Wimbledon-Debütant Knittel „Junge, steck den Kopf nicht in den Sand!“ 23.06.2013 · Bastian Knittel hat sich mit bald 30 Jahren zum ersten Mal für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers qualifiziert. Sein Gegner zum Wimbledon-Start am Montag: Juan Monaco. Im Interview spricht er über seine Liebe zum Tennis und sein Verhältnis zum Geld. Bastian Knittel bestreitet am Montag sein erstes Hauptrundenmatch bei einem Grand-Slam-Turnier In sechs Wochen werden Sie dreißig Jahre alt und haben sich zum ersten Mal überhaupt für das Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers qualifiziert, wo Sie am Montag auf Juan Monaco treffen (live in Sky und F.A.Z.-Liveticker). Ist das die späte Erfüllung eines Kindheitstraums? Das ist einer der Träume, die jeder Spieler hat. Es ist ein super Gefühl, dass ich mich nach so langer Zeit für ein Grand-Slam-Hauptfeld qualifiziert habe. Und dann noch in Wimbledon, das ist das i-Tüpfelchen. Ich habe in der Qualifikation drei tolle Matches hingelegt und kann stolz und zufrieden sein. Sie hatten zuvor zehnmal vergeblich versucht, sich für eines der vier großen Turniere zu qualifizieren. Was lief diesmal besser? Ich bin mit einer gewissen Lockerheit an die Quali rangegangen. Eine Woche vorher hatte ich noch damit geliebäugelt, gar nicht nach Wimbledon zu fahren, weil ich einen kleinen Muskelfaserriss in der Wade hatte. Erst nachdem ich drei Tage ohne Probleme trainieren konnte, habe ich mich entschieden, hierherzukommen. Ich habe mir gesagt: Wichtig ist, dass die Wade hält, alles andere ist ein Bonus. Ich habe weniger an den Erfolg gedacht, sondern vielmehr daran, mich auf jedes Match zu freuen. Außerdem habe ich herausgefunden, dass Gras gar kein so schlechter Belag ist für meine Spielweise. Sie treffen in der ersten Runde auf den Weltranglistenzwanzigsten Juan Monaco. Was haben Sie sich vorgenommen? Ich habe nichts zu verlieren. Monaco kennt mich nicht, er hat mehr Druck als ich. Ich werde mir bei Kollegen Tipps holen, was er kann oder nicht kann. Ich habe meine Chance bekommen, also versuche ich, Spaß zu haben, gutes Tennis zu zeigen und alles zu geben. Wenn alles passt, kommt der Sieg von allein. Wenn es nicht reicht, ich aber zufrieden bin mit meiner Leistung, dann ist es auch okay. Egal wie das Match an diesem Montag ausgeht, ich werde sicher nicht mit meinen Eltern beim Abendessen sitzen und sagen: Ach Gott, was war das für eine Katastrophe, ich hatte gar nicht verdient, im Hauptfeld zu stehen, blablabla. Vor Jahren hatten Sie gesagt, Sie wollten mit 28 nicht mehr auf Weltranglistenplatz 200 stehen. Jetzt sind Sie fast dreißig Jahre alt und auf Position 206 notiert. Was treibt Sie immer noch an? Die Liebe zu dem Sport und die Unterstützung aus dem Umfeld. Tennis war von Kindesbeinen an das, was ich machen wollte. Dazu kam die Unterstützung von meinem Trainer und meiner Familie, die gesagt haben: Junge, steck den Kopf nicht in den Sand, versuch dich wieder ranzuarbeiten! Ich war in meiner Karriere oft und lange von Verletzungen gebeutelt. Der Traum, die Top 100 zu knacken, bleibt. Wenn mir das gelingt, dann kann ich mich um weitere Träume kümmern. Bis dahin versuche ich, kleine Brötchen zu backen. Hatten Sie zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt, den Schläger in die Ecke zu legen und aufzuhören? Ja, im September 2011, als ich mir das Handgelenk gebrochen hatte. Da haben alle Ärzte gesagt: Herr Knittel, wenn sie auf Nummer Sicher gehen wollen, dann schauen Sie sich nach etwas anderem um, denn wir wissen nicht, ob Sie noch mal Tennis spielen können. Die Gedanken, dass man die Schnauze voll hat und aufhören will, die hatte ich auf jeden Fall. Die hat wohl jeder Spieler irgendwann, weil man durch Höhen und Tiefen in seiner Karriere geht und weil die Tiefen manchmal sehr tief sind, wenn man verletzt ist oder die Leistung nicht stimmt. Aber irgendwie habe ich immer den Weg aus den Löchern gefunden. Sie spielen gewöhnlich bei unterklassigen Turnieren, wo man nur einige hundert Euro gewinnt. Wie kommt man damit über die Runden bei allen Kosten für Reisen, Trainer und so weiter? Das läuft bei mir viel über die Bundesligaspiele. Da verdient man so viel Geld, um die Turnierreisen finanzieren zu können. Aber sonst muss ich gucken, wie ich über die Runden komme. Ich muss zwar nicht jeden Cent umdrehen, aber ich kann nicht fünfmal im Jahr zu Turnieren nach Australien fliegen. Man muss hart arbeiten für sein Geld, weil es heutzutage sehr schwer ist, relativ schnell den Weg nach oben zu finden. Es gibt so viele Spieler, die alle Tennis spielen können und das gleiche Ziel haben. Darum muss man diese Ochsentour machen, darum kommt man nicht umhin, die Challenger- oder Future-Turniere zu spielen, weil man dort vermeintlich leichter an Weltranglistenpunkte rankommt. Wenn Sie in Wimbledon in der ersten Runde gegen Monaco verlören, würden Sie immer noch mit umgerechnet 27500 Euro nach Hause gehen. Das muss Ihnen doch wie ein Hauptgewinn vorkommen, haben Sie doch schon nach der Qualifikation mehr eingenommen als in den sechs Monaten zuvor. Ich weiß gar nicht, was ich in der Saison bislang verdient habe. Nach ATP-Angaben etwa 20.000 Euro. Weil in Wimbledon das Preisgeld im Vergleich zum Vorjahr um insgesamt 40 Prozent, für Erstrundenverlierer gar um 62 Prozent erhöht wurde, müssen Sie den englischen Geldregen doch als angenehm empfinden? Ich freue mich über das, was ich bekomme. Es sagt ja keiner, nee, mir genügt schon die Hälfte. Aber Geld steht für mich nicht im Vordergrund. Für mich ist es das Wichtigste, dass sich der Erfolg eingestellt hat. Ich habe schon jetzt ein tolles Turnier gespielt, von daher ist mir egal, was ich am Ende für finanzielle Mittel überwiesen bekomme. Die Steigerung bei den Topstars der Branche fällt zwar prozentuell geringer aus, aber der Betrag für die Einzelsieger bei Damen und Herren steigt um 450.000 Euro auf 1,87 Millionen Euro. Ist es gerecht, dass die Schere weiter auseinandergeht? Man kann sich natürlich darüber streiten, ob diese Differenzen okay sind oder nicht. Aber ich finde die Steigerung für die Erstrundenteilnehmer toll, so etwas hat noch kein Grand-SlamTurnier gemacht. Alle anderen, die weiterkommen, haben ihr Preisgeld entsprechend verdient. Außerdem wäre es an meiner Stelle vermessen, mich darüber aufzuregen, dass ein Roger Federer fast eine halbe Million mehr bekommt, wenn er das Turnier gewinnt. Ich wäre in einer anderen Position, wenn ich seit sechs, sieben Jahren unter den Top 100 stehen würde. Weil Sie gerade Federer erwähnen: Sie haben am selben Tag, dem 8. August, Geburtstag wie der siebenmalige Wimbledon-Champion. Ob das ein Omen ist, werde ich ja diese Woche feststellen.