Wenn der Körper sich selbst zerstört

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Wenn der Körper sich selbst zerstört
Prof. Dr. Thomas Kamradt mit Aufnahmen zur nichtinvasiven Bewertung von Gelenkentzündungsprozessen im
Tiermodell. Foto: M. Szabo/Uniklinikum Jena
Die Forscher des Instituts für Immunologie schauen über die "Zellenwand"
hinaus um zu verstehen, wie Rheuma und andere Autoimmunerkrankungen
entstehen, um sie wirklich heilen zu können.
Jena. Weiße Blutkörperchen sind die "Gesundheitspolizei" des menschlichen
Körpers. Sie erkennen Krankheitserreger und vernichten sie. Normalerweise.
"Doch es gibt Fälle, in denen die weißen Blutkörperchen, und speziell eine
Untergruppe dieser, die so genannten regulatorischen T-Zellen, ihren Job nicht
mehr machen", weiß Prof. Dr. Thomas Kamradt, Direktor des Instituts für
Immunologie der Jenaer Universität. "Und nicht nur das, manche T-Zellen
wenden sich gegen den eigenen Körper, Körpergewebe wird zerstört", erklärt er.
"Wir sprechen in diesen Fällen von Autoimmunkrankheiten, bei denen
irrtümlicherweise körpereigenes Gewebe vom Immunsystem angegriffen wird.
Dadurch kommt es zu schweren Entzündungen. Beispiele sind Rheuma,
jugendlicher Diabetes oder auch Multiple Sklerose."
Solche Autoimmunerkrankungen und Fehler der Immunregulation des
menschlichen Körpers sind seit Jahren Forschungsschwerpunkt am Institut von
Prof. Kamradt. Diese Forschungen bekommen jetzt einen neuen Schub, denn das
Jenaer Institut koordiniert einen europaweiten Forschungsverbund zu diesem
Thema. Das Projekt OSTEOIMMUNE vereint acht universitäre Institute und
Kliniken sowie drei Biotechnologie-Firmen aus sieben europäischen Ländern und
wird vier Jahre lang von der EU mit insgesamt 3,2 Millionen Euro gefördert.
"Obwohl die Medizin bis heute sehr gute Fortschritte bei der Behandlung
rheumatischer Erkrankungen gemacht hat, können die aktuell verfügbaren
Therapien den Krankheitsverlauf nur mildern. Sie erfordern allerdings
lebenslange Anwendung, haben teilweise erhebliche Nebenwirkungen und sind
teuer. Wir können die Krankheit nicht heilen weil wir die Ursache für die
Entzündungen noch nicht kennen".
Mit einem neuen Forschungsansatz wollen die Immunologen jetzt einen Schritt
weiter kommen. "Das Zusammenspiel von Immunsystem mit Knochen und
Knorpelzellen gehorcht nicht einer einspurigen Befehlskette, sondern ist ein
Dialog". Bisher hat die Forschung entweder das Immunsystem betrachtet und
versucht, die Prozesse aufzuklären, die zu Fehlregulationen führten. Oder es
wurden grundlegende Erkenntnisse zum Knochenauf- und -abbau gewonnen.
Beide Forschungsgebiete waren bis vor kurzem isoliert, ohne viel Kenntnis
voneinander. "Doch wir werden die entzündlichen Gelenkerkrankungen nicht
http://www.otz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Wenn-der-Koerper-sich-selbst-zerst...
19.10.2012
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verstehen, wenn wir nur über die Immunzellen oder die Knochen nachdenken",
ist Kamradt überzeugt. Aktuelle Forschungen haben Hinweise erbracht, dass es
eine rege Interaktion von Knochengewebe und Immunsystem gibt.
Diese Zusammenhänge sollen im europaweiten Verbund nun von Klinikern,
Immunologen, Molekularbiologen und Genetikern gemeinsam aufgeklärt werden.
Die Biotechnologieunternehmen sind mit im Boot, um die neuen Erkenntnisse
möglichst rasch umzusetzen.
Am Beispiel rheumatischer Erkrankungen beschreibt Kamradt, worum es den
Forschern in Jena geht: Beim Rheuma kommt es zu Entzündungen der
Gelenkinnenhaut, die nicht aufhören sie werden im Gegenteil chronisch. Über
lange Zeit führt das dazu, dass Gelenke und sogar Knochen zerstört werden.
Verantwortlich dafür sind Fibroblasten. Eigentlich Zellen aus dem Bindegewebe.
"Unter bestimmten Umständen jedoch machen sich die Fibroblasten bei einer
Gelenksentzündung selbstständig und fressen zum Beispiel den Knorpel auf",
erklärt Kamradt. "Wir wollen herausfinden, welche Botenstoffe zum Beispiel
diese Reaktion der Zellen fördern oder hemmen." Eine neue Erkenntnis haben die
Mediziner gewonnen: "Wenn zu Beginn einer Erkrankung keine Regulatoren
eingreifen, fressen sich die Fibroblasten durch das Gewebe."
Die Interaktion von Immunzellen mit Bindegewebszellen ist ein Schlüssel zum
Verständnis, warum etwa eine rheumatische Erkrankung wieder aufflammt,
sobald das Medikament abgesetzt wird. "Bisher greifen alle Therapien bei den
Entzündungszellen an, keine bei den Fibroblasten", sagt Kamradt. Bisher werden
durch Medikamente die Entzündungen eingedämmt Schwellungen und
Schmerzen werden reduziert. Im Untergrund jedoch bleiben die Fibroblasten
vermutlich aktiv.
Die Bemühungen der an OSTEOIMMUNE beteiligten Forscher sind nicht nur
darauf gerichtet, die genetischen, immunologischen und interzellulären Prozesse
aufzuklären, sie wollen wirksame Medikamente finden. Denn nicht nur eine
kleine Gruppe von Patienten leidet an Autoimmunerkrankungen wie Rheuma.
"Quer durch die Welt leidet ein Prozent der Bevölkerung an rheumatoider
Arthritis", sagt Kamradt. Umweltfaktoren spielten ein Rolle, welche das sind, sei
allerdings noch unbekannt. Auch gebe es Hinweise auf hormonelle
Zusammenhänge. Denn "Frauen sind sieben Mal häufiger als Männer davon
betroffen".
Im internationalen Team sollen all diese Zusammenhänge nun möglichst
aufgeklärt werden. Bestandteil der Forschungskooperation ist eine
Doktorandenschule, deren erstes gemeinsames Treffen junger Forscher im
November in Jena stattfinden wird.
Angelika Schimmel / 04.08.12 / OTZ
http://www.otz.de/web/zgt/leben/detail/-/specific/Wenn-der-Koerper-sich-selbst-zerst...
19.10.2012
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