25. Juli 2016 Dermatologie: Neue Strategien gegen Neurodermitis Das atopische Ekzem, auch Neurodermitis oder atopische Dermatitis genannt, ist eine sehr häufige, stark juckende, chronisch entzündliche Hauterkrankung mit hohem Leidensdruck und großer sozialmedizinischer Bedeutung. Die Diagnose atopisches Ekzem wird klinisch gestellt, der ausgebildete Hautarzt erkennt die Zeichen der Erkrankung und stellt die Diagnose in der Gesamtschau der Symptome. Im frühen Kindesalter ist sie besonders häufig und verläuft zumeist mild. Fast jedes vierte Kind erkrankt vorübergehend. Erwachsene sind seltener betroffen, dafür sind schwere Verlaufsformen häufiger. In einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des Robert-Koch-Institutes aus dem Jahr 2013 waren vor allem Personen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren besonders stark betroffen, der Anteil von Männern und Frauen war annähernd gleich. Im Verlauf späterer Lebensalterphasen gab es leichte, aber nicht signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern, allgemein jedoch sank die Lebenszeitprävalenz mit zunehmendem Alter. Vorgestellt und diskutiert werden aktuelle und neue Behandlungsmöglichkeiten der Neurodermitis bei der 25. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie vom 23.29. Juli 2016 im Münchner Kongresszentrum ICM. Im Vollbild der Erkrankung sind stets eine Störung der epidermalen Barriere, eine abgeschwächte angeborene Immunität und eine fehlgeleitete erworbene Immunität gleichzeitig vorhanden. Eine klinisch nicht sinnvolle, unerwünschte "allergische" Immunantwort gegenüber verschiedenen Aero- und Nahrungsmittelallergenen schwächt oder unterdrückt sowohl die angeborene Immunitätslage bezüglich antibakterieller und antiviraler Immunabwehr als auch adaptive Immunantworten gegenüber einigen Krankheitserregern insbesondere des Kindesalters. Neurodermitiker neigen sowohl zu bakteriellen Infektionen, insbesondere mit Staphylococcus aureus, als auch zu sich ausbreitenden (disseminierten) viralen Infektionen. Das Eczema herpeticatum, die schwere, generalisierte Superinfektion der Neurodermitis mit dem Herpes simplex Virus, ist eine der wenigen auch heute noch lebensbedrohlichen Komplikationen der Neurodermitis. Die Beeinträchtigung der Hornschichtbarriere begünstigt die fast obligate Besiedelung der Neurodemitikerhaut mit mikrobiellen Erregern, insbesondere mit Staphylococcus aureus. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass Patienten mit atopischem Ekzem deutlich geringere Mengen von antimikrobiellen Peptiden (ß-Defensine-2, -3; Cathelecidin LL-37; Dermicidin) in der Oberhaut bilden. Das klinische Bild des superinfizierten atopischen Ekzems zeigt honigfarbene, gelbliche Krusten auf unscharf begrenzten roten Ekzemherden. Ein atopisches Ekzem kann häufig rein äußerlich entzündungshemmend, beispielsweise mit Kortisoncreme oder KalzineurininhibitorSalbe behandelt werden. Die Wahl der Grundlage und der Begleittherapie ist eine Kunst und folgt den etablierten Regeln äußerlicher Dermatotherapie. Für die mittelfristige keimhemmende Behandlung sind äußerlich anwendbare Antiseptika deutlich geeigneter als Antibiotika, da sie seltener Resistenzen und seltener Kontaktallergien hervorrufen. Hierfür bieten sich Antiseptika an wie Triclosan, Chlorhexidin und Octenidin oder auch Mikrosilber als Zusätze in die Basispflegeprodukte einzuarbeiten. Als Badezusatz haben sich Natriumhypochlorid oder Kaliumpermanganat bewährt. Insbesondere im Säuglingsalter sind silberhaltige Textilien sinnvoll einsetzbar, da sie nicht nur die Staphylokokkendichte, sondern auch den Schweregrad des Ekzems signifikant verbessern. Zur Verhinderung von Ekzemschüben, die gehäuft mit bakterieller Infektion einhergehen, empfiehlt sich bei mittelschwer und schwer befallenen Kindern und Erwachsenen die proaktive Therapie. Dieses besondere Therapiekonzept wurde aus der Münchner Hautklinik (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Andreas Wollenberg) heraus vor einem Jahrzehnt erstmals propagiert. Hierbei wird das unsichtbare Minimalekzem im Bereich der patientenindividuell besonders rezidivfreudigen Problemzonen mit einer im Regelfall zweimal wöchentlich applizierten, äußerlichen, entzündungshemmenden Langzeittherapie behandelt. Für das Kindesalter sind gute Ergebnisse mit Fluticason- und Tacrolimus-haltigen Cremes und Salben publiziert. Da proaktiv behandelte Patienten signifikant weniger Schübe entwickeln und diese Schübe weniger schwer verlaufen, wird bei einer proaktiven Therapie mit Tacrolimus-Salbe nicht mehr Tacrolimus-Salbe verbraucht als bei einer nur die Schübe behandelnden, reaktiven Therapie. Die proaktive Therapie weist ein hervorragendes Evidenzniveau auf und hat sich mittlerweile weltweit durchgesetzt. Sie wird in der europäischen NeurodermitisLeitlinie ausdrücklich empfohlen. Seit kurzer Zeit wird weltweit eine neue Substanzklasse zur systemischen Therapie der mittelschweren und schweren Neurodermitis entwickelt, die Biologica. Die Münchener Hautklinik des LMU-Klinikums beteiligt sich aktiv an allen diesen Entwicklungen. Die Arbeitsgruppe um Prof. Wollenberg führt aktuell klinische Studien mit mehreren neuen Medikamenten durch. Im Unterschied zu den bisher für Neurodermitis zugelassenen systemischen Medikamenten wie Ciclosporin-Kapseln und den veralteten Kortison-Tabletten unterdrücken die neuen Biologica nicht das gesamte Immunsystem, sondern reduzieren nur die fehlgeleitete „allergische“ Immunantwort und lassen die wichtigen antibakteriellen und antiviralen Immunmechanismen weitgehend intakt. Der Ansatzpunkt der in der Münchner Hautklinik der Ludwig-Maximilians-Universität erfolgreich getesteten neuen Biologica sind die Botenstoffe der „allergischen“ Immunantwort. Beim Tralokinumab ist es das für allergische Reaktionen der Haut wichtige Zytokin Interleukin-13. Beim Dupilumab ist es der auf Immunzellen befindliche gemeinsame Rezeptor für Interleukin-13 und Interleukin-4. Beim Nemolizumab wird der Ansatz verfolgt, dass der Rezeptor für das bei Neurodermitis-bedingtem Juckreiz besonders wichtige Interleukin-31 geblockt wird. Keines dieser Medikamente ist derzeit zugelassen und in der Apotheke erhältlich, allerdings können sich interessierte Patienten mit Interesse an einer Studienteilnahme in der Münchner Hautklinik der Ludwig-Maximilians-Universität anmelden. Kinder und Eltern sollten die charakteristischen Anzeichen der wichtigsten infektiösen Komplikationen der Neurodermitis kennen. So kann durch eine frühzeitige Vorstellung beim Arzt wertvolle Zeit gewonnen werden. Dies ist auch Gegenstand der an der Münchner Hautklinik der Ludwig-Maximilians-Universität regelmäßig durchgeführten, strukturierten Neurodermitis-Schulungen, die deutschlandweit einheitlich für Kinder nach dem AgNeS-Konzept, für Erwachsene nach dem ARNE-Konzept durchgeführt werden. Die Wirksamkeit dieser Schulungsform ist mit hoher Evidenz nachgewiesen, weshalb diese interdisziplinären Patientenschulungen europaweit empfohlen und von den Krankenkassen erstattet werden. Das Dermatologische Allergologische Studienzentrum (DASZ) der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum der Universität München besteht seit 2012 und führt klinische Phase II/III Studien im Bereich neuer Systemtherapie der chronisch entzündlichen Hauterkrankungen wie atopischem Ekzem, Psoriasis (Schuppenflechte) und Mundrose (periorale Dermatitis) durch. Des Weiteren bietet das DASZ auch Studien mit spezifischen Immuntherapien zur Behandlung von Allergien an. Zusammen mit Studien zum Handekzem deckt das DASZ ein großes Gebiet der Dermatologie und Allergologie ab und kann Patienten neue Medikamente und Therapien zur Verfügung stellen, die noch nicht allgemein zugänglich sind. Alle Studien werden nach den aktuellen rechtlichen Vorgaben und GCP-Leitlinien (Good Clinical Practice) durchgeführt. Hierfür steht ein erfahrenes Team aus Prüfärzten, Studienassistenten und Mitarbeitern zur Verfügung. Die Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU München ist das größte Dermatologische Zentrum Europas und eines der größten weltweit. Sie blickt auf eine lange Erfahrung in der Durchführung nationaler und internationaler klinischer Studien zurück. Die Klinik umfasst mehrere Ambulanzen, Spezialsprechstunden und Labore, die zum Klinikum der Universität München gehören. Jede Patientin und jeder Patient kann an klinischen Studien teilnehmen, sofern die Ein-und Ausschlusskriterien erfüllt werden. Die Studien laufen etwa über ein halbes Jahr mit 10-15 festen Klinikterminen. Die neunen Medikamente sind effektiver und nebenwirkungsärmer als bislang verfügbare Wirkstoffe. Es handelt sich dabei um humanisierte, monoklonale Antikörper, die Botenstoffe von weißen Blutkörperchen, Rezeptoren der Botenstoffe oder die weißen Blutkörperchen selbst angreifen. Es gelingt dadurch gezielt die falsch übertriebene Immunreaktion des Körpers zu bremsen. Mit folgenden Biologica werden neue Systemtherapien in klinischer Prüfung durchgeführt: Dupilumab (Interleukin 4-/13-Rezeptor-Antikörper) Tralokinumab (Interleukin 13-Inhibitor) Nemolizumab (Interleukin 31-Rezeptor-Antikörper) Medi9929 (TSLP-Antikörper) Quelle: Universität München