Deutsche Interessengemeinschaft Phenylketonurie (PKU) und verwandte angeborene Stoffwechseistörungen e.V. Antwort auf die Befragung von Betroffenen-Vereinigungen durch den Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen c/o Bundesministerium f. Gesundheit 18.05.2000 In der Deutschen Interessengemeinschaft Phenylketonurie (PKU) und verwandte angeborene Stoffwechselstörungen e.V. sind Betroffene und ihre Familien mit angeborenen Stoffwechselstörungen der Aminosäuren (Eiweißbausteine) organisiert. Die Mehrzahl der Mitglieder sind Eltern von Kindern mit der Krankheit Phenylketonurie (Morbus Fölling). Eine geringere Zahl betreffen Betroffenen selber sowie Eltern von Kindern mit selteneren Arninosäurenstoffwechselstörungen, wie Harnstoffzyklusdefekte, Ahornsirupkrankheit, Methylmalonacidämie oder nichtketotischer Hyperglycinärnie. Die Versorgungsbereiche der Patienten mit diesen Stoffwechselstörungen betreffen: 1. Früherfassung der Krankheiten im Rahmen eines Neugeborenen-Screening's 2. Differentialdiagnostische Klärung nach Hinweisen durch die Screeninguntersuchung oder durch markante klinische Symptome. 3. Die kontinuierliche ärztliche Langzeitbetreuung. 4. Die kontinuierliche Betreuung durch Diätassistentinnen wegen der häufig lebenslang einzuhaltenden Spezialdiät. Zu 1: Seit Ende der 90iger Jahre wird in der Bundesrepublik Deutschland routinemäßig bei allen Neugeborenen auf die angeborene Stoffwechselstörung Phenviketonurie mit einem einfachen Bluttest gesucht. Eingeführt wurde die Untersuchung, weil die Erkrankung nicht so selten ist, es einen spezifischen und kostengünstigen Test zur Früherfassung gab und schließlich die Erkrankung mit einer Diät behandelbar ist. Im Laufe der Jahre sind weitere behandelbare angeborene Aminosäurestoffwechselstörungen bekannt geworden, für die es keine so simplen Nachweismethoden wie für die Phenylketonurie gibt. Heutzutage lassen sich mit entsprechenden Geräten ohne Probleme mehr als 20 angeborene behandelbare Stoffwechselstörungen frühzeitig diagnostizieren. Dieser Umstand ist seit den Pilotprojekten in den USA bekannt, aber bisher nur im Land Bayern umgesetzt worden. Derzeit besteht die skurrile Situation, das in der Mehrzahl der Bundesländer Kinder an angeborenen Stoffwechselstörungen sterben oder daran zu Schaden kommen, obwohl gleichartig betroffene in Bayern frühzeitig erfasst und erfolgreich behandelt werden können. Diese Umstände sind den Ärzten und Kassen sämtlicher Bundesländer bekannt ohne daß daraus bisher die entsprechenden Konsequenzen gezogen wurden. Hinsichtlich des Neugeborenen-Screening muss leider gesagt werden, dass in der Mehrzahl der Deutschen Bundesländer eine gefährliche Fehlversorgung besteht, d. h. eine Versorgung, durch die vermeidbar Patienten zu Tode oder zu Schaden kommen. Zu 2.: Das Neugeborenen-Screening zur Früherfassung angeborener Stoffwechselstörungen wird nur in wenigen Bundesländern in Ankopplung in einer spezialisierten Klinik vorgenommen. In der Mehrzahl arbeitet in den Screeninglaboratorien Personal das in der Differentialdiagnostik oder Behandlung der zu suchenden Erkrankungen keine Erfahrung hat. Die Einsender der Proben werden über die Untersuchungsergebnisse informiert und es steht in deren Ermessen die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen. Da es bisher eine Zusatzbezeichnung für den Facharzt für Kinderheilkunde, z. B. "Spezialist für angeborene Stoffwechselstörungen" nicht gibt, kann sicher jeder sich dazu in der Lage meinende Kinderarzt differentialdiagnostisch und später therapeutisch mit den angeborenen Aminosäurestoffwechselstörungen ärztlich beschäftigen. Dieses hat zur Konsequenz, daß Patienten aus Unkenntnis des sich für die Behandlung zuständigen Arztes zu Schaden oder zu Tode kommen. Richtlinien für die Differentialdiagnostik und Therapie von angeborenen Stoffwechselstörungen gibt es. Diese sind aber nicht verbindlich. Die fachzuständige "Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen" hat zwar Form und Umfang eines "Stoffwechselzentrums" definiert, besitzt aber nicht die Entscheidungskompetenz für die Bundesrepublik Deutschland ein flächendeckendes Netz für Stoffwechselstörungen zur optimalen Betreuung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen zu etablieren. ~ Zu 3.: Nach Vorstellung der fachspezifischen "Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen" sollten die Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen mehrheitlich in Stoffwechselzentren kontinuierlich betreut werden. Das Konzept eines Stoffwechselzentrums umfasst die Diagnostik und Therapie dieser angeborenen Stoffwechselstörungen unter anderem auch im Sinne einer multiprofessionellen Versorgung der Patienten in einem sozialpädiatrischen Zentrum. Derartig organisierte Zentren sind von den kassenärztlichen Vereinigungen in geringem Umfang zugelassen worden, so dass letztendlich die Mehrheit der betroffenen Patienten von Nichtspezialisten betreut werden. Der tonusmäßige Wechsel der betreuenden Assistenzärzte, ca. alle 4 Jahre, ist eher die Regel als die Ausnahme. D. h., eine kontinuierliche Betreuung durch einen Arzt/eine Ärztin über längere Zeiträume ist nur in wenigen Stellen in Deutschland möglich. Zu 4.: Die Behandlung der Patienten mit angeborenen Aminosäurestoffwechselstörungen besteht in der Regel in einer strengen Diät, gelegentlich zusammen mit Medikamenten. Zur Durchführung der Therapie ist die Betreuung durch eine Diätassistentin zwingend erforderlich. Leider ist zu verzeichnen, dass die Mehrzahl der Institutionen, die in Deutschland Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen betreuen, über keine Diätassistentin verfügen und häufig den Eltern Nährwerttabellen zum Selbststudium überlassen werden und allenfalls Anregungen zur Gestaltung der Diät von den Ärzten gegeben werden. Zusammenfassend zu den Punkten 2 bis 4 ist anzumerken, dass eine drastische Fehl- bzw. Unterversorgung bei der Betreuung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen in Deutschland (und in dem gesamten Gebiet der EU) besteht. Zu beklagen ist vor allem, dass keine speziellen Institutionen (Stoffwechselzentren) in ausreichender Zahl etabliert wurden und nur in Ausnahmefälle Ärzte über viele Jahre als Spezialisten diese Patientengruppe betreuen. Hinzu kommt der eklatante Mangel an Stellen für an Diätassistentinnen. Zu fordern wären also Stoffwechselzentren, in denen spezialisierte Kinderärzte, möglichst mit Laborerfahrung in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, besonders Diätassistentinnen die sich der Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen annehmen. Zusätzlich ist anzumerken, dass sich in Deutschland bisher nur Kinderärzte mit den angeborenen Aminosäurestoffwechselstörungen beschäftigen, auch wenn es mittlerweile auch schon Patientenfamilien in der 2. Generation der Betreuung gibt. Aus historischen Gründen waren zunächst die Pädiater diejenigen, die aufgrund der früh auftretenden klinischen Symptome sich mit diesen Erkrankungen befasste. Fälschlicherweise werden deshalb angeborene Stoffwechselstörungen gelegentlich auch als Kinderkrankheiten angesehen. Die Innere Medizin, die Erwachsenen-Neurologie usw. hat es bisher für nicht wichtig genug angesehen, sich auch mit angeborenen Stoffwechselstörungen zu beschäftigen und das entsprechende Patientenklientel im Erwachsenenalter zu übernehmen. Die derzeitige Situation zwingt deshalb die Kinderärzte, auch - wenn auch in geringer Zahl - Erwachsene aus Kompetenzgründen mit zu betreuen. Dieses betrifft auch die Versorgung von Schwangeren mit angeborenen Stoffwechselstörungen. In keinem der genannten Versorgungsbereiche 1 bis 4 besteht eine Überversorgung. Unterund Fehlversorgung sind die Regel, wobei es durch Zunahme an Bürokratie, Abnahme der Assistentenzahlen in den betreuenden Kliniken und das unangemessene Honorar bei der Betreuung von sehr komplizierten Krankheiten die Versorgungssituation in den letzten Jahren verschlechtert haben. Ein weiterer anzuklagender Missstand ist eine fehlende Qualitätskontrolle. Weder in Deutschland, noch in Europa, noch weltweit gibt es Standards außerhalb des NeugeborenenScreenings bei der Betreuung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen. Ebenso fehlen EU-weite Rahmenrichtlinien. Zwar gibt es von der "Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen in Deutschland" Richtlinie zur Betreuung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen, diese unterscheiden sich aber erheblich von den Empfehlungen der englischen oder französischen Spezialisten. Schließlich ist zu bemängeln, das es für die genannten angeborenen Stoffwechselstörungen keine Morbiditätsstatistik in Deutschland, Europa oder weltweit gibt und für die Berechnung von notwendigen Zahlen von Stoffwechselzentren zur Betreuung von Patienten mit angeborenen Stoffwechselstörungen nicht gesammelt sind. Dieser Umstand stellt eine vermeidbare Unterversorgung dar und es wäre zu empfehlen ein Register mindestens entsprechend dem für Krebserkrankungen zu schaffen. Weitere Einzelheiten und Materialien erhalten Sie über den Vorsitzenden der "Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen (APS)" in der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, Herrn Pro£ Dr. U. Wendel, Universitätskinderklinik Düsseldorf.