit dem T. elongatusThermometer konnten wir zeigen, dass bei 45°C mehr Reporterprotein als bei 30°C gebildet wird, das Thermometer also aufgeschmolzen sein muss (s. Abb. 4). „Unser nächstes Ziel ist, ein Reportergensystem zu entwickeln, welches in einem thermophilen Mikroorganismus angewendet werden kann. Dies würde uns erlauben, die Reporteraktivität in vivo bei höheren Temperaturen als 45°C zu untersuchen. Unser Modellorganismus E. coli hält so hohe Temperaturen nämlich nicht aus“, sagt Prof. Dr. Franz Narberhaus, Lehrstuhl für Biologie der Mikroorganismen. Eine bisher ungeklärte Frage ist auch, wodurch bei RNA-Thermometern die Temperatur bestimmt wird, bei der sie „aufschmelzen“. Möglicherweise hängt sie mit der Stabilität der Bindungen zwischen den beiden gegenüberliegenden RNA-Strängen des gefalteten Thermometers zusammen. Unter den vier möglichen Bausteinen der RNA gibt es Paare, die zusammenpassen und Paare, die nicht zusammenpassen. Je mehr passende Partner einander gegenüberliegen, desto fester und möglicherweise temperaturresistenter wird die gesamte Verbindung. Hat man die Funktion von RNA-Thermometern verstanden, sind mehrere Einsatzmöglichkeiten denkbar. Aus der Literatur sind bereits einige Beispiele für RNAThermometer aus pathogenen Bakterien bekannt. Sie können die Bildung von Virulenzfaktoren regulieren. Dies sind Stoffe, welche entweder selbst Krankheiten auslösen können oder dem Bakterium helfen, die Immunabwehr des Wirtsorganismus zu unterwandern. Regulation von Virulenzfaktoren durch RNA-Thermometer wurden z.B. für Listeria monocytogenes, einem Erreger von Lebensmittelinfektionen, oder für den Pesterreger Yersinia pestis nachgewiesen. Wir untersuchen aktuell die Regulation eines Virulenzfaktors im Erreger der Cholera (Vibrio cholerae). Außerdem werden am Lehrstuhl RNAThermometer vor Hitzeschockgenen in Erregern von Krankenhausinfektionen (Pseudomonas aeruginosa, Staphylococcus aureus) und Durchfallerkrankungen (Sal- info 2 Die Hitzeschockantwort Hitze kann zur Inaktivierung von Proteinen führen. In jedem Organismus, sei es Bakterium, Pflanze oder Tier, werden nach einem Hitzeschock verstärkt besondere Proteine, die Hitzeschockproteine gebildet. Diese bestehen aus kleinen Hitzeschockproteinen, Chaperonen und Proteasen. Kleine Hitzeschockproteine lagern sich an inaktivierte Proteine an und schützen sie vor dem Abbau. Chaperone falten inaktivierte Proteine in ihren aktiven Zustand zurück. Proteasen hingegen bauen Proteine ab, welche nicht reaktiviert werden konnten. 54 rubin | sonderheft 10 info 3 Rund um RNA-Thermometer und kleine RNA Die Arbeit von Annika Cimdins am Lehrstuhl für Biologie der Mikroorganismen (Prof. Dr. Franz Narberhaus) ist eingebunden in das Schwerpunktprogramm „Sensorische und regulatorische RNAs in Prokaryoten“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das von der RUB koordiniert wird. In Bochum forschen zwei Arbeitsgruppen: Eine widmet sich kleinen RNAs, die andere RNA-Thermometern. Gesucht werden z.B. Kandidaten für RNA-Thermometer in ganz verschiedenen Organismen, die mit der Hitzeschockantwort oder Virulenzfaktoren verbunden sein können. Zur Kandidatensuche nutzen die Forscher Genom-Datenbanken. Aus den Gen-Informationen lassen sich am Computer RNA-Sequenzen erstellen und deren mögliche Faltungen errechnen. So kann man auf die typische „Haarnadelform“ von RNA-Thermometern stoßen. Abb. 5: Bakterienanzucht: Für jede Reportergenstudie werden zunächst die Bakterienkulturen in Erlenmeyerkolben im Schüttelwasserbad bis zu der gewünschten Zelldichte angezogen. monella enterica) erforscht. „Möglicherweise lassen sich aufgrund unserer Ergebnisse neuartige Medikamente entwickeln, die die Zugänglichkeit der Ribosomenbindestelle von Virulenzgenen auch bei einer Temperatur von 37°C blockieren“, hofft Prof. Narberhaus. „Denkbar sind Substanzen, die an die doppelsträngige RNA binden und das Aufschmelzen verhindern oder kurze einzelsträngige RNAs, die perfekt an die „aufgeschmolzene“ Region der Ribosomenbindestelle binden und so das Ablesen verhindern.“ Neben dem medizinischen Aspekt könnten RNA-Thermometer in der biotechnologischen Industrie angewendet werden. Durch Einfügen eines RNA-Thermometers vor einen Protein-Information tragenden Abschnitt kann die Synthese dieses Proteins temperaturabhängig reguliert werden. Dies würde es z.B. möglich machen, die Synthese durch Erwärmen oder Abkühlen der Bakterienkulturen zu steuern und somit industrielle Abläufe zu optimieren. Hierzu können sowohl künstliche RNA-Thermometer verwendet werden, als auch kurze, gut funktionierende natürliche Thermometer. Unsere aktuellen Forschungsinteressen gehen daher auch folgender Frage nach: Welches ist das einfachste, natürliche RNA-Thermometer? Annika Cimdins How bacteria sense upshifts in temperature Temperature is an important growth factor for bacteria. It serves as a signal for pathogenic microbes to produce their toxins or as inducer of the bacterial heat shock response. Bacteria can sense temperature with the help of RNA thermometers. These regulatory elements can inhibit the synthesis of toxins or heat shock proteins under low temperature conditions by forming a stable RNA structure in front of the regulated gene. An upshift in temperature causes a melting of the structure and enables protein synthesis.