Stand: 05

Werbung
Der Betriebsübergang
Rechtliche Hinweise für die M+E-Industrie
3. Auflage, Januar 2017
Impressum
©
Januar 2017
Arbeitgeberverband Gesamtmetall
(Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V.)
Voßstraße 16, 10117 Berlin
Telefon 030/55150-0
Telefax 030/55150-400
[email protected]
www.gesamtmetall.de
Ansprechpartner: Sibylle Talkenberg
Autoren: Antonia Fischer-Dieskau (Gesamtmetall), Helmut Fitkze (Nordmetall),
Sabine Glaser (Gesamtmetall), Esther Gottwein (SWM), Alexander Hennemann (vbm),
Prof. Dr. Franz-Josef Rose (Hessenmetall), Sibylle Talkenberg (Gesamtmetall),
Constanze Weber (Gesamtmetall)
Dieser Leitfaden ist mit großer Sorgfalt erstellt worden. Er ersetzt gleichwohl die Beratung im Einzelfall
nicht. Mit der Bitte um Verständnis wird darauf hingewiesen, dass keinerlei Haftung übernommen wird.
Vorwort
Der Betriebsübergang und die vielen komplexen Folgefragen sind ein fester Bestandteil in
der Beratung der Mitgliedsunternehmen. Gesamtmetall hatte im Jahr 2005 aus diesem
Grund rechtliche Hinweise für die M+E-Industrie herausgegeben. Diese Ausarbeitung war
überarbeitungsbedürftig, insbesondere aufgrund umfangreicher neuer Rechtsprechung des
EuGH und des BAG.
Die Neuauflage soll in erster Linie die Verbandsmitarbeiter bei der Beratung der Mitgliedsfirmen unterstützen. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass
 sie anhand der aktuellen Rechtsprechung und Literatur komplett überarbeitet ist,
 sie die praxisrelevanten Fragen kurz und prägnant aufwirft und beantwortet,
 zahlreiche Beispiele zur Veranschaulichung enthalten sind,
 die Kapitel sehr stark untergliedert sind, um die Suche nach den entscheidenden
Fundstellen zu vereinfachen,
 Praxishinweise den Umgang mit der zum Teil komplizierten Materie erleichtern und
 zusammenfassende Übersichten am Ende eines jeden Kapitels aufgenommen wurden.
Jedes Kapitel enthält eine eigene Gliederung und ein eigenes Inhaltsverzeichnis. Die Gesamtausgabe berücksichtigt die Rechtsprechung bis Sommer 2016.
Die Hinweise zum Informationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB sind in einem separaten
Kapitel (Kapitel B) enthalten. Für die betriebliche Altersversorgung sind sie allerdings wegen
der Komplexität des Themas in das Kapitel „Betriebliche Altersversorgung“ eingearbeitet
worden. Die Besonderheiten, die sich aus dem Umwandlungsrecht ergeben, werden in den
jeweiligen Kapiteln an passender Stelle dargestellt.
Die relevanten Gesetzestexte des Bürgerlichen Gesetzbuches (§ 613a BGB), des Umwandlungsrechts (UmwG) und des Handelsgesetzbuches (HGB) sind am Schluss der Neuauflage
abgedruckt.
Weiterführende Hinweise enthält die Ausarbeitung „Betriebsänderungen - Rechtliche und
praktische Hinweise“ von Gesamtmetall.
1
Einleitung
I. Entstehungsgeschichte und Rechtsgrundlagen
Die alte Rechtsprechung1 lehnte den automatischen Übergang der Rechtsverhältnisse auf
den Erwerber so lange ab, bis die Norm des Betriebsübergangs gemäß § 613a BGB geschaffen worden ist.
§ 613a Abs. 1 bis 4 BGB sind bereits 1972 im Zuge der damaligen Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in das BGB eingefügt worden. Die Norm sollte vor allem zwei Zwecke verfolgen: Zum einen ging es um den Schutz der Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeberwechsel
durch einen Betriebsübergang. Zum anderen sollte die Kontinuität des Betriebsratsamtes
oder eine zügige Neuwahl in betriebsratslosen Einheiten gesichert werden.
1977 erging dann auf europäischer Ebene die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom
14.02.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung
von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen. Diese Richtlinie wurde 1998 durch die Richtlinie 98/50/EG des
Rates vom 29.06.1998 geändert.
Auslöser und Hintergrund dieser Änderung war die Christel-Schmidt-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, in der der Begriff des Betriebsübergangs abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BAG definiert wurde und die die (berechtigte) Sorge aufkommen ließ, dass künftig jede schlichte Funktionsnachfolge unter den Begriff des Betriebsübergangs fallen würde. Dies wurde in der Richtlinie 98/50/EG zwar explizit ausgeschlossen, jedoch beeinflusst die Rechtsprechung des EuGH das nationale Recht bis heute nicht nur erheblich, sondern auch grundlegend (Klarenberg-Entscheidung).2
2001 schließlich wurde die Betriebsübergangsrichtlinie durch die Richtlinie 2001/32/EG des
Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ersetzt. Auf nationaler Ebene führte diese Richtlinie zur Schaffung
der Absätze 5 und 6 des § 613a, die in Deutschland, insbesondere wegen der Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern, für erhebliches Aufsehen gesorgt und gleichzeitig eine immense Rechtsunsicherheit verursacht haben.
Die enge Verzahnung von europäischem und nationalem Recht führt dabei vor allem dazu,
dass der Rechtsprechung des EuGH zentrale Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund müssen Tatbestand und Rechtsfolgen des § 613a BGB im Sinne der Betriebsübergangsrichtlinie
(richtlinienkonform) ausgelegt werden.
Die Bedeutung des § 613a BGB hat in der Praxis weiterhin dadurch zugenommen, dass in
§ 324 UmwG die Anwendung des § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB angeordnet ist.
Schließlich ist mit dem BetrVerfReformgesetz aus dem Jahre 2001 eine Stärkung der betriebsverfassungsrechtlichen Mandate verwirklicht worden, da in § 21a BetrVG3 das sog.
Übergangsmandat des Betriebsrats geregelt ist.
1
BAG v. 06.02.1995 – 5 AZR 411/83; NZA 1985, 735; LAG Hamm v. 30.09.2009 – 2 Sa 595/09.
Siehe Kapitel A: „Tatbestand“.
3
§ 21a hat insoweit § 321 UmwG abgelöst; siehe Kapitel I „Betriebsverfassungsrecht“.
2
3
II. Zielsetzungen des § 613a BGB und der Richtlinie 2001/32
 Das primäre Ziel sowohl der europäischen Betriebsübergangsrichtlinie als auch des
§ 613a BGB liegt nunmehr darin, die Arbeitnehmer bei einem Betriebsinhaberwechsel zu schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche zu gewährleisten.4
 Die Kontinuität des amtierenden Betriebsrats bzw. die weitere Vertretung der übergehenden Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat soll gewährleistet werden.
 Die Haftung des alten und des neuen Arbeitgebers soll geregelt werden.
Die erstgenannte Zielsetzung, Bestands- und (weitgehenden) Inhaltsschutz für die übergehenden Arbeitnehmer zu gewährleisten, ist aus Sicht der Richtlinie wie des BGB die wichtigste. Sie wird vor allem dann relevant, wenn der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils
Struktur und/oder Organisation ändern bzw. anpassen will. Dies wirft zahlreiche, schwierige
Rechtsfragen auf, deren Lösung letztlich i. d. R. davon abhängt, ob der durch § 613a gewährleistete Bestands- und Inhaltsschutz der übergehenden Arbeitsverhältnisse einer entsprechenden Anpassung entgegensteht.
Deutlich wird dies z. B. bei § 613a Abs. 4, der nur Kündigungen wegen des Betriebsübergangs verbietet, aber Kündigungen aus anderen Gründen weiterhin für zulässig erklärt. Daraus lässt sich verallgemeinernd eine wichtige Schlussfolgerung ziehen, die zumindest als
Kontrollfrage bei verschiedenen Problemen im Zusammenhang mit Betriebs(teil)übergängen
genutzt werden kann: Was dem Veräußerer erlaubt war, kann dem Erwerber nicht verboten
sein. Daher hilft die Kontrollfrage, ob die in Frage stehende Änderung auch ohne den Betriebsübergang zulässig gewesen wäre.
Für die Praxis von Bedeutung ist der Verzicht der Rechtsprechung auf das Kriterium der
Wahrung der Identität des Betriebes oder Teilbetriebes beim Übergang (siehe unten A. IV.3).
Gelang es früher bei Zerschlagung des Betriebes die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden, ist dies jetzt nur noch möglich, wenn mit der Zerschlagung des Betriebes auch der
Funktions- und Zweckzusammenhang der übertragenen organisatorischen Einheit verloren
geht. Soweit § 613a und der dahinter stehende Schutzgedanke eingreift, besteht keine Möglichkeit einer anderweitigen Regelung. § 613a ist zwingendes Recht, sodass zu Lasten der
Arbeitnehmer nicht von dieser Vorschrift abgewichen werden kann. Regelungen oder Vereinbarungen, die gegen § 613a verstoßen oder die Norm umgehen wollen, sind daher i. d. R.
gemäß § 134 BGB nichtig.5
III. Weitere Haftungsgrundlagen
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass § 613a BGB nicht die einzige Haftungsgrundlage in
Bezug auf Arbeitsverhältnisse ist. Vielmehr kann nach anderen Haftungstatbeständen eine,
ggf. sogar über § 613a BGB hinausgehende Haftung eintreten.
Liegt einem Betriebsübergang eine Umwandlung nach dem UmwG zugrunde, sind die dortigen Spezialtatbestände zu beachten. Diese erweitern die Haftung des übernehmenden
Rechtsträgers in Bezug auf den anspruchsberechtigten Personenkreis, da auch bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer u. U. Ansprüche geltend machen können. Praktisch relevant ist
dies vor allem für die Ansprüche von Betriebsrentnern.
Wird ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft, also im Wege der Einzelrechtsnachfolge übertragen, können als weitere Haftungsgrundlage die §§ 25, 28 HGB dazu treten.
4
5
Siehe Erwägungsgrund (3) der Richtlinie 2001/23/EG.
BAG vom 12.05.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080.
4
DER BETRIEBSÜBERGANG
Rechtliche Hinweise für die M+E-Industrie
Kapitel A: Tatbestand
11
Kapitel B: Informationspflicht
77
Kapitel C: Widerspruchsrecht
105
Kapitel D: Rechtsfolgen – Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung
129
Kapitel E: Kündigungsverbot
233
Kapitel F: Insolvenz
265
Kapitel G: Altersteilzeit
287
Kapitel H: Betriebliche Altersversorgung
311
Kapitel I: Betriebsverfassungsrecht
363
Kapitel J: Haftung des Veräußerers
403
5
Kapitel A: Tatbestand
11
I. Anwendungsbereich der Norm
11
II. Übergang betroffener Rechtsverhältnisse
12
1. Beschäftigte Arbeitnehmer
12
a) Klare Zuordnung des betroffenen Arbeitnehmers
13
b) Unklare Zuordnung des betroffenen Arbeitnehmers
13
aa) Tätigkeit in verschiedenen Betriebsbereichen
bb) Tätigkeit in zentraler Unternehmensposition
cc) Sonderproblem: Freigestellte Betriebsräte
13
15
15
2. Telearbeitnehmer / Freie Arbeitsplatzwahl
15
3. Arbeitnehmer in Altersteilzeit
16
4. Entsandte Mitarbeiter
16
5. Auszubildende
17
6. Studenten / Praktikanten
17
7. Leitende Angestellte / Angestellter Geschäftsführer
17
8. Organmitglieder juristischer Personen
18
9. Zeitarbeitnehmer
18
10. Arbeitnehmerähnliche Personen
19
11. Heimarbeiter
20
12. Freie Mitarbeiter
20
13. Handelsvertreter
20
14. Durch Werkvertrag gebundene Personen
21
15. Rentner / Ausgeschiedene Personen
21
III. Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs
23
1. Bestehende Vertragsverhältnisse
23
a) Aktive Verträge
23
aa) Verträge in Teilzeit
bb) Unbefristete Verträge
cc) Befristete Verträge
dd) Verträge mit laufender Kündigungsfrist
ee) Verträge nach Ablauf der Kündigungsfrist
ff) Aufhebungsvertrag
23
23
23
24
25
25
b) Ruhende Verträge
26
c) Sabbatical
26
2. Beendete Vertragsverhältnisse
26
a) Ansprüche auf Betriebsrente
27
b) Noch offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
27
7
c) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
27
IV. Der Betrieb als Übertragungsobjekt
28
1. Inhalt des Betriebsbegriffs nach § 613a BGB
28
a) Betriebsbegriff im Betriebsverfassungsrecht
29
b) Abgrenzungsfragen
29
aa) Abgrenzung zum Unternehmen
bb) Abgrenzung zum Konzern
29
30
2. Tatbestandsmerkmale des Betriebsbegriffs
30
a) Sächliche Mittel prägen den Betrieb
31
b) Immaterielle Mittel prägen den Betrieb
31
c) Übergehende Arbeitsverhältnisse prägen den Betrieb
31
3. Wahrung des Funktions- und Zweckzusammenhangs
32
a) Aufgabe der Betriebsidentität möglich
33
b) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch Übernahme
sächlicher Betriebsmittel
34
aa) Aufgabe des Kriteriums der „eigenwirtschaftlichen Nutzung“
bb) Ortsfeste Betriebsmittel
cc) Räumliche Änderung der Betriebsmittel
dd) Änderung des Warensortiments
ee) Trennung von Betriebsmitteln und betrieblichem Zweck
ff) Warenlager als Betriebsmittel
35
36
36
36
37
37
c) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch Übernahme
immateieller Betriebsmittel
38
aa) Bedeutung der Mittel für den Betriebszweck
bb) Übernahme von Kundenstämmen
cc) Betriebszweck durch technische Betriebsmittel bestimmt
dd) Fortsetzung von Lieferantenverträgen
ee) Übertragung betrieblichen Know-Hows
38
39
40
40
40
d) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch Übernahme von
Arbeitnehmern
41
aa) Übernahme der Hauptbelegschaft
bb) Übernahme von Spezialisten
41
42
V. Betriebsteil als Übertragungsobjekt
44
1. Definition des Betriebsteils
44
a) Teilbetrieb im Betriebsverfassungsrecht
44
b) Teilbetrieb beim Betriebsübergang
44
aa) „Auf Dauer angelegter“ Teilbetrieb
bb) Betriebsteil als abgrenzbar zu übertragende Einheit
cc) Notwendigkeit einer eigenständigen Betriebsstruktur
dd) Betriebsmittel des Teilbetriebes
45
45
46
47
8
ee) Arbeitnehmer des Teilbetriebes
47
2. Wahrung des notwendigen Funktions- und Zweckzusammenhangs
48
VI. Funktionsnachfolge als Verneinung des Betriebsübergangs
49
1. Fremdvergabe von bislang selbst erbrachten Leistungen
50
2. Auftragsverlust an Mitbewerber
51
VII. Betriebsstilllegung/-unterbrechung
52
1. Stilllegung der wirtschaftlichen Tätigkeit
53
a) Zeitmoment
54
b) Umstandsmoment
54
2. Betriebsunterbrechung
56
VIII. Wechsel des Betriebsinhabers
57
1. Übernahme der Leitungsmacht
57
2. Gesellschafterwechsel als Ausschluss des Betriebsübergangs
58
3. Grenzüberschreitender Wechsel des Inhabers
60
a) Übergang innerhalb der Europäischen Union
60
b) Übergang außerhalb der Europäischen Union
60
IX. Übergang durch Rechtsgeschäft
63
1. Rechtsgeschäft als Rechtsgrundlage
63
a) Art des Rechtsgeschäfts
63
b) Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts
64
c) Einzelne Rechtsgeschäfte
65
d) Disposition der Parteien
66
2. Bedeutung des Übertragungswillens
66
a) Geschäftswille
66
b) Fortsetzungswille
67
c) Übertragungswille
68
3. Gesellschaftsrechtlicher Betriebsübergang
68
a) Formen der Umwandlung
69
aa) Verschmelzung
bb) Spaltung
cc) Ausgliederung
dd) Vermögensübertragung
69
70
70
70
b) Umwandlung und Betriebsübergang
70
4. Erbfall als Gesamtrechtsnachfolge
71
5. Übertragung hoheitlicher Aufgaben
72
a) Übertragung durch Gesetz oder Verwaltungsakt
72
9
b) Übertragung durch Vertrag
72
X. Rechtsmissbräuchliches Verhalten
72
1. Bewusste Vermeidung des Betriebsübergangs
73
2. Vorgeschobener Aufhebungsvertrag
73
10
Kapitel A: Tatbestand
Der Tatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht. Der gesetzliche Schutzzweck
der Norm erstreckt sich auf die individuelle Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zielsetzung ist es, den Arbeitsvertrag trotz Übertragung des Betriebes oder Betriebsteils auf den Erwerber zu erhalten. Hingegen dient § 613a BGB nicht dem Schutz kollektivrechtlicher Amtsträger. Das Betriebsratsgremium als solches wird nicht geschützt, hier
sind Sonderregeln nach §§ 21a und b BetrVG einschlägig.6
Die Darstellung des Tatbestandes erfolgt in der Weise, dass zunächst eine Definition des
persönlichen Geltungsbereichs der Norm erfolgt, nämlich die Bestimmung des Anwendungsbereichs (I.) der vom Betriebsübergang betroffenen Rechtsverhältnisse (II.), die im Zeitpunkt
des Betriebsüberganges bestehen müssen (III.). Sachlicher Gegenstand des Überganges
kann entweder der gesamte Betrieb (IV.) oder lediglich ein Betriebsteil (V.) sein. Die Funktionsnachfolge (VI.) schließt den Betriebsübergang aus, gleiches gilt bei der Betriebsstilllegung bzw. der Betriebspause (VII.). Im Ergebnis muss es zu einem Wechsel des Inhabers
kommen (VIII.), wobei dies durch Rechtsgeschäft (IX.) zu geschehen hat.
I. Anwendungsbereich der Norm
Der Tatbestand des § 613a BGB setzt voraus, dass ein Betrieb oder Betriebsteil durch
Rechtsgeschäft vom Veräußerer auf den Erwerber übergeht. Immer dann, wenn der Erwerber entsprechende sächliche Gesamtheiten übernimmt, sollen die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs greifen, insbesondere die betroffenen Arbeitsverhältnisse durch Übergang auf
den Erwerber erhalten bleiben. Der klassische Fall des Betriebsübergangs ist daher der „asset deal“. Materielle oder immaterielle Betriebsmittel gehen insoweit auf den Erwerber über,
dass er über die tatsächliche Leitungsmacht verfügt.
Ein anderes Ergebnis gilt beim sogenannten „share deal“. Werden nur ein oder mehrere Anteilseigner durch Verkauf und Zukauf von Aktienpaketen ausgewechselt, liegt kein Betriebsübergang, sondern nur ein Inhaberwechsel vor, der die Anwendung des § 613a BGB dann
ausschließt, wenn keine anderen relevanten Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sind.
Denn die Anwendung der Rechtsnormen des Betriebsüberganges setzt voraus, dass durch
ein Rechtsgeschäft der betriebliche Zweck von einem anderen Unternehmen als Erwerber
fortgeführt wird. Beim Inhaberwechsel bleibt der alte Eigentümer erhalten, die Leitungsmacht
wird nicht übertragen.
Die Regeln des Betriebsübergangs gelten sowohl bei der Einzelrechts- (das Rechtsgeschäft
betrifft nur ein Rechtsgut und dieses geht über, z. B. der Betrieb oder Betriebsteil) als auch
bei der Gesamtrechtsnachfolge (das Rechtsgeschäft betrifft alle Rechte und Pflichten, die
im Zusammenhang mit dem Kaufgegenstand stehen und dabei geht der Betrieb oder Betriebsteil quasi mit über). Das Tatbestandsmerkmal „Rechtsgeschäft“ bringt zum Ausdruck,
dass vor allem die Einzelrechtsnachfolge, also die Übertragung eines Betriebs oder Betriebsteils durch Vertrag, als Betriebsübergang zu verstehen ist.
Findet eine Gesamtrechtsnachfolge statt, z. B. nach den Tatbeständen des Umwandlungsgesetzes, also durch Verschmelzung oder durch Vermögensvollübernahme, kann es nach
§ 324 UmwG zu einem Übergang der betroffenen Arbeitsverhältnisse kommen. Voraussetzung ist, dass sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolgen des § 613a BGB über § 324 UmwG
verwirklicht sind.7
6
7
Siehe unten: Kapitel H.
Siehe unten: Kapitel A, IX. 3.
11
Wird anlässlich eines Erbfalls ein Betrieb übertragen, finden die Rechtsfolgen des
§ 613a BGB ebenfalls statt.
Zusammenfassender Überblick
Betriebsübergang nach
§ 613a BGB
durch asset deal
durch share deal
(+)
(-)
da lediglich
Inhaberwechsel
durch Einzelrechtsnachfolge
durch Gesamtrechtsnachfolge
Übertragung eines
Betriebs oder
Betriebsteils
- Vermögensübertragung nach UmwG
- Erbrechtsnachfolge
II. Übergang betroffener Rechtsverhältnisse
Der Tatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB kann nur auf „Arbeitsverhältnisse“ angewendet werden, die „im Zeitpunkt des Übergangs“ bestehen. Beide Voraussetzungen knüpfen an
den vom Gesetz zugunsten der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer vorgesehenen Schutzzweck an. Gerade dieser Zweck wird durch den persönlichen Anwendungsbereich der Norm verdeutlicht, nämlich die Erhaltung der bestehenden Arbeitsplätze, also der
Fortbestand der zugrundeliegenden Arbeitsverhältnisse. Daneben sollen die Verteilung der
Haftungsrisiken zwischen dem alten (Veräußerer) und dem neuen (Erwerber) Arbeitgeber
geregelt werden. Die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer sollen in Zeiten wirtschaftlicher Änderungen, die sich aus Umstrukturierungsmaßnahmen und Ähnlichem ergeben, nicht
mehr als notwendige Nachteile erleiden. Nach dem Normzweck müssen dabei verschiedene
Gruppen unterschieden werden:
Der Wortlaut des § 613a BGB spricht ausschließlich von den vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitsverhältnissen. Eine weitere Differenzierung in Arbeiter, Angestellte oder Auszubildende erfolgt nicht.
1. Beschäftigte Arbeitnehmer
Erfasst werden die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer.8 Im Ergebnis fallen alle Arbeitnehmer in den Schutzbereich des § 613a BGB. Dies gilt auch unabhängig von der Größe
des übertragenen Betriebes. Eine Kleinbetriebsklausel wie im Kündigungsschutzrecht oder in
der Betriebsverfassung existiert nicht.
8
BAG v. 13.02.2003 – 8 AZR 59/02, NZA 2003, 854.
12
Auch ist der Umfang der Arbeitszeit ohne Bedeutung. Arbeitnehmer, die in Teilzeit beschäftigt sind, unterfallen ebenso dem Schutz des § 613a BGB wie Vollzeitkräfte. Gleiches gilt für
befristet beschäftigte Mitarbeiter. Ihr Vertrag geht über, soweit der Betriebsübergang sich
während der Laufzeit des Vertrages vollzieht. Letztlich ist die Tarifbindung einer oder beider
Vertragsparteien ebenso wenig von Bedeutung wie die Tatsache, ob ein Betriebsrat gewählt
ist oder nicht.
Für die Anwendung der Norm ist vielmehr entscheidend, ob der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer tatsächlich in dem übergegangenen Betrieb oder Betriebsteil beschäftigt ist.
a) Klare Zuordnung des betroffenen Arbeitnehmers
Die Frage, ob für die Arbeitnehmer der Schutz nach § 613a BGB besteht, hängt davon ab,
ob das eigene Rechtsverhältnis vom Übergang des Betriebs oder Betriebsteils betroffen ist.
Hierfür ist eine Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum abgebenden Betrieb erforderlich.
Denn nur die Arbeitsverhältnisse, die dem vom Übergang betroffenen Betriebsteil zuzuordnen sind, können nach § 613a BGB auf den Erwerber übergehen.9
Der Übergang eines Rechtsverhältnisses setzt folglich voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer dem übertragenen Betrieb oder Betriebsteil zuzurechnen ist. Dies ist vor allem dann
der Fall, wenn sein Einsatz unter der bestimmenden Leitung des Hauptbetriebs der Erfüllung
des ganzen (Betrieb) oder eines abgrenzbaren Betriebszwecks (Betriebsteil) dient. Wichtig
ist die tatsächliche Eingliederung in den Arbeitsbereich durch weisungsabhängiges Tätigwerden-Müssen; es ist nicht ausreichend, wenn er nur bei Gelegenheit Tätigkeiten für den
übertragenen Bereich verrichtet, ohne in die Struktur eingebunden zu sein.10 Nicht von Bedeutung ist die vertragliche Absprache. Daher ist es egal, ob eine schriftliche oder mündliche
Absprache getroffen wurde, maßgeblich für die Zuordnung des Arbeitnehmers ist der faktische Arbeitseinsatz.11
Beispiel:
Der Betrieb eines Unternehmens verfügt über einen produzierenden Teil und eine Logistikabteilung mit 10 LKW. Wird nur der Fuhrpark verkauft und findet ein Betriebsübergang
statt, sind die Arbeitnehmer, die vorher ausschließlich die Fahrzeuge gesteuert haben, eindeutig
dem übertragenen Bereich zuzuordnen.
b) Unklare Zuordnung des betroffenen Arbeitnehmers
Die Zuordnung der Arbeitnehmer ist dann problematisch, wenn sie in mehreren Arbeitsbereichen ihre Tätigkeit erbringen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Arbeitnehmer ohne klare
Zuordnung zwischen verschiedenen Betriebsteilen wechseln oder in Konzernzentralen für
mehrere Konzernunternehmen tätig werden.
aa) Tätigkeit in verschiedenen Betriebsbereichen
Für den Schutz des § 613a BGB ist es von Bedeutung, dass ein Arbeitnehmer klar dem vom
Betriebsübergang betroffenen Betrieb oder Betriebsteil zugeordnet werden kann. Veräußerer
und Erwerber müssen wissen, welche Arbeitsverhältnisse vom Betriebsübergang betroffen
sind.
9
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249.
BAG v. 24.08.2006 – 8 AZR 556/05, DB 2006, 2818.
11
LAG Hamm v. 22.08.1996 – 4 Sa 322/96.
10
13
Sind Arbeitnehmer in mehreren Betriebsteilen eingesetzt, ist der Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses in erster Linie anhand des zeitlichen Aufwandes zu ermitteln12. Kriterium kann
aber auch die Bedeutung der Tätigkeit für einen Bereich sein. Der Schwerpunkt der Tätigkeit
richtet sich im Ergebnis danach, wo der Arbeitnehmer qualitativ oder quantitativ überwiegend
seine Arbeitsleistung erbringt.13
Beispiel:
Ein Betrieb verfügt über einen produzierenden Teil und eine Logistikabteilung mit zehn LKW.
Ein Arbeitnehmer arbeitet überwiegend an einer Produktionsmaschine. Bei gelegentlichen personellen Engpässen im Fuhrpark hilft er aus, da er über eine entsprechende Fahrerlaubnis verfügt. Bei einem Betriebsübergang des Fuhrparks auf einen neuen Inhaber wäre sein Rechtsverhältnis nicht betroffen, da er aufgrund seiner überwiegenden Tätigkeit dem Produktionsbereich zugerechnet werden muss.
Unabhängig von der objektiven Zuordnung, die sich an der faktischen Beschäftigung des Arbeitnehmers orientiert, hat das BAG die Zuordnung auch am Willen des Veräußerers und
Erwerbers orientiert.14 Dies vor allem dann, wenn ein Arbeitnehmer als Springer permanent
in verschiedenen Betriebsbereichen tätig ist. Da der Schutzzweck der Norm eine eindeutige
Zuordnung der Arbeitnehmer verlangt, soll nach Auffassung des BAG bei fehlenden objektiven Kriterien eine einvernehmliche Regelung des Erwerbers und des Veräußerers möglich
sein15. Erst wenn Erwerber und Veräußerer sich nicht einigen können, soll nach objektiven
Indizien entschieden werden.
Vorzugswürdig erscheint hingegen die Ansicht16, dass unabhängig vom subjektiven Willen
der Beteiligten grundsätzlich die objektiven Gegebenheiten entscheidend sein sollen. Allein
die objektive Betrachtung des Tätigkeitsbildes des betroffenen Arbeitnehmers ist in der Lage,
sachgerechte Lösungen hervorzurufen, die dem Schutzzweck des § 613a BGB gerecht werden. Primär sollte folglich das objektiv sich zeigende Bild der Tätigkeit betrachtet werden.
Beispiel:
In einem übertragenen Betrieb sind zentrale Bereichsleiter tätig, die ohne Schwerpunktbildung
auch für andere Betriebe zuständig sind. Das Problem verstärkt sich dann, wenn die betroffenen Arbeitnehmer für die verschiedenen Betriebe in etwa in gleichem Umfang tätig sind. Dies
könnte bei verschiedenen Betriebsübergängen der einzelnen Betriebe zur theoretischen Konsequenz führen, dass sie gegenüber dem Erwerber des jeweiligen Betriebs die Rechtsfolgen
17
aus § 613a BGB einfordern könnten.
Im Ergebnis kann kein Vollzeitarbeitsverhältnis geteilt werden. Weder kann der Arbeitnehmer
bei nicht eindeutiger Zuordnung seiner Tätigkeit beim Veräußerer und zeitgleich beim Erwerber arbeiten noch gleichzeitig bei mehreren Erwerbern. Da letztlich auch nicht zwei oder
mehrere Arbeitsverhältnisse in Teilzeit durch den Betriebsübergang entstehen sollen, muss
der Arbeitnehmer entweder beim Veräußerer verbleiben oder bei einem Übergang auf einen
einzigen Erwerber übergehen.
12
BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 763/12, NZA 2014, 392.
LAG Schleswig-Holstein v. 13.06.2013 – 5 Sa 367/12, NZA-RR 2013, 456; LAG Düsseldorf
v. 21.11.1995 – 16 (15) Sa 428/95.
14
BAG v. 20.07.1982 – 3 AZR 261/80, DB 1983, 50.
15
BAG 24.01.2013 – 8 AZR 706/11, NZA 2013, 1390.
16
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 72.
17
LAG Hamm v. 15.04.1998 – 8 Sa 2302/98.
13
14
Praxishinweis: Bei nicht eindeutiger Zuordnung ist eine Absprache zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer, dem Veräußerer und einem möglichen Erwerber notwendig.
Über entsprechende Absprachen zwischen dem Veräußerer und einem oder mehreren Erwerbern im Vorfeld ist der betroffene Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB zu informieren.
bb) Tätigkeit in zentraler Unternehmensposition
Ein weiteres Problem kann bezüglich der Mitarbeiter entstehen, die in zentralen Unternehmenspositionen angesiedelt sind und hierbei ihre Tätigkeit für verschiedene Konzernunternehmen erbringen. Wird eine Konzerntochter übertragen, für die ein entsprechender Mitarbeiter Serviceleistungen erbracht hat, geht dessen Arbeitsverhältnis nur dann auf den Erwerber über, sofern er ganz überwiegend Tätigkeiten für den vom Betriebsübergang betroffenen Teilbereich des Konzerns erbracht hat. Den Maßstab der Entscheidung bildet die
Frage, ob mit Übertragung des Unternehmens der betroffene Konzernbereich seine Funktion
verloren hat. Betriebsteile in Form von Verwaltungseinrichtungen gehen nämlich nur dann
auf den Erwerber über, wenn durch Übertragung von sächlichen und/oder immateriellen Betriebsmitteln oder durch den Übergang der Arbeitnehmer der Funktions- und Zweckzusammenhang genau dieser Einheit erhalten bleibt.18 Die im Betrieb durchgeführte Tätigkeit muss
sich folglich gleich oder ähnlich beim Erwerber fortsetzen.
Beispiel:
Ein Mitarbeiter in der Konzernzentrale führt unter anderem Verwaltungsarbeiten für den Technikbereich einer Konzerntochter durch. Diese wird veräußert. Die Verwaltungsabteilung der
Konzernzentrale wird stillgelegt, die verbleibenden Arbeiten anders verteilt. Die Tätigkeit für die
Technik reicht allein für einen Betriebsübergang des Arbeitsverhältnisses nicht aus. Es fehlt an
19
der ausschließlichen organisatorischen Einbindung in die übertragene Konzerntochter.
Etwas anderes gilt folglich nur dann, wenn der Arbeitnehmer ausschließlich für die Konzerntochter tätig war und organisatorisch fast wie ein eigener Mitarbeiter angesehen werden muss20
te.
cc) Sonderproblem: Freigestellte Betriebsräte
Auch die Zuordnung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds ist schwierig. Bezogen auf seine tatsächliche Tätigkeit ist es keinem Betriebsteil zuzuordnen. Im Ergebnis wird man eine
hypothetische Betrachtungsweise anstellen müssen, welchem Betriebsteil der Betriebsrat
zuzuordnen wäre, wenn er nicht freigestellter Betriebsrat geworden wäre. Würde er seine
Tätigkeit in dem vom Betriebsübergang betroffenen Betriebsteil erbringen, geht sein Arbeitsverhältnis trotz Status eines freigestellten Betriebsrats mit auf den Erwerber über.21
Praxishinweis: Auch bzgl. der arbeitsvertraglichen Zukunft, also der Zuordnung zum künftigen Betrieb von freigestellten Betriebsräten, sollte eine einvernehmliche Lösung zwischen
dem betroffenen Betriebsrat, dem Veräußerer und dem Erwerber gefunden werden.
2. Telearbeitnehmer / Freie Arbeitsplatzwahl
Für die Anwendung des § 613a BGB ist es unerheblich, ob der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des Unternehmens innehat oder als Telearbeiter tätig ist.
18
BAG v. 24.08.2006 – 8 AZR 556/05, DB 2006, 2118.
BAG v. 08.08.2002 – 8 AZR 583/01, NZA 2003, 315.
20
LAG Köln v. 08.06.2001 – 11 Sa 281/01, BB 2001, 2172.
21
BAG v. 19.09.1997 – 2 ABR 15/97, NZA 1998, 189.
19
15
Auch die inhaltliche Ausgestaltung der Telearbeit – alternierende oder ausschließliche Telearbeit – ist ohne Bedeutung. Bei der Durchführung beider Formen der Telearbeit ist der
Schutz des § 613a BGB geboten, da die betroffenen Personen trotz der Tätigkeit von der eigenen Wohnung aus nach wie vor arbeitsrechtlich an das Unternehmen gebunden sind. Dies
gilt vor allem dann, wenn sich das Unternehmen im Wege der einseitigen Anordnung vorbehält, den Arbeitsplatz jederzeit wieder in den Betrieb zu integrieren.
Unabhängig von der Telearbeit greift der Schutz des § 613a BGB auch bei jeder anderen
Form von Arbeit, die nicht an einen konkreten Arbeitsplatz gebunden ist. Dabei ist es egal,
ob die Dispositionsbefugnis beim Arbeitgeber oder Arbeitnehmer liegt. Sowohl der zeitliche
Umfang als auch die mögliche Entfernung vom Betrieb sind ohne Bedeutung.
3. Arbeitnehmer in Altersteilzeit
Altersteilzeit ist sowohl nach Gesetz als auch nach den tariflichen Möglichkeiten der verschiedenen Branchen in zwei Modellen denkbar. Im sogenannten „Blockmodell“ arbeitet der
Arbeitnehmer aktiv in der ersten Hälfte der Altersteilzeit, während er in der zweiten Hälfte der
Altersteilzeit von der Arbeitsleistung befreit wird. Im „Teilzeitmodell“ arbeitet der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Altersteilzeitverhältnisses, jedoch ist die von ihm zu
erbringende Arbeitszeit um die Hälfte reduziert.
Der persönliche Anwendungsbereich des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gilt für beide Modelle,
also sowohl für Arbeitnehmer mit reduzierter Arbeitszeit wie auch für die Arbeitnehmer, die
sich im „Blockmodell“ in der Arbeitsphase22 oder in der Freistellungsphase23 befinden. Beim
Betriebsübergang wird das Rechtsverhältnis, wie es bestanden hat, fortgesetzt. Eine inhaltliche Änderung oder gar ein Wechsel der Arbeits- oder der Freistellungsphase kann weder
vom Veräußerer noch vom Erwerber verlangt werden. Gleiches gilt für den Arbeitnehmer
selbst. Das bedeutet: Geht in der Arbeitsphase der Betrieb über, wird die Arbeitsphase bis
zum vereinbarten Ende fortgesetzt. Auch an die zuvor vereinbarte Freistellungsphase ist der
Erwerber gebunden. Geht der Betrieb in der Freistellungsphase über, muss der Erwerber
ebenfalls den Altersteilzeitvertrag erfüllen.
Bei einer Freistellung von der Arbeit durch Altersteilzeit im Blockmodell wird der Arbeitnehmer regelmäßig dem Teil zugeordnet, in dem er zuletzt tätig war.24
4. Entsandte Mitarbeiter
In der Praxis kommt es vielfach vor, dass Arbeitnehmer von ihrem Dienstsitz an andere Betriebe des Unternehmens oder gar an andere Unternehmen im Konzernverbund entsandt
werden. Auch die Entsendung ins Ausland ist sowohl für kurze Zeit wie auch für einen längeren Zeitraum möglich. Der entsandte Mitarbeiter und das entsendende Unternehmen schließen in diesen Fällen regelmäßig einen Entsendungsvertrag, der die Einzelheiten der Tätigkeit an dem anderen Arbeitsplatz beinhaltet.
Findet ein Betriebsübergang zwischen dem entsendenden Unternehmen als Veräußerer und
einem dritten Unternehmen als Erwerber statt, geht auch das Arbeitsverhältnis der entsand-
22
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432;
LAG Rheinland-Pflalz v. 01.10.2012 – 5 Sa 158/12.
24
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705.
23
16
ten Mitarbeiter auf den Erwerber über. Voraussetzung ist nur, dass deren Vertragsverhältnis
dem entsendenden Betrieb zuzurechnen war.25
Praxishinweis: Der Betriebsübergang hat aber auch im Entsenderecht Grenzen:
Liegt ein Betriebsübergang vor, hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine weitere Entsendung durch den Erwerber als den, der sich aus der übergegangenen Entsendungsvereinbarung ergeben hat.
Auch kann der Arbeitnehmer bei der Entsendung in ein anderes Unternehmen nicht geltend
machen, sein Vertrag wäre auf dieses (Dritt)Unternehmen übergegangen, in das er entsandt
wurde.
5. Auszubildende
Der Schutzzweck des § 613a BGB gilt ferner für Personen, die nach dem Berufsbildungsgesetz zum Zweck der Berufsausbildung beschäftigt werden.26 Dies kann zur Folge haben,
dass ein Unternehmen, welches bislang nicht ausgebildet hat, durch Zukauf eines Betriebes
mit einer Ausbildungsabteilung nach dem Betriebsübergang für die Voraussetzungen einer
ordnungsgemäßen Ausbildung Sorge zu tragen hat.
6. Studenten / Praktikanten
Vielfach werden in Unternehmen Studenten und Praktikanten beschäftigt. Dies erfolgt z. T.
im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, z. B. während der Semesterferien oder als studienbegleitendes oder Orientierungspraktikum.
Wird das Rechtsverhältnis geschlossen, um Entgelt zu erzielen, liegt ein normales, in der
Regel befristetes Arbeitsverhältnis vor, welches bestandsgeschützt unter den Anwendungsbereich des § 613a BGB fällt. Für die Frage des notwendigen Schutzes des Vertragsverhältnisses besteht insoweit kein Unterschied zu einem normalen Arbeitsverhältnis. Der Erwerber
muss in alle Rechte und Pflichten eintreten.
Etwas anderes gilt für die Zusage eines Unternehmens an einen Studenten, betriebsbezogen die Anfertigung einer Diplomarbeit zu ermöglichen oder ein studienbegleitendes bzw.
Orientierungspraktikum durchzuführen. In diesen Fällen liegt regelmäßig kein echtes Arbeitsverhältnis vor; die Erbringung der universitären Leistung als Prüfungsleistung oder als
praktische Studienzeit steht klar im Vordergrund. Da § 613a BGB ausschließlich die abhängigen Arbeits- und vergleichbare Rechtsverhältnisse schützen will, ist unter Berücksichtigung
des Sinnes und Zweckes der Vorschrift das Rechtsverhältnis eines Praktikanten oder Diplomanden nicht bestandsgeschützt und geht damit auch nicht auf den Erwerber über.
Studenten im Rahmen eines dualen Studiums sind ebenfalls durch § 613a BGB geschützt.
Der Erwerber muss den Ausbildungsvertrag und die weiteren Absprachen zur Durchführung
des Studiums erfüllen. Änderungen oder Ausweitungen können weder der betroffene Auszubildende noch der Erwerber verlangen.
7. Leitende Angestellte / Angestellter Geschäftsführer
Beim Betriebsübergang von leitenden Angestellten wird auf den notwendigen Schutz dieser
Personengruppe abgestellt. Der Inhalt des Vertrages, insbesondere das Ausmaß, eigenver25
26
BAG v. 14.07.2005 – 8 AZR 392/04, NZA 2005, 1411.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406.
17
antwortlich handeln zu können, ist zwar bei der Bestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz ausschlaggebend, die Notwendigkeit des gesetzlichen Schutzes aus § 613a BGB
wird aber umso höher bewertet, je größer die persönliche und finanzielle Abhängigkeit vom
Unternehmen ist. Im Gegensatz zu den Organmitgliedern wird bei leitenden Angestellten –
auch mit weitreichenden Befugnissen faktischer und finanzieller Art – die Abhängigkeit vom
Unternehmen bejaht. Deshalb können sie für den Bestand ihres Rechtsverhältnisses Übertragungsschutz beanspruchen. Daher fallen auch leitende Angestellte unter den Schutz des
§ 613a BGB.27
8. Organmitglieder juristischer Personen
Aus zwei Gründen sind die Rechtsverhältnisse der Organmitglieder, z. B. Vorstände einer
AG, nicht vom Tatbestand des § 613a BGB umfasst. Zum einen sind Organmitglieder keine
Arbeitnehmer, da sie nicht vertraglich verpflichtet sind, weisungsabhängig ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Darüber hinaus stehen sie in einem besonderen Vertrauensverhältnis zur
Gesellschaft. Personen in solch leitender Funktion sollen nicht gegen den Willen des (Erwerber-)Unternehmens tätig werden dürfen. Dies gilt bereits für den bestehenden Vertrag und
wird inhaltlich durch den fehlenden Kündigungsschutz belegt.
Aufgrund der Nähe zum Arbeitgeber und der entsprechenden Befugnisse im Betrieb bzw.
Unternehmen kann es zu keiner zwangsweisen Übertragung eines Rechtsverhältnisses dieser Personengruppe und damit nicht zur Anwendung des § 613a BGB auf den Erwerber
kommen, da sich kein Unternehmen ein Organmitglied aufdrängen lassen muss.
Problematisch wird die Anwendung des § 613a BGB dann, wenn neben der Bestellung zum
Geschäftsführer bzw. zum Mitglied des Vorstandes aus früheren Zeiten noch ein Arbeitsverhältnis besteht. In diesen Fällen ist die Frage der Anwendbarkeit des § 613a BGB auf die betreffende Person zweigeteilt zu beantworten. Für die Organstellung wird kein Übertragungsschutz gewährt, hingegen kann ein möglicherweise ruhendes Anstellungsverhältnis beim
Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auf den Erwerber übergehen.28
Im Regelfall erlischt aber das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis. Bei der Bestellung zum
Organ wird vom Abschluss eines konkludenten Aufhebungsvertrages ausgegangen.29 Gleiches gilt beim Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrages. Für ein anderes Auslegungsergebnis, also für das Bestehen eines ruhenden Anstellungsvertrages, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Regelmäßig kommt ein Wiederaufleben nicht in Betracht.30
Praxishinweis: Auf die reine Organstellung wird § 613a BGB auch nicht analog angewandt.
9. Zeitarbeitnehmer
Bei der Anwendung des § 613a BGB auf Zeitarbeitnehmer ist zu unterscheiden, ob der Betrieb bzw. Betriebsteil des verleihenden oder der Betrieb bzw. der Betriebsteil des entleihenden Unternehmens durch Rechtsgeschäft auf einen Dritten übertragen wird.
27
BAG v. 22.02.1978 – 5 AZR 800/76, BB 1978, 914.
BAG v. 13.02.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552.
29
BAG v. 03.02.2009 – 5 AZB 100/08, NZA 2009, 669.
30
BAG v. 05.06.2008 – 2 AZR 754/06, NZA 2008, 1002; LAG Köln v. 09.01.2014 – 7 Sa 98/13.
28
18
Lediglich dann, wenn der Verleihbetrieb selbst Objekt der Übertragung ist, gehen die
Rechtsverhältnisse, die zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer bestehen, auf den Erwerber über.31
Übernimmt ein Zeitarbeitsunternehmen von einem anderen Zeitarbeitsunternehmen lediglich
die bei einem bestimmten Entleiher eingesetzten Beschäftigten, die nicht die Hauptbelegschaft32 darstellen, und setzt diese weiter als eigene ein, stellt dies keinen (Teil-) Betriebsübergang dar, weil die übernommenen Arbeitnehmer keinen eigenständigen Betriebsteil darstellen.33 Dies gilt vor allem dann, wenn noch weitere Baustellen vorhanden sind.
Bildet der Betrieb bzw. Betriebsteil des Entleihers den Gegenstand der Übertragung, findet
§ 613a BGB keine Anwendung, da zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer keine
arbeitsrechtliche Beziehung besteht.
Praxishinweis: Sind im übernommenen Betrieb Zeitarbeitnehmer beschäftigt, ist aufgrund
der gesetzlichen Höchstüberlastungsdauer von 18 Monaten, die gemäß § 19 Abs. 2 AÜG ab
dem 01.04.2017 gilt, nicht auszuschließen, dass der Erwerber diese Höchstdauer ebenfalls
beachten muss, d. h. die Fristen unabhängig vom Betriebsübergang weiterlaufen. Gleiches
könnte für die neun Monate hinsichtlich des Equal Pay gelten.
Es empfiehlt sich zudem für den Erwerber dringend, vor dem Betriebsübergang mit dem
Zeitarbeitsunternehmen einen eigenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu schließen (ausdrücklich als solchen bezeichnet) und die Zeitarbeitnehmer (ggf. schriftlich) namentlich mit
dem Zeitarbeitsunternehmen unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren. Dies
gilt aufgrund des Deklarationsgebotes aus dem zu erwartenden § 1 Abs. 1b Sätze 5 und 6
AÜG.
Auf diese Art und Weise kann die Gefahr des fingierten Arbeitsverhältnisses zwischen dem
Einsatzbetrieb und dem Zeitarbeitnehmer ausgeschlossen werden.
Bei entsprechender Tarifgebundenheit des Erwerbers sind die (Neu-)Regelungen des Tarifvertrages zur Leih-/Zeitarbeit zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere die Übernahmeverpflichtung nach 24 Monaten. Sofern eine nahtlose Weiterbeschäftigung erfolgt, besteht für
den Erwerber das Risiko, dass auch die bisherigen Einsatzzeiten mit auf die Frist angerechnet werden müssen. In diesen Fällen kann das Risiko bestehen, dass es zu einer Übernahmeverpflichtung bereits zu einem Zeitpunkt kommt, zu dem der Zeitarbeitnehmer noch keine
24 Monate beim Erwerber tätig gewesen ist.
Für einen Neubeginn der Einsatzzeit sollte, wie in den gesetzlichen Regelungen vorgesehen,
eine Unterbrechungsfrist von mehr als drei Monaten eingehalten werden.
10. Arbeitnehmerähnliche Personen
Rechtsverhältnisse von arbeitnehmerähnlichen Personen unterfallen dem Schutzzweck des
§ 613a BGB nicht. Arbeitnehmerähnliche Personen sind Dienstleistende, die trotz persönlicher Abhängigkeit deshalb nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind, weil sie eine selbstständige Tätigkeit erbringen. Dies, obwohl mangels mehrerer Auftraggeber meist eine wirtschaftliche Abhängigkeit zum Auftraggeber besteht.34 Arbeitnehmerähnliche Personen wer31
BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12, NZA 2014, 436; BAG v. 18.02.1988 – 2 AZR 578/87, n.v.;
LAG Sachsen-Anhalt v. 20.01.2009 – 8 Sa 146/08.
32
BAG v. 19.03.2017 – 8 AZR 150/14.
33
BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12.
34
BAG v. 08.05.2007 – 9 AZR 777/06, BB 2007, 2298.
19
den regelmäßig persönlich ohne Hilfe Dritter tätig, sind in Betriebsorganisation nicht eingegliedert und in der Regel nur einem Kunden gegenüber vertraglich verpflichtet.35
Zu arbeitnehmerähnlichen Personen in diesem Sinn zählen insbesondere Frachtführer und
Hausgewerbetreibende. Gleiches kann auch für Künstler, Schriftsteller und sonstige Mitarbeiter von Radio- und Fernsehanstalten gelten.36 Diese Personengruppen stehen nicht in einem „Arbeitsverhältnis“ i. S. d. § 613a BGB und unterfallen daher nicht dessen persönlichem
Schutzbereich.37
Praxishinweis: Die Abgrenzung der arbeitnehmerähnlichen Personen von echten Arbeitnehmern kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Daher kann die Rechtsprechung aus Gründen des wirtschaftlichen Schutzes das Vertragsverhältnis schnell als Arbeitsvertrag qualifizieren. Solche Personen, z. B. freie Haustechniker, sollten nicht wie eigene Arbeitnehmer
geführt, sondern vielmehr als selbstständige Werkvertragspartner behandelt werden.
11. Heimarbeiter
Die Rechtsprechung hat es bislang grundsätzlich als unbedenklich angesehen, dass bestimmte Arbeitnehmerschutzvorschriften vom Gesetzgeber nicht auch zugunsten arbeitnehmerähnlicher Personen für anwendbar erklärt worden sind. Da § 613a BGB nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, unterfallen Verträge mit Heimarbeitern nicht dem Anwendungsbereich des § 613a BGB.38
12. Freie Mitarbeiter
Echte freie Mitarbeiter stehen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Unternehmen. Kennzeichnend für das Rechtsverhältnis ist die Möglichkeit, sowohl die Arbeitszeit als
auch die Ausführung der Arbeit frei zu bestimmen sowie die Möglichkeit, sich mehreren Vertragspartnern gegenüber zu verpflichten. Da § 613a BGB nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, sind freie Mitarbeiterverhältnisse nicht in den Anwendungsbereich des
§ 613a BGB einbezogen.39
13. Handelsvertreter
Auch bei einem Handelsvertreter nach § 78 HGB existiert kein Arbeitsverhältnis im Sinne
des § 613a BGB. Denn gem. § 84 Abs. 1 HGB ist nur derjenige Handelsvertreter, der als
selbstständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer
Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Normative Voraussetzung ist,
dass der Handelsvertreter im Wesentlichen frei seinen Vertragspartner wählen, seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Fraglich ist, ob dies auch für Handelsvertreter gilt, die als „Einfirmenvertreter“ mit geringem
Einkommen tätig sind. In Abgrenzung zum echten unabhängigen Handelsvertreter gilt gem.
§ 84 Abs. 2 HGB derjenige, der nur für einen Unternehmer Geschäfte vermittelt, dann als
Angestellter, also als Arbeitnehmer, wenn er wirtschaftlich abhängig ist und damit nach dem
Gesetz nicht selbstständig sein kann.
35
BAG v. 30.08.2000 – 5 AZB 12/00, NZA 2000, 1359.
BVerfG v. 13.01.1982 – 1 BvR 848/77, DB 1982, 1062.
37
BAG v. 24.03.1998 – 9 AZR 218/97, NZA 1998, 1001.
38
BAG v. 08.05.2007 – 9 AZR 777/06, DB 2007, 2268.
39
BAG v. 13.02.2003 – 8 AZR 59/02, NZA 2003, 854.
36
20
Nur in diesem Fall findet der Bestandsschutz gemäß § 613a BGB Anwendung, mit der Folge,
dass unselbstständige Handelsvertreter, insbesondere die „Einfirmenvertreter“, in den persönlichen Anwendungsbereich des § 613a BGB fallen.40
14. Durch Werkvertrag gebundene Personen
Durch Werkverträge gebundene Personen fallen nicht in den Schutzbereich des § 613a
BGB. Die Eingliederung in das Unternehmen, das beim Betriebsübergang veräußert wird, erfolgt nicht durch Anstellungsvertrag, sondern durch Werkvertrag zwischen dem entsendenden Unternehmen als Auftragnehmer und dem vom Betriebsübergang betroffenen Unternehmen als Auftraggeber.
Etwas anderes kann bei langjähriger Tätigkeit und organisatorischer Eingliederung in den
Betrieb des Auftragnehmers gelten. Durch die tatsächlich vergleichbare Stellung mit den „regulären“ Arbeitnehmern können sich betroffene Personen auf eine Zugehörigkeit zum Betrieb des Auftragnehmers berufen und anschließend die Rechtsfolgen des § 613a BGB geltend machen. Dies vor allem dann, wenn sächliche Mittel des Auftraggebers genutzt werden.41
Beispiel:
In einem Unternehmen arbeiten seit Jahren Arbeitnehmer eines fremden Elektrobetriebes. Sie
führen alle entsprechenden Tätigkeiten aus. Ursprünglich wurde ein Werkvertrag geschlossen,
der Einsatz der Elektriker erfolgte ausschließlich über den Elektrobetrieb. Dieses System der
Arbeitsanweisung wurde nicht durchgehalten, Anweisungen erfolgten ab einem gewissen Zeitpunkt regelmäßig von den betrieblichen Vorgesetzten des beauftragenden Unternehmens. Der
Elektrobetrieb wird insolvent, anschließend geht der Betrieb des beauftragenden Unternehmens
auf einen neuen Inhaber über. Hier werden sich die im Unternehmen eingesetzten Elektriker
gem. § 10 AÜG auf die unzulässige Arbeitnehmerüberlassung und damit auf die Zugehörigkeit
zum übergegangenen Betrieb berufen können. Ihr Rechtsverhältnis geht nach § 613a BGB auf
den Erwerber über.
Praxishinweis: Die tatsächliche Durchführung eines anderslautenden Vertrages ist daher
für die Beurteilung des Einzelfalls entscheidend. Anderslautende vertragliche Absprachen
sind ohne Bedeutung. Wichtig sind saubere Kommunikationsstrukturen; der Werkvertragspartner selbst oder seine Mitarbeiter dürfen nicht wie eigene Mitarbeiter geführt und damit
nicht mittels Ausübung des Direktionsrechts zur Arbeitsleistung angewiesen werden.
15. Rentner / Ausgeschiedene Personen
Ehemalige Beschäftigte, die wegen Bezug der Alters-42 oder einer sonstigen Rente ausgeschieden sind, fallen nicht in den Schutzbereich des § 613a BGB. Gleiches gilt für die Personen, die aus anderen Gründen bereits vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs aus dem
Betrieb bzw. dem Unternehmen ausgeschieden sind.
40
BAG v. 21.01.1988 – 2 AZR 480/87, NZA 1988, 838.
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793.
42
BAG v. 18.03.2003 – 3 AZR 315/02, DB 2004, 1624.
41
21
Zusammenfassender Überblick
Übergang nach
§ 613a BGB
Rechtsverhältnisse
im betroffenen Betrieb(-steil)
Anmerkungen
JA
JA/NEIN
grds. abhängig von Zuordnung durch Veräußerer und Erwerber, i.
Ü. objektive Kriterien
Zentrale Abteilungen
JA
wenn überwiegender
Teil der Tätigkeit betroffen
Freigestellte Betriebsräte
JA/NEIN
Hypothetische Zuordnung
Verschiedene Einsatzorte
Beschäftigte
Auszubildende
JA
Telearbeitnehmer
JA
Leitende Angestellte
JA
Organmitglieder
NEIN
Altersteilzeitmitarbeiter
JA
Unabhängig ob
Arbeits- oder Freistellungsphase
Studenten/Praktikanten
JA
wenn Erwerbstätigkeit
vorliegt
Zeitarbeitnehmer
NEIN
wenn Einsatzbetrieb
übertragen wird
(Ausnahme: Der
Hauptbetrieb wird übertragen)
Entsandte Mitarbeiter
JA
Heimarbeiter
NEIN
Freie Mitarbeiter
NEIN
Arbeitnehmerähnliche
Personen
NEIN
Handelsvertreter
NEIN
Werkvertragsgebundene
Personen
NEIN
Rentner / ausgeschiedene Personen
NEIN
wenn Vertragsverhältnis dem entsendenden
Betrieb zuzurechnen ist
22
III. Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs
Der persönliche Geltungsbereich des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfordert gerade zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses. Fraglich ist,
ob zu dem Zeitpunkt auch die wechselseitigen Rechte und Pflichten aktiv bestehen müssen,
ob folglich auch ein ruhender Vertrag unter den Schutzbereich der Norm fällt.
1. Bestehende Vertragsverhältnisse
Der Betriebsübergang nach § 613a BGB knüpft nach seinem Wortlaut allein an das Bestehen einer vertraglichen Beziehung zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und dem Unternehmen des Veräußerers an. Inhaltlich können damit aktive und auch ruhende Arbeitsverhältnisse betroffen sein.
a) Aktive Verträge
Aktive Arbeitsverhältnisse können sowohl unbefristet als auch nach dem TzBfG mit Zeit- oder Sachgrundbefristung befristet geschlossen werden.
aa) Verträge in Teilzeit
Auch in Teilzeit zu erfüllende Verträge unterfallen dem Schutz des § 613a BGB. Diese gehen
ohne Anspruch auf inhaltliche Veränderung auf den Erwerber über.
bb) Unbefristete Verträge
Regelmäßig fallen die Rechtsverhältnisse von unbefristet eingestellten Arbeitnehmern unter
den Tatbestand des § 613a BGB. Dabei ist es egal, ob der Arbeitnehmer seiner Tätigkeit
nachkommt, Urlaub hat oder Entgeltfortzahlung bezieht.
Der Schutz des Bestandes des Arbeitsverhältnisses greift ferner unabhängig davon ein, ob
das Arbeitsverhältnis sich in einem gekündigten Zustand befindet oder nicht.
cc) Befristete Verträge
Auch befristete Arbeitsverhältnisse unterfallen dem Bestandsschutz des § 613a BGB. Nach
Betriebsübergang läuft das zeitbefristete Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Ablauf
beim Erwerber weiter. Zwar müssen befristete Verträge vom Erwerber erfüllt werden, jedoch
bestehen keine Ansprüche des Arbeitnehmers auf Verlängerung oder gar auf Entfristung.
Der Vertrag mit dem Veräußerer ist beim Betriebsübergang nicht zu Lasten des Erwerbers
als unzulässige Vorbeschäftigung anzusehen. Denn ein einheitlicher befristeter Vertrag wird
mit der vereinbarten Laufzeit übertragen.
Ist das Rechtsverhältnis aufgrund eines Sachgrundes befristet, hängt die Zulässigkeit der
Befristung auch für den Erwerber davon ab, inwieweit er sich auf das Bestehen des Befristungsgrundes berufen kann. Der Sachgrund, der bei Vertragsschluss vorlag und die Befristung rechtfertigt, muss auch für ihn gelten43. Ein Austausch des Grundes ist aufgrund des
Betriebsübergangs für ihn nicht möglich.
Praxishinweis: Aus diesem Grund sollte sich der Erwerber vor dem Übergang des Betriebs
über alle Verträge, die befristet geschlossenen sind, informieren. Dies betrifft den Beginn,
das vorgesehene Ende und vor allem den Befristungsgrund. Schriftliche Vereinbarungen
über die Befristung sollte er sich zeigen lassen.
43
LAG Köln v. 05.06.2014 – 7 Sa 106/14.
23
Die Kenntnis dieser Punkte ist schon deshalb wichtig, da von ihnen die Möglichkeit einer
möglichen Verlängerung von zeitbefristeten Verträgen bzw. der Abschluss von Anschlussbefristungen (Kettenverträge) abhängt.
Der befristete Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer endet selbst dann,
wenn das Ende der Befristung nach dem Vertrag genau einen Tag vor dem geplanten Betriebsübergang liegt. Der Erwerber ist in diesen Fällen nicht gehindert, mit dem Arbeitnehmer
ein neues Vertragsverhältnis als befristeten Vertrag ohne Sachgrund zu schließen.44 Allerdings darf keine Vorbeschäftigung beim Erwerber stattgefunden haben, also ein bereits abgewickeltes Arbeitsverhältnis der Vergangenheit.
Eine Grenze der Vertragsfreiheit dürfte erst in rechtsmissbräuchlichem Verhalten liegen.
Der Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB ist aber selbst kein Befristungsgrund i. S. d.
TzBfG.45 So kann der Arbeitgeber nicht unter Berufung auf einen geplanten Betriebsübergang einen befristeten Vertrag genau auf den Termin der Übergabe der Leistungsmacht an
den Betriebserwerber abschließen.
Tritt der Erwerber eines Betriebs noch in der ersten Instanz als Nebenintervenient dem beklagten Betriebsveräußerer bei, ist ein Parteiwechsel auch nach Schluss der mündlichen
Verhandlung vor dem Berufungsgericht zulässig, wenn die klagende Partei nunmehr den Betriebserwerber anstelle des Betriebsveräußerers auf Abgabe einer das Arbeitsverhältnis gestaltenden Willenserklärung in Anspruch nimmt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sowohl der
aus dem Rechtsstreit ausscheidende Betriebsveräußerer als auch der in den Rechtsstreit
eintretende Betriebserwerber ihr Einverständnis mit dem Parteiwechsel erklären.46
Praxishinweis: In diesen Fällen ist der Vertragsschluss mit einem von § 14 Abs. 1 TzBfG
anerkannten sachlichen Grund für die Befristung notwendig. Alternativ kann eine Zeitbefristung in Betracht kommen, wenn die Grenze des Rechtsmissbrauchs nicht überschritten wird.
dd) Verträge mit laufender Kündigungsfrist
Auch ein gekündigtes Arbeitsverhältnis, bei dem sich während der Kündigungsfrist ein Betriebsübergang vollzieht, unterfällt dem Schutz des § 613a BGB.47 Ein gekündigtes Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf der Kündigungsfrist auch, wenn es während dieser Zeit auf den
Erwerber übergeht. Des Ausspruchs einer neuen Kündigung durch den Erwerber bedarf es
nicht, auch wird nicht die Kündigungsfrist erneut in Lauf gesetzt.
Praxishinweis: In Fällen, in denen zwischen Zugang der Kündigungserklärung und Ablauf
der Kündigungsfrist ein freier Arbeitsplatz entsteht, auf dem der gekündigte Arbeitnehmer
aufgrund Funktion und Qualifikation beschäftigt werden kann, ergibt sich zugunsten des Arbeitnehmers ein Wiedereinstellungsanspruch.
Wichtig ist, dass die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von sechs Monaten auch beim Betriebsübergang erfüllt werden kann. Beschäftigungszeiten beim Veräußerer und beim Erwer-
44
BAG v. 19.05.2005 – 3 AZR 649/03, DB 2005, 2362.
BAG v. 24.09.2014 – 7 AZR 987/12; v. 30.10.2008 – 8 AZR 855/07, NZA 2009, 723.
46
BAG v. 21.06.2011 – 9 AZR 236/10, NZA 2011, 1274.
47
BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597.
45
24
ber werden zusammengerechnet.48 Daher kann schnell nach dem Betriebsübergang der volle Kündigungsschutz bestehen.
ee) Verträge nach Ablauf der Kündigungsfrist
Ebenso kann § 613a BGB für Beschäftigungsverhältnisse nach Ablauf der Kündigungsfrist
zur Anwendung kommen. Bei einem unbefristeten Rechtsverhältnis gehen die betroffenen
Arbeitnehmer trotz Ablauf der Kündigungsfrist auf den Erwerber über, wenn durch Vergleich
oder eine vorläufig vollstreckbare oder rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts der
Fortbestand des Vertrages festgestellt wird.49
Häufig werden zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber Verträge geschlossen, die eine Beschäftigung für den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vorsehen. Entsprechende Verträge müssen schriftlich vereinbart
werden und gelten als befristete Verträge im Sinne § 14 TzBfG. Sie gehen bis zum Ablauf
der vorgesehenen Befristung auf den Erwerber über. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens kann auch ein Teilvergleich über die Beschäftigung, der diese bis zum rechtskräftigen
Abschluss regelt, geschlossen werden.
Verfahrensbeteiligte sind der die Kündigung aussprechende Arbeitgeber als Veräußerer und
der Arbeitnehmer. Ist beim Zugang der Kündigung der Betriebsübergang vollzogen, kann der
Arbeitnehmer entscheiden, den die Kündigung aussprechenden Veräußerer oder den Erwerber oder beide zu verklagen.
Praxishinweis: Auch über das Bestehen von Prozessrechtsverhältnissen sollte sich der Erwerber beim Veräußerer im Vorfeld der Absprachen zum Betriebsübergang erkundigen und
sich die zugrunde liegenden Verträge zeigen lassen.
ff) Aufhebungsvertrag
Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen häufig zur Vermeidung einer sonst durch den Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung einen Aufhebungsvertrag, der das Ende der Tätigkeit
und damit des Rechtsverhältnisses zu einem bestimmten, in der Zukunft liegenden Zeitpunkt
vorsieht. Wird während dieses Zeitablaufs der Betrieb veräußert, gilt die vereinbarte Ablauffrist des Vertrages auch zwischen dem betroffenen Arbeitnehmer und dem Erwerber.
Einige Besonderheiten gelten:
 Der so geschlossene Aufhebungsvertrag ist dann allerdings wegen Rechtsmissbrauch
unwirksam, wenn parallel zur Aufforderung, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen,
ein neues Angebot eines Arbeitsvertrages vom Erwerber unterbreitet oder auch nur in
Aussicht gestellt wird.50
 Ein wirksamer Aufhebungsvertrag liegt hingegen vor, wenn dem Arbeitnehmer ein Angebot unterbreitet wird, zeitbefristet in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft einzutreten.
 Erfolgt das Angebot allerdings nur zum Schein, um die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3
KSchG für den Arbeitgeber günstig beeinflussen zu können oder zur Täuschung über
den Betriebsübergang insgesamt, ist der Aufhebungsvertrag aufgrund § 138 BGB, also
48
BAG v. 23.05.2013 – 2 AZR 54/12, NZA 2013, 1197; v. 23.10.2008 – 2 AZR 131/07;
Hess. LAG v. 11.09.2013 – 18 Sa 296/13.
49
BAG v. 12.09.1985 – 2 AZR 193/84, ZIP 1986, 388.
50
BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, FB-ArbR 2013, 2027; v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04,
NZA 2006, 145.
25
wegen Sittenwidrigkeit der Absprache, ebenfalls unwirksam.51 Ein Aufhebungsvertrag
ist nur dann in Anbetracht eines nachfolgenden Betriebsübergangs wirksam, wenn er
auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist. Das
ist nicht der Fall, wenn ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebserwerber gleichzeitig verbindlich in Aussicht gestellt worden ist. 52
Praxishinweis: Wird der Vertrag mit dem Veräußerer endgültig aufgehoben, um den Übertritt in eine Qualifizierungsgesellschaft zu ermöglichen, ist dies rechtswirksam möglich. Der
Aufhebungsvertrag ist jedoch unwirksam, wenn er die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes bezweckt, weil zugleich ein
neues Arbeitsverhältnis vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt wurde.
b) Ruhende Verträge
Das Rechtsverhältnis eines Mitarbeiters, bei dem die Hauptpflichten im Zeitpunkt des Betriebsüberganges ruhen, unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich des § 613a Abs. 1
Satz 1 BGB.53
Dies gilt für über einen längeren Zeitraum erkrankte Mitarbeiter, insbesondere dann, wenn
sie aus der Pflicht zur Entgeltfortzahlung herausgefallen sind und Krankengeld beziehen.
Zu denken ist in diesem Zusammenhang ferner an Arbeitnehmer, die sich in Elternzeit54 befinden. Ferner an Mütter, die in den Fristen des Mutterschutzgesetzes vor und nach der Geburt nicht beschäftigt werden können.
Bezieht ein Arbeitnehmer eine vorläufige Erwerbsunfähigkeitsrente, bleibt das Arbeitsverhältnis aber ungekündigt bestehen, geht ebenfalls der ruhende Vertrag auf den Erwerber
über.
Auch Geschäftsführer, die ausnahmsweise noch über einen ruhenden Anstellungsvertrag
aus einer Zeit verfügen55, als sie noch nicht berufen worden sind, genießen Schutz nach §
613a BGB. Besteht das ruhende Grundverhältnis, geht dieses, falls nicht wie üblich konkludent aufgehoben, sondern ausdrücklich als weiter bestehend vereinbart, auf den Erwerber
über.56
c) Sabbatical
Ergänzend findet § 613a BGB auf Rechtsverhältnisse Anwendung, bei denen die Arbeitnehmer im Rahmen eines Sabbatical für einen gewissen Zeitraum unbezahlt von der Arbeit
freigestellt worden sind. Regelmäßig ruhen in diesem Zeitraum die wechselseitigen Rechte
und Pflichten beider Parteien.
2. Beendete Vertragsverhältnisse
§ 613a BGB findet keine Anwendung auf Vertragsverhältnisse zwischen Unternehmen und
ehemaligen Mitarbeitern, deren Arbeitsverhältnis beendet ist. Ein bestehender Vertrag, der
übergehen könnte, existiert nicht mehr.
51
BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866.
BAG v. 18.08.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152.
53
LAG Rheinland-Pfalz v. 02.12.2014 – 7 Sa 466/14.
54
LAG Sachsen v. 01.06.1994 – 9 (4) Sa 257/93, ArbuR 1995, 30.
55
Siehe oben: Kapitel A, II. 7.
56
LAG Hamm v. 13.10.2006 – 4 Sa 180/06; LAG Köln v. 12.01.1993 – 4 Sa 903/92.
52
26
Bei beendeten Verträgen muss aber differenziert werden in Ansprüche aus einer zugesagten
nachvertraglichen Versorgung (Betriebsrente) und noch offenen Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis.57
a) Ansprüche auf Betriebsrente
Die nachvertragliche Beziehung, die sich zum Teil allein über das Betriebsrentenrecht nach
dem BetrAVG vollzieht, ist für die Anwendung des § 613a BGB nicht ausreichend.58 Rentenleistungen, die vom Veräußerer zum Zeitpunkt des aktiven Arbeitsverhältnisses zugesagt
worden sind, muss dieser weiter erfüllen, der Erwerber muss entsprechende Ansprüche nicht
übernehmen.59
Die Übertragung einer vom Unternehmen erbrachten Rentenleistung auf eine externe Versorgungseinrichtung oder eine Rentnergesellschaft ist mangels aktiv bestehenden Arbeitsverhältnisses zwischen dem Unternehmen als Versorgungserbringer und dem Rentner als
Versorgungsempfänger kein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB.60
b) Noch offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
Das Bestehen weiterer offener oder gar streitiger Forderungen aus dem beendeten Vertrag
begründet kein anderes Ergebnis. Der vor dem Betriebsübergang ausgeschiedene Arbeitnehmer muss versuchen, die Erfüllung vom Veräußerer zu erlangen. Denn es ist kein aktives
Vertragsverhältnis auf den Erwerber übergegangen.
c) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
Die Frage der Anwendbarkeit des § 613a BGB stellt sich auch für die ehemaligen Arbeitnehmer, die ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit dem Veräußerer geschlossen haben. Zwei Konstellationen sind denkbar:
Zum einen geht das Vertragsverhältnis zu einem Zeitpunkt auf den Erwerber über, zu dem
der zum Wettbewerbsverbot verpflichtete Arbeitnehmer noch aktiv arbeitet. Dann geht das
Wettbewerbsverbot auf den Erwerber über.61 Der Erwerber wird Berechtigter und Verpflichteter aus dem mit dem ehemaligen Arbeitnehmer des Veräußerers geschlossenen Wettbewerbsverbot. Er kann sich aber unter den gesetzlich vorgesehenen Mitteln davon wieder lösen.
Praxishinweis: Über das Bestehen von Wettbewerbsvereinbarungen noch aktiver Arbeitnehmer sollte sich der Erwerber erkundigen. Eine aktuelle Notwendigkeit für eine solche
Vereinbarung besteht vielfach nicht mehr.
Zum anderen geht der Betrieb des Veräußerers zu einem Zeitpunkt über, zu dem er bereits
die Karenzentschädigung an den ausgeschiedenen Arbeitnehmer bezahlt. Dann bleiben die
Rechte und Pflichten aus dem Wettbewerbsverbot beim Veräußerer, da das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Übergangs nicht mehr besteht. Die Wettbewerbsabrede geht isoliert
nicht über.
57
LAG Düsseldorf v. 25.02.2014 – 6 Sa 1431/13.
BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559.
59
Siehe unten: Kapital H.
60
BAG v. 11.03.2008 – 3 AZR 358/06, NZA 2009, 790.
61
LAG Baden-Württemberg v. 06.08.1998 – 19 Sa 10/98.
58
27
Zusammenfassender Überblick
Übergang nach
§ 613a BGB
Vertragsverhältnisse
Unbefristete
Arbeitsverträge
Befristete
Arbeitsverträge
Gekündigte
Arbeitsverhältnisse
Ruhende
Arbeitsverträge
(befristet bis Renteneintritt)
JA
Fristablauf vor Betriebsübergang
NEIN
Fristablauf nach Betriebsübergang
JA
Ablauf Kündigungsfrist vor Betriebsübergang
NEIN
Ablauf Kündigungsfrist nach Betriebsübergang
JA
Vertragliches oder
gesetzliches Ruhen
JA
Betriebsrentner
NEIN
Nicht erfüllte Ansprüche ausgeschiedener
Arbeitnehmer
NEIN
Nachvertragliches
Wettbewerbsverbot
Arbeitsverhältnis endet nach Betriebsübergang
JA
Arbeitsverhältnis endet vor Betriebsübergang
NEIN
Anmerkungen
Arbeitsverhältnis endet
beim Erwerber mit
Fristablauf
IV. Der Betrieb als Übertragungsobjekt
Der Tatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB differenziert zwischen dem Betriebsübergang
des gesamten Betriebs und dem eines Betriebsteils. Ist der gesamte Betrieb vom Übergang
betroffen, müssen die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitsverhältnisse gerade diesem
Betrieb zugeordnet werden können, der selbst das Objekt des Betriebsüberganges darstellt.
Geht nur ein Betriebsteil über müssen die betroffenen Arbeitnehmer diesem zuzuordnen
sein.
1. Inhalt des Betriebsbegriffs nach § 613a BGB
Im Normtext des § 613a BGB findet sich keine Definition des Betriebsbegriffs. Eine Lösung
kann aus dem Regelungszusammenhang der Norm und im Kontext weiterer arbeitsrechtlicher Normen, in denen der Betrieb von Bedeutung ist, gesucht werden. Vor allem das Be28
trVG als kollektive Regelung des Betriebsbereichs kann Hinweise auf den Betriebsbegriff
nach § 613a BGB geben.62
a) Betriebsbegriff im Betriebsverfassungsrecht
Auch das Betriebsverfassungsgesetz selbst enthält keine Legaldefinition des Betriebes.
Nach der Rechtsprechung ist der Betrieb eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein
Unternehmen allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mithilfe von materiellen
oder immateriellen Mitteln versucht, einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt
zu verfolgen.63 Unter Berücksichtigung der Gesetzesmotive zu § 613a BGB ist der Betriebsbegriff des BetrVG unmittelbar nicht für die Bestimmung des Betriebsübergangs heranzuziehen.64 Somit sind im Ergebnis zwei verschiedene Rechtsbereiche geschaffen worden, nämlich der Betrieb im Betriebsverfassungsrecht als Basis einer kollektiven Interessenvertretung
und der Betrieb im Rahmen des § 613a BGB als Schutzbereich individueller Arbeitnehmerinteressen.
Dennoch sprechen rechtssystematische Überlegungen dafür, dass sowohl in § 613a BGB
als auch im BetrVG von einem nahezu identischen Betriebsbegriff auszugehen ist. Zusammen mit der Novellierung des BetrVG im Jahr 1972 ist die Norm des Betriebsüberganges ins
BGB integriert worden. Daher spricht schon das Gesetzgebungsverfahren dafür, einen identischen Betriebsbegriff zu verwenden. Zielsetzung war es, einen einheitlichen Sachverhalt,
den Übergang eines gesamten Betriebes oder Betriebsteils, kollektiv- und individualrechtlich
zu begleiten. Die Rechtsprechung ist dem im Ergebnis auch gefolgt.65
b) Abgrenzungsfragen
Bevor der Betrieb als Objekt des Überganges im Sinn des § 613a BGB durch die Wahrung
der Identität der betrieblichen Zwecksetzung im Einzelnen beschrieben wird, ist es notwendig, den Betrieb vom Unternehmen und vom Konzern abzugrenzen.
aa) Abgrenzung zum Unternehmen
Der Begriff des Betriebs ist von dem des Unternehmens zu trennen. Genauso wie für den
Betrieb gibt es auch für das Unternehmen keine Legaldefinition.66
Überwiegend wird als Unternehmen eine in zulässiger Rechtsform organisierte Einheit verstanden, die auf Dauer angelegt ist und in der ein Unternehmer wirtschaftliche oder ideelle
Zwecke verfolgt.67 Ist es Zielsetzung eines Betriebes, als tatsächliche Einheit einen bestimmten (Produktions-)Zweck zu verfolgen, ist es Zielsetzung des Unternehmens, den betrieblichen Zweck wirtschaftlich zu verwerten.
Die konkrete Abgrenzung des Unternehmens zum Betrieb hängt vom jeweiligen Sachverhalt
unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten ab.68 So kann ein Unternehmen über
mehrere Betriebe verfügen, anders ist es aber auch möglich, dass mehrere Unternehmen
verschiedener Rechtsträger einen einheitlichen Betrieb bilden. Dazu müssen sich die Unternehmen, die miteinander und nicht nebeneinander einen gemeinsamen Zweck verfolgen, zu
einer Produktionsgemeinschaft zusammenschließen und über eine gemeinsame Leitungsmacht bzw. eine Führungsvereinbarung verfügen.
62
Gaul, § 1, Rn. 28.
BAG v. 22.01.2015 – 8 AZR 139/14; v. 22.06.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248.
64
BT-Drucksache VI/17 86, S. 59.
65
BAG v. 22.01.2015 – 8 AZR 139/14.
66
Gaul, § 1, Rn. 19.
67
BAG v. 03.05.1987 – 2 AZR 623/85, NZA 1988, 32.
68
BAG v. 29.11.1989 – 7 ABR 64/87, NZA 1990, 615.
63
29
bb) Abgrenzung zum Konzern
Der Konzern ist in Abgrenzung zum Betrieb und zum Unternehmen ein Zusammenschluss
von mehreren selbstständigen Unternehmen.69 Die Legaldefinition des Konzerns findet sich
in §§ 17, 18 AktG, nach denen ein Konzern ein Zusammenschluss mehrerer Unternehmen
ist, die untereinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen oder unter einer einheitlichen
Leitung zusammengefasst sind.
2. Tatbestandsmerkmale des Betriebsbegriffs
Der Vergleich zwischen § 613a BGB und dem Betriebsverfassungsrecht macht deutlich,
dass es keinen relevanten inhaltlichen Unterschied zwischen den verwendeten Betriebsbegriffen gibt.70 Entscheidend sind die tatsächlich eingerichtete Organisation und der Zweck,
der mit dem Betrieb verfolgt wird.71 Unerheblich ist, ob es sich um einen Haupt- oder Nebenbetrieb handelt und wie viele Arbeitnehmer beschäftigt werden. Auch das Eigentum an den
Betriebsmitteln wie die gesamte Eigentümerstellung sind in diesem Zusammenhang ohne
Bedeutung.72
Der Betriebsübergang führt bei der Integration des erworbenen gesamten Betriebes oder von
Betriebsteilen in den Erwerberbetrieb nicht zur Bildung eines gemeinsamen Betriebes mehrerer Unternehmen. Denn normative Zielsetzung ist nicht die Schaffung eines rechtlichen
bzw. organisatorischen Verbundes der vom Übergang betroffenen Betriebe, sondern allein
der Schutz der betroffenen Arbeitnehmer durch Übergang ihrer Arbeitsverträge vom Veräußerer auf den Erwerber.73
Die genannte Definition des Betriebes74 aus dem BetrVG findet beim Betriebsübergang nach
§ 613a BGB aber nur dann Anwendung, wenn im Betrieb Arbeitnehmer zur Erreichung des
Betriebszwecks beschäftigt werden.75 Der Betrieb muss folglich über Arbeitsplätze verfügen,
die mit Arbeitnehmern besetzt sind. Nur diese können mit den dazugehörigen Rechtsverhältnissen auf den Erwerber übergehen.
Der Norm des § 613a BGB unterfallen Gewerbebetriebe, kaufmännische, land- und forstwirtschaftliche Betriebe, Betriebe der öffentlichen Hand, Praxen von Rechtsanwälten, Ärzten und
sonstiger freier Berufe. Für die Bestimmung des verfolgten betrieblichen Zwecks können materielle oder immaterielle Betriebsmittel herangezogen werden. Möglich ist auch, den Betrieb
über die an der Erreichung des Betriebszwecks beteiligten Arbeitnehmer zu bestimmen.76
Drei Faktoren sind im Rahmen des Betriebsübergangs von Bedeutung:
 Übertragung von sächlichen Mitteln,
 Übertragung von immateriellen Mitteln,
 Übergehende Arbeitsverhältnisse.
Praxishinweis: Daher ist die Frage der prägenden Mittel zu stellen. Welche der Faktoren
sind wesentlich für die Erreichung des angestrebten betrieblichen Zwecks? Weiter ist zu fragen, gehen diese – und vor allem in überwiegender Anzahl – auf den Erwerber über?
69
Gaul, § 1, Rn. 25.
Gaul, § 1, Rn. 3.
71
Erf-Kom. Preis, § 613a BGB Rdn. 5 - 9.
72
BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 205/05, NZA 2006, 597.
73
BAG v. 16.02.2006 - 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592.
74
BAG v. 22.01.2015 – 8 AZR 139/14; v. 22.06.2005 – 7 ABR 57/04, NZA 2005, 1248.
75
Müller-Glöge, Münchener Kommentar, § 613a BGB, Rn. 38 f.
76
BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504; LAG Hamm v. 07.11.2012 – 2 Sa 956/12.
70
30
a) Sächliche Mittel prägen den Betrieb
Die Übertragung sächlicher Betriebsmittel ist nach wie vor das wichtigste Indiz zur Beantwortung der Frage, ob ein Betrieb auf den Erwerber übergegangen ist. Dies ist besonders
dann der Fall, wenn Grundstücke und Gebäude, Maschinen und Anlagen, Werkzeuge, Rohund Hilfsstoffe, Halb- und Fertigprodukte, Fahrzeuge oder sonstige Transportgeräte, Computeranlagen sowie Büroeinrichtungen und -maschinen übertragen werden.
Sind die übertragenen Betriebsmittel konkret einem bestimmten Betrieb zuzuordnen, kann
dieser im Sinne des § 613a BGB das Objekt des Betriebsübergangs darstellen. Allein die
Zuordnung der Mittel zum Betrieb ist aber dann nicht ausreichend, wenn deren Wichtigkeit
für die Erreichung des Betriebszwecks nicht beachtlich ist. Nur dann, wenn die übertragenen
Gegenstände dem Betrieb zugeordnet werden können und sie für die Erreichung des betrieblichen Zwecks von Bedeutung sind, kann ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a
BGB vorliegen.77
Beispiel:
Ein Betrieb verfügt über einen Förderkran, der mit 8 Arbeitnehmern wechselschichtig besetzt ist.
Daneben existieren 20 LKW mit 24 Fahrern. Die LKW werden von dem Kran beladen. Wird nun
ausschließlich der Kran veräußert, liegt keine Übertragung des Betriebes vor, da die LKW den
wesentlichen Teil der Betriebsmittel ausmachen. Mangels der Eigenständigkeit der Krananlage
im betrieblichen Zusammenhang ist auch der Übergang eines Teilbetriebes „Krananlage“ zu
verneinen.
Nur bei ausreichender Bedeutung eines Betriebsmittels kann es genügen, wenn allein dieses
Betriebsmittel übergeht. Voraussetzung ist allerdings, dass es die wesentlichen Produktionszwecke erfüllt. Bei einer untergeordneten Bedeutung ist es dagegen notwendig, dass mehrere, den betrieblichen Zweck bestimmende Betriebsmittel auf den Erwerber übergehen.78
b) Immaterielle Mittel prägen den Betrieb
Neben den Sachmitteln können auch immaterielle Betriebsmittel übertragen werden. Zu
ihnen gehören insbesondere der Kundenstamm, das betriebliche Know-How, Kundenlisten,
Geschäftsbeziehungen zu Dritten, Aufträge, die Position des Unternehmens am Markt,
Formen der Forschung, Angaben über Abmessungen, Verfahrenstechniken, Computerprogramme, Rezepturen und Ähnliches.
Auch die Übertragung dieser Mittel kann den Betrieb im Sinne des § 613a BGB, der übergeht, bestimmen. Wie bei den Sachmitteln bestimmen immaterielle Betriebsmittel den Betrieb nur dann, wenn diese von besonderer Bedeutung sind oder sie den betrieblichen Zweck
in wesentlichem Maße prägen.79
c) Übergehende Arbeitsverhältnisse prägen den Betrieb
Aufgrund der betriebsmittelorientierten Betrachtungsweise, getrennt nach sächlichen und
immateriellen Betriebsmitteln, sah das BAG es zunächst als nicht relevant an, ob Arbeitsverhältnisse von dem Betriebsübergang betroffen waren.80 Die Arbeitsverhältnisse der vom
Übergang des Betriebes betroffenen Arbeitnehmer wurden nur auf der Rechtsfolgenseite betrachtet. Problematisch war diese Rechtsauffassung des BAG in den Fällen, in denen ledig77
Siehe unten: Kapitel A, IV. 3.b).
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; Hess. LAG v. 13.03.2013 – 12 Sa 1313/11.
79
Siehe unten Kapitel A, IV, 3.c).
80
BAG v. 19.11.1996 – 3 AZR 394/95, NZA 1997, 722.
78
31
lich die Belegschaft vom Veräußerer auf den Erwerber überging, insbesondere bei der reinen
Auftragsnachfolge. Ein Betriebsübergang wurde verneint.
Im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH81 hat das BAG die rein sachmittelorientierte
Betrachtung aufgegeben. Da die Wahrung der Identität des Betriebs ausreichend ist, kann
zur Bestimmung des von der Übertragung betroffenen Betriebes auch eine Gruppe von Arbeitnehmern in Betracht kommen.82 Je nach Bedeutung der Arbeitnehmer ist der Übergang
der überwiegenden Anzahl der Arbeitnehmer notwendig oder nur eines bzw. einer Gruppe
von Arbeitnehmern, wenn er oder sie für die Erreichung des Betriebszwecks von erheblicher
Bedeutung sind.83
Zusammenfassender Überblick
Betriebsbegriff
Identität zwischen § 613a BGB und BetrVG
geprägt durch:
Sachmittel
Immaterielle
Güter
Übergehende
Mitarbeiter
3. Wahrung des Funktions- und Zweckzusammenhangs
Das BAG hat im Anschluss an die Christel-Schmidt-Entscheidung des EuGH84 und an die
Ayse-Süzen-Entscheidung des EuGH85 die substratbezogene Betrachtungsweise verlassen
und definiert den Betrieb – unter Mischung der Begriffe des Betriebes und des Unternehmens nach deutschem Recht – nunmehr als organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.86
Die Einheit des Betriebes wird nicht als bloßes Organisationsgefüge verstanden, gemeint ist
vielmehr der Zweckzusammenhang des Betriebes, der sich aus dem Personal, den Führungskräften, der Arbeitsorganisation, den Betriebsmethoden und den zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergibt.
Im Ergebnis sind die durchgeführten Tätigkeiten zu betrachten, die in einem inneren Zusammenhang stehen müssen.87 Die Beibehaltung einer solchen funktionalen Verknüpfung
81
EuGH v. 11.03.1997 – C-13/93, NZA 1997, 433.
BAG v. 21.06.2012 – 8 AZR 181/11, NZA-RR 2013, 6; BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96,
NZA 1998, 534.
83
Siehe unten Kapitel A, IV, 3.d).
84
EuGH v. 14.04.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545.
85
EuGH v. 11.03.1997 – C-13/93, NZA 1997, 433.
86
BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559.
87
BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905.
82
32
zwischen den übertragenen Faktoren erlaubt es nämlich dem Erwerber, diese zu nutzen, um
derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.88
Die von der Rechtsprechung geforderte funktionale Verknüpfung ergänzt das Kriterium der
Identität des Betriebes, die nach der alten Rechtsprechung des BAG grundsätzlich bei einem
Betriebsübergang gewahrt sein musste.89 Insbesondere bei der Integration eines Betriebes
wurde geprüft, ob dieser nach dem Betriebsübergang noch in seiner „alten Struktur“ bestehen blieb.
a) Aufgabe der Betriebsidentität möglich
Der Übergang eines Betriebes setzte nach der alten Rechtsprechung des EuGH90 voraus,
dass die Identität des Betriebs, die für die Erreichung des Zwecks notwendig ist, als solche
erhalten bleibt und auf den Erwerber übergeht. Das BAG war dieser Rechtsprechung gefolgt
und hat entschieden, dass ein Betriebsübergang zu verneinen ist, wenn eine komplette Integration eines Betriebes in den Betrieb des Erwerbers als Ergebnis festgestellt werden
konnte.91
Nunmehr verzichtet der EuGH auf das Kriterium der Übertragung einer eigene Identität wahrenden Einheit. Danach kann ein Übergang des Betriebes nach der Richtlinie 2001/23/EG
auch dann zu bejahen sein, wenn der übertragene Unternehmensteil (der Betrieb) oder eine
Untergliederung (der Betriebsteil) seine organisatorische Selbstständigkeit (Identität) nicht
bewahrt.92 Die Entscheidung bedeutet aber nicht, dass jeglicher Zusammenhalt bzw. jegliches Zusammenfassen der Betriebsorganisation verloren gehen darf. Vielmehr verlangt der
EuGH insoweit, dass auch nach der Übertragung eine funktionelle Verknüpfung zwischen
den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten bleiben muss, die es dem Erwerber erlauben, dieselbe oder eine gleichartige Betätigung auszuüben, wie sie auch vom Veräußerer
durchgeführt wurde.
In Kenntnis dieser Entscheidung des EuGH hat das BAG die Anforderungen weiter präzisiert. Unter Verzicht auf das Merkmal der „organisatorischen Selbstständigkeit“ der übertragenen Einheit wird auf die Beibehaltung des „Funktions- und Zweckzusammenhangs“ abgestellt.93
Dies bedeutet, die übertragene Einheit muss in ihrer Struktur auch beim Erwerber erkennbar
sein. Die alte wirtschaftliche Tätigkeit muss erkennbar bleiben, auch wenn sie in eine andere
Organisationsstruktur eingegliedert wird.
Beispiel:
Ein Krankenhausträger betreibt nur die unmittelbaren Tätigkeiten, die mit der Heilbehandlung in
Verbindung stehen. Insbesondere die Elektroarbeiten in den verschiedensten Bereichen werden von einem Dienstleister über einen Werkvertrag durchgeführt. Übernimmt das Krankenhaus
nicht nur die Elektriker und deren Aufgaben in den Operationssälen, sondern auch die Führungskräfte, und macht dies einen erheblichen Teil der Arbeiten aus, ohne gleich einen abgrenzbaren Teilbereich im Rechtssinn zu erfüllen, kann trotz Zerstörung des Betriebes „Krankenhauselektrik“ ein Betriebsübergang vorliegen, da die Leistungen „Elektromontage“ abgrenz-
88
EuGH v. 14.04.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545.
BAG v. 24.04.2008 – 8 AZR 268/07, NZA 2008, 1314.
90
EuGH v. 14.04.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545.
91
BAG v. 06.04.2006 – 8 AZR 249/04, NZA 2006, 1039.
92
EuGH v. 12.02.2009 – C-466/07, NZA 2009, 251.
93
BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905.
89
33
bar weiter von den übernommenen Elektrikern erbracht werden. Alle Arbeitnehmer gehen somit
auf das Krankenhaus über.
Im Ergebnis muss daher beim Betriebsübergang in einer Gesamtbetrachtung geprüft werden, ob die betroffene wirtschaftliche Einheit unter Wahrung des Funktionszusammenhangs
auf den Erwerber übergegangen ist. Als Einheit in diesem Sinne wird die organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener
Zielsetzung verstanden. Es hat eine Gesamtschau der vorliegenden Umstände zu erfolgen,
die sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnende Tatsachen einbezieht. Dabei ist
festzustellen, dass allein die Fortsetzung der Tätigkeiten, die in dem übertragenen Betrieb
verrichtet wurden, den Tatbestand des Betriebsübergangs nicht erfüllt.
Inhaltlich ist zu prüfen, in welcher Weise sich eine Bewegung vom Veräußerer in Richtung
Erwerber vollzieht. Dies bezieht sich auf das Personal, die Führungskräfte, die Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und die zur Verfügung stehenden Betriebsmittel, gleich ob
materieller oder immaterieller Art. Die bloße Möglichkeit, den Betrieb unverändert fortzuführen, genügt zur Bejahung des Betriebsübergangs aber nicht.94
Der Betrieb wird als Einheit gesehen, die vor allem aus dem Inhaber, dem Betriebszweck,
der technischen Leitung, der räumlichen Einheit, der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit,
der Einheit der Belegschaft, der Dauerhaftigkeit, der Verbundenheit, der Einheit der personellen und sozialen Leitungsmacht, der Art der Tätigkeit und der Leitung in wirtschaftlichen
Fragen besteht. Die genannten Kriterien können einzeln vorliegen oder aus einer Gesamtschau ein bestimmtes Betriebsbild begründen. Sind somit mehrere Merkmale vorhanden, die
den betrieblichen Zweck prägen und wird der Betriebszweck nach Übernahme der Betriebsmittel vom Erwerber fortgesetzt, kann ebenfalls ein Betriebsübergang vorliegen.
b) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch
Übernahme sächlicher Betriebsmittel
Gerade das BAG prüfte nach alter Rechtsprechung stets, ob beim Betriebsübergang eine
durch Sachmittel geprägte, substantielle organisatorische Betriebseinheit auf den Rechtserwerber übertragen wurde.95 Die Bestimmung des Betriebsübergangs über die vom Veräußerer an den Erwerber übergehenden Betriebsmittel ist nach wie vor vom Normzweck gedeckt.
Ob und wann eine wirtschaftliche Einheit durch Übertragung sächlicher Betriebsmittel vom
Veräußerer auf den Erwerber fortgeführt wird, um letztlich einen Betriebsübergang nach
§ 613a BGB bejahen zu können, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Sämtliche, den
Übertragungsvorgang kennzeichnende Tatsachen sind zu berücksichtigen. Die dabei vom
Übergang betroffenen Betriebsmittel sind in Beziehung zu setzen zur Art des Unternehmens.
Aus der Art des Betriebes kann sich der Betriebsübergang insoweit ergeben, als materielle
Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter vom Veräußerer auf den Erwerber übergehen. Sächliche Betriebsmittel bestimmen den Betriebsbegriff dann, wenn sowohl der alte
als auch der neue Inhaber mithilfe dieser Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt.96
Wird mit Hilfe technischer Betriebsmittel ein gewisses Produkt hergestellt, liegt ein Betriebsübergang dann vor, wenn der Erwerber mit genau diesen Mitteln nach Übernahme des Betriebes durch Rechtsgeschäft weiterproduziert und so den betrieblichen Zweck fortsetzt.97
94
BAG v. 04.05.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096.
Annuß, BB 1998, 1582.
96
BAG v. 09.02.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612.
97
BAG v. 21.06.2012 – 8 AZR 181/11, NZA 2013, 344.
95
34
Vor allem ein Produktionsbetrieb wird im Wesentlichen von den Betriebsmitteln, den Maschinen, Grundstücken etc. geprägt. In diesen Fällen ist der Funktions- und Zweckzusammenhang im Sinne der Rechtsprechung gewahrt, wenn die wesentlichen, den Produktionsprozess aufrechterhaltenden Betriebsmittel auf den Erwerber übergehen.98 Die übergehenden
Mittel müssen für die Erreichung des Betriebszwecks prägend sein.
Um die Rechtsfolgen des § 613a BGB zur Anwendung zu bringen, setzt der Tatbestand somit nicht notwendig voraus, dass alle Wirtschaftsgüter, die bisher zum Betrieb des Veräußerers gehörten, auf den neuen Betriebsinhaber übergehen.
Es hat eine Wesentlichkeitsbetrachtung zu erfolgen. Unwesentliche Bestandteile der betrieblichen Anlagen oder des Betriebsvermögens bleiben bei der Betrachtung, ob ein Betrieb als
Einheit übergeht, außer Betracht. Entscheidend ist vielmehr, ob der Erwerber mit den übernommenen Betriebsmitteln den bisherigen betrieblichen Zweck fortführen kann.
aa) Aufgabe des Kriteriums der „eigenwirtschaftlichen Nutzung“
Lange Zeit prüfte das BAG zur Bejahung eines Betriebsübergangs die Frage, ob der Erwerber die Betriebsmittel nach dem Übergang eigenwirtschaftlich nutzen kann.99 Dies insbesondere in den Fällen, in denen die Betriebsmittel vorher weder im Eigentum des Veräußerers
noch nach dem Betriebsübergang im Eigentum des Erwerbers stehen.
Beispiel:
Ein Caterer nutzt die im Eigentum des Auftraggebers (eines Krankenhauses) stehende Küche,
um das Krankenhaus mit Essen zu versorgen. Nach Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer
geht der Auftrag an einen Konkurrenten. Dieser nutzt auch die Küche.
Die alte Rechtsprechung bejahte den Betriebsübergang nur dann, wenn der Erwerber die Küche auch zu eigenen Zwecken (Party-Catering) neben der vertragsbegründenden Nutzung nutzen konnte.
Die Rechtsprechung hat das Merkmal der notwendigen Eigenwirtschaftlichkeit der Nutzung
der Betriebsmittel aufgegeben.100 Stattdessen wird auf die Wesentlichkeit der eingesetzten
Betriebsmittel und die Möglichkeit der Wertschöpfung abgestellt und gefragt, wer den Nutzen
aus den Betriebsmitteln zieht. Kann daher der Erwerber die Betriebsmittel betriebswirtschaftlich für sich einsetzen, kann dies ein Indiz für einen Betriebsübergang sein. 101 Die Übertragung von Betriebsmitteln ist daher wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr
Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktions- bzw. Zweckzusammenhangs ausmacht.
Beispiel:
Ein Subunternehmer nutzt die Einrichtung eines Schlachthofs. Wenn ein neuer Subunternehmer den alten ablöst, kann der Betriebsübergang dann bejaht werden, wenn der Erwerber die
Einrichtungsgegenstände betriebswirtschaftlich wertschöpfend für sich nutzen kann.
Im Ergebnis hat daher eine betriebsmittelorientierte Prüfung der Voraussetzungen des
§ 613a BGB zu erfolgen. Stehen die Betriebsmittel bzw. deren Nutzung derart im Vorder-
98
Siehe dazu Kapitel A., III. 3.b) aa).
BAG v. 22.05.2014 – 8 AZR 1069/12; v. 11.12.1997 – 8 AZR 426/94, NZA 1998, 532.
100
EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, NZA 2006, 29.
101
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; v. 13.06.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101.
99
35
grund, dass allein ihre Übernahme die Aufrechterhaltung der Arbeitsorganisation zur Folge
hat, ist ein Betriebsübergang zu bejahen.102
bb) Ortsfeste Betriebsmittel
Grundsätzlich ist die Frage, welche Betriebsmittel bei der Erfüllung der arbeitstechnischen
Zwecke wesentlich sind, von der Eigenart des Betriebes und der betrieblichen Zwecksetzung
abhängig. Bei Produktionsbetrieben ist regelmäßig auf das oder die Betriebsgrundstücke,
vorhandene Gebäude, Maschinen und Anlagen abzustellen. Ferner auf Werkzeuge, Rohund Hilfsstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und sonstige Transportgeräte, Computeranlagen sowie Büroeinrichtungen und -maschinen.103 Gehen diese vom Veräußerer auf
den Erwerber über, bleibt der Funktionszusammenhang der Einheit gewahrt und der Betriebsübergang ist zu bejahen.
cc) Räumliche Änderung der Betriebsmittel
Die Frage, inwieweit der betriebliche Funktionszusammenhang gewahrt bleibt, hängt auch
von einer möglichen Ortsveränderung des Betriebes wie der vorhandenen Betriebsmittel ab.
Ist der Erwerber in der Lage, die wesentlichen Maschinen zu demontieren und an anderer
Stelle aufzubauen, ist bei unverändertem Betriebszweck der Übergang des Betriebs zu bejahen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Demontage der Maschinen und die Integration in
bereits bestehende Produktionsanlagen des Erwerbers zum Untergang des alten Betriebes
führen. In diesem Fall wird lediglich der betriebliche Zweck des Erwerbers fortgesetzt.104
Beispiel:
Ein stillgelegtes Unternehmen verkauft einen Kran, mit dem früher Fertigprodukte auf Waggons
geladen worden sind. Nach einer Demontage des Krans und Neuaufbau in einem Hafen, in
dem mit einer Vielzahl von Kränen Schiffe be- und entladen werden, wird er in diesen Zweck integriert. Eine funktionale und zweckorientierte Verbindung zwischen dem Beladen der Waggons
und der Schiffe besteht nicht. Ein Betriebsübergang ist daher zu verneinen.
dd) Änderung des Warensortiments
Auch das Warensortiment ist für die Frage eines möglichen Betriebsübergangs von Bedeutung. Für den Betriebsübergang, d. h. die Fortsetzung des betrieblichen Zwecks, spricht die
Tatsache, dass der Erwerber genau das Sortiment an Waren vorhält, welches der Veräußerer auch anbot. Dabei kann auf übernommene Bestände und auf neues Material abgestellt
werden. Folglich kann sich durch die Änderung des Warenangebotes der Ausschluss eines
Betriebsübergangs ergeben.
Beispiel:
Eine Konditorei mit Kaffeebetrieb wird veräußert. Der Erwerber übernimmt alle Einrichtungsgegenstände. Nur dann, wenn er auch weiterhin den Kunden Kaffee und Kuchen ver105
kauft, ist ein Betriebsübergang zu bejahen.
Wichtig ist dabei ferner, dass das Ambiente erhalten bleibt. Eine Änderung tritt z. B. dann
ein, wenn aus einem Café mit Bedienung und gemütlichen Sitzecken ein Stehkaffee mit
Selbstbedienung wird. Der Betriebsübergang scheidet folglich bei der Änderung des Be102
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793.
BAG v. 18.10.1990 – 2 AZR 172/90, NZA 1991, 305.
104
BAG v. 27.01.2011 – 8 AZR 328/09; v. 16.05.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93.
105
BAG v. 26.02.1987 – 2 AZR 321/86, NZA 1987, 589.
103
36
triebskonzepts aus. Gleiches kann bei der Änderung der Struktur und/oder des Einkaufsbzw. Verkaufskonzepts der Fall sein.106
Beispiel:
Ein Fachmöbelgeschäft wird aufgegeben und ein Discount-Möbelgeschäft eröffnet. In diesem
Fall ist die Struktur derart massiv geändert, dass ein Betriebsübergang ausscheidet.
ee) Trennung von Betriebsmitteln und betrieblichem Zweck
Die funktionale Verbindung der wirtschaftlichen Einheit geht ferner dann unter, wenn sich der
Erwerber entschließt, mit den übernommenen Maschinen ein anderes Produkt auf den Markt
zu bringen, welches mit dem ursprünglichen Produkt des Veräußererbetriebs nicht in Zusammenhang steht. 107
Beispiel:
Nach Übertragung von Maschinen, mit denen der Veräußerer vorher Schuhe in Serie produziert
hat, werden nach Übergang von dem Erwerber nur noch Musterexemplare als Vorserie gefertigt. Hier ist der betrieblich verfolgte Zweck geändert worden.
Insbesondere wenn es zu einer Trennung von Grundstück und Maschinenpark kommt, ist zu
fragen, ob entweder das Grundstück oder die Maschinen den prägenden Charakter des Betriebes darstellen108.
So kann ein Betriebsübergang zu bejahen sein, wenn die wesentlichen, zur Produktion notwendigen Maschinen vom Grundstück getrennt und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden.
Voraussetzung ist, dass mit den Maschinen die alten betrieblichen Zielsetzungen weiter verfolgt werden. Dies gilt unabhängig vom Kaufpreis des Grundstücks. Die Wertigkeit der einzelnen übertragenen Vermögensbestandteile spielt daher keine Rolle. Entscheidend ist, ob
mit einem der übertragenen Vermögensteile der betriebliche Zweck fortgeführt werden
kann.109 Aber auch das Grundstück kann aufgrund einer bestimmten Lage entscheidend
sein.
Beispiel:
Ein Hafengrundstück mit einer Krananlage zum Be- und Entladen von Schiffen bildet das Übertragungsobjekt. Hier reicht allein die Übertragung des Grundstücks aus, um einen Betriebsübergang zu bejahen, wenn der Erwerber mit einem neuen Kran weiterhin Schiffe be- und entlädt.
ff) Warenlager als Betriebsmittel
Die Frage, ob die Übernahme eines Warenlagers als materielles Betriebsmittel im Sinne des
Betriebsübergangs zu qualifizieren ist, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls
ab.
106
BAG v. 13.06.2006 – 8 AZR 331/05, NZA 2006, 1357;
LAG Berlin-Brandenburg v. 14.08.2014 – 10 Sa 861/14.
107
BAG v. 13.05.2004 – 8 AZR 331/03, NZA 2004, 1295.
108
LAG Hamburg v. 30.10.2001 – 8 Sa 72/01.
109
BAG v. 12.02.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170.
37
Ist der Abverkauf vom Lager von hochwertigen und lang lagernden Produkten der wesentliche Zweck des Betriebes oder eines abgrenzbaren Teils110, kann ein Betriebsübergang bejaht werden. In diesem Fall steht die Lagertätigkeit des Betriebes im Vordergrund. In ihr ist
der eigentliche Betriebszweck zu sehen, der bei der Übertragung des Lagerbestandes auf
den Erwerber übergeht. Ist hingegen das Lager leicht und niedrigpreisig anderweitig aufzufüllen und erfüllt nur einen Nebenzweck des Betriebes, ist regelmäßig ein Betriebsübergang
zu verneinen.111 In diesem Fall kommt den Lagerräumen ohne Ware die eigentliche, den Betriebszweck bestimmende Funktion zu.
Beispiel:
Aus einem Hochregallager werden EDV-Komponenten durch Versand verkauft. 25 EDVFachleute betreiben das Geschäft. Sie werden unterstützt von 6 Lageristen. Ca. 4.000 Computer sind ganz oder in Teilen eingelagert. Wird allein das Lager ohne die Computer veräußert und
ein Buchversandhandel durchgeführt, liegt keine Übertragung des Betriebes „Computerhandel“
vor, da das Lager der wesentliche Teil des Betriebes ist.
Die Frage eines möglichen Betriebsübergangs kann bei einem Lager wesentlich durch die
Arbeitsorganisation und die Betriebsmethoden beeinflusst werden. Danach ist selbst bei
Austausch des EDV-Systems ein Übergang des Betriebes zu bejahen, wenn die Art der Lagerhaltung und die Zuordnung erhalten bleiben.112
c) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch
Übernahme immateieller Betriebsmittel
Auch immaterielle Betriebsmittel können den Betriebsbegriff im Sinne des § 613a BGB und
damit die Wahrung des betrieblichen Funktionszusammenhangs prägen. Dies dann, wenn
sowohl Erwerber als auch Veräußerer mit den immateriellen Betriebsmitteln die wesentlichen
arbeitstechnischen Zwecke des Betriebes erreichen können.
Praxishinweis: Beim Betriebsübergang ist die Übertragung der für den Produktionszweck
wichtigen Maschinen leichter festzustellen als die Übertragung von immateriellen Betriebsmitteln. Hier sind genaue Erkundigungen beim Veräußerer über Umfang und Bedeutung der
immateriellen Mittel notwendig.
aa) Bedeutung der Mittel für den Betriebszweck
Auch bei den immateriellen Betriebsmitteln ist zwischen wesentlichen und unwesentlichen
Betriebsmitteln zu unterscheiden. Ein Betriebsübergang kann nur erfolgen, wenn immaterielle Betriebsmittel übergehen, die für die Erreichung des Betriebszwecks wesentlich sind. Es
findet die gleiche Wesentlichkeitsbetrachtung statt, die zuvor bei den materiellen Betriebsmitteln angestellt wurde. Gerade bei Handels- und Dienstleistungsbetrieben ist bei der Prüfung
eines Betriebsüberganges auf immaterielle Betriebsmittel abzustellen.113
Zu den immateriellen Betriebsmitteln in diesem Sinn gehören insbesondere Kundenstamm,
Kundenlisten, das betriebliche Know-How, Geschäftsbeziehungen zu Dritten, bestehende
Aufträge, Goodwill, die Position des Unternehmens am Markt, spezifische Forschungsformen, Computerprogramme, Rezepturen etc.
110
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249.
LAG Köln v. 18.06.2003 – 3 (7) Sa 1318/02, EzA 2004, 5.
112
BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 937/06, NZA 2008, 1021.
113
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; v. 22.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668.
111
38
bb) Übernahme von Kundenstämmen
Die Übernahme der Kunden des Betriebes kann nur dann einen Betriebsübergang im Sinne
des § 613a BGB darstellen, wenn ohne große Unterbrechung auch aus der Sichtweise des
Kunden die Identität des Betriebes gewahrt bleibt114. Dies ist dann der Fall, wenn der Erwerber in den alten Kundenstamm des Veräußerers gleichsam eintritt.
Beispiel:
Ein Ladenlokal wird mit geringer räumlicher Änderung, aber ohne Unterbrechung mit in etwa
identischem Warensortiment vom Erwerber fortgeführt. Stammkunden besuchen das Geschäft
regelmäßig. Unabhängig davon, ob im Ladenlokal noch die gleichen Personen tätig sind, die
schon für den Veräußerer gearbeitet haben, ist der Betriebsübergang zu bejahen, da der neue
Inhaber auf den alten Kundenstamm zurückgreift. Der Inhaberwechsel fällt den Kunden meistens gar nicht auf.
Die Schließung und Neueröffnung eines Einzelhandels-Filialunternehmens stellt aber dann
keinen Betriebsübergang dar, wenn aus der Sichtweise des Kunden ein neues Geschäft an
gleicher Stelle eröffnet hat.115 Dies ist möglich, wenn z. B. das Warensortiment grundlegend
geändert wird. Die alten Kunden bleiben weg, neue, die das geänderte Angebot akzeptieren,
bilden sich heraus.
Die Relation zwischen dem verfolgten betrieblichen Zweck und der Kundschaft spielt vor allem auch bei der Übernahme einer gastronomischen Einrichtung die entscheidende Rolle.
Die Betriebsidentität geht verloren, wenn durch Änderung der Speisen neue Kunden gewonnen werden. 116
Beispiel:
Wechselt ein Restaurant von gutbürgerlich-deutscher Küche zu arabischen Spezialitäten, stellt
dies keinen Betriebsübergang dar, da sich inhaltlich der Charakter des Restaurants gewandelt
hat. Allein die Tatsache, dass die Arbeitnehmer mit Küchenarbeiten ihre Arbeitsleistung erbringen, begründet kein anderes Ergebnis. Denn der Kundenstamm wechselt regelmäßig in diesen
Fällen.
Die Änderung der Lage des Betriebes ist für die Kundenbeziehung ebenfalls von Bedeutung.
Ein Unternehmen kann gezwungen sein, sich nach räumlicher Veränderung einen ganz neuen Kundenstamm aufzubauen. Der funktionelle Zusammenhang zwischen dem neuen Betrieb an anderer Stelle und dem alten ist mangels Bindung der Kunden, die das Bild des Betriebes geprägt haben, verloren gegangen.
Beispiel:
Eine auf bayerisch getrimmte Weißbierwirtschaft wird nach Auslaufen des Pachtvertrages von
dem Pächter in einer anderen Stadt neu eröffnet. Da die Kundschaft nicht mitwechselt und neue
Anhänger der bayerischen Bierkultur gewonnen werden müssen, ist die Identität der alten
Gastwirtschaft untergegangen. Ein Betriebsübergang liegt nicht vor.
114
LAG Schleswig-Holstein v. 30.08.1999 – 2 Sa 48/99, n. v.;
LAG Hamm v. 07.01.1999 – 4 Sa 2350/97.
115
BAG v. 02.12.1999 – 8 AZR 796/98, NZA 2000, 369.
116
BAG v. 11.09.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31.
39
cc) Betriebszweck durch technische Betriebsmittel bestimmt
Neben der räumlichen Veränderung des Betriebes ist entscheidend auf materielle Betriebsmittel abzustellen. Verbleiben diese im Ladenlokal, kann es bei einer rechtsgeschäftlichen
Übertragung und Fortsetzung des betrieblichen Zwecks zu einem Übergang auf den neuen
Besitzer des Ladenlokals kommen. Werden die Einrichtungsgegenstände per Rechtsgeschäft auf einen Erwerber übertragen, der den Geschäftsbetrieb verlagert, kann es trotz der
Tatsache, dass der Kundenstamm verloren geht, dennoch zu einem Betriebsübergang
kommen, wenn die Einrichtung für einen Betriebszweck wichtiger ist als der Kundenstamm.
Zu denken ist etwa an Betriebe, die stark technisierte Geschäftseinrichtungen haben.
Beispiel:
Ein Bowlingcenter wird nach Ablauf des Pachtvertrages übertragen. Die Bowlinganlage wird
demontiert und in einer anderen Stadt wieder aufgebaut. Trotz des Wegfalls der Bowlingkunden
ist hier der technische Zweck für die Identität des Betriebes entscheidend. Trotz Neueröffnung
an anderer Stelle ist diese gewahrt, ein Betriebsübergang somit zu bejahen.
dd) Fortsetzung von Lieferantenverträgen
Neben der Fortführung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch die Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen können als weiteres Indiz für den Betriebsübergang Lieferbeziehungen von Bedeutung sein. Werden Verträge, die mit alten Lieferanten bestanden, fortgesetzt oder kommen neue Verträge zusammen mit den alten zur Anwendung, kann ein Betriebsübergang vorliegen. Bei Vorliegen von alten und neuen Verträgen ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen.
Wird danach die Geschäftsbeziehung durch Austausch von Erwerber und Veräußerer
gleichsam fortgesetzt, kann dies als Indiz für einen Betriebsübergang anzusehen sein.
Beispiel:
Ein Geschäft, das CDs, DVDs und Videokassetten vertreibt, bezieht alle Waren von einem
Großhändler. Wird das Einzelhandelsgeschäft übertragen und tritt der neue Händler in die alten
Verträge mit dem Großhändler ein, liegt ein Betriebsübergang vor. Alle betroffenen Arbeitnehmer gehen auf den neuen Händler über.
ee) Übertragung betrieblichen Know-Hows
Neben den Lieferbeziehungen kann die Feststellung eines möglichen Betriebsübergangs
auch von anderen Faktoren abhängig gemacht werden, so vom Übergang des für die Verfolgung des Betriebszwecks relevanten Know-Hows. Dies kann durch die Übernahme von Arbeitnehmern erfolgen oder durch die Veräußerung von Patenten, Mustern o. ä. an den Erwerber des Betriebs.117 Im Rahmen der Gesamtwürdigung kann daher spezifisches KnowHow eines Unternehmens als wesentliches Kriterium eines Betriebsübergangs angesehen
werden.
117
LAG Rostock v. 10.04.2003 – 1 Sa 455/02;
LAG Berlin v. 10.01.2003 – 2 Sa 1149/02, NZA 2013, 183.
40
Beispiel:
Bei einem Unternehmen der Pharmaindustrie, welches sich mit der Erforschung eines speziellen Präparates befasst, kann allein die Übertragung dieses Forschungsbereichs als wesentli118
ches Merkmal des Betriebsüberganges anzusehen sein.
d) Fortsetzung des Funktions- und Zweckzusammenhangs durch
Übernahme von Arbeitnehmern
Für die Bejahung des Tatbestandes des Betriebsübergangs kann es von Bedeutung sein, ob
der Erwerber vom Veräußerer Arbeitnehmer übernimmt. Das kann in großer Anzahl geschehen, aber auch die Übernahme einzelner Personen ist möglich. Werden viele Mitarbeiter der
Belegschaft oder einige Spezialisten übernommen, kann ein Betriebsübergang vorliegen. Die
Übernahme von Arbeitnehmern ist grundsätzlich eigenes Kriterium für die Prüfung eines Betriebsübergangs.119
Die Übernahme von Arbeitnehmern kann daneben auch als weiteres Indiz neben die Übernahme von materiellen und immateriellen Gütern treten oder auch allein zur Beurteilung der
Frage herangezogen werden.
aa) Übernahme der Hauptbelegschaft
Dass die früher vertretene sachmittelorientierte Ansicht des BAG ohne Berücksichtigung der
Arbeitnehmer dem normativen Sinn und Regelungszweck des § 613a BGB nicht gerecht
werden kann, wird insbesondere in den Fällen deutlich, wenn Dienstleistungsbetriebe übergehen, bei denen neben den Beschäftigten keine weiteren sächlichen oder immateriellen Betriebsmittel übergehen. Gleiches gilt, wenn diese Mittel für den betrieblichen Zweck unbedeutend sind.
Denn kommt es bei den betroffenen Betrieben im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, kann eine strukturierte Gesamtheit von Arbeitnehmern trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit darstellen.
Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn
der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen
nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt.120
Denn gerade die Arbeitnehmer sind es, die den Übertragungen von Dienstleistungsbetrieben
das typische Gepräge verleihen.121 Zu denken ist insbesondere an den Betriebsübergang
von Cateringfirmen, Reinigungsdiensten etc. Dabei kann allein die Übernahme der Hauptbelegschaft als Wahrung des Funktionszusammenhangs der wirtschaftlichen Einheit verstanden werden.
Wird eine erhebliche Anzahl von Arbeitnehmern übernommen, steht auch die Erweiterung
des Dienstleistungsangebots mit der Notwendigkeit, Arbeitnehmer ergänzend zu schulen, einem möglichen Betriebsübergang nicht entgegen.122
Beispiel:
Ein Callcenter wird übertragen. Von der reinen Verkaufsberatung beim Veräußerer soll beim
Erwerber als Dienstleistung noch technischer Support durchgeführt werden, was mit den Arbeitnehmern trainiert wird. Übernimmt der Erwerber in einem solchen Fall eine Vielzahl von Ar118
LAG Düsseldorf v. 15.10.2001 – 10 TaBV 47/01.
BAG v. 13.10.2011 – 8 AZR 455/10, NZA 2012, 504; LAG Düsseldorf v. 29.10.2010 – 9 Sa 303/07.
120
BAG v. 19.03.2015 – 8 AZR 150/14, DB 2015, 2030.
121
BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 568/04, NZA 2006, 668.
122
BAG v. 25.06.2009 – 8 AZR 258/08, NZA 2009, 1412.
119
41
beitnehmern vom Veräußerer, steht dem Betriebsübergang nichts entgegen, trotz der Änderung
der Organisationsstruktur.
In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann
eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, die wirtschaftliche Einheit des zu übertragenden Betriebes darstellen. Die Wahrung des Funktionszusammenhangs ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht
nur die betroffene Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl- und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, welcher beim Rechtsvorgänger ähnliche Tätigkeiten durchgeführt hat. 123
Werden Arbeitnehmer von gleicher Qualifikationsstruktur übernommen, ist eine rein quantitative Betrachtung anzustellen.
Beispiel:
Der Veräußerer reinigt ein Krankenhaus, betreibt die Spülküche und führt für die Patienten
Bring- und Holdienste. Alle Arbeitnehmer haben ein identisches Qualifikationsprofil. Der Erwerber ändert die Organisation, indem er die Reinigung nicht mehr betreibt. Er übernimmt die Arbeitnehmer der Spülküche und des Fahrdienstes, in Summe keine 75 % der Belegschaft. Das
stellt keinen Betriebsübergang dar, weil die Hauptbelegschaft nicht übernommen worden ist.
Der Betriebsübergang durch Übernahme der wesentlichen Belegschaft ist folglich insbesondere bei Dienstleistungsunternehmen, z. B. bei Bewachungsunternehmen, Cateringunternehmen, Reinigungsunternehmen etc. möglich.
Hier spricht allein die Übernahme eines Großteils der Mitarbeiter des Veräußerers beim Erwerber für einen Betriebsübergang.124 Die weitere Übertragung von sächlichen Mitteln ist
dann nicht erforderlich, wenn der wesentliche Teil der Belegschaft übernommen wird.125 Dies
ist immer der Fall, wenn mehr als 75 % der Belegschaft übernommen wird. 40 % sind hierfür
zu wenig.126
bb) Übernahme von Spezialisten
Etwas anderes gilt dann, wenn der Erwerber lediglich wenige Arbeitnehmer übernimmt. In
diesen Fällen kann nicht von der Übernahme der Belegschaft gesprochen werden. Werden
nur vereinzelt Arbeitnehmer übernommen, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob
weitere Gesichtspunkte dafür sprechen, dass ein Betriebsübergang bejaht werden kann.
Dieser kann darin zu sehen sein, dass die betreffenden Arbeitnehmer über Spezialwissen
verfügen.127
Beispiel:
Bei der Übertragung eines Hotels wird vom Erwerber der Finanzfachmann eingestellt, der alleinige Kenntnis über die gesamte Buchhaltung und das Anlagevermögen hat. Er verfügt insoweit
über Spezialwissen, das auf den Erwerber übergeht, mit der Folge, dass der Betriebsübergang
bejaht werden kann.
123
BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 676/97, NZA 1999, 420.
BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 197/11, NZA-RR 2013, 179;
BAG v. 16.02.2006 – 8 AZR 211/05, NZA 2006, 592.
125
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; v. 21.08.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
126
BAG v. 25.09.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469.
127
BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
124
42
Macht das Know-How von Menschen einen wesentlichen Teil der betrieblichen Identität aus,
so reicht es aus, wenn wenige Know-How-Träger übergehen. Zwei Arten der Know-HowÜbertragung durch Übergang der Arbeitnehmer sind denkbar. Entweder gehen ein oder
mehrere Spezialisten128 auf den Erwerber über oder ein gesamtes Team, das über besondere Kenntnisse verfügt.129 Existiert über das Know-How einzelner Personen noch ein spezifisches Teamwissen und geht nur ein Teil der Mitglieder dieses Teams auf den Erwerber
über, hat dies zur Folge, dass die Fachkenntnis geteilt wird. In diesen Fällen ist ein Betriebsübergang regelmäßig zu verneinen.130
Beispiel:
Ein Betrieb stellt mithilfe von spezialisierten Arbeitnehmern Produkte her. Eine Verlagerung ins
Ausland findet statt. Gehen nur die Vorarbeiter mit zum Erwerber, um dessen Arbeitnehmer anzulernen, wird die einst bestehende Einheit zerstört und eine neue aufgebaut.
So kann der Wechsel nur einer einzigen Person, die über das für den Betrieb relevante
Fachwissen verfügt, einen Betriebsübergang nach § 613a BGB darstellen131, hingegen ist bei
Arbeitnehmern von geringer Qualifikation von einem Betriebsübergang nur dann auszugehen, wenn eine hohe Anzahl von ihnen mit der fortgesetzten Tätigkeit beim Betriebserwerber
beschäftigt wird.
Zusammenfassender Überblick
Notwendige Beibehaltung eines Funktions- und
Zweckzusammenhangs des Betriebes
(ohne Wahrung der Identität möglich)
Übertragung von
Sachmitteln
Immateriellen
Gütern
Übergehenden
Mitarbeitern
• Ortsfeste Betriebe
• Kundenstämme
• Hauptbelegschaft
• Warensortiment
• Lieferverträge
• Spezialisten
• Lagerbestände
• betriebliches
Know-how
128
BAG v. 09.02.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612.
LAG Rostock v. 10.04.2003 – 1 Sa 455/02.
130
LAG Berlin v. 18.09.1998 – 6 Sa 53/98, ARST 1999, 188.
131
BAG v. 21.06.2012 – 8 AZR 181/11; v. 09.02.1994 – 2 AZR 781/93, NZA 1994, 612.
129
43
V. Betriebsteil als Übertragungsobjekt
Der Tatbestand und die Rechtsfolgen des § 613a BGB greifen nicht nur dann ein, wenn der
gesamte Betrieb vom Veräußerer an den Erwerber übergeht, für die Anwendung reicht es
aus, wenn nur ein Teil des Betriebes betroffen ist.
Wie bei der Definition des gesamten Betriebes existiert in § 613a BGB auch keine Definition
des Betriebsteils.
1. Definition des Betriebsteils
Der Begriff des „Betriebsteils“ findet sich nicht nur in § 613a BGB, sondern vor allem auch in
§§ 4 und 111 BetrVG.
a) Teilbetrieb im Betriebsverfassungsrecht
Der Begriff des Betriebsteils wird in § 4 und § 111 BetrVG verwendet und ist aufgrund des
Regelungszusammenhangs für beide Normen des Betriebsverfassungsrechts als identisch
anzusehen. Das Bestehen einer selbstständigen und abgrenzbaren Einheit ist normative Voraussetzung. Diese muss zum einen organisatorisch in einen Hauptbetrieb eingegliedert
sein, zum anderen sich an dessen betrieblichem Zweck ausrichten.132 Entscheidend ist daher die organisatorische Abgrenzbarkeit bei gleichzeitig bestehender relativer Selbstständigkeit. Im Ergebnis muss es sich um räumlich und organisatorisch unterscheidbare Rechtsbereiche handeln, die aber aufgrund ihrer Eingliederung allein nicht bestehen können.133
Für die Differenzierung zwischen dem Betrieb und dem Betriebsteil nach dem BetrVG ist der
Grad der Verselbstständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Während der Betrieb regelmäßig über eine eigene Leitungsebene verfügt, ist
der Betriebsteil in die Leitung des Betriebes integriert.
b) Teilbetrieb beim Betriebsübergang
Anders als beim gesamten Betrieb knüpft das BAG beim Betriebsteilbegriff im Sinne des
§ 613a BGB nicht an die Definition des BetrVG an. Vielmehr wird der Begriff des Betriebsteils weit ausgelegt. Danach ist ein Betriebsteil im Sinne des § 613a BGB eine abgrenzbare
organisatorische Untergliederung eines Gesamtbetriebes, mit der innerhalb des betrieblichen
Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird.134 Ob es sich hierbei um eine nur untergeordnete
oder eine Hilfsfunktion für den Hauptbetrieb handelt, ist ohne Bedeutung.135 Wichtig ist nur,
dass der auf den Erwerber übertragene Teilbetrieb auch beim Veräußerer schon die Qualität
eines Teilbetriebes hatte.136
Für die Erreichung des Teilzwecks können Mitarbeiter, ferner sächliche und/oder immaterielle Betriebsmittel zum Einsatz kommen.
Bei einem Teilbetriebsübergang wird folglich ein mit einem abgrenzbaren Funktionszusammenhang versehener Betriebsteil auf einen neuen Inhaber übertragen, wobei dieser Funktionszusammenhang trotz Übertragung gewahrt bleiben muss. Dabei ist egal, welche Betriebsmittel oder welches sonstige Anlagevermögen im Einzelnen übertragen werden, ferner,
132
Rose in H//W/G/N/R/H, § 4 BetrVG, Rn. 11.
BAG v. 19.02.2002 – 1 ABR 26/01, NZA 2002, 1300;
LAG Sachsen-Anhalt v. 09.03.2010 – 2 Sa 369/09.
134
BAG v. 21.05.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144;
LAG Berlin-Brandenburg v. 15.03.2013 – 6 Sa 1998/12.
135
BAG v. 22.07.2004 – 8 AZR 350/03, NZA 2004, 1383.
136
BAG v. 16.02.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794.
133
44
ob es sich um eine Maßnahme des Out- oder Insourcing gehandelt hat.137 Entscheidend ist,
dass solche materiellen oder immateriellen Gegenstände übertragen werden, die den Teilbetrieb wesentlich prägen. Es hat im Ergebnis eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles stattzufinden.
Die Frage, ob der Erwerber an den an ihn übertragenen Betriebsmitteln Eigentum erwirbt, ist
unerheblich. § 613a BGB knüpft nicht an die Eigentumsverhältnisse vor oder nach Betriebsübergang an.138 Insbesondere muss der Erwerber kein Eigentum an den Produktionsmitteln
erlangen.139 Wichtig ist nur, dass der Erwerber den Betriebsteil zur Durchführung des betrieblichen Zwecks eigenverantwortlich nutzen kann. Vertragliche Absprachen müssen nicht
existieren, es reicht der tatsächliche Besitz, der ein Handeln ermöglicht.
aa) „Auf Dauer angelegter“ Teilbetrieb
Ergänzend stellt sich die Frage, welche zeitlichen Mindestanforderungen an einen übernahmefähigen Betriebsteil gestellt werden müssen, damit er die Voraussetzung einer „auf Dauer
angelegten“ wirtschaftlichen Einheit erfüllt. Eine solche Einheit liegt nur vor, wenn zum einen
objektiv die Betriebsmittel den Erwerber in die Lage versetzen, eine Zeit lang den betrieblichen Zweck fortzusetzen, zum anderen ein subjektives Moment hinzukommt, welches beinhaltet, dass der Erwerber dies auch tatsächlich will. Besteht hingegen keine Absicht, den
Zweck des Teilbetriebes fortzusetzen, sondern lediglich das Ziel der Verwertung, ist ein
Übergang des Betriebes mangels Fortführung zu verneinen.
Beispiel:
Ein Unternehmen, bestehend aus einer Produktionsabteilung und einem altersschwachen
Fuhrpark, veräußert allein den Fuhrpark. Wenn der Erwerber den Fuhrbetrieb nicht fortführen,
sondern nur die alten LKW aus Sammlerleidenschaft übernehmen will, ist eine Fortführung des
Zwecks zu verneinen. Etwas anderes gilt, wenn erst für eine Zeit lang die Transportleistung erbracht wird und dann die Leidenschaft für alte LKW erwacht.
bb) Betriebsteil als abgrenzbar zu übertragende Einheit
Der Teilbetrieb ist nur dann als selbstständige übertragbare Einheit im Sinne des § 613a
BGB zu betrachten, wenn er vom Hauptbetrieb abgrenzbar ist und einen eigenen betrieblichen Zweck verfolgt. Dieser Zweck kann sich darin erschöpfen, meist in untergeordneter Bedeutung eine oder mehrere Hilfsfunktionen für den Hauptbetrieb zu erbringen. Regelmäßig
lässt sich der Teilbetrieb daher in den Zweck des Hauptbetriebes integrieren.
Der Betriebsteil erschöpft sich dabei nicht in der reinen Tätigkeit für den Hauptbetrieb, seine
Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen, wie den beschäftigten Arbeitnehmern inklusive der Führungskräfte, der Arbeitsorganisation selbst, den verwendeten Betriebsmethoden und den eingesetzten Mitteln des Betriebsteils.140
Die Charakterisierung als Betriebsteil ist dabei unabhängig davon, ob der verfolgte Betriebszweck wirtschaftlich eigenständig von dem Zweck des Hauptbetriebes bestehen kann. Selbst
wenn der Betriebsteil ohne Hauptbetrieb seine Daseinsberechtigung verlieren würde, ist er
dennoch bei der Verfolgung eines eigenständigen wirtschaftlichen Zwecks als Betriebsteil im
Sinne des § 613a BGB zu qualifizieren.
137
LAG Hamm v. 10.10.2001 – 19 Sa 1150/01.
BAG v. 27.04.1995 – 8 AZR 197/94, NZA 1995, 1155.
139
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 2/07, NZA 2009, 1232.
140
BAG v. 25.05.2000 – 8 AZR 335/99.
138
45
Beispiel:
In einer Zinkproduktion existiert eine Wasseraufbereitungsanlage, die von der Produktion räumlich getrennt ist und in der fünf Arbeitnehmer ausschließlich beschäftigt sind. Die Wasseraufbereitung wird auf ein kommunales Wasserversorgungsunternehmen übertragen. Ein Teilbetriebsübergang liegt selbst dann vor, wenn nach Einstellung der Zinkproduktion für die Wasseraufbereitung keine Existenzberechtigung mehr besteht.
Ebenfalls ohne Bedeutung für den Betriebsteilbegriff ist die Frage, inwieweit der Betriebsteil
vor und nach der Veräußerung ausschließlich und exklusiv für den Hauptbetrieb zunächst
des Veräußerers und dann des Erwerbers zuständig ist.141 Für die Qualifizierung spielt es
keine Rolle, ob der Betriebsteil seine Dienstleistung und Produkte nur für einen speziellen
Vertragspartner oder jedermann anbieten kann. Gerade Letzteres ist beim Outsourcing häufig der Fall.
Beispiel:
Der outgesourcte Fuhrpark eines Unternehmens transportiert als neue Gesellschaft nicht nur für
das alte Unternehmen Waren, sondern bietet seine Transportleistung frei am Markt an.
cc) Notwendigkeit einer eigenständigen Betriebsstruktur
Die Abhängigkeit des Teilbetriebs vom Hauptbetrieb darf sich nur auf die Einheit der Leitungsmacht und die gemeinsame Verfolgung bestimmter Betriebszwecke erstrecken.
Kennzeichnend für den Teilbetrieb als selbstständige Übertragungseinheit ist aber, dass er
über eine eigenständige Betriebsstruktur verfügt, die vor und nach der Übertragung bestanden haben muss. Diese ist in einer bestehenden Arbeitnehmergruppe, einer erhaltenen Leitungsstruktur oder in einer gleichbleibenden Aufgabe bzw. einem gleichbleibenden betrieblichen Zweck zu erkennen.
Bei der Definition des Betriebsteils ist es sowohl nach der Richtlinie der Europäischen Union142 als auch nach § 613a BGB143 von Bedeutung, dass die organisatorische Teileinheit bereits vor dem Übergang hinreichend strukturiert und vor allem selbstständig gewesen ist.
Wird in einem Unternehmen eine bestimmte Dienstleistung, deren Zweck sich in verschiedenen Betriebsteilen durch eigene Mitarbeiter erfüllt, outgesourct, liegt kein einheitlicher betrieblicher Zweck eines nach § 613a BGB zu übertragenden Betriebsteils vor.144 Nur dann,
wenn bestimmte Funktionen in einem Unternehmen als eigenständiger Betriebsteil organisatorisch zusammengefasst sind, kann dieser den Gegenstand eines Teilbetriebsübergangs
bilden. Nur dann, wenn in einem Unternehmen ein bestimmter Zentralbereich mit festen Mitarbeitern auf einen Dritten übertragen wird, kann es zu einem Teilbetriebsübergang im Sinne
des § 613a BGB kommen.
Beispiel:
In einem Unternehmen ist in jeder Abteilung ein Mitarbeiter für die EDV-Arbeiten zuständig.
Wird nun die EDV im Unternehmen komplett outgesourct, liegt kein Teilbetriebsübergang vor,
da keine eigene organisatorische Abteilung „EDV-Support“ vorliegt, die als wirtschaftliche Einheit auf einen Erwerber übergehen kann. Auch unter dem Gesichtspunkt der Beibehaltung des
Funktions- und Zweckzusammenhangs begründet sich kein anderes Ergebnis, da keine für eine
141
BAG v. 09.02.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686.
EuGH v. 10.12.1998 – C-173/96, NZA 1999, 189.
143
BAG v. 03.09.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147.
144
BAG v. 24.04.1997 – 8 AZR 848/94, NZA 1998, 253.
142
46
Teileinheit prägende Übertragung stattgefunden hat. Dies wäre bei der Übertragung einer großen Teileinheit möglich, die sich ausschließlich mit der Wartung der Server befasst hat.
Von Bedeutung ist, dass die übertragende Einheit einen eigenständigen Betriebszweck verfolgt. Die Übertragung eines Betriebsteils ist somit von der bloßen Übertragung einzelner Betriebsmittel, wie Anlagen und Maschinen etc., zu unterscheiden. Im Ergebnis darf im Rahmen des § 613a BGB als Teilbetriebsübergang nicht nur eine Summe von Wirtschaftsgütern
übertragen werden145, vielmehr muss der vom Erwerber erlangte Betriebsteil in der Lage
sein, selbstständig einen organisatorischen Zweck zu erfüllen, der vorher schon bestanden
hat. Der Erwerber muss den Betriebsteil im Wesentlichen unverändert fortführen können.146
dd) Betriebsmittel des Teilbetriebes
Der Teilbetrieb muss über einen – in der Regel mit dem Hauptbetrieb abgestimmten – eigenen (Produktions-)Zweck verfügen, der mit eigenständigen Betriebsmitteln und den Arbeitnehmern im Teilbetrieb erreicht wird.
Die Übertragung einzelner Betriebsmittel ist grundsätzlich unabhängig von der Fortführung
des betrieblichen Zwecks möglich, solange die Identität, die bestanden hat, nach der Übertragung weiter existiert. Aus diesem Grund ist es ohne Bedeutung, wenn neben der Fortführung des Betriebszwecks durch einen Dritten Betriebsmittel veräußert werden.
Die Übertragung eines Betriebsteils unter Fortführung des betrieblichen Zwecks und damit
der Teilbetriebsübergang wird erst dann vereitelt, wenn wesentliche, den Betriebszweck prägende Maschinen und Anlagegegenstände veräußert werden.
Übernimmt der Erwerber nur einen (kleinen) Teil aus dem Betrieb des Veräußerers, der nicht
die Qualität eines Teilbetriebs hat, kann er aus dem Gesichtspunkt des § 613a BGB nicht
verpflichtet werden, weitere Teile vom Veräußerer zu erwerben, um letztlich die Übernahme
eines Betriebsteils zu sichern. 147 Insoweit bestimmt der Erwerber selbst, inwieweit er durch
Umfang der Übernahme in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen der Arbeitnehmer des früheren Betriebes eintritt.148
Dabei müssen der Teil- und der Hauptbetrieb nicht zwingend verschiedene Zwecke verfolgen.
Beispiel:
Der Verkauf lediglich eines LKW stellt keinen Betriebsübergang des Fuhrparks dar, da kein eigener betrieblicher Zweck in Form eines Fuhrparks existiert hat, der fortgeführt werden kann.
ee) Arbeitnehmer des Teilbetriebes
Der Teilbetrieb mit seinem Produktionszweck muss nicht nur über materielle bzw. immaterielle Betriebsmittel verfügen, für § 613a BGB ist es unabdingbare Voraussetzung, dass Arbeitnehmer im Teilbetrieb vorhanden sind, mit denen der verfolgte Zweck erstrebt wird. In Fällen,
in denen nicht der gesamte Betrieb, sondern nur ein Betriebsteil bzw. ein abgrenzbarer Bereich übertragen wird, kommt es entscheidend darauf an, dass der Arbeitnehmer dem übertragenen Betriebsteil angehört, damit sein Rechtsverhältnis auf den Erwerber übergeht.149
145
BAG v. 03.09.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147.
BAG v. 22.05.1985 – 5 AZR 30/84, NZA 1985, 775.
147
BAG v. 03.09.1998 – 8 AZR 306/97, NZA 1999, 147.
148
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, NZA 1998, 249.
149
BAG v. 24.01.2013 – 8 AZR 706/11; BAG v. 25.09.2003 – 8 AZR 446/02, NZA 2004,1406.
146
47
Der Betriebsübergang setzt voraus, dass nicht nur die Arbeitnehmer des Teilbetriebes vom
Erwerber übernommen werden, sondern dass sie auch orientiert am funktionellen Betriebszusammenhang nahezu identische Tätigkeiten durchzuführen haben, die sie schon so oder
so ähnlich für den Veräußerer erbracht haben.150
Unter Berücksichtigung der betreffenden Arbeitnehmer hängt die Bestimmung des Betriebsteils als organisatorische Untereinheit nicht von einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern
ab. So kann der Betriebsteil nur über einen einzigen Arbeitnehmer verfügen, wenn dieser mit
seiner Tätigkeit einen eigenen betrieblichen Teilzweck erfüllt.151 Voraussetzung ist allerdings,
dass der verfolgte Zweck des Teilbetriebes vor und nach der Übertragung identisch ist.152
Übernimmt ein Zeitarbeitsunternehmen von einem anderen Zeitarbeitsunternehmen lediglich
die bei einem bestimmten Entleiher eingesetzten Beschäftigten und setzt diese weiter als eigene ein, stellt dies keinen (Teil-)Betriebsübergang dar, weil die übernommenen Arbeitnehmer keinen eigenständigen Betriebsteil darstellen.153 Die Verneinung des Betriebsübergangs
setzt in diesen Fällen aber voraus, dass noch andere Bereiche des Verleihers existieren, in
denen eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird. Auch hier muss auf die Mehrheitsverhältnisse abgestellt werden.
2. Wahrung des notwendigen Funktions- und Zweckzusammenhangs
Auch der Übergang eines Betriebsteils setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass dessen
Funktions- und Zweckzusammenhang erhalten bleibt und auf den Erwerber übergeht. Dabei
wird, wie beim gesamten Betrieb, auf die Möglichkeit für den Erwerber abgestellt, ob er in der
Lage ist, die übernommenen Betriebsmittel zu nutzen, um derselben oder einer zumindest
gleichartigen Tätigkeit nachzugehen.154 Im Ergebnis wird auf die wirtschaftliche Einheit aus
Personen und Sachen abgestellt.
Die Fortsetzung des Zweckzusammenhangs ergibt sich aus der Gesamtschau aller maßgeblichen Kriterien. Es ist zu prüfen, in welcher Weise sich eine Bewegung vom Veräußerer in
Richtung Erwerber vollzieht. Dies bezieht sich auf das Personal, die Führungskräfte, die Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und die zur Verfügung stehenden Betriebsmittel,
gleich ob materieller oder immaterieller Art.155
Die Übertragung ist selbst dann möglich, wenn der Teilbetrieb nach der Übertragung aufgrund der Integration seine Identität verliert, solange noch eine funktionsbezogene Zuordnung der Arbeiten zum Betriebsteil des Veräußerers möglich ist und der Erwerber die Betriebsmittel bzw. die übernommenen Arbeitnehmer für seine Zwecke nahezu identisch einsetzt.
Beispiel:
Ein Unternehmen, bestehend aus einer Produktionsabteilung und einem altersschwachen
Fuhrpark, veräußert allein den Fuhrpark. Wenn der Erwerber den Fuhrbetrieb nicht fortführen,
sondern nur die alten LKW als Sammlerleidenschaft übernehmen will, ist eine Fortführung des
Zwecks zu verneinen.
150
BAG v. 21.05.2008 – 8 AZR 481/07, NZA 2009, 144.
EuGH v. 14.04.1994 – C-392/92, NZA 1994, 545.
152
BAG v. 21.06.2012 – 8 AZR 244/11; v. 11.09.1997 – 8 AZR 555/95, NZA 1998, 31.
153
BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 1023/12.
154
BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905; LAG Hamm v. 08.10.2013 – 7 Sa 888/13.
155
BAG v. 25.05.2000 – 8 AZR 335/99.
151
48
Die Fortsetzung des betrieblichen Zweckzusammenhangs ist durch die Übernahme der
sächlichen Mittel, die dem Betriebsteil zuzuordnen sind, möglich. Sie kann sich aber auch
aus einer Übernahme der immateriellen Betriebsmittel oder durch Übernahme der betroffenen Arbeitnehmer ergeben.
In allen Fällen ist eine Wesentlichkeitsbetrachtung durchzuführen. Dabei findet die gleiche
Wesentlichkeitsbetrachtung statt, die schon bei der Übertragung des gesamten Betriebes
durchgeführt wurde. Unwesentliche Bestandteile der betrieblichen Anlagen oder des Betriebsvermögens bleiben bei der Betrachtung, ob ein Betriebsteil als Einheit übergeht, außer
Betracht. Entscheidend ist vielmehr, ob der Erwerber mit dem oder den übernommenen Betriebsmitteln den Zweck des Teilbetriebes fortführen kann.
Zusammenfassender Überblick
Notwendige Beibehaltung eines Funktions- und
Zweckzusammenhangs des Betriebes
(ohne Wahrung der Identität möglich)
bei Verfolgung eines eigenständigen Zwecks
bei Wahrung der eigenständigen Struktur
durch
Übernahme der
Betriebsmittel
Übernahme der
Arbeitnehmer
VI. Funktionsnachfolge als Verneinung des Betriebsübergangs
Der Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB wird regelmäßig dann verneint, wenn eine
sogenannte „Funktionsnachfolge“ vorliegt.156 Allein die Identität der früher selbst und dann
fremd vergebenen Aufgaben bzw. Arbeiten begründet keinen Schutz der betroffenen Arbeitnehmer. Zwar werden auch bei der Funktionsnachfolge regelmäßig die Tätigkeiten von einer
oder mehreren neuen Personen erbracht, der funktionelle Zusammenhang, der zwischen
dem alten Betrieb und der erbrachten Tätigkeit bestand und der das Wesen der alten betrieblichen Einheit prägte, geht aber nicht verloren. Eine neue betriebliche Einheit, die sich
als Ausschnitt der alten Gesamtfunktion darstellt, wird folglich nicht begründet.
Da die Abgrenzung zwischen Betriebsübergang und Funktionsnachfolge im Einzelfall
schwierig ist, muss eine Überprüfung aller Umstände im Rahmen einer Gesamtschau erfolgen.157
156
157
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; BAG v. 13.06.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1104.
EuGH v. 15.12.2005 – C-232/04, NZA 2006, 29.
49
1. Fremdvergabe von bislang selbst erbrachten Leistungen
Die Rechtsprechung verneint das Vorliegen eines Betriebsübergangs und bejaht stattdessen
die reine Funktionsnachfolge, wenn durch die „organisatorische Zusammenfassung von
Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“ weder Veräußerer noch Erwerber die Betriebs- oder Teilbetriebsidentität verlieren.158 Der Betrieb oder Betriebsteil muss folglich in seiner Identität beim Veräußerer und Erwerber erhalten bleiben.
Dabei ist nicht so sehr auf die konkrete Organisation abzustellen als auf die Beibehaltung
des Funktions- und Zweckzusammenhangs, der es dem Erwerber erlaubt, die erworbenen
Betriebsmittel für einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck zu nutzen.
Wird daher eine bislang mit eigenen Kräften durchgeführte Aufgabe fremdvergeben, liegt
ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte (Übernahme von Teilen der Belegschaft oder von
Sachmitteln) kein Betriebsübergang vor. Der alte Betrieb, der aus einer Mischtätigkeit inklusive der fremdvergebenen Funktion bestand, existiert dann weiter. Die übertragene Funktion
allein ändert den Charakter des Betriebes nicht.
Beispiel:
Das Unternehmen beschließt, die Selbstreinigung, die bislang mit wenigen Mitarbeitern durchgeführt wurde, an eine Fremdfirma zu vergeben. Im Ergebnis hat kein eigener speziell mit der
Reinigung befasster Betriebsteil bestanden, der als abgrenzbare Einheit auf den Erwerber
übergehen konnte.
Die Funktionsnachfolge hat folglich drei Voraussetzungen: Erstens muss ein identischer Auftraggeber vorliegen, zweitens muss eine nahtlose oder fast nahtlose Fortsetzung des alten
Auftrags gegeben sein und drittens müssen sich die zu leistenden Tätigkeiten inhaltlich stark
ähnlich sein.159
Die Abgrenzung zwischen einem echten Betriebsübergang und einer Funktionsnachfolge ist
in den Branchen schwierig, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft
ankommt und der Einsatz von sächlichen und/oder immateriellen Betriebsmitteln nur eine untergeordnete Rolle spielt. Klassische Beispiele sind die Reinigungstätigkeiten durch den Einsatz von Putzkolonnen oder Bewirtschaftungsverträge im Cateringbereich. Gleiches gilt für
das gesamte Bewachungsgewerbe. Zu prüfen ist, ob aufgrund aller Umstände ein eigener
übertragungsfähiger Betriebsteil vorliegt. 160 Die Übertragung allein der Funktion ist hierfür zu
wenig, ein Betriebsübergang kann hingegen erfüllt sein, wenn zusätzlich Personen oder
Sachmittel übergehen.
Beispiel:
Werden im Zusammenhang mit der Neuvergabe des Reinigungsauftrags wesentliche Betriebsmittel von der alten Firma auf die neue übertragen, könnte daher allein aufgrund dieser übertragenen Betriebsmittel ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vorliegen. Zu denken ist
etwa an die Übertragung von Reinigungs- und Kehrmaschinen.
Ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB und keine Funktionsnachfolge liegt ferner
dann vor, wenn der neue Inhaber nicht nur die entsprechende Tätigkeit fortführt, sondern
158
BAG v. 22.01.2015 – 8 AZR 733/13, NZA 2015, 87;
BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 158/07, NZA 2009, 905.
159
BAG v. 19.03.2015 – 8 AZR 150/14DB 2015, 2030.
160
BAG v. 05.12.2002 – 2 AZR 522/01, NZA 2003, 1168.
50
auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt.161 Der
wesentliche Teil der Belegschaft wird dann übernommen, wenn ein nach Anzahl oder Qualifikation nicht unerheblicher Teil von Arbeitnehmern betroffen ist.162
2. Auftragsverlust an Mitbewerber
Der EuGH sieht in dem reinen Verlust eines Auftrages an einen Mitbewerber keinen Übergang des Betriebes im Sinne der Richtlinie.
Zur Begründung wird angeführt, dass das zuvor beauftragte Dienstleistungsunternehmen
zwar einen Kunden verliert, im Ergebnis aber unverändert fortbesteht, ohne dass einer seiner Betriebe oder Betriebsteile auf einen neuen Auftraggeber übergegangen ist.163
Das BAG beurteilt den Auftragsverlust in gleicher Weise. Eine Funktionsnachfolge und damit
kein Betriebsübergang wird vor allem dann angenommen, wenn ein Auftrag verloren geht,
der im Wesentlichen ohne Nutzung von Betriebsmitteln durchgeführt wurde. Setzt der Erwerber zudem nur eigenes Personal ein und greift er nicht auf Arbeitnehmer des Veräußerers zurück, liegt regelmäßig eine Funktionsnachfolge vor.
Verwendet der Erwerber allerdings Betriebsmittel des Auftraggebers, ist zu prüfen, ob der
Mitteleinsatz nicht der bestimmende Aspekt der Tätigkeit ist. Ohne darauf abzustellen, ob der
Erwerber „an“ oder „mit“ den Betriebsmitteln des Auftraggebers arbeitet oder ob er sie „eigen-“ oder „fremdnützig“ einsetzt bzw. einsetzen kann, wird allein auf deren Funktion im
Rahmen der Wertschöpfungskette abgestellt.164
Beispiel:
Ein Caterer hat eine Kantine gepachtet. Sämtliche Einrichtungsgegenstände sind in der Küche
vorhanden. Das Unternehmen verliert den Auftrag an einen Konkurrenten. Nutzt dieser die Gegenstände weiter und setzt er nur eigenes Personal ein, liegt dann ein Betriebsübergang vor,
wenn bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette die Kücheneinrichtung gegenüber dem
Know-How der Mitarbeiter, die in der Küche arbeiten, Vorrang genießt.
Bei einem Auftragsverlust ist folglich darauf abzustellen, in welchen der betroffenen Betriebsmittel der Schwerpunkt der Wertschöpfung liegt. 165 Gehen diese – wenn auch nur im
Wege des Nutzungsrechts – auf den Erwerber über, ist ein Betriebsübergang zu bejahen.
Wertschöpfend kann in diesen Fällen die Arbeit der Mitarbeiter sein, ebenso materielle Betriebsmittel, letztlich auch immaterielle Mittel wie das Know-How etc.
Beispiel:
Ein Bewachungsunternehmen führt Sicherheitsleistungen am Flughafen durch, indem Personen
und Handgepäck kontrolliert werden. Hierzu werden die üblichen Geräte genutzt, die an jedem
Flughafen zu finden sind. Diese stehen im Eigentum des Flughafenbetreibers als Auftraggeber.
Bei einem Verlust des Auftrags und Neuabschluss mit einem konkurrierenden Unternehmen
des Bewachungsgewerbes nutzt der „Erwerber“ die Geräte ebenfalls. Da diese einen erheblichen Teil, wenn nicht den maßgeblichen Teil der Wertschöpfungskette darstellen, ist ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB zu bejahen.
161
BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 763/97.
BAG v. 08.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251.
163
EuGH v. 11.03.1997 – C-13/95, NZA 1997, 433.
164
BAG v. 22.08.2013 – 8 AZR 521/12; v. 13.06.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101.
165
EuGH v. 20.11.2003 – C-330/01, NZA 2003, 1385.
162
51
Sind keine als Betriebsmittel nutzbaren Geräte in der Wertschöpfungskette und kommt es allein auf die menschliche Arbeit an, liegt eine reine Funktionsnachfolge vor, wenn der „Erwerber“ als neuer Vertragspartner ausschließlich eigene Mitarbeiter einsetzt.166 Bei einem betriebsmittelarmen Betrieb (Bewachung eines militärischen Sperrgebiets durch Patrouillengänge und Torkontrollen) ist daher der Übergang von Arbeitnehmern entscheidend.167 Geht
kein Personal über, ist ein Betriebsübergang in diesen Fällen zu verneinen.
Es kann jedoch zu einem Betriebsübergang kommen, wenn zusammen mit dem Auftrag oder
der Funktion sächliche Betriebsmittel übertragen oder eine nicht unerhebliche Anzahl Arbeitnehmer übernommen werden. Findet beides nicht statt, greift der Schutz des § 613a BGB
nicht ein.
Kommt es allerdings zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Betriebsübergang, haben die
Arbeitnehmer des ehemals Beauftragten einen einklagbaren Anspruch auf Einstellung und
Wahrung des Besitzstandes gegenüber dem neuen Auftragnehmer.168
Zusammenfassender Überblick
Funktionsnachfolge hindert Betriebsübergang
(insoweit nicht Sachmittel oder Arbeitnehmer übergehen)
Fremdvergabe eigener
Leistungen
Auftragsverlust an
Mitbewerber
VII. Betriebsstilllegung/-unterbrechung
Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine wirtschaftlich erhebliche
Zeitspanne der Betriebsunterbrechung der Annahme eines Betriebsüberganges entgegensteht.169 Abzugrenzen ist, ob ein Betrieb unter Wahrung seiner zweckbindenden Identität
übergeht oder ob er vom Erwerber mit der Zielsetzung übernommen wird, ihn erst gar nicht
fortzuführen.
Beispiel:
Eine Betriebsstilllegung liegt vor, wenn der Erwerber aus dem übernommen Gartengrundstück,
auf dem vorher ein Biergarten betrieben wurde, eine Parklandschaft machen möchte.
166
BAG v. 25.09.2007 – 8 AZR 607/07, NZA RR 2009, 469;
LAG Hamm v. 18.11.2914 – 15 Sa 1017/14.
167
BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 45/05, NZA 2006, 263.
168
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251.
169
BAG v. 22.05.1997 – 8 AZR 101/96, NZA 1997, 1050.
52
Nicht nur die Absicht, endgültig den Betrieb einzustellen, auch die willentliche Unterbrechung
für einen längeren Zeitraum kann einem Betriebsübergang entgegenstehen. Das erstgenannte Verhalten ist als Betriebsstilllegung zu bezeichnen, das zweite als Betriebspause. In
beiden Fällen geht die Kontinuität zwischen der Tätigkeit des Veräußerers und der eines
möglichen Erwerbers verloren.
Dies gilt selbst dann, wenn der Letztgenannte zu einem späteren Zeitpunkt die Tätigkeit wieder aufnimmt. Der Erwerber würde dann bei Aufnahme der Tätigkeit einen gänzlich neuen
Betrieb führen.
Die Absicht, den Betrieb stillzulegen, können sowohl der Erwerber als auch der Veräußerer
verfolgen. Die zugrunde liegenden Entscheidungen können von der Rechtsprechung aufgrund der im Grundgesetz verankerten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht daraufhin
überprüft werden, ob sie unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind.170
Gleiches gilt für die Entscheidung, die nur einen Teilbetrieb betrifft. Auch dieser kann überprüfungsfrei stillgelegt oder mit einer Betriebspause versehen werden, was beides einen
Teilbetriebsübergang ausschließen kann.
1. Stilllegung der wirtschaftlichen Tätigkeit
Grundsätzlich schließen sich Betriebsstilllegung und Betriebsübergang aus.171 Denn ein Betrieb oder Betriebsteil, der nicht besteht, kann nicht auf einen anderen Inhaber übertragen
werden. Abgeschlossen ist die Stilllegung dann, wenn die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer beendet und die Betriebsmittel nicht mehr dem vorherigen Zweck entsprechend eingesetzt werden.172
Die betriebliche Identität ist damit untergegangen, Mitarbeiter können in diesen Fällen betriebsbedingt gekündigt werden.173
Beispiel:
Ein Unternehmen veräußert ein Grundstück mit Hallen und Produktionsmaschinen. Wenn der
Erwerber die Produktion nicht fortführen, sondern ein Hotel auf dem Grundstück eröffnen will, ist
eine Fortführung des Zwecks zu verneinen. Manifestiert wird diese Absicht unter anderem durch
den Verkauf der Maschinen, der Kündigung der die Produktion betreffenden Verträge, ferner
Beantragung einer Baugenehmigung für das Hotel.
Die Frage, ob eine Betriebsstilllegung vorliegt, ist dann nicht sicher zu beantworten, wenn
kein entsprechend klarer Wille erkennbar ist. In diesen Fällen kommt es auf objektivierbare
Umstände im Einzelfall an, die für eine Betriebsstilllegung sprechen können. Entscheidend
ist insbesondere die Dauer der Unterbrechung des betrieblichen Zwecks, ferner die zur Stilllegung durchgeführten Aktivitäten. Nicht ausreichend ist allein die Einstellung der Produktion
oder die Veräußerung von Betriebsmitteln.174
Die Rechtsprechung knüpft das Vorliegen einer Stilllegung – analog dem Rechtsinstitut der
Verwirkung – an zwei Tatbestandsmerkmale an. Zum einen ist das Zeitmoment der Unter170
KR-Pfeiffer, § 613a BGB, Rn. 30.
BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, NZA-RR 2012, 570;
BAG v. 16.05.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 1993, 93.
172
BAG v. 16.05.2002 – 8 AZR 319/01; NZA 2003, 93.
173
BAG v. 24.08.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287;
LAG Schleswig-Holstein v. 28.02.2012 – 6 Sa 362/11.
174
BAG v. 26.04.2007 – 8 AZR 695/05, NZA 2008, 72.
171
53
brechung entscheidend, darüber hinaus das Umstandsmoment, das die Aktivitäten der Stilllegung umfasst. Erst kumulativ können beide Tatbestandsmerkmale für eine zur endgültigen
Stilllegung führende Unterbrechung des Betriebes sprechen.175 Der Betriebsübergang ist zu
verneinen.
a) Zeitmoment
Das Zeitmoment ist erfüllt, wenn zwischen dem Ende der betrieblichen Tätigkeit und einer
möglichen Neueröffnung eine nicht unerhebliche Zeitdauer vergangen ist. Ein erheblicher
Zeitraum ist dann vergangen, wenn objektiv nicht mehr mit der Wiedereröffnung des Betriebes zu rechnen ist. Anknüpfungsmoment des Zeitmoments ist nicht primär der subjektive
Wille des Veräußerers oder des Erwerbers. Entscheidend ist die Sicht eines objektiven Dritten. Dieser muss den Eindruck haben, dass aufgrund der vergangenen Zeitspanne der alte
Betrieb nicht fortgeführt wird.
Das Zeitmoment einer Betriebsstilllegung ist dann nicht erfüllt, wenn ein Erwerber zwar zunächst beschließt, eine Betriebspause einzulegen, dies aber bei festem Willen, den identischen Betriebszweck, den der Veräußerer verfolgt hat, nach einer gewissen Zeitspanne fortzuführen.
In diesen Fällen gilt unabhängig von der tatsächlichen Zeitspanne die Unterbrechung als
nicht erheblich. Der Wille, den Betrieb im Ergebnis fortzuführen, überwiegt in diesen Fällen.
Dies hat zur Folge, dass ein Betriebsübergang auf den Erwerber zu bejahen ist.176
Als Indiz dafür, ob eine auf Dauer angelegte Betriebsstilllegung vorliegen soll, orientiert sich
die Rechtsprechung an den Fristen des § 622 BGB.177 Alternativ sind die tariflich verankerten
Kündigungsfristen entscheidend. Dauert die Unterbrechung der betrieblichen Tätigkeit länger
als die längste gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfrist, ist von einer Stilllegung auszugehen.
b) Umstandsmoment
Neben dem Zeitmoment muss das Umstandsmoment hinzukommen. Das Umstandsmoment,
das für die Stilllegung des Betriebes sprechen kann, ist die Perpetuierung der Einstellung
des betrieblichen Zwecks.
Für die Stilllegung sprechen die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit, die Auflösung
der dem Betriebszweck dienenden funktionellen Organisationseinheit, die Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse, die Veräußerung von Betriebsmitteln sowie die Veräußerung der
betrieblichen Grundstücke. Liegen für diese Handlungen entsprechende Gesellschafterbeschlüsse vor, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob darin der tatsächliche Wille zur Stilllegung
enthalten ist.178
Die Betriebsstilllegung setzt voraus, dass die Betriebsorganisation und damit die zwischen
dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufgelöst wird. Die Auflösungsabsicht äußert sich darin, dass der Betriebsinhaber die
wirtschaftliche Betätigung mit ernstlichem und endgültigem Willen einstellt. Er muss beabsichtigen, den bisherigen Betriebszweck dauernd und nicht nur für eine unerhebliche Zeitspanne einzustellen.
175
BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 282/97, DB 1999, 327.
BAG v. 18.03.1998 – 8 AZR 159/98, NZA 1999, 704.
177
BAG v. 03.07.1986 – 2 AZR 68/85, NZA 1987, 123.
178
BAG v. 28.05.2009 – 8 AZR 273/08, NZA 2009, 1267.
176
54
Dabei muss der Stilllegungswille als subjektives Entscheidungskriterium „greifbare“ und damit „objektivierbare“ Formen angenommen haben. Dies bedeutet, dass der Veräußerer oder
der Erwerber nicht nur die Auflösung geplant haben, sondern ihren ernsthaften Willen179 bereits durch erste Maßnahmen der Umsetzung zum Ausdruck bringen müssen.
Beispiel:
Führt der „alte Inhaber“ daher noch Verhandlungen mit einem potenziellen Erwerber oder potenziellen Teilhaber, fehlt ein ernstlicher Wille zur Stilllegung. Die Verhandlungen müssen aber
ernsthaft und mit konkretem Ziel geführt werden.
Führt hingegen der Erwerber den betrieblichen Zweck zunächst weiter, kommt es regelmäßig
zu einem Betriebsübergang. Dies gilt selbst dann, wenn dies nur eine kurze Zeitspanne betrifft.
An diesem Ergebnis ändert ein später gefasster Entschluss des Erwerbers, den Betrieb dennoch stillzulegen, nichts. Allerdings ist der Erwerb ohne die Absicht, den Betrieb weiterzuführen – also nur zur Zerschlagung der betrieblichen Einheit – nicht als Betriebsübergang zu qualifizieren.
Da der Betriebsübergang notwendigerweise den Fortbestand der betrieblichen Einheit voraussetzt, ist der ernstliche Willensentschluss zur Einstellung des Betriebszwecks dann unbeachtlich, wenn objektiv ein anderweitiges Handeln erkennbar ist.
Denn unabhängig vom subjektiven Willensentschluss ist es notwendig, dass sich der Einstellungswille durch tatsächliches Handeln manifestiert. Allein die Einstellung der Produktion genügt unter Umständen nicht.180 Der Veräußerer muss sich endgültig entschlossen haben,
den Betrieb stillzulegen. Wichtig ist: Hinzutreten müssen unumkehrbare Handlungen, diesen
Entschluss in die Tat umzusetzen.181
Beispiel:
Ein Unternehmer teilt in einer Versammlung den Arbeitnehmern mit, dass er den Betrieb stilllegen wolle und spricht mit der Begründung betriebsbedingte Kündigungen aus. Gleichzeitig verhandelt er mit einem Investor, der Interesse an der Übernahme hat. Die Kündigungen sind unwirksam, da es an einem ernsthaften und endgültigen Willen zur Einstellung mangelt.
Eine Betriebsstilllegung ist ebenfalls dann zu verneinen, wenn der ehemalige Eigentümer lediglich einzelne Betriebsmittel veräußert. In diesen Fällen ist regelmäßig danach zu differenzieren, ob mittels der übertragenen Betriebsmittel, seien es Einzelstücke oder ganze Sachgesamtheiten, die organisatorische Einheit des Betriebes erhalten bleibt. 182
Beispiel:
Der Pächter einer Gastwirtschaft überträgt diese nach Ablauf des Vertrages an den Verpächter
zurück. Der Pächter beabsichtigt, die Gastwirtschaft stillzulegen. Der Verpächter kauft dem
ehemaligen Pächter eine Theke, eine Zapfanlage, renoviertes Mobiliar und modernisierte Sanitäreinrichtungen ab. Entgegen dem ursprünglichen Willen, die Gastwirtschaft nicht neu zu verpachten, überträgt der Verpächter alles mittels Vertrag zeitnah auf einen neuen Pächter. Dieser
führt die Gastwirtschaft fort. Ein Betriebsübergang liegt vor, denn eine zeitliche Zäsur hat nicht
179
BAG v. 29.09.2005 – 8 AZR 674/04, NZA 2006, 720.
BAG v. 12.02.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170.
181
BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 179/85, NZA 1987, 597.
182
BAG v. 27.04.1995 – 8 AZR 197/94, NZA 1995, 1155.
180
55
stattgefunden. Wesentliche Einrichtungsgegenstände wurden vom Veräußerer übertragen, daher bleibt der Wille des ehemaligen Pächters, den Betrieb einzustellen, unberücksichtigt.
Für die Beurteilung, ob tatsächlich der Betrieb stillgelegt wird, ist die Dauer der Tätigkeit des
ursprünglichen Betriebes von entscheidender Bedeutung. Gerade eine zeitlich lange Anwesenheit an einem Standort kann trotz Unterbrechung eine Betriebsfortführung und damit einen möglichen Betriebsübergang bedingen.
Beispiel:
Ein Modeverkaufshaus, in dem auch Jeans verkauft wurden, wird zwanzig Jahre in einem Ladenlokal betrieben. Nach einer Unterbrechung von sechs Monaten eröffnet eine JeansBoutique. Das BAG hat eine Unterbrechung von sechs bis neun Monaten für akzeptabel angesehen, wenn zuvor der Betrieb des Veräußerers langjährig an einem Standort gewesen ist. Eine
Stilllegung hat folglich nicht stattgefunden.
Die Erfüllung des Umstandsmoments ist auch in den Fällen zu verneinen, in denen lediglich
das Gewerbe abgemeldet oder wenn allein der Antrag auf Insolvenzeröffnung gestellt
wird.183 Gerade der Antrag auf vorläufige Insolvenz bedingt keine Stilllegung des Betriebes,
da regelmäßig der betriebliche Zweck zunächst vom vorläufigen Insolvenzverwalter fortgeführt wird.
2. Betriebsunterbrechung
Die Betriebspause ist die temporäre Unterbrechung der Verfolgung des betrieblichen
Zwecks. Synonym mit diesem Begriff der Betriebspause wird der Begriff der Betriebsunterbrechung gebraucht.184 Für die notwendige Dauer einer Unterbrechung, die im Ergebnis zur
Verneinung eines Betriebsübergangs führt, sind vom BAG keine feststehenden Zeitgrenzen
vorgegeben. Notwendig ist, dass die Verfolgung des betrieblichen Zwecks für einen nicht
unerheblichen Zeitraum eingestellt wird185, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt der Wille bestand, den Betrieb endgültig aufzugeben.
Allein die Verhandlungen zwischen Geschäftsleitung und dem Betriebsrat zur Vereinbarung
eines Interessenausgleichs und Sozialplans begründen aber keine Betriebspause, die einen
Betriebsübergang ausschließt. Dies gilt selbst dann, wenn nach erheblichem Zeitablauf eine
Einigungsstelle entschieden hat186, die erst gerichtlich eingesetzt werden musste.
Beispiel:
Der Pächter einer Bowlingbahn hat diese nach Ablauf des Pachtvertrages an den Verpächter
zurückgegeben. Der neue Pächter installiert eine völlig neue Bowlinganlage. Das BAG hat den
Betriebsübergang mit der Begründung bejaht, das Bowlingspiel bilde den prägenden Teil der
Wertschöpfungskette. Der Pächter und der Betriebsrat hatten vor der Rückgabe an den Verpächter über einen langen Zeitraum die Schließung der alten Gaststätte verhandelt. Schließlich
kam es zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. In dieser Zeit ruhte der Betrieb der Gaststätte. Das BAG hat trotz dieser Unterbrechung den Betriebsübergang nach §
613a BGB auf den neuen Pächter bejaht, da keine freiwillige Unterbrechung vorgelegen hat.
Lediglich gesetzliche Beteiligungsrechte seien durchgeführt worden.
183
BAG v. 03.07.1986 – 2 AZR 68/85, NZA 1987, 123.
BAG v. 03.07.1986 – 2 AZR 68/85, NZA 1987, 123.
185
EuGH v. 15.06.1988 – C-101/87, BAG v. 21.06.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212.
186
BAG v. 03.07.1986 – 2 AZR 68/85, NZA 1987, 123.
184
56
Bei der Beurteilung, wann eine Betriebsunterbrechung vorliegt, ist jede schematische Betrachtungsweise zu vermeiden. Für jede Branche ist gesondert festzustellen, ab welchem
Zeitpunkt eine wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne vorliegt, die als Unterbrechung zu
bewerten ist. Inhaltlich müssen wie bei der Betriebsstilllegung Zeit- und Umstandsmoment
den Ausschluss des Betriebsübergangs rechtfertigen.
Zusammenfassender Überblick
Kein Betriebsübergang
bei
Betriebsstilllegung
Betriebspause
- Zeitmoment
- Umstandsmoment
VIII. Wechsel des Betriebsinhabers
Der Tatbestand des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass
der Betrieb „auf einen anderen Inhaber“ übergeht. Wer als neuer Inhaber oder Erwerber im
Rahmen des § 613a BGB in Betracht kommt, sagt das Gesetz nicht, Voraussetzung ist aber,
dass die Person des Betriebsinhabers infolge einer rechtsgeschäftlichen Übertragung wechselt.
Ein Wechsel allein der Gesellschafter reicht nicht aus, da die Identität der Gesellschaft als
Rechtssubjekt unverändert erhalten bleibt.187
1. Übernahme der Leitungsmacht
Die Rechtsprechung hat anerkannt, dass als Inhaber sowohl auf der Seite des Veräußerers
als auch auf der des Erwerbers eine natürliche oder eine juristische Person des privaten,
aber auch des öffentlichen Rechts in Betracht kommen kann.188 Wichtig ist nur, dass zwischen ihnen ein Übergang, das heißt ein Wechsel, stattfindet.
Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt der Inhaberwechsel dann vor, wenn die für den
Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten innehat, im Rahmen der vertraglichen
Beziehung wechselt.189 Das BAG definiert den Inhaberwechsel identisch, verlangt aber zu187
BAG v. 14.08.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428;
LAG Rheinland-Pfalz v. 18.07.2013 – 10 Sa 48/13.
188
BAG v. 26.06.1997 – 8 AZR 426/95; NZA 1997, 1228.
189
EuGH v. 19.05.1992 – C-29/91; NZA 1994, 207.
57
sätzlich, dass der bisherige Inhaber seine wirtschaftliche Tätigkeit im Betrieb einstellt und der
Erwerber als neuer Inhaber diese Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortführt. 190
Zwischen Veräußerer und Erwerber muss es nicht zu einer ausdrücklichen Vereinbarung
kommen, die inhaltlich vorsieht, dass die Leitungsmacht auf den Erwerber übergeht. Notwendig ist allein, dass der Erwerber aufgrund einer sonstigen vertraglichen Absprache die
faktische Herrschaftsmacht im Betrieb ausüben kann.
Dies setzt inhaltlich voraus, dass der Erwerber in der Lage ist, organisatorisch die Geschicke
des Betriebes zu bestimmen. Ein tatsächliches Handeln des Erwerbers im übernommenen
Betrieb ist nötig, die Möglichkeit, dies zu tun, reicht hingegen nicht aus.191
Aus diesem Grund wird vom BAG derjenige als Inhaber des Betriebs angesehen, der in der
Lage ist, den Betriebszweck mit den organisatorisch und personell zusammengefassten Betriebsmitteln im eigenen Namen und auf eigene Rechnung fortzuführen.192 Die Leitungsmacht muss auf eine andere Person gewechselt haben. 193
Praxishinweis: Allein die Spaltung eines Unternehmens in eine Besitz- und eine Betriebsgesellschaft reicht dann als Wechsel des Inhabers nicht aus, wenn die Umstrukturierung nur
aus Gründen der einfacheren Zerschlagung einer der Gesellschaften durchgeführt wurde.
Arbeitnehmer, die auf die zu zerschlagende Betriebsgesellschaft „übergegangen“ sind, können geltend machen, es habe keinen Wechsel des Inhabers gegeben, wenn die Leitungsund Verantwortungsfunktionen nicht mit verteilt worden sind. Sie sind beim Veräußerer verblieben.
Der Inhaberwechsel im Rahmen eines Betriebsübergangs wird in der Praxis bei folgenden
Maßnahmen bejaht:
 bei Outhouse-Outsourcingmaßnahmen, wenn der Betrieb oder Betriebsteil auf ein
Fremdunternehmen übertragen wird;
 bei Inhouse-Outsourcingmaßnahmen, wenn die Leitung des Betriebes auf ein anderes,
neu gegründetes oder bereits bestehendes Konzernunternehmen übertragen wird;
 bei Inhouse-Outsourcingmaßnahmen, wenn ein zuvor übertragener Betrieb nach einem gewissen Zeitraum wieder in das alte Unternehmen rückintegriert wird;194
 bei Abspaltungen, wenn ein Teil der Tätigkeit auf ein neues oder bereits bestehendes
Drittunternehmen, das in keiner gesellschaftsrechtlichen Beziehung zum Veräußerer
steht, übertragen wird;
 bei Verschmelzungen, wenn die Leitungsmacht zweier ehemals selbstständiger Unternehmen auf ein neues einheitliches oder bereits bestehendes Unternehmen übertragen wird.
2. Gesellschafterwechsel als Ausschluss des Betriebsübergangs
Mit einem Wechsel des Inhabers ist regelmäßig auch ein Wechsel des Arbeitgebers verbunden. Daher ist ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB zu verneinen, wenn es nicht
190
BAG v. 02.12.1999 – 8 AZR 796/98; NZA 2000, 369.
BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825.
192
BAG v. 18.03.1999 – 8 AZR 169/98; NZA 1999, 869.
193
BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 301/97; NZA 1999, 715.
194
BAG v. 17.04.2003 – 8 AZR 253/02; AP Nr. 253 zu § 613a BGB.
191
58
zu einem Wechsel auf Arbeitgeberseite kommt, das handelnde Rechtssubjekt folglich identisch bleibt. 195
Ein reiner share-deal ist daher regelmäßig nicht als Betriebsübergang zu qualifizieren, ein
asset-deal, der dem neuen Inhaber Kompetenzen bringt, schon, wenn auch Arbeitsverhältnisse betroffen sind. Kommt es daher nur zu einem Gesellschafterwechsel, scheidet ein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB aus.
Beispiel:
In einer GmbH kommt es zu einem Wechsel in der Person der Gesellschafter. Einer der vorhandenen Gesellschafter überträgt mit Zustimmung der übrigen seinen Anteil auf eine natürliche oder juristische Person, die bislang in keinerlei Beziehung zur Gesellschaft stand. Allein
durch den Austausch der Gesellschafter wird die Kontinuität der Gesellschaft nicht berührt, diese handelt unabhängig von den tatsächlich vorhandenen Gesellschaftern bzw. deren Stellung in
der Gesellschaft.
Gleiches gilt für die Übernahme der Kapitalmehrheit einer KG. Auch die Änderung der Kapitalverhältnisse in einer Gesellschaft ist kein Betriebsübergang.
Alle gesellschaftsrechtlichen Veränderungen in der Unternehmensstruktur lösen folglich keinen Betriebsübergang aus, solange sich allein die Beherrschungsmöglichkeiten verschieben,
ohne dass sich bei den Verantwortlichen für das operative Geschäft bzw. den Lenkungsapparat etwas ändert.
Hingegen setzt ein echter Inhaberwechsel nach § 613a BGB voraus, dass der bisherige Inhaber seine wirtschaftliche Betätigung im Betrieb oder bei einem Betriebsteilübergang in diesem Betriebsteil gänzlich einstellt. Erst wenn die Leitungsmacht durch eine andere juristische
oder natürliche Person neu ausgeübt wird, kann sich ein Betriebsübergang nach § 613a
BGB vollziehen.196
Die Anwendung der Regeln des Betriebsübergangs nach § 613a BGB ist auch zu verneinen,
wenn eine gesellschaftsrechtliche Anwachsung im Sinne des § 738 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt.
In diesen Fällen scheidet ein Gesellschafter aus einer Gesellschaft aus und sein Anteil geht
auf einen anderen oder mehrere andere Gesellschafter über. Wird durch den gesellschaftsrechtlichen Vorgang die betriebliche Ebene nicht tangiert, erlischt vor allem die Identität des
Betriebsinhabers nicht, kommt § 613a BGB nicht zur Anwendung.197
195
BAG v. 14.08.2007 – 8 AZR 803/06, NZA 2007, 1428;
LAG Düsseldorf v. 27.11.2014 – 15 Sa 383/14.
196
BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 301/97, NZA 1998, 715.
197
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815.
59
Zusammenfassender Überblick
Merkmale eines
Inhaberwechsels
Übernahme tatsächlicher
Leitungsmacht
Gesellschaftsrechtliche
Stellung
(+)
(-)
3. Grenzüberschreitender Wechsel des Inhabers
Die Übertragung von Betrieben vom Veräußerer auf einen Erwerber stellt kein Ereignis dar,
das auf die nationalen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist.
a) Übergang innerhalb der Europäischen Union
Kommt es zu einem Wechsel des Arbeitgebers aufgrund eines Betriebsübergangs in den
Grenzen der Bundesrepublik, gilt § 613a BGB uneingeschränkt.
Praxishinweis: Eine erhebliche räumliche Entfernung zwischen der alten Betriebstätte des
Veräußerers und der neuen des Erwerbers kann die Wahrung der Identität zweifelhaft erscheinen lassen.198 Dies insbesondere dann, wenn landestypische Einflüsse den betrieblichen Zweck beeinflussen, im Zweifel gänzlich ändern.
b) Übergang außerhalb der Europäischen Union
Betriebsübergänge machen nicht an den Grenzen Deutschlands oder den Grenzen Europas
Halt. Ein Betriebsübergang nach § 613a BGB erfolgt dann ins Ausland, falls erstens die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen und zweitens der Erwerber dort ansässig ist.199
Das deutsche Recht greift aber nur ein, wenn der Veräußerer seinen Sitz in der Bundesrepublik hat.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die betroffenen Arbeitnehmer zwingend im Ausland arbeiten müssen. Denn sie sind bis auf wenige vertraglich geregelte Ausnahmen nicht verpflichtet,
die Arbeitsleistung an einem ausländischen Standort zu erbringen. Ist folglich ein Betriebsübergang ins Ausland zu bejahen, kann der Arbeitnehmer folgen, muss aber nicht. Weigert
er sich, dem Übergang zu folgen, wird seine entsprechende Erklärung als Widerspruch im
Sinne des § 613a Abs. 6 BGB zu bewerten sein.
198
199
BAG v. 26.05.2011 – 8 AZR 37/10.
BAG v. 25.05.2000 – 8 AZR 335/98.
60
Der Widerspruch hat dann zur Konsequenz, dass der Veräußerer das Arbeitsverhältnis
mangels Beschäftigungsmöglichkeit betriebsbedingt kündigen kann.200 Etwas anderes ergibt
sich nur dann, wenn lediglich ein Teilbetriebsübergang ins Ausland vorgelegen hat. Dann
sind beim Abbau von Arbeitsplätzen die Grundsätze der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3
KSchG zu berücksichtigen.
Lediglich bei nicht dem deutschen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnissen eines deutschen Betriebes entscheidet sich die Frage der Fortgeltung der Arbeitsverträge beim Betriebsübergang nicht nach § 613a BGB, sondern das entsprechende internationale Recht ist
maßgeblich.
Fraglich ist, ob bei einem transnationalen, aber noch europäischen Betriebsübergang § 613a
BGB zum Schutz der Arbeitnehmer anzuwenden ist oder nicht. Die gleiche Frage stellt sich
auch, wenn die Übertragung des Betriebes oder Betriebsteils sogar noch über die Grenzen
der Europäischen Union hinausgeht. § 613a BGB sagt selbst nichts dazu aus, welches
Recht bei einer grenzüberschreitenden Betriebsübertragung zur Anwendung gelangt.
Bei einem Betriebsübergang ist zu unterscheiden zwischen dem Rechtssystem, welches den
Übertragungsvertrag betrifft und dem, welches auf den Inhalt der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitsverträge zur Anwendung gelangt. Beide Rechtsfragen sind grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten.
Für die Übertragung des Betriebes oder Betriebsteiles ist die Lösung im internationalen Privatrecht zu suchen. Dieses wird beherrscht vom Grundsatz der freien Rechtswahl201. Daher
können die Vertragspartner darüber entscheiden, ob sie das Vertragsverhältnis dem deutschen oder einem bestimmten ausländischen Recht unterwerfen wollen. Die normative
Grundlage der freien Rechtswahl ist in Art. 3 Rom I niedergelegt.
Beispiel:
Eine Firma stellt PVC-Fußbodenplatten in Berlin her. Das Unternehmen entlässt alle Arbeitnehmer und verkauft den Maschinenpark an ein französisches Unternehmen, welches in Lyon
mit den Maschinen die Produktion der Fußbodenplatten fortführt. Hier ist ein Betriebsübergang
zu bejahen. Die Konsequenz des Betriebsüberganges ist, dass die dem deutschen Arbeitsrecht
unterliegenden Arbeitsverhältnisse auf den ausländischen Betriebserwerber übergehen. Dieser
Übergang ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang widerspricht.
Anders ist die Situation im Arbeitsrecht. Im Regelfall werden auf in Deutschland geschlossene Verträge deutsche Rechtsnormen angewendet. Diese Rechtsfolge steht entweder ausdrücklich im Arbeits- bzw. Anstellungsvertrag oder wird als Ergebnis den Umständen der Arbeitsleistung entnommen. Denn diese wird regelmäßig in den deutschen Betrieben erbracht.
Die Konsequenz daraus ist, dass § 613a BGB auf eine Betriebsverlagerung ins Ausland anwendbar ist und alle Rechte und Pflichten der Arbeitsverhältnisse regelt.202
Denn der Tatbestand und die Rechtsfolgen des Betriebsübergangs gelten nach der Regelanknüpfung des alten § 30 EGBGB auch bei Betriebsveräußerungen ins Ausland.203 Die
Entscheidung des LAG hat immer noch Bestand, da nach Wegfall des EGBGB nunmehr
Art. 8 Rom I bestimmt, dass die freie Rechtswahl nicht dazu führen darf, dass dem Arbeitnehmer zwingende Rechte entzogen werden können.
200
LAG Düsseldorf v. 11.01.2011 – 17 Sa 828/10.
BAG vom 20.04.1989 – 2 AZR 431/88, NZA 1990, 32; Feudner, NZA 1999, 1184.
202
BAG v. 26.05.2011 – 8 AZR 792/09.
203
LAG Baden-Württemberg v. 17.09.2009 – 11 Sa 39/09, ZIP 2010, 388.
201
61
Im Ergebnis findet danach das Recht Anwendung, wo sich die wesentliche Hauptleistung
aus dem Arbeitsvertrag vollzieht. Dies ist regelmäßig das Recht am Arbeitsort.
Wenn Betriebe oder Betriebsteile außerhalb der genannten Grenzen übertragen werden, gilt
daher Folgendes:
 Das Recht des Betriebsüberganges findet immer dann nach § 613a BGB statt, wenn
ein Betrieb oder Betriebsteil von Deutschland in einen Drittstaat übertragen wird. Dabei
ist es wegen Art. 8 Rom I unerheblich, ob die Übertragung innerhalb der Grenzen der
Europäischen Union oder darüber hinaus stattfindet.204
 Wird ein Betrieb oder Betriebsteil von einem Drittstaat in die Europäische Union hinein
oder nach Deutschland übertragen, findet für die ausländischen Arbeitnehmer, deren
Betrieb oder Betriebsteil übertragen worden ist, kein Schutz des Rechts des Betriebsüberganges statt.
 Zwar steht die Verlagerung eines Betriebes ins Ausland der Anwendung des § 613a
BGB nicht entgegen, die Wahrung der Identität zwischen dem in Deutschland liegenden Veräußerer- und dem im Ausland liegenden Erwerberbetrieb kann aber durch eine
erhebliche räumliche Distanz zwischen der alten und der neuen Betriebstätte aufgehoben werden.205
Zusammenfassender Überblick
Betriebsübergang
außerhalb Deutschlands
bei Übergang von
Deutschland bzw. der
EU heraus
bei Übergang nach
Deutschland bzw. der
EU hinein
(+)
(-)
204
LAG Baden-Württemberg v. 17.09.2009 – 11 Sa 30/09, ZIP 2010, 388, ohne Begründung auch
BAG v. 20.04.1989 – 2 AZR 431/88, NZA 1990, 32.
205
BAG v. 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 1990, 32.
62
IX. Übergang durch Rechtsgeschäft
Der Tatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass der Betrieb oder der Betriebsteil durch „Rechtsgeschäft“ auf den Erwerber übergeht.
Das Merkmal „Rechtsgeschäft“ in § 613a BGB bringt zum Ausdruck, dass auch bei einer
Einzelrechtsnachfolge, also der Übertragung eines Betriebes oder Betriebsteils durch konkrete „vertragliche“ Absprachen, der Übergang der betroffenen Rechtsverhältnisse und damit
der Schutz der Arbeitnehmer sichergestellt wird. Da bei einer Gesamtrechtsnachfolge wie einem Erbfall206 die betroffenen Rechtsverhältnisse automatisch übergehen, war eine identische gesetzliche Regelung erforderlich, um auch bei der Einzelrechtsnachfolge ein vergleichbares Ergebnis zu erzielen.
Daher sollte das Tatbestandsmerkmal „Rechtsgeschäft“ den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht einschränken, sondern ihn lediglich gegenüber den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge abgrenzen.
1. Rechtsgeschäft als Rechtsgrundlage
Der Normtext des § 613a BGB ist missverständlich. Auf ein Rechtsgeschäft im vertragsrechtlichen Sinn ist nicht abzustellen.207 Zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals „durch Rechtsgeschäft“ ist es vielmehr ausreichend, dass unter Wahrung des Funktions- und Zweckzusammenhangs wesentliche sächliche oder immaterielle Betriebsmittel oder Teile der Belegschaft oder die Know-How-Träger auf den Erwerber übergehen. Dies zeigt, dass die vertragliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehung zwischen Erwerber und Veräußerer ohne Bedeutung ist. Es reicht aus, dass der Erwerber die tatsächliche Leitungsmacht im erworbenen Betrieb oder Betriebsteil erlangt. Ferner muss er gewillt sein, den betrieblichen Zweck fortzuführen. Nicht notwendig ist, dass der Erwerber auch Eigentum an den Betriebsmitteln erlangt.208
Dennoch ist in der Regel davon auszugehen, dass die Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen auf vertraglichen Absprachen zwischen Veräußerer und Erwerber beruht. Der
Tatbestand des § 613a BGB konkretisiert solche vom Betriebsübergang erfassten Rechtsgeschäfte nicht näher. Daher können sowohl das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft als
auch ein mögliches dingliches Verfügungsgeschäft als Rechtsgeschäft im Sinne des § 613a
BGB anzusehen sein.
a) Art des Rechtsgeschäfts
Im Ergebnis muss im Rahmen des § 613a BGB ein Rechtsgeschäft geschlossen sein, welches einen Übergang des Betriebes zur Folge hat. Aus diesem Grund hängt die Bedeutung
des „Rechtsgeschäfts“ entscheidend davon ab, welche Voraussetzungen für den Übergang
des Betriebes erfüllt sein müssen.
Das Rechtsgeschäft muss nicht zwischen Veräußerer und Erwerber geschlossen werden.
Insbesondere in dreiseitigen Vertragsbeziehungen, die die Erbringung von Dienstleistungen
beinhalten, findet regelmäßig keine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen „Veräußerer“ und „Erwerber“ statt.209 So z. B. bei Kündigung oder Fristablauf eines Bewachungs- oder
Cateringvertrages und entsprechendem Neuabschluss.
206
Siehe unten Kapitel A, IX. 4.
Staudinger, Annuß, § 613a BGB, Rn. 107.
208
BAG v. 31.08.2008 – 8 AZR 2/07, NZA 2009, 1232.
209
BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
207
63
Veräußert ein Konzern eine Sparte (Teilbetrieb), in der eine bestimmte Dienstleistung erbracht wird, kann er selbst dann Veräußerer im Rahmen eines Betriebsübergangs nach
§ 613a BGB sein, wenn er selbst nicht die vertragliche Arbeitgeberfunktion für die ständig tätigen Arbeitnehmer hat.210
Beispiel:
In einem Industriepark, der aus einer Reihe konzerngebundener Unternehmen besteht, veräußert die Konzernmuttergesellschaft ein Tochterunternehmen, das sich um das FacilityManagement kümmert. Hier ist bei der Übertragung von Mitarbeitern und sonstigen Betriebsmitteln ein Betriebsübergang trotz der Tatsache zu bejahen, dass die Mitarbeiter über keinen Konzernarbeitsvertrag verfügen.
Da die tatsächliche Leitungs- und Nutzungsmöglichkeit, also der Übergang der Herrschaftsmacht, für den Betriebsübergang entscheidend ist, ist es mit Sinn und Zweck des § 613a
BGB nicht zu vereinbaren, als Rechtsgeschäft nur die schuldrechtlichen Absprachen gelten
zu lassen. Sowohl Gesetzeszweck als auch Gesetzestext sprechen dagegen. Vor allem
knüpft § 613a BGB, insbesondere dessen Rechtsfolgen in Abs. 2, an den Betriebsübergang
als Übernahme der tatsächlichen Leitungsmacht an. Diese steht im originären Zusammenhang mit dem dinglichen Rechtsgeschäft.
Aus diesem Grund ist als Rechtsgeschäft im Sinne des § 613a BGB sowohl das schuldrechtliche als auch das dingliche Rechtsgeschäft zu verstehen, sofern durch einen der Verträge
der Betriebsübergang als Übertragung der Leitungsmacht erfolgt.211
Letztlich besteht das in § 613a BGB vorausgesetzte Rechtsgeschäft in der Einigung des bisherigen Inhabers (Veräußerer) mit dem neuen Inhaber (Erwerber), dass Letzterer die Verfügungsgewalt über den Betrieb oder den Betriebsteil erhält. Hat die Leitungsmacht bereits tatsächlich gewechselt und wird hinterher – gleichsam bestätigend – ein Vertrag geschlossen,
der das tatsächliche Verhalten legitimieren soll, kommt es für die Bejahung des Betriebsübergangs auf den Zeitpunkt der Übernahme der tatsächlichen Leitungsmacht an. Das im
Nachhinein geschlossene Rechtsgeschäft ist für den Zeitpunkt des Betriebsübergangs ohne
Bedeutung.
Wechselt ein Arbeitnehmer durch einen zwei- (zwischen AN und BQG) oder dreiseitigen
(zwischen AN, BQG und Agentur für Arbeit) Vertrag vom Veräußererbetrieb in eine Beschäftigungs- und/oder Qualifizierungsgesellschaft (BQG) und wird ihm dabei nicht der Wechsel in
den Erwerberbetrieb in Aussicht gestellt, liegt kein Fall der vertraglichen Umgehung des
§ 613a BGB vor.212
b) Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts
Im Ergebnis sind folglich geringe Anforderungen an den Inhalt und die Form des der Übertragung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts zu stellen. Weiter ist zu fragen, inwieweit die
Beteiligten in der Lage sein müssen, am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilzunehmen. Geht
dabei der Schutzzweck des § 613a BGB weiter, als er im BGB für sonstige Verträge vorgesehen ist? So führen z. B. die Regeln der §§ 104 ff. BGB zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts; fraglich ist, ob es beim Betriebsübergang zu einer Privilegierung kommen kann, weil
dies der Schutz der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer erfordert.
210
EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09.
Soergel-Raab, § 613a Rn. 52.
212
Hessisches LAG v. 10.06.2013 – 16 Sa 1492/12.
211
64
Nach der Rechtsprechung kommt ein Übergang der Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer auf den Erwerber selbst dann in Betracht, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft an der fehlenden oder beschränkten Geschäftsfähigkeit des Erwerbers scheitert.
Entgegen der allgemeinen Systematik des Zivilrechts kommt es dann zu einem Betriebsübergang kraft Rechtsgeschäft, wenn der Erwerber den Betrieb übernommen und tatsächlich
fortgeführt hat.213 Insoweit ist der Schutz des § 613a BGB vorrangig zu den Kontrahierungsvorschriften des BGB. Auch die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung für die Kaufpreiszahlung steht der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts i. S. d. § 613a BGB nicht entgegen,
wenn die tatsächliche Leitungsmacht später übergeht.214
Beispiel:
Zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber wird ein Vertrag geschlossen, nach dem ein
Grundstück mit Gebäude und Produktionseinrichtungen veräußert werden soll. Der Vertrag wird
unter der Bedingung geschlossen, dass das Gutachten eines Wirtschaftsprüfers einen bestimmten im Vertrag festgelegten Wert bestätigt. Noch vor Abschluss der Arbeiten des Gutachters
übernimmt der Erwerber die tatsächliche Leitungsmacht durch Anweisungen des eingesetzten
Geschäftsführers und weiterer betrieblicher Vorgesetzter gegenüber den Arbeitnehmern.
Da es allein auf die Übernahme der tatsächlichen Leitungsmacht ankommt, ist es im Rahmen des § 613a BGB folglich nicht von Bedeutung, ob das den Übergang der Leitungsmacht
legitimierende Rechtsgeschäft wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit des Veräußerers oder
des Erwerbers unwirksam ist. Daher steht dem Betriebsübergang die Unwirksamkeit oder
gar die Anfechtbarkeit des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts nicht entgegen.215 Dieses
Ergebnis begründet sich damit, dass es sich bei der Übernahme des Betriebs oder Betriebsteils um einen rein tatsächlichen Vorgang handelt, der aus der Übertragung der Leitungsmacht zu schließen ist.
c) Einzelne Rechtsgeschäfte
Als Grundlage eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs kommen in Betracht:
 der Kaufvertrag eines Betriebes oder Betriebsteils (auch bei Insolvenz eines Betriebes216),
 der Schenkungsvertrag217,
 der Abschluss eines Mietvertrages, wenn der Mieter die tatsächliche Nutzungsbefugnis
erlangt und den wirtschaftlichen Zweck fortführt,
 der Abschluss eines Pachtvertrages, wenn der Pächter die Nutzungsbefugnis erlangt
und den betrieblichen Zweck fortführt218,
 die Bestellung eines Nießbrauchs an einem einzelnen Gegenstand des Betriebes, der
jedoch für den Betrieb oder den Betriebsteil wesentlich ist,
 der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages, der zur Überlassung eines Betriebs- oder
Betriebsteils als Sacheinlage verpflichtet219 oder
213
BAG v. 06.02.1985 – 5 AZR 411/83, NZA 1985, 735; LAG Hamm v.17.02.2000 – 4 Sa 1150/99.
BAG v. 13.12.2007 – 8 AZR 1107/06, DB 2008, 1161.
215
BAG v. 06.02.1985 – 5 AZR 411/83, NZA 1985, 735.
216
BAG v. 13.11.1986 – 2 AZR 711/85, NZA 1987, 458.
217
Schaub, § 117, Rn. 31.
218
BAG v. 15.11.1978 – 5 AZR 199/77, DB 1979, 702.
219
Schaub, § 117, Rn. 31.
214
65
 die vertragliche Übernahme von Geräten, deren Eigentum an eine Bank zur Sicherheit
übereignet worden ist, mit eigener Nutzungsmöglichkeit220.
Als Grundlage eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs kommt nicht in Betracht:
 die Anwachsung gem. § 738 BGB, also wenn nach Austritt aller Gesellschafter aus einer Personengesellschaft der verbleibende Gesellschafter Alleineigentümer wird. Denn
in diesem Fall liegt keine Einzel- sondern eine Gesamtrechtsnachfolge vor,221
 ferner jede andere Form der Gesamtrechtsnachfolge.222
Im Ergebnis hindert auch ein vereinbartes Rücktrittsrecht zugunsten des Erwerbers das Eintreten der Rechtsfolgen des Betriebsübergangs nicht. Kommt es daher vor Ausübung des
Rücktritts zum Erwerb und zur Nutzung der Betriebsmittel durch den Erwerber, ist der Tatbestand des § 613a Abs. 1 BGB erfüllt.223 Der Schutz der betroffenen Arbeitsverhältnisse ist
durch die Möglichkeit des Erwerbers, durch die tatsächliche Sachmittelherrschaft den Betrieb
beeinflussen zu können, begründet.
d) Disposition der Parteien
Der Wortlaut und der Schutzzweck des § 613a BGB gebieten es, dass mittels Rechtsgeschäft die Rechtsfolgen des § 613a BGB nicht abbedungen werden können. Dies gilt sowohl
für Vereinbarungen zwischen dem Erwerber und dem Veräußerer als auch für solche zwischen Veräußerer und den betroffenen Arbeitnehmern.224
Die einzige Ausnahme ist das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gem. § 613a Abs. 6
BGB zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der Übergang des Betriebes bereits vollzogen hat.
2. Bedeutung des Übertragungswillens
Neben der Frage der Geschäftsfähigkeit stellt sich die weitere Frage, ob sich die Übertragung vom Veräußerer auf den Erwerber willensgesteuert vollziehen muss. Zu denken ist an
den Willen des Veräußerers, den Betrieb zu übertragen, den Willen des Erwerbers, den Betrieb fortzuführen, letztlich den Willen beider Parteien, miteinander ein Übertragungsgeschäft
einzugehen.
a) Geschäftswille
Ob mit dem Rechtsgeschäft überhaupt beabsichtigt ist, einen Betriebsübergang herbeizuführen, ist für die Beurteilung des Rechtscharakters unerheblich.225 Auch die Rechtsprechung
des EuGH verlangt nicht die Kausalität des Rechtsgeschäfts für den Betriebsübergang, d. h.
die Übernahme und die Fortführung des betrieblichen Zwecks durch den Betriebserwerber.
Ausreichend ist es, dass die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber dem Mitarbeiter eingeht, im Rahmen der
vertraglichen Beziehung wechselt.226
220
BAG v. 03.07.1980 – 3 AZR 1077/78, BB 1981, 1466.
BGH v. 08.11.1965 – II ZR 223/64, NJW 1966, 499.
222
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, DB 2008, 1578.
223
BAG v. 20.03.2014 – 8 AZR 1/13, BB 2014, 2430; v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 579.
224
BAG v. 20.10.1975 – 5 AZR 444/74, DB 1976, 391.
225
LAG Thüringen v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121.
226
EuGH v. 19.05.1992 – C-29/91, NZA 1994, 207.
221
66
Dies bedeutet im Ergebnis, dass es auch dann zu einem Betriebsübergang kommen kann,
wenn zwischen Veräußerer und Erwerber überhaupt keine willensgesteuerte Absprache zur
Übertragung besteht.227
Dass kein aktueller Geschäftswille vorhanden sein muss, belegt ferner der Fall des Ablaufs
eines Pachtvertrages. Einigen sich Verpächter und Pächter auf die Rückgabe der Pachtsache nach einer bestimmten Zeit, fällt diese nach Ablauf der Frist an den Verpächter zurück. Der Ablauf des Pachtvertrages mit Rückgabe der verpachteten Mittel stellt nur dann einen Betriebsübergang dar, wenn der Verpächter gewillt ist, den betrieblichen Zweck fortzuführen. Allein der Rückfall der Betriebsmittel reicht hierfür jedoch nicht aus.
Beispiel:
Schließt der Verpächter mit einem Dritten einen neuen Pachtvertrag und gehen die Betriebsmittel auf diesen als neuen Pächter über, liegt bei Fortführung des betriebstechnischen Zwecks ein
Betriebsübergang unmittelbar vom Vorpächter vor. Dieser findet nicht im „Dreiecks-Verhältnis“
statt. Vielmehr kommt es direkt zu einem Betriebsübergang der Rechtsverhältnisse vom ehemaligen Pächter auf den neuen Pächter, auch ohne dass ein entsprechender Geschäftswille vorliegt. So z. B. wenn eine Gaststätte mit Inventar, einer Küche oder einem Biergarten, übertragen
wird.
Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der neue Pächter seine Rechtsposition nicht vom ehemaligen Pächter, sondern vom Verpächter ableitet.228 Dies ist vielfach bei der Nutzung von Betriebsmitteln der Fall.
Würde man in diesen Fällen annehmen, dass der Betriebsübergang sich über das „Dreieck“
aus altem Pächter, Verpächter und neuem Pächter vollzieht, hätte dies nur zur Konsequenz,
dass ein weiterer Haftender im Sinne des § 613a Abs. 2 BGB vorhanden ist. Dieses Ergebnis wäre jedoch unbillig, da der Verpächter nicht gewillt ist, den betrieblichen Zweck fortzusetzen. Daher muss seine Haftung aus der Durchführung des betrieblichen Zwecks ausscheiden.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verpächter selbst die Absicht hatte, den betrieblichen
Zweck zunächst fortzuführen, diesen Willen aber dann zugunsten einer weiteren Verpachtungsmöglichkeit aufgibt. In diesen Fällen ist der Betriebsübergang über das „Dreieck“ anzunehmen.
Nur in den Fällen, in denen der Verpächter den Betrieb stilllegen will, findet kein Betriebsübergang statt, der ehemalige Pächter ist berechtigt, die Rechtsverhältnisse ordnungsgemäß
zu kündigen.229
b) Fortsetzungswille
Eine Willensübereinstimmung zwischen Erwerber und Veräußerer, die kausal für den Betriebsübergang ist, braucht nicht vorzuliegen. Etwas anderes gilt bezüglich des Willens des
Erwerbers, den mit dem Betrieb oder Betriebsteil beabsichtigten Zweck fortzusetzen. Die ihm
zugeflossene Leitungsmacht muss er bewusst einsetzen, um die Geschicke der übernommenen Einheiten zu lenken. Ohne Willen oder gegen den Willen des Erwerbers ist das nicht
möglich.
227
BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29.
Soergel-Raab, § 613a BGB, Rn. 56.
229
Müller-Glöge, Münchener Kommentar, § 613a BGB, Rn. 48, 61.
228
67
c) Übertragungswille
Der Veräußerer braucht hingegen nicht den Willen zu haben, den Betrieb oder Betriebsteil
auf den Erwerber zu übertragen. Willensgesteuert muss jedoch der Entschluss des Erwerbers sein, das Objekt selbst weiterführen zu wollen. Hinzutreten muss ferner der Wille, den
Betrieb nicht stilllegen, sondern veräußern zu wollen. Fehlt dieser Übertragungswille, ist ein
Betriebsübergang auszuschließen. Dies gilt vor allem dann, wenn jemand einen Betrieb oder
Betriebsteil gegen den Willen des ehemaligen Inhabers übernommen hat.
Beispiel:
Der Betrieb ist durch eine Mehrzahl von Arbeitnehmern besetzt worden, die die Leitungsmacht
ausüben. Da der Inhaber des Unternehmens nicht den Willen hat, den Betrieb oder Betriebsteil
auf Personen zu übertragen, die eine rechtswidrige Betriebsbesetzung begehen, ist das Bestehen eines Übertragungswillens zu verneinen. Ein Übergang des Betriebes auf die Betriebsbesetzer nach § 613a BGB kommt nicht in Betracht. Zieht sich der Inhaber zu einem späteren
Zeitpunkt tatsächlich zurück und übergibt er die Leitungsmacht tatsächlich an die Personen, die
die Besetzung anführen, geht der gesamte Betrieb über, sobald über die Absicht der Besetzung
hinaus ein Fortführungswille erkennbar ist.
Zusammenfassender Überblick
Betriebsübergang durch
Rechtsgeschäft
Vertragliche
Beziehung
zwischen
Veräußerer und
Erwerber
Ohne direkte
Beziehung
zwischen
Veräußerer und
Erwerber
Fortsetzungswille zumindest
beim Erwerber
(z. B. Verpachtung)
3. Gesellschaftsrechtlicher Betriebsübergang
Rechtsgeschäfte im Rahmen des § 613a BGB orientieren sich meist an den zivilrechtlichen
Vorschriften. Kaufverträge richten sich nach dem allgemeinen Zivilrecht, also nach §§ 433 ff.
BGB. Die dingliche Übertragung erfolgt bei Sachen nach § 929 BGB und bei einer Forderung
nach §§ 398 ff. BGB.
Bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen nimmt die gesellschaftsrechtliche
Veränderung eine Sonderstellung ein. Eine gesellschaftsrechtliche Nachfolgeregelung, die
sich kraft Rechtsgeschäft vollzieht, liegt vor, wenn wie z. B. bei einer Verschmelzung das
Vermögen eines Rechtsträgers in einem Akt als Ganzes auf einen neuen Rechtsträger übergeht.
Gleiches gilt für die Spaltung von Unternehmen, ferner für die Vermögensübertragung. Das
zugrunde liegende Rechtsgeschäft ist jeweils der Verschmelzungs-, der Spaltungs- bzw. der
68
Übernahmevertrag, folglich Rechtsgeschäfte, die in § 324 Umwandlungsgesetz (UmwG) geregelt sind.
Nach § 324 UmwG bleiben § 613a Abs. 1 und Abs. 4 – 6 BGB durch die Wirkungen der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt. Schutzzweck der Norm ist es, die von den primär gesellschaftsrechtlich relevanten Vorgängen betroffenen Arbeitnehmer nicht schutzlos zu stellen. Wird durch ein gesellschaftsrechtliches
Rechtsgeschäft im Sinne des Umwandlungsgesetzes das Unternehmen verändert, soll der
Arbeitnehmerschutz dem Niveau entsprechen, welches den Arbeitnehmern zuteilwird, die
von einem sonstigen Betriebsübergang betroffen sind.
Inhaltlich bedeutet die Anwendung des § 324 UmwG, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, wie die Rechtsfolgen, auch im Umwandlungsfall zu prüfen sind.230 Mit dieser Entscheidung hat die Rechtsprechung die alte Frage, ob § 324 UmwG einen Rechtsgrund- oder
einen Rechtsfolgenverweis beinhaltet, dahin gehend beantwortet, dass eine Rechtsgrundverweisung vorliegt, also dass Tatbestand und Rechtsfolgen zu prüfen sind. Dies bedeutet,
Rechtsgeschäft und Betriebsinhaberwechsel, ferner die Fortführung des betrieblichen
Zwecks, müssen unter Beibehaltung des betrieblichen Funktions- und Zweckzusammenhangs auch in Fällen der Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung vorliegen.
Zu beachten ist, dass das UmwG den handelnden Parteien vorschreibt, in den der Umwandlung zugrunde liegenden Vertrag als Verpflichtung aufzunehmen, die betroffenen Arbeitnehmer und deren Vertretungen über die Folge der Umwandlung zu informieren. Dies ist eine
Pflicht, die ähnlich der aus § 613 Abs. 5 BGB ausgestaltet ist. Konkrete Vorgaben sind nicht
vorhanden, weder sind der genaue Inhalt noch die Person des Verpflichteten genannt. Hier
wird man auf die Ausführungen im Zusammenhang mit § 613a Abs. 5 BGB verweisen müssen.231
Praxishinweis: Die Anwendung des § 613a BGB in Umwandlungsfällen ergibt sich auch aus
dem Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 28.10.1994.232 Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber von einer Geltung des § 613a BGB in den
Fällen der Umwandlung ausgeht.233 Die Anwendung des § 613a BGB auf Fälle der Umwandlung entspricht auch europäischen Vorgaben, nämlich der Richtlinie 77/187 EWG, die in Art.
1 Abs. 1 ausdrücklich auch die Verschmelzung als gesellschaftsrechtliche Handlungsform
einbezieht.
a) Formen der Umwandlung
Nach dem UmwG sind im Wesentlichen vier Formen der Umwandlung zu unterscheiden. Der
Formwechsel nach §§ 190 - 304 UmwG ist für die Frage des Vorliegens eines Betriebsüberganges irrelevant.
aa) Verschmelzung
Bei der Verschmelzung gem. § 2 UmwG werden entweder durch Neugründung zwei oder
mehrere Rechtsträger zu einem neu zu gründenden Rechtsträger oder durch Aufnahme eines oder mehrerer Rechtsträger zu einem bereits bestehenden Rechtsträger verschmolzen.234 Die Unternehmen, die in das neue Unternehmen aufgehen, lösen ihre alte Rechts230
BAG v. 25.05.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115.
Siehe zu § 613a BGB Kapitel B, V.
232
Soergel-Raab, § 613a BGB, Rn. 173.
233
Regierungsentwurf, BT-Drucksache 12/6699, S. 87, 118.
234
Lutter in Lutter, § 2 UmwG, Rn. 26.
231
69
form und Eigenständigkeit auf. Der Fortbestand aller alten Unternehmen, die an dem Vorgang beteiligt sind, kann nicht wirksam vereinbart werden.
bb) Spaltung
Die Spaltung kann als Aufspaltung oder als Abspaltung erfolgen. Bei der Aufspaltung gem.
§ 123 Abs. 1 UmwG überträgt ein Rechtsträger unter Selbstauflösung sein gesamtes Vermögen auf mehrere neu zu gründende Rechtsträger, die das jeweilige Teilvermögen übernehmen.
Bei der Abspaltung gem. § 123 Abs. 2 UmwG sind ebenfalls zwei Durchführungswege denkbar. Zum einen kann ein Rechtsträger einen Teil seines Vermögens auf ein Drittunternehmen übertragen, wobei das abgeteilte Vermögen in den bereits bestehenden Rechtsträger
voll integriert wird. Ferner ist es möglich, dass aus dem abgespaltenen Teilvermögen ein
neuer selbstständiger Rechtsträger gegründet wird. In beiden Fällen bleibt die selbstständige
Stellung des abgebenden Unternehmens als eigenständiger Rechtsträger erhalten.235
cc) Ausgliederung
Ähnlich wie die Abspaltung vollzieht sich die Ausgliederung gem. § 123 Abs. 3 UmwG. Allerdings gelangen die als Gegenwert gewährten Anteile oder Mitgliedschaften unmittelbar in
das Vermögen des übertragenen Rechtsträgers und nicht an dessen Anteilsinhaber. Damit
vollzieht sich die Ausgliederung allein auf der Rechtsträgerebene.236
dd) Vermögensübertragung
Bei der Vermögensübertragung gem. § 174 Abs. 1 UmwG wird entweder das Vermögen als
Ganzes oder gem. § 174 Abs. 2 UmwG ein Teil des Vermögens auf einen dritten bereits bestehenden oder neu zu gründenden Rechtsträger übertragen.237 Der eigentliche Unterschied
besteht in der an die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers zu erbringenden Gegenleistung. Diese besteht in der Regel in einer Geldzahlung.
b) Umwandlung und Betriebsübergang
Allein gesellschaftsrechtlich relevantes Verhalten hat noch keine arbeitsrechtliche Auswirkung. Weder werden kollektivrechtlich die Strukturen und Kompetenzen nach dem Betriebsverfassungsrecht noch individualrechtlich die Zuordnung der Arbeitsverhältnisse, also der
Arbeitnehmer, geändert. So ist der Abschluss eines Spaltungsvertrages weder eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG noch ein Betriebsübergang nach § 613a BGB. Zunächst wird
nur die vermögensrechtliche Zuordnung von Betrieben und Betriebsteilen geändert.
Arbeitsrechtlich ändert sich die Sachlage erst dann, wenn Betriebsleitungen installiert werden, die mit eigener Kompetenz für den neuen Betrieb ausgestattet sind. Die tatsächliche
Ausübung der Leitungsmacht durch die Inanspruchnahme des Direktionsrechts nach § 106
GewO bildet den Betriebsübergang.
Beispiel:
Ein vermögensrechtlich gespaltener Betrieb gilt arbeitsrechtlich nach dem BetrVG weiter als ein
Betrieb, solange die Entscheidungsstrukturen unangetastet bleiben. Ansprechpartner und betriebsverfassungsrechtlicher Kontrapart bleibt der Inhaber des Betriebes. Für die Arbeitnehmer-
235
Teichmann in Lutter, § 123 UmwG, Rn. 23.
Teichmann in Lutter, § 123 UmwG, Rn. 26.
237
Schmidt in Lutter, § 174 UmwG, Rn. 2, 5, 14.
236
70
vertretung ist die neue Rechtsperson so lange nicht existent, bis sie arbeitsrechtlich (z. B. durch
Übernahme der tatsächlichen Leitungsfunktion) in Erscheinung tritt.
Zusammenfassender Überblick
Formen der
Unternehmensumwandlung
Verschmelzung
Spaltung
§ 2 UmwG
§ 123 UmwG
Vermögensübertragung
§ 174 Abs. 1 UmwG
(übertragender Rechtsträger
erlischt)
Aufspaltung
Abspaltung
Ausgliederung
§ 123 Abs. 1 UmwG
§ 123 Abs. 2 UmwG
§ 123 Abs. 2 UmwG
Übertragung des
Vermögens unter
Auflösung des
übertragenden
Rechtsträgers
Übertragung des
Teilvermögens auf
bestehenden oder neu
gegründeten
Rechtsträger
Übertragung der
Anteile oder Mitgliedschaften unmittelbar in
das Vermögen des
übertragenen
Rechtsträgers
(allein
Rechtsträgerebene)
4. Erbfall als Gesamtrechtsnachfolge
Das Tatbestandsmerkmal, dass der Betrieb oder der Betriebsteil durch Rechtsgeschäft
übergehen muss, ist als negatives Abgrenzungsmerkmal zum Betriebsübergang kraft Gesamtrechtsnachfolge zu verstehen. Es soll zum Ausdruck gebracht werden, dass § 613a
BGB nicht die Fälle erfasst, bei denen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Rechtsgüter
übertragen werden.
Bei einer Gesamtrechtsnachfolge tritt ein neuer Rechtsträger kraft Gesetzes an die Stelle
des bisherigen Rechtsträgers. Das Vermögen geht als Ganzes in einem Rechtsakt auf den
neuen Rechtsträger über.
In der Praxis ist dies vor allem durch Eintritt des Erbfalls möglich. Gem. § 1922 BGB rückt
der Erbe ohne Weiteres in die Rechtsstellung des Erblassers ein.
Im Arbeitsrecht findet dieser Wechsel in der Person des Vertragspartners durch Erbfolge allein auf Arbeitgeberseite statt.
Beispiel:
Erbt der Sohn von seinem Vater einen Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern, ist er automatisch der Arbeitgeber der vertraglich gebundenen Arbeitnehmer.
Geht durch Erbfall ein Unternehmen auf den oder die Erben über, liegt kein Betriebsübergang nach § 613a BGB vor. Etwas anderes kann im Falle eines Vermächtnisses gelten. In
diesen Fällen kommt § 613a BGB regelmäßig zur Anwendung, wenn der neue Inhaber in Erfüllung des Vermächtnisanspruches den Betrieb oder Betriebsteil erhalten hat.
71
5. Übertragung hoheitlicher Aufgaben
Die Tatsache, dass der Betrieb nach § 613a BGB durch Rechtsgeschäft auf den Erwerber
übergehen muss, kann bedeuten, dass der Übergang kraft Gesetzes oder kraft Hoheitsakt
vom Anwendungsbereich ausgeschlossen ist.
a) Übertragung durch Gesetz oder Verwaltungsakt
Bei der Übertragung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe von einem Hoheitsträger auf einen
anderen kommt es darauf an, ob gesetzliche oder vertragliche Beauftragung vorliegt. Erfolgt
die Regelung der Nachfolge durch Gesetz, welches zugleich die Übernahme der betroffenen
Arbeitnehmer regelt, ist ein Betriebsübergang nach § 613a BGB schon deshalb zu verneinen, weil überhaupt keine rechtsgeschäftliche Übertragung vorliegt. 238
Gleiches gilt für die Übertragung durch Hoheitsakt in Form eines Verwaltungsaktes. Dabei ist
egal, ob durch Gesetz oder Verwaltungsakt der Betrieb oder die Arbeitsverhältnisse selbst
übertragen werden.
b) Übertragung durch Vertrag
Anders ist es hingegen, wenn durch öffentlich-rechtliche Verträge Verwaltungsbereiche von
einem Hoheitsträger auf einen anderen oder auf einen Privaten übertragen werden. Im Ergebnis gehen die Rechtsverhältnisse der entsprechenden Mitarbeiter gemäß § 613a BGB
auf den Erwerber über.239
Dies gilt vor allem für Fälle der Privatisierung von Betrieben der öffentlichen Hand. Privatisierung in diesem Sinne ist regelmäßig dann gegeben, wenn die der öffentlichen Hand gehörenden Betriebsmittel auf einen privaten Rechtsträger übertragen werden.240 Im Ergebnis
wird diese Übertragung somit genauso gestellt, als wären zwei private Rechtsträger beteiligt.
Beispiel:
Eine Kommune betreibt die Müllentsorgung der gemeindlichen Haushalte über einen kommunalen Eigenbetrieb, die Müll GmbH. In der Kommune befindet sich eine Müllverbrennungsanlage,
die Verbrennung GmbH, die ebenfalls kommunaler Eigenbetrieb ist. Beschließt die Kommune,
beide GmbHs unter Führung der Müllverbrennung zusammenzulegen und eine einheitliche Gesellschaft zu gründen, würde die Umsetzung des entsprechenden Beschlusses des Kommunalparlaments zum Ergebnis haben, dass ein Betriebsübergang auf die Verbrennung GmbH vorliegen würde.
X. Rechtsmissbräuchliches Verhalten
In § 613a BGB ist der Schutz solcher Arbeitnehmer verankert, deren Betrieb vom alten Arbeitgeber auf einen neuen Arbeitgeber durch Rechtsgeschäft übertragen wird. Da der Arbeitnehmer nicht die Existenzgrundlage verlieren soll, geht automatisch das Rechtsverhältnis
auf den Erwerber über, wenn ein Betriebsübergang i. S. d. § 613a BGB vorliegt.
238
BAG v. 10.05.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1101;
BAG v. 02.03.2006 – 8 AZR 124/05, NZA 2006, 848;
LAG Berlin-Brandenburg v. 20.06.2013 – 26 Sa 349/13.
239
BAG v. 10.05.2012 – 8 AZR 434/11, NZA 2012, 1101;
BAG v. 02.03.2006 – 8 AZR 147/05, NZA 2006, 1105.
240
BAG v. 30.06.1994 – 8 AZR 544/92, NZA 1995, 172.
72
Diesen Schutz soll der Arbeitnehmer nicht verlieren, Umgehungsgeschäfte zu Lasten des
Arbeitnehmers lässt die Rechtsprechung daher nicht zu.
1. Bewusste Vermeidung des Betriebsübergangs
Rechtsmissbräuchlich ist ein Verhalten des Arbeitgebers nur dann, wenn er bei Vorliegen der
Tatbestandsmerkmale des § 613a BGB den gesetzlich zugunsten des Arbeitnehmers vorgesehenen Schutz vereitelt. Unzulässig sind daher Maßnahmen, die bezwecken, den Übergang des Rechtsverhältnisses als gesetzlich angeordnete Rechtsfolge zu vereiteln, obwohl
alle Voraussetzungen vorliegen.
Anders zu beurteilen ist die Sachlage, wenn der Arbeitgeber als Veräußerer des Betriebes
Transaktionen so gestaltet, dass erst gar kein Betriebsübergang entsteht.241 Denn der Arbeitgeber ist grundsätzlich befugt, Rechtsvorgänge so zu planen und auch abzuwickeln,
dass die Regeln des Betriebsübergangs erst überhaupt nicht eingreifen. Daher kann die
Neuvergabe eines Dienstleistungsauftrages ohne den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs so
gestaltet werden, dass eine reine Funktionsnachfolge vorliegt.
Beispiel:
Bei einem Reinigungs- oder Bewachungsauftrag werden vom Erwerber keine sächlichen Betriebsmittel und keine Arbeitnehmer übernommen. Ferner arbeitet der Erwerber mit eigenem
Know-How.
2. Vorgeschobener Aufhebungsvertrag
Eine Umgehung der Regeln des Betriebsübergangs liegt allerdings vor, wenn alle Tatbestandsmerkmale des § 613a BGB erfüllt sind und der Arbeitnehmer veranlasst werden soll,
auf seinen gesetzlichen Schutz zu verzichten oder ihn durch eigene vertragliche Bindungen
zu Fall zu bringen.242
Beispiel:
Bei einem Betriebsübergang wird dem Arbeitnehmer noch vor Übergang der Leitungsmacht unter Hinweis auf eine geplante Veräußerung des Betriebes ein Aufhebungsvertrag angeboten,
dies verbunden mit dem Hinweis, beim neuen Erwerber einen Arbeitsvertrag abschließen zu
können. Etwas anderes ist es, wenn der Arbeitnehmer – auch vom Arbeitgeber (dem Betriebserwerber) veranlasst – nach Vollzug des Betriebsübergangs einen Aufhebungsvertrag unterschreibt.
241
BAG v. 27.09.2007 – 8 AZR 941/06, NZA 2008, 1130,
LAG Schleswig-Holstein v. 13.06.2013 – 5 Sa 367/12, NZA-RR 2013, 456.
242
BAG v. 21.08.2014 – 8 AZR 619/13, NZA 2014, 1405;
BAG v. 19.03.2009 – 8 AZR 722/07, NZA 2009, 1091.
73
Kapitel B: Informationspflicht
77
I. Zweck der Unterrichtung
77
II. Verpflichtete und Berechtigte
77
1. Die Informationsverpflichteten
78
2. Informationsberechtigte Arbeitnehmer
79
III. Zeitpunkt und Form der Unterrichtung
80
1. Maßgeblicher Zeitpunkt
80
2. Textform i. S. d. § 126b BGB
81
3. Darlegungs- und Beweislast
82
IV. Anforderungen an den Inhalt der Unterrichtung
83
1. Kenntnisstand der Unterrichtungspflichtigen
83
2. Identität des Betriebserwerbers
83
3. Sprachliche Anforderungen
84
4. Unterrichtung in Form eines Standardschreibens
85
5. Vervollständigung der Unterrichtung nach Betriebsübergang
85
V. Notwendiger Informationsinhalt
86
1. Zeitpunkt des Übergangs (Ziff. 1)
86
2. Grund für den Übergang (Ziff. 2)
87
3. Folgen des Betriebsübergangs (Ziff. 3)
87
a) Rechtliche Folgen
87
aa) Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten
bb) Folgen für die kollektiven Regelungen
cc) Haftungsverteilung
(1) Unterrichtung bei Betriebsübergang in der Insolvenz
88
89
91
92
(2) Unterrichtung bei Unternehmensumwandlungen
92
dd) Kündigungsverbot wegen Betriebsübergang
93
b) Wirtschaftliche und soziale (Sekundär-)Folgen
93
aa) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer und mögliche Kündigung
bb) Sozialplananspruch
cc) Wirtschaftliche Lage
dd) Betriebliche Altersversorgung
(1) Höhe der Anwartschaft
(2) Fortbestand der Versorgungszusage
94
95
95
95
96
96
ee) Betriebsverfassungsrechtliche Folgen des Betriebsüberganges
(1) Folgen für das Betriebsratsamt
(2) Betriebsübergang versus Betriebsänderung
97
97
97
ff) Folgen für die Altersteilzeit
98
75
4. In Aussicht genommene Maßnahmen (Ziff. 4)
99
a) Arbeitnehmerbezogenheit der Maßnahmen
99
b) Konkrete betriebliche Vorhaben
99
VI. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung
99
1. Beginn der Widerspruchsfrist
99
2. Schadensersatzansprüche
100
VII. Reaktionspflicht des Arbeitnehmers
100
VIII. Checkliste für Informationsschreiben
101
76
Kapitel B: Informationspflicht
Mit Wirkung zum 01.04.2002 ist mit § 613a Abs. 5 BGB eine gesetzliche Grundlage für die
Information der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang gegeben. Die Norm sieht vor, dass
der bisherige Arbeitgeber oder der neue Betriebsinhaber die von einem Betriebsübergang
betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang unterrichten.
Als Rechtsfolge ist bestimmt, dass dann der vom Übergang in vollständiger und zutreffender
Form unterrichtete Arbeitnehmer nur innerhalb eines Monats dem Wechsel seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprechen kann.
§ 613a Abs. 5 BGB beruht auf der Umsetzung von EG-Richtlinien. Im Unterschied zur Europäischen Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG vom 12.03.2001 sieht das nationale Gesetz die Unterrichtung der einzelnen Arbeitnehmer und nicht nur der Arbeitnehmervertretung
vor. Die Betriebsräte sind nur bei Eingreifen entsprechender Normen nach dem BetrVG zu
informieren.
I. Zweck der Unterrichtung
Nach der Gesetzesbegründung soll durch die Unterrichtung den Arbeitnehmern bereits vor
dem Betriebsübergang eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für die Ausübung oder
Nichtausübung des Widerspruchsrechts zur Verfügung stehen. Die Arbeitnehmer sollen in
die Lage versetzt werden, die Folgen des Betriebsübergangs für sich selbst abschätzen zu
können.
Dies durch Information über die im Gesetz genannten Umstände des Betriebsübergangs,
nämlich den Zeitpunkt bzw. den geplanten Zeitpunkt des Übergangs (Ziff. 1), den Grund des
Übergangs (Ziff. 2), die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für
den Arbeitnehmer (Ziff. 3) und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen
Maßnahmen (Ziff. 4).
Die Informationspflicht von Erwerber und Veräußerer und das an eine Frist gebundene Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers verfolgen ein weiteres Ziel: Dem Veräußerer soll Klarheit
verschafft werden, welche Arbeitnehmer nach einem möglichen Widerspruch bei ihm verbleiben, und dem Erwerber, welche Mitarbeiter auf ihn übergehen und bei ihm tätig werden.
Eine unzutreffende, fehlende oder unvollständige Information seitens des Veräußerers oder
des Erwerbers nach § 613a Abs. 5 BGB führt jedoch nicht dazu, dass die betriebsbedingt
durch den Veräußerer ausgesprochene Kündigung eines dem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmers dadurch unwirksam wird.243 Es wird allein geprüft, ob der Arbeitsplatz nach den üblichen Regeln des Kündigungsschutzrechts in Wegfall geraten ist.
II. Verpflichtete und Berechtigte
§ 613a Abs. 5 BGB begründet die Informationspflicht gegenüber dem vom Betriebsübergang
betroffenen Arbeitnehmer sowohl für den Veräußerer als auch für den Erwerber. Sie sollen
sich darüber verständigen, wer und in welcher Weise die gesetzlichen Pflichten erfüllt.244 Da
beide hinsichtlich der Information Gesamtschuldner nach § 421 Satz 1 sind, wirkt eine Erfül-
243
244
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 2472.
BT-Drucksache 14/7760, S. 19.
77
lung des Informationsanspruches durch den Veräußerer nach § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB auch
für den Erwerber.245
1. Die Informationsverpflichteten
Aufgrund des Gesamtschuldcharakters der Unterrichtungspflicht müssen Veräußerer und
Erwerber die Unterrichtung im Vorfeld koordinieren und abstimmen.246
Praxishinweis: Veräußerer und Erwerber stimmen sich am besten im Vorfeld in begleitenden Regelungen zum Übernahmevertrag oder in diesem selbst ab. Schwierigkeiten entstehen aber dann, wenn überhaupt keine (Übernahme eines Pachtgrundstückes mit Gaststätte
ohne Kenntnis des vorherigen Betreibers der Gaststätte) oder keine einvernehmlichen Verhandlungen zwischen Erwerber und Veräußerer (vorheriger Arbeitgeber verliert einen Auftrag an einen Mitbewerber) stattfinden. Auch kommt es vor, dass der Veräußerer keine
Kenntnis von den wahren Absichten des Erwerbers hat. In diesen Fällen sollte vom Veräußerer dies den betroffenen Arbeitnehmern im Rahmen des Informationsschreibens mitgeteilt
werden.
Grundsätzlich genügt es den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB, wenn eine vom Veräußerer oder Erwerber allein vorgenommene Unterrichtung alle erforderlichen Informationen
enthält oder sich der vollständige Inhalt aus einer Gesamtschau der - unter Umständen unabhängig voneinander erfolgten - Unterrichtungen ergibt.247 Der Umfang und die Frage des
Absenders der Information hängen daher wesentlich davon ab, inwieweit die betroffenen Arbeitnehmer die am Betriebsübergang beteiligten Parteien kennen. 248
Praxishinweis: Insbesondere bei Vorbehalten in der Belegschaft gegenüber dem unbekannten Erwerber bietet sich eine gemeinsame Unterrichtung an. Die Akzeptanz des Vorgangs in
der Belegschaft und damit eine möglichst geringe Anzahl von Widersprüchen aus der Belegschaft kann durch eine offene Information gesteigert werden.
Soweit zwei Unterrichtungen abgegeben werden, die einander inhaltlich widersprechen,
kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer die den Anforderungen des
§ 613a Abs. 5 BGB entsprechenden Informationen erhalten hat. Folgende Fälle sind zu unterscheiden:
 Erfolgte die falsche Unterrichtung nach der richtigen Unterrichtung und erfolgt keine
eindeutige Klarstellung, beginnt die Widerspruchsfrist mangels Vorliegen einer eindeutigen Belehrung zu keinem Zeitpunkt zu laufen. Dem betroffenen Arbeitnehmer ist es
nach der Intention des Gesetzes nicht zuzumuten, sich über den richtigen Inhalt und
den wahren Sachverhalt selbst Informationen zu verschaffen.
 Anders verhält es sich dagegen, wenn die falsche Unterrichtung vor der richtigen erfolgte und die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die bereits erfolgte falsche
Unterrichtung wird von der später richtigen Unterrichtung aber nur dann korrigiert,
wenn dies eindeutig angesprochen und richtiggestellt wird. Nur dann ist mit der richtigen Unterrichtung die Pflicht aus § 613a Abs. 5 BGB mit Wirkung für beide Schuldner
(Veräußerer und Erwerber) erfüllt.
245
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 90.
LAG München v. 20.11.2013 – 8 Sa 18/13; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.06.2012 – 26 Sa 658/12;
Hohenstatt/Grau, NZA 2007, S. 13.
247
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 90.
248
Hohenstatt/Grau, NZA 2007, 13.
246
78
 Auch ist es möglich, eine Betriebsversammlung durchzuführen, in der – lediglich ergänzend, da die Textform249 im Gesetz vorgeschrieben ist – identisch über den Betriebsübergang mündlich berichtet wird.
Praxishinweis: Um sicherzugehen, dass eine ausreichende Information an die Arbeitnehmer gelangt, bietet es sich an, eine oder mehrere betriebsinterne Stellen beim Veräußerer
oder Erwerber als Ansprechpartner für die Arbeitnehmer zu benennen. Dies kann im Informationsschreiben mitgeteilt werden. Denn die Frist zur Einlegung des Widerspruchs beginnt
erst zu laufen, wenn der vom Übergang betroffene Arbeitnehmer vollständig und zutreffend
informiert wurde.
Formulierungsvorschlag:
„In Bezug auf etwaige Fragen, die den Übergang Ihres Arbeits- bzw. Anstellungsvertrages betreffen, können Sie sich an die nachbenannten Stellen wenden:
Herr/Frau, Funktion, Telefonnummer, Adresse,(Veräußerer) oder Herr/Frau, Funktion, Telefonnummer, Adresse,(Erwerber).“
Eine Betriebsversammlung ist aber nicht in der Lage, die Unterrichtung der Arbeitnehmer
gänzlich zu übernehmen. Das Gesetz verlangt die Information der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer in Textform. Es muss also eine verschriftlichte Erklärung vorliegen.
Ändern sich die Tatsachen zu einem späteren Zeitpunkt oder werden erst später die wahren
Tatsachen bekannt, muss in Fällen, in denen schon eine Unterrichtung erfolgt ist, eine Berichtigung erfolgen. Dies ist in Form einer Korrektur möglich oder in Form einer gänzlich
neuen Unterrichtung.
Praxishinweis: Wichtig ist, bei der Korrektur fangen die sich aus dem Gesetz für den vom
Übergang betroffenen Arbeitnehmer ergebenden Widerspruchsfristen neu an zu laufen. Bei
einer gänzlich neuen Information gilt dies ohnehin.
2. Informationsberechtigte Arbeitnehmer
Informationsberechtigt sind diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergehen.
Im Gegensatz zur Betriebsübergangsrichtlinie sieht der Gesetzgeber nur die Unterrichtung
der von einem Übergang „betroffenen“ Arbeitnehmer vor. Zu dem Kreis der Informationsberechtigten gehören nur Personen, deren Rechtsverhältnis vom Veräußerer auf den Erwerber
wechselt.250 Das sind die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse dem übergehenden Betrieb oder Betriebsteil zuzuordnen sind.251 Daher müssen weder die Beschäftigten des bei
dem Veräußerer verbleibenden Restbetriebs noch die Arbeitnehmer eines aufnehmenden
Betriebs gemäß § 613a Abs. 5 BGB unterrichtet werden. Dies gilt selbst dann, wenn sich deren Arbeitsbedingungen infolge der Übernahme ändern.252
249
Siehe unten Kapitel: B. III. 2.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 303/05.
251
Worzalla, NZA 2002, 353.
252
Schnitker/Grau, BB 2005, 2239.
250
79
Praxishinweis: Ist der Umfang der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer nicht
klar, hat eine entsprechend weite Information zu erfolgen. Dabei ist es manchmal besser,
mehr Personen als ggf. erforderlich zu informieren. Den Maßstab bildet die Vertraulichkeit
des Vorgangs.
Die Erstellung einer für jeden Arbeitnehmer spezifischen Information ist aber nur dann notwendig, wenn es im Vergleich zu anderen Mitarbeitern abweichende Umstände gibt. Diese
können sich aus dem Arbeitsplatz, der Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers oder seinen
persönlichen Umständen ergeben.
Sind hingegen mehrere Arbeitnehmer aufgrund ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit oder der Einrichtung ihres Arbeitsplatzes vergleichbar, kann eine Gruppenbildung durchgeführt werden und eine gruppenbezogene Information erfolgen. Auch Teilidentitäten der Information mit spezifischen persönlichen Ergänzungen sind möglich.
III. Zeitpunkt und Form der Unterrichtung
§ 613a Abs. 5 BGB verpflichtet die beteiligten Arbeitgeber zu einer Unterrichtung „vor“ dem
Übergang. Spätestens zugehen muss die Unterrichtung nach dem Gesetz im Zeitpunkt des
Vollzugs der Betriebsübernahme. Diese fällt mit der Übernahme der Leitungsmacht zusammen.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt
Der Gesetzgeber schreibt keinen konkreten Termin vor. Normative Vorgabe ist lediglich,
dass die Information „vor dem Übergang“ zu erfolgen hat. Die Informationspflicht erlischt
aber nicht mit diesem Zeitpunkt,253 sie kann also noch später erfolgen. In diesen Fällen beginnt dann die Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 613a Abs. 6 BGB erst ab der Information zu laufen.254 Eine Nachholung mit vollständigem und zutreffendem Inhalt ist damit
jederzeit möglich.
Praxishinweis: Gerade bei später bzw. verspäteter Information ist die Nachhaltigkeit der
Übergabe an den Arbeitnehmer von besonderer Bedeutung.
In der Praxis kann sich ein Problem daraus ergeben, dass Transaktionen zwischen Unternehmen möglichst lange unveröffentlicht bleiben sollen. Während Sinn und Zweck der Informationspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB für eine frühzeitige Information sprechen, haben –
gerade bei einer einvernehmlichen Transaktion – sowohl Veräußerer als auch Erwerber vielfach ein großes Interesse an einer späten Offenlegung der Einzelheiten, insbesondere des
Grundes255, also des Zwecks der Transaktion.
Praxishinweis: Die notwendige und erwünschte Vertraulichkeit muss mit dem Wunsch nach
Klarheit über die Anzahl der übergegangenen Vertragsverhältnisse abgewogen werden.
Denn nur ein deutlicher Hinweis an die Arbeitnehmer unter Angabe des gesetzlich vorgesehenen Fristablaufs bringt Klarheit, wie viele Arbeitnehmer zum Erwerber übergehen und wer
nach Widerspruch beim Veräußerer verbleibt.
253
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 91.
OLG München v. 18.02.2011 – 25 U 2675/10.
255
Siehe unten: Kapitel B. V. 2.
254
80
Demgegenüber besteht bei einer zu frühen Unterrichtung einerseits die Gefahr, dass bis zum
Stichtag des Wechsels Änderungen eintreten, die auch den Inhalt der Unterrichtung betreffen, andererseits kann eine zu frühe Information eine starke Verunsicherung der Belegschaft
hervorrufen.
Soweit ein Geheimhaltungsinteresse der beteiligten Arbeitgeber besteht, kann das Informationsschreiben erst bei Übernahme der betrieblichen Leitungsmacht durch den übernehmenden Rechtsträger, den Erwerber, ausgehändigt werden.
Auch bei einem verdeckten Betriebsübergang – so dieser in der Praxis möglich ist – muss
die Information nachgeholt werden, da zum einen der Anspruch aus § 613a Abs. 5 BGB
nicht mit dem Übergang erlischt, zum anderen die Frist des für den Arbeitnehmer möglichen
Widerspruchs nicht zu laufen beginnt.
Folgt dem ersten Betriebsübergang ein weiterer, muss der vom Übergang betroffene Arbeitnehmer spätestens einen Monat nach der Information über den zweiten Betriebsübergang
dem ersten widersprechen.256
2. Textform i. S. d. § 126b BGB
Für die Unterrichtung der Arbeitnehmer ist zwingend die Textform nach § 126b BGB vorgeschrieben. Textform i. S. d. § 126b BGB liegt dann vor, wenn die Erklärung in einer Urkunde
oder einer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise erfolgt, die die
Person des Erklärenden nennt und den Abschluss der Erklärung kenntlich macht.
Die strengere Schriftform nach § 126 BGB wird nicht verlangt. Diese setzt voraus, dass die
Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigtem Handzeichen unterzeichnet ist.
Die Textform ist ausreichend, weil nach der Gesetzesbegründung nicht die Warnfunktion,
sondern die Informations- und Dokumentationsfunktion im Vordergrund steht.257
Wird die Textform nicht gewahrt, ist die Unterrichtung unwirksam.258 Eine Nachholung der
rechtswirksamen Information ist möglich, eine rückwirkende Heilung hingegen nicht. Das bedeutet, dass eine mündliche Mitteilung – egal ob vom Veräußerer oder Erwerber – auf einer
Betriebsversammlung nicht ausreicht. 259
Veräußerer oder Erwerber müssen die Mitteilung nicht dem betroffenen Arbeitnehmer als
Empfänger überbringen; die Einräumung der Möglichkeit, sich vom Inhalt Kenntnis verschaffen zu können, ist ausreichend. Ob dies der betroffene Arbeitnehmer nutzt, ist diesem selbst
überlassen.
Die Unterrichtung kann erfolgen durch:
 Zusendung einer E-Mail,
 Aushang im Betrieb (z. B. am Schwarzen Brett),
 Einstellung im betrieblichen Intranet.
256
BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14, DB 2016, 1579.
LAG Düsseldorf v. 30.04.2008 – 7 (12) Sa 1099/06.
258
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 91.
259
BAG v. 22.06.2011 – 8 AZR 204/10, NZA 2012, 1184; Jauernig-Jauernig, § 126b BGB, Rn. 2.
257
81
Bei der Unterrichtung per E-Mail ist zu beachten, dass diese Informationsart nur dann zulässig ist, wenn der Arbeitnehmer seine E-Mail-Adresse zur Teilnahme am E-Mail-Verkehr bekannt gegeben hat. Eine flächendeckende Unterrichtung durch E-Mail setzt aber voraus,
dass alle zu informierenden Arbeitnehmer über eine entsprechende Adresse verfügen. Auch
bei Nutzung des betrieblichen Intranets ist es notwendig, dass alle Arbeitnehmer Zugang haben, regelmäßig folglich über einen PC verfügen müssen.
Praxishinweis: Die Nutzung des E-Mail-Verkehrs hat den Nachteil, dass der Zugang beim
Arbeitnehmer im Bestreitensfall nur durch eine Lesebestätigung nachzuweisen ist. Dann besteht aber die Gefahr, nicht nachweisen zu können, dass der vom Übergang betroffene Arbeitnehmer selbst die E-Mail gelesen hat.
Für einen Aushang am Schwarzen Brett ist es wichtig, einen Ort zu wählen, von dem jeder
Mitarbeiter weiß, dass er als Stelle für Bekanntmachungen genutzt wird. Veräußerer oder
Erwerber müssen einen Ort wählen, an dem die Mitteilung sicher ist, also weder zerstört
noch entfernt werden kann. Das Schwarze Brett sollte daher über einen abschließbaren
Glasdeckel verfügen.
Praxishinweis: Da der Beginn der Widerspruchsfrist an den Zugang der Unterrichtung beim
Arbeitnehmer geknüpft ist, sollten sich Veräußerer oder Erwerber zumindest die Kenntnisnahme des Informationsschreibens durch den Arbeitnehmer bestätigen lassen. Dies durch
Übergabe mit gleichzeitiger Bestätigung des Empfangs.
Es bietet sich an, vor der schriftlichen Information eine Betriebsversammlung zum Thema
des Betriebsüberganges durchzuführen. Anschließend kann in einem Informationsschreiben
– unter Wiederholung des wesentlichen Inhalts – auf die Veranstaltung und die dort gegebenen Hinweise verwiesen werden.
Formulierungsvorschlag:
„Hiermit erkläre ich, …… (betroffener Arbeitnehmer), die Unterrichtung über einen Betriebsübergang in Textform am ……. (Datum) erhalten zu haben.
Ort, Datum
Unterschrift“
3. Darlegungs- und Beweislast
Für die Erfüllung der Unterrichtung trifft die Unterrichtungsverpflichteten (Veräußerer
und/oder Erwerber) die Darlegungs- und Beweispflicht. Denn die Information muss dem Arbeitnehmer zugehen, sie ist erst mit dem Zugang bewirkt.
Dann greifen die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Soweit die Unterrichtung zunächst formal und inhaltlich den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB genügt
und damit nicht offensichtlich fehlerhaft ist, hat der Arbeitnehmer die fehlerhafte oder unvollständige Information durch Sachvortrag näher darzulegen. Gelingt ihm dies, müssen die Unterrichtungsverpflichteten sodann die Einwände des Arbeitnehmers mit entsprechenden Darlegungen und Beweisantritten entkräften.260
260
BAG v. 14.02.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682.
82
IV. Anforderungen an den Inhalt der Unterrichtung
Für die Erfüllung der Unterrichtung trifft die Unterrichtungsverpflichteten (Veräußerer und
Erwerber) die Darlegungs- und Beweispflicht. Die Information muss dem Arbeitnehmer zugehen. Sie ist erst mit dem Zugang bewirkt.
1. Kenntnisstand der Unterrichtungspflichtigen
Nach der Rechtsprechung richtet sich der Inhalt der Unterrichtung nach dem Kenntnisstand
der zur Unterrichtung Verpflichteten (Veräußerer und/oder Erwerber) und zwar bezogen auf
den Zeitpunkt der Unterrichtung selbst.261 Können zum Zeitpunkt der Unterrichtung Einzelheiten zum Erwerber (noch) nicht mitgeteilt werden, z. B. weil der Erwerber noch zu gründen
ist, muss dies den Arbeitnehmern bei der Unterrichtung offen gelegt werden.262
Formulierungsvorschlag:
„Einzelheiten zum Betriebserwerber können zurzeit nicht mitgeteilt werden, weil dieser erst noch
gegründet werden muss. Es ist beabsichtigt, dass…“
Ändert bzw. ergänzt sich der Kenntnisstand zu einem späteren Zeitpunkt, kann eine ergänzende oder eine gänzlich neue Informationspflicht entstehen. Die Umstände des Einzelfalls
sind daher maßgeblich.
Beispiel:
Planen Veräußerer und Erwerber zu Beginn des Jahres den Fuhrpark zum Ende des Jahres
durch Rechtsgeschäft zu übertragen und gelangen sie zur Mitte des Jahres zu dem Entschluss,
den gesamten Betrieb bestehend aus Produktion und Fuhrpark zu übertragen, ist eine Information notwendig, wenn vorher nur über die Übertragung des Fuhrparks informiert worden ist.
2. Identität des Betriebserwerbers
Im Hinblick auf den Zweck der Unterrichtung, dem Arbeitnehmer eine ausreichende Informationsgrundlage für die Entscheidung über die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts zu geben, ist der Betriebserwerber identifizierbar anzugeben.
Die Rechtsperson des Erwerbers (z. B. eine GmbH oder AG etc.) ist offen zu legen. Die Information muss so präzise erfolgen, dass der Arbeitnehmer Erkundigungen über den Erwerber und damit den etwaigen neuen Arbeitgeber einholen kann.263
Auch zur Durchführung eines möglichen Prozessverfahrens gegen den Erwerber allein oder
gemeinsam gegen Erwerber und Veräußerer muss der Arbeitnehmer die Identität, also den
Namen, die Rechtsform und postalische Adresse des Erwerbers kennen.
Hinsichtlich der Identität einer noch zu gründenden Firma des Betriebserwerbers hat das Informationsschreiben die Angabe eines Firmensitzes und einer Geschäftsadresse zu enthalten.
261
BAG v. 20.03.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354.
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 541/08, ; LAG Schleswig-Holstein v. 05.12.2013 – 5 Sa 266/13.
263
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89.
262
83
Formulierungsvorschlag:
„Veräußerer
Erwerber
(Rechtsform
(Rechtsform
Adresse )
Adresse )
An Herrn/Frau (Name und Adresse des vom Übergang betroffenen Arbeitnehmers)
Übergang ihres Arbeitsverhältnisses
Sehr geehrte(r) Herr/Frau
Wie Ihnen bereits auf der Betriebsversammlung am ….. angekündigt wurde, wird der Geschäftszweig ……… des Veräußerers an den Erwerber übertragen. Die notwendigen Informationen über die Betroffenen erfahren Sie in der Kopfzeile dieses Briefes.
Beabsichtigt ist, dass die Firma … (Erwerber) am …………. (Datum) die tatsächliche Leitung
des Unternehmens übernimmt.“
Das BAG hat die Informationspflicht über die Identität des Betriebserwerbers dahin gehend
erweitert264, dass bei Gesellschaften, sofern eine vollständige gesetzliche Vertretung nicht
angegeben wird oder angegeben werden kann, die Nennung einer identifizierbaren natürlichen Person mit Personalkompetenz als Ansprechpartner des Betriebserwerbers erforderlich
ist.
Praxishinweis: Es kann ratsam sein, die bisherigen und künftigen Geschäftsaktivitäten des
Erwerbers darzustellen, unabhängig vom zu übernehmenden Betrieb oder Betriebsteil. Dies
gilt für das konkrete Unternehmen, aber auch für die Konzernmutter als beherrschendes Unternehmen.
3. Sprachliche Anforderungen
Die erteilten Informationen müssen zutreffend, vollständig, präzise, für juristische Laien in einer verständlichen Sprache sein und dürfen keinen juristischen Fehler enthalten.
Es genügt nicht mehr, wie von der früheren Rechtsprechung gefordert, dass die Belehrung
über die rechtlichen Folgen nur „im Kern richtig“ ist und lediglich eine „ausreichende“ Unterrichtung erfolgen muss.265 Die dem Arbeitnehmer zu gebenden Informationen müssen vollständig sein.266
In Unternehmen, in denen die deutsche Sprache die übliche Kommunikationsform ist, muss
keine Übersetzung in ausländische Sprachen erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn
der Arbeitsvertrag in deutscher Sprache abgefasst ist.267 Übersetzungserfordernisse bestehen daher nicht. Vielmehr bildet die Tatsache, dass der Arbeitnehmer der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen individuellen, allein in seiner Person liegenden Umstand.268 Die
Rechtsprechung begründet dieses Ergebnis mit dem Unterschied zwischen der „Empfangs-“
und der „Vernehmungstheorie“.
264
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610;
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89.
265
BAG v. 20.03.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354.
266
Siehe unten Kapitel B, V.
267
Schiefer/Worzalla, NJW 2009, 560.
268
BAG v. 19.03.2014 – 5 AZR 252/12, NZA 2014.
84
Danach wird eine Erklärung bereits mit dem Zugang bei dem Empfänger wirksam und nicht
erst dann, wenn sie vom Empfänger tatsächlich wahrgenommen worden ist.269
Wird jedoch im Tagesgeschäft in anderer, z. B. englischer Sprache kommuniziert, ist eine
entsprechende Übersetzung notwendig. 270 Etwas anderes gilt aber auch dann, wenn es im
Unternehmen bzw. im Betrieb üblich ist, schriftliche Informationen in die jeweiligen Sprachen
der Mitarbeiter zu übersetzen.
4. Unterrichtung in Form eines Standardschreibens
Da sich die Information gem. § 613a Abs. 5 BGB auf „die“ Arbeitnehmer bezieht, müssen die
von § 613a Abs. 5 Nr. 3 und Nr. 4 BGB geforderten Angaben inhaltlich nicht auf die Person
jedes einzelnen Adressaten zugeschnitten sein.271
Die Erstellung einer spezifischen Information ist aber notwendig, wenn es im Vergleich zu
anderen Mitarbeitern abweichende Umstände gibt. Diese können sich aus dem Arbeitsplatz,
der Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers oder seinen persönlichen Umständen ergeben.
Sind hingegen mehrere Arbeitnehmer aufgrund ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit oder der Einrichtung ihres Arbeitsplatzes vergleichbar, kann eine Gruppenbildung durchgeführt werden und eine gruppenbezogene Information erfolgen. Auch Teilidentitäten der Information mit spezifischen persönlichen Ergänzungen sind möglich.
Praxishinweis: Es sind folglich Gruppen von Personen zu bilden, die in vergleichbarer Weise vom Betriebsübergang betroffen sind.
Die Unterrichtung kann in einem Standardschreiben erfolgen. Sie muss jedoch eine konkrete
betriebsbezogene Darstellung enthalten, die etwaige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses erfasst.272 Kraft Gesetz eintretende Rechtsfolgen müssen als solche bezeichnet werden
und dürfen nicht als freiwillige Selbstverpflichtung deklariert werden.273
5. Vervollständigung der Unterrichtung nach Betriebsübergang
Eine Unterrichtung kann auch nach einem Betriebsübergang unter Einhaltung der gesetzlich
vorgeschriebenen Form vervollständigt werden.274
Soweit eine Vervollständigung aus Gründen der Rechtsklarheit zu erfolgen hat, ist sie auch
als solche zu bezeichnen, damit die Arbeitnehmer vom nunmehrigen Beginn der Widerspruchsfrist Kenntnis erlangen.
Sind die Umstände, die sich ändern, nicht gravierend oder beeinflussen sie die Transaktion
und damit das Meinungsbild des betroffenen Arbeitnehmers kaum, muss keine ergänzende
Information erfolgen.
Praxishinweis: Da die Auswirkungen von Sachverhaltsänderungen auf das subjektiv geprägte Entscheidungsbild des Arbeitnehmers in der Praxis nur schlecht beurteilt werden
können, ist eine ergänzende Information in vielen Fällen zu empfehlen.
269
Einsele, Münchner-Kommmentar, § 130 BGB, Rn. 9.
Schnitker/Grau, BB 2005, 2239.
271
BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, NZA 2007, 682.
272
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2007, 682.
273
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268.
274
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89.
270
85
V. Notwendiger Informationsinhalt
Übereinstimmend mit Art. 7 Absatz 6 der Betriebsübergangsrichtlinie benennt das Gesetz in
§ 613a Abs. 5 Nr. 1 bis 4 BGB den notwendigen Inhalt der Unterrichtung.
1. Zeitpunkt des Übergangs (Ziff. 1)
Primär ist der vom Übergang des Betriebes betroffene Arbeitnehmer über den Zeitpunkt der
Transaktion zu informieren.
Maßgeblicher Zeitpunkt für den Betriebsübergang i. S. d. § 613a Abs. 5 Nr. 1 BGB ist die tatsächliche Übernahme der arbeitsorganisatorischen Organisations- und Leitungsmacht durch
den neuen Betriebsinhaber. Damit ist der kalendermäßige Stichtag des Betriebsübergangs
gemeint. Das Datum des zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts – wie z. B. ein Kaufvertrag –
spielt für § 613a BGB keine Rolle.275
Formulierungsvorschlag:
„Mit diesem Betriebsübergang geht gemäß § 613a BGB Ihr Arbeitsverhältnis auf den Erwerber
über. Dies geschieht am … (Datum) mit der Übernahme der tatsächlichen Leitungsmacht. Mit
diesem Zeitpunkt tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus Ihrem Arbeitsverhältnis ein.
Sie werden damit ab diesem Zeitpunkt Mitarbeiter des Erwerbers.
Ihr Arbeitsverhältnis wird folglich anlässlich des Betriebsübergangs unverändert mit dem Erwerber fortgeführt.“
Falls sich der zunächst geplante Zeitpunkt des Betriebsüberganges nach der Unterrichtung
verschiebt, stellt sich die Frage, ob die Arbeitnehmer erneut zu unterrichten sind. Das Erfordernis einer erneuten Unterrichtung richtet sich nach dem Zweck der Unterrichtungspflicht
und hängt daher vom Einzelfall ab. Ausgehend vom Zweck der Unterrichtung kommt es darauf an, ob sich die Entscheidungsgrundlagen für die Ausübung des Widerspruchsrechts so
geändert haben, dass aufgrund der ersten Unterrichtung eine sachgerechte Entscheidung
nicht mehr möglich ist.
 Eine erneute Unterrichtung ist erforderlich, wenn sich der zunächst geplante Vorgang
nach der Verschiebung als ein völlig anderer Betriebsübergang darstellt. Die ursprüngliche Unterrichtung nach Abs. 5 geht dann ins Leere.
 Soweit sich der Planungshorizont nachträglich verändert, bedarf es ebenfalls einer erneuten Unterrichtung. Eine nachträgliche Veränderung des Planungshorizonts ist dann
gegeben, wenn ein ursprünglich mitgeteilter und nunmehr bevorstehender Betriebsübergang nicht mehr identisch ist, weil z. B. der Betrieb auf einen anderen als den angekündigten Erwerber übergeht.276 Es muss dann über den neuen Betriebsübergang
unterrichtet werden.
 Einer erneuten Unterrichtung bedarf es nicht, wenn es sich lediglich um eine zeitliche
Verschiebung handelt. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn es aufgrund der Zeitspanne zwischen dem geplanten und dem endgültigen Betriebsübergang zu einer Änderung
der tatsächlichen oder rechtlichen Lage kommt.
Ist der Zeitpunkt von einer Eintragung, z. B. im Handelsregister (Umwandlungsgesetz), abhängig, muss über diesen Umstand und die voraussichtliche Eintragung unterrichtet werden.
275
276
Siehe oben Kapitel A, VIII 1.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273.
86
2. Grund für den Übergang (Ziff. 2)
Gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 2 BGB müssen Veräußerer und Erwerber die Arbeitnehmer über
den Grund für den Übergang informieren.277
Dem Informationserfordernis über den Grund für den Betriebsübergang ist allein mit der Angabe der rechtsgeschäftlichen Grundlage für den Betriebsübergang (z. B. Kaufvertrag,
Pachtvertrag) nicht Genüge getan.278 Neben dem Rechtsgrund muss auch über die zum
Übergang führenden unternehmerischen Erwägungen informiert werden.
Soweit sich die unternehmerischen Erwägungen im Falle eines Widerspruchs auf den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers auswirken, sind diese zumindest schlagwortartig mitzuteilen. 279
Die zwischen Erwerber und Veräußerer getroffenen Vereinbarungen sollen dargestellt werden.
Praxishinweis: Gerade bei der Mitteilung über den Grund der Transaktion ist die verwendete Sprache entscheidend. Der normale Mitarbeiter muss das Schreiben verstehen können.
Auch darf nicht schon aufgrund des reinen Umfangs der Information der Mitarbeiter an der
Kenntnisnahme gehindert werden. Die Übersendung eines mehrere 100 Seiten starken Dokuments erfüllt daher die Informationspflicht nicht.
Gleiches gilt, wenn ohne jede weitere Erläuterung nur der zwischen Veräußerer und Erwerber geschlossene Vertrag übermittelt wird.
3. Folgen des Betriebsübergangs (Ziff. 3)
Die Arbeitnehmer müssen über die Auswirkungen des Betriebsübergangs auf ihre Rechte
und Pflichten informiert werden.
Die Folgen des Betriebsübergangs betreffen einmal die individualrechtlichen Rechte und
Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, aber auch wirtschaftliche und soziale Folgen des Betriebsübergangs280, die in § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB geregelt
sind.
a) Rechtliche Folgen
Die Reichweite und der Umfang der Unterrichtung über die rechtlichen Folgen lassen sich
zwar dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen, jedoch ergeben sich diese aus dem gesetzgeberischen Willen und dem Sinn und Zweck der Unterrichtung.
Hinsichtlich der rechtlichen Folgen des Übergangs ist zwischen unmittelbaren und mittelbaren Folgen zu unterscheiden, die der Unterrichtung zugrunde liegen.
Die sich unmittelbar aus dem Betriebsübergang ergebenden Rechtsfolgen erfordern einen
Hinweis
 auf den Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB,
 auf die Folgen des Betriebsübergangs für die kollektiven Regelungen gem. § 613a
Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB,
277
BAG v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13.
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12; BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 538/08, NZA 2010, 89.
279
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1269.
280
BAG v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13.
278
87
 auf die Haftung des bisherigen Arbeitgebers gem. § 613a Abs. 2 BGB und die Verteilung der Haftung zwischen Veräußerer und Erwerber
 sowie auf das Verbot der betriebsbedingten Kündigung wegen Betriebsübergangs
gem. § 613a Abs. 4 BGB.
Ein pauschaler Hinweis auf den Gesetzeswortlaut bzw. dessen Wiedergabe reicht nicht aus,
denn daraus ergibt sich regelmäßig keine Entscheidungsgrundlage für den vom Übergang
betroffenen Arbeitnehmer.
Praxishinweis: Es bietet sich an, eine synoptische Darstellung der alten und neuen Rechtslage darzustellen, so wie sie sich auf das Rechtsverhältnis des Arbeitnehmers zum Betriebserwerber auswirkt.
aa) Eintritt des Erwerbers in die Rechte und Pflichten
Der Hinweis, dass der Erwerber in alle Rechte und Pflichten des Veräußerers aus dem Arbeitsverhältnis eintritt, ist zwingender Bestandteil der Information nach § 613a Abs. 5 BGB.
Der entsprechende Hinweis des Erwerbers bezieht sich auf alle individualrechtlichen Ansprüche gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben.
Zu unterrichten ist daher über das Weiterbestehen von Ansprüchen vor allem aber auch über
die Änderung der bisherigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag.
 Werden die bestehenden Ansprüche einfach auf den Erwerber übertragen, reicht ein
pauschaler Hinweis, der alle Ansprüche betrifft, mit dem Inhalt, dass alle Rechte und
Pflichten übertragen werden, der Vertrag einfach fortgesetzt wird.
 Langzeiterkrankte Arbeitnehmer sind darauf hinzuweisen, dass 15 Monate nach Ablauf
des Urlaubsjahres der Erholungsurlaub verfällt.
 Werden die bestehenden Rechte und Pflichten nur zum Teil281 auf den Erwerber übertragen, muss eine differenzierte Information erfolgen. Bei bestehen bleibenden Inhalten
des Vertrages reicht der angesprochene pauschale Hinweis. Abgeänderte Inhalte
müssen einzeln erwähnt werden; vor allem ist es wichtig, bezogen auf jedes einzelne
Recht aus dem Arbeitsvertrag die Veränderung darzustellen. Der Rechtszustand vor
und nach dem Betriebsübergang ist dem Mitarbeiter unter Darlegung der inhaltlichen
Veränderung mitzuteilen.
 Für den Fall, dass beim Veräußerer die Arbeitsbedingungen tariflich geregelt sind und
beim Erwerber keine entsprechenden Tarifverträge gelten, sollte dies ebenfalls dem
Arbeitnehmer mitgeteilt werden.
 Für Mitarbeiter in der Altersteilzeit ist die Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung
nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang im Informationsschreiben nur bei Arbeitnehmern in der Arbeitsphase zu erwähnen. Arbeitnehmer in der Freistellungsphase
können trotz Widerspruch nicht mehr betriebsbedingt gekündigt werden.
Formulierungsvorschlag:
„Ihr Arbeitsverhältnis ist von diesem Betriebsübergang betroffen. Es geht mit allen Rechten und
Pflichten nach § 613a BGB auf … (Erwerber) über. Der ….. (Erwerber) tritt in die Rechte und
Pflichten, die sich aus Ihrem Arbeitsvertrag ergeben, kraft Gesetzes ein.
281
Siehe unten: Kapitel D.
88
Ihr Aufgabenbereich bleibt somit bis auf Weiteres unverändert erhalten, sofern nichts anderes
mit Ihnen ausdrücklich vereinbart wurde. Gleiches gilt für die Höhe des Jahreseinkommens.
Diese bleibt ebenfalls unverändert, unbeschadet einer anderen Zusammensetzung.“
Eventuell:
„Im Einzelnen gilt für Sie die beiliegende (Gesamt)Betriebsvereinbarung zur Übertragung des
Betriebes bzw. Betriebsteils auf den Erwerber.“
Jede Änderung des Inhalts des Vertrages ist dem betroffenen Arbeitnehmer ausdrücklich
und spezifiziert mitzuteilen. Soweit es im Zuge des Überganges zu Veränderungen oder Anpassungen (z. B. im Bereich betriebliche Altersversorgung) kommt, die vom Erwerber unter
Beibehaltung des eingetretenen Zustandes nicht fortgeführt werden können, sind nähere
Angaben über individualrechtliche Ansprüche erforderlich.282
Bei Ansprüchen gegen einen anderen Rechtsträger als das Unternehmen des Veräußerers,
die von nicht völlig untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung für die Arbeitnehmer sind
(z. B. Aktienoptionszusage der Konzernmutter), ist ein Hinweis geboten, wenn es entgegen
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gerade nicht zu einem Übergang von Rechten kommt.283
Formulierungsvorschlag:
„Ihr Arbeitsverhältnis ist vom Betriebsübergang betroffen. Es geht mit allen Rechten und Pflichten nach § 613a BGB auf … (Erwerber) über.
Folgende Ansprüche sind vom Übergang ausgenommen: …………………….“
Durch den Betriebsübergang gehen die Vertragsmerkmale zwischen Arbeitnehmer und veräußertem Betrieb auf den Erwerberbetrieb über. Fraglich ist, was mit den Regeln des Erwerberbetriebes gilt. Finden diese auf das neue Vertragsverhältnis mit dem übergegangenen
Arbeitnehmer Anwendung? Da der aufnehmende Betrieb aus dem Gesichtspunkt der
Gleichbehandlung verpflichtet ist, alle Arbeitnehmer gleich zu behandeln, kann er sie ohne
zwingende Begründung nicht von den Ansprüchen ausnehmen, die im Betrieb des Betriebserwerbers gelten. Will ein Betriebserwerber dies verhindern, so muss bereits im Informationsschreiben dem Betriebsrat und betroffenen Arbeitnehmern mitgeteilt werden, dass bestimmte Rechte und Ansprüche für die übernommenen Arbeitnehmer nicht gelten sollen.284
bb) Folgen für die kollektiven Regelungen
Weiterhin erstreckt sich die Informationspflicht auf die Folgen des Überganges für die kollektiven Regelungen.
Erforderlich ist ein Hinweis über die Anwendbarkeit tariflicher und betrieblicher Normen und
die Frage, inwieweit beim Veräußerer geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden.
Dabei sollte sichergestellt werden, dass die Informationsadressaten die betreffenden Bestimmungen auch effektiv einsehen können.285 Hierfür genügt es, wenn auf eine Anlage zu
dem Informationsschreiben, auf Quellen im Internet oder Intranet durch die Personalabteilung Bezug genommen wird.
282
Hohenstatt/Grau, NZA 2007, 13.
Hohenstatt/Grau, NZA 2007, 13.
284
BAG v. 10.08.1988 – 5 AZR 571/87, NZA 1988, 57.
285
Schnitker/Grau, BB 2005, 2239.
283
89
Die Rechtsprechung verlangt keine detaillierte Bezeichnung aller Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen.286 Ein Hinweis darauf, wo die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren
kollektivrechtlichen Regeln einzusehen sind, sollte dennoch im Informationsschreiben enthalten sein.
Ob die Normen kollektivrechtlich oder individualrechtlich fortwirken, sollte im Informationsschreiben hinreichend deutlich dargestellt werden.287 Dies gilt insbesondere aufgrund der
Tendenz der Rechtsprechung, kollektivrechtlichen Regeln Vorrang einzuräumen.288
Folgender Inhalt des Informationsschreibens könnte notwendig sein:
 Für den Fall, dass beim Veräußerer die Arbeitsbedingungen tariflich geregelt sind und
beim Erwerber keine entsprechenden Tarifverträge gelten, muss dies ebenfalls dem
Arbeitnehmer mitgeteilt werden.
 Beinhaltet der Arbeitsvertrag eine dynamische Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag, die inhaltlich nicht als bloße Gleichstellungsabrede auszulegen ist, ist dem Arbeitnehmer mitzuteilen, dass sein Entgelt an der Entwicklung der tariflichen Vergütung teilnimmt.
 Beinhaltet der Arbeitsvertrag eine statische Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag
und ist weder der Arbeitnehmer noch der Erwerber entsprechend tarifgebunden, ist
dem Arbeitnehmer mitzuteilen, dass sich sein Entgelt nicht nach zukünftigen Tariflohnerhöhungen bemisst.
Formulierungsvorschlag (Erwerber nicht tarifgebunden):
„Sofern diese Rechte und Pflichten bei uns als dem bisherigen Inhaber für Sie durch Rechtsnormen der einschlägigen Tarifverträge ... (Name der einschlägigen Tarifverträge) geregelt und
aufgrund Ihrer Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft anzuwenden waren, werden
diese Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen Ihnen und dem neuen Inhaber, da der neue Inhaber an keinen Tarifvertrag gebunden ist.
Diese Rechte und Pflichten dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zu Ihrem Nachteil geändert werden.
Vor Ablauf der genannten Frist können die für Sie geltenden Rechte und Pflichten indes auch
zu Ihrem Nachteil geändert werden, wenn die bei uns bisher für Sie einschlägigen Tarifverträge
nicht mehr gelten oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines
anderen Tarifvertrages dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und Ihnen vereinbart
wird.
Die für den Betrieb gültigen Betriebsvereinbarungen bleiben weiter gültig, da der Betrieb bei
dem neuen Inhaber seine Identität behalten wird.
Die entsprechenden Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen können bei uns im … (Angabe
der Stelle) eingesehen werden.“
Ändert sich der Inhalt eines beim Veräußerer anwendbaren Tarifvertrages aufgrund geänderter Tatbestandsmerkmale beim Erwerber, muss im Informationsschreiben auch darauf hingewiesen werden.289
286
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006,1268.
BAG v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13.
288
BAG v. 05.03.2013 – 1 AZR 417/12.
289
BAG v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13, DB 2015, 2760.
287
90
Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn durch die betriebliche Tätigkeit des Erwerbers die fachliche Geltung eines Tarifvertrages verloren geht.
cc) Haftungsverteilung
Ob neben dem Erwerber auch der Veräußerer für die Ansprüche des Arbeitnehmers aus
dem Arbeitsverhältnis haftet und für wie lange und in welchem Umfang, ist ein wichtiger Bestandteil der Information nach § 613a Abs. 5 BGB.
Das Haftungssystem beim Betriebsübergang ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB. Nach der Rechtsprechung ist über die Gesamtschuldnerschaft des Veräußerers und des Erwerbers sowie deren anteilige Haftung
nach § 613a Abs. 2 BGB zu unterrichten.290 Dieses Informationserfordernis versetzt die Arbeitnehmer in die Lage, ggf. näheren Rat einzuholen, wer in welchem Umfang für welche
Ansprüche haftet.291
Wird beispielsweise eine Gratifikation gezahlt, die nicht Teil der Vergütung ist, sondern die
die Treue zum Betrieb entlohnen soll, ist der Veräußerer verpflichtet, die Gratifikation zu zahlen, die vom Arbeitnehmer bei ihm „erdient“ worden ist.
Beispiel:
Bei Gratifikationen wie Weihnachtsgeld etc. kommt es häufig vor, dass bei einer unterjährigen
Übertragung des Betriebes an den Erwerber, Ansprüche gegen den Veräußerer nur für fällige
Ansprüche aus einem abgelaufenen Zeitraum einstehen.
Geht daher noch vor der Auszahlung von fälligen Ansprüchen der Betrieb über, bleibt der
Veräußerer bei zeitanteilig zu gewährenden Ansprüchen Verpflichteter. Dies sollte den Arbeitnehmern mitgeteilt werden.
Formulierungsvorschlag:
„Wir als Ihr bisheriger Arbeitgeber haften neben dem neuen Inhaber für die Erfüllung Ihrer
Rechte aus dem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnis, soweit sie vor
dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem
Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner.
Wir haften weiter für solche Verpflichtungen, die vor dem Betriebsübergang entstanden und fällig geworden sind oder vor Ablauf eines Jahres danach fällig werden; soweit sie nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs entstehen, haften wir nur zeitanteilig.
Dies betrifft folgende Ansprüche: ……………………….
Der … (Erwerber) haftet ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs unbeschränkt für alle, auch
für die rückständigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Aufgrund seiner Rechtsform ist das
Haftungskapital auf … Euro beschränkt.“
290
291
BAG v. 22.01.2009 – 8 AZR 808/07, NZA 2009, 547.
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 538/08, DB 2010, 58.
91
(1) Unterrichtung bei Betriebsübergang in der Insolvenz
Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz ist darüber zu unterrichten, dass der Erwerber
entgegen des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht für Forderungen einzustehen hat, die vor der
Insolvenzeröffnung entstanden sind.292 Voraussetzung ist, dass der Betriebsübergang erst
nach diesem Zeitpunkt erfolgt.
Eine allgemeine Unterrichtung über die insolvenzrechtlichen Besonderheiten ist hingegen
nicht notwendig.
(2) Unterrichtung bei Unternehmensumwandlungen
Nach der Rechtsprechung entfällt bei der Gesamtrechtsnachfolge (wie bei der Verschmelzung) entgegen dem Gesetzeswortlaut des § 324 Umwandlungsgesetz i. V. m. § 613a Abs.
6 BGB das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers.293 Als Folgeproblem stellt sich die Frage,
ob mit Wegfall des Widerspruchsrechts auch die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach
§ 613a Abs. 5 BGB entfällt.
Der 8. Senat des BAG hat festgestellt, dass eine richtlinienkonforme Auslegung des § 613a
Abs. 5 BGB die Unterrichtung auch ohne Widerspruchsrecht der betroffenen Arbeitnehmer
zwingend gebietet.294 Denn die Erklärung des Arbeitnehmers, dem Übergang des Betriebes
zu widersprechen, kann beim Übergang des gesamten Betriebes aufgrund des entfallenden
Arbeitsplatzes beim Veräußerer als Kündigungserklärung bewertet werden.295
Praxishinweis: Die Unterrichtung sollte durch den neuen Rechtsträger erfolgen, weil das
Unternehmen des Veräußerers als bisheriger Rechtsträger infolge der Umwandlung erlischt.
Daher ist es zwingend erforderlich, auch bei der Gesamtrechtsnachfolge den Arbeitnehmer
über das „Schicksal“ des Veräußererbetriebes zu informieren. Nur so kann er das Ausmaß
seiner Weigerung, nicht zum Erwerber wechseln zu wollen, einschätzen.
Formulierungsvorschlag:
„Wir als Ihr bisheriger Arbeitgeber teilen Ihnen mit, dass wir das gesamte Unternehmen auf die
… GmbH als Erwerberin im Wege der Verschmelzung übertragen. Das Unternehmen erlischt
mit der Verschmelzung auf den Erwerber.
Ihnen steht kein Widerspruchsrecht zu. Sollten Sie dennoch einen Widerspruch erklären, verstehen wir Ihren Widerspruch als fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses.“
Folgende Besonderheiten gelten bei Umwandlungsfällen gegenüber dem Betriebsrat: Im Fall
der Verschmelzung kann die Unterrichtung des Betriebsrats dadurch erfolgen, dass ihm der
zugrunde liegende Vertrag zugeleitet wird. Die Angaben im Verschmelzungsvertrag müssen
dabei inhaltlich den Anforderungen sowohl des § 5 Abs. 1 Nr. 9 i. V. m. Abs. 3 UmwG als
auch des Art. 7 Abs. 1 der Betriebsübergangsrichtlinie genügen.
Dabei verlangt das Umwandlungsgesetz im Gegensatz zu § 613a Abs. 5 BGB Angaben über
die arbeitsrechtlichen Folgen der Transaktion nicht in allen Einzelheiten. Die insoweit fehlenden Informationen werden über die Betriebsübergangsrichtlinie eingefordert, denn diese verlangt Angaben über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer.
292
LAG Köln v. 31.01.2011 – 5 Sa 1224/10, NZA-RR 2011, 372.
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815.
294
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815.
295
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815.
293
92
dd) Kündigungsverbot wegen Betriebsübergang
Eine Kündigung aus Anlass des Betriebsübergangs ist unwirksam.296 § 613a Abs. 4 BGB
enthält ein Kündigungsverbot im Sinne von § 13 Abs. 3 KSchG, § 134 BGB. „Anlässlich“ des
Betriebsübergangs ist eine Kündigung anzusehen, wenn dieser der maßgebliche Beweggrund für die Lösung des Arbeitsverhältnisses gewesen ist.297 Daher bleiben ordentliche, in
Form von verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigungen und fristlose Kündigungen trotz Vorliegens eines Betriebsübergangs weiterhin möglich.
Praxishinweis: Zur Vermeidung von Missverständnissen bietet sich der Hinweis an, dass
das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen unberührt bleibt, § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB.
Das Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs ist daher von Informationsrelevanz
und bedarf der Unterrichtung. Der Kündigungsschutz nach dem KSchG ist dagegen kein informationsrelevanter Umstand, auf den im Informationsschreiben hinzuweisen ist, weil er
kein Recht im Sinne des § 613a Abs. 4 BGB ist, das im Falle eines Betriebsüberganges mit
übergehen würde.298
Formulierungsvorschlag:
„Die Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses wegen des Betriebsübergangs durch uns als Ihren
bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber ist unwirksam.
Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen, auch aus betriebsbedingten Gründen, die nicht mit der Veräußerung in Zusammenhang stehen, bleibt unberührt.“
b) Wirtschaftliche und soziale (Sekundär-)Folgen
Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Unterrichtung ist neben den unmittelbaren Rechtsfolgen des § 613a Abs. 1 bis 4 BGB auch über die weiteren Folgen des Betriebsüberganges
zu informieren, soweit sie für die Informationsadressaten gravierende wirtschaftliche oder
soziale Auswirkungen darstellen.
Zu den wirtschaftlichen und soziale Folgen gehören das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer, betriebsverfassungsrechtliche Folgen des Betriebsübergangs mit deren Auswirkungen
auf den Betriebsrat oder Folgen für die Altersteilzeit.299
Zu den wirtschaftlichen Folgen gehören ferner auch solche Veränderungen, die nicht unmittelbar mit den im Gesetz genannten Informationspflichten aus § 613a Abs. 1 bis Abs. 4 BGB
in Verbindung stehen. Dazu zählen Hinweise darauf, dass der Erwerber ein Existenzgründer
ist300. Dies mit der Folge, dass keine Sozialplanpflicht besteht. Abgestellt wird allein auf die
Bedeutung der Information für den Arbeitnehmer bezogen auf die Beurteilung seines Widerspruchsrechts.
Für den Arbeitnehmer ist für die Ausübung des Widerspruchsrechts von Bedeutung, welche
Vermögensgegenstände beim Berücksichtigen von welchem Wert sind.
Soweit der Betriebserwerber nur die beweglichen Anlageteile des Betriebes, nicht aber das
Betriebsgrundstück übernimmt, ist folglich darüber zu informieren.301
296
BAG v. 09.12.2010 – 8 AZR 152/08.
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 155.
298
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 397/06, NZA 2007, 739.
299
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610.
300
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610.
301
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12, NZA 2014, 610.
297
93
Auch ist darüber zu informieren, dass bei Übertragung eines Betriebsteils auf einen Betriebserwerber dieser im Ergebnis so klein ist, dass bei einer möglichen Betriebsänderung
kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht.302
aa) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer und mögliche Kündigung
Während in der Literatur umstritten ist, ob und inwieweit auch das Bestehen des Widerspruchsrechts gem. § 613a Abs. 6 BGB Gegenstand der Unterrichtung sein soll, hat die
Rechtsprechung mehrfach entschieden, dass sich die Informationspflicht auf das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers und auf das Schriftformerfordernis erstreckt. 303
Das BAG begründet dies mit dem Sinn und Zweck der Unterrichtung sowie mit der systematischen Stellung des Widerspruchsrechts. Folgendes wird angeführt:
 Erstens sei es widersprüchlich, das Recht zum Widerspruch von der Informationspflicht
auszunehmen, wenn der Sinn der Unterrichtungspflicht darin bestehe, den betroffenen
Arbeitnehmern eine ausreichende Wissensgrundlage für die Ausübung oder Nichtausübung ihres Widerspruchsrechts zu verschaffen.
 Zweitens bedeute die systematische Stellung des Widerspruchsrechts gem. § 613a
Abs. 6 BGB nach der Unterrichtungspflicht nicht, dass das Widerspruchsrecht von der
Unterrichtungspflicht ausgenommen werden solle.
Formulierungsvorschlag:
„Dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber können Sie nach § 613 Abs. 6
BGB schriftlich widersprechen. Die Schriftform ist notwendig. Der Widerspruch hat zur Folge,
dass Ihr Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber übergeht, sondern bei uns als Veräußerer
verbleibt.
Für den Fall des Widerspruchs gehen Sie allerdings das Risiko einer betriebsbedingten Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses ein, da Ihr bisheriger Arbeitsplatz in der Abteilung (…) ersatzlos
weggefallen ist. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit Ihrer Qualifikation und Ihrem tatsächlichen Einsatz entsprechend steht derzeit nicht zur Verfügung.“
--alternativ:
„Sollte entsprechend Ihrer Qualifikation und ihrem Einsatz ein anderer Arbeitsplatz in unserem
Unternehmen (Veräußerer) vorhanden sein, ist dennoch nicht sicher, dass Ihnen gegenüber
keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wird. Sollten mehrere Arbeitnehmer, die über
Ihre Qualifikation verfügen, Widerspruch einlegen, muss unter den widersprechenden Arbeitnehmern bezogen auf die vorhandenen Arbeitsplätze eine Sozialauswahl durchgeführt werden.
Dies bedeutet, nur die sozial schutzwürdigen Arbeitnehmer verbleiben in unserem Unternehmen.“
„Der Widerspruch kann sowohl gegenüber uns als dem Veräußerer als auch gegenüber der
Firma (……) als dem Erwerber erklärt werden.
Wir bitten Sie, machen Sie von ihrem Widerspruchsrecht nur nach sorgfältiger Abwägung Gebrauch. Beachten Sie, dass ein einmal zugegangener Widerspruch nicht mehr einseitig von
Ihnen zurückgenommen werden kann. Sollten Sie dennoch widersprechen wollen, bitten wir
Sie, Ihren etwaigen Widerspruch unverzüglich an eine der folgenden Adressen zu richten:
302
303
BAG v. 06.05.2015 – 2 AZR 783/13, BB 2015, 1595.
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 116/06, NZA 2008, 1354; LAG Köln v. 16.12.2012 – 4 Sa 1129/11.
94
Veräußerer (Ansprechpartner und Adresse) oder Erwerber (Ansprechpartner und Adresse)
Widerspruch kann nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zugang dieser Mitteilung
eingelegt werden. Auf die notwendige Schriftform haben wir in diesem Schreiben bereits hingewiesen.“
bb) Sozialplananspruch
Da dem Arbeitnehmer im Falle des Widerspruchsrechts Ansprüche zustehen können, ist er
über eventuelle Ansprüche auf Leistungen aus einem Sozialplan zu unterrichten. 304
Von erheblicher Bedeutung ist es für den Arbeitnehmer zu erfahren, ob im Falle des Widerspruchs eine Kündigung seitens des Veräußerers zu erwarten ist und ob ihm für diesen Fall
ein Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan zusteht.
Diese Unterrichtungspflicht besteht aber nur dann, wenn Ansprüche aus einem Sozialplan
tatsächlich in Betracht kommen.
Formulierungsvorschlag:
„Verhandlungen, die den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans zum Gegenstand haben, sind im Betrieb des Erwerbers aufgenommen worden. Diese Verhandlungen stehen aber in keinem Zusammenhang mit der Übertragung des Betriebes.“
cc) Wirtschaftliche Lage
Das BAG hat die Unterrichtungspflicht auch auf Angaben zur wirtschaftlichen Lage des Erwerbers ausgeweitet.305 Nach der Rechtsprechung des BAG sind die betroffenen Arbeitnehmer jedenfalls über eine wesentliche Verringerung der verbleibenden Haftungsmasse zu informieren. Das BAG begründete dies damit, dass die gravierende Gefährdung der wirtschaftlichen Absicherung als wesentliches Kriterium anzusehen sei.
Formulierungsvorschlag:
„Die …… (Firma des Erwerbers) ist ein gesundes Unternehmen, das mit seinen …… Arbeitnehmern im vergangenen Jahr einen Gesamtumsatz von …. erwirtschaftet hat. Wirtschaftliche
Schwierigkeiten sind nicht erkennbar.“
Praxishinweis: Zukunftsperspektiven sind regelmäßig sehr spekulativ. Die Durchführung einer Wirtschaftsprüfung inklusive entsprechendem Gutachten ist für die Information nach
§ 613a BGB jedenfalls nicht erforderlich. Der reine Hinweis auf die Existenzgründung ist ausreichend.
dd) Betriebliche Altersversorgung
Haben die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer vom Veräußerer eine Zusage
auf Erhalt einer betrieblichen Altersversorgung, stellt sich die Frage, inwieweit Erwerber
und/oder Veräußerer hierüber zu informieren haben.
304
305
BAG v. 14.11.2013 – 8 AZR 824/12.
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 116/06, NZA 2008, 1354.
95
(1) Höhe der Anwartschaft
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil nach § 613a BGB vom Veräußerer auf den Erwerber über,
besteht zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer kein Anspruch auf Auskunft über die Höhe
der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs erworbenen Anwartschaften.306
(2) Fortbestand der Versorgungszusage
Inwieweit darüber hinaus Informationsverpflichtungen nach § 613a Abs. 5 BGB bestehen,
hängt von den Auswirkungen des Betriebsüberganges auf die betriebliche Altersversorgung
ab.
 Wird die betriebliche Altersversorgung inhaltlich unverändert auf den Erwerber übertragen, besteht keine Informationspflicht nach § 613 Abs. 5 Ziffern 1 - 4 BGB. Denn die
Altersversorgung ist keine rechtliche, wirtschaftliche oder soziale Folge des Betriebsüberganges nach Ziffer 3, sondern ein „Anhängsel“ an den Arbeitsvertrag, der bis zum
Zeitpunkt des Übergangs ohne Rücksicht auf diesen entstanden ist.
 Auch ist die Übertragung keine infolge des Betriebsüberganges zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers in Aussicht genommene Maßnahme nach § 613a Abs. 5 Ziffer
4 BGB. Die Informationspflicht nach Ziffern 3 und 4 besteht folglich bei unveränderter
Fortführung der betrieblichen Altersversorgung nicht. 307
Praxishinweis: Wird die Altersversorgung ohne Änderung fortgeführt, besteht weder für den
Veräußerer noch für den Erwerber die Pflicht, hierüber gem. § 613a Abs. 5 BGB zu informieren. Da die Altersversorgung aber für viele Arbeitnehmer von großer Bedeutung ist, wird die
Akzeptanz des Betriebsübergangs erhöht, wenn den betroffenen Arbeitnehmern ein Ansprechpartner genannt wird.
 Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Altersversorgung geändert wird. Arbeitnehmer,
die vom Betriebsübergang betroffen sind, müssen dann informiert werden, wenn sich
aufgrund des Übergangs an der Versorgungszusage des Veräußerers etwas ändert
oder ob sie gegebenenfalls ergänzende Ansprüche aus einer beim Erwerber vorhandenen betrieblichen Altersversorgung erhalten können.
Hierfür sind die Art und der Inhalt der im Einzelfall erteilten Versorgungszusage von
Bedeutung, ferner die konkrete praktische Durchführung.308
 Besondere Anforderungen an den Umfang der Informationen werden insbesondere
dann zu stellen sein, wenn durch den Betriebsübergang ein Wechsel des Durchführungsweges oder die Ablösung durch eine bestehende oder konkret geplante erwerbereigene Versorgungsregelung bevorsteht, sich folglich Art und Inhalt der Rentenzusage ändern können.309
 Auch die Frage, ob eine kollektivrechtliche Versorgungsordnung individual- oder kollektivrechtlich weitergilt, ist Gegenstand der Informationspflicht.310
306
BAG v. 22.05.2007 – 3 AZR 834/05, NZA 2007, 1283.
BAG v. 22.05.2007 – 3 AZR 834/05, NZA 2007, 1283.
308
siehe Kapitel H ”Betriebliche Altersversorgung”.
309
Willemsen, Teil J, Rn. 502.
310
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268.
307
96
Praxishinweis: Folgende Punkte sind für das Informationsschreiben wichtig:
Im Informationsschreiben sollten Einstandspflichten des Erwerbers vermieden werden, die
über die Rechtsfolgen des § 613a BGB hinausgehen.
Im Informationsschreiben darf der Erwerber nicht auf die Möglichkeit künftiger Änderungen
der betrieblichen Altersversorgung verzichten. Im Rahmen der Information nach § 613a
Abs. 5 BGB dürfen folglich weder ausdrückliche noch konkludente, also durch Auslegung zu
ermittelnde Hinweise auf eine Einschränkung der Befugnisse, die im Zusammenhang mit einer erteilten Betriebsrentenzusage stehen, enthalten sein.
Auch fehlerhafte Informationen gilt es zu vermeiden, da nur so spätere Ansprüche auf Schadensersatz auszuschließen sind.
ee) Betriebsverfassungsrechtliche Folgen des Betriebsüberganges
Unter soziale Folgen des Übergangs gem. § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB fallen auch die Konsequenzen, die sich aus der Anwendung des Betriebsverfassungsrechts ergeben können.
(1) Folgen für das Betriebsratsamt
Das Informationsschreiben sollte Hinweise darüber enthalten, ob der Betriebsrat unverändert
fortbesteht, der Betriebsrat des Erwerberbetriebs vom Zeitpunkt des Übergangs an zuständig
ist oder der bisherige Betriebsrat mittels Übergangs- oder Restmandat vorerst zuständig
bleibt.
Formulierungsvorschlag:
„Der bisherige Betriebsrat bleibt weiterhin für Sie zuständig.“
alternativ:
„Durch Übertragung des Betriebsteils und Integration in das Unternehmen des Erwerbers wird
für Sie der Betriebsrat des Erwerberbetriebes zuständig.“
Ist der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer selbst Betriebsratsmitglied, ist ihm
mitzuteilen, dass bei Übergang des Betriebes eine Neuwahl durchgeführt wird und er eventuell sein Amt verliert.
(2) Betriebsübergang versus Betriebsänderung
Betriebsübergang nach § 613a BGB und die Betriebsänderung nach § 111 BetrVG müssen
voneinander getrennt betrachtet werden. Grundsätzlich stellt ein Betriebsübergang als solcher keine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG dar.311
So erfüllt z. B. die bloße Trennung des Betriebs in Grundstücks- und Anlagevermögen und
Veräußerung des Betriebes zwar einen Betriebsübergang nach § 613a BGB dar, nach Ansicht der Rechtsprechung aber keine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG.312
Der Betriebsübergang kann aber auch mit einer Betriebsänderung verbunden sein. Soweit
letztere dann auch vorliegt, bestehen Informationspflichten gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern aus § 613a Abs. 5 BGB und dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG
bzw. nach § 111 BetrVG.
Ein bestehender Wirtschaftsausschuss ist nach § 106 BetrVG zu informieren.
311
312
vgl. Kapitel I „Betriebsverfassungsrecht“.
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 1354.
97
ff) Folgen für die Altersteilzeit
Soweit Arbeitnehmer in Altersteilzeit im Betrieb beschäftigt sind, sollte in das Informationsschreiben aufgenommen werden, dass deren Altersteilzeitverhältnisse auf den Erwerber
übergehen und daher im Wesentlichen keine Besonderheiten bestehen. So hat der Erwerber
alle finanziellen Ansprüche der Arbeitnehmer in Altersteilzeit oder in der Freistellungsphase
zu erfüllen.313
Praxishinweis: Auch wenn die rechtliche Beurteilung von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen
in Bezug auf die Auswirkungen eines Betriebsübergangs im Wesentlichen mit der Beurteilung anderer Arbeitsverhältnisse identisch ist, ist es sinnvoll, die Mitarbeiter in Altersteilzeit
gesondert zu informieren.
Da nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB die Pflicht besteht, die vom Betriebsübergang betroffenen
Arbeitnehmer über die "Folgen des Übergangs" zu informieren, sollten folgende Punkte den
Inhalt des Informationsschreibens bilden:
 Das Altersteilzeitverhältnis geht sowohl in der Arbeits- als auch in der Freistellungsphase über. Der Erwerber tritt in vollem Umfang in die Rechte und Pflichten ein.
 Beinhaltet der Altersteilzeitvertrag eine dynamische Bezugnahmeklausel auf einen Tarifvertrag, nimmt das Entgelt an der Entwicklung der tariflichen Vergütung teil.
 Beinhaltet der Altersteilzeitvertrag eine statische Bezugnahmeklausel und ist weder
Arbeitnehmer noch der Erwerber entsprechend tarifgebunden, bemisst sich das Entgelt
nicht nach zukünftigen Tariflohnerhöhungen.
 Für den Fall, dass beim Veräußerer die Altersteilzeit tariflich geregelt ist und beim Erwerber keine entsprechenden Tarifverträge gelten, sollte dies ebenfalls dem Arbeitnehmer mitgeteilt werden.
 Gleiches gilt für weitere Änderungen. Dies bedeutet, sowohl Vergünstigungen als auch
Verschlechterungen des Status Quo sollten dem Arbeitnehmer mitgeteilt werden.
 Die Möglichkeit der betriebsbedingten Kündigung ist nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang im Informationsschreiben nur bei Arbeitnehmern in der Arbeitsphase zu
erwähnen. Arbeitnehmer in der Freistellungsphase können trotz Widerspruch nicht
mehr betriebsbedingt gekündigt werden.
Formulierungsvorschlag:
„Da zwischen Ihnen und unserem Unternehmen ein Altersteilzeitverhältnis besteht, welches
sich in der Arbeitsphase befindet, teilen wir Ihnen mit, dass der Vertrag unverändert beim Erwerber fortgeführt wird.“
alternativ:
„Da zwischen Ihnen und unserem Unternehmen ein Altersteilzeitverhältnis besteht, welches
sich in der Freistellungsphase befindet, teilen wir Ihnen mit, dass der Vertrag vom Erwerber
fortgeführt wird, insbesondere dieser die für Sie einbehaltene Vergütung ab dem Zeitpunkt des
Betriebsüberganges zahlt. Da Sie sich in der Freistellungsphase befinden, kann Ihnen gegenüber auch bei eingelegtem Widerspruch gegen den Betriebsübergang keine betriebsbedingte
Kündigung ausgesprochen werden.“
313
Siehe unten: Kapitel G.
98
4. In Aussicht genommene Maßnahmen (Ziff. 4)
Gem. § 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB erstreckt sich die Unterrichtung auch auf die hinsichtlich der
Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
a) Arbeitnehmerbezogenheit der Maßnahmen
Unter „Maßnahmen“ im Sinne des § 613a Abs. 5 Nr. 4 sind z. B. Weiterbildungsmaßnahmen314 oder der Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan einschließlich der Durchführung der dort geregelten Maßnahmen315 (z. B. Kündigung, Betriebsverlegung) zu verstehen. Erforderlich ist ein Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und dem Betriebsübergang.
b) Konkrete betriebliche Vorhaben
Ausgelöst wird eine Unterrichtungspflicht nur dann, wenn Maßnahmen bereits „in Aussicht
genommen“ sind. Maßnahmen sind dann in Aussicht genommen, wenn ein Stadium konkreter Planung erreicht ist316 bzw. der betreffende Arbeitgeber nach Abschluss der Vorüberlegungen im Prinzip zur Durchführung einer konkreten Maßnahme entschlossen ist.317 Erst
dann ist eine Unterrichtung über die mit dem Betriebsübergang spezifischen Folgen erforderlich.
Praxishinweis: Bei Maßnahmen aus einem zwischen Veräußerer/Erwerber und Betriebsrat
abgeschlossenen Interessenausgleich bzw. Sozialplan ist ein Verweis auf den Text der Vereinbarung unter Beifügung der entsprechenden Texte als ausreichend anzusehen.318
VI. Rechtsfolgen einer fehlenden oder fehlerhaften Unterrichtung
Für die Erfüllung der Unterrichtung trifft die Unterrichtungsverpflichteten (Veräußerer und
Erwerber) die Darlegungs- und Beweispflicht. Die Information muss dem Arbeitnehmer zugehen. Sie ist erst mit dem Zugang bewirkt.
1. Beginn der Widerspruchsfrist
Nur eine ordnungsgemäße Unterrichtung setzt die Widerspruchsfrist in Gang.319 Unterbleibt
die Unterrichtung oder ist sie nicht ordnungsgemäß, läuft die Widerspruchsfrist nicht.320
Eine fehlende oder fehlerhafte oder widersprüchliche Unterrichtung hat zur Folge, dass die
Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht zu laufen beginnt.321
Eine fehlerhafte Unterrichtung über Rechtsfragen kann dennoch für den zur Information Verpflichteten folgenlos bleiben, wenn der Unterrichtspflichtige die Rechtslage gewissenhaft geprüft und einen vertretbaren Rechtsstandpunkt angenommen hat.322
314
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 09.01.2013 – 2 Sa 94/12.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273.
316
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273.
317
Schnitker/Grau, BB 2005, 2238.
318
Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159.
319
BAG v. 20.05.2010 – 8 AZR 739/08; v. 02.04.2009 – 8 AZR 262/07, NZA 2009, 1149.
320
BAG v. 14.12.2006 – 8 AZR 763/05, BB 2007, 1340.
321
Rupp, NZA 2007, 301.
322
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 303/05, NZA 2006, 1273; LAG Hamm v. 08.10.2013 – 7 Sa 888/13.
315
99
2. Schadensersatzansprüche
Genügt die Information des Veräußerers/Erwerbers nicht den Anforderungen des § 613a
Abs. 5 BGB, dann hat er seine Informationspflicht verletzt.
Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei der Unterrichtungspflicht des § 613a Abs. 5
BGB um eine Rechtspflicht, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 280
Abs. 1 BGB auslösen kann.323 Der Arbeitgeber ist dem Arbeitnehmer gegenüber unter dem
Gesichtspunkt einer schuldhaften (Arbeits-)Vertragsverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB zum
Ersatz des Schadens verpflichtet, den dieser durch die fehlerhafte Unterrichtung über den
Betriebsübergang erlitten hat.
Das Verschulden des Arbeitgebers wird gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet. Der Arbeitnehmer kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn er richtig
und vollständig informiert worden wäre.
Beispiel:
Im Rahmen eines Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB wird nicht erwähnt, dass allen Arbeitnehmern, die beim Veräußerer ausscheiden und nicht zum Erwerber wechseln, ein
Sozialplananspruch zusteht. Ein Arbeitnehmer, der ein rentennahes Lebensalter hat, wechselt
zum Erwerber ohne Widerspruch.
Dem Arbeitnehmer obliegt allerdings der Beweis, dass ihm der geltend gemachte Schaden
aufgrund der unterbliebenen Unterrichtung entstanden ist. Hierzu gehört die Darlegung, dass
er bei ordnungsgemäßer Belehrung fristgerecht widersprochen hätte und der eingetretene
Schaden hierdurch nicht entstanden wäre. Es kann zwar vermutet werden, dass der Arbeitnehmer sich entsprechend der Aufklärung verhalten hätte, dies sei aber nur dann anzunehmen, wenn es nur eine Entscheidungsalternative gibt.324 Seine Entscheidung hat der Arbeitnehmer für diesen Fall glaubhaft zu machen.
VII. Reaktionspflicht des Arbeitnehmers
Grundsätzlich braucht der Arbeitnehmer auf eine Information über den Betriebsübergang
nicht zur reagieren. Anders verhält es sich, wenn
 er dem Betriebsübergang widersprechen will oder
 ihm gegenüber eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wurde und ihm durch
den Betriebsübergang ein Wiedereinstellungsanspruch zusteht.
Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt in Betracht, wenn sich die der betriebsbedingten
Kündigung zugrunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung nachträglich als unzutreffend herausstellt.325 Soweit dem Arbeitnehmer Umstände mitgeteilt werden, die den Betriebsübergang tatsächlich ausmachen, hat er nach
Kenntniserlangung unverzüglich sein Fortsetzungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber
geltend zu machen.326 Entsprechend der Frist zur Ausübung des Widerspruchsrechts hat
auch das Fortsetzungsverlangen binnen einer Frist von einem Monat zu erfolgen.
323
BAG v. 20.03.2008 – 8 AZR 1022/06, NZA 2008, 1297;
LAG Hamm v. 01.03.2013 – 10 Sa 1175/12.
324
BAG v. 20.03.2008 – 8 AZR 1022/06, NZA 2008, 1297.
325
LAG Sachsen-Anhalt v. 28.04.2009 – 6 Sa 429/08.
326
BAG v. 15.10.2013 – 9 AZR 2/13; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06; NZA 2008, 357.
100
VIII. Checkliste für Informationsschreiben
Vorab:
Der zur Information Verpflichtete kann Beschäftigtengruppen bilden, die dann mit
mehr oder weniger identischen Schreiben informiert werden können.327
1. Name, Rechtsform und Anschrift des Veräußerers und des Erwerbers
2. Mitteilung über (Teil-)Betriebsübergang
a. Zeitpunkt des Betriebsübergangs
b. Gründe des Betriebsübergangs
c. Art der Fortführung (z. B. Eingliederung, selbstständige Fortführung)
3. bisherige und künftige Aktivitäten bzw. Bonität des Erwerbers
4. Hinweis auf Übergang des Arbeitsverhältnisses und Eintritt des Erwerbers in Rechte
und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
5. Auswirkungen auf Beschäftigungsverhältnis, z. B.
a. unveränderter Aufgabenbereich
b. Höhe des Einkommens
c. Altersversorgung
6. Hinweis auf Schicksal der kollektiven Regelungen
a. Tarifvertragliche Regelungen (ggf. auch kraft Bezugnahmeklausel) und
b. Betriebsvereinbarungen
7. Hinweis auf Folgen für die betriebsverfassungsrechtliche Vertretung (Betriebsrat im
Veräußererbetrieb, Betriebsrat im Erwerberbetrieb, Übergangsmandat)
8. soweit vorhanden: Hinweis auf Betriebsvereinbarung zum Betriebsübergang
9. soweit geplant: Hinweis auf in Aussicht genommene Maßnahmen
10. Haftungsfragen – insbesondere auch Haftung des Veräußerers
11. Hinweis auf beschränktes Kündigungsverbot
12. Hinweis auf Widerspruchsrecht, die Adressaten des Widerspruchs und die Folgen
(Verbleib beim Veräußerer und Gefahr einer betriebsbedingten Kündigung)
13. Hinweis auf Ansprechpartner für Rückfragen
(möglichst Person mit Personalkompetenz)
14. Dank für bisherige Zusammenarbeit
15. Empfangsbestätigung
327
Siehe oben Kapitel B, II., 2.
101
Kapitel C: Widerspruchsrecht
105
I. Kodifizierung des Widerspruchs
105
1. Normative Begründung
105
2. Rechtscharakter des Widerspruchs
106
3. Beteiligung des Betriebsrats
106
II. Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs
107
1. Form und Inhalt des Widerspruchs
108
a) Formvoraussetzungen
108
b) Notwendiger Erklärungsinhalt
109
c) Widerspruch als „kollektive Kampfmaßnahme“
109
2. Adressat des Widerspruchs
110
3. Widerspruchsfrist
110
a) Rechtscharakter der Frist
111
b) Berechnung der Frist
111
c) Verkürzung der Frist
112
d) Verlängerung der Frist
112
4. Bindung an die Erklärung
112
a) Widerruf der Erklärung
112
b) Anfechtung der Erklärung
113
III. Verzicht auf das Widerspruchsrecht
114
IV. Untergang des Widerspruchsrechts
115
1. Verwirkung des Widerspruchsrechts
116
2. Rechtsmissbräuchliche Ausübung
117
3. Sogenannte „Ketten-Widersprüche“
118
V. Beweisprobleme
118
VI. Rechtsfolgen des Widerspruchs
119
1. Fortbestand des alten Vertrages
119
2. Arbeitsverpflichtung nach Widerspruch
119
3. Kündigungsmöglichkeit für den Veräußerer
120
103
Kapitel C: Widerspruchsrecht
Ein Arbeitnehmer muss sich nicht wie ein Betrieb oder Betriebsteil veräußern lassen. Daher
war seit Langem in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen kann.328 Allerdings bestand lange Zeit keine gesetzliche Verankerung dieses Rechts, das nicht nur bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang, sondern
auch bei einem gesellschaftsrechtlich veranlassten Umwandlungsvorgang besteht.
I. Kodifizierung des Widerspruchs
Zum 01.04.2002 wurde das Widerspruchsrecht in § 613a Abs. 6 BGB kodifiziert. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass es mit der Würde des Menschen, dem Recht auf freie
Entfaltung der Persönlichkeit und dem Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 1, 2, 12 GG)
nicht vereinbar ist, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den sich der Arbeitnehmer nicht freiwillig ausgesucht hat.
1. Normative Begründung
Zur Begründung des vom BAG seit Langem anerkannten Widerspruchsrechts des vom
Übergang betroffenen Arbeitnehmers wird ausgeführt, dass es aufgrund des Betriebsübergangs zu keinem aufgezwungenen Schuldnerwechsel zu Lasten des Arbeitnehmers kommen darf. Der Arbeitnehmer soll sich nicht gegen seinen Willen „verkaufen“ lassen müssen.
Außerdem steht ihm nach Art. 12 GG das Recht zur freien Berufswahl und zur freien Berufsausübung zu. Dieses Wahlrecht kann nach der Auffassung des BAG nicht durch den Betriebsübergang insoweit eingeschränkt werden, als der Arbeitnehmer im Zwangswege einen
neuen Vertragspartner akzeptieren muss. Ergänzend wird auf die Höchstpersönlichkeit der
Arbeitsleistung hingewiesen.
Gegen den „Zwangsübergang“ spricht auch die Tatsache, dass der Arbeitnehmer sich vertraglich nur einem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet, seine Arbeitskraft zur Verfügung zu
stellen. Eine weiter gehende vertragliche Absprache, bei Veräußerung des Betriebs oder eines Betriebsteils mit auf den Erwerber überzugehen, ist kein rechtlich zulässiger Bestandteil
des Arbeitsvertrages.
Auch der EuGH hat die Möglichkeit des Arbeitnehmers, einem Betriebsübergang zu widersprechen, stets anerkannt.329 Zur Begründung führt der EuGH aus, dass in Art. 3 Abs. 1 der
Richtlinie 77/187/EWG (der Betriebsübergangsrichtlinie) dem Arbeitnehmer das Recht zukommt, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber – auch ohne Begründung – zu widersprechen.
Nach Auffassung des EuGH verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedsstaaten nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber für den Fall vorzusehen, dass ein
Arbeitnehmer sich frei dafür entscheidet, das Arbeitsverhältnis nicht mit dem Erwerber fortzusetzen. Daher überlässt er die inhaltliche Ausgestaltung der Regelung den Mitgliedsstaaten330, einer Befugnis von der der Bundesgesetzgeber in § 613a Abs. 6 BGB Gebrauch gemacht hat.
328
BAG v. 22.04.1993 – 2 AZR 313/92, NZA 1994, 357.
EuGH v. 16.12.1992 – C-132/91, NZA 1993, 169.
330
EuGH v. 16.12.1992 – C-132/91, NZA 1993, 169.
329
105
2. Rechtscharakter des Widerspruchs
Der Widerspruch des Arbeitnehmers, einem Übergang des Betriebes oder Betriebsteils, dem
er angehört, auf den Erwerber nicht folgen zu wollen, ist eine einseitige empfangsbedürftige
Willenserklärung. Diese kann gegenüber dem Veräußerer oder dem Erwerber erklärt werden.
Das Widerspruchsrecht gilt nicht nur bei dem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang nach
§ 613a BGB, sondern auch bei der gesellschaftlichen Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz. Ist der alte Arbeitgeber aufgrund des Umwandlungsvorgangs als Rechtsperson
erloschen, geht allerdings das Arbeitsverhältnis mit Widerspruch unter. Der Widerspruch wird
in diesen Fällen als fristlose Kündigung umgedeutet. 331
Das BAG sieht den Widerspruch nach § 613a Abs. 6 BGB als Rechtsfolgenverweigerung
an.332 Die Erklärung des Widerspruchs selbst ist befristungs- und bedingungsfeindlich. Wird
z. B. der Widerspruch mit einer unzulässigen Bedingung verbunden, ist er unbeachtlich und
das Arbeitsverhältnis geht auf den Erwerber über. Der Arbeitnehmer kann allerdings innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist aus § 613a Abs. 6 BGB erneut und dann ohne Nennung
einer Bedingung widersprechen, wenn er auf seinen Fehler aufmerksam gemacht wird oder
ihn selbst erkennt.
Beispiel:
Der Arbeitnehmer erklärt die Geltung des Widerspruchs nur für den Fall, dass der Veräußerer
333
das mit ihm dann weiter bestehende Rechtsverhältnis nicht betriebsbedingt kündigt. Er stellt
seinen Widerspruch unter eine unzulässige Bedingung. Das Rechtsverhältnis geht auf den Erwerber über.
Die Erklärung muss klar formuliert und inhaltlich verständlich sein, sodass sie vom Adressaten nur noch entgegengenommen zu werden braucht. Es bietet sich aus Gründen der Beweisbarkeit für den Arbeitnehmer, der dem Betriebsübergang widersprechen will, an, sie
räumlich getrennt auf einem gesonderten Schriftstück zu verfassen.
Der Widerspruch gegen den Übergang des Betriebes, über den nach § 613a Abs. 5 BGB informiert wurde, ist dann unbeachtlich, wenn die Maßnahme nicht durchgeführt wurde.334 Wird
eine ganz andere betriebliche Maßnahme durchgeführt, ist erneut zu prüfen, ob diese den
Tatbestand des Betriebsübergangs erfüllt.
Praxishinweis: Ändert sich im zeitlichen Ablauf der Unterrichtung der betroffenen Arbeitnehmer der mit dem Betriebsübergang in Verbindung stehende Sachverhalt, ist weiter zu
prüfen, ob der vorhandene Widerspruch auf den neuen Sachverhalt passt.
3. Beteiligung des Betriebsrats
Ob der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer die Widerspruchserklärung überhaupt abgeben will, gegenüber wem und mit welchem Inhalt, bestimmt er allein. Bzgl. des
Inhalts, des oder der Adressaten, bei der Abfassung und vor allem bei der Frage der Zulässigkeit des Widerspruchs an sich bestehen keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
331
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815; LAG Köln v. 26.09.2014 – 4 Sa 986/13.
BAG v. 27.04.1995 – 8 AZR 197/94, NZA 1995, 1155.
333
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 92.
334
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357.
332
106
Selbstverständlich kann der Arbeitnehmer den Betriebsrat vor der Erklärung aufsuchen und
sich mit ihm beraten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer weiteres Hintergrundwissen zum beabsichtigten Betriebsübergang erstrebt oder ergänzende Informationen
über den Erwerber haben möchte. Gerade letztere liegen dem Betriebsrat durch Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen regelmäßig vor.
Der Arbeitnehmer kann den Betriebsrat ferner als Erklärungsboten einschalten, wenn er
nicht selbst die Erklärung gegenüber dem Veräußerer oder dem Erwerber abgeben will. Eine
Vertretung des Arbeitnehmers durch den Betriebsrat scheidet regelmäßig aus, denn der Betriebsrat ist nicht geschäftsfähig und kann kein Stellvertreter im Sinne der § 164 ff. BGB
sein.335
Weder der Betriebsrat des Veräußererbetriebes noch der des Erwerberbetriebes können
Empfänger einer Widerspruchserklärung nach § 613a Abs. 6 BGB sein. Werden ihnen gegenüber Erklärungen abgegeben, können die Mitglieder des Betriebsrats jeweils nur Erklärungs- bzw. Empfangsboten sein, mit der Folge, dass das Übermittlungsrisiko den Arbeitnehmer trifft.
Eine Ausnahme wird man nur dann zulassen müssen, wenn entweder der Veräußerer
und/oder der Erwerber z. B. im Rahmen der Information nach § 613a Abs. 5 BGB mitgeteilt
haben, dass eventuelle Widersprüche bei dem Betriebsrat gesammelt werden sollen.
Zusammenfassender Überblick
Rechtscharakter des
Widerspruchs
Verweigerung des Übergangs des
Arbeitsverhältnisses
Erklärung ist
bedingungsfeindlich
befristungsfeindlich
mitbestimmungsfrei
II. Voraussetzungen eines wirksamen Widerspruchs
Der Arbeitnehmer kann mittels eines einseitigen Widerspruchs den Übergang seines
Rechtsverhältnisses auf den Betrieb des Erwerbers aber nur dann verhindern, wenn eine inhaltlich vollständige und vor allem fristgemäße Erklärung abgegeben wurde. Ferner ist es erforderlich, den Empfang beim richtigen Adressaten sicherzustellen. Übermittlungsfehler
muss sich der Arbeitnehmer zurechnen lassen.
335
Rieble, NZA 2005, 1.
107
1. Form und Inhalt des Widerspruchs
Die Form des Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB ist durch den Gesetzestext vorgegeben. Für den Inhalt der Erklärung gibt das Gesetz keine klaren Vorgaben.
a) Formvoraussetzungen
Das Gesetz schreibt in § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB vor, dass der Widerspruch „schriftlich“ zu
erfolgen hat. Als Maßstab ist § 126 Abs. 1 BGB heranzuziehen. Voraussetzung ist folglich,
dass das Schriftstück, welches den Widerspruch enthält, vom widersprechenden Arbeitnehmer eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens
unterzeichnet ist.
Das Schriftformerfordernis ist aus zwei Gründen aufgenommen worden:
 Zum einen soll die Schriftform als Beweiserleichterung dienen, indem der Arbeitnehmer
und/oder der Arbeitgeber mittels Urkunde belegen können, dass ein Widerspruch gegen den Betriebsübergang vorliegt.
 Darüber hinaus soll das Schriftformerfordernis den Arbeitnehmer vor Übereilung schützen. Er soll sich reiflich überlegen, ob er aufgrund der Informationen nach § 613a Abs.
5 BGB dem Betriebsübergang widerspricht oder nicht.
§ 126 BGB verweist bezüglich des Schriftformerfordernisses auf § 126a BGB. Die Schriftform kann folglich durch die elektronische Unterschriftsleistung gewahrt werden. Um eine
rechtswirksame elektronische Unterschrift nach § 126a BGB zu leisten, muss der widersprechende Arbeitnehmer der Widerspruchserklärung seinen Namen hinzufügen und das zu erstellende elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem
Signaturgesetz versehen. Aufgrund der hohen technischen Anforderungen an eine elektronische Unterschrift wird dies in der Praxis kaum von Relevanz sein.336
Berücksichtigt der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform des Widerspruches nicht, führt dies zur Unwirksamkeit des Widerspruchs. Dies hat zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf den
Erwerber übergeht. Richtigerweise kann jedoch der Arbeitnehmer erneut bis zu der in § 613a
Abs. 5 BGB vorgesehenen Monatsfrist widersprechen. Ist diese Frist verstrichen, kann der
Arbeitnehmer sich nur noch auf die fehlerhafte oder unvollständige Information nach § 613a
Abs. 5 BGB berufen, da allein diese in der Lage ist, die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB
nicht in Kraft zu setzen.
Im Ergebnis ist es Sache des Arbeitnehmers, den Zugang der rechtswirksamen Erklärung sicherzustellen.
Beispiel:
Mehrere Arbeitnehmer beauftragen den Betriebsrat mit der Übergabe der Widerspruchserklärung. Ein Blatt mit der Widerspruchserklärung eines Arbeitnehmers geht dem Betriebsrat in
dessen Büro verloren und wird daher nicht der Geschäftsleitung übergeben. Ein wirksamer Widerspruch liegt nicht vor, das Arbeitsverhältnis geht unter Berücksichtigung des § 613a Abs. 5
BGB auf den Erwerber über. Ein neuer Widerspruch ist nur innerhalb der Monatsfrist nach §
613a Abs. 6 BGB möglich. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer auf seinen Fehler aufmerksam gemacht wird oder ihn selbst erkennt.
336
Schiefer, Rn. 432.
108
b) Notwendiger Erklärungsinhalt
Das Gesetz normiert in § 613a Abs. 6 BGB lediglich das Schriftformerfordernis. Ob und inwieweit der Widerspruch begründet werden muss, sagt das Gesetz nicht. Nach der Rechtsprechung wird deshalb die Angabe eines Widerspruchsgrundes seitens des Arbeitnehmers
für nicht erforderlich gehalten.337 Selbst das Bestehen eines Widerspruchsgrundes an sich ist
nicht notwendig,338 denn es ist unerheblich, aus welchen Gründen der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber nicht fortsetzen will.339
Wichtig ist, dass der Wille des Arbeitnehmers, an dem Betriebsübergang nicht teilnehmen zu
wollen, deutlich wird. Hierbei ist es nicht erforderlich, dass die Worte „Widerspruch“ oder „widersprechen“ in dem Schreiben vorkommen. Ergibt sich aus dem Kontext der Willenserklärung ausreichend deutlich, dass der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen
will, liegt bei eingehaltener Schriftform ein rechtswirksamer Rechtsfolgenausschluss im Sinne des § 613a Abs. 6 BGB vor.
Die Widerspruchserklärung ist gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen.340 Bei der Ermittlung
des Erklärungsinhalts finden die Grundsätze zur Auslegung von Willenserklärungen Anwendung. Danach muss der rechtsgeschäftliche Wille in der Erklärung andeutungsweise seinen
Ausdruck gefunden haben.
Auch der Antrag beim Arbeitsgericht auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis mit dem
Veräußerer fortbesteht, ist nicht als Widerspruch im Sinne des § 613a Abs. 6 BGB zu bewerten.341 Insoweit ermangelt es einer wirksamen einseitigen Willenserklärung, die als Widerspruch gegenüber dem Veräußerer oder dem Erwerber des Betriebes oder Betriebsteils abgegeben wird.
c) Widerspruch als „kollektive Kampfmaßnahme“
Der Widerspruch soll den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber verhindern
und nicht die arbeitgeberseitige Maßnahme als solche. Bei dem Widerspruch einer Vielzahl
betroffener Arbeitnehmer stellt sich daher die Frage, ob die kollektive Erklärung dem Ziel
dient, einen unzulässigen Druck auf den Arbeitgeber auszuüben. Letzteres ist als rechtsmissbräuchliches Verhalten der Arbeitnehmer unzulässig, was aber in der Praxis nur in Ausnahmefällen vorkommen wird.
Die Abgabe einer Vielzahl von Widerspruchserklärungen von einer Reihe betroffener Arbeitnehmer kann lediglich ein zufälliges Ereignis darstellen. Erreicht nur eine Bündelung von
Einzelerklärungen den Veräußerer oder den Erwerber, liegt ein von § 613a BGB gedecktes
Verhalten vor und das kann in keiner Weise als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Arbeitnehmer unter Koordinierung durch den Betriebsrat oder die zuständige Gewerkschaft kollektiv handeln, um den Arbeitgeber zu einem
gewissen Verhalten zu zwingen. Die Frage ist, wann der kollektive Widerspruch als instrumentalisiert anzusehen ist, um sachwidrige Ziele zu verfolgen.
337
BAG v. 19.03.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750.
BAG v. 19.02.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 3386.
339
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759.
340
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406.
341
BAG v. 27.04.1995 – 8 AZR 197/94, NZA 1995, 1155.
338
109
Die Rechtsprechung hat anerkannt, dass bei einer „Gruppenerklärung“ ein solches unzulässiges Ziel immer dann verfolgt wird342, wenn
 mit dem Widerspruch nicht der Übergang des eigenen Rechtsverhältnisses, sondern
die betriebliche Maßnahme in Gänze verhindert werden soll. In diesem Fall würde in
unzulässiger Weise Druck auf das Unternehmen ausgeübt, um eine grundsätzlich autonome Unternehmerentscheidung zu verhindern.
 mittels des kollektiven Widerspruchs versucht werden soll, eine Vergünstigung zu erreichen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
Grundsätzlich haben entweder Erwerber oder Veräußerer die Beweislast bezüglich des
rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der kollektiv widersprechenden Arbeitnehmer. Dies wird
im Einzelfall schwierig sein, da von den betroffenen Arbeitnehmern „nach außen“ als Motivation des Handelns allein der Bestand des eigenen Arbeitsverhältnisses geltend gemacht
werden dürfte.
Auch aus der Tatsache, dass standardisierte Widerspruchsschreiben Verwendung finden,
lässt sich nicht zwingend auf einen Rechtsmissbrauch schließen. 343
2. Adressat des Widerspruchs
§ 613a Abs. 6 BGB normiert als Empfänger des Widerspruchs sowohl den bisherigen Arbeitgeber als auch den neuen Inhaber. Bisheriger Arbeitgeber ist nur der Veräußerer des Betriebes oder Betriebsteils. Ein noch weiter zurückliegender ehemaliger Arbeitgeber ist hingegen
kein „bisheriger“ Arbeitgeber im Sinne des Wortlauts des § 613a Abs. 6 Satz 2 BGB.344
Ein zwingender Adressat wird vom Gesetz daher nicht vorgegeben. Auch nach der bisherigen Rechtsprechung war der Widerspruch nur gegenüber diesen beiden möglich345, weder
der Betriebsrat des Veräußerers noch der des Erwerbers war als zulässiger Adressat der
Widerspruchserklärung anerkannt.
Da der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer nach dem Gesetzeswortlaut somit
sowohl gegenüber dem Veräußerer als auch gegenüber dem Erwerber widersprechen kann,
sieht die Gesetzesbegründung vor, dass sich die Beteiligten des Betriebsübergangs untereinander über den Zugang eines Widerspruchs zu informieren haben.346 Die Wirksamkeit des
Widerspruchs berührt diese Informationspflicht von Veräußerer und Erwerber jedoch nicht.
Die Stellung als Adressat des Widerspruchs ist unabhängig von der Informationspflicht nach
§ 613a Abs. 5 BGB. So ist es möglich, dass der Veräußerer des Betriebs oder Betriebsteils
den Arbeitnehmer informiert hat, der Widerspruch jedoch gegenüber dem Erwerber erfolgt
oder umgekehrt.
3. Widerspruchsfrist
§ 613a Abs. 6 BGB verpflichtet den widersprechenden Arbeitnehmer, den Widerspruch entweder beim Veräußerer oder beim Erwerber „innerhalb eines Monats“ nach dem Zugang der
ordnungsgemäßen, das heißt vollständigen und inhaltlich zutreffenden Unterrichtung nach
Abs. 5 zu erheben.
342
BAG v. 30.09.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 44.
BAG v. 30.09.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 44.
344
BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13.
345
BAG v. 11.12.2014 – 8 AZR 943/13; v. 22.04.1993 – 2 AZR 50/92, NZA 1994, 360.
346
BT-Drucksache 14/7066, S. 20.
343
110
Praxishinweis: Wichtig ist, nur eine rechtswirksame Unterrichtung des Arbeitnehmers nach
§ 613a Abs. 5 BGB setzt den Fristablauf in Gang.347
a) Rechtscharakter der Frist
Die Ein-Monatsfrist ist eine Ausschlussfrist.348 Verstreicht sie ungenutzt, so ist der Betriebsübergang im Sinne des § 613a Abs. 1 BGB vollzogen. Das Rechtsverhältnis geht automatisch auf den Erwerber über, ohne dass der Arbeitnehmer noch eine Möglichkeit hätte, dem
Übergang seines Rechtsverhältnisses zu widersprechen.
b) Berechnung der Frist
Die Frist wird durch die in Textform gefasste Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB ausgelöst. Die Frist beginnt folglich erst mit der korrekten Information zu laufen.349 Daher beginnt
die Frist nicht zu laufen, wenn der vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer
 überhaupt nicht informiert worden ist.
 nur unvollständig oder nur zum Teil informiert worden ist.
 gänzlich unzutreffend informiert worden ist.
Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Betriebsübergang in der Zukunft stattfindet oder bereits
in der Vergangenheit stattgefunden hat. Daher kann auch noch nach Vollzug des Betriebsübergangs wirksam die Frist ins Laufen gesetzt werden, wenn erst später die vollständige
und inhaltlich korrekte Unterrichtung durchgeführt worden ist.350 Dabei ist zu berücksichtigen,
es gibt keine verbindliche Zeitspanne ab dem Betriebsübergang, nach deren Ablauf der Arbeitnehmer nicht mehr widerrufen kann. Die Rechtsprechung setzt als Grenze allein auf das
Rechtsinstitut der Verwirkung. Dieses besteht erstens aus dem Zeitmoment, das erfüllt ist,
wenn der betroffene Arbeitnehmer in Kenntnis aller für den Betriebsübergang relevanten
Umstände beim Betriebserwerber tatsächlich eine erhebliche Zeit weiterarbeitet und zweitens dem Umstandsmoment, das erfüllt ist, wenn der Arbeitnehmer dem Veräußerer oder
dem Erwerber durch tatsächliches Verhalten zu verstehen gibt, dass er dem Betriebsübergang nicht widersprechen werde.
Dass eine die Frist erweiternde Sichtweise vom Normtext nicht gedeckt ist, zeigt die Gesetzesentstehung. Der Gesetzgeber kannte die Diskussion um die Probleme, die sich aus einem zeitlich unbegrenzten Widerspruchsrecht bei fehlerhafter Information nach § 613a Abs.
5 BGB ergeben.351 Dennoch ist eine die Widerspruchsmöglichkeit einschränkende Regelung
bei vollzogenem Betriebsübergang mit der Folge unterblieben, dass eine praktisch unbegrenzte Widerspruchsmöglichkeit für die betriebliche Praxis den problematischsten Teil des
Betriebsübergangsrechts darstellt. 352 .
Im Ergebnis kann daher das Widerspruchsrecht nur unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung untergehen.353
347
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 541/08; Hess. LAG 01.01.2013 – 13 Sa 274/13.
BAG v. 16.04.2013 – 9 AZR 731/11.
349
BAG v. 02.04.2009 – 8 AZR 262/7, NZA 2009, 1149.
350
BAG v. 24.04.1993 – 2 AZR 50/92, NZA 1994, 360.
351
BT-Drucksache 14/8128, S. 4.
352
Rieble, NZA 2009, 401.
353
Siehe unten Kapitel C, II. 3. und IV.
348
111
Wichtig ist, das Widerspruchsrecht kann auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer und dem Erwerber ausgeübt werden. Insoweit besteht die Gestaltungs- und Verfügungsbefugnis zur Ausübung des
Widerspruchs nachträglich fort.354 Insoweit ist jedoch zu prüfen, ob nicht durch die Beendigung des Vertrages zum Erwerber der Arbeitnehmer eine Disposition getroffen hat, die das
Recht, dem Betriebsübergang zu widersprechen, verwirken lassen kann.355
Praxishinweis: Um zumindest den Beginn der Frist genau bestimmen zu können, sollte der
Zeitpunkt des Betriebsübergangs und der Zugang des Schreibens beim betroffenen Arbeitnehmer möglichst beweisbar gesichert werden. Dies z. B. durch die Verwendung einer Quittung oder eines Empfangsbekenntnisses.
c) Verkürzung der Frist
Eine einseitige Verkürzung der Monatsfrist, z. B. durch den Arbeitgeber in einem Widerspruchsformular, ist unwirksam.356 Der Arbeitnehmer selbst kann auch nicht auf die Monatsfrist rechtswirksam verzichten.
Die Monatsfrist ist insoweit vom Gesetzgeber nicht als dispositives Recht ausgestaltet. Auch
entsprechend abweichende Vertragsklauseln, die die Frist verkürzen, z. B. in einem Arbeitsvertrag, sind unwirksam.
d) Verlängerung der Frist
Stimmen folglich alle Beteiligten, also Veräußerer, Erwerber und betroffener Arbeitnehmer
zu, ist eine Verlängerung rechtlich möglich.357
Praxishinweis: Die Verlängerung sollte in der Praxis aber unterbleiben, um nach Ablauf der
Frist Rechtssicherheit zu haben. Veräußerer und Erwerber müssen Klarheit darüber haben,
ob ein Arbeitnehmer mit dem veräußerten Betrieb oder Betriebsteil auf den Erwerber übergeht oder nicht.
4. Bindung an die Erklärung
Nach Zugang beim Veräußerer oder Erwerber ist der Arbeitnehmer regelmäßig an seine Erklärung gebunden. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze des BGB über die Abgabe,
den Inhalt und den Zugang von Willenserklärungen.
a) Widerruf der Erklärung
Der Arbeitnehmer kann seinen Widerspruch nicht einseitig wieder außer Kraft setzen. Weder
kann er einen „Widerruf des Widerspruchs“ erklären358, noch reicht es aus, durch bloßes Anbieten der Arbeitsleistung gegenüber dem Erwerber zu signalisieren, der Arbeitnehmer wolle
am Widerspruch nicht festhalten oder ihn gar rückgängig machen.
Fraglich ist, ob ein Arbeitnehmer, der den Widerspruch gegenüber dem Erwerber erklärt hat,
mit dem Veräußerer eine Vereinbarung dahin gehend treffen kann, dass der Widerspruch
nicht mehr gelten soll. Ein entsprechendes rechtliches Handeln wird man im Ergebnis als
unzulässig ansehen müssen.
354
BAG v. 20.03.2008 – 8 AZR 1016/06, NZA 2008, 1354.
siehe unten: Kapitel C, IV.
356
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 103.
357
Gaul/Otto, DB 2002, 634.
358
BAG v. 30.10.2004 – 8 AZR 491/02, NZA 2004, 481.
355
112
Zwar sind die Rechtskreise des Erwerbers und die des Veräußerers im Rahmen des § 613a
BGB eng miteinander verknüpft, dennoch bleiben sie, gemessen an den Rechtsfolgen, getrennt.
Wenn der Erwerber vom Arbeitnehmer den Widerspruch des Übergangs erklärt bekommen
hat, trifft er eigene Dispositionen. Diese bereits getroffenen Dispositionen darf der Arbeitnehmer weder einseitig noch durch Absprache mit dem Veräußerer in Abrede stellen und
damit negieren.
b) Anfechtung der Erklärung
Möglich ist aber die Anfechtung der Erklärung nach §§ 119, 123 BGB.359 Notwendig ist dabei, dass aus der Erklärung deutlich zu erkennen ist, dass sich der Arbeitnehmer in seiner
Erklärung nicht festhalten lassen will.
Das Wort „Anfechtung“ muss dabei nicht benutzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass
die inhaltlich entsprechende Erklärung abgegeben wird, dass ein gesetzlich vorgesehener
Grund zur Anfechtung besteht, letztlich, dass die Frist zur Anfechtung gewahrt ist.
Zu beachten ist jedoch, dass das Anfechtungsrecht an gesetzliche Fristen gebunden ist. Ist
der Arbeitnehmer durch Täuschung oder Drohung zum Widerspruch veranlasst worden, gilt
die Anfechtungsfrist nach § 124 BGB, folglich die Jahresfrist. Die Anfechtung wegen Irrtums
hat dagegen nach § 121 BGB unverzüglich zu erfolgen, nachdem der Arbeitnehmer von dem
Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.
Jede Anfechtung des Arbeitnehmers, die die Widerspruchserklärung betrifft, ist auf ein unzulässiges „venire contra factum proprium“ zu überprüfen. Dies gilt insbesondere in den Fällen,
in denen die Anfechtung lediglich der Erhöhung der Abfindung dienen soll.
Beispiel
360
Als widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers hat es das LAG Bremen
angesehen,
wenn ein Arbeitnehmer nach Widerspruch des Übergangs seines Rechtsverhältnisses auf den
Erwerber mit dem Veräußerer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung
einer Abfindung erfolgreich verhandelt und anschließend gegenüber dem Erwerber noch Lohn
für die Zeit der Kündigungsfrist unter Anfechtung der Widerspruchs verlangt.
359
360
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 310/06, DB 2007, 1759.
LAG Bremen v. 18.09.1987 – 4 Sa 640/86, DB 1988, 128.
113
Zusammenfassender Überblick
Widerspruch
Form & Inhalt
Schriftform
Erklärung
Adressat
Frist
§ 126 BGB
eines
Arbeitnehmers
1 Monat
mehrerer
Arbeitnehmer
Erwerber
Veräußerer
Anfechtung der Erklärung möglich
III. Verzicht auf das Widerspruchsrecht
Der Verzicht auf das Widerspruchsrecht ist aufgrund des zwingenden Charakters von § 613a
BGB nur eingeschränkt möglich:
 Er kann nicht bereits im Arbeitsvertrag (gleichsam als Vorratserklärung) erfolgen.
 Er kann nicht im Vorfeld des Betriebsüberganges erfolgen.
 Er kann nicht in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Tarifvertrag vorgegeben
werden, da eine solche Regelung einen Vertrag zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer darstellen würde und somit unwirksam ist.361
Die Erklärung, auf den Widerspruch zu verzichten, wirkt in den genannten Fällen weder
gegenüber dem Veräußerer des Betriebes oder des Betriebsteils noch gegenüber einem möglichen Erwerber.
 Erst dann, wenn der Betriebsübergang unmittelbar bevorsteht, kann ein Verzicht
rechtswirksam erklärt werden.362
Die Tatsache, dass der Übergang bevorsteht, manifestiert sich in dem Informationsschreiben
an die betroffenen Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 BGB. Der Verzicht kann nach Erhalt
folglich wirksam erklärt werden, da sich aus dem Inhalt des Informationsschreibens Umfang,
Auswirkungen und Zeitpunkt des beabsichtigten Betriebsübergangs ergeben.
Aus Beweisgründen sollte eine entsprechende Verzichtserklärung des Arbeitnehmers stets
protokolliert werden.363 Die Unterschrift sollte dabei nicht nur den Verzicht, sondern auch die
vollständige Belehrung umfassen.
361
362
BAG v. 02.10.1974 – 5 AZR 504/73, DB 1975, 601.
BAG v. 19.03.1998 – 8 AZR 139/87, NZA 1998, 750.
114
Formulierungsvorschlag:
„Verzicht auf das Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 5 BGB
Ich (Name) bin im Rahmen einer Betriebsversammlung am (Datum) mündlich und durch
Schreiben vom (Datum) über den Betriebsübergang zwischen dem Unternehmen (Veräußerer)
und dem Unternehmen (Erwerber) vollständig unterrichtet worden. Weitere Fragen habe ich
nicht.
Mit dem Übergang meines Arbeitsvertrages auf das Unternehmen (Erwerber) bin ich einverstanden. Daher verzichte ich auf das mir zustehende Recht, dem Betriebsübergang widersprechen zu dürfen. Der Verzicht gilt sowohl gegenüber dem Unternehmen (Veräußerer) als auch
gegenüber dem Unternehmen (Erwerber).
Datum
Unterschrift“
Notwendig ist es, dass der Arbeitgeber eine unterzeichnete Erklärung als Urkunde in Händen
hält. Denn erklärt der Arbeitnehmer trotz des wirksamen Verzichts den Widerspruch, ist ein
entsprechender Widerspruch ohne Verbindlichkeit.364 Das Rechtsverhältnis geht auf den Erwerber über.
Praxishinweis: Die gesetzlich geforderten Informationen sollten auf einer Betriebsversammlung in zeitlicher Nähe zum eigentlichen Betriebsübergang mündlich gegeben werden. Zusätzlich sollte – möglichst am Ende der Veranstaltung – der Inhalt wie im Gesetz gefordert in
Textform, also als Anschreiben, den betroffenen Arbeitnehmern übergeben werden. Den Erhalt sollten die Arbeitnehmer quittieren und möglichst zusätzlich – ohne Überrumpelung
durch den Veräußerer/Erwerber – einen Verzicht auf den Widerruf erklären.
Der Verzicht auf den Widerspruch innerhalb der Monatsfrist ist nicht nur unmittelbar nach der
erhaltenen Information des § 613a Abs. 5 BGB möglich, auch zu einem späteren Zeitpunkt,
folglich während des Laufs der Monatsfrist, kann der Arbeitnehmer auf das Widerspruchsrecht verzichten. Dazu muss er entweder dem Erwerber oder dem Veräußerer erklären, keinen Widerspruch einlegen zu wollen.
IV. Untergang des Widerspruchsrechts
Der Widerspruch soll im Ergebnis den Arbeitnehmer vor einem aufgedrängten, also ungewollten, Arbeitgeber schützen. In der Praxis kommt es demgegenüber aber nicht selten vor,
dass der Arbeitnehmer zunächst zum Erwerberbetrieb wechselt und dort über einen langen
Zeitraum ins Unternehmen integriert wird, bevor er die Widerspruchserklärung abgibt. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob nicht das Recht, dem Übergang widersprechen zu können, verwirkt ist (unter 1.).
Praxishinweis: Das Recht des Widerspruchs ist aber nur an die Frist von einem Monat nach
dem Betriebsübergang gebunden, wenn zuvor eine vollständige und zutreffende Unterrichtung erfolgt ist.
Auch kommt es vor, dass Arbeitnehmer nach Aufnahme der Arbeit beim Betriebserwerber
mit diesem einen Aufhebungsvertrag schließen und dann erst dem Übergang des Rechtsverhältnisses nach § 613a Abs. 6 BGB widersprechen. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob
nicht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt (unter 2.).
363
364
Gaul/Otto DB 2002, 634.
BAG v. 19.03.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750.
115
1. Verwirkung des Widerspruchsrechts
Eine Verwirkung des Widerspruchsrechts ist immer dann anzunehmen, wenn sowohl das
Zeit- als auch das Umstandsmoment erfüllt sind.
 Das Zeitmoment ist erfüllt, wenn der betroffene Arbeitnehmer in Kenntnis aller für den
Betriebsübergang relevanten Umstände beim Betriebserwerber tatsächlich eine erhebliche Zeit weiterarbeitet.
Problematisch ist, dass es keine konkrete zeitliche Grenze gibt, sondern die konkreten
Umstände des Einzelfalls alleine zählen. Eine Prüfung dieser Umstände ist angezeigt,
wenn das Zeitmoment durch eine Tätigkeit des vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers von fünf bis sechs Monaten beim Erwerber vorliegt.365
 Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Arbeitnehmer dem Veräußerer oder dem
Erwerber durch tatsächliches Verhalten zu verstehen gibt, dass er dem Betriebsübergang nicht widersprechen werde.366
Beispiel:
Der Arbeitnehmer nimmt beim Betriebserwerber die Arbeit auf. Er äußert keinen Vorbehalt oder
Ähnliches. Wird der Betriebsübergang als solcher angesprochen und äußert der Arbeitnehmer,
sich beim Erwerber wohlzufühlen, spricht vieles dafür, das Umstandsmoment als erfüllt anzusehen.
Wichtig ist, je gewichtiger das Umstandsmoment, also das durch den Arbeitnehmer oder die
Umstände gesetzte Vertrauen, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner (den
Veräußerer bzw. Erwerber) unzumutbar machen, desto schneller kann der Anspruch des Arbeitnehmers verwirken.367
Das Umstandsmoment knüpft daher regelmäßig an ein tatsächliches Verhalten des vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers an. Das Umstandsmoment ist daher dann erfüllt,
wenn der Arbeitnehmer selbst über den Bestand des Arbeitsverhältnisses disponiert hat.
Möglich ist dies durch Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages mit dem Erwerber.368 Die
Vereinbarung eines unbedingten Aufhebungsvertrages ist in diesen Fällen dafür notwendig.
Beispiel
Der Arbeitnehmer schließt einen Aufhebungsvertrag mit dem Erwerber und anschließend einen
befristeten Vertrag mit einem Dritten. Erst 15 Monate nach Betriebsübergang widerspricht er
dem Betriebsübergang wegen unstreitig fehlender Belehrung nach § 613a Abs. 5 BGB. Hier ist
das Recht zum Widerspruch verwirkt, da der Arbeitnehmer eine bewusste Entscheidung zur
Beendigung des übergegangenen und zum Neuabschluss eines anderen Vertrages getroffen
369
hat. Allein die bedingungslose Weiterarbeit beim Erwerber und die Entgegennahme der Entlohnung von diesem sind allerdings nicht geeignet, die Verwirkung zu begründen.
Die Verwirkung setzt im Ergebnis daher voraus, dass Veräußerer und/oder Erwerber darauf
vertrauen durften, dass der zum Widerspruch berechtigte Arbeitnehmer sein Recht nicht
mehr ausüben würde.
365
BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12; BAG v. 27.11.2008 – 8 AZR 225/07.
BAG v. 24.02.2011 – 8 AZR 935/08.
367
BAG v. 24.02.2011 – 8 AZR 699/09; BAG v. 24.07.2008 – 8 AZR 205/07, NZA 2008, 1294;
LAG Hamm v. 08.10.2013 – 7 Sa 888/13.
368
BAG v. 23.07.2009 – 8 AZR 541/08, NZA 2010, 393.
369
BAG v. 02.04.2009 – 8 AZR 473/07.
366
116
Die Rechtsprechung sieht dabei im Rahmen einer Interessenabwägung das Recht des betroffenen Arbeitnehmers zum Widerspruch als höher gegenüber dem Vertrauensschutz des
Erklärungsempfängers an. Die Interessen von Veräußerer und/oder Erwerber müssen derart
überwiegen, dass die Erfüllung des Anspruchs (die Rückkehr zum Veräußerer) nicht mehr
zugemutet werden kann.370
Auch die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung reicht für sich genommen nicht aus, um die Verwirkung anzunehmen.371
Hingegen führt die Vereinbarung zwischen Erwerber und betroffenem Arbeitnehmer darüber,
dass zwischen ihnen nie ein Vertrag bestanden hat, dies verbunden mit der Zahlung einer
Abfindung, regelmäßig zur Verwirkung des Widerspruchsrechts.372
Etwas anderes kann gelten, wenn der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt im Termin zur
Verhandlung über die Kündigung erklärt, dem Betriebsübergang werde nicht widersprochen
und dann eine Zeitspanne von bis zu einem Jahr bis zum tatsächlich erhobenen Widerspruch vergeht. In diesem Fall ist Verwirkung bejaht worden.373
2. Rechtsmissbräuchliche Ausübung
Zwar bedarf der Widerspruch weder einer Begründung noch eines sachlichen Grundes, wird
er aber in rechtsmissbräuchlicher Weise ausgeübt, entfaltet er keine Wirkung.
Allein die Verhinderung des endgültigen Übergangs des Vertragsverhältnisses auf den Betriebserwerber ist allerdings nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, sondern von der gesetzlichen Regelung gedeckt. Um daher den Widerspruch als rechtsmissbräuchlich erscheinen zu lassen, müssen zusätzliche Umstände vorliegen, etwa die Verfolgung unlauterer
Zwecke oder eine Schädigungsabsicht.374
Schädigungsabsicht oder die Verfolgung unlauterer Zwecke sind jedoch zu verneinen, wenn
der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang nur deshalb widerspricht, um mit dem Betriebserwerber über andere, regelmäßig bessere Konditionen zu verhandeln.
Rechtsmissbräuchliches Verhalten orientiert sich am Grundsatz von Treu und Glauben nach
§ 242 BGB375 und kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebserwerber diesen als neuen Arbeitgeber endgültig anerkannt
hat.376 Gleiches gilt, wenn der betroffene Arbeitnehmer eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung nicht angreift oder das Arbeitsverhältnis durch gerichtlichen Vergleich
beendet.377
Ein widersprüchliches Verhalten liegt daher vor, wenn das beim Veräußerer durch den Arbeitnehmer selbst erweckte Vertrauen darin, dass er auf den Erwerber übergeht, durch die
genannten Umstände zerstört wird.378
370
BAG v. 24.02.2011 – 8 AZR 699/09; v. 27.11.2008 – 8 AZR 199/07.
LAG Düsseldorf v. 27.05.2009 – 7 Sa 443/07.
372
BAG v. 17.10.2013 – 8 AZR 974/12.
373
BAG v. 15.02.2007 – 8 AZR 431/06, NZA 2007, 793; LAG Hamm v. 08.10.2013 – 7 Sa 888/13.
374
BAG v. 19.02.2009 – 8 AZR 176/08, NZA 2009, 1095.
375
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006 1406.
376
Rieble, NZA 2008, 402.
377
BAG v. 24.02.2011 – 8 AZR 699/09.
378
BAG v. 12.02.2014 – 4 AZR 317/12.
371
117
3. Sogenannte „Ketten-Widersprüche“
Zum Teil kommt es vor, dass ein Betrieb mehrfach hintereinander übertragen wird. Jeder
Übertragungsvorgang ist dann als Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB zu qualifizieren, mit der Folge, dass jeweils die betroffenen Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 5 BGB zu
informieren sind.
Trotz fehlerhafter Informationen beim ersten Betriebsübergang erlischt das Widerspruchsrecht gegen diesen ersten Betriebsübergang dann, wenn der Betrieb später erneut im Wege
des Betriebsübergangs übertragen wird und entweder die Arbeitnehmer ordnungsgemäß
darüber informiert wurden oder die Widerspruchsfrist gegen diesen zweiten Betriebsübergang erloschen ist.379 Der Grund dafür ist, dass das Widerspruchsrecht nach dem Normtext
nur gegenüber dem „bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Arbeitgeber“ erklärt werden
kann. Kommt es nach einem ersten Betriebsübergang zu einem weiteren Betriebsübergang,
verliert der Arbeitgeber des ersten Betriebsübergangs seine Stellung als „bisheriger Arbeitgeber“. Er wird zum „ehemaligen Arbeitgeber“.
Zusammenfassender Überblick
Untergang des
Widerspruchsrechts
Rechtsmissbräuchliches Verhalten
Verwirkung
Kettenwiderspruch
Umstandsmoment und
nur für letzten Betriebsübergang Widerspruch
möglich
Zeitmoment
V. Beweisprobleme
Die Frist beginnt mit dem Zugang der Information nach § 613a Abs. 5 BGB. Darlegungs- und
beweispflichtig für die vollständige und zutreffende Information sind entweder der Veräußerer
oder der Erwerber.380 Beide haben als Gesamtschuldner die notwendige Information nach
§ 613a Abs. 5 BGB gegenüber dem vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer zu erbringen.
Für den Zugang des Widerspruchs und die Rechtzeitigkeit des Zugangs beim Erwerber oder
Veräußerer ist der Arbeitnehmer voll darlegungs- und beweispflichtig. Für die Fristberechnung gelten die §§ 187, 188 BGB. Gemäß § 187 Abs. 1 BGB ist der Tag des Zugangs der
Unterrichtung nicht mitzurechnen. Es gilt insoweit § 188 Abs. 2, 2. Alt BGB.
379
380
BAG v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14.
LAG Sachsen v. 16.05.2014 – 3 Sa 9/14.
118
VI. Rechtsfolgen des Widerspruchs
Das Gesetz regelt in § 613a Abs. 6 BGB die Rechtsfolgen eines vom Arbeitnehmer erklärten
Widerspruchs nicht. Im Normtext ist lediglich festgelegt, dass der Arbeitnehmer schriftlich widersprechen kann, ferner, dass der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Zugang der
Unterrichtung nach Abs. 5 zu erfolgen hat.
1. Fortbestand des alten Vertrages
Erklärt der vom Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer ordnungs- und fristgerecht den
Widerspruch, hat dies zur Folge, dass das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber weiter besteht. Im Sinne einer Rechtsfolgenverweigerung tritt die in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
angeordnete Rechtsfolge des Betriebsüberganges nicht ein.381 Für die Rechtsfolgen des Widerspruchs entscheidend ist der Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchs entweder beim
Veräußerer oder beim Erwerber.
Im Ergebnis wirkt der Widerspruch des Arbeitnehmers rückwirkend.382 Auf den Zeitpunkt des
Übergangs rückwirkend (also mit ex-tunc-Wirkung) wird fingiert, dass das Arbeitsverhältnis
mit dem Veräußerer nie aufgelöst worden ist. Es wird vielmehr so getan, als hätte der Vertrag über den gesamten Zeitraum zwischen Veräußerer und Erwerber weiter bestanden.
Als Rechtsfolge ist weiter anerkannt, dass das zwischenzeitlich zwischen dem vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer und dem Erwerber bestandene Rechtsverhältnis als faktisches Arbeitsverhältnis behandelt wird.
Da aufgrund des Widerspruchs das Vertragsverhältnis beim Veräußerer verbleibt, schuldet
dieser weiterhin die vertragliche Vergütung.383 Vertragliche Vergütung in diesem Sinne ist
nicht nur der geschuldete Lohn, sondern auch alle sonstigen Nebenabreden des Vertrages,
seien sie materieller oder immaterieller Art.
Nach § 615 Satz 2 BGB hat sich der Arbeitnehmer jedoch das anrechnen zu lassen, was er
zwischenzeitlich beim Erwerber erzielt hat. Daher muss der Veräußerer nur dann Entgelt an
ihn nachzahlen, wenn sich eine Differenz zu Lasten des Arbeitnehmers ergibt.384
Hat der Erwerber nach dem Betriebsübergang und vor dem Widerspruch dem betroffenen
Arbeitnehmer gekündigt, wird diese Kündigung dem Veräußerer zugerechnet, wenn dieser
sie genehmigt.385 Es braucht nicht mehr mit neuer Frist gekündigt werden, die Frage einer
geänderten Sozialauswahl kann sich allerdings stellen.
Praxishinweis: Eine neue Kündigung ist immer nur nach erneuter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG möglich. Sie hat auch bei ansonsten unveränderten Tatsachen zu
erfolgen.
2. Arbeitsverpflichtung nach Widerspruch
Es stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Arbeitnehmer Widerspruch erhoben hat.
Kann er ohne Unterbrechung seine alte Tätigkeit beim Veräußerer weiterführen oder muss er
bis zur Klärung der Wirksamkeit des Widerspruchs beim Erwerber tätig sein?
381
BAG v. 08.05.2014 – 2 AZR 1005/12, NZA 2015, 889.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268.
383
LAG Köln v. 11.06.2004 – 12 Sa 374/04, AuA 2005, 113.
384
BAG v. 18.06.1965 – 5 AZR 351/64, DB 1965, 1405.
385
LAG Köln v. 13.10.2004 – 7 (9) Sa 1423/03.
382
119
Besteht über die Wirksamkeit des Widerspruchs Streit, zum Beispiel ob die Frist eingehalten
ist, hat das BAG anerkannt, dass trotz des Widerspruchs des Arbeitnehmers dieser zunächst
verpflichtet ist, beim Erwerber tätig zu werden.386 Dieses zutreffende Ergebnis lässt sich mit
dem Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts begründen. Nur aufgrund eines wirksamen
Widerspruchs soll sich ein Arbeitnehmer nicht verpflichten müssen, gegen seinen Willen
beim Erwerber tätig zu sein.
Das BAG macht aber dann eine Ausnahme von dieser Verpflichtung, wenn für den Arbeitnehmer die Arbeit beim Erwerber unzumutbar ist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn in der
Person des Erwerbers, in der Art der Arbeit oder aufgrund sonstiger Bedingungen entsprechende Gründe vorliegen.
3. Kündigungsmöglichkeit für den Veräußerer
Nach ausgeübtem Widerspruch fällt das Arbeitsverhältnis auf den Veräußerer zurück. Dieser
muss prüfen, ob er die Arbeitskraft des zurückgekehrten Arbeitnehmers noch benötigt. Folgende Konstellationen sind kündigungsrechtlich denkbar:
 Hat der Veräußerer seinen gesamten Betrieb auf den Erwerber übertragen und beschäftigt er überhaupt keine Arbeitnehmer mehr, benötigt er auch die Arbeitskraft des
zurückkehrenden Arbeitnehmers nicht mehr. Dem dem Übergang widersprechenden
Arbeitnehmer kann in diesen Fällen betriebsbedingt nach § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt
werden.
 Wird nur ein Teilbetrieb übertragen und widerspricht der Arbeitnehmer schließlich dem
Betriebsübergang, kann die betriebsbedingte Kündigung nur dann ausgesprochen
werden, wenn im Unternehmen des Betriebsveräußerers die betriebliche Tätigkeit des
Arbeitnehmers nicht mehr gebraucht wird.
Beispiel:
Der Veräußerer hat den Fuhrpark an eine Spedition übertragen. Ein Kraftfahrer widerspricht
dem Betriebsübergang. Der Veräußerer verfügt über keinerlei Tätigkeiten für Kraftfahrer mehr.
In diesen Fällen kann betriebsbedingt gekündigt werden. Jede Möglichkeit der Weiterbeschäfti387
gung ist zuvor aber auszuschöpfen.
 Wird ein Teilbetrieb übertragen und führt der widersprechende Arbeitnehmer die Tätigkeit aus, die auch andere im Restbetrieb des Veräußerers tätigen Arbeitnehmer durchführen (oder ist die Tätigkeit im Rahmen der Kündigungsfrist erlernbar), ist die Sozialauswahl zwischen den von Funktion und Qualifikation vergleichbaren Arbeitnehmern
nach § 1 Abs. 3 KSchG durchzuführen.388 Der am wenigsten schutzwürdige Arbeitnehmer kann betriebsbedingt gekündigt werden. Dies muss im Ergebnis nicht der widersprechende Arbeitnehmer sein.
Die Tatsache, dass der widersprechende Arbeitnehmer den Arbeitsplatz beim Betriebserwerber aufgegeben hat, bewertet die Rechtsprechung mit Bezugnahme auf den
Wortlaut der Norm nicht zu seinen Lasten.
Eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz aufgrund eines
Betriebsübergangs entfallen ist, ist regelmäßig nicht möglich. Die tarifliche oder vertragliche
Kündigungsfrist ist einzuhalten.
386
BAG v. 19.03.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750.
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 185/01, NZA 2003, 430; LAG Hamm v. 22.04.2010 – 15 Sa 288/10.
388
BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285.
387
120
Lediglich in den Fällen, in denen aufgrund Tarif- oder Arbeitsvertrag eine ordentliche Unkündbarkeit besteht, wird die außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist, die der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechen muss, zugelassen.389
Zusammenfassender Überblick
Rechtsfolgen des
Widerspruchs
Arbeitsverhältnis
bleibt beim
Veräußerer
(rückwirkend zum
Zeitpunkt des
Betriebsübergangs)
Abrechnung aller
Entgeltleistungen
durch Veräußerer für
die Zeit zwischen
Betriebsübergang und
Widerspruch
Anrechnungsmöglichkeit des erzielten
Einkommens beim
Erwerber
Betriebsbedingte Kündigung
Bei Übergang
des gesamten
Betriebes
grds. möglich
Bei Übergang
eines
Betriebsteils
ggf. Sozialauswahl
notwendig
(Grund des
Widerspruchs
unerheblich)
389
BAG v. 26.03.2015 – 2 AZR 783/13.
121
Kapitel D: Rechtsfolgen – Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung
129
I. Eintritt in die Rechte und Pflichten aus dem übergehenden Arbeitsverhältnis
(§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB)
130
1. Betriebszugehörigkeit
131
a) Kündigungsschutzrecht
131
aa) Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG
bb) Kündigungsfristen
cc) Unkündbarkeitsregelungen
dd) Sozialauswahl - § 1 Abs. 3 KSchG
ee) Berechnung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG
131
132
132
133
133
b) Urlaub und Entgeltfortzahlung
133
c) Arbeitgeberleistungen, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen
134
aa) Regelungen beim Veräußerer
bb) Regelungen beim Erwerber
134
134
d) Sozialpläne
136
2. Befristungsrecht – Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 TzBfG
138
3. Übergang einseitiger (Gestaltungs-)Rechte auf den Erwerber
138
a) (Vertraglich erweitertes) Direktionsrecht
138
b) Kündigungs- und Anfechtungsrecht
139
c) Widerruf, Anrechnung
139
II. Rechte und Pflichten aus Arbeitsvertrag
139
1. Übergang arbeitsvertraglicher Regelungen
139
a) Arbeitsort
139
b) Arbeitszeit
140
c) Arbeitsentgelt (einschließlich Dienstwagen und Sachleistungen)
140
d) Entgeltfortzahlung
142
e) Urlaub
142
aa) Umfang des Urlaubsanspruchs
bb) Urlaubsentgelt
cc) Verfallregelungen
dd) Urlaubsabgeltung
142
142
143
143
f) Arbeitszeitkonten
144
g) Bezugnahme auf Tarifverträge
145
aa) maßgebende Fragestellung
bb) Veräußerer nicht tarifgebunden
cc) Veräußerer tarifgebunden
(1) Altverträge
(2) Neuverträge
145
145
147
147
149
2. Übergang von Ansprüchen aus Gesamtzusage und betrieblicher Übung
151
123
a) Regelungen beim Veräußerer
151
b) Regelungen beim Erwerber
152
3. Übergang „nichtarbeitsrechtlicher“ Verträge
153
a) Kaufverträge
153
b) Arbeitgeberdarlehen
154
c) Werk- und Werkdienstwohnungen
154
d) Wettbewerbsverbote
154
aa) Vertragliche Wettbewerbsverbote
bb) Nachvertragliche Wettbewerbsverbote
(1) Bei Übergang des Arbeitsverhältnisses
(2) Beendete / Nicht übergehende Arbeitsverhältnisse
154
155
155
156
4. Übernahme nichtarbeitsrechtlicher Verpflichtungen (insbesondere
sozialversicherungs- und steuerrechtliche Ansprüche)
157
5. Ablösung vertraglicher Ansprüche durch kollektivrechtliche Regelungen
157
a) Ablösung durch Tarifvertrag
157
b) Ablösung durch Betriebsvereinbarung
158
III. Rechte und Pflichten aus Tarifvertrag
161
1. Unveränderte normative Weitergeltung
162
a) Verbandstarifverträge
162
aa) Kraft Verbandsmitgliedschaft
bb) Kraft Allgemeinverbindlicherklärung
162
163
b) Firmen- oder Haustarifverträge
164
c) Sonderfall: Umwandlungen nach dem UmwG
165
aa) Verbandstarifverträge
bb) Firmen- oder Haustarifverträge
(1) Verschmelzung
(2) Spaltung
165
165
166
166
2. Ablösung
167
a) Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB – Tarifvertrag des Erwerbers
167
aa) Kongruente Tarifgebundenheit
(1) Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer
(2) nicht tarifgebundene Arbeitnehmer
(3) Zeitpunkt der kongruenten Tarifbindung
(4) Ablösung durch Firmen- oder Haustarifvertrag
(5) Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag
bb) Regelungsidentität
cc) Ablösung von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen
(sog. Über-Kreuz-Ablösung)
168
169
169
170
170
171
171
172
b) Ablösende Vereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB
173
aa) Tarifvertrag gilt nicht mehr
173
124
bb) Anderer Tarifvertrag wird vereinbart
(1) bestehende arbeitsvertragliche sog. große Bezugnahmeklausel bzw.
Tarifwechsel klausel
(2) Änderungskündigung
173
174
174
3. Transformation – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
175
a) Begriffsbestimmung der Transformation
175
b) Sachlicher Anwendungsbereich der Transformation
177
c) Zeitlicher Anwendungsbereich der Transformation
178
aa) Tarifvertrag mit Wirkung für die Zukunft
bb) Zukünftige und rückwirkende Tarifverträge
cc) dynamische Verweisung auf anderen Tarifvertrag
dd) Nachwirkende Tarifverträge
179
179
180
180
d) Umfang der Transformation
181
aa) Statische Fortgeltung
(1) Tarifgebundener Arbeitnehmer
(2) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer
(3) Nicht tarifgebundener Veräußerer
(4) Betriebliche Übung nach Betriebsübergang
bb) Art der transformierten Tarifnormen
(1) Arbeitszeitregelungen
(2) Arbeitsentgelt (einschließlich Entgeltrahmentarifverträgen)
(a) Entgelthöhe
(b) Entgeltstruktur (Tarifentgeltgruppen)
(c) Änderung der Entgeltstruktur
(d) Neu eingestellte Arbeitnehmer
(3) Mehr-, Spät-, Sonntags- und Feiertags-, Nachtarbeit (einschließlich
Vergütungszuschläge)
(4) Kurzarbeit
(5) Bezahlte Freistellung
(6) Arbeitsverhinderung, insbesondere Arbeitsunfähigkeit
(7) Urlaub
(8) Verdienstsicherung
(9) Kündigungsregelungen
(10) Ausschlussfristen
(11) Übernahme von Auszubildenden
(12) Altersteilzeit
(13) Beschäftigungssicherung / Absenkung der Arbeitszeit
(14) Betriebsverfassung
181
181
181
181
182
182
183
183
183
184
184
185
185
185
186
186
186
187
187
187
187
188
188
189
e) Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
190
IV. Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen
191
1. Einzelbetriebsvereinbarungen
192
a) Unveränderte normative Weitergeltung
192
125
aa) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
(1) nicht betriebsratsfähiger Betriebsteil
(2) „Übernahme“ der Betriebsvereinbarung durch den Erwerber
(3) Regelungsabreden
bb) Wirkung der normativen Weitergeltung
(1) Änderungen der Betriebsvereinbarung im Ursprungsbetrieb
(2) Regelungsgegenstände der weiter geltenden Betriebsvereinbarungen
(a) Sachleistungen – Produkte des Veräußerers
(b) Arbeitsorganisatorische Regelungen
(c) Sozialeinrichtungen beim Veräußerer
(d) Verfahrensorganisatorische Regelungen
(e) Sonderfall: Sozialplanansprüche
(3) Schwellenwerte des BetrVG
(4) Wirkung für neu eingestellte Arbeitnehmer
(5) Nachwirkende Betriebsvereinbarungen
(aa) Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung
(bb) Gegenstand der freiwilligen Mitbestimmung
(cc) Gegenstand der teilweise erzwingbaren Mitbestimmung
193
195
195
195
196
196
197
197
198
199
199
200
203
204
204
204
205
205
b) Ablösung
207
aa) Ablösung von normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen
(1) Ablösung durch beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarungen
(2) Ablösung durch beim Erwerber geltende Gesamtbetriebsvereinbarungen/
Konzernbetriebsvereinbarungen
(3) Ablösung durch beim Erwerber geltende Tarifverträge
bb) Ablösung von transformierten Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1
Satz 3 BGB
(1) Ablösung durch beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarungen
(2) Ablösung durch beim Erwerber geltende Gesamtbetriebsvereinbarungen/
Konzernbetriebsvereinbarungen
(3) Ablösung durch beim Erwerber geltende Tarifverträge
cc) Ablösung von transformierten Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1
Satz 4 BGB
dd) Sonderfall: Betriebsvereinbarungen auf der Grundlage tariflicher
Öffnungsklauseln
(1) originäre Zuständigkeit nach § 87 Abs. 1 BetrVG
(2) erweiterte Regelungskompetenz über BetrVG hinaus
c) Transformation von Betriebsvereinbarungen – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
207
208
208
209
210
210
211
211
212
213
213
214
215
aa) Anwendungsbereich der Transformation
bb) Geltung der Betriebsvereinbarung im Zeitpunkt des Betriebsübergangs
(1) Transformation bestehender (ungekündigter) Betriebsvereinbarungen
(2) Transformation gekündigter Betriebsvereinbarungen
(a) Freiwillige Betriebsvereinbarung
(b) Zwingende Betriebsvereinbarungen (Nachwirkung)
(c) Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung
cc) Umfang der Transformation
215
215
215
216
216
216
217
217
126
dd) Einjährige Verschlechterungssperre
218
2. Gesamtbetriebsvereinbarungen
219
a) Unveränderte normative Weitergeltung
220
aa) Erwerber ohne eigenen Betrieb
(1) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
(2) Änderung oder Kündigung nach Betriebsübergang
bb) Erwerber mit eigenem Betrieb
(1) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
(2) Änderung oder Kündigung nach Betriebsübergang
cc) Umfang der normativen Weitergeltung
220
220
221
222
222
223
223
b) Ablösung von Gesamtbetriebsvereinbarungen
224
aa) Erwerber ohne eigene Betriebe - selbstständige Fortführung der übernommenen
Betriebe
bb) Erwerber mit eigenen Betrieben
(1) selbstständige Fortführung der übernommenen Betriebe
(2) Ablösung bei Eingliederung der übernommenen Betriebe in den
Erwerberbetrieb gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB
c) Transformation von Gesamtbetriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB
224
225
225
226
227
3. Konzernbetriebsvereinbarungen
227
a) Unveränderte normative Weitergeltung
227
b) Ablösung
229
c) Transformation
229
127
Kapitel D: Rechtsfolgen – Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung
Welche Rechtsfolgen ein Betriebsübergang für die übergehenden Arbeitsverhältnisse hat, ist
in erster Linie in § 613a Abs. 1 BGB geregelt.
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB stellt dabei die Grundlage für den gesetzlich angeordneten Wechsel des Vertragspartners dar, ähnlich, wie es in § 566 BGB für den Fall der Veräußerung einer Mietsache geregelt ist. Der Erwerber des Betriebes wird also mit dem Betriebsübergang
bzw. – genauer gesagt – mit dem Übergang der sog. Leitungsmacht neuer Arbeitgeber der
Arbeitnehmer. Der Erwerber muss und kann also ab dem Zeitpunkt des Übergangs der Leitungsmacht sämtliche Pflichten und Rechte wahrnehmen, die ihm als Arbeitgeber gegenüber
den Arbeitnehmern obliegen bzw. zustehen. Die Arbeitnehmer ihrerseits müssen sich für die
Geltendmachung ihrer Ansprüche ab dem genannten Zeitpunkt grundsätzlich an den Erwerber halten. Als ihr früherer Arbeitgeber haftet der Veräußerer für bestimmte Ansprüche, die
bereits vor Betriebsübergang entstanden, aber erst später fällig geworden sind, nach § 613a
Abs. 2 BGB mit.390
Für den Inhalt der übergehenden Arbeitsverhältnisse ist wie folgt zu differenzieren:
§ 613 a BGB
§ 613 a Abs. 1
S. 1 BGB
§ 613 a BGB Abs. 1 S. 2 – 4 BGB
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Einzelvertragliche
Vereinbarungen
Kollektivrechtliche
Weitergeltung
Transformation
(Satz 2)
Ablösung
Gesetzlich
(Satz 3)
Vertraglich
(Satz 4)
Erläuterung des Schaubildes:
 Einzelvertragliche bzw. individualvertragliche Regelungen des Arbeitsverhältnisses gehen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert auf den Erwerber über. Sie bleiben
also Inhalt der Arbeitsverhältnisse. Sie können nicht durch einseitige (Willens-) Erklärungen des Erwerbers, aber jederzeit durch eine Änderungsvereinbarung zwischen
den Arbeitsvertragsparteien oder durch Änderungskündigung abgeändert werden.
 Für kollektivrechtliche Regelungen, also Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag
oder Betriebsvereinbarung geregelt werden, gelten § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB, d.
h. es können je nach den tatsächlichen Umständen unterschiedliche Rechtsfolgen eintreten. Dabei ist in Bezug auf Tarifverträge zu beachten, dass die Sätze 2 - 4 nur bei
einer früheren normativen Geltung der Tarifverträge, also bei beiderseitiger Tarifge390
siehe dazu Kapitel J „Haftung des Veräußerers“.
129
bundenheit des Veräußerers und des übergehenden Arbeitnehmers eingreifen. Gelten
Tarifverträge nur kraft einer Bezugnahmeklausel, greift allein § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB ein, da es sich dann um arbeitsvertragliche Vereinbarungen handelt.
 Die erste Möglichkeit besteht darin, dass Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen
kollektivrechtlich, normativ weitergelten. Diese Möglichkeit ist gesetzlich nicht geregelt,
aber inzwischen allgemein anerkannt.
 Als zweite Möglichkeit können die durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelten Arbeitsbedingungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis
transformiert werden, d. h. sie verlieren ihren normativen Charakter und werden Inhalt
des Arbeitsverhältnisses. Für sie gilt ein einjähriges Verschlechterungsverbot, d. h. sie
dürfen grundsätzlich nicht vor Ablauf eines Jahres zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden (sog. Verschlechterungssperre).
 Schließlich können Arbeitsbedingungen, die (normativ) durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt wurden, nach dem Betriebsübergang durch Regelungen
beim Erwerber des Betriebes abgelöst werden. Dabei gibt es wiederum zwei Möglichkeiten, die gesetzliche Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB oder die vertragliche
Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB. Hinter beiden Regelungen steht der zentrale Gedanke, dass der von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB bezweckte Schutz der Arbeitnehmer vor einem sofortigen Verlust ihrer kollektivrechtlich vereinbarten Arbeitsbedingungen dann entbehrlich ist, wenn ihre Arbeitsbedingungen durch eine andere kollektivrechtliche Norm geregelt werden. Dabei gilt Folgendes:
o Kollektivrechtlich geregelte Arbeitsbedingungen können gesetzlich nach § 613a
Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden. Satz 3 greift ein, wenn die Rechte und Pflichten beim Erwerber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages oder einer
anderen Betriebsvereinbarung mit gleichem Regelungsinhalt geregelt werden. In
diesem Fall ist eine Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Die beim Erwerber geltenden Regelungen lösen die beim Veräußerer geltenden Regelungen ab. Auch § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt jedoch die beiderseitige
Tarifgebundenheit voraus.
o Kollektivrechtlich geregelte Arbeitsbedingungen, die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB transformiert werden, können schon vor Ablauf der einjährigen Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB durch eine vertragliche Vereinbarung
gem. § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB abgelöst werden, wenn der transformierte Tarifvertrag bzw. die transformierte Betriebsvereinbarung, z. B. wegen einer Kündigung,
nicht mehr gilt oder wenn bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit von Erwerber und übergehendem Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrages dessen Anwendung vereinbart wird.
I. Eintritt in die Rechte und Pflichten aus dem übergehenden Arbeitsverhältnis
(§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB)
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet an, dass der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den
übergehenden Arbeitsverhältnissen eintritt. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt unverändert. Auch am Inhalt des Arbeitsverhältnisses ändert sich auf vertraglicher Ebene zunächst nichts. Dies hat im Einzelnen folgende Auswirkungen:
130
1. Betriebszugehörigkeit
Der durch § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angeordnete Übergang bzw. Fortbestand der Arbeitsverhältnisse hat zur Folge, dass der Betriebsübergang an der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer nichts ändert, diese also nicht unterbricht. Dies ist vor allem für folgende Bereiche relevant:
a) Kündigungsschutzrecht
aa) Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG
Die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG von sechs Monaten wird durch den Betriebsübergang
nicht neu in Gang gesetzt. Die beim Veräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten sind also
bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung zu berücksichtigen.391
Endet ein Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs
und schließt der Erwerber nach einer zeitlichen Unterbrechung mit dem Arbeitnehmer einen
neuen Arbeitsvertrag, ist die ständige Rechtsprechung des BAG zur Zusammenrechnung
mehrerer Arbeitsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber392 wegen des Schutzzwecks des
§ 613a BGB und der Betriebsübergangsrichtlinie auf die Fälle des Betriebsübergangs zu
übertragen.393
Ob eine frühere Beschäftigung beim Veräußerer auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen ist, hängt damit davon ab, ob zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen ein enger
sachlicher Zusammenhang besteht. Wann ein solcher enger sachlicher Zusammenhang zu
bejahen ist, hängt von der Dauer und dem Anlass der Unterbrechung und von der Art der
Weiterbeschäftigung ab.394
Beispiel:
395
Arbeitnehmer A war seit 1993 beim Veräußerer V als Brenner beschäftigt. V wurde 1998 insolvent. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis des A zum 12.03.1999. Am
15.03.1999 ging der Betrieb auf den Erwerber E über, der den A zum 15.03.1999 als Brenner
einstellte. Am 23.07.1999 kündigte E das Arbeitsverhältnis ohne Begründung zum 06.08.1999.
Hiergegen erhob A Kündigungsschutzklage. Das BAG gab der Klage statt. Es habe ein enger
sachlicher Zusammenhang zwischen den Arbeitsverhältnissen bestanden und die Beschäftigungszeiten seien daher zusammenzurechnen. A konnte sich auf das Eingreifen des KSchG
berufen.
Praxishinweis: Für die Beratungspraxis stellt sich die Frage, ab welchem Zeitraum von einer erheblichen Unterbrechung auszugehen ist bzw. ab welchem Unterbrechungszeitraum
die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG neu zu laufen beginnt. Das BAG lehnt
es ausdrücklich ab, starre zeitliche Grenzen aufzustellen. Es hat allerdings entschieden,
dass schon bei einem Zeitraum von über drei Wochen von einer erheblichen Unterbrechung
391
BAG v. 23.05.2013 – 2 AZR 54/12, NZA 2013, 1197;
BAG v. 27.06.2002 – 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145.
392
BAG v. 23.09.1976 – 2 AZR 309/75, DB 1977, 213; BAG v. 20.08.1998 – 2 AZR 76/98,
NZA 1999, 481; BAG v. 07.07.2011 – 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148.
393
BAG v. 27.06.2002 – 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145.
394
BAG v. 07.07.2011 – 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148;
BAG v. 20.08.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481.
395
BAG v. 27.06.2002 – 2 AZR 270/01, NZA 2003, 145.
131
auszugehen ist.396 In besonderen Fällen nimmt es einen sachlichen Zusammenhang jedoch
auch bei längeren Zeiträumen an, z. B. bei der Unterbrechung für den Zeitraum der Schulferien bei Lehrern.397
Unter Berücksichtigung eines „Sicherheitszuschlags“ wird man daher wohl bei einem Unterbrechungszeitraum von mehr als einem Monat davon ausgehen können, dass die beiden Arbeitsverhältnisse nicht zusammengerechnet werden. Zu beachten ist allerdings, dass es für
die Berechnung der zeitlichen Unterbrechung nicht auf den Zugang der Kündigung durch
den Veräußerer, sondern auf das Ende des Arbeitsverhältnisses, also den Ablauf der Kündigungsfrist ankommt.
Wird der Arbeitnehmer nach Ausscheiden beim Veräußerer vom Erwerber eingestellt, kommt
es bezüglich des § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Erwerber ausgesprochene Kündigung allein
darauf an, ob zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen ein erheblicher Unterbrechungszeitraum lag. Es macht in der rechtlichen Bewertung keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer
auch gegen die vom Veräußerer ausgesprochene (betriebsbedingte) Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat. Allerdings kann in der Praxis die erhobene Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung des Veräußerers wegen § 613a Abs. 4 BGB398 Erfolg haben, sodass dann das zum Veräußerer bestehende Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1
Satz 1 BGB auf den Erwerber übergeht und damit die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten ohne Weiteres anzurechnen sind.
bb) Kündigungsfristen
Auch bei den Kündigungsfristen zählen die beim früheren Arbeitgeber erbrachten Beschäftigungsjahre mit, und zwar unabhängig davon, ob die gesetzlichen oder tarifvertraglichen
Kündigungsfristen eingreifen.
cc) Unkündbarkeitsregelungen
Unkündbarkeitsklauseln für ältere Arbeitnehmer, die i. d. R. die ordentliche Kündigung ausschließen, setzen eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit voraus. Hierfür ist die
Dauer der Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer grundsätzlich ebenfalls mit einzurechnen.
 Arbeitsvertragliche Unkündbarkeitsvereinbarungen gehen nach § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB auf den neuen Betriebsinhaber über.
 Sind Unkündbarkeitsklauseln tarifvertraglich beim Veräußerer geregelt, richtet sich die
weitere Anwendbarkeit nach dem Betriebsübergang nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl. oben).
 Ungeklärt ist die Rechtslage, wenn eine (tarifliche) Unkündbarkeitsregelung beim Veräußerer nicht galt, wohl aber beim Erwerber.
Bei einer strikt am Schutzzweck des § 613a BGB orientierten Auslegung wären die
beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht mit einzurechnen, da der
Arbeitnehmer ansonsten durch den Betriebsübergang besser stünde als bei seinem
früheren Arbeitgeber. Bei diesem galt die Unkündbarkeitsregel nicht.
396
BAG v. 22.09.2005 – 6 AZR 607/04, NZA 2006, 429; BAG v. 18.12.1979 – 2 AZR 254/77, DB
1979, 1754.
397
BAG v. 20.08.1998 – 2 AZR 76/98, NZA 1999, 481.
398
Zur Abgrenzung zwischen einer Kündigung wegen einer Betriebs(teil)stilllegung und einer
unzulässigen Kündigung wegen eines Betriebsübergangs siehe Kapitel E.
132
Der Arbeitnehmer soll jedoch auch hinsichtlich der Dauer der Betriebszugehörigkeit
genauso gestellt werden, als ob er beim Veräußerer geblieben wäre. Wäre dieser Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes geworden, hätte sich der Arbeitnehmer ihm gegenüber auf die tarifliche Unkündbarkeitsklausel berufen können. Es spricht
mehr dafür, die Dauer der Betriebszugehörigkeit beim früheren Arbeitgeber auch bei
tariflichen Unkündbarkeitsklauseln mit einzurechnen.
Beispiel:
Das Unternehmen E, Mitglied eines Metallarbeitgeberverbandes, erwirbt einen Betrieb, dessen
Inhaber V bislang nicht tarifgebunden war und der auf seine Arbeitsverhältnisse auch keine Tarifverträge angewandt hat. Der 58-jährige Arbeitnehmer A (IGM-Mitglied), dessen Arbeitsverhältnis übergegangen ist und der bei V die notwendige Betriebszugehörigkeit erworben hatte,
kann sich im Ergebnis auf die tarifliche Unkündbarkeitsklausel des einschlägigen MTV berufen.
dd) Sozialauswahl - § 1 Abs. 3 KSchG
Bei der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG zu berücksichtigenden Dauer der Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Sozialauswahl sind die Beschäftigungszeiten beim Veräußerer des Arbeitnehmers ebenfalls mit einzurechnen.399
ee) Berechnung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG
Die Dauer der beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeit ist auch bei der Berechnung des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG zu beachten, da es gemäß § 1a Abs. 2
Satz 1 KSchG auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses ankommt. Ein anderes Ergebnis
würde dem Schutzzweck des § 613a BGB, der dem Arbeitnehmer den erworbenen Besitzstand erhalten soll, widersprechen.
b) Urlaub und Entgeltfortzahlung
Auf die Wartezeit des § 4 BUrlG wird die beim Veräußerer erbrachte Beschäftigungszeit
ebenfalls angerechnet.
Gleiches gilt für die Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG. Bedeutung hat dies insbesondere für die
in § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG geregelte Begrenzung der Entgeltfortzahlungsdauer bei derselben
Krankheit des Arbeitnehmers. Diese greift auch zugunsten des Erwerbers. Der Schutzzweck
des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB verbietet nur eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers aufgrund des Betriebsübergangs. Er muss sich so behandeln lassen, als ob es keinen Betriebsübergang gegeben hätte.
Beispiel:
Arbeitnehmer A ist von Januar bis Februar 2010 für sechs Wochen wegen Rückenbeschwerden
krankgeschrieben. Im März 2010 gehen der Betrieb und damit auch sein Arbeitsverhältnis auf
den Erwerber E über. Im April 2010 wird A erneut wegen seiner Rückenbeschwerden krankgeschrieben. Er hat gegen E keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, da er innerhalb von sechs
Monaten infolge derselben Krankheit wieder arbeitsunfähig wurde. § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
EFZG greift zu seinen Lasten ein.
399
Zur Sozialauswahl, wenn es zu betriebsbedingten Kündigungen vor oder nach einem
Betriebsübergang kommt, siehe Teil E.
133
c) Arbeitgeberleistungen, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen
aa) Regelungen beim Veräußerer
Bei Arbeitgeberleistungen, die entweder im Grund oder der Höhe nach an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpfen, ist die beim Veräußerer zurückgelegte Beschäftigungszeit jedenfalls dann mit einzurechnen, wenn eine beim Veräußerer geltende Regelung gemäß
§ 613a Abs. 1 Satz 1 oder 2 BGB auch beim Erwerber gilt.400
Beispiel:
Der Veräußerer gewährte seinen Arbeitnehmern nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit eine
sog. Treueprämie aufgrund einer Gesamtzusage. Arbeitnehmer A war seit 2000 beim Veräußerer V beschäftigt. Der Betrieb geht zum 01.01.2010 auf den Erwerber E über. A verlangt von E
im Jahre 2010 zu Recht die Treueprämie.
bb) Regelungen beim Erwerber
Fraglich ist, ob die Dauer der Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer auch dann zu berücksichtigen ist, wenn der Erwerber seinen Arbeitnehmern eine Leistung gewährt, die an die
Dauer der Betriebszugehörigkeit in seinem Betrieb anknüpft.
Ob der Erwerber eines Betriebes verpflichtet ist, die beim Veräußerer erbrachten Dienstzeiten zu berücksichtigen, ist ungeklärt.
Der EuGH hat in einer Entscheidung401 festgestellt, dass der Erwerber bei der Berechnung
von finanziellen Ansprüchen, die bei ihm an das Dienstalter der Arbeitnehmer geknüpft sind,
alle sowohl in seinem Dienst als auch im Dienst des Veräußerers geleisteten Jahre insoweit
zu berücksichtigen hat, als sich diese Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis zwischen dem
Personal und dem Veräußerer ergab.
Damit hat sich der EuGH nicht zu der hier in Rede stehenden Fallgestaltung geäußert, da
beim Veräußerer eine entsprechende Regelung nicht existierte. Das BAG hat im Bereich der
betrieblichen Altersversorgung entschieden, dass die übernommenen Mitarbeiter nicht automatisch von entsprechenden Regelungen im Betrieb des Erwerbers profitieren; vielmehr dürfe der Erwerber entscheiden, ob der betreffende Mitarbeiter seine Betriebstreue bei ihm oder
einem früheren Arbeitgeber erbracht habe.402
Anerkannt hat das BAG eine solche Entscheidung auch bei einer „Jubiläumsgabe“, die an
Beschäftigungszeiten im eigenen Unternehmen gekoppelt ist403
Im Ergebnis wird man bei der Lösung differenzieren müssen:
 Beruht die Verpflichtung des Erwerbers auf einer tarifvertraglichen Bestimmung, die
auf die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Arbeitnehmer kraft Tarifbindung oder
Bezugnahmeklausel anwendbar ist, werden sich die übernommenen Arbeitnehmer auf
die beim Veräußerer erbrachten Beschäftigungsjahre berufen dürfen. Die Rechtslage
ist insoweit vergleichbar mit der, in der ein Arbeitgeber (durch Eintritt in den tarifschließenden Arbeitgeberverband) erstmals einen Tarifvertrag anwenden muss. In diesem
400
EuGH v. 14.09.2000 – C-343/98, NZA 2000, 1279;
EuGH v. 06.09.2011 – C-108/10,NZA 2011, 1077.
401
EuGH v. 14.09.2000 – C-343/98, NZA 2000, 1279;
ebenso EuGH v. 06.09.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077.
402
BAG v. 30.08.1979 – 3 AZR 58/78, DB 1979, 2431;
BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520.
403
BAG v. 26.09.2007 – 10 AZR 657/06, NZA 2007, 1426.
134
Fall wird die beim Arbeitgeber erbrachte Beschäftigungsdauer eingerechnet. Die Situation der übernommenen Arbeitnehmer ist hiermit vergleichbar.
 Werden die in Rede stehenden Entgeltzusatzleistungen in einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung geregelt, könnte argumentiert werden, dass sie auch für die übergehenden Arbeitsverhältnisse gilt, wenn der persönliche Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung alle Arbeitnehmer des Betriebes einschränkungslos erfasst. Allerdings würden die übergehenden Arbeitnehmer dann besser gestellt, als sie ohne den
Betriebsübergang gestanden hätten. Das übersteigt den Schutzzweck des § 613a
BGB. Ausreichend ist es daher, wenn sie wie neu eingestellte Arbeitnehmer behandelt
werden. Ihre Beschäftigungszeiten beim Veräußerer sind dann nicht mit einzurechnen.
Insoweit ist eine unterschiedliche Lösung bei einer Versorgungszusage404 einerseits
und anderen Sozial- bzw. Entgeltzusatzleistungen andererseits nicht angezeigt. Solange diese Rechtsfrage jedoch höchstrichterlich nicht geklärt ist, muss der Erwerber damit rechnen, dass auch die übergehenden Arbeitnehmer unter Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer entsprechende Ansprüche erwerben.
Beispiel:
Arbeitnehmer A war seit 2000 beim Veräußerer V beschäftigt. Der Betrieb geht zum 01.01.2010
auf den Erwerber E über. Der E gewährt seinen Arbeitnehmern nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit eine sog. Treueprämie. A kann die Treueprämie von E nicht 2010 verlangen.
Praxishinweis: Es kann sich wegen dieses Risikos empfehlen, vor dem Übergang der Leitungsmacht die freiwillige Betriebsvereinbarung beim Erwerber ersatzlos 405 zu kündigen,
damit die übergehenden Arbeitnehmer nicht von ihr erfasst werden.
Eine Kündigung der Betriebsvereinbarung mit dem Ziel, das dieser Betriebsvereinbarung zugrunde liegende Dotierungsvolumen und/oder die Verteilungsgrundsätze zu ändern, ist
rechtlich nicht zu empfehlen. Eine solche Kündigung führt nach der Rechtsprechung des
BAG406 wegen der zwingenden Mitbestimmung bei den Verteilungsgrundsätzen in vielen
Konstellationen zur Nachwirkung der Betriebsvereinbarung. Dem Erwerber hilft eine Kündigung jedoch nur dann, wenn die neu hinzukommenden Arbeitnehmer im Nachwirkungszeitraum keine Ansprüche mehr erwerben könnten. Ohne abweichende Vereinbarung gem. § 77
Abs. 6 BetrVG ist dies jedoch nicht der Fall.
Ob sich entsprechende Maßnahmen auch aus personalpolitischen Gründen empfehlen, ist
damit nicht gesagt und sollte getrennt von der rechtlichen Frage beantwortet werden.
 Beruht die Leistungszusage des Erwerbers hingegen auf einer individualvertraglichen Grundlage (also Gesamtzusage oder betriebliche Übung) und knüpft sie an die
erbrachte Betriebstreue an, wird man es dem Erwerber überlassen dürfen, ob er bei
Anwendung dieser Regelung auf die übergehenden Arbeitnehmer die beim Veräußerer
erbrachte Beschäftigungszeit anrechnet oder nicht. Die übergehenden Arbeitnehmer
könnten wie neu eingestellte Arbeitnehmer behandelt werden. Dies würde auch dem
Schutzzweck des § 613a BGB nicht widersprechen, da die Arbeitnehmer bei einem
anderen Ergebnis nach dem Betriebsübergang besser stünden als vor dem Betriebsübergang.
404
BAG v. 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, DB 2010, 1131.
BAG v. 26.10.1993 – 1 AZR 46/93, NZA 1994, 572;
BAG v. 14.11.2001 – 10 AZR 152/01, NZA 2011, 598.
406
BAG v. 26.08.2008 – 1 AZR 354/07, NZA 2008; 1426.
405
135
Praxishinweis: Ebenso wie bei Betriebsvereinbarungen empfiehlt es sich, bis zur Klärung
dieser Rechtsfrage die Gesamtzusage oder die betriebliche Übung durch eine ausdrückliche
Erklärung des Erwerbers gegenüber den neu hinzukommenden Arbeitnehmern zu beseitigen. Der Arbeitgeber hat das Recht, neu eingestellte Arbeitnehmer von einer betrieblichen
Übung durch eine ausdrückliche Erklärung auszunehmen.407 Gleiches müsste dann konsequenterweise auch für die Gesamtzusage gelten. Da ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung besteht, dürften sich die Arbeitnehmer dann auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen können.
d) Sozialpläne
Umstritten ist, ob in Sozialplänen, die aufgrund einer Betriebsänderung beim Erwerber nach
dem Betriebsübergang abgeschlossen werden, die Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
ausgeschlossen werden dürfen. Dies wird in der Literatur bejaht. Grundlage für die Auszahlung der Abfindung sei, dass der Arbeitnehmer an der Schöpfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beteiligt gewesen sei. Darin soll auch kein Widerspruch zu § 613a BGB liegen,
da diese Vorschrift den Erwerber nicht dazu verpflichte, Betriebszugehörigkeitszeiten beim
Veräußerer bei der Berechnung von Abfindungen uneingeschränkt anzurechnen.408
Das BAG hat eine solche Fallkonstellation nicht ausdrücklich entschieden. In einem etwas
anderen Zusammenhang hat es allerdings ausgeführt, dass für die Bemessung der Abfindung nur die Betriebszugehörigkeit beim Arbeitgeber und seinem Rechtsvorgänger, nicht
aber die in einem Überleitungsvertrag anerkannte Betriebszugehörigkeit bei einem früheren
Arbeitgeber berücksichtigt werden muss.409
Ob man dies dahin gehend verallgemeinern kann, dass Beschäftigungszeiten beim Veräußerer generell nicht bei der Berechnung von Sozialplanabfindungen einbezogen werden müssen, erscheint zweifelhaft. Dies widerspricht zum einen dem Schutzgedanken des § 613a
BGB. Zum anderen ist es auch nicht ersichtlich, warum die Beschäftigungszeiten beim Veräußerer in anderem Zusammenhang, z. B. bei der Sozialauswahl, berücksichtigt werden
müssen, bei Sozialplänen aber nicht.
Praxishinweis: Wird im Rahmen von Sozialplanabfindungen die beim Veräußerer zurückgelegte Beschäftigungszeit nicht angerechnet, besteht für den Erwerber ein nicht unerhebliches
Risiko von entsprechenden Nachzahlungen. Rechtssicherer ist es, die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen.
Hiergegen bestehen keine rechtlichen Bedenken, insbesondere kann eine Verletzung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 BetrVG) nicht gerügt werden.
407
BAG v. 10.08.1988 – 5 AZR 571/87, NZA 1989, 57.
Gaul, S. 1221.
409
BAG v. 16.03.1994 – 10 AZR 606/93, NZA 1994, 1147.
408
136
Zusammenfassender Überblick
Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer
KSchG
JA
Kündigungsfristen
Unkündbarkeitsregelung
JA
Im Arbeitsvertrag beim
Erwerber
JA
Im Tarifvertrag beim
Veräußerer
JA
Im Tarifvertrag beim
Erwerber
i. E. JA
Sozialauswahl
JA
Abfindungsanspruch § 1a KSchG
JA
BUrlG
JA
JA
Auch zur Begrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs zu
Lasten des Arbeitnehmers
Regelung beim
Veräußerer
JA
Inhalt des Arbeitsverhältnisses
oder Transformation einer kollektiven Regelung
Regelung beim
Erwerber aus TV
JA
Regelung beim
Erwerber aus BV
eher NEIN
betriebliche Übung /
Gesamtzusage beim
Erwerber
JA/NEIN
Abschluss beim Erwerber nach Betriebsübergang
i. E. JA
EFZG
Freiwillige
Arbeitgeberleistungen
Sozialpläne
Einstellung beim Erwerber,
wenn das Arbeitsverhältnis vor
Betriebsübergang beendet war
nur bei unerheblicher Unterbrechung (i. d. R. weniger als 1
Monat)
Erwerber kann durch ausdrückliche Erklärung übernommene
Arbeitnehmer ausnehmen
137
2. Befristungsrecht – Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 TzBfG
In Zusammenhang mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit stellt sich die Frage, ob das sog.
Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 TzBfG auch dann eingreift, wenn der betreffende
Arbeitnehmer beim Rechtsvorgänger (Veräußerer) des einstellenden Arbeitgebers (Erwerbers) beschäftigt war.410
Das Problem wird relevant, wenn der Erwerber einen Arbeitnehmer ohne Sachgrund, also
auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 TzBfG, befristet einstellen will und der Arbeitnehmer bereits einmal beim Veräußerer oder sogar bei einem von dessen Rechtsvorgängern gearbeitet
hat.
Sowohl für die Gesamtrechtsnachfolge als auch für die Einzelrechtsnachfolge nach
§ 613a BGB hat das BAG411 die Anwendung des Vorbeschäftigungsverbotes abgelehnt. Arbeitgeber sei nur der Vertragsarbeitgeber, also die natürliche oder juristische Person, die mit
dem Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag geschlossen habe. Ein Übergang des Arbeitsverhältnisses von einem Betriebsveräußerer zu einem Betriebserwerber wahre die Identität der Arbeitgeber. Scheide ein Arbeitnehmer jedoch aus einem Arbeitsverhältnis wirksam aus und
werde sodann ein Betriebsübergang vollzogen, finde das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2
Satz 2 TzBfG keine Anwendung, wenn der Ausgeschiedene von dem Betriebserwerber neu
eingestellt werde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zunächst als dauerhaft angesehen wurde. Etwas anders kann dann gelten, wenn es Anhaltspunkte für eine Umgehung gibt, weil z. B. der bisherige Arbeitsplatz erhalten bleibt und
ein neues Arbeitsverhältnis bereits in Aussicht gestellt wird.412
Praxishinweis: Die erleichterte Befristungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 TzBfG gilt nur dann,
wenn das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer vor dem Betriebsübergang beendet war.
Geht ein auf der Grundlage des § 14 TzBfG sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis auf
den Erwerber über, besteht – außer der Verlängerungsmöglichkeit des § 14 Abs. 2 Satz 1
TzBfG – keine Möglichkeit mehr, mit dem übergegangenen Arbeitnehmer einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen.
3. Übergang einseitiger (Gestaltungs-)Rechte auf den Erwerber
a) (Vertraglich erweitertes) Direktionsrecht
Mit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs bzw. dem Übergang der sog. Leitungsmacht geht
das arbeitgeberseitige Direktionsrecht auf den Erwerber über. Er ist damit ab diesem Zeitpunkt allein gegenüber den Arbeitnehmern weisungsbefugt.
Darüber hinaus kann sich der Erwerber bei der Ausübung des Direktionsrechts auch auf entsprechende vertragliche Erweiterungen berufen, also den Arbeitnehmern im Rahmen der
bestehenden vertraglichen Vereinbarungen andere Tätigkeiten zuweisen oder Versetzungen
vornehmen.
Praxishinweis: Dabei ist ggf. das Beteiligungsrecht des Betriebsrates gemäß §§ 99, 95 Abs.
3 BetrVG zu beachten. Praktisch relevant wird dies vor allem dann, wenn der Erwerber den
Betrieb oder Betriebsteil nach dem Erwerb umstrukturieren oder in seinen Betrieb eingliedern
will.
410
ErfK, Müller-Glöge, § 14 TzBfG, Rn. 93.
BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04, NZA 2006, 145;
BAG v. 10.11.2004 – 7 AZR 101/04, NZA 2005, 515.
412
BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 575/11, NZA 2013, 203; BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11.
411
138
b) Kündigungs- und Anfechtungsrecht
Ausschließlich dem Erwerber steht nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Recht
zur Kündigung der Arbeitsverhältnisse zu. Auch etwaige Anfechtungsrechte gehen ab dem
Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf den Erwerber über.
c) Widerruf, Anrechnung
Da das Arbeitsverhältnis inhaltlich unverändert auf den Erwerber übergeht, stehen ihm nach
dem Betriebsübergang auch etwaige vertraglich eingeräumte Gestaltungsrechte zu. Dies
sind vor allem – im Entgeltbereich – Widerrufs- und Anrechnungsrechte. Die Wahrnehmung
dieser Rechte kann vor allem bei der Anpassung der Arbeitsbedingungen an die beim Erwerber geltenden Arbeitsbedingungen wichtig sein.
Zusammenfassender Überblick
Befristungen und Gestaltungsrechte
Bei Neueinstellung beim Erwerber keine Identität des Arbeitgebers
Vorbeschäftigungsverbot
NEIN
Direktionsrecht
JA
Kündigungs- und Anfechtungsrecht
JA
Widerruf, Anrechnung
JA
Voraussetzung: Arbeitsverhältnis mit Veräußerer vor Betriebsübergang beendet und kein Umgehungssachverhalt
II. Rechte und Pflichten aus Arbeitsvertrag
1. Übergang arbeitsvertraglicher Regelungen
Der vertraglich geregelte Inhalt des Arbeitsverhältnisses bleibt durch den Betriebsübergang
unverändert. Dies bedeutet für die Kernbereiche des Arbeitsverhältnisses Folgendes:
a) Arbeitsort
Ein im Arbeitsvertrag festgelegter Arbeitsort gilt nach dem Betriebsübergang weiterhin. Er
bindet den Erwerber, auch wenn sich dessen Betrieb an einem anderen Ort befindet. Allerdings ist durch Auslegung zu ermitteln, ob der Arbeitsort tatsächlich auf einen bestimmten
Ort beschränkt sein soll. Dies ist z. B. dann nicht der Fall, wenn die Tätigkeit typischerweise
an verschiedenen Orten zu erbringen ist oder auch, wenn mit der Nennung der geographischen Lage des Betriebssitzes gerade nicht der geographische Ort festgeschrieben werden
sollte.413 Häufig sind im Arbeitsvertrag auch Versetzungsklauseln enthalten, deren Reichweite allerdings zu prüfen ist. Sofern nach diesen Grundsätzen tatsächlich kein Einsatz am neuen Betriebsort zulässig ist, bleibt nur der Weg einer Änderungskündigung.
413
ErfK, Tillmanns, § 196 GewO, Rn. 25.
139
b) Arbeitszeit
Die Dauer der (einzel-)vertraglich geregelten Arbeitszeit bleibt unverändert. Ob tarifliche Regelungen beim Erwerber arbeitsvertragliche Vereinbarungen über die Dauer der Arbeitszeit
beim Veräußerer ablösen können, ist fraglich.414
Gleiches gilt grundsätzlich für Lage und Verteilung der Arbeitszeit, die jedoch zum Direktionsrecht des Arbeitgebers gehört. Außerdem können ggf. beim Erwerber Betriebsvereinbarungen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) eingreifen.
c) Arbeitsentgelt (einschließlich Dienstwagen und Sachleistungen)
Auch die arbeitsvertraglichen Entgeltregelungen bleiben unverändert. Dies bedeutet nicht
nur, dass der Erwerber (vorbehaltlich einer Ablösung durch Tarifverträge) das Arbeitsentgelt
i. e. S. in gleicher Höhe an die übergegangenen Arbeitnehmer zahlen muss, sondern auch,
dass alle Leistungen des Arbeitgebers, die als Arbeitsentgelt i. w. S. zu definieren sind, weiter gewährt werden müssen. Das bedeutet im Einzelnen:
 Der Erwerber schuldet den übergehenden Arbeitnehmern alle in Geld zu zahlenden
Entgeltbestandteile, also nicht nur das arbeitsvertraglich vereinbarte feste Arbeitsentgelt einschließlich etwaiger Zulagen oder Zuschläge, sondern auch variable Vergütungsbestandteile wie Prämien, Provisionen (§ 65 HGB), Tantiemen u. a.
 Allerdings wird in Bezug auf unternehmensspezifische Vergütungen, z. B. wenn eine
Tantieme in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Unternehmensgewinn vertraglich zugesagt wurde, auch vertreten, dass ggf. eine Anpassung in Betracht kommen
soll (über eine ergänzende Vertragsauslegung oder einen Anpassungsanspruch des
Erwerbers nach § 313 BGB).415 Wurde für eine Entgeltzusatzleistung, z. B. beim Weihnachtsgeld, eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall des Ausscheidens bis zu einem bestimmten Termin vereinbart, geht auch diese Verpflichtung und damit das
Rückforderungsrecht auf den Erwerber über.416
 Hat der Veräußerer dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen mit dem Recht zur privaten
Nutzung zur Verfügung gestellt, bleibt auch diese Vereinbarung unverändert417, da die
Zurverfügungstellung eines Dienstwagens mit dem Recht zur privaten Nutzung ein Bestandteil des dem Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsentgelts ist.418
 Der Erwerber muss den übergehenden Arbeitnehmern auch Sachleistungen weitergewähren, also z. B. Deputate, Job-Tickets, Nutzung von Sozialeinrichtungen, Personalrabatte etc. Dies wirft vor allem dann Probleme auf, wenn diese Sachleistungen aus
Gütern oder Dienstleistungen bestehen, die nur der Veräußerer, nicht aber der Erwerber am Markt anbietet bzw. produziert.419
Beispiele:
Eine Brauerei gewährt ihren Arbeitnehmern monatlich ein Bierdeputat. Sie gliedert den Betriebsteil Logistik und Transport auf ein Speditionsunternehmen aus.
414
siehe dazu unten Kapitel D. II. 5. a).
Willemsen, Teil G, Rn. 177; BAG v. 18.04.2012, NZA 2012, 791.
416
Gaul, S. 434.
417
Gaul, S. 434.
418
BAG v. 23.06.1994 – 8 AZR 537/92, NZA 1994, 1128;
BAG v. 23.06.2004 – 7 AZR 514/03, NZA 2004, 1287.
419
Fuhlrott, Fabritius, BB 2013, 1592.
415
140
Eine Bank gewährt ihren Mitarbeitern Sonderkonditionen für Girokonten. Sie überträgt die bisher von eigenen Mitarbeitern ausgeführten Reinigungsarbeiten einem Fremdunternehmen, das
alle Mitarbeiter dieser Betriebsabteilung übernimmt.
Ein Automobilunternehmen gewährt seinen Arbeitnehmern Vorzugskonditionen beim Kauf firmeneigener Kraftfahrzeuge (sog. Jahreswagen). Es gliedert die EDV-Abteilung aus, die nach
420
einigen Wechseln von einem Telekommunikationskonzern übernommen wird.
 In allen diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die Arbeitnehmer weiterhin gegen den
Erwerber einen Anspruch auf Gewährung dieser Sachleistungen haben oder ob sich
der Erwerber ggf. auf Unmöglichkeit der Leistung berufen kann. Es ist ungeklärt, wie
dieses Problem zu lösen ist.
Das BAG421 hat sich einmal mit der Frage befassen müssen, ob Ansprüche der Arbeitnehmer aus sog. Aktienoptionsplänen (stock-options) auf den Erwerber eines Betriebes übergehen; es hat allerdings die ausführliche Behandlung dieser Frage offengelassen, da im konkreten Fall nicht die Arbeitgeber, sondern die Konzernmutter eine
entsprechende Zusage erteilt hatte.
In einer anderen Entscheidung vertritt das BAG422 den Standpunkt, dass der Anspruch
der Arbeitnehmer auf Einräumung eines Personalrabatts regelmäßig unter dem Vorbehalt stehe, dass der Arbeitgeber die Waren selbst herstelle. Daher erlösche der Anspruch auf die Gewährung von Vorzugskonditionen für die vom Veräußerer hergestellten Produkte, wenn der Veräußerer die Produktion einstelle oder einen Betriebsteil
veräußere, ohne dass der Erwerber die Produktion übernimmt. Für den Fall der Gewährung von Flugvergünstigungen hat das BAG dem entsprechend darauf abgestellt,
ob zumindest im Konzernverbund noch Flüge stattfinden.423
Die Entscheidungen sind insoweit zu kritisieren, als sich der Untergang des Anspruchs
auf die Vorzugskonditionen nicht aus der Zusage, sondern unmittelbar aus § 275 BGB
(Unmöglichkeit) ergibt.
 Offen geblieben ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der Erwerber den übergehenden Arbeitnehmern einen finanziellen Ausgleich für die entgangenen (geldwerten) Vorteile schuldet. Im Ergebnis ist letztlich von der Übernahme des Beschaffungsrisikos und damit einer Art Wertersatz für die ursprünglich geschuldete Sachleistung
auszugehen (§§ 281, 275 BGB).
Praxishinweis: Falls die Sachleistungen beim Veräußerer auf einer Betriebsvereinbarung
beruhen, kann der Erwerber diese kündigen. Beruht die Gewährung der Sachleistungen auf
individualrechtlicher Grundlage, wäre an einen Widerruf zu denken, soweit nach Maßgabe
der einschlägigen Rechtsprechung des BAG ein wirksamer Widerrufsvorbehalt besteht.
Denkbar ist auch eine ablösende Betriebsvereinbarung. Diese ist jedoch wegen der oben
genannten Kritikpunkte risikobehaftet. Einfacher wird es, wenn die Sachleistungen bzw. die
Gewährung von Vorzugskonditionen auf einer Betriebsvereinbarung beruhen. Diese kann –
falls sie normativ weitergilt – von E (ersatzlos) gekündigt werden oder es kann mit dem nach
dem Betriebsübergang für die übergehenden Arbeitnehmer zuständigen Betriebsrat über eine Neuregelung verhandelt werden. Möglich ist auch die Regelung in einem Sozialplan, falls
420
BAG v. 07.09.2004 – 9 AZR 631/03, NZA 2005, 941.
BAG v. 12.02.2003 – 10 AZR 299/02, NZA 2003, 487.
422
BAG v. 07.09.2004 – 9 AZR 631/03, NZA 2005, 941.
423
BAG v. 13.12.2006 – 10 AZR 792/05, NZA 2007, 325.
421
141
der Betriebsübergang eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG
ist.424
d) Entgeltfortzahlung
Der Erwerber ist ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zur Entgeltfortzahlung entweder
nach den gesetzlichen oder nach tariflichen Bestimmungen, soweit letztere auf das übergehende Arbeitsverhältnis weiter anzuwenden sind, verpflichtet.
e) Urlaub
In Bezug auf die Urlaubsansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer gilt, dass sich durch
den Betriebsübergang nichts ändert. Vor allem können Arbeitnehmer wegen des Betriebsübergangs weder gegen den Veräußerer noch gegen den Erwerber wegen nicht genommenen Urlaubs vor dem Betriebsübergang einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß
§ 7 Abs. 4 BUrlG geltend machen, da das Arbeitsverhältnis nicht beendet wurde.425
Das gilt auch dann, wenn der Veräußerer das Arbeitsverhältnis durch eine (betriebsbedingte)
Kündigung wirksam beendet hat und der Arbeitnehmer unmittelbar anschließend vom Erwerber des Betriebes zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt wird.426
Beispiel:
427
Arbeitnehmer A war beim Veräußerer V als Reinigungskraft beschäftigt. V kündigt A wegen Auftragsverlust zum 31.08.1996 betriebsbedingt. Ab dem 01.09.1996 wird A vom Erwerber E, der
den Auftrag nunmehr erhalten hat, zu unveränderten Arbeitsbedingungen eingestellt und weiterbeschäftigt. Der von A gegen V geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch wurde vom
BAG abgewiesen, da das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden sei, obwohl A gegen seine
Kündigung nicht geklagt hatte (§ 7 KSchG).
aa) Umfang des Urlaubsanspruchs
Am Umfang des jeweiligen Urlaubsanspruchs ändert sich durch den Betriebsübergang
nichts. Der Arbeitnehmer wird genauso gestellt, als ob kein Betriebsübergang stattgefunden
hätte. Der Erwerber muss noch ausstehende Urlaubsansprüche erfüllen.428 Hat der Veräußerer noch Urlaub gewährt, der in die Zeit des oder nach dem Betriebsübergang fällt, ist der
Erwerber hieran gebunden; ein Widerruf eines bereits bewilligten Urlaubs dürfte – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen – allenfalls in Ausnahmefällen möglich sein.
bb) Urlaubsentgelt
Die Berechnung des Urlaubsentgeltanspruchs richtet sich nach den gesetzlichen, ggf. auch
tariflichen Bestimmungen. Schwierigkeiten mit der Berechnung kann es geben, wenn beim
Erwerber eine andere Berechnungsmethode gilt.
Vertragliche Abreden mit dem Veräußerer, die günstiger i. S. v. § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG
sind, gelten auch dem Erwerber gegenüber. Entsprechende Regelungen können sich dabei
auch aus einer betrieblichen Übung ergeben.
424
siehe Kapitel I.
BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, NZA 2004, 651.
426
BAG v. 02.12.1999 – 8 AZR 774/98, NZA 2000, 480.
427
BAG v. 02.12.1999 – 8 AZR 774/98, NZA 2000, 480.
428
zu Regressansprüchen gegen den Veräußerer siehe Kapitel J.
425
142
cc) Verfallregelungen
Günstigere Regelungen können auch in Bezug auf die Übertragung des Urlaubs ins folgende
Kalenderjahr bestehen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die Vertragsparteien vereinbaren
(oder der Veräußerer es längere Zeit geduldet hat), dass eine Übertragung des Urlaubs auch
über den Zeitraum des § 7 Abs. 3 BUrlG hinaus möglich sein soll.429
dd) Urlaubsabgeltung
Nicht höchstrichterlich entschieden ist, ob eine vertraglich vereinbarte oder kraft betrieblicher
Übung gewährte Urlaubsabgeltung im laufenden Arbeitsverhältnis auch für den Fall, dass
der Urlaub (aus betrieblichen Gründen) nicht genommen werden konnte, günstiger ist.
Es wird vertreten, dass die Möglichkeit einer grundlosen Umwandlung des Urlaubs- in einen
Abgeltungsanspruch wegen eines mittelbaren Verstoßes gegen § 1 BUrlG nichtig sein soll.430
Dabei bleibt offen, ob sich auch der Arbeitgeber auf die Nichtigkeit einer solchen Regelung
berufen kann. Die Rechtslage ist also unklar, sodass für den Erwerber insoweit ein (finanzielles) Risiko besteht.
Werden Arbeitsverhältnisse mit übergegangenen Arbeitnehmern beendet, steht ihnen gegenüber dem Erwerber ein Urlaubsabgeltungsanspruch zu. Dies gilt nach neuer Rechtsprechung des EuGH auch bei einer Beendigung durch Tod (Abgeltungsanspruch der Erben).431
Für den Erwerber wesentlich ist hierbei die Rechtsprechungsänderung432 im Hinblick auf den
Verfall von Urlaubsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit. Die Urlaubsansprüche verfallen nach richtlinienkonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BurlG nicht mehr automatisch zum 31. März des jeweiligen Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Arbeitsunfähigkeit den Urlaub nicht in Anspruch nehmen konnte.
Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 16.10.2012 die Vorschrift des § 7 Abs. 3 BUrlG
anschließend so ausgelegt, dass der Verfall in diesen Fällen um ein Jahr verzögert eintritt,
d. h. 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist.433 Die Befürchtung,
dass es bei Langzeitkranken zu einer unendlichen Übertragung von Urlaubsansprüchen
kommt, hat sich damit immerhin nicht bewahrheitet.
Übergesetzliche Urlaubsansprüche (vertragliche oder tarifvertragliche Urlaubsansprüche) erlöschen nur noch dann, wenn die jeweilige Rechtsgrundlage deutliche Anhaltspunkte dafür
erkennen lässt, dass die (Tarif-) Vertragsparteien zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen unterschieden oder ein eigenständiges Urlaubsregime vereinbart haben.434
Ob die Tarifverträge der M+E-Industrie einen gesonderten Verfall des tariflichen Mehrurlaubs
erlauben, ist erst durch einige Landesarbeitsgerichte – bisher leider ablehnend – entschieden435. Auch der Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX verfällt wie der gesetzliche Mindesturlaub
in diesen Fällen nicht mehr.436
Praxishinweis: Der Erwerber muss aufgrund dieser Rechtsprechungsänderung in Zukunft
mit erheblichen finanziellen Risiken rechnen, wenn beim Veräußerer Arbeitnehmer, die be429
BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, NZA 2004, 651, 652.
ErfK, Dörner, § 13 BUrlG, Rn. 14.
431
EuGH v. 12.06.2014 – C-118/13, NZA 2014, 651.
432
BAG v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538.
433
BAG v. 16.10.2012 – 9 AZR 63/11, NZA 2013, 326.
434
BAG v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538.
435
LAG Nürnberg v. 20.05.2014 – 6 Sa 58/14; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.01.2013 – 5 Sa 377/12;
LAG Hamm v. 29.03.2012 – 16 Sa 322/10.
436
BAG v. 23.03.2010 – 9 AZR 128/09, NZA 2010, 810.
430
143
reits geraume Zeit arbeitsunfähig krank sind, nicht krankheitsbedingt gekündigt wurden. Kehren diese an ihren Arbeitsplatz nach dem Betriebsübergang zurück, sind ihnen die nicht verfallenen Urlaubstage zu gewähren; scheiden sie aus dem Arbeitsverhältnis aus, steht ihnen
ein Urlaubsabgeltungsanspruch zur Verfügung. Bei Ausscheiden durch Tod steht dieser Anspruch den Erben zu.
f) Arbeitszeitkonten
Die Frage, wie sich ein Betriebs(teil)übergang auf Arbeitszeitkonten der übergehenden Arbeitnehmer auswirkt, die diese beim Veräußerer aufgebaut haben, ist höchstrichterlich nicht
geklärt. Praktisch relevant werden die damit zusammenhängenden Fragen vor allem dann,
wenn der Veräußerer bisher die Bildung von umfangreichen Arbeitszeitkonten ermöglicht
hat. Dann besteht die Gefahr, dass der Erwerber später für Arbeitsleistungen zahlen muss,
die nicht er, sondern der Veräußerer erhalten hat.
Umgekehrt gilt allerdings auch, dass der Erwerber ggf. die Nacharbeit von Minusstunden auf
den beim Veräußerer bestehenden Arbeitszeitkonten nacharbeiten lassen kann.
Praxishinweis: Der Erwerber muss beachten, dass er ab einem bestimmten Umfang von
Arbeitszeitguthaben, die ein Wertguthaben darstellen, ggf. zur Insolvenzsicherung gemäß
§ 7e SGB IV verpflichtet ist, sodass zusätzliche Kosten entstehen können.
Für einen Erwerber stellen sich dabei vor allem zwei Fragen:
1. Muss er den Arbeitnehmern weiterhin die Bildung bzw. den Aufbau von Arbeitszeitkonten
gestatten und
2. muss er die Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang je nach den zugrunde liegenden
Regelungen gegen Weiterzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freistellen?
Beide Fragen dürften in den meisten Fallgestaltungen zu bejahen sein.
 Hat der Veräußerer mit seinen Arbeitnehmern vereinbart, dass Mehrarbeitsstunden in
ein sog. Arbeitszeitkonto fließen und daraus später einen Anspruch auf Freistellung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts entsteht, handelt es sich um eine vertragliche Vereinbarung, die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergeht.437 Rechtlich
dürfte es sich um eine Abrede zur Leistung erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) handeln. Für die übergehenden Arbeitnehmer ändert sich also nichts. Gleiches gilt für die
Frage, ob der Erwerber die übergehenden Arbeitnehmer nach dem Betriebs(teil)übergang gegen Weiterzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freistellen muss.
Praxishinweis: Dies gilt auch für eine mögliche Forderung der übergehenden Arbeitnehmer
nach Auszahlung des Arbeitszeitguthabens. Das können sie in der Regel weder vom Veräußerer noch vom Erwerber verlangen. Auch sie müssen sich an der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung festhalten lassen. Der Anspruch ist ein Freistellungsanspruch.
 Wenn die Bildung oder der Abbau von Arbeitszeitkonten tarifvertraglich oder in einer
Betriebsvereinbarung geregelt sind, ist der Erwerber grundsätzlich ebenfalls daraus
verpflichtet. Diese Rechtsfolge ergibt sich allerdings aus § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4
BGB.
437
LAG Hamm v. 22.02.2013 – 10 Sa 619/12.
144
o Werden daher Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen nach Satz 2 transformiert
oder gelten sie normativ weiter, gehen die entsprechenden Rechte und Pflichten in
Bezug auf Arbeitszeitkonten auf den Erwerber über.
o Wenn allerdings eine beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Regelung (insbesondere eine Betriebsvereinbarung) die beim Veräußerer geltende kollektivrechtliche Regelung über Arbeitszeitkonten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablöst, aber
z. B. keine Bildung von Arbeitszeitkonten vorsieht, kann es zu Auszahlungs- oder
Freistellungsansprüchen der übergehenden Arbeitnehmer kommen.
g) Bezugnahme auf Tarifverträge
aa) maßgebende Fragestellung
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist die zutreffende Rechtsgrundlage, wenn zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer Tarifverträge oder Tarifwerke nicht kraft Tarifgebundenheit
(§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 4 TVG), sondern nur kraft einer arbeitsvertraglich vereinbarten Bezugnahmeklausel gelten. Der übergehende Arbeitnehmer ist also nicht tarifgebunden.
In diesem Fall stellen die in Bezug genommenen Tarifverträge schon vor Betriebsübergang
arbeitsvertragliche Regelungen dar, für die nicht § 613a Abs. 1 Sätze 2 – 4 BGB gelten, sondern nur § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB.
Im Hinblick auf Bezugnahmeklauseln stehen zwei Fragen im Vordergrund:
1. Können in Bezug genommene Tarifverträge durch beim Erwerber geltende tarifliche Regelungen ersetzt bzw. abgelöst werden und wenn ja, in welchem Umfang?438
2. Wie gelten die in Bezug genommenen Tarifverträge, die nicht abgelöst werden, bei nicht
organisierten Arbeitnehmern nach Betriebsübergang weiter: Statisch oder dynamisch?
Die Beantwortung der Fragen ist sowohl von der Tarifgebundenheit des Veräußerers als
auch von der Bewertung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel abhängig:
bb) Veräußerer nicht tarifgebunden
Wenn der Veräußerer nicht tarifgebunden ist, aber dennoch kraft einer vertraglichen Vereinbarung oder betrieblichen Übung Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihm
beschäftigten Arbeitnehmer anwendet, geht diese Verpflichtung nach § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB auf den Erwerber über.
Zu beachten ist, dass das BAG Bezugnahmeklauseln grundsätzlich – außerhalb von Betriebsübergängen – im Zweifel als (kleine) dynamische Bezugnahmeklauseln auslegt.439
Dies hat zur Folge, dass der Erwerber in diesem Fall dazu verpflichtet ist, auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer die in Bezug genommenen Tarifverträge ebenso
anzuwenden, wie es der Veräußerer getan hat. Wenn der Veräußerer also bisher die in Bezug genommenen Tarifverträge dynamisch angewendet hat, d. h. den Arbeitnehmern tarifliche Änderungen hat zugutekommen lassen, gilt dies auch für den Erwerber. Die Arbeitnehmer nehmen in einer solchen Fallkonstellation an tariflichen Änderungen, insbesondere Entgelterhöhungen, auch nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs teil.
438
439
dazu unter D, II. 5.
BAG v. 26.09.2001 – 4 AZR 544/00, NZA 2002, 634.
145
Beispiel:
Der Erwerber E, Inhaber eines Textilunternehmens, erwirbt einen Betrieb, in dem der nicht tarifgebundene Veräußerer V ausschließlich kraft vertraglicher Vereinbarung die jeweils geltenden
Entgelttarifverträge der Metallindustrie auf die Arbeitsverträge der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer angewendet hat. E ist gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB weiterhin verpflichtet, die jeweiligen Entgelttarifverträge der Metallindustrie anzuwenden, also insbesondere den übergehenden Arbeitnehmern auch in Zukunft die tariflichen Entgelterhöhungen zu zahlen.
Muss der Erwerber die bisher nur kraft vertraglicher Vereinbarung angewendeten Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer dynamisch anwenden,
kann er dies sofort nach Betriebsübergang ändern, da die einjährige Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gilt.
Änderungen sind jedoch – wie bei allen anderen übergegangenen arbeitsvertraglichen Regelungen – nur mittels einer einverständlichen Vertragsänderung (zu der der Arbeitnehmer
nicht verpflichtet ist!) oder mittels einer Änderungskündigung (für die ein Kündigungsgrund
benötigt wird!) möglich. Beides wird faktisch häufig nicht durchsetzbar sein.
Eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 S. 3 BGB durch den beim Erwerber geltenden Tarifvertrag ist bei individualvertraglicher Bezugnahme nicht möglich. Das gilt selbst dann, wenn die
Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB erfüllt sind.
Teilweise wird vertreten, dass diese Grundsätze durch die neuere Rechtsprechung des
EuGH in der Rechtssache Alemo-Herron440 in Frage gestellt würden. In einem aus dem Vereinigten Königreich kommenden Fall hat der EuGH entschieden, dass es einem Mitgliedstaat
verwehrt ist, vorzusehen, dass Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über
diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen. Wenn dies
nicht möglich sei, sei seine Vertragsfreiheit in einem Ausmaß reduziert, dass dies den Wesensgehalt seines Grundrechts auf unternehmerische Freiheit beeinträchtigen könne. Dies
könne
nur
durch
eine
statische
Bezugnahme
ausgeglichen
werden.441
Das BAG möchte an seiner Rechtsprechung festhalten und hat deshalb die Frage dem
EuGH (erneut) vorgelegt.442
Praxishinweis: Da auch einige Landesarbeitsgerichte443 an der dynamischen Weitergeltung
festhalten, sollte der Erwerber eher hiervon ausgehen. Für den Erwerber kann dies vor allem
dann, wenn der Veräußerer einen günstigeren Tarifvertrag als den bei ihm geltenden angewendet hat, erhebliche finanzielle Belastungen zur Folge haben. Dem Erwerber bleibt dann
allenfalls die Möglichkeit, künftige Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen anzurechnen
oder, wenn dies wirksam vertraglich vereinbart wurde, Zulagen zu widerrufen. Letztendlich
muss er die Bezugnahmeklauseln und sonstigen rechtlichen Möglichkeiten für jeden Fall gesondert prüfen.
440
EuGH v. 18.07.2013 – C-426/11.
Tiedemann, ArbRB 2016, 83.
442
BAG v. 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 (A); EuGH-Aktenzeichen: C-680/15.
443
LAG Bremen v. 12.08.2015 – 3 Sa 16/15, LAG Hamm v. 11.06.2015 – 17 Sa 1584/14;
Sächs. LAG v. 24.03.2015 – 1 Sa 541/14; LAG Berlin-Brandenburg v. 19.06.2015 – 9 Sa 411/15;
Hess. LAG v. 10.12.2013 – 8 Sa 537/13.
441
146
cc) Veräußerer tarifgebunden
Anders kann sich die Rechtslage darstellen, wenn der Veräußerer tarifgebunden ist und auf
die Arbeitsverhältnisse aller bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer die für ihn fachlich und
räumlich einschlägigen Tarifverträge angewandt hat, entweder kraft normativer Wirkung wegen beidseitiger Tarifbindung oder aufgrund einer Bezugnahmeklausel.
Praxishinweis: Bei einer Tarifbindung auch des Erwerbers kommt eine normative Weitergeltung oder eine Ablösung in Betracht.
Für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt § 613a Abs. 1 Satz 2 - 4 BGB. Die normativ geltenden Tarifverträge können nach dem Betriebsübergang normativ weitergelten, sie können
durch den Tarifvertrag des Erwerbers abgelöst werden oder sie werden in die Arbeitsverhältnisse transformiert.444
Für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer ist wegen der seit der Schuldrechtsreform vorzunehmenden AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen gemäß § 305 f. i. V. m. § 310 Abs. 3 BGB
zwischen Alt- und Neuverträgen zu unterscheiden. Für Arbeitsverträge, die vor dem
01.01.2002 abgeschlossen wurden (Altverträge), gewährt das BAG Vertrauensschutz in die
bislang geltende Rechtsprechung zu Bezugnahmeklauseln.
(1) Altverträge
Für Bezugnahmeklauseln, die vor dem 01.01.2002 vereinbart wurden, nimmt die Rechtsprechung weiterhin an, dass es sich bei der Bezugnahmeklausel bzw. der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung um eine sog. Gleichstellungsklausel handelt.
Diese habe nach alter Rechtsprechung445 nur den Zweck, organisierte und nicht organisierte
Arbeitnehmer gleich zu behandeln. Bei organisierten Arbeitnehmern werden die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur in dem Zustand transformiert, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs befanden – d. h. statische
Fortgeltung. Sie nehmen an tariflichen Änderungen nach dem Betriebsübergang nicht mehr
teil.
Praxishinweis: Änderungen von Altverträgen mit Wiederholung der „alten“ Bezugnahmeklausel nach dem 01.01.2002 können zum Verlust des Vertrauensschutzes in die Rechtsprechung führen.446
Auch nach alter Rechtsprechung führte die Bezugnahmeklausel zur dynamischen Weitergeltung der Tarifverträge in folgenden Fällen:
 Das BAG lehnte dann eine Auslegung als Gleichstellungsabrede ab, wenn der Veräußerer die Bezugnahmeklausel zu einem Zeitpunkt vereinbart hat, zu dem er noch nicht
Mitglied des Arbeitgeberverbandes war, auf dessen Tarifverträge er Bezug genommen
hat.447
444
vgl. unten Kapitel D. III.
BAG v. 11.12.2013 – 4 AZR 473/12, NZA 2014, 900; BAG v. 21.08.2002 – 4 AZR 263/01, NZA
2003, 442; BAG v. 24.11.1999 – 4 AZR 666/98,
NZA 2000, 435; BAG v. 04.08.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154.
446
BAG v. 24.02.2010 – 4 AZR 691/08, BB 2010, 631.
447
BAG v. 01.12.2004 – 4 AZR 50/04, NZA 2005, 478.
445
147
Beispiel:
448
Das einem Metallarbeitgeberverband angehörende Unternehmen U gründet eine neue Tochtergesellschaft V, die mit ihren Arbeitnehmern vertraglich die Geltung der für U geltenden Tarifverträge vereinbart. Später tritt V in den gleichen Arbeitgeberverband ein.
Unklar ist für Altverträge jedoch, ob dann zumindest für die Arbeitnehmer, die nach
Verbandseintritt eingestellt wurden, die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede
verstanden werden kann.
 Die Auslegung einer Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede für Altverträge
setzt zudem voraus, dass der Veräußerer die für ihn räumlich und fachlich einschlägigen Tarifverträge angewendet hat. Daher scheidet eine entsprechende Auslegung jedenfalls dann aus, wenn der Veräußerer auf einen fachfremden Tarifvertrag Bezug genommen hat.449
Dagegen ist eine Auslegung als Gleichstellungsklausel dann möglich und im Regelfall auch
geboten, wenn ein tarifgebundenes Unternehmen die fachlich und räumlich einschlägigen
Tarifverträge über deren räumlichen Geltungsbereich hinaus in allen Betrieben des Unternehmens anwendet.450 Die nicht organisierten Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmer in den
Betrieben außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des in Bezug genommenen Tarifvertrages können sich in diesem Fall auf tarifliche Änderungen nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht berufen; die Tarifverträge gelten also nur statisch weiter.
Beispiel:
451
V ist Mitglied eines Metallarbeitgeberverbandes in Baden-Württemberg und wendet die zwischen dem zuständigen Metallarbeitgeberverband und der IG Metall abgeschlossenen Tarifverträge auch auf die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer an, die in Betrieben außerhalb des
räumlichen Geltungsbereichs dieser Tarifverträge beschäftigt werden. Der in NordrheinWestfalen beschäftigte, nicht organisierte Arbeitnehmer A geht auf den Erwerber E über und
verlangt nun eine nach dem Betriebsübergang vereinbarte Erhöhung des Tarifentgelts. Die Klage wurde abgewiesen, da die in Bezug genommenen Tarifverträge wegen des Charakters der
Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede nur in dem Zustand weitergelten, in dem sie sich
im Zeitpunkt des Betriebsübergangs befanden.
Auch wenn die in Bezug genommenen Tarifverträge gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB statisch weitergelten, kann dies theoretisch nach Betriebsübergang geändert werden. Die einjährige Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB greift hier ebenfalls nicht
ein. Allerdings ist eine Änderung nur durch eine einvernehmliche Vertragsänderung oder
durch eine (betriebsbedingte) Änderungskündigung möglich. Das ist häufig faktisch nicht
durchsetzbar.
Praxishinweis: Will der Erwerber die tariflichen Arbeitsbedingungen an die in seinem Unternehmen bestehenden Arbeitsbedingungen (nach unten) anpassen, bleibt ihm zunächst nur
der Weg, etwaige vertraglich wirksam vereinbarte Widerrufsvorbehalte auszunutzen. Ansonsten kann er wegen der statischen Weitergeltung der in Bezug genommenen Tarifverträ-
448
BAG v. 01.12.2004 – 4 AZR 50/04, NZA 2005, 478.
BAG v. 16.05.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923;
BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, NZA 2002, 100.
450
BAG v. 21.08.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442.
451
BAG v. 21.08.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442.
449
148
ge nur den Zeitablauf abwarten, da die Arbeitnehmer ja an tariflichen Entgelterhöhungen
nicht teilnehmen.
(2) Neuverträge
Für Bezugnahmeklauseln, die nach dem 01.01.2002 vereinbart wurden, prüft die Rechtsprechung nun die Formulierung der Bezugnahmeklausel im Rahmen von § 305 f. BGB.
Die bis dahin übliche Formulierung „Die einschlägigen Tarifverträge der Metallindustrie in …
in ihrer jeweiligen Fassung sind Bestandteil dieser Vereinbarung." wird nicht mehr als
Gleichstellungsabrede im oben genannten Sinne verstanden. Sie führt zur dynamischen
Weitergeltung der in Bezug genommenen Tarifverträge nach dem Betriebsübergang.452 Für
die nicht oder nicht kongruent tarifgebundenen Arbeitnehmer gilt somit § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB ohne weitere Besonderheiten. Für die Reichweite der Inbezugnahme kommt es auf die
Auslegung der jeweiligen Bezugnahmeklausel an.
Praxishinweis: Die Tarifgebundenheit des (aktuellen) Arbeitgebers muss zur auflösenden
Bedingung der Bezugnahmeklausel gemacht werden.
Entsprechend gestaltete Bezugnahmeklauseln verhindern eine statische Weitergeltung der
bisherigen Tarifverträge nach dem Betriebsübergang beim nicht oder anderweitig tarifgebundenen Erwerber. Nachfolgend eine Mustervertragsklausel hierfür:
„Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Betrieb räumlich und fachlich geltenden, mit der
IG Metall vereinbarten Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung Anwendung, sofern der
Beschäftigte jeweils unter den persönlichen Geltungsbereich fällt. Dies gilt nur, soweit und
solange der Arbeitgeber an diese Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist.
Satz 1 gilt nicht, wenn aufgrund beidseitiger Tarifbindung für den Beschäftigten andere Tarifverträge gelten und im Betrieb anzuwenden sind.
Im Fall des Übergangs des Betriebes oder eines Betriebsteils auf einen anderweitig tariflich
gebundenen Erwerber sind die für diesen normativ geltenden, den Betrieb räumlich und
fachlich erfassenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung anzuwenden. Satz 2 gilt
entsprechend.“
Die Änderung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede ist
nicht unumstritten:
 In der Literatur wurde sie bereits unter Bezug auf die sog. „Werhof-Entscheidung“453
des EuGH kritisiert.454
Der EuGH hat in dieser Entscheidung bestätigt, dass nur kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel geltende Tarifverträge gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den
Erwerber übergehen:
Beispiel:
Der Kläger war bei einem tarifgebunden M+E-Unternehmen beschäftigt. Er selbst war nicht Mitglied der IG Metall. Nach dem Arbeitsvertrag fanden die Tarifverträge der M+E-Industrie Anwendung. Am 01.10.1999 fand ein Betriebsübergang auf einen nichttarifgebundenen Erwerber
statt. Der Kläger verlangte u. a. von diesem die vereinbarte Zahlung der Tarifentgelterhöhung
452
BAG v. 18.11.2009 – 4 AZR 514/09, NZA 2010, 170; BAG v. 18.04.2007 – 4 AZR 652/05,
NZA 2007, 965; BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607.
453
EuGH v. 09.03.2006 – C 499/04, NZA 2006, 376.
454
Nicolai, DB 2006, 670.
149
um 2,6 % ab dem 01.06.2003. Der Erwerber berief sich auf eine (nur) statische Anwendung der
Tarifverträge der M+E-Industrie nach dem Betriebsübergang. Das LAG Düsseldorf legte die Bezugnahmeklausel als sog. Gleichstellungsabrede aus und ging ebenfalls von einer statischen
Verweisung aus. Es legte dem EuGH aber die Frage vor, ob § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB mit dem
Europarecht vereinbar sei.
Der Gerichtshof stellte fest, dass der Richtlinie nicht zu entnehmen sei, dass der Erwerber durch andere als die zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden Kollektivverträge
gebunden sein soll. Änderungen der Kollektivverträge nach dem Betriebsübergang
seien nicht zu berücksichtigen. Der EuGH erkennt an, dass sich der Erwerber auf das
Grundrecht der (negativen) Vereinigungsfreiheit berufen könne. Dies spricht gegen eine dynamische Weitergeltung von Tarifverträgen gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB.
Das BAG sah sich bisher jedoch nicht veranlasst, von seiner Rechtsprechungsänderung zur Gleichstellungsabrede abzurücken.455 Es argumentiert, dass sich der EuGH
bisher zwar nicht für, aber auch nicht gegen eine Auslegung im Sinne einer Dynamik
ausgesprochen habe. Ein Verstoß gegen die negative Vereinigungsfreiheit komme im
Übrigen nur bei kollektivrechtlicher, nicht bei individualvertraglicher Bindung in Betracht.
 Durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alemo-Herron wurde diese Argumentation des BAG erneut in Frage gestellt.456 Die negative Vereinigungsfreiheit sei
auch im Einklang mit der primärrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit zu sehen.
Eine Regelung, wonach ein Betriebserwerber einer durchsetzbaren dynamischen Bindung an Kollektivverträge ausgesetzt sei, ohne dass er eine Einflussmöglichkeit auf deren Verhandlung habe, sei mit Art. 3 RL 2001/23 nicht vereinbar.
Von den Landesarbeitsgerichten wird diese Argumentation teils zustimmend aufgegriffen457, teils für nicht übertragbar erachtet458. Das BAG hat die Frage erneut dem EuGH
vorgelegt. 459 Die Entscheidung des EuGH bleibt abzuwarten.
Praxishinweis: Vor dem Hintergrund dieser unsicheren Rechtslage ist eine Berufung auf die
frühere Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede nach wie vor riskant.
Unklare Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen nach dem 01.01.2002 – z. B. solche, die
keine Regelung zum Betriebsübergang vorsehen – beinhalten für den Erwerber weiterhin die
Gefahr, dass die tariflichen Regelungen des Veräußerers dynamisch weitergelten.
455
BAG v. 23.09.2009 – 4 AZR 331/08, NZA 2010, 513.
EuGH v. 18.07.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835.
457
Sächsisches LAG v. 25.07.2014 – 3 Sa 128/14.
458
Hessisches LAG v. 25.03.2014 – 8 Sa 1150/13.
459
BAG v. 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 (A); Aktenzeichen EuGH: C-680/15.
456
150
Zusammenfassender Überblick
Wirkung Bezugnahmeklauseln § 613a BGB
Veräußerer nicht
tarifgebunden
Bezugnahmeklausel wirkt wie
beim Erwerber so auch beim
Veräußerer
i. d. R. dynamische Wirkung
Veräußerer
tarifgebunden
Altverträge vor dem
01.01.2002:
Neuverträge nach dem
01.01.2002
i. d. R. statische
Wirkung als sog.
Gleichstellungsabrede
Abhängig von der
Formulierung der
Bezugnahmeklausel
(§ 305 f. BGB)
Voraussetzung:
räumlich und fachlich
einschlägiger
Tarifvertrag
Tarifgebundenheit nicht
Bedingung der
Verweisung =
dynamische Wirkung
2. Übergang von Ansprüchen aus Gesamtzusage und betrieblicher Übung
a) Regelungen beim Veräußerer
Sowohl die Gesamtzusage als auch die betriebliche Übung stellen nach der Rechtsprechung
des BAG individualvertragliche Regelungsinstrumente dar, sodass auf diesen Grundlagen
erbrachte Leistungen des Arbeitgebers Vertragsbestandteil werden. Wenn daher im Betrieb
des Veräußerers solche Regelungen bestanden, gehen sie nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
auf den Erwerber über; sie bleiben Bestandteil der Arbeitsverhältnisse.460
Muss der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Verpflichtungen aus einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung übernehmen, hat dies
regelmäßig nicht zur Folge, dass auch die ursprünglich bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer
den gleichen Anspruch wie die übernommenen Arbeitnehmer erwerben. Eine betriebliche
Übung, auf die sich die im Zuge eines Betriebs(teil)übergangs übergegangenen Arbeitnehmer berufen können, gilt nur für diese Arbeitnehmer.
Die ursprünglich beim Erwerber beschäftigten Arbeitnehmer können keinen Anspruch geltend machen; sie können sich auch nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen.461
Beispiel:
Der Erwerber E führt bereits ein Reinigungsunternehmen. Er übernimmt von einem Betrieb des
Veräußerers V die Reinigungsabteilung samt den dieser zuzuordnenden Arbeitnehmern. Die
übergegangenen Arbeitnehmer haben aufgrund einer dreimaligen vorbehaltlosen Gewährung
beim Veräußerer einen Anspruch auf die Zahlung von Urlaubsgeld erworben (betriebliche
Übung). Die schon bisher bei E angestellten Arbeitnehmer können nicht die Zahlung von Urlaubsgeld verlangen.
460
461
BAG v. 03.11.2004 – 5 AZR 73/04 – zur betrieblichen Übung.
BAG v. 14.11.2001 – 10 AZR 152/01, NZA 2002, 527.
151
Praxishinweis: Es dürfte sich in solchen Fällen empfehlen, den ursprünglichen Arbeitnehmern mitzuteilen, dass sie an eventuellen Ansprüchen der übergehenden (und eingegliederten) Arbeitnehmer nicht teilhaben werden. Damit wird das Risiko, dass dem Erwerber eine
Willenserklärung unterstellt wird oder sich ein schutzwürdiges Vertrauen bilden könnte, vermieden.
In besonderen Fallkonstellationen kann es auch zur Ablösung durch kollektivrechtliche Regelungen kommen.462
Verspricht der Veräußerer Leistungen nach dem Betriebsübergang im Wege einer Gesamtzusage (z. B. eine Sonderprämie nach Ablauf des Geschäftsjahres) und werden von dieser
Zusage auch die übergegangenen Arbeitnehmer erfasst463, muss der Erwerber hierfür nicht
einstehen. Die entsprechende Verpflichtung bestand nicht im Zeitpunkt des Betriebsübergangs. Insoweit besteht eine Parallele zu tariflichen Regelungen, die (rückwirkend) erst nach
dem Betriebsübergang abgeschlossen werden; auch insoweit wird eine Einstandspflicht des
Erwerbers abgelehnt.464
b) Regelungen beim Erwerber
Umgekehrt stellt sich vor allem bei der Eingliederung eines übernommenen Betriebes oder
Betriebsteils in den Betrieb des Erwerbers die Frage, ob die übergehenden Arbeitnehmer
Ansprüche aus den im Erwerberbetrieb geltenden Gesamtzusagen oder betrieblichen Übungen erwerben.
Wenn der Erwerber gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern keine ausdrückliche Erklärung des Inhalts abgibt, dass die insoweit bei ihm geltenden Regelungen nicht auf ihre Arbeitsverhältnisse angewendet werden, nehmen die übergehenden Arbeitnehmer auch an
diesen Regelungen teil. Der Erwerber hat jedoch – ebenso wie bei neu eintretenden Arbeitnehmern – die Möglichkeit, gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern durch ausdrückliche Erklärung die Geltung einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung auszuschließen.465
Nicht ausreichend dürfte es sein, wenn der Erwerber lediglich die aufgrund einer Gesamtzusage oder betrieblichen Übung zugesagten Leistungen den übergehenden Arbeitnehmern
nicht gewährt.466
Praxishinweis: Diese Erklärung des Erwerbers sollte in die nach § 613a Abs. 5 BGB zu erteilende Information aufgenommen werden. Dieser Hinweis kann auch Inhalt eines gemeinsamen Informationsschreibens durch den Veräußerer und den Erwerber sein.
Zu beachten ist außerdem der Gleichbehandlungsgrundsatz. Allein die Anknüpfung an
Stammbelegschaft und übernommene Belegschaft ist nach der Rechtsprechung jedenfalls
kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung.467 Das Ziel einer Anpassung des Vergütungsniveaus ist ggf. konkret nachzuweisen.
462
vgl. unten Kapitel D. II. 5.
BAG v. 22.01.2003 – 10 AZR 395/02, NZA 2003, 576.
464
BAG v. 13.09.1994 – 3 AZR 148/94, NZA 1995, 740.
465
BAG v. 10.08.1988 – 5 AZR 571/87, NZA 1988, 57; LAG Hamm v.v 27.05.2004 – 8 Sa 1943/03.
466
BAG v. 10.08.1988 – 5 AZR 571/87, NZA 1988, 57.
467
BAG v. 14.03.2007 – 5 AZR 420/06, NZA 2007, 862.
463
152
Zusammenfassender Überblick
Betriebliche Übung und Gesamtzusage
§ 613a BGB
Beim Veräußerer
Übernommene
Arbeitnehmer
Bisherige
Arbeitnehmer
beim Erwerber
Ansprüche gehen
auf Erwerber über,
Kein Anspruch,
auch nicht aus
Gleichbehandlungsgrundsatz
ggf. Ablösung
durch kollektive
Regelung beim
Erwerber
Beim Erwerber
Übernommene
Arbeitnehmer
Ansprüche können
– wie für neu
eintretende
Arbeitnehmer – bei
Vorliegen eines
sachlichen Grundes
durch ausdrückliche
Erklärung
ausgeschlossen
werden
Bisherige
Arbeitnehmer
beim Erwerber
Ansprüche
unverändert
3. Übergang „nichtarbeitsrechtlicher“ Verträge
Als sog. „nichtarbeitsrechtliche“ Beziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien werden
solche Verträge bezeichnet, die zwar in Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen,
rechtlich aber dennoch unabhängig von ihm sind. Es handelt sich insbesondere um Kaufverträge (mit Personalrabatten), Darlehensverträge sowie Mietverträge über Werk- und Werkdienstwohnungen. Den Arbeitnehmern werden hier häufig Sonderkonditionen gewährt.
Bereits darauf kann – oft auch kraft betrieblicher Übung – ein Anspruch entstehen, der dann
nach den o. g. Grundsätzen auf den Erwerber übergeht. Eine davon zu trennende Frage ist,
ob die Verträge selbst – mit unverändertem Inhalt – auf den Erwerber übergehen.
a) Kaufverträge
Kaufverträge, die der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern abgeschlossen hat (z. B. über
Jahreswagen), gehen nicht auf den Erwerber über. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ordnet nur an,
dass der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs
bestehenden Arbeitsverhältnissen eintritt.
Bei rechtlich selbstständigen Kaufverträgen handelt es sich aber nicht um Bestandteile des
Arbeitsverhältnisses, sodass ein Übergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ausscheidet. Der
bloße Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis reicht nicht aus, um von einem Wechsel
des Vertragspartners ausgehen zu können. Damit können insbesondere Gewährleistungsansprüche nach wie vor nur gegen den Veräußerer geltend gemacht werden. Allerdings
kann der Erwerber aus einem anderen Rechtsgrund, z. B. §§ 25, 28 HGB haften.
153
b) Arbeitgeberdarlehen
Arbeitgeberdarlehen gehen nach der Rechtsprechung des BAG nicht auf den Erwerber über,
wenn ein vom Arbeitsverhältnis unabhängiger, eigenständiger Darlehensvertrag abgeschlossen wurde.468
Wird ein Darlehen durch eine Grundschuld abgesichert, geht diese ebenfalls nicht nach §
613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über, da zu den übergehenden Rechten nur
schuldrechtliche, nicht aber dingliche Ansprüche gehören.469
Wurde dem Arbeitnehmer jedoch ein Gehaltsvorschuss gewährt, der unzutreffend als „Darlehen“ bezeichnet wurde, geht der entsprechende Rückforderungsanspruch mitsamt einer
Auf- oder Verrechnungsbefugnis auf den Erwerber über.470 Gleiches kann bei der Verknüpfung eines Darlehens mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses gelten.471
Beispiel:
Arbeitnehmer A erhielt von seinem Arbeitgeber D einen sog. Baukostenvorschuss. Nach der
Vereinbarung hat ein Ausscheiden aus dem Unternehmen die vollständige und sofortige Rückzahlung zur Folge. Auch werden solche „Baukostenvorschüsse“ nur bei Familienwohnungen bis
zu einer bestimmten Entfernung vom Arbeitsort gewährt. Vor der vollständigen Rückzahlung erfolgte ein Teilbetriebsübergang auf die B. Der bisherige Arbeitgeber D vertritt die Auffassung,
dass die Rechte und Pflichten aus dem Darlehensvertrag nicht auf die B übergegangen seien,
sondern mit dem Ausscheiden des A zur Rückzahlung fällig wurden. Das Gericht widerspricht
dieser Auffassung und urteilt, dass sich der Schutz des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB wegen der
Ausgestaltung des Darlehens, insbesondere der Verknüpfung mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses, auch auf die Rechte und Pflichten aus dem Darlehensvertrag beziehen.
c) Werk- und Werkdienstwohnungen
Bei der Überlassung von Werkswohnungen ist zwischen Werkmiet- (§§ 576, 576a BGB) und
Werkdienstwohnungen (§§ 576b BGB) zu unterscheiden.
Bei der Werkdienstwohnung gehört das Wohnrecht zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses und
geht daher mit dem Arbeitsverhältnis über.
Anders sieht dies bei Werkmietwohnungen aus. Sofern ein rechtlich selbstständiger Mietvertrag besteht, d. h. keine Zusage im Arbeitsvertrag enthalten ist, wird dieser von § 613a Abs.
1 Satz 1 BGB nicht erfasst.472
d) Wettbewerbsverbote
aa) Vertragliche Wettbewerbsverbote
Das im bestehenden Arbeitsverhältnis für jeden Arbeitnehmer geltende Wettbewerbsverbot
nach § 60 HGB wird durch den Betriebsübergang inhaltlich nicht berührt. Es kommt jedoch
zu einem Wechsel des Berechtigten. Die Arbeitnehmer haben sich auch nach dem Betriebsübergang ausschließlich dem Erwerber gegenüber jedes Wettbewerbs zu enthalten.
Durch den Betriebsübergang kann sich jedoch die Reichweite des Wettbewerbsverbots ändern. Dieser Fall tritt insbesondere dann ein, wenn das Unternehmen des Erwerbers einen
468
BAG v. 21.01.1999 – 8 AZR 373/97, n.v.
BAG v. 21.01.1999 – 8 AZR 373/97, n.v.
470
Schiefer, Rn. 148b.
471
LAG Köln v. 18.05.2000 – 10 Sa 50/00, NZA-RR 2001, 174.
472
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 77.
469
154
anderen (Geschäfts-)Zweck als das Unternehmen des Veräußerers verfolgt. 473 Dies betrifft
vor allem einen Betriebsteilübergang, da mit einem Betriebsteil i. d. R. kein eigener Geschäftszweck verfolgt wird. Die Folge kann sein, dass dem Arbeitnehmer nach Betriebsübergang andere Nebentätigkeiten verboten sind als vor dem Betriebsübergang.
Beispiel:
Arbeitnehmer A ist Programmierer bei einer Softwarefirma V, die von einem Mediengroßunternehmen E erworben wird. E nutzt den übernommenen Softwarebetrieb nur für interne Zwecke.
A war es vor dem Betriebsübergang untersagt, auf privater Grundlage Programmierarbeiten
durchzuführen. Nach dem Betriebsübergang ist er hierzu befugt.
Der umgekehrte Beispielsfall ist strittig. Bei Anwendung des dargestellten Grundsatzes ist
dem Arbeitnehmer aber wohl eine gewisse Übergangsfrist zur Beendigung seiner Tätigkeit
zuzugestehen.474
bb) Nachvertragliche Wettbewerbsverbote
(1) Bei Übergang des Arbeitsverhältnisses
Ein bereits im Arbeitsvertrag bzw. während des laufenden Arbeitsverhältnisses vereinbartes
nachvertragliches Wettbewerbsverbot geht ebenso wie alle anderen arbeitsvertraglichen
Vereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über.475
Praxishinweis: Der Veräußerer kann in diesem Fall aus der nachvertraglichen Wettbewerbsabrede keine Rechte mehr geltend machen.
Alle Voraussetzungen des Wettbewerbsverbots richten sich dann nach dem neuen Arbeitgeber. Hat das Unternehmen des Erwerbers einen anderen Geschäftszweck als das Unternehmen des Veräußerers und hat der Erwerber daher kein berechtigtes Interesse an der
Einhaltung des Wettbewerbsverbots, wird dieses unverbindlich. Der Arbeitnehmer hat daher
das Wahlrecht zwischen der Berufung auf die Unverbindlichkeit oder der Einhaltung des
Wettbewerbsverbots.
Im Schrifttum wird in solchen Fällen vertreten, das nachvertragliche Wettbewerbsverbot im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung anzupassen. Wegen der vielfältigen Probleme
bei den Einzelheiten wird jedoch eine einvernehmliche Vertragsanpassung empfohlen.476
Das hätte für den Erwerber den Vorteil, dass er mit dem übergehenden Arbeitnehmer kein
neues nachvertragliches Wettbewerbsverbot abschließen muss, sondern einen entsprechenden Anpassungsanspruch geltend machen kann. Notwendig ist ein berechtigtes Interesse des Erwerbers.477
Praxishinweis: Es ist vor diesem Hintergrund zu empfehlen, mit den übergehenden Arbeitnehmern, mit denen der Veräußerer ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart
hatte, zeitnah zum Betriebsübergang in Verhandlungen über eine ggf. notwendige Änderung
des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots einzutreten.
473
Willemsen, Teil G, Rn. 182.
Willemsen, Teil G, Rn. 183.
475
BAG v. 27.11.1991 – 4 AZR 211/91, NZA 1992, 800.
476
Willemsen, Teil G, Rn. 184.
477
BAG v. 26.09.1963 – 5 AZR 61/63, DB 1963, 1682; ErfK, Oetker, § 74 HGB, Rn. 25.
474
155
Es sollte nicht abgewartet werden, ob die Arbeitsgerichte nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers ggf. die Vereinbarung anpassen oder nicht. In diesem Fall besteht das Risiko, dass
das ursprünglich vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot leer läuft. Der Erwerber
sollte klären, bei welchen Arbeitnehmern eine Änderung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots angezeigt ist. Besteht für den Erwerber kein Nutzen an einem Wettbewerbsverbot mehr, kann sich auch ein Verzicht nach § 75a HGB anbieten. In diesem Fall wird der
Erwerber ggf. nach Ablauf eines Jahres von der Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung frei.
(2) Beendete / Nicht übergehende Arbeitsverhältnisse
Anders sieht die Rechtslage bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten (§§ 74 ff. HGB)
aus, die der Veräußerer mit ausscheidenden Arbeitnehmern vereinbart hat.
Sie gehen – anders als vertragliche Wettbewerbsverbote – jedenfalls nach dem Wortlaut des
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht auf den Erwerber über, da es sich bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot erstens nicht um eine arbeitsvertragliche Verpflichtung handelt und
zweitens das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht mehr besteht. Eine
Anwendung von § 613a BGB (unmittelbar oder analog) wird von der überwiegenden Literatur478 und von der Rechtsprechung479 verneint.
Folgt man der herrschenden Meinung, bedeutet das Folgendes:
Ist der Arbeitnehmer bereits einige Zeit vor dem Betriebsübergang ausgeschieden und
enthält er sich einerseits des Wettbewerbs und zahlt der Veräußerer anderseits aufgrund des
nachvertraglichen Wettbewerbsverbots die Karenzentschädigung, ändert sich durch den Betriebsübergang nichts; auch wenn das Interesse des Veräußerers an der Einhaltung des
Wettbewerbsverbots dadurch entfällt.
Geht das Arbeitsverhältnis aufgrund des Widerspruchs gegen den Betriebsübergang
nicht auf den Erwerber über und kündigt ihm daraufhin der Veräußerer betriebsbedingt, geht
das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ebenfalls nicht auf den Erwerber über. Es gilt weiterhin ausschließlich im Verhältnis Veräußerer und Arbeitnehmer. Der Erwerber kann also
vom Arbeitnehmer keine Wettbewerbsunterlassung fordern.
Entfällt durch den Betriebsübergang das berechtigte geschäftliche Interesse des Veräußerers an dem vertraglich vereinbarten Wettbewerbsverbot, wird es gemäß § 74a Abs. 1 HGB
unverbindlich. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, in dem die Rechte aus dem Wettbewerbsverbot geltend gemacht werden.480 Das hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer zu Beginn der Karenzzeit481 ein Wahlrecht hat, ob er die Rechte aus dem Wettbewerbsverbot geltend machen will oder nicht.482 Der Arbeitnehmer könnte zu einem Konkurrenzunternehmen
wechseln, ohne dass der Veräußerer oder der Erwerber ihn daran hindern können.
Praxishinweis: In der Praxis sollte die Problematik ggf. bereits im Vorfeld des Betriebsübergangs geklärt werden.
In Betracht kommt entweder eine Überleitung der Wettbewerbsvereinbarung auf den Erwerber483 oder ein Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung seines Widerspruchsrechts
478
Willemsen, Teil G, Rn. 183.
LAG Köln v. 08.07.2011 – 10 Sa 398/11;
Hessisches LAG v. 03.05.1993 – 10 SaGa 345/93, NZA 1993, 1033.
480
BAG v. 28.01.1966 – 3 AZR 374/65, DB 1966, 585; ErfK-Oetker, § 74a HGB, Rn. 2.
481
BAG v. 22.05.1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263.
482
BAG v. 22.05.1990 – 3 AZR 647/88, NZA 1991, 263; LAG Hamm v. 14.02.2012 – 14 Sa 1385/11.
483
Hessisches LAG v. 03.05.1993 – 10 SaGa 345/93, NZA 1994, 1033.
479
156
gemäß § 613a Abs. 6 BGB.484 Beides ist nur unter Mitwirkung des Arbeitnehmers möglich,
sodass dieser eine starke Verhandlungsposition hat. Ob man auf den jeweiligen Arbeitnehmer zugeht, sollte daher im Einzelfall entschieden werden.
Der Veräußerer sollte sich rechtzeitig vor dem Betriebsübergang (bzw. in jedem Fall vor der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses) Gedanken über einen möglichen Verzicht nach § 75a
HGB machen.
4. Übernahme nichtarbeitsrechtlicher Verpflichtungen
(insbesondere sozialversicherungs- und steuerrechtliche Ansprüche)
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB beschränkt die Übernahmeverpflichtung des Erwerbers auf (vertragliche) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Damit werden gesetzliche Ansprüche, die
auf öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen beruhen, von § 613a BGB nicht erfasst, sodass der
Erwerber aus diesem Rechtsgrund nicht für rückständige Verbindlichkeiten des Veräußerers
haftet.485 Er haftet damit für die Ansprüche der Sozialversicherungsträger und des Finanzamts erst ab dem Zeitpunkt, in dem er in die Arbeitgeberstellung einrückt.
Es kommt allerdings bei Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen eine
Haftung auch für rückständige gesetzliche Verbindlichkeiten des Veräußerers nach den
§§ 25, 28 HGB in Betracht.486
5. Ablösung vertraglicher Ansprüche durch kollektivrechtliche Regelungen
a) Ablösung durch Tarifvertrag
Für den Erwerber stellt sich die Frage, ob die einzelvertraglichen Rechte und Pflichten der
Arbeitnehmer, die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf ihn übergehen, durch tarifvertragliche
Regelungen abgelöst werden können.
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB greift insoweit nicht ein, weil diese Vorschrift nur den Fall der Ablösung von beim Veräußerer geltenden tariflichen oder betrieblichen Regelungen und damit
gerade nicht von einzel- bzw. individualvertraglichen Regelungen erfasst.
Praktisch relevant wird diese Frage immer dann, wenn ein tarifgebundenes Unternehmen einen bisher nicht tarifgebundenen Betrieb oder Betriebsteil übernimmt und die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen für die übergehenden Arbeitnehmer ungünstiger als die bzw. einige einzelvertraglich vereinbarten Regelungen sind
Die Tarifverträge können dann angewendet werden, wenn dies zwischen dem Erwerber und
den übergehenden Arbeitnehmern vereinbart wird. Dafür ist eine praktisch kaum realisierbare Änderungsvereinbarung mit den Arbeitnehmern notwendig. Die einjährige Verschlechterungssperre gilt für § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht.
Eine Ablösung der individualrechtlichen Regelung durch Tarifverträge aufgrund einer beiderseitigen Tarifbindung gemäß § 4 Abs. 1 TVG oder einer Geltung von Tarifverträgen kraft betrieblicher Übung im Erwerberbetrieb scheitert i. d. R. am sog. Günstigkeitsprinzip.
Zwar greift der Tarifvertrag unmittelbar dann ein, wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind, also auch die übergehenden Arbeitnehmer Mitglieder in der tarifzuständigen
Gewerkschaft sind. Im Verhältnis Tarifvertrag-Arbeitsvertrag gilt aber auch in dieser Fallkonstellation das Günstigkeitsprinzip. Die Verschlechterung der individualrechtlichen An484
zur Zulässigkeit eines solchen Verzichts siehe Kapitel C.
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 81.
486
vgl. Kapitel J. V.
485
157
sprüche der übergehenden Mitarbeiter ist deshalb durch ablösende Tarifverträge nicht möglich.
Das Gleiche gilt auch, wenn die Geltung von Tarifverträgen kraft betrieblicher Übung im Erwerberbetrieb erreicht wird487. Zwar werden die übergegangenen Arbeitnehmer i. d. R. auch
von einer im Erwerberbetrieb geltenden betrieblichen Übung erfasst, diese ist jedoch ungünstiger als ihre bisherige arbeitsvertragliche Regelung. Auch gelten die günstigeren Regelungen weiter.
Beispiel:
Das metallverarbeitende Unternehmen E, Mitglied eines tarifschließenden Metallarbeitgeberverbandes, übernimmt von dem Unternehmen V, das nicht Verbandsmitglied ist, einen Betriebsteil. Die dort beschäftigten Arbeitnehmer hatten einen jährlichen Urlaubsanspruch von 32 Tagen. Sie können diesen Anspruch auch gegenüber E geltend machen, obwohl der einschlägige
Metallmanteltarifvertrag nur einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen vorsieht.
Für den Erwerber ist dies nachteilig. Er kann die Weitergeltung günstigerer einzelvertraglicher Regelungen auch dann nicht verhindern, wenn er die für ihn (normativ) geltenden Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis anwendet.
Er ist darauf angewiesen, dass sich die Arbeitnehmer einzelvertraglich mit einer Anwendung
der Tarifverträge unter vollständiger Ablösung aller (d. h. auch günstigerer) einzelvertraglicher Regelungen einverstanden erklären.
Praxishinweis: Für den Erwerber kann eine arbeitsvertraglich vereinbarte Bezugnahme auf
die für ihn geltenden Tarifverträge trotz des Fortbestands günstigerer Regelungen sinnvoll
sein, weil er dann zumindest hinsichtlich der tariflich geregelten Arbeitsbedingungen eine
Gleichbehandlung der Arbeitnehmer herbeiführt, die für die Personalabteilung und die Buchhaltung einfacher zu handhaben ist.
Will der Erwerber aber verhindern, dass die bei ihm geltenden Tarifverträge auch auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer Anwendung finden, kann er versuchen,
diesen Arbeitnehmern gegenüber die Geltung dieser Tarifverträge ausdrücklich auszuschließen. Die übergehenden Arbeitnehmer haben es dann jedoch in der Hand, durch einen Beitritt in die für den Erwerber bzw. seinen Verband tarifzuständige Gewerkschaft die normative
Wirkung der Tarifverträge herbeizuführen.
Die Erstreckung der beim Erwerber geltenden Tarifverträge kann aber dadurch verhindert
werden, dass die Arbeitnehmer auf einen eigenen – ggf. neu gegründeten – Unternehmensträger übergehen, der seinerseits nicht tarifgebunden ist. In einem solchen Fall besteht für
den Erwerber allerdings die Gefahr, dass die dann tarifzuständige Gewerkschaft versuchen
wird, einen Firmen- bzw. Anerkennungstarifvertrag mit ihm zu schließen.
b) Ablösung durch Betriebsvereinbarung
Auch im Verhältnis zwischen „echten“ individuellen Vertragsvereinbarungen und Betriebsvereinbarung gilt grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip.488 Dabei ist es unerheblich, ob die
vertragliche Abrede vor oder nach dem Abschluss der Betriebsvereinbarung getroffen wurde.489
487
BAG v. 19.01.1999 – 1 AZR 606/98, NZA 1999, 879, 881;
BAG v. 17.04.2002 – 5 AZR 89/01, NZA 2002, 1096, 1097.
488
BAG GS v. 07.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990, 816.
489
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 197.
158
Vom Günstigkeitsprinzip kann in zwei Ausnahmefällen abgewichen werden:
1. Die arbeitsvertraglichen Regelungen sind betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet.
2. Die arbeitsvertragliche Regelung beruht auf einer betrieblichen Übung oder einer Gesamtzusage und die ablösende Betriebsvereinbarung ist kollektiv günstiger.
Ist die arbeitsvertragliche Regelung, die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber
übergeht, unter den Vorbehalt der Änderung durch eine Betriebsvereinbarung gestellt, so ist
eine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung im Erwerberbetrieb möglich. Das BAG hat
eine solche Ablösung bei betriebsvereinbarungsoffenen Arbeitsverträgen anerkannt.490
Da Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG normativ auf alle Arbeitsverhältnisse
einwirken, muss ihre Geltung nicht vertraglich vereinbart werden.
Allerdings lebt der Anspruch dann wieder vollständig auf, wenn die Betriebsvereinbarung endet.491
Sind Arbeitsbedingungen durch Gesamtzusage oder betriebliche Übung geregelt, können
sie ebenfalls durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Dabei ist das vom BAG entwickelte sog. kollektive Günstigkeitsprinzip zu beachten, nach dem die Regelung insgesamt für die Belegschaft nicht ungünstiger als die bisherige Regelung sein darf.492
Damit werden insbesondere umstrukturierende Betriebsvereinbarungen zulässig.
Praxishinweis: Soweit dies allerdings in Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang
steht, ist zu beachten, ob die neue Betriebsvereinbarung nur die übergegangenen Arbeitnehmer oder alle, d. h. auch die schon beim Erwerber angestellten Arbeitnehmer erfassen
soll.
Wenn nur die Arbeitsbedingungen der übergegangenen Arbeitnehmer gemäß § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG auf eine neue Grundlage gestellt werden sollen, wird es beim kollektiven
Günstigkeitsvergleich nur auf diese Arbeitnehmer-Gruppe ankommen. Wenn die Betriebsvereinbarung hingegen – dies kann bei der Eingliederung des erworbenen Betriebes oder
Betriebsteils in den vorhandenen Betrieb des Erwerbers der Fall sein – die gesamte Belegschaft, also die bereits beim Erwerber angestellten und die übergegangenen Arbeitnehmer
erfassen soll, wird man beim Günstigkeitsvergleich auf die gesamte Belegschaft abstellen
müssen.
Die vorstehend dargestellten Grundsätze gelten jedenfalls dann, wenn es sich um Ansprüche der Arbeitnehmer auf Entgelt bzw. Entgeltzusatzleistungen handelt. Unklar ist die
Rechtslage, wenn es um Betriebsvereinbarungen geht, die andere Arbeitsbedingungen als
Entgelt(zusatz)leistungen regeln, also z. B. Lage und Verteilung der Arbeitszeit gemäß § 87
Abs. 1 Nr. 2 BetrVG oder Fragen der Ordnung des Betriebes gemäß § 87 Abs. 1
Nr. 1 BetrVG.
Beispiel:
In den Arbeitsverträgen der übergehenden Arbeitnehmer ist der Beginn der täglichen Arbeitszeit
mit 8:00 Uhr und ihr Ende mit 16:30 geregelt. Der Erwerber will den bisher betriebsratslosen Be-
490
BAG GS v. 16.09.1986 – 1 GS 1/82, NZA 1987, 168;
BAG v. 16.11.2011 – 10 AZR 60/11, NZA 2012, 349.
491
BAG v. 28.03.2000 – 1 AZR 366/99, NZA 2001, 49.
492
BAG GS v. 16.09.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168.
159
trieb/Betriebsteil in seinen Betrieb eingliedern. Dort gilt jedoch eine Betriebsvereinbarung, die
den täglichen Arbeitsbeginn auf 7:30 Uhr und ihr Ende auf 16:00 festlegt.
Eine Ablösung erfolgt in diesen Fällen, wenn der Arbeitgeber die fragliche Arbeitsbedingung
auch im Wege seines Direktionsrechts hätte ändern können, wie es z. B. bei der Lage der
Arbeitszeit häufig der Fall ist (§ 106 GewO). Es kommt daher darauf an, ob die vertragliche
Regelung tatsächlich die Lage und Verteilung abschließend regelt oder ob sie so auszulegen
ist, dass dem Arbeitgeber das Weisungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit verbleiben
soll. Nur wenn die vertragliche Vereinbarung die Lage der Arbeitszeit verbindlich festlegt, ist
eine Änderung über eine Betriebsvereinbarung nicht möglich.
Es bleibt dann nur der Weg der Änderungskündigung. Insoweit sind die Anforderungen zur
Anpassung vertraglicher Nebenabreden nicht den gleichen strengen Maßstäben zu unterwerfen wie Änderungskündigungen zur Entgeltabsenkung.493
Im Übrigen passt bei anderen Arbeitsbedingungen kaum das Günstigkeitsprinzip. Es geht
nicht um Entgeltansprüche der Arbeitnehmer, sondern um Regelungen, die die Organisation
des Betriebes betreffen. Sie sind damit eigentlich „günstigkeitsneutral“. Aus diesem Grund ist
von einem generell ablösenden Charakter auszugehen.
Zusammenfassender Überblick
Ablösung arbeitsvertraglicher Regelungen
durch
Tarifvertrag
493
Betriebsvereinbarung
Grundsätzlich
NEIN
Ausnahme
Grundsätzlich
NEIN
Günstigkeitsprinzip
zwischen
Arbeitsvertrag
und Tarifvertrag
Änderungsvereinbarung
Günstigkeitsprinzip
zwischen
Arbeitsvertrag
und
Betriebsvereinbarung
Hinweis:
keine einjährige
Verschlechterungssperre
Ausnahmen
BV regelt
Inhalt des
Direktionsrechts des
Arbeitgebers
Betriebsvereinbarungsoffen
Kollektiver
Günstigkeitsvergleich
(z.B. Ordnung
des Betriebes)
ErfK, Oetker, § 2 KSchG, Rn. 48.
160
III. Rechte und Pflichten aus Tarifvertrag
Anders als für individualvertragliche Regelungen gilt für tariflich geregelte Arbeitsbedingungen nicht § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB. Voraussetzung ist allerdings die beidseitige Tarifbindung vor dem Betriebsübergang.
Wenn tarifliche Regelungen für das übergehende Arbeitsverhältnis normativ gelten, kommen
nach dem Betriebsübergang folgende Varianten hinsichtlich der Weitergeltung dieser tariflich
geregelten Arbeitsbedingungen in Betracht494:
Tarifverträge und § 613a BGB
Kollektivrechtliche
Weitergeltung
Transformation
gesetzlich nicht
geregelt
§ 613a Abs. 1 S. 2
Ablösung
§ 613a
Abs. 1 S. 3
§ 613a
Abs. 1 S. 4
gesetzlich
einzelvertraglich
Erläuterung des Schaubildes:
 Erstens können die Tarifverträge unverändert kollektivrechtlich weitergelten, wenn es
bei der normativen Bindung beider Arbeitsvertragsparteien bleibt. Die Arbeitnehmer
nehmen weiterhin an tariflichen Änderungen, insbesondere Entgelterhöhungen, teil.
 Zweitens können die Tarifverträge gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis „transformiert“ werden, d. h. sie werden so, wie sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehen, zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Spätere Änderungen des
Tarifvertrages berühren das Arbeitsverhältnis dann nicht, d. h. insbesondere kommen
spätere Entgelterhöhungen den Arbeitnehmern nicht zugute.
 Drittens können die vor dem Betriebsübergang für das übergehende Arbeitsverhältnis
geltenden Tarifverträge ganz oder zum Teil durch andere Tarifverträge bzw. Tarifwerke
abgelöst werden, d. h. auf das Arbeitsverhältnis finden nach dem Betriebsübergang
andere Tarifverträge bzw. Tarifwerke Anwendung. Dies kann auf zwei Wegen geschehen:
o Entweder werden die vor dem Betriebsübergang auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen Regelungen über die gesetzliche Anordnung des § 613a Abs. 1
Satz 3 BGB abgelöst. Voraussetzung ist die beiderseitige Tarifbindung.
o Oder es kommt zu einem (Änderungs-)Vertrag zwischen den Arbeitsvertragsparteien, nach dem gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB die einzelvertragliche Anwendbarkeit anderer Tarifverträge bzw. Tarifwerke vereinbart wird.
494
Bepler, RdA 2009, 65.
161
Praxishinweis: In der Praxis empfiehlt sich die Prüfungsreihenfolge:
1. Kollektivrechtliche Weitergeltung der bisherigen Tarifverträge
2. Ablösung der Tarifverträge durch andere normativ geltende Tarifverträge / Betriebsvereinbarung
3. Wenn keine kollektivrechtliche Weitergeltung oder Ablösung, dann Transformation
Im Folgenden werden die Rechtsfolgen für tarifvertragliche Regelungen in dieser Reihenfolge dargestellt, auch wenn die Reihenfolge der gesetzlichen Vorgaben in § 613a Abs. 1 Sätze
2 – 4 eine andere ist.
Für einen Erwerber mit bestehender Belegschaft sind die kollektivrechtliche Weitergeltung
und die Ablösung interessant, da er dadurch die bei ihm geltenden arbeitsvertraglichen
Rahmen auch auf die übernommenen Arbeitnehmer anwenden kann. Er kann so schneller
die Arbeitsbedingungen vereinheitlichen.
1. Unveränderte normative Weitergeltung
§ 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB haben nach allgemeiner Meinung eine sog. Auffangfunktion,
d. h. sie greifen nicht ein, wenn die im Betrieb des Veräußerers normativ geltenden Tarifverträge auch für den Erwerber normative Wirkung entfalten. Für die Arbeitnehmer ändert sich
in diesem Fall nichts. Dabei ist zwischen folgenden Fallgestaltungen zu differenzieren:
a) Verbandstarifverträge
aa) Kraft Verbandsmitgliedschaft
Verbandstarifverträge gelten kraft Verbandsmitgliedschaft unverändert normativ weiter, wenn
 der Betrieb weiterhin in den fachlichen und räumlichen Geltungsbereich der einschlägigen Tarifverträge fällt,
 Veräußerer und Erwerber im gleichen tarifschließenden Arbeitgeberverband organisiert
sind und
 die übergehenden Arbeitnehmer Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft sind.
Beispiel:
Der metallverarbeitende Betrieb des in Stuttgart ansässigen Unternehmers V, der Mitglied beim
örtlich zuständigen Arbeitgeberverband ist, wird an seinen Konkurrenten E veräußert, der ebenfalls Inhaber eines metallverarbeitenden Betriebes und Mitglied des gleichen Arbeitgeberverbandes ist.
Die Tarifverträge gelten für die organisierten Arbeitnehmer in der tarifschließenden Gewerkschaft dynamisch normativ weiter.
Praxishinweis: Auch für nicht organisierte Arbeitnehmer führt die gleiche Verbandsmitgliedschaft des Erwerbers in aller Regel zur dynamischen Fortgeltung der Tarifverträge. Hier beruht die dynamische Anwendbarkeit der Tarifverträge auf einer Bezugnahmeklausel in den
Arbeitsverträgen. Die Problematik der Gleichstellungsabrede495 stellt sich nicht, da die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers nicht entfällt.
495
vgl. oben Kapitel D, II. 1. f).
162
Praxishinweis: Sind im übernommenen Betrieb Zeitarbeitnehmer beschäftigt, ist aufgrund
der zu erwartenden gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ab dem 1. Januar 2017 nicht auszuschließen, dass der Erwerber diese Höchstdauer ebenfalls beachten
muss. Es empfiehlt sich zudem für den Erwerber dringend, vor dem Betriebsübergang mit
dem Zeitarbeitsunternehmen einen eigenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu schließen
und die Zeitarbeitnehmer nochmals zu konkretisieren (Deklarationsgebot § 1 Abs. 1 Satz 5
und 6 AÜG-Entwurf).
Bei entsprechender Tarifgebundenheit des Erwerbers sind die (Neu-)Regelungen des Tarifvertrages zur Leih-/Zeitarbeit zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere die Übernahmeverpflichtung nach 24 Monaten. Sofern eine nahtlose Weiterbeschäftigung erfolgt, besteht für
den Erwerber das Risiko einer Berücksichtigung auch der bisherigen Einsatzzeiten und damit einer Übernahmeverpflichtung zu einem Zeitpunkt, zu dem der Zeitarbeitnehmer noch
keine 24 Monate beim Erwerber tätig ist. Für einen Neubeginn der Einsatzzeit bedarf es
nach dem Tarifvertag (wie auch nach Gesetz, § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG-Entwurf) sicherheitshalber einer mindestens dreimonatigen Unterbrechung.
bb) Kraft Allgemeinverbindlicherklärung
Die allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge gelten auch nach einem Betriebsübergang
normativ weiter, wenn der Betrieb bzw. der Betriebsteil weiterhin in den fachlichen und räumlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge fällt. Umgekehrt ist also eine normative Weitergeltung eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages abzulehnen, wenn der Betrieb
nach dem Betriebsübergang nicht mehr in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fällt.496
Dies bedeutet im Einzelnen:
 Ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag gilt insbesondere dann normativ weiter, wenn ein ganzer Betrieb auf einen neuen Inhaber übergeht und dieser den Betrieb
im Wesentlichen unverändert fortführt, da sich dann der Betriebszweck nicht ändert.
 Wird hingegen der übernommene Betrieb in den Betrieb des Erwerbers eingegliedert,
gilt der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertrag nur dann normativ weiter, wenn
auch der Betrieb des Erwerbers in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des
für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages fällt.
 Wird ein Betriebsteil übertragen, gelten für allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge
in folgenden Fällen normativ weiter:
o Der übergegangene Betriebsteil wird in einen Betrieb eingegliedert, der ebenfalls
unter den fachlichen und räumlichen Geltungsbereich der für allgemeinverbindlich
erklärten Tarifverträge fällt.
o Der übertragene Betriebsteil wird verselbstständigt, also als eigenständiger Betrieb
weitergeführt und er fällt nach seinem (neuen) Betriebszweck immer noch unter den
fachlichen und räumlichen Geltungsbereich der für allgemein verbindlich erklärten
Tarifverträge.
Beispiel:
Der Veräußerer V (Bauunternehmen) überträgt sein Kerngeschäft an den Erwerber E und behält noch einige Betriebsteile, z. B. die Logistik. E ist ebenso wie V an die für allgemein verbindlich erklärten Bautarifverträge gebunden.
496
BAG v. 05.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848.
163
Dabei ist zu beachten, dass auch bei einem für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag
ggf. günstigere arbeitsvertragliche Regelungen vorgehen. Dies betrifft insbesondere auch die
Fälle einer arbeitsvertraglichen Verweisung auf im Veräußererunternehmen geltende Tarifregelungen.497
Eine normative Weitergeltung des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages scheidet
aus, wenn der übergehende Betrieb oder Betriebsteil nach dem Betriebsübergang dem fachlichen Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrages unterfällt.498 In diesem Fall werden die
Regelungen des für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages entweder gemäß § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert oder bei sog. kongruenter Tarifgebundenheit von einem beim Erwerber geltenden Tarifvertrag gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3
BGB abgelöst.
Beispiel:
V behält im obigen Beispiel sein Kerngeschäft und überträgt an E, der ein Transportunternehmen betreibt, den Betriebsteil Logistik. E gliedert den übernommenen Betriebsteil in seinen
Betrieb ein.
b) Firmen- oder Haustarifverträge
Firmentarifverträge gehen bei einer Einzelrechtsnachfolge nicht automatisch auf den Erwerber über, da der Übergang der Arbeitgeberstellung in Bezug auf die Arbeitsverhältnisse nicht
die Tarifgebundenheit an einen vom Veräußerer geschlossenen Firmentarifvertrag begründen kann. Dies ergibt sich bereits aus dem fachlichen und räumlichen Geltungsbereich. Die
Tarifgebundenheit des Arbeitgebers beruht nur auf seiner Stellung als Tarifvertragspartei oder Mitglied in einem Arbeitgeberverband, nicht aber auf der als Partei des Arbeitsvertrages.499
Eine normative Fortgeltung des Firmentarifvertrages kann daher nur auf zwei Wegen erreicht
werden:
 Entweder vereinbart der Erwerber mit der tarifschließenden Gewerkschaft (ggf. unter
Beteiligung des Veräußerers) den Eintritt bzw. die Übernahme des Firmentarifvertrages
oder
 der Erwerber schließt mit der tarifzuständigen Gewerkschaft einen gleichlautenden
Firmentarifvertrag.
Im letzteren Fall wird – rein rechtlich gesehen – der frühere Firmentarifvertrag durch den neu
abgeschlossenen Tarifvertrag gem. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst. Das Ergebnis ist jedoch in beiden Fallgestaltungen identisch.
Praxishinweis: Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung des Erwerbers, in den mit dem
Veräußerer abgeschlossenen Firmentarifvertrag einzutreten bzw. einen gleichlautenden Firmentarifvertrag abzuschließen.
Die kollektive Weitergeltung eines Firmentarifvertrages, unerheblich, ob dies auf vertraglichem oder gesetzlichem Weg erreicht werden soll, soll jedoch dann nicht möglich sein, wenn
497
BAG v. 25.09.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807; LAG Düsseldorf v. 02.09.2010 – 5 Sa 720/10.
BAG v. 01.04.1987 – 4 AZR 77/86, NZA 1987, 593; zur Ausgliederung eines Restaurationsbetriebes aus einem Einzelhandelsunternehmen.
499
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173; BAG v. 26.08.2009 – 4 AZR 280/08,
NZA 2010, 238; BAG v. 10.06.2009 – 4 ABR 21/08, NZA 2010, 51.
498
164
der übertragene Betrieb bzw. Betriebsteil durch eine Änderung des Betriebszwecks aus dem
Zuständigkeitsbereich der tarifschließenden Gewerkschaft hinausfällt.500
c) Sonderfall: Umwandlungen nach dem UmwG
Exkurs – Umwandlungsrecht
Arten der Umwandlungen
§ 2 UmwG: Das Umwandlungsgesetz kennt zwei Arten der Verschmelzung. Zum einen im
Wege der Übertragung des Vermögens als Ganzes auf einen bestehenden Rechtsträger (§ 2
Nr. 1 UmwG) oder durch die Übertragung des Vermögens als Ganzes auf einen neu gegründeten Rechtsträger. In beiden Fällen erlischt der übertragende Rechtsträger nach § 20 Abs.
1 Nr. 2 UmwG.
§ 123 UmwG: Das Umwandlungsgesetz kennt drei Arten der Spaltung. Die Aufspaltung erfolgt durch Übertragung des Vermögens unter Auflösung des übertragenden Rechtsträgers.
Dieser erlischt nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 UmwG. Bei der Abspaltung und der Ausgliederung
nach § 123 Abs. 2 und 3 erfolgt die Übertragung des Vermögens durch Abspalten oder Ausgliedern eines oder mehrerer Teile auf den übernehmenden Rechtsträger. Der übertragende
Rechtsträger bleibt erhalten.
aa) Verbandstarifverträge
Die normative Weitergeltung von Tarifverträgen ergibt sich nicht allein aus der Umwandlung
von Unternehmen nach UmwG.
Werden zwei Unternehmen verschmolzen und war der übertragende Rechtsträger Mitglied in
einem tarifschließenden Arbeitgeberverband, geht diese Verbandsmitgliedschaft wegen
§ 38 BGB nicht auf den übernehmenden Rechtsträger über.501 Damit ist der übernehmende
Rechtsträger nicht an die für den übertragenden Rechtsträger normativ geltenden Tarifverträge gebunden, sodass auch bei Betriebsübergängen eine normative Weitergeltung beim
übernehmenden Rechtsträger nicht automatisch eintritt. Diese ist vielmehr nur dann gegeben, wenn auch der übernehmende Rechtsträger Mitglied im gleichen Arbeitgeberverband
wie der übertragende Rechtsträger ist oder im Zeitpunkt der Verschmelzung wird.
Das Gleiche gilt für Spaltungen in jeder Form. Auch hier wird der übernehmende Rechtsträger nicht automatisch Mitglied des gleichen Arbeitgeberverbandes wie der übertragende
Rechtsträger, sodass auch hier eine automatische normative Weitergeltung der Tarifverträge
ausscheidet.502
Dagegen gelten Tarifverträge normativ weiter bei einem sog. Formwechsel, da die Verbandszugehörigkeit und damit auch die normative Bindung an die vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge erhalten bleiben.503
bb) Firmen- oder Haustarifverträge
Etwas anderes gilt bei Firmen- oder Haustarifverträgen für die Fälle der Umwandlungen nach
dem UmwG, bei denen Gesamtrechtsnachfolge eintritt:
Die Rechtslage ist anders zu beurteilen als bei einer Einzelrechtsnachfolge. Wird ein Betrieb
im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf einen neuen Unternehmensträger verschmolzen,
500
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 113b.
BAG v. 05.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848.
502
Willemsen, Teil E, Rn. 109.
503
Willemsen, Teil E, Rn. 114.
501
165
tritt der Rechtsnachfolger des früheren Unternehmensträgers in dessen sämtliche Verbindlichkeiten ein, sodass auch ein Firmentarifvertrag übergeht. Nach der Rechtsprechung des
BAG stellt bei einer Verschmelzung ein Firmentarifvertrag eine Verbindlichkeit i. S. v. § 20
Abs. 1 Nr. 1 UmwG dar.504
Beispiel
505
Im Februar 1995 schloss die IG Metall mit der B-KG einen Firmentarifvertrag ab. Im April 1995
wurde die B-KG mit der B-Verwaltungs-GmbH auf die B-GmbH verschmolzen. Verschmelzungsstichtag war der 01.01.1995. Der mit der B-KG abgeschlossene Firmentarifvertrag ging
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die B-GmbH über
und hatte damit weiterhin normative Wirkung für die Arbeitsverhältnisse der übergegangenen
Arbeitnehmer. § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB waren nicht anzuwenden.
(1) Verschmelzung
Die normative Weitergeltung des vom übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Firmentarifvertrages dürfte dann keine Schwierigkeiten bereiten, wenn der Betrieb auf einen
neu gegründeten Rechtsträger oder auf einen Rechtsträger übergeht, der bisher keine Arbeitnehmer beschäftigt hat. Hier bleibt die kollektiv-rechtliche Bindung (für den tatsächlichbetrieblichen Geltungsbereich) bestehen.
In der Literatur wird aber zu Recht darauf verwiesen, dass es erhebliche Probleme mit der
normativen Weitergeltung von Firmentarifverträgen geben kann, wenn der übertragende
Rechtsträger mit einem bereits bestehenden übernehmenden Rechtsträger verschmolzen
wird, der seinerseits bereits Arbeitnehmer beschäftigt und vielleicht auch noch normativ an
einen anderen (Firmen-)Tarifvertrag gebunden ist. Wenn dann auch noch zwei oder mehrere
Betriebe zusammengeführt werden, ist es rechtlich schwierig zu beurteilen, welche Tarifverträge auf die Arbeitnehmer des übernehmenden Rechtsträgers anzuwenden sind. Die
Rechtslage ist unklar. Eine Entscheidung des BAG steht noch aus.
Praxishinweis: Ob von einer normativen Weitergeltung der Firmentarifverträge ausgegangen werden kann, ist in jedem Einzelfall neu zu prüfen.
Wegen der erheblichen Schwierigkeiten sollte im Vorfeld der Umstrukturierung überlegt werden, ob ein Betrieb bzw. Betriebsteil nicht doch im Wege der Einzelrechtsnachfolge übertragen wird, da in diesem Fall eine normative Weitergeltung des Firmentarifvertrages ausscheidet.506
(2) Spaltung
Ähnliche Probleme treten auf, wenn ein Unternehmen nach den Vorschriften des UmwG gespalten wird. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob der übernehmende Rechtsträger an den
vom übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Firmentarifvertrag gebunden ist.
Die Rechtslage ist auch hier streitig. Richtigerweise wird man für den Fall, dass der übertragende Rechtsträger erhalten bleibt, also insbesondere bei einer Abspaltung oder Ausgliederung, davon ausgehen müssen, dass dessen Tarifbindung erhalten bleibt.
504
BAG v. 04.07.2007 – 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307; BAG v. 24.06.1998 – 4 AZR 208/97,
NZA 1998, 1346.
505
BAG v. 24.06.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346.
506
Willemsen, Teil E, Rn. 96.
166
Hinsichtlich der übernehmenden Rechtsträger kommt es darauf an, ob ihnen die Rechtsstellung als Vertragspartei des Haustarifvertrages im Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. im
Spaltungsplan zugewiesen wird. Fehlt es an einer Regelung, verbleibt der übertragende
Rechtsträger in seiner Position als Vertragspartei, der übernehmende Rechtsträger tritt nicht,
auch nicht zusätzlich in diese Position ein.507 Erlischt der übertragende Rechtsträger, insbesondere bei einer Aufspaltung, wird es ebenfalls auf die Regelung im Spaltungsplan ankommen.508
Praxishinweis: Auch in diesem Fall kann eine Einzelrechtsnachfolge die bessere Lösung
sein, wenn man die normative Bindung des übernehmenden Rechtsträgers an den vom
übertragenden Rechtsträger abgeschlossenen Firmentarifvertrag vermeiden will.
2. Ablösung
a) Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB – Tarifvertrag des Erwerbers
Die Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bietet neben der normativen Weitergeltung
tariflicher Regelungen für den Erwerber die Chance, den bei ihm geltenden Rahmen tarifvertraglicher Regelungen auch auf die übernommenen Arbeitnehmer anzuwenden.
Eine normative Weitergeltung von Tarifverträgen scheidet aus, wenn beim Erwerber des Betriebes bzw. Betriebsteiles ein anderer Tarifvertrag „gilt“. In diesem Fall kommt die Ablösung
der beim Veräußerer normativ geltenden Tarifregelungen durch die im Erwerberbetrieb geltenden tariflichen Regelungen in Betracht. Die Voraussetzungen dafür werden nachfolgend
ausgeführt. Eine Transformation der bisherigen Tarifregelungen in das Arbeitsverhältnis
nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB scheidet in diesem Fall aus. Durch die Ablösung erübrigt
sich sozusagen die Transformation.
Erfolgt eine Ablösung, findet das Günstigkeitsprinzip nach der Rechtsprechung des BAG
keine Anwendung.509 Daran dürfte bis auf Weiteres auch nach der „Scattolon-Entscheidung“
des EuGH510 festzuhalten sein. Der EuGH geht mit seiner Aussage, dass sich die Arbeitsbedingungen insgesamt nicht verschlechtern dürften, in Richtung eines Gesamtvergleichs. Dies
wird vielfach kritisiert.511 Die weitere Rechtsprechung hierzu bleibt abzuwarten.
Unerheblich ist es, ob der ablösende Tarifvertrag bereits zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs wirksam war. Er kann auch nach dem Betriebsübergang abgeschlossen werden.512 Im
letzteren Fall wird der – bisher transformierte – Tarifvertrag in dem Zeitpunkt abgelöst, in
dem der neue Tarifvertrag in Kraft tritt.
Eine Ablösung tritt nach Satz 3 jedoch nur unter engen Voraussetzungen ein:
507
BAG v. 21.11.2012 – 4 AZR 85/11, NZA 2013, 512.
Willemsen, Teil E, Rn. 111.
509
BAG v. 16.05.1995 – 3 AZR 535/94, NZA 1995, 1166.
510
EuGH v. 06.09.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077.
511
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 125; Schaub/Koch, § 119 Rn. 10; Nießen/Geis,
Der Konzern 2013, 465; Sagan, EuZA 2012, 247-256; Willemsen, RdA 2012, 291.
512
BAG v.22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2011, 1077;
BAG v. 20.04.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140.
508
167
Ablösung
setzt voraus:
kongruente
Tarifgebundenheit
Regelungsidentität
aa) Kongruente Tarifgebundenheit
Die Ablösung eines beim Veräußerer geltenden Tarifvertrages durch einen beim Erwerber
geltenden Tarifvertrag setzt nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BAG die
sog. kongruente Tarifgebundenheit der beiden Arbeitsvertragsparteien vor und nach dem
Betriebsübergang voraus.513
Wenn im Veräußererbetrieb die fachlich und räumlich einschlägigen Tarifverträge ausschließlich qua Bezugnahmeklausel galten, der Veräußerer also nicht tarifgebunden war,
greift § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB selbst dann nicht ein, wenn der Erwerber tarifgebunden ist
und im Erwerberbetrieb kongruente Tarifgebundenheit vorliegt.514 Auch eine entsprechende
Anwendung scheidet aus.515
Praxishinweis: Sind einzelvertraglich vereinbarte Tarifverträge für den Arbeitnehmer günstiger, gilt das Günstigkeitsprinzip. Dies gilt sowohl gegenüber einer Ablösung durch einen
normativ geltenden Tarifvertrag als auch dann, wenn beim Erwerber ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag angewendet werden muss, das in Bezug genommene Tarifwerk aber in der Gesamtschau für den Arbeitnehmer günstiger ist.516 Dies führt ggf. trotz der
Ablösung zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen.
Ebenso scheidet eine Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB dann aus, wenn der Erwerber nicht tarifgebunden ist. Wendet er die für seinen Betrieb einschlägigen Tarifverträge
also ausschließlich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln an, kann er sich nicht auf
die ablösende Wirkung dieser Tarifverträge berufen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des
BAG sogar dann, wenn die Arbeitsverträge der übergehenden Arbeitnehmer eine große Bezugnahme- bzw. Tarifwechselklausel enthalten, da diese Klausel regelmäßig die Tarifgebun-
513
BAG v. 29.08.2007 - 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364; BAG v. 30.08.2000 – 4 AZR 581/99,
NZA 2001, 510; BAG v. 21.02.2001 – 4 AZR 18/00, NZA 2001, 1318.
514
BAG v. 25.09.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807.
515
BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 405/09.
516
BAG v. 25.09.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807; LAG Düsseldorf v. 02.09.2010 – 5 Sa 720/10.
168
denheit des Arbeitgebers voraussetzt.517 Eine (große) Bezugnahmeklausel bleibt daher letztlich ohne die erwünschte Wirkung des Tarifwechsels, wenn der Erwerber nicht (normativ) tarifgebunden ist.
(1) Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer
Es reicht für eine Ablösung nach Satz 3 nicht aus, wenn der Erwerber tarifgebunden ist, sondern es muss auch der übergehende Arbeitnehmer Mitglied der Gewerkschaft sein, die den
für den Betrieb des Erwerbers geltenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. Eine Ablösung
kommt also immer dann in Betracht, wenn sowohl dem früheren als auch dem neuen Arbeitgeber die gleiche Gewerkschaft „gegenübersteht“.518
Beispiel:
Der Betriebsteil eines metallverarbeitenden Betriebes, dessen Inhaber kraft Verbandsmitgliedschaft an die M+E-Tarifverträge gebunden ist, wird an den Erwerber E veräußert. Dessen Betrieb gehört zum Metallhandwerk. E ist hinsichtlich dieser Tarifverträge tarifgebunden. Für die
organisierten Arbeitnehmer bei der IG Metall liegt kongruente Tarifgebundenheit vor, mit der
Folge, dass die M+E-Tarifverträge durch die Tarifverträge für das Metallhandwerk – vorbehaltlich der gleich noch näher zu behandelnden Regelungsidentität – abgelöst werden.
Umgekehrt wird eine Ablösung i. d. R. ausscheiden, wenn für den Betrieb des Erwerbers eine andere Gewerkschaft tarifzuständig ist, da in diesem Fall eine kongruente Tarifgebundenheit regelmäßig nicht vorliegen wird.
Beispiel:
Ist der Veräußerer V an die Metalltarifverträge gebunden und überträgt er einen Betriebsteil auf
den Erwerber E, für den die Chemie-Tarifverträge gelten, liegt keine kongruente Tarifgebundenheit vor, da die Arbeitnehmer bislang bei der IG Metall organisiert sind.
Praxishinweis: In der Praxis kann es sich empfehlen, in einem dreiseitigen Vertrag zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber sowie der betroffenen Gewerkschaft einen Überleitungstarifvertrag zu den tarifvertraglichen Bestimmungen zu vereinbaren.519
(2) nicht tarifgebundene Arbeitnehmer
Für nicht organisierte Arbeitnehmer greift § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ein. Allerdings
können die (Verbands-)Tarifverträge, an die der Erwerber normativ (!) gebunden ist, auch
dann für die übergehenden Arbeitnehmer gelten, wenn ihr Arbeitsvertrag eine wirksame sog.
große dynamische Bezugnahme- oder Tarifwechselklausel enthält.520
Nicht rechtssicher zu beantworten ist derzeit noch, ob dies auch dann gilt, wenn die Arbeitsverträge der übergehenden Arbeitnehmer lediglich eine „kleine“ Bezugnahmeklausel (auf bestimmte, namentlich benannte Tarifverträge oder Tarifwerke) enthalten.
517
BAG v. 04.08.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154.;
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390.
518
BAG v. 03.07.2013 – 4 AZR 138/12.
519
Müller-Bonanni/Mehrens, NZA 2012, 195.
520
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390, 392.
169
Für Altverträge vor dem 01.01.2002 hält das BAG eine Anwendung der beim Erwerber normativ geltenden Tarifverträge auf nicht organisierte Arbeitnehmer bei Vorliegen einer Tarifwechselklausel für zulässig (Gleichstellungsabrede).521
Wegen der verschärften Anforderungen an arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln für
Neuverträge nach dem 01.01.2002 ist wegen der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB davon
auszugehen, dass die Erwerbertarifverträge insbesondere bei sog. kleinen Bezugnahmeklauseln keine Anwendung finden können. Etwas anderes gilt dann, wenn die Klausel ausnahmsweise als Tarifwechselklausel ausgelegt werden kann.
Praxishinweis: Für eine Angleichung der arbeitsrechtlichen Regelungen zwischen der bestehenden Belegschaft und den übernommenen Arbeitnehmern beim Erwerber ist nur eine
einvernehmliche Änderung möglich.
Da zumindest Arbeitnehmer mit Bezugnahmeklauseln in Altverträgen an der Tarifentwicklung
des Veräußerertarifvertrages nicht mehr teilnehmen (statische Weitergeltung – sog. Gleichstellungsabrede) liegt es letztlich auch im Interesse dieser Arbeitnehmer, die Bezugnahmeklausel zu ändern. So können sie zukünftig an der Entwicklung des Erwerbertarifvertrages
teilnehmen.
(3) Zeitpunkt der kongruenten Tarifbindung
Die kongruente Tarifgebundenheit muss nicht im Zeitpunkt des Betriebsübergangs vorliegen,
sie kann auch nach dem Betriebsübergang eintreten.
In diesem Fall tritt die ablösende Wirkung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB in dem Zeitpunkt
ein, in dem die kongruente Tarifgebundenheit vorliegt. Eine zeitliche Grenze für die Anwendbarkeit des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB gibt es nicht; insbesondere gilt nicht der in § 613 a
Abs. 1 S. 2 BGB vorgesehene Jahreszeitraum (einjährige Änderungssperre). 522
Praxishinweis: Dies kann damit auch dann der Fall sein, wenn die übergehenden Arbeitnehmer später in die für den Erwerber tarifzuständige Gewerkschaft wechseln, also z. B. im
o. g. Beispiel von der IG Metall in die IGBCE.
(4) Ablösung durch Firmen- oder Haustarifvertrag
Ein Verbandstarifvertrag kann auch durch einen Firmentarifvertrag abgelöst werden.523
Beispiel:
524
Für ein zu einer Gruppe gehörendes Hotel galt ein mit der NGG abgeschlossener Firmentarifvertrag, nach dem den Arbeitnehmern Weihnachtsgeld zu zahlen war. Das Hotel ging auf den
Erwerber E über, der kraft Verbandsmitgliedschaft an einen ebenfalls mit der NGG abgeschlossenen Tarifvertrag gebunden war. Nach diesem war den Arbeitnehmern ein geringeres Weihnachtsgeld zu zahlen. Der schon beim Veräußerer beschäftigte und auf den Erwerber übergegangene Arbeitnehmer verlangte das höhere Weihnachtsgeld, scheiterte aber mit diesem
Verlangen.
521
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390.
BAG v. 11.05.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362; Schiefer, DB 2005, 2134.
523
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390.
524
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390.
522
170
(5) Allgemeinverbindlicher Tarifvertrag
Eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kommt immer dann in Betracht, wenn für den
Betrieb des Erwerbers ein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag gilt und der neu erworbene Betrieb bzw. Betriebsteil nach dem Betriebsübergang auch in den Geltungsbereich
dieses Tarifvertrages fällt.
Beispiel:
Das tarifgebundene metallverarbeitende Unternehmen V gliedert den Reinigungsbereich aus
seinem Betrieb aus und überträgt ihn auf eine Reinigungsfirma E. Die übergehenden Arbeitnehmer unterfallen nun dem für allgemeinverbindlich erklärten Gebäudereiniger-Tarifvertrag.
Das BAG hat entschieden, dass ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag beim Erwerber einen
Haustarifvertrag des Veräußerers vollständig ablöst.525 In einer früheren Entscheidung hatte
das LAG Düsseldorf526 eine vollständige Ablösung abgelehnt, sodass die beim Veräußerer
(normativ) geltenden Tarifverträge über das Günstigkeitsprinzip weiterhin auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer anzuwenden waren. Das widerspricht jedoch dem
Regelungsgehalt des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB.
bb) Regelungsidentität
Zusätzlich zum Erfordernis der kongruenten Tarifgebundenheit fordert das BAG für eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, dass die tariflichen Regelungsgegenstände identisch sein müssen.
Tarifliche Ansprüche werden nach dieser Rechtsprechung durch einen Tarifvertrag, an den
der Erwerber und die Arbeitnehmer gebunden sind, nur dann abgelöst, wenn dieser Tarifvertrag denselben Regelungsgegenstand betrifft oder dahin auszulegen ist, dass er die arbeitsvertraglich fortgeltenden Tarifregelungen auch ohne eigenständige Regelung dieses Gegenstandes ablösen soll.527
Dabei lässt es das BAG nicht ausreichen, wenn über den in Rede stehenden Gegenstand
Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien erst noch aufgenommen werden sollen.
Im Fall kongruenter Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien und einem Anspruch des
Arbeitnehmers auf Weihnachtsgeld findet keine Ablösung statt, wenn in dem beim Erwerber
geltenden Tarifvertrag ein Weihnachtsgeld nicht vorgesehen ist, aber darüber noch zwischen
den Tarifvertragsparteien verhandelt werden soll.528
Beispiel:
Beim Veräußerer V galt kraft Verbandsmitgliedschaft ein Tarifvertrag, der bei betriebsbedingten
Kündigungen einen Abfindungsanspruch vorsah. Der Erwerber E war an einen anderen Tarifvertrag gebunden, der zwar mit der gleichen Gewerkschaft abgeschlossen wurde, aber keine
solche Abfindungsregelung enthielt. Der schon bei V beschäftigte Arbeitnehmer wurde von E
529
betriebsbedingt gekündigt und verlangte die Abfindung. Das BAG gab ihm Recht.
525
BAG v. 07.07.2010 – 4 AZR 1023/08 – DB 2010, 2287.
LAG Düsseldorf v. 01.04.2005 – 18 Sa 1950/04, DB 2005, 1741.
527
BAG v. 20.04.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140;
BAG v. 22.01.2003 – 10 AZR 227/02, NZA 2003, 879.
528
BAG v. 22.01.2003 – 10 AZR 227/02, NZA 2003, 879.
529
BAG v. 20.04.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140.
526
171
Es ist also zu fragen, „ob“ die bisher beim Veräußerer tarifvertraglich geregelte Frage auch
eine entsprechende tarifrechtliche Regelung beim Erwerber erfahren hat (Regelungsbereich).
Unerheblich ist dagegen, das „wie“ der Regelung. Insbesondere ist es unbeachtlich, ob die
Regelung beim Erwerber günstiger als beim Veräußerer ist oder nicht.530 Insofern hat das
BAG entschieden, dass § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine Spezialregelung enthält, der die Anwendung des Günstigkeitsprinzips vorgeht.531 Andernfalls wäre § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB
sinnentleert. Soweit dies durch die Scattolon-Entscheidung des EuGH532 mit der Aussage,
dass es beim Erwerber keine „insgesamt schlechteren Arbeitsbedingungen“ geben dürfe,
eventuell in Frage gestellt wird, bleibt eine künftige Klarstellung abzuwarten.
Bis dahin ist unseres Erachtens an der Rechtsprechung des BAG festzuhalten.
Soweit sich die Regelungsbereiche nicht decken, kann die Regelung des alten Tarifvertrages
nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB individualrechtlich weitergelten.533
cc) Ablösung von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen (sog. Über-KreuzAblösung)
Das BAG lässt eine Ablösung von Tarifnormen durch eine Betriebsvereinbarung gemäß
§ 613a Abs. 1 S. 3 BGB (sog. Über-Kreuz-Ablösung) außerhalb des Bereichs der zwingenden Mitbestimmung nicht zu.534
Es begründet dies zum einen mit systematischen und teleologischen Gründen.
Könnten ungünstigere Regelungen einer beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung die
Transformation tariflicher Regelungen in die Arbeitsverhältnisse nach § 613a Abs. 1 S. 2
BGB verhindern oder beseitigen, so würden die Betriebsparteien aus Anlass eines Betriebsübergangs in die Lage versetzt, tarifliche Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.
Außerhalb eines Betriebsübergangs verstieße dies gegen § 4 Abs. 3 TVG. Auch eine gemäß
§ 4 Abs. 5 TVG nur nachwirkende Tarifnorm kann zumindest außerhalb des Bereichs der
zwingenden Mitbestimmung wegen § 77 Abs. 3 BetrVG nicht durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Des Weiteren widerspreche dies dem Sinn und Zweck
der europarechtlichen Vorgaben, die Rechtstellung der Arbeitnehmer vor Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebsübergangs weitgehend zu schützen.535 Das BAG hat diese
Rechtsprechung auch auf den Fall ausgedehnt, in dem die Betriebsvereinbarung nur teilweise der zwingenden Mitbestimmung unterlag.536
Praxishinweis: Die Möglichkeit der Ablösung von normativ geltenden Tarifverträgen beim
Veräußerer ist durch diese restriktive Rechtsprechung praktisch kaum denkbar.
530
Schiefer, DB 2005, 2134.
BAG v. 11.05.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362.
532
EuGH v. 06.09.2011 – C-108/10, NZA 2011, 1077.
533
Schiefer, DB 2005, 2134.
534
BAG v. 21.04.2010 – 4 AZR 768/08, DB 2010, 1998; BAG v. 06.11.2007 – 1 AZR 862/06,
NZA 2008, 542; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600;
BAG v. 03.07.2013 – 4 AZR 961/11.
535
BAG v. 06.11.2007 - 1 AZR 862/06, NZA 2008, 542; BAG v. 13.11.2007 - 3 AZR 191/06,
NZA 2008, 600.
536
BAG v. 13.11.2007 - 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600.
531
172
b) Ablösende Vereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB
Transformierte tarifvertragliche Regelungen können nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB auch
durch eine einzelvertragliche Vereinbarung abgelöst werden. Für solche einzelvertraglichen
Vereinbarungen findet die einjährige Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1
Satz 2 BGB bei transformierten tarifvertraglichen Regelungen keine Anwendung, d. h. sie
sind auch vor Ablauf dieses Zeitraums möglich.537
Eine solche Ablösung kommt also immer dann in Betracht, wenn der Tarifvertrag nicht normativ weitergilt beim Erwerber (mangels kongruenter Tarifbindung) oder der Veräußerertarifvertrag nicht durch eine kollektivrechtliche Regelung beim Erwerber abgelöst wird.
Diese (einzelvertraglichen) Vereinbarungen sind jedoch an bestimmte Wirksamkeitsvoraussetzungen geknüpft. So sind verschlechternde einzelvertragliche Änderungen der transformierten Tarifnormen nur in zwei Fallgestaltungen vor Ablauf der Jahresfrist des § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB möglich:
aa) Tarifvertrag gilt nicht mehr
Die transformierten tariflichen Arbeitsbedingungen können durch eine einzelvertragliche Vereinbarung abgelöst werden, wenn der Tarifvertrag keine zwingende Wirkung mehr entfaltet
oder die zwingende Wirkung innerhalb der Jahresfrist verliert (Nachwirkung § 4 Abs. 4 TVG).
Endet der Tarifvertrag ohne Nachwirkung, führt dies auch zum Wegfall der transformierten
Regelungen beim Erwerber.538
Der Veräußerertarifvertrag muss also gekündigt worden sein oder durch Fristablauf enden,
und das jeweils vor dem Betriebsübergang oder innerhalb der Jahresfrist.539
Es ist unerheblich, ob die ablösende Vereinbarung über die untertariflichen Arbeitsbedingungen bereits vor oder erst im Nachwirkungszeitraum des Tarifvertrages abgeschlossen wird,
wenn der Regelungswille der Arbeitsvertragsparteien darauf gerichtet ist, diese bestimmte
Tarifregelung in Anbetracht ihrer absehbar bevorstehenden Beendigung und des darauf folgenden Eintritts der Nachwirkung abzuändern.540
bb) Anderer Tarifvertrag wird vereinbart
Transformierte tarifliche Arbeitsbedingungen können auch durch eine einzelvertragliche Vereinbarung abgelöst werden, die die Anwendbarkeit eines anderen Tarifvertrages festlegt.
Dies ist möglich, wenn der Betrieb in den Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrages fällt
und dessen (vollständige541) Anwendung bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit zwischen dem Erwerber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.
Eine solche Vereinbarung soll neben der Möglichkeit im OT-Unternehmen auch bei tarifgebundenen Unternehmen, aber sog. inkongruenter Tarifgebundenheit möglich sein, wenn also
der Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft ist, die nicht der Tarifpartner des Erwerbers bzw.
seines Arbeitgeberverbandes war.
Praxishinweis: Eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB ist grundsätzlich nur mittels
einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrages möglich. Der Arbeitnehmer muss al-
537
Siehe auch unten Kapitel D III. 3. e).
BAG v. 03.07.2013 – 3 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80; BAG v. 22.04.2009 - 4 AZR 100/08,
NZA 2010, 41.
539
Schiefer, Rn. 254.
540
BAG v. 01.07.2009 – 4 AZR 250/08, NZA 2010, 248.
541
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 122.
538
173
so einer solchen Vereinbarung zustimmen. Einen Anspruch auf die Vereinbarung einer Vertragsänderung hat der Arbeitgeber nicht.
(1) Bestehende arbeitsvertragliche sog. große Bezugnahmeklausel bzw. Tarifwechselklausel
Die Ablösungsmöglichkeit nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB spielt ferner in den Fällen eine
Rolle, in denen schon vom Veräußerer arbeitsvertraglich eine große Bezugnahme- bzw. Tarifwechselklausel („die für den Arbeitgeber jeweils geltenden Tarifverträge“) vereinbart wurde.
In diesem Fall stellt sich für einen anderweitig tarifgebundenen Erwerber die Frage, ob er
die bei ihm normativ geltenden Tarifverträge aufgrund der Tarifwechselklausel auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer anwenden kann. Damit könnten nicht nur
die nicht organisierten, sondern sogar – bei sog. inkongruenter Tarifgebundenheit – die organisierten Arbeitnehmer von den beim Erwerber geltenden Tarifverträgen erfasst werden.
Dies hätte zur Folge, dass sich die Arbeitsbedingungen der übergehenden Arbeitnehmer
nach dem Betriebsübergang ganz oder zumindest teilweise nach den beim Erwerber geltenden Tarifverträgen richten würden.
Die Rechtslage ist ungeklärt. Das BAG bejaht die Ablösung eines Firmentarifvertrages durch
einen mit der gleichen Gewerkschaft geschlossenen Verbandstarifvertrag.542
Voraussetzung für einen entsprechenden Tarifwechsel aufgrund einer arbeitsvertraglich vereinbarten großen Bezugnahmeklausel ist aber auf jeden Fall die Tarifgebundenheit des Erwerbers.543 Wenn diese Grundvoraussetzung erfüllt ist, dürfte ein auf der Grundlage des Arbeitsvertrages und § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB erfolgender Tarifwechsel möglich und zulässig
sein. Dieser würde dann auch die organisierten Arbeitnehmer erfassen, bei denen eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB wegen inkongruenter Tarifgebundenheit nicht in Betracht kommt.
Praxishinweis: Für den Erwerber besteht selbst dann, wenn die Arbeitsverträge der übergehenden Arbeitnehmer eine Tarifwechselklausel enthalten, ein nicht unerhebliches Restrisiko, wenn er unter Berufung auf diese Klausel die bei ihm geltenden Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer anwenden will.
(2) Änderungskündigung
Ungeklärt ist, ob eine Änderungskündigung mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen (jedenfalls nach Ablauf der Jahresfrist) möglich ist bzw. ob dieses Ziel einen
Kündigungsgrund für eine Änderungskündigung darstellen kann. Es wird zumindest teilweise
vertreten, dass eine Änderungskündigung dann sozial gerechtfertigt sein könne, wenn die
Unterwerfung unter einen anderen Tarifvertrag bei Abwägung der Interessen der übernommenen Arbeitnehmer und des Erwerbers angemessen und billigenswert sei.544
Beispiel:
Der Veräußerer V veräußert einen unter den Geltungsbereich der Metalltarifverträge fallenden
Betriebsteil an den Erwerber E. Dessen Betrieb fällt unter den Geltungsbereich der Tarifverträge
des Groß- und Außenhandels. E gliedert den Betriebsteil in seinen eigenen Betrieb ein und
542
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390; BAG v. 15.04.2008 – 9 AZR 159/07.
BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 467/01, NZA 2003, 390.
544
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 122.
543
174
möchte die Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitnehmer denen der bisher schon bei
ihm tätigen Arbeitnehmer durch eine betriebsbedingte Änderungskündigung nach Ablauf der
Jahresfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB anpassen.
Die Frage ist höchstrichterlich nicht entschieden. Das BAG hat im Zusammenhang mit der
Einführung eines neuen Entgeltsystems (ERA-TV) ausgeführt, dass allein das Interesse des
tarifgebundenen Arbeitgebers, die Arbeitsbedingungen vereinheitlichen zu wollen, kein
Grund für eine Änderungskündigung sei.545
Allerdings bezog sich diese Entscheidung auf einen Arbeitnehmer, mit dem zunächst ausdrücklich ein außervertragliches Angestelltenverhältnis vereinbart wurde.
Das BAG hat in anderem Zusammenhang eine Änderungskündigung abgelehnt, mittels derer unter Berufung auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine Besserstellung einzelner Arbeitnehmer beim Entgelt beseitigt werden sollte. Der Gleichbehandlungsgrundsatz diene nur zur Begründung, nicht aber zur Beseitigung von Rechten.546
Es wird jedoch vertreten, das Ergebnis sei auf den Fall des § 613a BGB nicht übertragbar.
Der Arbeitgeber habe in diesem Falle die Ungleichheit beim Entgelt nicht selbst herbeigeführt.547 Für die Zulässigkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung spreche auch die
Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, der das Interesse des Erwerbers an einheitlichen
Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb ausdrücklich anerkennt. Die Änderungskündigung
sollte in diesem Fall allerdings nicht allein auf Entgeltkürzungen, sondern auf die Ablösung
der transformierten durch die beim Erwerber geltenden Tarifverträge gerichtet sein.
Praxishinweis: Bei einer Eingliederung eines übernommenen Betriebs oder Betriebsteils in
den Erwerberbetrieb kann der Versuch einer Änderungskündigung lohnen. Dies kann auch
mit besitzstandswahrenden Regelungen, insbesondere hinsichtlich des Arbeitsentgelts, verbunden werden.
3. Transformation – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
Scheidet eine normative Weitergeltung der bisherigen Tarifverträge oder die Ablösung durch
andere kollektivrechtliche Regelungen aus, werden sie transformiert. Allerdings kennt der
Arbeitgeber die anwendbare Fallgruppe zumindest dann nicht, wenn es für die vorrangige
Weitergeltung bzw. Ablösung allein um die Gewerkschaftsmitgliedschaft des Arbeitnehmers
geht. Darüber hat er in der Regel keine Kenntnis.
a) Begriffsbestimmung der Transformation
§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt, dass Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag Inhalt
des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer werden und
nicht innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zum Nachteil des
Arbeitnehmers geändert werden dürfen, wenn diese Inhalt eines Tarifvertrages oder einer
Betriebsvereinbarung beim Veräußerer waren.
Das BAG hat seine bisherige Rechtsprechung548 aufgegeben, die von einer „individualrechtlichen Fortgeltung“ der Arbeitsbedingungen ausging. Nach der nun gefestigten neueren
545
BAG v. 08.10.2009 – 2 AZR 235/08, NZA 2010, 465.
BAG v. 26.06.2008 – 2 AZR 139/07, NZA 2008, 1182,
BAG v. 16.05.2002 – 2 AZR 292/01, NZA 2003, 147.
547
ErfK-Oetker, § 2 KSchG, Rn. 65.
548
BAG v. 12.12.2007 – 4 AZR 998/06, NZA 2008, 649; BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06,
NZA 2008, 600; BAG v. 29.08.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513.
546
175
Rechtsprechung des BAG549 sind nach § 613 Abs. 1 S. 2 BGB aus einem Tarifvertrag transformierte Arbeitsbedingungen nicht mit unmittelbar arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen oder gemäß § 613a Abs. 1 S. 1 BGB übergehenden Arbeitsbedingungen
gleichzustellen. Sie behalten ihren kollektivrechtlichen Charakter auch nach dem Betriebsübergang.
Der nicht tarifgebundene Betriebserwerber ist an die transformierten Normen gebunden wie
ein aus einem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetretener Arbeitgeber nach § 3
Abs. 3 TVG an den zum Zeitpunkt des Austritts geltenden Verbandstarifvertrag, wobei der
Ablauf der Jahresfrist nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB dem Ende des Nachbindungszeitraums
des Tarifvertrages entspricht.
Beispiel
550
Der Arbeitsvertrag des Klägers enthielt eine dynamische Verweisungsklausel auf die Tarifverträge der Sägeindustrie; der Kläger war zudem Mitglied der IG Metall. Vor dem Betriebsübergang wurde am 31.05.2005 ein Firmen-Sanierungsvertrag abgeschlossen, der eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit und zudem eine Kürzung der Vergütung beinhaltete. Der
Firmen-Sanierungsvertrag sollte bis zum 31.12.2007 gelten; zuvor konnte er von beiden Seiten
monatlich gekündigt werden. Die Nachwirkung wurde ausgeschlossen. Zum 30.06.2006 trat der
Kläger aus der IG Metall aus. Zum 01.07.2006 wurde der Betrieb auf die Beklagte übertragen.
Mit Schreiben vom 13.07.2006 kündigte die IG Metall den Firmen-Sanierungstarifvertrag zum
31.08.2006. Der Kläger erhob Klage, mit der er für den Zeitraum von Juli 2006 bis Januar 2007
die Vergütungsdifferenz zwischen dem Flächentarifvertrag der Sägeindustrie und dem FirmenSanierungstarifvertrag geltend machte. Die Klage blieb erfolglos.
Das BAG entschied, dass aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters der gemäß § 613a
Abs. 1 S. 2 BGB transformierten Normen des Firmen-Sanierungstarifvertrages das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG grundsätzlich Anwendung finde, sodass eine günstigere arbeitsvertragliche Regelung den Normen des Firmen-Sanierungsvertrages vorgehe. Bei einer
individualrechtlichen Fortgeltung wäre dies nicht möglich gewesen, denn die transformierten
Regelungen wären dann zu anderen individualrechtlichen Regelungen gleichrangig gewesen.
Eine günstigere arbeitsvertragliche Regelung läge in diesem Fall aber nicht vor, da die arbeitsvertragliche Gleichstellungsabrede nicht nur auf den günstigeren Flächen- sondern auch
auf den Sanierungstarifvertrag Bezug nehme.
Des Weiteren leitete das BAG aus dem kollektivrechtlichen Charakter für Änderungen der
transformierten Normen innerhalb der Jahresfrist des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB die folgenden
Konstellationen her:
 Wenn der Tarifvertrag vorher endet – z. B. durch Befristung oder Kündigung – verliert
er seine zwingende Wirkung auch im übergegangenen Arbeitsverhältnis (so ausdrücklich § 613a Abs. 1 S. 4 1. Alt. BGB). Eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrags unter das Tarifniveau und zu Lasten des Arbeitnehmers ist ab diesem Zeitpunkt
also möglich; galt der Tarifvertrag zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch norma-
549
BAG v. 03.07.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80; BAG v. 12.09.2013 – 6 AZR 512/12,
NZA-RR 2014, 154; BAG v. 23.09.2009 – 4 AZR 331/08, NZA 2010, 513;
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41; Anm. Hohenstatt, NZA 2010, 23.
550
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41.
176
tiv, war er jedoch gekündigt, endet die zwingende Geltung gemäß § 613a Abs. 1 S. 2
BGB ebenfalls spätestens zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist.
 Endet der Tarifvertrag ohne Nachwirkung, tritt diese Rechtsfolge auch bezüglich der
transformierten Regelungen ein.551
 Wird der Tarifvertrag nach dem Betriebsübergang, aber vor Ablauf der Jahresfrist geändert, verliert er im übergegangenen Arbeitsverhältnis seine zwingende Wirkung.552
 Wirken die Tarifnormen im Veräußererbetrieb nur noch nach, gelten sie in dieser abgeschwächten Form auch für die übergegangenen Arbeitsverhältnisse; abweichende
Vereinbarungen sind dann sofort möglich, ohne dass das Günstigkeitsprinzip Anwendung findet.
In anderen Fällen ist eine vorherige Ablösung ebenso ausgeschlossen wie z. B. ein Verzicht
des Arbeitnehmers auf die transformierten Rechte.553
b) Sachlicher Anwendungsbereich der Transformation
Die Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB setzt die beiderseitige Tarifgebundenheit
der Arbeitsvertragsparteien vor dem Betriebsübergang voraus.554
Es muss also zunächst der Veräußerer tarifgebunden gewesen sein. Dies ist der Fall, wenn
 der Veräußerer als Mitglied eines tarifschließenden Arbeitgeberverbandes kraft Verbandszugehörigkeit tarifgebunden war oder
 der Veräußerer zwar aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband ausgetreten, aber
noch gemäß § 3 Abs. 3 TVG tarifgebunden ist555 oder
 der Veräußerer einen vom Erwerber nicht übernommenen Firmentarifvertrag abgeschlossen hat oder
 der Betrieb (bzw. Betriebsteil) in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich eines
für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages fällt.
Aufseiten der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergehen, ist
(frühere) Tarifgebundenheit gegeben, wenn
 der Arbeitnehmer Mitglied der (früher) tarifzuständigen Gewerkschaft ist oder
 der Betrieb (bzw. Betriebsteil) des Veräußerers in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages fällt.
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB findet keine Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, in denen die einschlägigen Tarifverträge nur kraft einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel gelten. Diese Arbeitsbedingungen gehen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über.
Dies wurde durch die Werhof-Entscheidung556 des EuGH bestätigt. Der EuGH führt aus,
dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Erwerber nicht durch andere Kollektivverträge als
die zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden binden wollte. Änderungen der Kollektivverträge
551
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41.
BAG v. 03.07.2013 – 4 AZR 961/11, NZA-RR 2014, 80.
553
BAG v. 12.02.2014 – 4 AZR 317/12, NZA 2014, 613.
554
BAG v. 16.05.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923;
BAG v. 04.03.1994 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260.
555
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
556
EuGH v. 09.03.2006 – C 499/04, NZA 2006, 376; Kapitel II. 1. f) cc) (2).
552
177
nach dem Betriebsübergang seien nicht zu berücksichtigen. Er erkennt damit an, dass sich
der Erwerber auf das Grundrecht der (negativen) Vereinigungsfreiheit berufen könne. Die
Vereinigungsfreiheit umfasst nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte auch das Recht, einer Gewerkschaft nicht beizutreten. Dies gehört zu den
Grundrechten, die nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt werden.
Dies könnte durch die Nachfolgeentscheidung des EuGH557 zur Rechtsansicht in der
Rechtssache Alemo-Herron558 erneut in Frage gestellt sein, wenn der Betriebserwerber nicht
tarifgebunden und damit ohne Einflussmöglichkeit auf die Tarifgestaltung ist.559
Erst nach dem Betriebsübergang eingestellte Arbeitnehmer können sich nicht auf die Geltung des (für die übernommenen Arbeitnehmer transformierten) Tarifvertrages berufen. 560
Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitnehmer Mitglied der (früher) tarifzuständigen Gewerkschaft sind. Ebenfalls findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zu ihren
Gunsten keine Anwendung.561
c) Zeitlicher Anwendungsbereich der Transformation
Bei einem Betriebsübergang geht das Arbeitsverhältnis in dem Stand auf den Erwerber über,
in dem es für den Veräußerer zu diesem Zeitpunkt bestanden hat. Soweit Rechte und Pflichten bereits in einem Tarifvertrag zu diesem Zeitpunkt fest vereinbart sind, sodass sie auch
beim Veräußerer aufgrund bloßen Zeitablaufs wirksam werden, gehen auch sie mit diesem
Inhalt auf den Erwerber über.562 Der Tarifvertrag selbst muss jedoch bereits vor dem Betriebsübergang in Kraft getreten sein. Bei einem späteren Inkrafttreten findet keine Transformation der Normen mehr statt.563
Beispiel:
Im Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers K mit dem Unternehmen V wurden „die jeweils gültigen
Tarifverträge“ in Bezug genommen. 2004 vereinbarte V mit der Gewerkschaft u. a. einen Tarifvertrag „Zusatzzahlung“, der am 01.01.2008 in Kraft trat und ab 2008 einen Anspruch auf eine
jährliche Zusatzleistung vorsah. Mit Wirkung ab 01.01.2006 wurde der Betrieb, in dem K beschäftigt war, vom nicht tarifgebundenen Erwerber B übernommen. K akzeptierte den angebotenen neuen Arbeitsvertrag nicht und macht für 2008 den Anspruch auf die Zusatzzahlung nach
dem Tarifvertrag geltend. Dieser sei gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis
mit B übergegangen.
Das BAG verneint den Anspruch. Vor dem Inkrafttreten des Tarifvertrages gehören dessen Regelungen nach Ansicht des BAG nicht zu den Rechten und Pflichten aus dem im Zeitpunkt eines Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB.
Das Arbeitsverhältnis sei beim Betriebsübergang nicht in den zeitlichen Geltungsbereich des
Tarifvertrages über die Zusatzzahlung gefallen.
557
Vorlage des BAG v. 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 (A); EuGH- Aktenzeichen: C-680/15.
EuGH v. 18.07.2013 – C-426/11, NZA 2013, 835.
559
vgl. oben Kapitel D II. 1. f) cc).
560
Schiefer, Rn. 217.
561
Picot/Schnitker, § 12, Rn. 45.
562
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173;
BAG v. 19.09.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241.
563
BAG v. 16.05.2012 – 4 AZR 321/10, NZA 2012, 923.
558
178
aa) Tarifvertrag mit Wirkung für die Zukunft
Transformiert werden tarifliche Regelungen, die erst nach dem Betriebsübergang wirksam
werden, aber zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits tariflich bindend vereinbart waren.564 Das widerspricht nicht dem Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit.565
Beispiel:
In dem für beide tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien geltenden Vergütungstarifvertrag
wurde eine Erhöhung in drei Stufen, nämlich ab dem 01.04.2013 um 2,4 % sowie ab dem
01.01.2014 und ab dem 01.05.2014 um je ein weiteres Prozent vereinbart. Außerdem sah der
Vergütungstarifvertrag eine im November 2004 zu zahlende Einmalzahlung von 50 € vor.
Mit Wirkung zum 01.04.2014 ging der Betrieb an einen nicht tarifgebundenen Erwerber über.
Der Arbeitnehmer verlangt die Zahlung der auch zeitlich nach dem Betriebsübergang liegenden
Vergütungserhöhungen sowie der Einmalzahlung.
Das BAG gab dem Arbeitnehmer Recht und sprach ihm die im Zeitpunkt bereits vereinbarten
und nur durch Zeitablauf ohne weitere Bedingungen wirksam werdenden Vergütungserhöhungen sowie die Einmalzahlung zu.566
Dasselbe gilt, wenn ein Firmen-Sanierungstarifvertrag für den Arbeitnehmer ungünstigere
Arbeitsbedingungen vorsieht und dieser nach dem Betriebsübergang und der Transformierung der Tarifnormen gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB gegenüber dem Veräußerer ohne
Nachwirkung gekündigt wird. Aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters der transformierten Regelungen wirkt die Kündigung des Firmen-Sanierungstarifvertrages auch gegenüber
dem Erwerber.567 Die Kündigungsmöglichkeit muss jedoch im transformierten Tarifvertrag
bereits angelegt gewesen sein.
bb) Zukünftige und rückwirkende Tarifverträge
Demgegenüber werden Tarifverträge, die erst nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs
abgeschlossen werden, grundsätzlich nicht transformiert.
Dies gilt auch für Tarifverträge, die rückwirkend wirksam werden568, da die Rückwirkung
nichts an der fehlenden Tarifbindung (des Erwerbers) im Zeitpunkt des Tarifabschlusses ändert. Die Tarifvertragsparteien können ihre Regelungsbefugnis nicht dadurch, dass sie die
von ihnen geschaffenen Normen rückwirkend in Kraft setzen, auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber ausdehnen.569 Dies soll auch dann gelten, wenn der Veräußerer nach dem
Zeitpunkt des Betriebsübergangs einen (Firmen-)Tarifvertrag abgeschlossen hat.570
Beispiel:
Arbeitnehmer A ist in einem Betrieb beschäftigt, der dem verbandsangehörigen Veräußerer V
gehört. Der einschlägige Entgelttarifvertrag wurde zum 30.04.2010 gekündigt. Am 15.05.2010
wird der Betrieb an den nicht tarifgebundenen Erwerber E veräußert. Am 20.05.2010 einigen
sich die Tarifparteien auf einen neuen Entgelttarifvertrag, der rückwirkend zum 01.05.2010 gelten soll. A hat keinen Anspruch auf die tariflich vereinbarten Entgelterhöhungen.
564
BAG v. 14.11.2007 – 4 AZR 828/06, NZA 2008, 420.
BAG v. 19.09.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241.
566
BAG v. 19.09.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241.
567
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41.
568
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173.
569
BAG v. 13.09.1994 – 3 AZR 148/94, NZA 1994, 740.
570
LAG Brandenburg v. 10.03.1992 – 3 Sa 272/92, DB 1992, 1145.
565
179
cc) Dynamische Verweisung auf anderen Tarifvertrag
Enthält ein transformierter Tarifvertrag (z. B. ein Anerkennungstarifvertrag) eine dynamische
Verweisung auf andere Tarifverträge, werden diese nur mit ihrem Inhalt zum Zeitpunkt des
Betriebsübergangs in die Arbeitsverhältnisse der übernommenen Arbeitnehmer einbezogen.
An der Weiterentwicklung der Tarifverträge nehmen die Arbeitsverhältnisse nicht teil.571
Beispiel:
Der Kläger ist IG Metall-Mitglied und seit 1967 als Maschinenschlosser beim Veräußerer tätig.
Der Veräußerer schloss mit der IG Metall einen Haustarifvertrag, der eine dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge der M+E-Industrie enthielt. Der Erwerber gehört keinem Arbeitgeberverband an. Der Erwerber zahlte nach dem Betriebsübergang in den Jahren 2003 bis 2005
viermal die ERA-Strukturkomponente an die Beschäftigten aus. Der Kläger begehrt vom Erwerber die Auszahlung der ERA-Strukturkomponente auch für das Jahr 2006, nachdem Tarifverhandlungen zwischen dem Veräußerer und der IG Metall über einen Haustarifvertrag scheiterten.
Das BAG572 entschied, dass die in einem Firmentarifvertrag des Veräußerers enthaltene
Verweisung auf Tarifverträge der M+E-Industrie den Erwerber nicht zur Einführung von ERA
zwingen könne, wenn ein Betrieb vor Inkrafttreten der ERA-Tarifverträge auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber übergegangen sei. Auch sei ein Arbeitgeber zur Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet kraft betrieblicher Übung nur verpflichtet, wenn sein bisheriges Verhalten deutliche Anhaltspunkte
dafür gebe, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariferhöhungen übernehmen will.
dd) Nachwirkende Tarifverträge
Tarifverträge, die gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirken, sollen nach der Rechtsprechung des
BAG ebenfalls gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert werden. Dies wurde vom EuGH in der Rechtssache „Österreichischer Gewerkschaftsbund“573
bestätigt. Allerdings gilt für nachwirkende Tarifnormen die einjährige Verschlechterungssperre des Satz 2 nicht. § 4 Abs. 5 TVG hat insoweit Vorrang.574
In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des
BAG Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG auch dann eintritt, wenn der Arbeitgeber vorher
nur noch gemäß § 3 Abs. 3 TVG575 (Nachbindung) oder über eine Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG576 tarifgebunden war und der Tarifvertrag endet. Etwas anderes gilt,
wenn die Nachwirkung ausdrücklich ausgeschlossen wird.
571
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173; kritisch Hohenstatt, NZA 2010, 23.
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173.
573
EuGH v. 11.09.2014 – C-328/13, NZA 2014, 1092.
574
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41; EuGH v. 11.09.2014 – C-328/13;
a.A. Karthaus, AuR 2014, 437.
575
BAG v. 18.03.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700;
BAG v. 17.05.2000 – 4 AZR 363/99, NZA 2001, 453.
576
BAG v. 25.10.2000 – 4 AZR 212/00, NZA 2001, 1146.
572
180
d) Umfang der Transformation
aa) Statische Fortgeltung
(1) Tarifgebundener Arbeitnehmer
Bei der Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB handelt es sich nach allgemeiner
Auffassung um eine sog. statische Verweisung, d. h. die Tarifverträge werden ausschließlich
mit dem Inhalt in das Arbeitsverhältnis transformiert, den sie zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten.577 Spätere Änderungen dieser Tarifverträge ändern also an den Rechten
und Pflichten der übergegangenen Arbeitsverhältnisse nichts mehr.
Insbesondere nehmen die Arbeitnehmer an tariflichen Entgelterhöhungen, die nach dem
Zeitpunkt des Betriebsübergangs vereinbart werden (im Gegensatz zu bereits vereinbarten
Erhöhungsstufen), nicht teil.
(2) Nicht tarifgebundener Arbeitnehmer
Bei nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern wird der Inhalt der Tarifverträge nicht in die Arbeitsverträge transformiert. Der Tarifvertrag fand auch vor dem Betriebsübergang nicht normativ auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die tariflichen Bestimmungen sind i. d. R. Gegenstand einer einzelvertraglichen Bezugnahmeklausel, die gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB und nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Erwerber übergeht.
Inwieweit eine Bezugnahmeklausel eine statische Wirkung oder eine dynamische Wirkung
hat, hängt vom Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages bzw. von der Formulierung
der Bezugnahmeklausel ab.
Für Bezugnahmeklauseln, die vor dem 01.01.2002 vereinbart wurden, nimmt die Rechtsprechung weiterhin an, dass es sich bei der Bezugnahmeklausel bzw. der entsprechenden vertraglichen Vereinbarung um eine sog. Gleichstellungsklausel handelt.578 Diese hat nach alter
Rechtsprechung579 nur den Zweck, organisierte und nicht organisierte Arbeitnehmer gleich
zu behandeln.
Für Bezugnahmeklauseln, die nach dem 01.01.2002 vereinbart wurden, prüft die Rechtsprechung nun die Formulierung der Bezugnahmeklausel im Rahmen von §§ 305 ff. BGB.
Die Tarifgebundenheit muss zur auflösenden Bedingung der Bezugnahmeklausel gemacht
werden. Anderenfalls führen die Bezugnahmeklauseln zur dynamischen Weitergeltung der in
Bezug genommenen Tarifverträge nach dem Betriebsübergang.580
(3) Nicht tarifgebundener Veräußerer
Wenn der Veräußerer nicht tarifgebunden ist, greift § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein (keine statische Fortwirkung tariflicher Regelungen). Die Geltung bestimmter Tarifverträge war
dann in der Regel durch die Bezugnahmeklauseln mit den Arbeitnehmern vereinbart. Diese
Tarifverträge gelten nach der Rechtsprechung des BAG auch nach dem Betriebsübergang
dynamisch weiter und zwar auch für sog. Altfälle vor dem 01.01.2002.581 Die übergegangenen Arbeitnehmer können sich also dem Erwerber gegenüber dann auch auf tarifliche Änderungen (insbesondere Entgelterhöhungen) nach dem Betriebsübergang berufen.
577
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173.
BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 407/09.
579
BAG v. 21.08.2002 – 4 AZR 263/01, NZA 2003, 442; BAG v. 24.11.1999 – 4 AZR 666/98,
NZA 2000, 435; BAG v. 04.08.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154.
580
BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 407/09; BAG v. 18.04.2007 – 4 AZR 652/05, NZA 2007, 965.
581
BAG v. 25.09.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807.
578
181
(4) Betriebliche Übung nach Betriebsübergang
Die Zahlung von Tariferhöhungen nach dem Betriebsübergang durch den nichttarifgebundenen Erwerber begründet nicht automatisch einen Anspruch der Arbeitnehmer aus betrieblicher Übung.582
Dies ist nur der Fall, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Erwerbers gibt, dass
er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariferhöhungen übernehmen will.
Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen und seine Entscheidungsfreiheit für die künftige Entgeltentwicklung behalten. Deshalb können die Arbeitnehmer nicht automatisch von einer
dauerhaften Bindung des Arbeitgebers an zukünftige Tarifänderungen ausgehen.583
bb) Art der transformierten Tarifnormen
Nicht alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Tarifnormen werden gemäß § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert.
 Es besteht Einigkeit darüber, dass vor allem sog. Inhalts- und Beendigungsnormen Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden.584
 Dagegen werden schuldrechtliche Abreden zwischen den Tarifvertragsparteien wie das
Kündigungsrecht des Tarifvertrages nicht transformiert.585
 Streitig ist die Behandlung von Abschlussnormen (z. B. relevant für den Einstellungsanspruch von Auszubildenden). Das BAG hat diese Frage bisher offengelassen.
 Betriebsverfassungsrechtliche Normen, also z. B. tarifliche Erweiterungen der betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte, sollen nicht transformiert werden.
 Unklar ist die Rechtslage bei den sog. Betriebsnormen (z. B. 13%- bzw. 18%-Quote
zur Verlängerung der einzelvertraglichen Arbeitszeit, Sozialkassen). Nach einer in der
Literatur vertretenen Auffassung werden diese dann nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
transformiert, wenn sie zugleich den Inhalt der Arbeitsverhältnisse regeln und ihnen
damit die Wirkung von Inhaltsnormen zukommt.586 Regelungen über sog. Gemeinsame
Einrichtungen sollen nicht Inhalt der übergehenden Arbeitsverhältnisse werden, jedoch
soll eine Haftung des Erwerbers nicht ausgeschlossen sein.587 Letzteres ist wegen der
Sozialkassen des Baugewerbes vor allem von praktischer Bedeutung, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil des Baugewerbes übernommen wird. Allerdings ist ungeklärt, ob
der Erwerber selbst dann zur Abführung von Beiträgen an diese Sozialkassen verpflichtet ist, wenn er nicht unter den Geltungsbereich der einschlägigen und für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge fällt. Dies ist abzulehnen, da eine entsprechende Beitragspflicht an die Zugehörigkeit zur Baubranche anknüpft.
Praxishinweis: Insgesamt wird man eine Transformation zumindest immer dann annehmen
müssen, wenn ein Tarifvertrag den Arbeitnehmern unmittelbar Rechte einräumt oder Pflich-
582
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173.
BAG v. 26.08.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173.
584
BAG v. 15.12.1999 – 10 AZR 877/98.
585
BAG v. 24.08.2011 – 4 AZR 566/09; BAG v. 26.08.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238.
586
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 118; vgl. auch BAG . 24.08.2011 – 4 AZR 566/09.
587
Hanau/Vossen, Festschrift für Hilger/Stumpf 1983, 288.
583
182
ten auferlegt, wenn also eine individuelle tarifliche Rechtsposition einer der beiden Arbeitsvertragsparteien besteht.
Was diese Grundsätze im Einzelfall bedeuten, soll im Folgenden für die wichtigsten Materien, die üblicherweise in Tarifverträgen geregelt werden, kurz dargestellt werden:
(1) Arbeitszeitregelungen
Arbeitszeitregelungen, die i. d. R. in Manteltarifverträgen enthalten sind, stellen Inhaltsnormen dar. Sie werden also gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert und bleiben damit
unverändert.
Wird ein (tarifgebundener) Betrieb aus dem Geltungsbereich der Metalltarifverträge übertragen, gilt dies auch für die Arbeitnehmer, deren wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 40 Stunden verlängert wurde. Es handelt sich um eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, diese geht
schon gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Der nicht tarifgebundene
Erwerber dürfte jedoch nicht an die 13%- bzw. 18%-Quote gebunden sein, da es sich bei
diesen Tarifnormen um sog. Betriebsnormen handelt588, die keine individuellen Ansprüche
der Arbeitnehmer begründen.
(2) Arbeitsentgelt (einschließlich Entgeltrahmentarifverträgen)
Transformiert werden auch die tariflichen Entgeltregelungen. Demnach bleibt der Entgeltanspruch der übergehenden Arbeitnehmer sowohl in der Höhe als auch in der Zusammensetzung bzw. Struktur unverändert.
(a) Entgelthöhe
Soweit tarifvertraglich nicht nur die Zahlung eines Tarifentgelts, sondern auch die von tariflichen Zulagen vorgesehen ist, bleibt dies ebenfalls nach dem Betriebsübergang unverändert.
Dies gilt auch für den Berechnungsmodus solcher Zulagen.
Kann oder muss der Arbeitgeber die Höhe der tariflichen Zulage ändern, wie es z. B. bei der
in den M+E-Tarifverträgen geregelten tariflichen Leistungszulage der Fall ist, so geht auch
dieses Recht bzw. diese Verpflichtung auf den Erwerber über.
Beispiel:
Ein Betrieb geht am 01.01.2015 vom tarifgebundenen Veräußerer V auf den nicht tarifgebundenen Erwerber E über. Arbeitnehmer A hat vor dem Betriebsübergang ein tarifliches (Grund-)Entgelt zuzüglich einer tariflichen Leistungszulage erhalten, die nach dem für V geltenden Tarifvertrag einmal jährlich zu überprüfen und neu festzusetzen ist. E kann und muss dieses Recht
bzw. diese Pflicht wahrnehmen, hat also die Möglichkeit, die tarifliche Leistungszulage im Rahmen der tariflichen Bestimmungen zu mindern oder zu erhöhen.
Haben die auf den Erwerber übergehenden Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang im
Leistungslohn gearbeitet, wird dies ebenfalls transformiert. Wurde für den übergehenden Betrieb oder Betriebsteil Akkord- oder Prämienentlohnung vereinbart oder gelten dort Zielvereinbarungen oder Provisionsregelungen, ändert sich hieran durch den Betriebsübergang
ebenfalls nichts.
588
BAG v. 17.06.1997 – 1 ABR 3/97, NZA 1998, 213.
183
(b) Entgeltstruktur (Tarifentgeltgruppen)
Insbesondere dann, wenn ein Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang die Tätigkeit wechselt, stellt sich die Frage, ob der Erwerber in diesem Fall verpflichtet ist, den Arbeitnehmer in
eine andere Tarifgruppe einzugruppieren und sein Entgelt entsprechend anzupassen. Das
BAG hat dies bejaht. Es hat entschieden, dass die gesamte tarifliche Entgeltstruktur transformiert wird.589 Der Betriebsinhaber ist zur Fortführung der bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet. Auch wenn der bisherige Geltungsgrund der Vergütungsordnung bei nicht
bestehender Tarifbindung des Erwerbers entfällt, bleibt die tarifliche Vergütungsordnung die
maßgebliche betriebliche Entgeltstruktur.
Im Falle der Geltung der Entlohnungsgrundsätze aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme
oder betrieblicher Übung bleibt der Geltungsgrund bestehen. Die einheitliche Vergütungsstruktur bleibt auch nach dem Betriebsübergang erhalten.
Vor diesem Hintergrund ist auch bei entsprechenden Umgruppierungen bzw. Versetzungen
das Beteiligungsrecht des § 99 BetrVG zu beachten. Der Betriebsrat kann nach § 99 Abs. 2
Nr. 1 BetrVG der personellen Maßnahme widersprechen, wenn diese einen Verstoß gegen
den transformierten Tarifvertrag darstellt.
Dieses Recht hat der Betriebsrat auch im Rahmen des ihm nach § 21a BetrVG zustehenden
Übergangsmandats. Dies kann vor allem bei der Ausgliederung und Übertragung von Betriebsteilen dazu führen, dass der Betriebsrat eines für den Erwerber fremden Betriebes,
nämlich des Veräußererbetriebes, bei solchen personellen Maßnahmen zu beteiligen ist.
Praxishinweis: Bei einer mangelnden Beteiligung des Betriebsrates ist die sog. Theorie der
Wirksamkeitsvoraussetzung zu beachten, d. h. die individualrechtlichen Maßnahmen sind
unwirksam.590
(c) Änderung der Entgeltstruktur
Für den Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteils stellt sich die Frage, „ob“ und „wie“ er für
die übergegangenen Arbeitsverhältnisse die transformierten tariflichen Entgeltstrukturen ändern kann.
Im Bereich der Leistungsentlohnung wird dies häufig über eine Betriebsvereinbarung im
Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder 11 BetrVG möglich sein. Wird ein übernommener Betrieb oder Betriebsteil in den Betrieb des Erwerbers eingegliedert, gilt diese Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG auch für die übergehenden Arbeitnehmer. Sie kann im
Einzelfall die transformierten tariflichen Regelungen ablösen.591
Beruht jedoch das Leistungslohnsystem beim Erwerber auf einer tariflichen Rechtsgrundlage, kommt dieser nur im Falle des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablösende Wirkung für die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer zu. Voraussetzung ist die sog. kongruente
Tarifgebundenheit (also die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers in
den tarifschließenden Koalitionen). Fehlt es daran, hat der Erwerber nur die Möglichkeit, mit
den Arbeitnehmern gem. § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB die Geltung des anderen Tarifwerks einzelvertraglich zu vereinbaren. Rechtlich möglich, wenn auch in der Praxis schwer durchsetzbar, dürfte auch eine Änderungskündigung sein.
589
BAG v. 08.12.2009 – 1 ABR 66/08, NZA 2010, 404.
BAG v. 03.12.1991 – GS 1/90, DB 1991, 2593.
591
zur sog. Über-Kreuz-Ablösung siehe Kapitel D, III. 2. a) cc).
590
184
Praxishinweis: Wegen des hohen Prozessrisikos, das mit einer Änderungskündigung verbunden ist, sollte auf jeden Fall einer einzelvertraglichen Lösung der Vorzug gegeben werden. Wenn die Änderung des Vergütungssystems mit einer Einkommensminderung für die
Arbeitnehmer verbunden ist, müsste dies ggf. mit einer abschmelzbaren Besitzstandswahrungsklausel verbunden sein. Betriebsvereinbarungen sind bei tarifgebundenen Erwerbern
jedenfalls wegen § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG i. d. R. nicht möglich.
(d) Neu eingestellte Arbeitnehmer
Transformierte Tarifnormen gelten ausschließlich für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber gemäß § 613a BGB übergegangen sind.
Damit fallen neu, d. h. nach dem Betriebsübergang, eingestellte Arbeitnehmer nicht unter die
transformierten tariflichen Regelungen. Der Erwerber kann also mit neu eingestellten Arbeitnehmern andere Arbeitsbedingungen vereinbaren als mit den übergegangenen Arbeitnehmern. Insbesondere ist die Vereinbarung eines niedrigeren Arbeitsentgelts möglich und zulässig.
Auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz können sich die neu eingestellten
Arbeitnehmer nicht berufen, da die Entscheidung des Erwerbers, neu eingestellte Arbeitnehmer anders als übergegangene Arbeitnehmer zu entlohnen, eine unternehmerische Entscheidung ist, die den Sachgrund für die Ungleichbehandlung darstellt.592
Der Erwerber hat bei einer entsprechenden Neugestaltung der Entgeltstrukturen den Betriebsrat – eventuell sogar im Rahmen des Übergangsmandats! – nach § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG zu beteiligen. Dies scheidet allerdings dann aus, wenn der Erwerber seinerseits tarifgebunden ist und andere tarifliche Regelungen als die transformierten auf die neu eingestellten Arbeitnehmer anwendet. Dann greift die Sperre des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ein.
(3) Mehr-, Spät-, Sonntags- und Feiertags-, Nachtarbeit (einschließlich Vergütungszuschläge)
Transformiert werden sämtliche tariflichen Regelungen zu Mehrarbeit, Spät-, Sonntags- und
Feiertagsarbeit sowie Nachtarbeit. Dies hat für den Erwerber zunächst zur Folge, dass er tariflich geregelte Beschränkungen des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts in Bezug auf die
Anordnung von Mehrarbeit sowie der anderen Arbeitszeiten gegen sich gelten lassen muss.
Des Weiteren werden die tariflichen Entgeltregelungen, die sich auf Mehrarbeit und die anderen genannten Arbeitszeiten beziehen, in das Arbeitsverhältnis transformiert. Insbesondere sind daher die i. d. R. tariflich geregelten Zuschläge für diese Tätigkeiten weiter zu zahlen
und nach den einschlägigen tariflichen Regelungen zu berechnen; wegen der statischen
Wirkung der Transformation allerdings nur auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Tarifentgelte.
(4) Kurzarbeit
Unklar ist die Rechtslage bei tariflichen Kurzarbeitsklauseln. Soweit sie Voraussetzungen
und Umfang der Kurzarbeit selbst regeln, wird man sie als Inhaltsnorm qualifizieren müssen,
sodass die entsprechenden tariflichen Regelungen (z. B. Voraussetzungen für Anordnung
von Kurzarbeit, Ankündigungsfrist) transformiert werden.
592
BAG v. 02.03.2004 – 1 AZR 271/03, NZA 2004, 852, wenn auch in anderem Zusammenhang;
BAG v. 23.09.2003 – 1 ABR 35/02, NZA 2004, 800.
185
Schwierig sind tarifliche Regelungen zu beurteilen, die (auch) Vorgaben an die gem.
§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG abzuschließenden Betriebsvereinbarungen über Kurzarbeit enthalten. Sie dürften eher als betriebsverfassungsrechtliche Normen i. S. v. § 1 Abs. 1 TVG einzuordnen sein, die nach den einleitenden Ausführungen nicht transformiert werden. Soweit
allerdings die einschlägige tarifliche Regelung den einzelnen Arbeitnehmern Rechtspositionen einräumt, dürften diese transformiert werden.
Beispiel
§ 7 MTV Metall NRW regelt in Ziff. 2 Mindestinhalte für Betriebsvereinbarungen über Kurzarbeit.
Ziff. 4 enthält in Bezug auf das Arbeitsentgelt eine Sonderregelung für Beschäftigte, deren Kündigungsfrist in den Zeitraum der Kurzarbeit fällt.
Die tariflichen Vorgaben für die Betriebsvereinbarungen werden nicht transformiert, wohl aber
die Regelung über die Entgelthöhe während der Kündigungsfrist in Ziff.4.
Gilt im Betrieb des Erwerbers ein anderer Tarifvertrag, der ebenfalls Vorgaben für Betriebsvereinbarungen zu Kurzarbeit enthält, dürften diese Regelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3
BGB (Ablösung) auch für die übergehenden Arbeitsverhältnisse wirken, da für die Geltung
betriebsverfassungsrechtlicher Normen gemäß § 3 Abs. 2 TVG die Tarifgebundenheit des
Arbeitgebers, hier also des Erwerbers ausreicht. Dadurch werden jedoch nicht automatisch
auch die transformierten Inhaltsnormen abgelöst.
(5) Bezahlte Freistellung
Die meisten Tarifverträge enthalten Regelungen zur bezahlten Arbeitsfreistellung, die die
Vorschrift des § 616 BGB abschließend konkretisieren. Da den Arbeitnehmern mit diesen
Regelungen ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsfreistellung eingeräumt wird, zählen auch diese Tarifnormen zu den Rechten und Pflichten, die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert werden.
(6) Arbeitsverhinderung, insbesondere Arbeitsunfähigkeit
Tarifliche Regelungen zur Arbeitsverhinderung und vor allem zur Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall werden durchweg transformiert. Wenn ein Tarifvertrag entsprechend
§ 4 Abs. 4 EFZG eine vom Gesetz abweichende Bemessungsgrundlage für die Berechnung
des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts enthält, ist dies als Inhaltsnorm zu qualifizieren, die
ebenfalls zum Inhalt des übergehenden Arbeitsverhältnisses wird.
(7) Urlaub
Tarifliche Urlaubsregelungen werden ebenfalls vollumfänglich transformiert. Der Erwerber
muss also nicht nur die tariflich geregelten Urlaubstage gewähren und das Urlaubsentgelt
auf der tariflichen Bemessungsgrundlage berechnen, sondern auch ein etwaiges zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld zahlen. Sollte eine tarifliche Urlaubsregelung in zulässiger Weise
gemäß § 13 BUrlG zuungunsten der Arbeitnehmer vom BUrlG abweichen, wird auch dies Inhalt der übergehenden Arbeitsverhältnisse. Transformiert wird nicht nur das, was für die Arbeitnehmer günstiger ist.
Beispiel:
Die Tarifvertragsparteien verlängern die Wartezeit für den Erwerb des vollen Urlaubsanspruchs
von sechs auf neun Monate.
186
(8) Verdienstsicherung
Tarifnormen zur Verdienstsicherung, insbesondere älterer Arbeitnehmer oder bei Versetzungen des Arbeitnehmers, begründen individuelle Rechtspositionen, die gem. § 613a Abs. 1
Satz 2 BGB transformiert werden.
(9) Kündigungsregelungen
Kündigungsregelungen, die i. d. R. unter den Begriff der Beendigungsnorm i. S. v. § 1
Abs. 1 TVG fallen, werden in das Arbeitsverhältnis transformiert. Damit werden Regelungen
zu Kündigungsfristen, aber auch tarifliche Unkündbarkeitsklauseln zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Das gilt auch, wenn sie für den Arbeitnehmer in zulässiger Weise gemäß
§ 622 Abs. 4 BGB ungünstiger als § 622 Abs. 1 - 3 BGB sind.
Dagegen gehören Regelungen zur Kündigung des gesamten Tarifvertrages, z. B. bei einem
mit einem Insolvenzverwalter vor dem Betriebsübergang abgeschlossenen Sanierungstarifvertrag, nicht zu den Inhaltsnormen des Tarifvertrages, sondern zum schuldrechtlichen Teil,
sodass nach der Transformation gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB weder die Gewerkschaft
noch die einzelnen Arbeitnehmer durch Kündigung gegenüber dem Betriebserwerber die
Möglichkeit haben, die transformierten Regelungen einseitig zu beenden.593
(10) Ausschlussfristen
Transformiert werden tarifliche Ausschlussfristen, da es für die Transformation nicht darauf
ankommt, ob die tariflichen Regelungen für den Arbeitnehmer günstig sind oder nicht.
Die Angemessenheit transformierter tariflicher Regelungen kann nicht nach den §§ 305 ff.
BGB von den Arbeitsgerichten kontrolliert werden, da diese Regelungen wegen § 307 Abs. 3
Satz 1 i. V. m. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB kontrollfrei sind. Besonderheiten könnten sich jedoch ergeben, wenn der Unterrichtungspflicht nach § 615a Abs. 5 BGB nicht nachgekommen wurde. Besteht hier ein Zusammenhang mit der versäumten Geltendmachung des Anspruchs durch den Arbeitnehmer, kann die Berufung auf die tariflichen Ausschlussfristen
nach der Rechtsprechung rechtsmissbräuchlich sein.594
Nach der neueren Rechtsprechung595 des BAG gelten die transformierten tarifvertraglichen
Regelungen nicht individualrechtlich fort, sondern behalten ihren kollektiven Charakter.
(11) Übernahme von Auszubildenden
Zweifelhaft ist, ob tarifvertragliche Verpflichtungen zur Übernahme Auszubildender in ein (befristetes) Arbeitsverhältnis, wie sie in vielen Tarifverträgen, darunter auch denen der Metallund Elektroindustrie, enthalten sind, transformiert werden.
Wie bereits angesprochen, sollen sog. Abschlussnormen, zu denen diese Übernahmeverpflichtungen zählen, nach umstrittener Auffassung in der Literatur nicht transformiert werden.596 Demgegenüber wird jedoch durch eine entsprechende Tarifnorm eine individuelle
Rechtsposition der Auszubildenden begründet, sodass die gegenteilige Auffassung vertretbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Anspruch grundsätzlich für alle Auszubildenden des Ausbildungsjahres besteht. Klarheit wird nur eine höchstrichterliche Entscheidung
bringen.
593
BAG v. 26.08.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238.
BAG v. 22.08.2012 – 5 AZR 526/11, NZA 2013, 376.
595
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41.
596
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 118.
594
187
Praxishinweis: Bis zur höchstrichterlichen Klärung besteht für den Erwerber eines Betriebes
oder Betriebsteils ein nicht unerhebliches Risiko, mit etwaigen Forderungen konfrontiert zu
werden. In der prozessualen Praxis wird der Anspruch auf Übernahme für 12 Monate nach
bzw. wegen Zeitablaufs i. d. R. auf einen Schadenersatzanspruch umgestellt.
(12) Altersteilzeit
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gehen auf den Erwerber über und zwar auch dann, wenn
sich die Altersteilzeitler bereits in der Freistellungsphase befinden. Dies wirft vor allem dann
schwierige Fragen auf, wenn der Erwerber an einen anderen Tarifvertrag gebunden ist und
eventuell sogar eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eintritt.597
Soweit Tarifverträge einen individuellen Anspruch der Arbeitnehmer auf den Abschluss eines
Altersteilzeitvertrages enthalten, wird wohl auch dieser zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses.
Das LAG Rheinland-Pfalz stellt dabei für die Voraussetzungen des Anspruchs (z. B. das erforderliche Alter) auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs ab.598 Probleme ergeben sich vor
allem dann, wenn Tarifverträge Vorgaben für entsprechende Betriebsvereinbarungen enthalten.
(13) Beschäftigungssicherung / Absenkung der Arbeitszeit
Für einen Erwerber, der nach dem Betriebsübergang Sanierungsmaßnahmen durchführen
will, ist die Frage interessant, ob Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung, die dem Arbeitgeber, entweder auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung (z. B. Metall) oder mit Zustimmung der tarifzuständigen Gewerkschaft (z. B. Öffentlicher Dienst) eine vorübergehende
Absenkung der Arbeitszeit gestatten, ebenfalls Inhalt der Arbeitsverhältnisse werden.
Wenn Tarifverträge – wie in der M+E Industrie – tarifvertraglich eine entsprechende Ermächtigung der Betriebsparteien zur Absenkung der Arbeitszeit enthalten, spricht mehr gegen
eine Transformation, weil es sich bei dieser Tarifnorm um eine betriebsverfassungsrechtliche
Norm handelt, die von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht erfasst ist. Wenn Tarifverträge eine
Ermächtigung des Arbeitgebers enthalten, mit Zustimmung der tarifzuständigen Gewerkschaft eine Absenkung der Arbeitszeit (mit entsprechender Absenkung der Vergütung) anzuordnen, stellt sich die Frage, ob eine solche Tarifregelung überhaupt unter den Normenkatalog des § 1 Abs. 1 TVG subsumiert werden kann.
Das BAG hat es jedenfalls abgelehnt, in einer solchen Regelung eine Betriebsnorm i. S. v.
§ 3 Abs. 2 TVG zu sehen599 und ist lediglich von einer schuldrechtlichen Ermächtigung des
Arbeitgebers ausgegangen.600 Legt man dies zugrunde, wäre eine Transformation entsprechender tariflicher Regelungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht möglich, da nur Normen eines Tarifvertrages erfasst werden, nicht aber schuldrechtliche Vereinbarungen bzw.
Ermächtigungen. Unabhängig davon werden sich ohnehin Schwierigkeiten ergeben, wenn
die für den Betrieb früher tarifzuständige Gewerkschaft nicht mehr tarifzuständig ist, etwa
wegen eines Wechsels des Betriebszwecks. Die besseren Argumente sprechen gegen eine
Transformation entsprechender Tarifverträge.
Praxishinweis: Für den Erwerber besteht ein erhebliches Risiko, wenn er auf einer solchen
Grundlage – ohne tarifgebunden zu sein – eine Absenkung der Arbeitszeit mit entsprechender Absenkung der Vergütung vornehmen will. Es könnten sich daher andere Sanierungs597
vgl. Kapitel G.
LAG Rheinland-Pfalz v. 25.11.2008 – 3 Sa 422/08.
599
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 388/99, DB 2001, 2609.
600
BAG v. 20.10.2010 – 4 AZR 105/09, NZA 2011, 468.
598
188
maßnahmen empfehlen. Es kann daher sinnvoll sein, bereits vor dem Betriebsübergang mit
der Sanierung (durch den Veräußerer) zu beginnen.
(14) Betriebsverfassung
Betriebsverfassungsrechtliche Normen601 werden nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
transformiert, weil sie keinen Bezug zum individuellen Arbeitsverhältnis haben. Nicht transformiert werden tarifliche Regelungen, mit denen die Beteiligungsrechte des Betriebsrates
erweitert werden. Nach dem Betriebsübergang stehen dem Betriebsrat (ggf. im Rahmen seines Übergangsmandats) daher nur noch die gesetzlich geregelten Beteiligungsrechte zu.602
Zusammenfassender Überblick
Regelungsgegenstand
Transformation
Arbeitszeit
JA
Entgelt
Entgelthöhe
JA
Entgeltstruktur
wohl JA
Mehrarbeit, Spät-, Sonntagsund Feiertagsarbeit, Nachtarbeit einschließlich Zuschläge
Anmerkungen
insbesondere bei Umgruppierung relevant
JA
Voraussetzungen,
Umfang
JA
Vorgaben für BV
wohl NEIN
Betriebsverfassungsrechtliche Norm
Arbeitsfreistellung
JA
Modifikation des
§ 616 BGB
Arbeitsunfähigkeit
JA
auch bei – zulässiger –
vom EFZG abweichender
Berechnungsgrundlage
Urlaub
JA
auch wenn tarifliche
Regelung in zulässiger
Weise ungünstiger als
BUrlG
Verdienstsicherung
JA
Kündigungsregelungen
JA
Ausschlussfristen
JA
Übernahmeverpflichtung
Auszubildende
wohl NEIN
Kurzarbeit
601
602
als Abschlussnorm nicht
transformierbar (str.)
vgl. Kapitel I.
Zur Frage der Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen auf der Grundlage tariflicher Öffnungsklauseln siehe unten Kapitel D, III 1. b) ee).
189
Arbeitsverhältnisse
Altersteilzeit
Möglichkeiten des TV Besch
Anspruch auf Altersteilzeit
JA
wohl JA
ggf. Einschränkung – nur
bei zeitlicher Nähe der Altersteilzeit zum
Betriebsübergang
wohl NEIN
tarifungebundener Erwerber kann TV Besch
zur Sanierung nicht nutzen
e) Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB enthält eine einjährige Verschlechterungssperre, nach der die
transformierten tariflichen Regelungen nicht vor Ablauf eines Jahres zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden dürfen. Die Vorschrift enthält ein gesetzliches Verbot i. S. v.
§ 134 BGB, d. h. arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die die transformierten tariflichen
Rechtspositionen des Arbeitnehmers verschlechtern, sind nichtig, auch wenn der Arbeitnehmer freiwillig in eine entsprechende Vertragsänderung eingewilligt hat.
Praxishinweis: Selbst wenn die Arbeitnehmer einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung zugestimmt haben, können sie sich grundsätzlich auf deren Nichtigkeit berufen.
Es bleibt die Möglichkeit, vor Ablauf der einjährigen Verschlechterungssperre die tariflich
transformierten Arbeitsbedingungen zu ändern. Und zwar gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB
dadurch, die Geltung eines anderen Tarifvertrages bzw. Tarifwerkes zu vereinbaren oder eine andere Regelung mit dem Arbeitnehmer zu treffen, wenn der Tarifvertrag vor Ablauf der
Jahresfrist nicht mehr gilt.603 Allerdings muss der Betrieb des Erwerbers dann in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen.
603
Bepler, RdA 2009, 65.
190
Zusammenfassender Überblick
§ 613a BGB - Verschlechterungssperre
§ 613 a BGB Abs. 1 S. 2 – 4 BGB
§ 613 a Abs. 1
S. 1 BGB
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Einzelvertragliche
Vereinbarungen
Kollektivrechtliche
Weitergeltung
Transformation
(Satz 2)
Ablösung
Gesetzlich
(Satz 3)
Vertraglich
(Satz 4)
Anwendungsbereich
Verschlechterungssperre
§ 613a Abs. 1 S. 2 a. E.
Ausnahmen
TV oder BV gilt
nicht mehr
Geltung eines
anderen TV
wird vereinbart
IV. Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen
Gemäß § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB sind Betriebsvereinbarungen rechtlich genauso zu
behandeln wie Tarifverträge. Es bestehen grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten wie bei
Tarifverträgen:
Betriebsvereinbarungen und § 613a BGB
normative
Weitergeltung
Transformation
gesetzlich nicht
geregelt
§ 613a Abs. 1 S. 2
Ablösung
§ 613a
Abs. 1 S. 3
§ 613a
Abs. 1 S. 4
191
Die Fallgestaltungen stellen sich bei Betriebsvereinbarungen aber aus mehreren Gründen
anders als bei Tarifverträgen dar:
 Keine Bezugnahmeproblematik: Die normative Wirkung von Betriebsvereinbarungen
gem. § 77 Abs. 4 BetrVG erstreckt sich auf alle Beschäftigten, die Arbeitnehmer i. S. v.
§ 5 BetrVG sind. Damit entfällt bei Betriebsvereinbarungen die schwierige Bezugnahmeproblematik.
 Weiterer Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung: Betriebsvereinbarungen können nach der Rechtsprechung des BAG in weitaus größerem Umfang normativ
weitergelten, als dies bei Tarifverträgen der Fall ist. Für den Erwerber eines Betriebes
hat dies vor allem zur Folge, dass er wegen der Kündigungsmöglichkeit des § 77 Abs.
5 BetrVG Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen leichter beseitigen oder ändern kann
als Ansprüche aus Tarifverträgen.
 Einfachere Durchsetzbarkeit von ablösenden Vereinbarungen: Betriebsvereinbarungen können in der Praxis meist auch deshalb leichter als (Verbands-)Tarifverträge
durch eine andere Betriebsvereinbarung abgelöst werden, da der Erwerber mit dem
Betriebsrat über eine Neuregelung verhandeln oder eine solche ggf. über eine Einigungsstelle herbeiführen kann.
Praxishinweis: In der Praxis empfiehlt sich auch für die Betriebsvereinbarung folgende Prüfungsreihenfolge:
1. normative Weitergeltung
2. Ablösung der Betriebsvereinbarung durch andere Betriebsvereinbarung / Tarifvertrag
3. wenn keine kollektivrechtliche Weitergeltung oder Ablösung, dann Transformation
Im Folgenden werden die Rechtsfolgen für Betriebsvereinbarungen in dieser Reihenfolge
dargestellt, auch wenn die Reihenfolge der gesetzlichen Vorgaben in § 613a Abs. 1 Sätze
2 – 4 eine andere ist. Die Transformation wird selbst vom BAG als „Auffangtatbestand“ bezeichnet, der Lücken im Betriebsverfassungsrecht (und Tarifrecht) schließen soll.604
Für einen Erwerber mit bestehender Belegschaft sind die kollektivrechtliche Weitergeltung
und die Ablösung interessant, da er dadurch die bei ihm geltenden arbeitsvertraglichen
Rahmen auch auf die übernommenen Arbeitnehmer anwenden kann. Er kann so schneller
die Arbeitsbedingungen vereinheitlichen.
1. Einzelbetriebsvereinbarungen
a) Unveränderte normative Weitergeltung
Das BAG geht in der Regel605 von einer normativen Weitergeltung aus. Während teilweise
diese Weitergeltung direkt aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB im Wege einer sogenannten kollektiven Sukzession606 abgeleitet wird, ergibt sich für das BAG die normative Weitergeltung
aus allgemeinem Betriebsverfassungsrecht.607 Der Wortlaut des § 613a Abs. 1 BGB steht
dem nicht entgegen. Dieser regelt in Satz 1 das Fortbestehen von vertraglichen Vereinba-
604
BAG v. 27.07.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222; BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003,
670.
605
Willemsen, Teil E, Rn. 2.
606
ErfK-Preis - § 613a BGB Rn. 113; Sagan RdA 2011, 163.
607
BAG v. 05.05.2015 – 1 ABR 763/13; NZA 2015, 1331; BAG v. 19.07.1957 – 1 AZR 420/54 unter
Hinweis auf Nikisch und Hueck-Nipperdey.
192
rungen sowie in Satz 2 und 3 die Transformation der kollektiven Regelungen, soweit diese
nicht normativ fortgelten.608
Nur bei einer so verstandenen normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen ist der
Fortbestand der betrieblichen Ordnung als Kollektivordnung gewährleistet. Der Erwerber
rückt in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Veräußerers ein. Er kann die bestehenden betrieblichen Regelungen gemeinsam mit dem Betriebsrat an geänderte Gegebenheiten anpassen und ggf. auch vollständig beseitigen.609
aa) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
Betriebsvereinbarungen sollen nach der Rechtsprechung des BAG unverändert normativ
weitergelten, wenn die Identität des Betriebes im Wesentlichen gewahrt bleibt.610. Das hat
das BAG später dahin gehend erweitert, dass dies auch dann gilt, wenn lediglich ein Betriebsteil veräußert wird, der vom Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt wird. 611
Für die Frage, ob eine Wahrung der Betriebsidentität vorliegt, kann nicht auf die Rechtsprechung des EuGH und des BAG zu der im Rahmen des § 613a Abs. 1 BGB entscheidenden Frage abgestellt werden, ob eine bestehende wirtschaftliche Einheit unter Wahrung
ihrer Identität fortgeführt wird.612 Es ist vielmehr mit größerem Gewicht auf die sächlichen
und immateriellen Mittel abzustellen, die das wesentliche Substrat eines Betriebes darstellen
und zugleich den Betriebszweck verkörpern. Die Einheit der Organisation bzw. die einheitliche Leitung ist ein weiteres grundlegendes Kriterium, wobei es dabei entscheidend auf die
Ausübung der Organisations- und Leitungsmacht in personellen und sozialen Angelegenheiten ankommt.613 Entscheidend ist, ob die Organisation der Arbeitsabläufe, der Betriebszweck
und die Leitungsstruktur, welche die Betriebsidentität prägen, z. B. nach der erfolgten Zusammenfassung von Betrieben zu neuen Organisationseinheiten, unverändert geblieben
sind.614
Es reicht deshalb für eine normative Weitergeltung nicht aus, dass der von dem Veräußerer
auf den Erwerber übergegangene Betrieb oder Betriebsteil räumlich und organisatorisch abgegrenzt werden kann. Die räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit des bisherigen
Geltungsbereiches innerhalb der neuen Organisationseinheit allein ist kein taugliches Abgrenzungskriterium. Dabei wird nicht genügend beachtet, dass eine normative Weitergeltung
einer Betriebsvereinbarung nur gerechtfertigt ist, wenn die ursprüngliche organisatorische
(Teil-)Einheit
als
betriebsverfassungsrechtlicher
Bezugspunkt
fortbesteht.
Damit kommt es in drei Fällen zu einer normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen:
1. Fall: Es geht ein gesamter Betrieb über, der vom Erwerber im Wesentlichen unverändert
fortgeführt wird.
608
BAG v. 05.05.2015 – 1 ABR 763/13, NZA 2015, 1331.
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
610
BAG v. 27.07.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222; BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01, NZA 2002,
1034; BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
611
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
612
Fitting, § 1 BetrVG, Rn 62.
613
Willemsen, Teil D, Rn. 69, 71.
614
BAG v. 07.06.2011 – 1 ABR 110/09, NZA 2012, 110.
609
193
Beispiel:
Erwerber E übernimmt von Veräußerer V einen metallverarbeitenden Betrieb und führt diesen
weiter.
2. Fall: Es wird ein Betriebsteil ausgegliedert und auf einen anderen Unternehmensträger
übertragen (insbesondere Outsourcing!). Der neue Unternehmensträger, der Erwerber, führt diesen Betriebsteil nach dem Übergang als selbstständigen Betrieb weiter.
Beispiel:
Aus einem metallverarbeitenden Betrieb wird die Kantine ausgegliedert und auf einen selbstständigen Pächter übertragen, der die Kantine als eigenen Betrieb weiterführt. Die im metallverarbeitenden Betrieb vor dem Übergang abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen gelten in der
Kantine normativ weiter.
Praxishinweis: Gerade bei der selbstständigen Fortführung eines Betriebsteils werden die
beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarungen häufig noch von Bestand sein. Das gilt
insbesondere, wenn der neue Arbeitgeber ursprünglich von einer bloßen Funktions- bzw.
Auftragsnachfolge ausging und es sich erst später herausstellt, dass ein Betriebsübergang
vorlag.
In diesen Fällen muss der Übernehmer die Betriebsvereinbarung gegenüber dem dann zuständigen Betriebsrat (das ist i. d. R. wegen des in § 21a BetrVG geregelten Übergangsmandates der Betriebsrat des „alten“ Betriebes) gemäß § 77 Abs. 5 BetrVG kündigen, wenn
er die normative Weitergeltung dieser Betriebsvereinbarung beenden will. Gegebenenfalls ist
die Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG zu beachten.
3. Fall: Darüber hinaus gelten Betriebsvereinbarungen auch dann normativ weiter, wenn eine Betriebsaufspaltung in der Form vorliegt, dass zwei Unternehmensträger entstehen, der Betrieb aber – dann als gemeinsamer Betrieb zweier Unternehmen (Vermutungsregel des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG!) – im Wesentlichen unverändert weitergeführt wird. Dies gilt sowohl für Betriebsaufspaltungen nach dem UmwG als auch
für Aufspaltungen, die im Wege der Einzelrechtsnachfolge durchgeführt werden.
Beispiel:
Die X-GmbH ist Träger eines Betriebes. Die Gesellschafter beschließen eine Aufspaltung in eine Betriebs- und eine Besitzgesellschaft. Einige Arbeitnehmer gehen nach § 613a Abs. 1 BGB
auf die neu gegründete Betriebs-GmbH über. Es besteht jedoch wegen der einheitlichen Leitungsmacht nach wie vor nur ein Betrieb.
Als Faustregel kann gelten, dass Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang immer dann normativ weitergelten, wenn der Betrieb als solcher im Wesentlichen unverändert
fortgeführt oder ein früherer Betriebsteil als selbstständiger Betrieb weitergeführt wird. Umgekehrt tritt nach derzeitiger Rechtslage eine Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB dann ein, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil in den Betrieb des Erwerbers eingegliedert
oder mit anderen Betrieben oder Betriebsteilen zusammengeführt wird.
194
(1) Nicht betriebsratsfähiger Betriebsteil
Ist der neu entstandene Betrieb nicht betriebsratsfähig, weil er nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigt, geht das BAG davon aus, dass der vorübergehende oder endgültige
Wegfall des Betriebsrates die bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrer normativen Wirkung unberührt lässt. Da es kein handlungsfähiges Betriebsverfassungsorgan mehr gibt, sodass eine inhaltliche Änderung der Betriebsvereinbarung nicht mehr infrage kommt, kann der
Arbeitgeber ihre Wirkung dadurch beenden, dass er einheitlich gegenüber allen betroffenen
Arbeitnehmern des Betriebs die Kündigung der Betriebsvereinbarung erklärt.615 Da es sich
letztlich um eine kollektive Regelung handelt, die ansonsten bei der Anwendung von individualrechtlichen Kündigungsfristen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Wirkung gegenüber
den einzelnen Arbeitnehmern verlieren würde, was dem kollektivrechtlichen Charakter letztlich nicht mehr entsprechen würde, ist das Kündigungsrecht mit einer 3-Monats-Frist direkt
aus § 77 Abs. 5 BetrVG abzuleiten.616
Eine Nachwirkung scheidet aus, da die Nachwirkung des § 77 Abs. 6 BetrVG eine zwingende Mitbestimmung des Betriebsrates voraussetzt, ein solcher aber nicht mehr existiert.617
Praxishinweis: Der Erwerber muss darauf achten, dass die Kündigungserklärung allen Arbeitnehmern zugeht, d. h. er sollte die Kündigung schriftlich erklären. Ein Aushang am
Schwarzen Brett ist wegen der damit verbundenen (und bekannten) Zugangsprobleme nicht
zu empfehlen.
Die normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen ist nicht davon abhängig, ob der
übernommene Betrieb bzw. Betriebsteil auf Dauer vom Erwerber als eigenständiger Betrieb
weitergeführt wird. Betriebsvereinbarungen gelten also auch dann normativ weiter, wenn der
Erwerber den Betrieb oder Betriebsteil erst einmal als eigenständigen Betrieb weiterführt und
ihn erst später in seinen Betrieb eingliedert.
Praxishinweis: Es kann sich daher vor allem dann, wenn der Veräußerer die maßgebenden
Betriebsvereinbarungen nicht ersatzlos gekündigt hat, empfehlen, einen übernommenen Betrieb oder Betriebsteil erst einmal als selbstständigen Betrieb weiterzuführen, damit der Erwerber die Kündigungsmöglichkeit des § 77 Abs. 5 BetrVG ausnutzen kann.
(2) „Übernahme“ der Betriebsvereinbarung durch den Erwerber
Eine normative „Weitergeltung“ von Betriebsvereinbarungen kommt schließlich auch in den
oben dargestellten (Eingliederungs-)Fällen in Betracht, wenn sich der Erwerber gegenüber
dem Betriebsrat verpflichtet, die bisherigen Betriebsvereinbarungen trotz des Betriebsübergangs weiterhin unverändert anzuwenden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine „echte“ normative Weitergeltung, sondern die normative Wirkung resultiert aus § 77 Abs. 4 BetrVG, da es sich dann um eine neue, eigenständige Betriebsvereinbarung zwischen Erwerber und Betriebsrat handelt.
(3) Regelungsabreden
Sog. Regelungsabreden kennzeichnen sich dadurch, dass der Betriebsrat einer vom Arbeitgeber getroffenen Regelung (insbesondere im Bereich der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG) zustimmt, ohne dass eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird.
615
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, Hertzfeld, DB 2006, 2177.
GK Kreutz, § 77 BetrVG, Rn.410, Salomon, NZA 2007, 367.
617
GK-Kreutz, § 77 BetrVG, Rn. 410.
616
195
Der Inhalt einer Regelungsabrede geht nicht nach § 613a Abs. 1 Sätze 2 - 4 BGB auf den
Erwerber über.618 Ihm kommt keine normative Wirkung im Verhältnis zu den Arbeitnehmern
zu. Die Regelungsabrede stellt lediglich eine schuldrechtliche Absprache zwischen den Betriebsparteien dar.
Allerdings kommt es bei einer durchgeführten Regelungsabrede in der Regel zu einem individualrechtlichen Umsetzungsakt mit den Arbeitnehmern des Veräußerers. Diese individualrechtliche Abrede geht gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über.619
Das gilt insbesondere für Ansprüche der Arbeitnehmer auf Entgeltzusatzleistungen.
Für den Erwerber hat dies die – unerfreuliche – Konsequenz, dass er die Leistungen nur einstellen kann, wenn ihm dies (arbeits-)vertraglich möglich ist. Fehlt es daran, kann er sich –
ebenso wie der Veräußerer – nur über eine Änderungskündigung von dieser Verpflichtung
lösen, was jedoch angesichts der strengen Anforderungen des BAG620 faktisch kaum möglich ist. Der Erwerber steht sich also bei einer Regelungsabrede i. d. R. schlechter als bei einer Betriebsvereinbarung, da letztere besser künd- bzw. abänderbar ist.
Übt der Arbeitgeber lediglich – mit Zustimmung des Betriebsrates – das ihm zustehende
Weisungsrecht aus, z. B. bei der Anordnung von Mehrarbeit oder bei der Urlaubsgewährung,
handelt es sich um die Ausübung des dem Arbeitgeber zustehenden Weisungsrechts im
Einzelfall. Einen rechtsbegründenden Charakter hat die Weisung des Arbeitgebers nicht. Die
in einer solchen Regelungsabrede enthaltenen Arbeitsbedingungen gehen nicht nach § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über.
bb) Wirkung der normativen Weitergeltung
Normativ weitergeltende Betriebsvereinbarungen gelten zunächst in vollem Umfang weiter,
d. h. die aus ihnen folgenden Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer bleiben durch den Betriebsübergang unberührt. Damit bestehen jegliche Ansprüche der Arbeitnehmer aus Betriebsvereinbarungen (z. B. auf Entgeltzusatzleistungen) weiter.
(1) Änderungen der Betriebsvereinbarung im Ursprungsbetrieb
Betriebsvereinbarungen gelten nur in dem Zustand weiter, in dem sie sich im Zeitpunkt des
Betriebsübergangs befanden. Spätere Änderungen der Betriebsvereinbarung im Veräußererbetrieb erfassen die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer nicht, da weder
der Veräußerer noch der früher für die übergegangenen Arbeitnehmer zuständige Betriebsrat das Recht haben, zugunsten oder zulasten Dritter eine Regelung zu treffen. Das aber wäre der Fall, wenn eine geänderte Betriebsvereinbarung sich auch auf den Erwerber und die
Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse übergegangen sind, erstrecken würde.
Beispiel:
Im Betrieb des Veräußerers V besteht eine Betriebsvereinbarung „Weihnachtsgeld“, nach der
den Beschäftigten jedes Jahr ein zusätzliches Weihnachtsgeld von 200 € gezahlt wird. Im Jahre
2014 wird ein Betriebsteil ausgegliedert, an den Erwerber E übertragen und von diesem als
selbstständiger Betrieb weitergeführt. Im Jahre 2015 gehen die Geschäfte bei V so gut, dass er
sich in einer neuen Betriebsvereinbarung zur Zahlung von 400 € Weihnachtsgeld an die Beschäftigten verpflichtet.
618
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 168.
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 118.
620
BAG v. 16.05.2002 – 2 AZR 292/01, NZA 2003, 147.
619
196
Die übergehenden Arbeitnehmer nehmen an späteren Änderungen der normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarung im Ursprungsbetrieb nicht teil. Im o. g. Beispiel steht ihnen
auch kein Anspruch auf das höhere Weihnachtsgeld zu. Umgekehrt behalten sie ihren Anspruch in der alten Höhe auch dann, wenn die Leistungen im Ursprungsbetrieb durch eine
abändernde Betriebsvereinbarung abgesenkt oder sogar vollständig beseitigt werden.
Beispiel - Abwandlung:
Beim V wird die Betriebsvereinbarung „Weihnachtsgeld“ wegen der schlechten Geschäftslage
im Jahr 2015, also nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs, ersatzlos gekündigt. Dies hat
keine Auswirkungen auf die nunmehr bei E beschäftigten Arbeitnehmer. Solange E die Betriebsvereinbarung nicht kündigt, haben die Arbeitnehmer Anspruch auf die 200 € Weihnachtsgeld.
(2) Regelungsgegenstände der weitergeltenden Betriebsvereinbarungen
Nach dem BAG ist davon auszugehen, dass bei einer normativen Weitergeltung alle für den
Veräußererbetrieb bestehenden Betriebsvereinbarungen auf den Erwerber übergehen und
dort jedenfalls so lange fortgelten, bis sie ihr Ende finden.621 Der Erwerber kann die bestehenden betrieblichen Regelungen gemeinsam mit dem Betriebsrat an geänderte Gegebenheiten anpassen und ggf. auch vollständig beseitigen.622 Dies schließt nicht aus, dass eine
normativ weitergeltende Betriebsvereinbarung unmittelbar nach dem Betriebsübergang (teilweise) gegenstandslos wird.623
(a) Sachleistungen – Produkte des Veräußerers
Bei Betriebsvereinbarungen, die die Gewährung von Sachleistungen regeln, tritt dabei ein
ähnliches Problem wie im individualvertraglichen Bereich auf, wenn der Veräußerer den Arbeitnehmern kostenlos oder verbilligt Sachleistungen zugesagt hatte, die er selbst am Markt
anbietet.
Wenn der Erwerber diese Produkte oder Dienstleistungen nicht anbietet bzw. herstellt, stellt
sich die Frage, ob die übergehenden Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang – und sei es
nur für die Zeit der Kündigungsfrist – noch einen Anspruch auf diese Leistungen haben.
Beispiel:
Ein Energieunternehmen hat sich in einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, seinen Arbeitnehmern verbilligtes Heizgas aus eigener Produktion zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen
beschließt nun, die Gebäudereinigung künftig nicht mehr durch eigene Arbeitnehmer, sondern
durch ein Gebäudereinigungsunternehmen durchführen zu lassen. Das Gebäudereinigungsunternehmen übernimmt alle Reinigungskräfte des Energieunternehmens und führt den früheren
Betriebsteil als eigenen Betrieb fort, weigert sich aber, den übernommenen Arbeitnehmern verbilligtes Heizgas liefern zu lassen.
Die Rechtslage ist hier ebenso höchstrichterlich ungeklärt.
In den Fällen einer internen Umstrukturierung, die – ohne Wechsel des Unternehmensträgers624 – zur Bildung neuer Betriebe führt, wird vertreten, eine solche Betriebsvereinbarung
621
BAG v. 27.07.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222; BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 53/01,
NZA 2003, 670.
622
BAG v. 05.05.2015 – 1 ABR 763/13, NZA 2015, 1331.
623
GK-Kreutz, § 77 BetrVG, Rn. 400.
624
Also kein Fall des § 613a BGB.
197
könne nur dann weitergelten, wenn ihre Anwendung im aufnehmenden bzw. neuen Betrieb
weiterhin möglich und sinnvoll sei. 625
In Bezug auf individualvertraglich zugesagte Sachleistungen hat das BAG entschieden, dass
diese regelmäßig unter dem Vorbehalt stünden, dass der Arbeitgeber die Sachleistungen
selbst herstelle. Der Anspruch erlösche, wenn der Arbeitgeber die Produktion einstelle oder
einen Betriebsteil veräußere. 626
Überträgt man dies auf Betriebsvereinbarungen, könnte man in Bezug auf Sachleistungen,
deren Gewährung dem Erwerber nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, davon ausgehen,
dass entsprechende Betriebsvereinbarungen wegen einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (ggf. auch wegen Unmöglichkeit der Leistung) zwar einerseits normativ fortgelten,
aber andererseits nach einer logischen Sekunde des Betriebsüberganges gegenstandslos
werden. Dies hätte zur Folge, dass der Erwerber auch ohne Kündigung nicht mehr an die
Betriebsvereinbarung gebunden wäre.
Es ist jedoch fraglich, ob sich ein solches Ergebnis mit dem Schutzzweck des § 613a BGB
vereinbaren lässt, weil die Gewährung der fraglichen Sachleistungen Bestandteil des den
Arbeitnehmern geschuldeten Arbeitsentgelts ist.
Deshalb besteht ggf. ein Anspruch auf Wertersatz. Geht man von der Unmöglichkeit nach
§ 275 BGB für die Sachleistung aus, ist folgerichtig ein Schadensersatzanspruch des Erwerbers gemäß § 281 BGB zu prüfen. Maßgeblich hierbei dürfte sein, was der Erwerber gemäß
§ 276 Abs. 1 BGB zu vertreten hat. Insoweit wird regelmäßig § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB, der
strengere Haftungsmaßstab bei der Übernahme eines Beschaffungsrisikos, eingreifen. Allerdings kommt es auf die Auslegung der vom Arbeitgeber erteilten Zusage an.
Praxishinweis: Der Erwerber sollte daher in solchen Fällen auf jeden Fall die fragliche Betriebsvereinbarung kündigen.
(b) Arbeitsorganisatorische Regelungen
Problematisch ist auch die Frage der normativen Weitergeltung bei Betriebsvereinbarungen
über arbeitsorganisatorische Fragen, da diese eventuell im Betrieb des Erwerbers nicht passen bzw. gegenstandslos werden.
Beispiel:
Im Betrieb V besteht eine Betriebsvereinbarung, die u. a. Torkontrollen regelt. Ein Betriebsteil
wird ausgegliedert und auf den Erwerber übertragen, der den früheren Betriebsteil an einem
anderen Ort als selbstständigen Betrieb weiterführt. Tore gibt es dort nicht.
Betriebsvereinbarungen, die ihrem Regelungsgehalt nach nicht (mehr) zum Betrieb des Erwerbers passen, gelten nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht normativ weiter.
Auch dies ist aber nicht Rechtsfolge des Betriebsübergangs. Schon im allgemeinen Betriebsverfassungsrecht werden Betriebsvereinbarungen als beendet angesehen, wenn sie
durch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gegenstandslos werden.627 Dies lässt
sich auf die Problematik der (normativen) Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen nach
einem Betriebsübergang übertragen. Auch diese sind ab dem Betriebsübergang bzw. spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem die Regelungen gegenstandslos werden (wenn also der
625
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 163; Bachner, NZA 1997, 79.
BAG v. 07.09.2004 – 9 AZR 631/03, NZA 2005. 941.
627
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 160; Bachner, NZA 1997, 79, GK-Kreutz, § 77 BetrVG, Rn. 400 ff.
626
198
Erwerber in dem Beispiel die Tore zwei Monate nach dem Betriebsübergang abreißen würde), als beendet anzusehen.
(c) Sozialeinrichtungen beim Veräußerer
Probleme können auch im Betrieb des Veräußerers geltende (Gesamt-)Betriebsvereinbarungen über Sozialeinrichtungen i. S. d. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG bereiten.
Bei einer betriebsbezogenen Sozialeinrichtung und einem Übergang des ganzen Betriebes
bestehen wenig Schwierigkeiten, da sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber die Möglichkeit haben, die Sozialeinrichtung nach allgemeinen Grundsätzen zu schließen, wenn der
Erwerber diese nicht fortführen will.
Anders sieht dies wiederum aus, wenn der Erwerber nur einen Betriebsteil erwirbt, den er als
selbstständigen Betrieb weiterführt oder wenn die Sozialeinrichtung über eine Gesamtbetriebsvereinbarung unternehmensbezogen geregelt wird und nur ein oder mehrere Betriebe
des Unternehmens auf einen Erwerber übertragen werden. Für diesen Fall wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass die Sozialeinrichtung nur beim Veräußerer fortbesteht
und die übergehenden Arbeitnehmer ihre Ansprüche (z. B. auf Nutzung der Sozialeinrichtung) verlieren.628
Dies ist jedoch im Hinblick auf den Schutzzweck des § 613a BGB zweifelhaft, da auch die
Rechte der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Sozialeinrichtung zum Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses werden und sie daher durch den Betriebsübergang ihre Ansprüche verlieren würden.
Damit aber besteht für den Erwerber die Gefahr, dass er nach dem Betriebsübergang mit
Ansprüchen der Arbeitnehmer konfrontiert wird, die sich ggf. – ähnlich wie bei Sachleistungen – auf Wertersatz richten können.629
Praxishinweis: Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, dass der Veräußerer bereits vor
dem Betriebsübergang die fragliche Betriebsvereinbarung kündigt und versucht, eine neue
Betriebsvereinbarung abzuschließen, deren persönlicher Geltungsbereich ab dem Zeitpunkt
des Betriebsübergangs auf die im Unternehmen des Veräußerers verbleibenden Arbeitnehmer beschränkt wird. Stattdessen oder zusätzlich wäre daran zu denken, dass den übergehenden Arbeitnehmern weiterhin das Nutzungsrecht an den Sozialeinrichtungen, eventuell
auch nur für einen Übergangszeitraum zugestanden wird.
(d) Verfahrensorganisatorische Regelungen
Unklar ist, ob sog. verfahrensorganisatorische Abreden, die von den Betriebsparteien häufig
in Form einer Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, normativ weitergelten.
Solche Abreden regeln nicht den Inhalt der Arbeitsverhältnisse oder die Organisation des
Betriebes bzw. der Betriebsabläufe, sondern sie betreffen
 Verfahrensfragen (z. B. Anhörung vor jeder Abmahnung, Ankündigung von Mehrarbeit
oder Verfahren bei Einstellungen oder Versetzungen) oder
 die Stellung und Geschäftsführung des Betriebsrates (z. B. Vereinbarungen über Freistellungen nach § 38 BetrVG, über Schulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG oder Kostentragungsregeln nach § 40 BetrVG).
628
629
Gaul, S. 973.
Meyer, DB 2000, 1175.
199
Nach den oben dargelegten grundsätzlichen Erwägungen des BAG muss auch hier von einer normativen Weitergeltung ausgegangen werden.
Das ist im Ergebnis bei der unveränderten Fortführung eines ganzen Betriebes auch praktikabel, da der Betriebsrat unverändert beim Erwerber im Amt bleibt. Aber auch in dem Fall, in
dem der Erwerber nur einen Betriebsteil übernimmt, gelten bei Wahrung der Betriebs(teil)identität die Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung weiter, die vor dem
Betriebsübergang in dem ursprünglichen Betrieb galten. In so einem Fall nimmt der Betriebsrat des Veräußererbetriebes das Übergangsmandat nach § 21a BetrVG wahr und dann ist es
auch folgerichtig, die normative Fortgeltung der von ihm selbst abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen – und seien es auch nur solche verfahrensorganisatorische Regelungen –
zu bejahen.630
Da der übernommene Betriebsteil keinen eigenen Betriebsrat mehr hat, laufen die Regelungen der §§ 38, 40 BetrVG dann allerdings leer und haben keinen Anwendungsbereich mehr.
Praxishinweis: Für verfahrensorganisatorische Abreden außerhalb von §§ 38, 40 BetrVG,
wie z. B. die Anhörung vor jeder Abmahnung, empfiehlt es sich jedoch für den Erwerber, bei
Bestehen eines Übergangsmandats beim Betriebsteilübergang diese zu berücksichtigen.
(e) Sonderfall: Sozialplanansprüche
Insbesondere dann, wenn es nach dem Entschluss des Veräußerers, den Betrieb oder einen
Betriebsteil stillzulegen, zu einem unerwarteten Betriebsübergang kommt, kann die Frage
auftreten, ob der Erwerber eines Betriebes aufgrund der normativen Weitergeltung des Sozialplanes in die Stellung des Veräußerers einrückt und ggf. zu der Zahlung von Abfindungen
verpflichtet ist. Dabei wird im Folgenden ausschließlich die Rechtslage erörtert, wenn im Betrieb des Veräußerers bereits vor dem Betriebsübergang ein Sozialplan vereinbart wurde.
Beispiele:
V hatte im Januar 2014 beschlossen, seinen Betrieb wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten
stillzulegen. Im April 2014 schließt er mit dem Betriebsrat einen Sozialplan ab, der für die gekündigten Arbeitnehmer Abfindungen vorsieht. Im Mai 2014 findet sich unerwartet ein Erwerber
für den Betrieb, der auch alle Arbeitnehmer übernehmen will. Der Kaufvertrag wird im Juni 2014
abgeschlossen.
Unternehmer V verliert einen Auftrag und ist deshalb zu einem erheblichen Personalabbau gezwungen. Er vereinbart mit dem Betriebsrat einen Sozialplan. Der Auftrag und ein Teil des materiellen Betriebsvermögens sind im Wege des Betriebsteilübergangs auf den Erwerber E übergegangen, der auch einen Teil der Arbeitnehmer übernimmt.
Praxishinweis: Neben der Möglichkeit des Abschlusses freiwilliger vorsorglicher Sozialpläne631 hat der Betriebsrat auch die Möglichkeit, einen vorsorglichen Sozialplan zu erzwingen,
wenn das Vorliegen eines Betriebsübergangs fraglich ist.632 Sozialpläne werden rechtlich
nicht anders als andere Betriebsvereinbarungen behandelt, d. h. nach der Rechtsprechung
des BAG gehen auch Sozialpläne auf den Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteils über,
wenn der Betrieb oder Betriebsteil durch den Betriebsübergang seine bisherige Identität nicht
verliert. Dies hat zur Folge, dass der Erwerber gegenüber den zum Zeitpunkt des Betriebs-
630
BAG v. 18.09.2012 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670, 675.
BAG v. 17.04.2012 – 1 AZR 119/11, NZA 2012, 2040.
632
BAG v. 01.04.1998 – 10 ABR 17/97, NZA 1998, 768.
631
200
übergangs zur Belegschaft gehörenden Arbeitnehmern unmittelbar zum Schuldner aus dem
Sozialplan wird.
Grundsätzlich hat aber sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber als dessen betriebsverfassungsrechtlicher Nachfolger die Möglichkeit, unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, eine Anpassung des Sozialplans an die veränderten Verhältnisse zu verlangen.633
Wenn eine derartige Anpassung aber nicht infrage kommt, kann die Haftung des Erwerbers
für Sozialplanansprüche unter zwei Voraussetzungen eintreten:
1. das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der die Ansprüche geltend macht, muss
auf den Erwerber übergegangen sein und
2. die im Sozialplan festgelegten Anspruchsvoraussetzungen müssen erfüllt sein.
In Bezug auf die erstgenannte Voraussetzung scheidet damit eine Haftung des Erwerbers
auf jeden Fall dann aus, wenn ein Arbeitnehmer vor dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs
aus dem Betrieb ausgeschieden ist, die Kündigungsfrist also vor diesem Zeitpunkt abgelaufen ist. In diesem Fall geht das Arbeitsverhältnis nicht auf den Erwerber über. Es bleibt bei
der alleinigen Haftung des Veräußerers für die vereinbarten Sozialplanleistungen.
Selbst wenn es bei dem Veräußerer einen Sozialplan (und einen Interessenausgleich) gibt,
nach dem eine betriebsbedingte Entlassung aller Arbeitnehmer unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum Jahresende vereinbart worden ist, schließt dies weder einen Betriebsübergang zum 01.01. des Folgejahres noch das Übergehen eines zum 31.12. bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmers aus. Wirksam betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer können
nach dem BAG auch dann einen Weiterbeschäftigungsanspruch gegenüber einem Erwerber
geltend machen, wenn sich diese Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach dem Betriebsübergang und nach Ablauf der Kündigungsfrist ergibt.634 Dieser Anspruch muss vom Arbeitnehmer innerhalb einer Frist von einem Monat seit Kenntniserlangung von den, den Betriebsübergang ausmachenden tatsächlichen Umständen geltend gemacht werden. Kommt
es dann zu einer Neueinstellung beim Erwerber, gilt auch ein normativ fortgeltender Sozialplan für diesen Arbeitnehmer.
Die Arbeitsverhältnisse, die zwar bereits vom Veräußerer betriebsbedingt gekündigt wurden,
bei denen aber die Kündigungsfrist im Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch nicht abgelaufen ist, gehen auf jeden Fall auf den Erwerber über.635
Der Veräußerer haftet dann nur noch gemäß § 613a Abs. 2 BGB gesamtschuldnerisch mit,
da die Sozialplanansprüche vor dem Betriebsübergang, nämlich mit Ausspruch der Kündigung,636 entstanden sind.
Ob der Erwerber die Erfüllung der Abfindungsansprüche der übergehenden, aber gekündigten Arbeitnehmer verweigern kann, wenn er diesen eine Weiterbeschäftigung anbietet, hängt
von der Ausgestaltung des Sozialplans ab.
 Ist im Sozialplan nicht vorgesehen, dass ein Abfindungsanspruch ausscheidet, wenn
der Arbeitnehmer eine zumutbare Weiterbeschäftigung abgelehnt hat, bleibt der Abfindungsanspruch der gekündigten Arbeitnehmer bestehen. Sie haben keine Verpflich-
633
BAG v. 28.08.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109.
BAG v. 25.09.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469.
635
BAG v. 28.08.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109.
636
BAG v. 13.12.1994 – 3 AZR 357/94, NZA 1996, 139.
634
201
tung, ein etwaiges Weiterbeschäftigungsangebot des Erwerbers anzunehmen637 oder
den nach der Rechtsprechung des BAG bestehenden Wiedereinstellungsanspruch638
geltend zu machen.
Dies führt zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmer, denen vom Veräußerer wirksam gekündigt wurde und die das Weiterbeschäftigungsangebot des Erwerbers angenommen
haben, einen Abfindungsanspruch erhalten, obwohl sie ihren Arbeitsplatz behalten.
Praxishinweis: Ändern kann der Erwerber dies nur, indem er sich gegenüber dem Betriebsrat auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft und eine Neuverhandlung über den Sozialplan erzwingt. Eventuelle Klageverfahren von Arbeitnehmern über die Zahlung von Sozialplanabfindungen sind in diesem Fall von den Arbeitsgerichten nach § 148 ZPO bis zum Abschluss eines neuen Sozialplans auszusetzen.639 Dies ist erst recht zu empfehlen, wenn bereits ein Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart worden ist, da die Arbeitnehmer, die
auf der Namensliste stehen, auch bei einer Eigenkündigung einen Anspruch auf die Sozialplanabfindung haben können.640
 Anders ist die Rechtslage zum Teil zu bewerten, wenn der Sozialplan gemäß § 112
Abs. 5 Nr. 2 BetrVG vorsieht, dass Arbeitnehmer, die eine zumutbare Weiterbeschäftigung ablehnen, keine Abfindung erhalten. In diesem Fall kommt es für das Entstehen
des Abfindungsanspruchs darauf an, ob den Arbeitnehmern die vom Erwerber angebotene Weiterbeschäftigung zumutbar ist. 641 Die sozialrechtlichen Regelungen über die
Unzumutbarkeit in § 121 SGB III finden auf die Ausgestaltung von Sozialplänen weder
unmittelbar noch entsprechend Anwendung.642 Der Arbeitsplatz ist zumutbar, wenn er
gleichwertig in rechtlicher, finanzieller und beruflicher Hinsicht ist.643
Praxishinweis: Allerdings kann es sich auch insoweit für den Erwerber empfehlen, unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Änderung des abgeschlossenen Sozialplans zu erzwingen, da die Einigungsstelle auch festlegen kann, welche anderen Arbeitsplätze zumutbar sind.644
637
BAG v. 28.09.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109.
BAG v. 27.02.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95,
NZA 1998, 251.
639
BAG v. 28.08.1996 – 10 AZR 886/95, NZA 1997, 109.
640
BAG v. 19.07.1995 – 10 AZR 885/94, NZA 1996, 271.
641
Fitting, §§ 112, 112a BetrVG, Rn. 267.
642
BAG v. 06.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232.
643
Fitting, §§ 112, 112a BetrVG, Rn. 268.
644
BAG v. 06.11.2007 – 1 AZR 960/06, NZA 2008, 232; BAG v. 28.09.1988 – 1 ABR 23/87,
NZA 1989, 186.
638
202
Zusammenfassender Überblick
Regelungsgegenstand
Weitergeltung
Arbeitszeit
JA
Entgeltzusatzleistungen
JA
Sachleistungen / Produkte des Veräußerers
JA
Sozialeinrichtungen
Anmerkungen
ggf. Wertersatzanspruch
Übergang des
ganzen Betriebs
oder des ganzen
Unternehmens
JA
Nur Übergang
von Betriebsteilen
oder einzelnen
Betrieben des
Unternehmens
NEIN, wenn für
Erwerber unmöglich
Verfahrensorganisatorische Abreden zwischen den Betriebsparteien
Übergang des
ganzen Betriebs
JA
Übergang eines
Betriebsteils
JA
u. U. gegenstandslos, selbst
wenn ein Übergangsmandat
des Betriebsrates gemäß §
21a BetrVG besteht
Sozialplanansprüche
Arbeitnehmer
scheidet vor Betriebsübergang
aus
Grds. NEIN
Ausnahme bei einem Vertragsfortsetzungsanspruch
Arbeitnehmer
scheidet nach Betriebsübergang
aus
Grds. JA
Ausnahme bei Anspruchsausschluss für zumutbare
Weiterbeschäftigung
betriebs- oder unternehmensbezogen
ggf. Wertersatz
(3) Schwellenwerte des BetrVG
Eine weitere Frage ist, ob Betriebsvereinbarungen mit Regelungsgegenständen, die erst ab
einer bestimmten Arbeitnehmerzahl im Betrieb bzw. Unternehmen der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates unterfallen (insbesondere §§ 95 Abs. 2, 99 BetrVG) beim Übergang eines Betriebsteils weitergelten, in dem dieser Schwellenwert nicht mehr erreicht wird.
Beispiel:
Im Betrieb des Veräußerers V werden mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Auf Verlangen
des Betriebsrates hatte V eine Betriebsvereinbarung über Auswahlrichtlinien gemäß § 95 Abs. 1
und 2 BetrVG abgeschlossen. Der Erwerber E übernimmt einen Betriebsteil mit 100 Arbeitnehmern und führt diesen als eigenständigen Betrieb weiter.
203
Auch die normative Weitergeltung derartiger Betriebsvereinbarungen ist zu bejahen.
Hat der übergegangene Betrieb aber nicht mehr über 500 Arbeitnehmer, handelt es sich
nach dem Übergang um eine freiwillige Betriebsvereinbarung. Die Kündigung ist ohne
Nachwirkung möglich.645
Im Übrigen sind gesetzliche Schwellenwerte keine nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB im Wege
der Transformation übergangsfähigen Rechte, sondern allenfalls Tatbestandsvoraussetzungen für derartige Rechte.646
Praxishinweis: Eine Fortgeltung betriebsorganisatorischer Absprachen bzw. betrieblicher
Verfahrensregelungen kann auch dadurch erreicht werden, dass sich der Erwerber vertraglich zur Übernahme der entsprechenden Vereinbarungen verpflichtet. Will er dies nicht, bleibt
dem Veräußerer ausreichend Zeit, die nicht gewollten Betriebsvereinbarungen (z. B. solche
über zusätzliche Freistellungen gemäß § 38 Abs. 1 Satz 5 BGB) zu kündigen, um deren
Übergang auf den Erwerber zu verhindern.
(4) Wirkung für neu eingestellte Arbeitnehmer
Streitig ist, ob die normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang auch dazu führt, dass Arbeitnehmer, die vom Erwerber nach diesem Zeitpunkt neu eingestellt werden, von dieser Betriebsvereinbarung erfasst werden.
Die Teile der Literatur, die die normative Weitergeltung aus § 613a Abs.1 Satz 2 BGB im
Wege einer kollektiven Sukzession647 ableiten, kommen schon nach dem Wortlaut des Satzes 2 zu dem Ergebnis, dass die normative Weitergeltung nur für die übernommenen Arbeitnehmer gilt und nicht für die nach dem Betriebsübergang neu eingestellten Arbeitnehmer.
Nach der Rechtsprechung des BAG zu der normativen Weitergeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen bei einem Betriebsübergang ist hingegen davon auszugehen, dass von
normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen auch neu eingestellte Arbeitnehmer erfasst werden.648 Dies folgt unmittelbar aus § 77 Abs. 4 BetrVG.
(5) Nachwirkende Betriebsvereinbarungen
Eine bis jetzt nicht geklärte Folgefrage der Rechtsprechung des BAG zur normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen ist, ob auch nachwirkende Betriebsvereinbarungen
normativ fortwirken.
Dies wird man – ebenso wie bei Tarifverträgen – annehmen müssen, da sich der Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung nicht ändert, wenn sie gekündigt wurde.
Solange die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung besteht, gilt diese für alle Arbeitsverhältnisse in ihrem Geltungsbereich, also auch für diejenigen, die erst im Nachwirkungszeitraum begründet werden.649
(aa) Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung
Der Erwerber ist an Betriebsvereinbarungen über Gegenstände der zwingenden Mitbestimmung (vor allem die Fälle des § 87 BetrVG) auch nach dem Betriebsübergang gebunden.
645
Fitting, § 95 BetrVG Rn. 6.
BAG v. 15.02.2007 – 8 ARZ 397/06, NZA 2007, 739.
647
ErfK-Preis - § 613a BGB, Rn. 113; Sagan RdA 2011, 163.
648
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
649
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 182; GK-Kreutz, 10. Auflage 2014, § 77 BetrVG, Rn. 450.
646
204
Will der Erwerber eine Neuregelung erreichen, muss er mit dem dann zuständigen Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung abschließen. Hat der Erwerber einen Betriebsteil übernommen und führt er diesen als selbstständigen Betrieb weiter, ist zu beachten, dass der Betriebsrat des Veräußererbetriebes für die übergehenden Arbeitnehmer das Übergangsmandat gemäß § 21a BetrVG wahrnimmt, sodass der Erwerber bis zur Neuwahl eines Betriebsrates in seinem neuen Betrieb mit dem Betriebsrat des Veräußererbetriebes verhandeln
muss.650
Praxishinweis: Es sollte daher abgewogen werden, ob die Neuverhandlung mit dem Betriebsrat im Übergangsmandat (Veräußerer-Betriebsrat) oder mit einem neu zu wählenden
Betriebsrat im Erwerberbetrieb Erfolg versprechender ist. Im letzten Fall liegt es daher im Interesse des Erwerbers, möglichst schnell in dem neu entstehenden Betrieb einen eigenen
Betriebsrat wählen zu lassen.
(bb) Gegenstand der freiwilligen Mitbestimmung
Bei freiwilligen Betriebsvereinbarungen, die nach ihrer Kündigung nicht nach
§ 77 Abs. 6 BetrVG nachwirken, ist der Erwerber allenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist an die Betriebsvereinbarung gebunden.
Das gilt auch und gerade für Betriebsvereinbarungen über Entgeltzusatzleistungen, wenn
diese vom Veräußerer vor dem Betriebsübergang ersatzlos gekündigt wurden. Da Betriebsvereinbarungen in diesem Fall nach der Rechtsprechung des BAG nicht nachwirken, muss
der Erwerber die aus dieser Betriebsvereinbarung resultierenden Ansprüche der Arbeitnehmer nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist erfüllen.
Beispiel:
Im Betrieb des Veräußerers V galt eine Betriebsvereinbarung, nach der jedem Mitarbeiter monatlich eine feste Fahrtkostenpauschale gezahlt wird. V kündigt die Betriebsvereinbarung am
30.03.2014 ersatzlos zum 30.06.2014. Am 01.05.2014 geht ein Betriebsteil auf den Erwerber E
über, der diesen als eigenständigen Betrieb fortführt. Die auf E übergegangenen Arbeitnehmer
können von E noch bis zum 30.06.2014 die Pauschale verlangen, danach entfällt ihr Anspruch,
da die Betriebsvereinbarung nicht nachwirkt.
(cc) Gegenstand der teilweise erzwingbaren Mitbestimmung
Probleme wirft die normative Weitergeltung nachwirkender Betriebsvereinbarungen bei sog.
teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen (i. d. R. über freiwillige Entgeltzusatzleistungen
des Arbeitgebers) auf.
Werden diese gekündigt, tritt nach der Rechtsprechung des BAG Nachwirkung ein, wenn der
Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung mit dem Ziel einer Absenkung und Neuverteilung des
Dotationsvolumens gekündigt hat.651
650
651
vgl. dazu Kapitel I „Betriebsverfassungsrecht“.
BAG v. 26.10.1993 – 1 AZR 46/93, NZA 1994, 572.
205
Beispiel - Abwandlung:
Der Veräußerer V hat die Betriebsvereinbarung am 30.03.2014 mit dem Ziel gekündigt, künftig
das Dotationsvolumen zu senken und die Fahrtkostenerstattung für die Mitarbeiter anders zu
berechnen. Im Betrieb des V wirkt die Betriebsvereinbarung nach, sodass seine Mitarbeiter bis
zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung weiterhin Anspruch auf die bisher geregelte
Fahrtkostenpauschale haben.
Die Rechtslage ist ungeklärt. Gegen eine Nachwirkung der gekündigten teilmitbestimmten
Betriebsvereinbarung gegenüber dem Erwerber spricht, dass ihm der Umstand nicht zugerechnet werden kann, dass der Veräußerer die Betriebsvereinbarung nicht ersatzlos, sondern mit dem Ziel einer – veränderten – Neuregelung gekündigt hat. Wenn der Erwerber eine
Neuregelung des in der gekündigten Betriebsvereinbarung geregelten Gegenstandes nicht
beabsichtigt, dann muss er so behandelt werden, als ob er selbst die Betriebsvereinbarung
ersatzlos gekündigt hätte.
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung das Problem anders bewerten
und dem Arbeitnehmer weiterhin Ansprüche aus der „alten“, nachwirkenden Betriebsvereinbarung zusprechen wird. Der Erwerber hat auch nicht die Möglichkeit, die nachwirkende Betriebsvereinbarung noch einmal zu kündigen, da die Betriebsvereinbarung bereits gekündigt
wurde und nur noch nachwirkt.
Geht man von einer Nachwirkung auch gegenüber dem Erwerber, der nach dem BAG in die
betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Veräußerers rückt,652 aus, ist dieser gezwungen,
mit dem zuständigen Betriebsrat über eine Neuregelung zu verhandeln. Nur eine neue Betriebsvereinbarung kann die nachwirkende Betriebsvereinbarung ablösen. Ob es rechtlich
auch möglich wäre, in einer neuen Betriebsvereinbarung die aus der nachwirkenden Betriebsvereinbarung folgenden Ansprüche der Arbeitnehmer vollständig zu beseitigen, ist fraglich. Zudem ist ein solches Ziel in der Praxis schwer umsetzbar.
Praxishinweis: Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage, die zu erheblichen finanziellen
Forderungen der übergehenden Arbeitnehmer führen kann, ist zu empfehlen, eine normativ
weitergeltende teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung über Entgeltzusatzleistungen erst vom
Erwerber und nicht bereits vom Veräußerer ersatzlos kündigen zu lassen.
In diesem Fall ist eine Nachwirkung ausgeschlossen. Die übergehenden Arbeitnehmer können dann nur noch innerhalb der Kündigungsfrist (anteilige) Ansprüche erwerben. Das kann
zwar kurzfristig teurer werden, da die Kündigungsfrist bei einer Kündigung durch den Erwerber erst nach dem Betriebsübergang in Gang gesetzt werden kann. Es wird aber das Risiko
vermieden, dass dem Erwerber ggf. die Nachwirkung der teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung entgegengehalten wird.
Kündigt der Veräußerer mit dem Ziel der Änderung, dann drohen dem Erwerber langfristige
finanzielle Belastungen bis zur Einigung mit dem Betriebsrat.
652
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
206
Zusammenfassender Überblick
Gekündigte Betriebsvereinbarung und § 613a BGB
Erzwingbare
Betriebsvereinbarung
Teilbestimmte
Betriebsvereinbarung
Bindung des Erwerbers
wegen Nachwirkung
§ 77 Abs. 6 BetrVG
Problem: ggf. Bindung
des Erwerbers
Neuverhandlung mit
dem zuständigen
Betriebsrat (ggf. auch
§ 21 BetrVG) notwendig
(Insbesondere wenn
Veräußerer „Änderungs“Kündigung ausspricht)
Hinweis:
Betriebsvereinbarung erst
von Erwerber ersatzlos
kündigen lassen
Freiwillige
Betriebsvereinbarung
Keine Bindung des
Erwerbers mangels
Nachwirkung
ggf. noch Bindung
während Ablauf der
Kündigungsfrist
b) Ablösung
Unter Ablösung ist bei normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen etwas anderes zu
verstehen, als bei transformierten Betriebsvereinbarungen. Während sich bei der Transformation die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB richtet (dazu unter bb)), findet diese
Vorschrift auf die Ablösung von normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen keine Anwendung.653
aa) Ablösung von normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen
Hinsichtlich der Ablösung von normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen wird zunächst auf die Ausführungen unter D IV.1 a) bb) verwiesen. Danach können Betriebsvereinbarungen durch Kündigung ihre Wirkung verlieren, wobei zwischen den Rechtsfolgen für
freiwillige Betriebsvereinbarungen, für Betriebsvereinbarungen über Gegenstände erzwingbarer Mitbestimmung und für teilmitbestimmte Betriebsvereinbarungen unterschieden werden muss. Weiter können Betriebsvereinbarungen durch Zeitablauf, durch Zweckerreichung
oder durch einen Aufhebungsvertrag zwischen den Betriebsvertragsparteien ihre Wirkung
verlieren. Darüber hinaus können Betriebsvereinbarungen auch durch eine Veränderung der
tatsächlichen Umstände unanwendbar werden. Dies ist der Fall, wenn ihre Regelungen
durch Änderungen der tatsächlichen Gegebenheiten gegenstandslos werden.654
Diese Wirkungen sind aber keine Rechtsfolgen des Betriebsübergangs, sondern ergeben
sich aus dem allgemeinen Betriebsverfassungsrecht.655.
Darüber hinaus können normativ fortgeltende Betriebsvereinbarungen nach allgemeinem BetrVG auch unabhängig von einem Betriebsübergang dann ihre Wirkung verlieren, wenn eine
Vereinbarung durch eine spätere ranggleiche kollektivrechtliche Regelung unter Wahrung
bestimmter Vertrauensschutzregeln abgelöst wird. Insoweit gilt das sogenannte Ablösungs653
Willemsen, Teil E, Rn. 44, BAG v. 05.05.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331.
Fitting, § 77 BetrVG, Rn. 160.
655
GK-Kreutz, § 77 BetrVG, Rn. 400.
654
207
prinzip (Zeitkollisionsregel).656 Diese so verstandene Ablösung kann aber auch im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang durch eine Betriebsvereinbarung, eine Gesamtbetriebsvereinbarung/Konzernbetriebsvereinbarung oder aber auch durch beim Erwerber geltende Tarifverträge erfolgen.
(1) Ablösung durch beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarungen
Eine Ablösung durch eine beim Erwerber bestehende Betriebsvereinbarung scheidet in der
Regel aus, da der übernommene Betrieb oder Betriebsteil (weiterhin) als eigenständiger Betrieb im Sinne einer Betriebs(teil)identität fortbesteht.657 Nur mit dem für diesen Betrieb zuständigen Betriebsrat kann eine ablösende Betriebsvereinbarung geschlossen werden.
Beispiel:
Im Betrieb des Veräußerers V gilt eine Betriebsvereinbarung über die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe eines Monatsgehalts. Der Betrieb geht auf den Erwerber E über, der bereits Inhaber eines anderen Betriebes ist. Dort existiert eine Betriebsvereinbarung über die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in Höhe eines ½ Monatsgehalts. E führt den übernommenen Betrieb unverändert eigenständig fort. Er zahlt den übernommenen Arbeitnehmern unter Berufung
auf die bei ihm geltende Betriebsvereinbarung nur ein ½ Monatsgehalt als Weihnachtsgeld. Die
Arbeitnehmer können jedoch weiterhin ein ganzes Monatsgehalt Weihnachtsgeld verlangen, da
der Betriebsrat des ursprünglichen Erwerberbetriebes für die Arbeitnehmer eines übernomme658
nen Betriebes keine Betriebsvereinbarung abschließen kann.
Praxishinweis: Will der Erwerber erreichen, dass auch im übernommenen Betrieb die bei
ihm geltende Betriebsvereinbarung gilt, muss er entweder den übernommenen Betrieb in
seinen ursprünglichen Betrieb eingliedern oder im übernommenen Betrieb die Betriebsvereinbarung kündigen und mit dem Betriebsrat über eine Neuregelung verhandeln. Dabei muss
er ggf. die Nachwirkung der bisherigen Betriebsvereinbarung beachten. Eine andere Lösung
besteht darin, für beide Betriebe eine (neue) Gesamtbetriebsvereinbarung abzuschließen.659
(2) Ablösung durch beim Erwerber geltende Gesamtbetriebsvereinbarungen/
Konzernbetriebsvereinbarungen
Eine Ablösung kommt bei einem die Betriebsidentität wahrenden Übergang eines Betriebs/
Betriebsteils auch in Betracht, wenn beim Erwerber bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung besteht.660 Es ist allerdings streitig, ob sich Gesamtbetriebsvereinbarungen auch auf
Betriebe erstrecken, die das Unternehmen nach § 613a BGB erwirbt661 und ob dies für alle
Gesamtbetriebsvereinbarungen662 oder nur für solche gilt, für die der Gesamtbetriebsrat
nach § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig ist.663 Zumindest bei Gesamtbetriebsvereinbarungen aufgrund originärer Zuständigkeit ist von einer ablösenden Wirkung auszugehen. Bei
einer Gesamtbetriebsvereinbarung im Auftrag (§ 50 Abs. 2 BetrVG) sollte eine „Genehmigung“ des für den übergegangenen Betrieb zuständigen Betriebsrates erwogen werden.
656
Willemsen, Teil E, Rn. 44, GK-Kreutz, § 77 BetrVG, Rn. 381.
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
658
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
659
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
660
Willemsen, Teil E, Rn. 50; Fitting, § 50 BetrVG, Rn. 76.
661
Ablehnend Sowka/Weiss, DB 1991, 1518.
662
Fitting, § 50 BetrVG, Rn. 76.
663
LAG München v. 08.11.1988 – 2 Sa 691/88, DB 1989, 1879.
657
208
Ähnlich dürfte die Rechtslage bei Konzernbetriebsvereinbarungen zu beurteilen sein; auch
hier ist fraglich, ob sie normativ weitergeltende Betriebsvereinbarungen ablösen können. Eine normative Weitergeltung kann dann angenommen werden, wenn es sich um eine originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrates nach § 58 Abs. 1 BetrVG handelt.664
Weitere Voraussetzung einer Ablösung ist aber ein identischer Regelungsgegenstand, der
aufgrund der unterschiedlichen originären Zuständigkeiten des Betriebsrates, des Gesamtbetriebsrates bzw. des Konzernbetriebsrates nur in Ausnahmefällen gegeben ist.665
(3) Ablösung durch beim Erwerber geltende Tarifverträge
Die Ablösung von Betriebsvereinbarungen ist bei der Fortführung unter Wahrung der Betriebsidentität der übernommenen Betriebe bzw. Betriebsteile insbesondere in folgenden
Fallkonstellationen denkbar:
 Ein Betrieb oder Betriebsteil geht von einem nicht tarifgebundenen Veräußerer auf ei-
nen tarifgebundenen Erwerber über und eine beim Veräußerer geltende Betriebsvereinbarung hat den gleichen Regelungsgegenstand wie der nunmehr beim Erwerber
geltende Tarifvertrag.
Beispiel:
Im Betrieb des nicht tarifgebundenen Veräußerers V besteht eine Betriebsvereinbarung über
die Zahlung von Urlaubsgeld. Ein Betriebsteil wird vom Erwerber E übernommen, der Mitglied
eines tarifschließenden Arbeitgeberverbandes ist und für den ein (Mantel-)Tarifvertrag gilt, der
auch die Zahlung von Urlaubsgeld regelt.
 Das beim Veräußerer geltende Tarifwerk ist wesentlich weniger umfangreich als das
beim Erwerber geltende, der Veräußerer hat die „Lücken“ durch Betriebsvereinbarungen geschlossen.
 Der Erwerber ist zwar nicht tarifgebunden, er wendet aber entweder die für ihn einschlägigen Tarifverträge an oder – in Bezug auf einzelne Arbeitsbedingungen – in der
Branche, der der Betrieb des Erwerbers angehört, sind tarifliche Regelungen „üblich“
i. S. v. § 77 Abs. 3 BetrVG.
Im ersten und zweiten Fall ist die Betriebsvereinbarung bereits wegen des Eingreifens von
§ 77 Abs. 3 BetrVG oder von § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG unwirksam, also abgelöst.
Beide Normen schließen eine betriebliche Regelung aus, soweit eine tarifliche Regelung besteht oder diese Materie üblicherweise tariflich geregelt wird. Die übergehenden Arbeitnehmer können daher ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs aus einer solchen Betriebsvereinbarung keine Ansprüche mehr herleiten.
Eine andere Frage ist, ob sich die Arbeitnehmer auf die für den Erwerberbetrieb geltenden
Tarifverträge berufen können, wenn auf ihre Arbeitsverhältnisse nicht automatisch der im Betrieb des Erwerbers geltende Tarifvertrag angewandt wird.
Eine normative Wirkung dieser Tarifverträge setzt beiderseitige Tarifgebundenheit voraus.
Diese ist nur dann gegeben, wenn die Arbeitnehmer Mitglied der für den Erwerberbetrieb tarifzuständigen Gewerkschaft sind oder wenn der für den Erwerberbetrieb einschlägige Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde.
664
665
Willemsen, Teil E, Rn. 54.
GK-Kreutz, § 50 BetrVG, Rn. 81.
209
Eine schuldrechtliche Geltung der im Erwerberbetrieb geltenden Tarifverträge kommt nur
dann in Betracht, wenn der Arbeitsvertrag der übergehenden Arbeitnehmer eine große dynamische Bezugnahmeklausel (Tarifwechselklausel) enthält.
Ist der im Erwerberbetrieb geltende Tarifvertrag jedoch weder kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit noch kraft einer Tarifwechselklausel auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer anwendbar, könnte ein Anspruch der übergehenden Arbeitnehmer auf
Anwendung der im Erwerberbetrieb einschlägigen Tarifverträge aus dem arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz folgen.
Dessen Voraussetzungen dürften jedenfalls dann erfüllt sein, wenn der Erwerber die Tarifverträge generell auf alle Arbeitsverhältnisse der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer anwendet. Vor allem bei der Eingliederung des übernommenen Betriebs oder Betriebsteils in
den Betrieb des Erwerbers ist i. d. R. kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung ersichtlich.
Führt der Erwerber den übernommenen Betrieb oder Betriebsteil aber als eigenständigen
Betrieb weiter, können sachliche Gründe für die Differenzierung vorliegen, obwohl das BAG
dazu neigt, den Gleichbehandlungsgrundsatz unternehmensbezogen anzuwenden.666
bb) Ablösung von transformierten Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3
BGB
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB findet nur Anwendung, wenn eine Eingliederung des übertragenden Betriebs oder Betriebsteils unter Aufgabe der Betriebs(teil)identität in einen bereits bestehenden Betrieb des Erwerbers erfolgt.667
Aufgrund des Wortlautes des Gesetzes ist es nicht völlig eindeutig, ob die ablösende Betriebsvereinbarung zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits Geltung beanspruchen oder wenigstens im engen zeitlichen Zusammenhang mit diesem Vorgang abgeschlossen
werden muss. Aufgrund der Rechtsprechung des BAG zur teleologischen Reduzierung des
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB wird man aber davon ausgehen können, dass die Ablösung nicht
unmittelbar zum Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs, sondern auch zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgen kann.668
(1) Ablösung durch beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarungen
Da Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 BetrVG auf die Arbeitsverhältnisse aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer (i. S. d. § 5 BetrVG) normativ einwirken, ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf, kann ein Erwerber die Ablösung betrieblicher Regelungen in
den Eingliederungsfällen durch eine bei ihm bereits geltende oder nach Betriebsübergang 669
geschlossene Betriebsvereinbarung erreichen.
Dabei ist es unerheblich, ob die neue Betriebsvereinbarung für die Arbeitnehmer ungünstigere Regelungen enthält; insoweit gilt nicht das Günstigkeits-, sondern das Ablösungsprinzip.670
666
BAG v. 17.11.1998 – 1 AZR 147/98, NZA 1999, 606.
Willemsen, Teil E, Rn. 45.
668
BAG v. 13.03.2012 – 1 AZR 659/10, NZA 2012, 990; BAG v. 14.08.2001 – 1 AZR 619/00, NZA
2002, 276, Willemsen, Teil E, Rn. 48.
669
BAG v. 28.06.2005 – 1 AZR 213/04, NZA 2005, 1431; BAG v. 14.08.2001 – 1 AZR 619/00,
NZA 2002, 276.
670
BAG v. 28.06.2005 – 1 AZR 213/04, NZA 2005, 1431; BAG v. 14.08.2001 – 1 AZR 619/00,
NZA 2002, 276.
667
210
Allerdings ist eine vor dem Betriebsübergang für einen anderen Betrieb geschlossene Betriebsvereinbarung nur dann eine andere Regelung i. S. d. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, wenn
sie der Sache nach denselben Gegenstand regelt.
Dies setzt jedoch eine nicht in jeder Hinsicht bestehende Deckungsgleichheit der geregelten
Materie voraus. Es genügt, wenn beim Erwerber eine Betriebsvereinbarung besteht, mit der
dieselbe Sachgruppe kollektivvertraglich geregelt ist.671
Keine ablösende Wirkung haben demgegenüber Gesamtzusagen oder betriebliche Übungen
im Erwerberbetrieb.672
(2) Ablösung durch beim Erwerber geltende Gesamtbetriebsvereinbarungen/
Konzernbetriebsvereinbarungen
Die Rechten und Pflichten aus einer Betriebsvereinbarung des Veräußerers können auch
durch eine beim Erwerber geltende und auf denselben Regelungsgegenstand bezogene Gesamtbetriebsvereinbarung oder Konzernbetriebsvereinbarung abgelöst werden. Insoweit gelten die Ausführungen unter D IV 1 b).
(3) Ablösung durch beim Erwerber geltende Tarifverträge
Auch bei transformierten Rechten und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen aufgrund der
Eingliederung des übernommenen Betriebes bzw. Betriebsteils in den Erwerberbetrieb
kann es zu der Situation kommen, dass im Unternehmen des Erwerbers eine tarifliche Regelung besteht, deren Regelungsgegenstand mit der transformierten Betriebsvereinbarung
identisch ist.
Anders als bei der normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen ist es jedoch bei
transformierten Betriebsvereinbarungen fraglich, ob in diesem Fall die Regelungssperre des
§ 77 Abs. 3 BetrVG ebenfalls greift, da die Betriebsvereinbarung als solche nicht mehr existiert.
Entscheidend ist, dass die Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen auch bei der
Transformation nicht Bestandteil des individualrechtlichen Arbeitsvertrages, sondern nur Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. Um einen Wertungswiderspruch zu normativ weitergeltenden Betriebsvereinbarungen zu verhindern, sollten kollisionsrechtlich daher aus Betriebsvereinbarungen transformierte Rechte und Pflichten wie Kollektivnormen behandelt werden.
Eine Verdrängung dieser „Kollektivnormen“ durch beim Erwerber geltende Tarifverträge sollte deshalb möglich sein.673
Da die Frage höchstrichterlich nicht entschieden ist, muss ein Erwerber aber in den Eingliederungsfällen damit rechnen, dass er sich nicht auf § 77 Abs. 3 BetrVG berufen kann und die
Arbeitnehmer weiter Ansprüche aus der transformierten Betriebsvereinbarung geltend machen.
Praxishinweis: Aufgrund dieser Rechtsunsicherheit ist zu erwägen, den übernommenen Betrieb bzw. Betriebsteil zunächst als eigenständigen Betrieb weiterzuführen. Dann gilt die Betriebsvereinbarung normativ weiter und der Erwerber kann sich auf die Regelungssperre des
§ 77 Abs. 3 BetrVG berufen.
Wird der übernommene Betrieb oder Betriebsteil unmittelbar nach dem Betriebsübergang in
den Betrieb des Erwerbers eingegliedert, kann die Ablösung transformierter Betriebsverein671
Willemsen, Teil E, Rn. 47.
Willemsen, Teil E, Rn. 47.
673
Willemsen, Teil E, Rn. 48, 55.
672
211
barungen durch tarifliche Regelungen durch den nach § 613a Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. BGB zulässigen Abschluss einzelvertraglicher Vereinbarungen erreicht werden.
Eine Betriebsvereinbarung, die die beim Erwerber geltenden tariflichen Regelungen für anwendbar erklärt, dürfte dagegen unwirksam sein.674
cc) Ablösung von transformierten Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4
BGB
§ 613a Abs. 1 Satz 4, 1. Alt. BGB ermöglicht die Ablösung von Rechten und Pflichten auch
aus Betriebsvereinbarungen vor Ablauf der Jahresfrist, wenn die Betriebsvereinbarung nicht
mehr gilt. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist damit auf die Fälle beschränkt, in denen der Veräußerer eine Betriebsvereinbarung gekündigt hat und diese gemäß § 77 Abs. 6
BetrVG nachwirkt. Unerheblich ist dabei, ob die Nachwirkung vor oder nach dem Betriebsübergang eintritt. Die Rechtsprechung des BAG zu Tarifverträgen ist insoweit auf Betriebsvereinbarungen zu übertragen.675 Mit der Transformation sind die Rechte und Pflichten vertragsdispositiv und können auch zum Nachteil der Arbeitnehmer durch Vertrag oder Änderungskündigung geändert werden. Da die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, ggf.
auch im Übergangsmandat nach § 21a BetrVG, gewahrt werden müssen, dürfte in der Regel
eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB vorrangig zu prüfen sein.
§ 613a Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. BGB gewinnt Bedeutung, wenn Rechte aus einer beim Veräußerer bestehende Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert worden sind und durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag abgelöst werden sollen, die
übergehenden Arbeitnehmer mangels normativer Tarifgebundenheit aber nicht unter den
Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen. § 613a Abs. 1 Satz 4, 2. Alt. BGB ermöglicht es
dann, einzelvertraglich (Parteien sind also der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer) die Geltung des für den Erwerber einschlägigen Tarifvertrages zu vereinbaren und so die aus der
ursprünglichen Betriebsvereinbarung transformierten Rechte abzulösen.676
674
Picot/Schnitker, Teil I, Rn. 303.
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41.
676
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41
675
212
Zusammenfassender Überblick
Ablösung einer
Veräußerer-Betriebsvereinbarung
durch ErwerberBetriebsVereinbarung
Eigenständige
Fortführung:
Normativ
weitergeltende
BV durch TV
Einzelbetriebsvereinbarung nur bei
Eingliederung in
Erwerberbetrieb
BV wird unwirksam
wegen
Regelungssperre
§ 77 Abs. 3 BetrVG
Gesamtbetriebsvereinbarung:
zumindest bei
originärer
Zuständigkeit § 50
Abs. 1 BetrVG
Ansprüche aus
Erwerber-TV durch
beidseitige
Tarifbindung, große
Bezugnahmeklausel oder
Gleichbehandlungsgrundsatz
möglich
Eingliederung:
Transformierte
BV durch TV
Problem:
Anwendbarkeit
Regelungssperre
§ 77 Abs. 3
BetrVG fraglich
§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB
BV gilt nicht
mehr
Freiwillige
BV:
entfällt bei
ersatzloser
Kündigung
Erzwingbare
BV: kann
einzelvertraglich nicht
abgelöst
werden
Vereinbarung
Erwerber-TV
Bei transformierter BV
und
fehlender
beidseitiger
Tarifgebundenheit
möglich
dd) Sonderfall: Betriebsvereinbarungen auf der Grundlage tariflicher Öffnungsklauseln
Einen Sonderfall bilden Betriebsvereinbarungen, die auf der Grundlage tariflicher Öffnungsklauseln abgeschlossen wurden. Das können sowohl
 tarifliche Klauseln sein, die den Betriebsparteien Abweichungen von tariflichen Regelungen, die nach dem BetrVG beteiligungspflichtig sind, gestatten als auch
 tarifliche Regelungen, die dem Betriebsrat Beteiligungsrechte zugestehen, die diesem
nach dem BetrVG nicht zustehen.
Beispiel:
Regelungen zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, die den Betriebsparteien – über die gesetzliche Zuständigkeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG hinaus – auch eine Regelungskompetenz für die Dauer der Arbeitszeit einräumen. Tariföffnungsklauseln für betriebliche
Bündnisse für Arbeit.
Bei der Frage, ob solche Betriebsvereinbarungen auch nach dem Betriebsübergang weitergelten bzw. transformiert werden, ist zu differenzieren.
(1) Originäre Zuständigkeit nach § 87 Abs. 1 BetrVG
Der Wegfall der tariflichen Rechtsgrundlage für die fragliche Betriebsvereinbarung ist dann
unerheblich, wenn diese einen Regelungsgegenstand betrifft, der bereits nach dem BetrVG
eigentlich der Regelungskompetenz der Betriebsparteien unterfällt und die Tarifparteien nur
die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 BetrVG beseitigen wollen.
Beispiel:
Der maßgebende Manteltarifvertrag regelt eine bestimmte Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit, lässt aber abweichende Betriebsvereinbarungen zu.
213
In diesem Fall besteht die Betriebsvereinbarung weiter, d. h. entweder – bei Weiterführung
des übernommenen Betriebes oder Betriebsteiles als eigenständiger Betrieb – normativ oder
sie wird – bei Eingliederung des übernommenen Betriebes oder Betriebsteils in den Betrieb
des Erwerbers – gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert. Eine Ablösung nach
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kommt ebenfalls in Betracht.
(2) Erweiterte Regelungskompetenz über BetrVG hinaus
Schwierigkeiten treten dann auf, wenn den Betriebsparteien durch Tarifvertrag eine Regelungskompetenz eingeräumt wird, die ihnen nach dem BetrVG nicht zusteht.
In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Betriebsvereinbarungen noch Gültigkeit haben
können, wenn der zugrunde liegende Tarifvertrag nicht mehr normativ für den Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteiles gilt. Es entfällt für diese Betriebsvereinbarungen die
Rechtsgrundlage. Solche tariflichen Regelungen sind als betriebsverfassungsrechtliche
Normen zu qualifizieren, die nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert werden.
Im Ergebnis führt das aber dazu, dass entsprechende Betriebsvereinbarungen als unwirksam zu qualifizieren sind. Für wesentliche Arbeitsbedingungen entfällt die Rechtsgrundlage,
da solche Betriebsvereinbarungen häufig Fragen der Dauer der Arbeitszeit oder – vom Tarif
abweichende – Entgeltregelungen enthalten.
Beispiel:
Im Betrieb des tarifgebundenen Veräußerers V besteht eine Betriebsvereinbarung, nach der
das tariflich geregelte Weihnachtsgeld um 50 % abgesenkt wird. Dies ist nach dem für V geltenden Tarifvertrag auch zulässig. Der Betrieb geht am 01.09.2014 auf den Erwerber E über.
Die Rechtslage ist ungeklärt. Es sind verschiedene Lösungen denkbar:
 Die fragliche Betriebsvereinbarung wird durch das Entfallen der tariflichen Rechtsgrundlage unwirksam. Es wird nur die tarifliche Regelung transformiert. Im Beispielsfall
müsste der Erwerber das Weihnachtsgeld in der tariflichen Höhe zahlen. Das Ergebnis
steht jedoch im Widerspruch zum Schutzzweck des § 613a BGB. Es führt zu einer
Besserstellung der Arbeitnehmer wegen des Betriebsübergangs, da diese einen höheren tariflichen Anspruch erhalten würden, der ihnen ohne den Betriebsübergang nicht
zustehen würde.
 Trotz des Entfallens der maßgebenden tariflichen Rechtsgrundlage gilt die Betriebsvereinbarung doch über eine Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB weiter.
Der Erwerber muss dann nur die in der Betriebsvereinbarung geregelten 50 % der tariflichen Weihnachtsvergütung zahlen.
Praxishinweis: Soweit es möglich ist, sollte der Erwerber versuchen, mit dem zuständigen
Betriebsrat möglichst schnell eine Neuregelung herbeizuführen. Dies ist allerdings nur dann
möglich, wenn die Regelungssperren des § 87 Abs. 1 Eingangssatz oder des § 77 Abs. 3
BetrVG nicht eingreifen. Einzelvertragliche Vereinbarungen, die zu einer Kürzung der tariflichen Ansprüche führen, sind wegen der einjährigen Verschlechterungssperre des § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB nur möglich, wenn gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB die Geltung des für
den Erwerber fachlich einschlägigen Tarifvertrages vereinbart wird.
Nicht weitergelten werden jedenfalls Betriebsvereinbarungen, die auf der Grundlage tariflicher Regelungen die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG erweitern, ohne unmittelbaren Einfluss auf das Arbeitsverhältnis. Da die tarifliche Rechtsgrundlage
214
für solche Betriebsvereinbarungen entfällt, werden sie nach dem Betriebsübergang gegenstandslos.
c) Transformation von Betriebsvereinbarungen – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
aa) Anwendungsbereich der Transformation
Nur dann, wenn eine normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen nach den o. g.
Grundsätzen nicht eingreift und keine Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB erfolgt,
kommt eine Transformation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in Betracht.677
Sie beschränkt sich nach der Rechtsprechung des BAG auf die Fälle, in denen der Erwerber
 den übernommenen Betrieb oder Betriebsteil in seinen Betrieb eingliedert
oder
 mehrere Betriebe oder Betriebsteile zusammenfasst.
Wie bei Tarifverträgen führt die Transformation von Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a
Abs. 1 Satz 2 BGB dazu, dass die in ihnen geregelten Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien ihre normative Wirkung (§ 77 Abs. 4 BetrVG) verlieren und zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden.
Für den Erwerber hat dies zur Folge, dass er nicht vollständig in die betriebsverfassungsrechtliche Position des Veräußerers einrückt. Er kann die (früheren) Betriebsvereinbarungen
nicht kündigen. Will er Rechtspositionen der übergehenden Arbeitnehmer, die auf einer
transformierten Betriebsvereinbarung beruhen, beseitigen, bleibt ihm entweder der Abschluss eines Änderungsvertrages nach Ablauf der Veränderungssperre, die Änderungskündigung oder der Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung, die dann unter den Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablösende Wirkung entfaltet.
Das BAG hat aber entschieden, dass transformierte Regelungen aus einer Betriebsvereinbarung nicht in weiterem Umfang geschützt sind, als sie kollektivrechtlich weitergelten würden.
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist insoweit teleologisch zu reduzieren, dass auch nach der
Transformation von Rechten und Pflichten in das Arbeitsverhältnis gemäß
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB innerhalb der Jahresfrist eine Neuregelung durch eine ablösende
Betriebsvereinbarung möglich ist.678 Das LAG Köln679 hat in einer Entscheidung zur betrieblichen Altersversorgung mit der gleichen Argumentation eine „Lossagung“ des Arbeitgebers
für rechtmäßig gehalten.
Praxishinweis: Betriebsvereinbarungen sollten möglichst noch vor dem Betriebsübergang
und der damit verbundenen Transformation durch den Veräußerer gekündigt werden.
bb) Geltung der Betriebsvereinbarung im Zeitpunkt des Betriebsübergangs
(1) Transformation bestehender (ungekündigter) Betriebsvereinbarungen
Ebenso wie tarifliche Regelungen werden Betriebsvereinbarungen nur in dem Zustand in das
Arbeitsverhältnis transformiert, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs befan-
677
BAG v. 05.05.2015 – 1 ABR 763/13, NZA 2015, 1331.
BAG v. 13.03.2012 – 1 AZR 659/10, NZA 2012, 990; BAG v. 14.08.2001 – 1 AZR 619/00, NZA
2002, 276.
679
LAG Köln v. 08.04.2003 – 1 Sa 1219/02, NZA-RR 2003, 657.
678
215
den. Sie gelten nur statisch weiter.680 Dies bedeutet vor allem, dass die übergehenden Arbeitnehmer an späteren Änderungen der Betriebsvereinbarung im verbleibenden Veräußererbetrieb – unerheblich, ob dies für sie nachteilig oder vorteilhaft ist – nicht teilhaben.
(2) Transformation gekündigter Betriebsvereinbarungen
Bei vom Veräußerer (ersatzlos) gekündigten Betriebsvereinbarungen stellt sich vor allem die
Frage, wie lange der Erwerber an eine gekündigte Betriebsvereinbarung gebunden ist und
ob die einjährige Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gilt.
Wenn der Zeitpunkt des Betriebsübergangs bzw. des Übergangs der Leitungsmacht noch
innerhalb der Kündigungsfrist liegt, werden die entsprechenden Vorschriften der Betriebsvereinbarung transformiert.
(a) Freiwillige Betriebsvereinbarung
Eine freiwillige Betriebsvereinbarung endet mit dem Ablauf der Kündigungsfrist. Ein anderes Ergebnis würde dazu führen, dass die übergehenden Arbeitnehmer besser stünden
als sie ohne den Betriebsübergang stehen würden. Beim Veräußerer findet eine ersatzlos
gekündigte freiwillige Betriebsvereinbarung mit Ablauf der Kündigungsfrist ihr Ende. Mit Ablauf der Kündigungsfrist verlieren die übergehenden Arbeitnehmer daher ihre Ansprüche aus
einer transformierten Betriebsvereinbarung auch gegenüber dem Erwerber.681
Beispiel:
Im Betrieb des Veräußerers V galt eine Betriebsvereinbarung über eine monatlich zu zahlende
Familienzulage, die von V am 20.01.2015 zum 30.04.2015 ersatzlos gekündigt wurde. Am
01.02.2015 wird ein ausgegliederter Betriebsteil auf den Erwerber E übertragen, der diesen Betriebsteil in seinen eigenen Betrieb eingliedert. Bei E besteht keine entsprechende Betriebsvereinbarung. Die übergehenden Arbeitnehmer können noch (gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB)
für die Monate Februar bis April 2015 die Familienzulage verlangen.
(b) Zwingende Betriebsvereinbarungen (Nachwirkung)
Ebenso wie bei Tarifverträgen stellt sich auch bei transformierten Betriebsvereinbarungen
die Frage, wie sich die Rechtslage bei nachwirkenden Betriebsvereinbarungen darstellt. Im
Schrifttum wird sowohl für die Tarifverträge als auch für die Betriebsvereinbarung auf die
zwingende Wirkung abgestellt.
Zwar können auch nachwirkende Kollektivvereinbarungen transformiert werden, für sie gelte
aber die einjährige Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht.682
Dem ist für nachwirkende Betriebsvereinbarungen über Gegenstände der zwingenden Mitbestimmung (insbesondere § 87 Abs. 1 BetrVG) zu folgen. Diese wirken nur noch - ähnlich
wie nachwirkende Tarifverträge683 - gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. Die einjährige Verschlechterungssperre findet keine Anwendung.
Die transformierten Regelungen können auch durch eine (neue) beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden. Auch eine Ablösung
nach § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB ist möglich.684
680
BAG v. 05.05.2015 – 1 AZR 763/13, NZA 2015, 1331.
Willemsen, Teil E, Rn. 41; Schiefer, Rn. 285.
682
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 121.
683
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
684
D IV 1. b) cc).
681
216
(c) Teilmitbestimmte Betriebsvereinbarung
Für den besonders wichtigen Fall der teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen über freiwillige Entgeltzusatzleistungen des Arbeitgebers tritt jedoch bei der Transformation nahezu das
gleiche Problem wie bei den normativ weitergeltenden (nachwirkenden) Betriebsvereinbarungen auf. Es ist fraglich, ob eine vom Veräußerer erklärte Kündigung mit dem Ziel einer
Änderung des Dotationsvolumens, mit der Folge einer Nachwirkung, dazu führt, dass auch
der Erwerber an diese (gekündigte) Betriebsvereinbarung im Rahmen des § 613a Abs. 1
Satz 2 BGB gebunden ist.
Die Rechtslage ist ungeklärt. Gegen eine Nachwirkung der gekündigten teilmitbestimmten
Betriebsvereinbarung gegenüber dem Erwerber spricht, dass ihm der Umstand nicht zugerechnet werden kann, dass der Veräußerer die Betriebsvereinbarung nicht ersatzlos, sondern mit dem Ziel einer – veränderten – Neuregelung gekündigt hat. Wenn der Erwerber eine
Neuregelung des in der gekündigten Betriebsvereinbarung geregelten Gegenstandes nicht
beabsichtigt, dann muss er so behandelt werden, als ob er selbst die Betriebsvereinbarung
ersatzlos gekündigt hätte. Der Erwerber wäre nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist an die
transformierte Betriebsvereinbarung gebunden.
Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung das Problem anders bewerten
und dem Arbeitnehmer weiterhin Ansprüche aus der „alten“, nachwirkenden Betriebsvereinbarung zusprechen wird.
Anders als bei der kollektivrechtlichen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen hat der
Erwerber bei transformierten Betriebsvereinbarungen nicht die Möglichkeit, diese zu kündigen. Es besteht die Gefahr, dass eine transformierte nachwirkende Betriebsvereinbarung nur
über eine Änderungskündigung oder über eine beim Erwerber geltende und ggf. neu abzuschließende Betriebsvereinbarung (mit dem dann zuständigen Betriebsrat) beseitigt werden
kann.
Praxishinweis: Es ist zu empfehlen, eine solche Betriebsvereinbarung erst vom Erwerber
ersatzlos kündigen zu lassen. In diesem Fall ist eine Nachwirkung ausgeschlossen.
cc) Umfang der Transformation
Der Umfang der Transformation, d. h. welche betrieblichen Regelungen in Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt der übergehenden Arbeitsverhältnisse werden, ist im Bereich der Betriebsvereinbarungen ungeklärt.
Im Schrifttum wird überwiegend parallel zum Tarifrecht angenommen, übergangsfähig seien
in erster Linie Inhaltsnormen, außerdem ausnahmsweise auch Abschluss- und Beendigungsnormen.685 Betriebsnormen, die die Organisation des Betriebes beträfen, würden allenfalls dann transformiert, wenn sie auch Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer normieren
würden.686
Zu beachten ist dabei, dass nur die Rechte und Pflichten, die durch eine Betriebsvereinbarung geregelt sind, transformiert werden, nicht die ganze Betriebsvereinbarung. Eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Rechte und Pflichten ist daher unproblematisch möglich.
In aller Regel sind daher solche Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen weiter zu gewähren,
die dem Arbeitnehmer als solchem – also als einzelnem Mitglied der Belegschaft – eingeräumt werden (etwa Gratifikation, Fahrtkostenersatz und Auslöse.)687
685
Meyer, DB 2000, 1174.
Willemsen, Teil E, Rn. 37.
687
Bachner, NZA 1997, 79, 82.
686
217
In Bezug auf Sachleistungen oder die Nutzung von Sozialeinrichtungen stellt sich wie
bei der normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen für den Erwerber die Problematik, ob er diese Sachleistung überhaupt gewähren kann. Auch hier ist davon auszugehen,
dass im Falle der Unmöglichkeit ggf. Wertersatz zu leisten ist.
Hingegen dürften sich zu transformierende Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer aus Betriebsvereinbarungen, die die Organisation und die Zusammenarbeit der Belegschaft als
Ganzes betreffen sowie die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeitnehmer im
Betrieb nur in seltenen Fällen ergeben.
Je nach der Ausgestaltung von bei dem Veräußerer abgeschlossenen Sozialplänen können
auch Rechte auf Abfindungen in das Arbeitsverhältnis transformiert werden.688
Im Vergleich zur normativen Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen ist die Rechtslage
für den Erwerber bei der Transformation von Rechten und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen ungünstiger, weil er nicht in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Veräußerers einrückt und dementsprechend auch nicht das Recht hat, sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen und damit eine Anpassung des Sozialplans erzwingen zu können.
Zusammenfassender Überblick
Regelungsgegenstand
Transformation
Anmerkungen
Entgeltzusatzleistungen
JA
Sachleistungen
NEIN, wenn für Erwerber
unmöglich
ggf. Wertersatzanspruch
Verfahrensorganisatorische
Abreden zwischen den
Betriebsparteien
JA/NEIN
Erwerber sollte Vorgaben soweit
möglich einhalten, wenn sie Bezug
zum Arbeitsverhältnis aufweisen
Sozialplanansprüche
grds. JA
Ausnahme bei Anspruchsausschluss für zumutbare Weiterbeschäftigung
dd) Einjährige Verschlechterungssperre
Ebenso wie bei Tarifverträgen können transformierte Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vor Ablauf eines Jahres zum Nachteil des
Arbeitnehmers geändert werden. Damit sind nicht nur Änderungen durch einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auch freiwillig abgeschlossene einzelvertragliche Vereinbarungen, die die Rechtsposition des Arbeitnehmers verschlechtern, unzulässig, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB verstoßen.
Für den besonders wichtigen Bereich der Entgeltzusatzleistungen bedeutet das, dass die
Arbeitnehmer auf die transformierten Ansprüche nicht vor Ablauf eines Jahres wirksam verzichten können.
Sollen Entgeltzusatzleistungen nicht vollständig beseitigt, sondern geändert bzw. reduziert
werden, wird die Möglichkeit der einzelvertraglichen Abänderung ohnehin kaum eine Rolle
spielen, weil in diesem Fall ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr.
688
D IV 1. a) bb)) (2) (e).
218
10 BetrVG jedenfalls dann besteht, wenn mehrere Arbeitnehmer betroffen sind und damit eine kollektive Maßnahme vorliegt.
Wegen der ablösenden Wirkung von Betriebsvereinbarungen im Erwerberbetrieb nach
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB werden daher einzelvertragliche Vereinbarungen, mit denen
Rechte und Pflichten aus transformierten Betriebsvereinbarungen zum Nachteil der Arbeitnehmer geändert werden, i. d. R. kaum eine Rolle spielen.
Höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, ob die Veränderungssperre bedeutet, dass der Ausspruch von Änderungskündigungen mit unterschiedlichen Kündigungsfristen erst nach Ablauf
eines Jahres möglich ist689 oder ob Änderungskündigungen schon vor Ablauf des Jahres mit
Wirkung ab dem Jahresende möglich sind.
Der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB lässt beide Auslegungen zu. Letztlich stammen
die transformierten Rechte, die hier im Wege der Änderungskündigung geändert werden sollen, aus beim Erwerber gegenüber allen Mitarbeitern wirkenden Betriebsvereinbarungen. Betriebsvereinbarungen werden immer einheitlich gegenüber allen Arbeitnehmern zu dem gleichen Zeitpunkt beendet.
Diesem kollektiven Verständnis der Wirkung von Beendigungstatbeständen bei Betriebsvereinbarungen würde es entsprechen, wenn Änderungskündigungen einheitlich mit Wirkung
zum Ablauf der Veränderungssperre möglich wären.
Zusammenfassender Überblick
§ 613a BGB - Verschlechterungssperre
§ 613a BGB Abs. 1 S. 2 – 4 BGB
§ 613a Abs. 1
S. 1 BGB
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Einzelvertragliche
Vereinbarungen
Kollektivrechtliche
Weitergeltung
Transformation
(Satz 2)
Anwendungsbereich
Verschlechterungssperre
§ 613a Abs. 1 S. 2 a. E.
Ablösung
Gesetzlich
(Satz 3)
Vertraglich
(Satz 4)
Einzelvertragliche
Regelung i. d. R. wegen
Mitbestimmungsrecht
des Betriebsrates nicht
möglich
2. Gesamtbetriebsvereinbarungen
Auch Gesamtbetriebsvereinbarungen können wie Einzelbetriebsvereinbarungen normativ
weitergelten, transformiert oder abgelöst werden. Insoweit gelten grundsätzlich die gleichen
Rechtsgrundsätze wie bei Einzelbetriebsvereinbarungen. Allerdings ergeben sich bei Ge-
689
Schiefer, Rn. 282 a.
219
samtbetriebsvereinbarungen einige besondere Fragestellungen, die zum Teil eine abweichende rechtliche Bewertung erfordern.
a) Unveränderte normative Weitergeltung
aa) Erwerber ohne eigenen Betrieb
(1) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
Ob und wie Gesamtbetriebsvereinbarungen nach einem Betriebsübergang normativ weitergelten, ist durch zwei Grundsatzentscheidungen des BAG weitgehend geklärt.690 Ebenso wie
bei Einzelbetriebsvereinbarungen kommt es für die Frage, ob Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ fortwirken, zentral darauf an, ob die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile
als selbstständige Betriebe fortgeführt werden. Entscheidend ist eine sog. „Identitätswahrung“. Diese ist auch zu bejahen bei der Verselbstständigung eines übernommenen Betriebsteiles und dessen Weiterführung als eigenständiger Betrieb. Auch in diesem Fall gelten
die Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ weiter. Es ist weder eine Unternehmensidentität
erforderlich noch ein Unternehmensbezug.691.
Die zentralen Aussagen des BAG können dabei wie folgt zusammengefasst werden:
 Gesamtbetriebsvereinbarungen, die auf der Grundlage des § 50 Abs. 2 BetrVG (Beauftragung durch die Betriebsräte) abgeschlossen wurden, sind in Wirklichkeit eine
vom Gesamtbetriebsrat abgeschlossene Einzelbetriebsvereinbarung. Es wird insoweit
auf die Ausführungen unter D. IV 1. verwiesen.
 Für Gesamtbetriebsvereinbarungen aufgrund originärer Zuständigkeit nach § 50 Abs.
1 BetrVG gilt:
o Werden alle Betriebe eines Unternehmens übernommen, gelten die Gesamtbetriebsvereinbarungen als solche normativ weiter.
o Werden nicht alle, aber eine gesamtbetriebsratsfähige Anzahl von Betrieben eines Unternehmens unter Wahrung ihrer Betriebsidentität übernommen, gelten die
Gesamtbetriebsvereinbarungen als solche normativ weiter.
o Wird nur ein einzelner Betrieb oder eine nicht gesamtbetriebsratsfähige692 Anzahl
von Betrieben übernommen, gelten die bisherigen Gesamtbetriebsvereinbarungen
normativ als Einzelbetriebsvereinbarungen weiter.
o Wird nur ein Betriebsteil übernommen und dieser als eigenständiger Betrieb fortgeführt, gelten die bisherigen Gesamtbetriebsvereinbarungen ebenfalls normativ als
Einzelbetriebsvereinbarung weiter.
Die normative Weitergeltung ist selbst dann gegeben, wenn nach der Ausgliederung eines
Betriebsteils und dem Betriebsübergang wegen Unterschreitens der Arbeitnehmerzahl nach
§ 1 BetrVG der selbstständig fortgeführte Betriebsteil nicht mehr betriebsratsfähig ist.693
690
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 607; BAG v. 05.05.2015 – AZR 763/13, NZA 2015,
1331.
691
BAG v. 05.05.2015 - 1 AZR 763/13, NZA 2015, NZA 2015, 1331 unter Auseinandersetzung mit den
kritischen Stimmen in der Literatur.
692
Das ist dann der Fall, wenn mehrere nicht betriebsratsfähige Betriebe oder nicht betriebsratsfähige
selbstständig weitergeführte Betriebsteile übertragen wurden.
693
vgl. dazu D IV 1. a) aa) (1).
220
(2) Änderung oder Kündigung nach Betriebsübergang
Die Frage, ob Gesamtbetriebsvereinbarungen als Gesamt- oder als Einzelbetriebsvereinbarung fortwirken, ist entscheidend für die Frage, wem gegenüber eine Kündigung der fraglichen (früheren) Gesamtbetriebsvereinbarung auszusprechen ist und mit wem ggf. über eine
Neuregelung zu verhandeln ist.
 Soweit Gesamtbetriebsvereinbarungen betroffen sind, die auf der Grundlage des § 50
Abs. 2 BetrVG abgeschlossen wurden, ist ungeklärt, ob die Kündigung gegenüber
dem Gesamtbetriebsrat oder gegenüber dem bzw. den Einzelbetriebsräten zu erklären
ist. Zumindest dann, wenn eine gesamtbetriebsratsfähige Anzahl von Betrieben übergeht und bei dem Erwerber ein neuer Gesamtbetriebsrat gegründet wird, ist die Kündigung von dem Erwerber gegenüber diesem Gesamtbetriebsrat auszusprechen und
nicht gegenüber einem einzelnen Betriebsrat.694 Inwieweit dies auch gilt, wenn das
übernehmende Unternehmen im Erwerbszeitpunkt bereits einen eigenen Gesamtbetriebsrat gebildet hat, hat das BAG ausdrücklich offengelassen.695
Praxishinweis: Daher sollte eine Gesamtbetriebsvereinbarung, die der Gesamtbetriebsrat
aufgrund einer Ermächtigung nach § 50 Abs. 2 BetrVG abgeschlossen hat, sicherheitshalber
sowohl gegenüber dem Gesamtbetriebsrat als auch gegenüber den Einzelbetriebsräten der
Betriebe, für die die Betriebsvereinbarung gilt, gekündigt werden.
 Soweit Gesamtbetriebsvereinbarungen betroffen sind, die auf einer originären Zuständigkeit (§ 50 Abs. 1 BetrVG) beruhen, ist zu differenzieren:
o Übernimmt ein Unternehmensträger, der bislang keinen Betrieb besaß, alle Betriebe eines anderen Unternehmens, gelten die Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ weiter. Will der Erwerber die Gesamtbetriebsvereinbarung ändern, muss er diese
gegenüber dem weiter bestehenden696 Gesamtbetriebsrat kündigen bzw. über eine
Neuregelung mit ihm verhandeln.
o Führte der Erwerber vor dem Betriebsübergang keinen eigenen Betrieb und übernimmt er mehrere gesamtbetriebsratsfähige Betriebe bzw. führt ausgegliederte
Betriebsteile als eigene (gesamtbetriebsratsfähige) Betriebe fort, besteht in dem Erwerberunternehmen eine gesamtbetriebsratslose Zeit.697 Der Erwerber kann in diesem Fall die Betriebsvereinbarung erst wieder abändern, wenn sich in seinem Unternehmen ein neuer Gesamtbetriebsrat konstituiert hat. Bis dahin kommt eine inhaltliche Abänderung der Gesamtbetriebsvereinbarung nicht in Betracht.698
Der Erwerber hat aber die Möglichkeit, die normativ weitergeltende Gesamtbetriebsvereinbarung durch gleichzeitige Kündigung gegenüber allen Einzelbetriebsräten (auch im Übergangsmandat nach § 21a BetrVG) vollständig zu kündigen.699
In den nicht betriebsratsfähigen Betrieben muss die Kündigung der (Gesamt-)Betriebsvereinbarung gegenüber allen betroffenen Arbeitnehmern erfolgen. 700
Wollen die Einzelbetriebsräte der übernommenen Betriebe ihrerseits kündigen, kön-
694
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
696
BAG v. 05.06.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336.
697
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
698
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
699
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
700
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
695
221
nen sie dies selbst gemeinsam nicht, sondern nur der von ihnen zu bildende Gesamtbetriebsrat.701
Beispiel:
Der Veräußerer V ist Inhaber eines Unternehmens mit zehn Betrieben, die jeweils mehr als fünf
Arbeitnehmer haben. Hiervon veräußert er drei Betriebe an den Erwerber E; außerdem gliedert
er aus vier weiteren Betrieben jeweils Betriebsteile aus, zwei davon mit weniger als fünf Arbeitnehmern, die ebenfalls an E übertragen werden und die dieser als selbstständige Betriebe fortführt.
o Führte der Erwerber vor dem Betriebsübergang keinen eigenen Betrieb und führt er
einen einzelnen Betrieb oder den übernommenen Betriebsteil als eigenständigen
Betrieb fort, gilt Folgendes: Die bisherige Gesamtbetriebsvereinbarung wirkt als Einzelbetriebsvereinbarung normativ fort. Der Erwerber kann diese gegenüber dem
dann zuständigen Betriebsrat (ggf. im Rahmen dessen Übergangsmandats) kündigen und mit ihm ggf. über eine Neuregelung verhandeln.702
Zusammenfassender Überblick
Gesamtbetriebsvereinbarung und § 613a BGB
- Identitätswahrender Übergang beim Erwerber ohne Betrieb im Auftrag
Originäre Zuständigkeit
§ 50 Abs. 2 BetrVG
§ 50 Abs. 1 BetrVG
stellt in Wirklichkeit eine
Einzelbetriebsvereinbarung dar
Übergang aller
oder mehrerer
Betriebe oder
Betriebsteile
Übergang nur
eines Betriebes
Übergang nur
eines Betriebsteils
Weitergeltung beim
Erwerber als
Einzelbetriebsvereinbarung
Weitergeltung beim
Erwerber als
Gesamtbetriebsvereinbarung
Weitergeltung beim
Erwerber als
Einzelbetriebsvereinbarung
Weitergeltung beim
Erwerber als
Einzelbetriebsvereinbarung
Kündigung grds. ggü.
Einzelbetriebsräten
Kündigung grds.
ggü.
Einzelbetriebsräten
Kündigung ggü.
Einzelbetriebsrat
Kündigung grds.
ggü. Betriebsrat
(§ 21a BetrVG)
Hinweis: Kündigung ggü.
Gesamtbetriebsrat
zusätzlich zu empfehlen
Hinweis: In nicht
betriebsratsfähigen
Betriebsstellen ggü.
jedem Arbeitnehmer
Hinweis: in nicht
betriebsratsfähigen
Betriebsstellen ggü.
jedem Arbeitnehmer
bb) Erwerber mit eigenem Betrieb
(1) Anwendungsbereich der normativen Weitergeltung
Ausdrücklich offengeblieben ist es in der Entscheidung des BAG703, ob diese Grundsätze
auch dann gelten, wenn das erwerbende Unternehmen zu dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs einen eigenen Betrieb oder sogar mehrere Betriebe und einen Gesamtbetriebsrat besitzt und der Erwerber den übernommenen Betrieb oder Betriebsteil in seinen eigenen Betrieb eingliedert und damit die Identität dieser Betriebe „zerstört“.
701
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
703
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
702
222
Nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB muss in diesen Fällen ebenso wie bei Einzelbetriebsvereinbarungen von einer Transformation der Gesamtbetriebsvereinbarungen ausgegangen werden, es sei denn, es besteht eine Betriebsvereinbarung mit identischem Regelungsgegenstand mit ablösender Wirkung.
(2) Änderung oder Kündigung nach Betriebsübergang
Auch hinsichtlich der Änderungsmöglichkeit und der Kündigung ist die Rechtslage unklar,
wenn der Erwerber bereits vor dem Betriebsübergang Inhaber eigener Betriebe war. Bei der
rechtlichen Bewertung sollte zwischen betriebsratslosen und Betrieben mit Betriebsrat unterschieden werden.
 Betriebsratslose Betriebe des Erwerbers: Führt der Erwerber die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile als eigenständige Betriebe oder nur einen Betrieb bzw. einen
ausgegliederten Betriebsteil eigenständig fort, ist davon auszugehen, dass die früheren
Gesamtbetriebsvereinbarungen bei der Übernahme mehrerer Betriebe bzw. Betriebsteile (nur) in diesen Betrieben normativ weitergelten; bei der Übernahme oder Fortführung mehrerer Betriebe als Gesamtbetriebsvereinbarung oder bei der Übernahme eines Betriebes bzw. Betriebsteils als Einzelbetriebsvereinbarung.
Ein rechtserheblicher Unterschied zu den vom BAG entschiedenen Fällen besteht
nicht. Der Erwerber kann daher die normativ weitergeltende (Gesamt-)Betriebsvereinbarung ersatzlos gegenüber den übergegangenen Arbeitnehmern kündigen, da
es kein handlungsfähiges Betriebsverfassungsorgan mehr gibt, das für eine inhaltliche
Änderung der Gesamtbetriebsvereinbarung infrage käme.704 Eine Neuregelung wird er
allerdings nur erreichen können, wenn für alle Betriebe seines Unternehmens (also
sowohl die bisherigen als auch die übernommenen Betriebe bzw. Betriebsteile) gemäß
§ 47 BetrVG ein neuer Gesamtbetriebsrat errichtet wurde.
 Betriebe mit Betriebsrat des Erwerbers: Führt der Erwerber die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile nicht mit seinen Betrieben zusammen, ist auch in dieser Fallkonstellation von einer normativen Weitergeltung früherer Gesamtbetriebsvereinbarungen grundsätzlich auszugehen.
Die in den anderen Betrieben des Erwerbers geltenden Betriebsvereinbarungen haben
mangels betriebsverfassungsrechtlicher Zuständigkeit der dort bestehenden Betriebsräte keine ablösende Wirkung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB.705
Der Erwerber kann die weitergeltende (Gesamt-)Betriebsvereinbarung nach den obigen Grundsätzen kündigen, muss aber über eine Neuregelung mit dem – ggf. neu zu
konstituierenden – Gesamtbetriebsrat verhandeln.
cc) Umfang der normativen Weitergeltung
In welchem Umfang Gesamtbetriebsvereinbarungen normativ weitergelten, richtet sich nach
den gleichen Grundsätzen wie für die normative Weitergeltung von Einzelbetriebsvereinbarungen.
Einzelbetriebsvereinbarungen sollen nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich unverändert normativ weitergelten, wenn die Identität des Betriebes im Wesentlichen gewahrt
bleibt.706 Dies hat das BAG später dahin gehend erweitert, dass dies auch dann gilt, wenn
704
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41.
706
BAG v. 27.07.1994 – 7 ABR 37/93, NZA 1995, 222; BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01,
NZA 2002, 1034; BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
705
223
lediglich Betriebsteile veräußert werden, die vom Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt werden.707 Es bedarf keiner weiteren, rechtsgeschäftlichen Handlung des Erwerbers, um diese Rechtsfolge herbeizuführen. Sie tritt vielmehr automatisch ein.
Eine weitere Ausnahme von der normativen Weitergeltung von Gesamtbetriebsvereinbarungen kommt aber dann in Betracht, wenn nicht alle Betriebe eines Unternehmens
übertragen werden. Das BAG708 hat in seiner Entscheidung angedeutet, dass im Einzelfall
eine Fortgeltung daran scheitern könne, dass die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die
Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetze und nach dem Betriebsübergang gegenstandslos werde.
Von dieser Einschränkung sind vorwiegend betriebsorganisatorische Fragen betroffen, die
für alle Betriebe eines Unternehmens einheitlich gelten.
Beispiel:
Im Unternehmen des Veräußerers V existiert eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum betriebsübergreifenden Intranet. Auf den Erwerber E werden nur einzelne Betriebe (oder Betriebsteile)
übertragen.
Darüber hinaus gelten auch Betriebsvereinbarungen über organisatorische Fragen zur
Zusammenarbeit mit dem Gesamtbetriebsrat, z. B. gemäß § 47 Abs. 4 BetrVG, jedenfalls
dann nicht normativ weiter, wenn nicht alle Betriebe eines Unternehmens übertragen wurden. Selbst wenn aber alle Betriebe eines Unternehmens übertragen werden, ist es – wie bei
Einzelbetriebsvereinbarungen – fraglich, ob diese normativ weitergelten bzw. ob der Erwerber insoweit in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Veräußerers einrückt. Insoweit
dürfte die Rechtslage mit der bei Firmentarifverträgen identisch sein, bei denen das BAG
ebenfalls annimmt, dass der Erwerber nicht automatisch in die Stellung des Veräußerers als
Vertragspartei einrückt.709
Praxishinweis: Will der Erwerber diese Betriebsvereinbarungen beibehalten, empfiehlt es
sich daher, eine Übernahmevereinbarung oder eine neue, gleich lautende Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat abzuschließen.
Hingegen gelten die für die übergehenden Arbeitnehmer besonders wichtigen Gesamtbetriebsvereinbarungen zu unternehmenseinheitlichen Entgeltzusatzleistungen durchweg
weiter, da diese nicht zwingend die Zugehörigkeit zum Unternehmen voraussetzen.
b) Ablösung von Gesamtbetriebsvereinbarungen
aa) Erwerber ohne eigene Betriebe – selbstständige Fortführung der übernommenen
Betriebe
Für die Ablösung ist zwischen den Fallkonstellationen zu unterscheiden, dass
 nur ein Betrieb oder Betriebsteil übertragen und vom Erwerber als eigenständiger Betrieb fortgeführt wird oder
 mehrere – gesamtbetriebsratsfähige – Betriebe oder Betriebsteile übertragen und als
eigenständige Betriebe fortgeführt werden.
707
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, NZA 2003, 670.
709
BAG v. 20.06.2001 – 4 AZR 295/00, NZA 2002, 517; BAG v. 29.08.2001 – 4 AZR 332/00,
NZA 2002, 513.
708
224
Nur im erstgenannten Fall kann der Erwerber die (früheren) Gesamtbetriebsvereinbarungen
durch Neuverhandlungen mit dem zuständigen Betriebsrat (auch § 21 BetrVG) abändern, da
diese nach dem Betriebsübergang als Einzelbetriebsvereinbarungen weitergelten.
In den anderen Fällen ist grundsätzlich eine Ablösung nur durch eine neue Gesamtbetriebsvereinbarung mit dem – ggf. neu zu bildenden – Gesamtbetriebsrat möglich, da die übergehende Gesamtbetriebsvereinbarung bei mehreren übernommenen Betrieben ihren Status als
Gesamtbetriebsvereinbarung nicht verliert.
Allerdings sind auch Fallkonstellationen denkbar, in denen der Erwerber die Möglichkeit hat,
die Gesamtbetriebsvereinbarung durch (mehrere) Einzelbetriebsvereinbarungen abzulösen.
Insbesondere kann durch Umorganisation der übernommenen Betriebe oder Betriebsteile
die vom BAG geforderte zwingende sachliche Notwendigkeit für eine unternehmenseinheitliche Regelung710 entfallen, sodass dann auch keine originäre Zuständigkeit des (ggf. neu zu
bildenden) Gesamtbetriebsrats gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG mehr besteht. Die Betriebsräte
der einzelnen übernommenen Betriebe werden (wieder) zuständig.
Beispiel:
Der Veräußerer V hatte in seinem Unternehmen mit zehn Betrieben eine Gesamtbetriebsvereinbarung über eine freiwillige Weihnachtsgratifikation abgeschlossen, für die – weil V diese
Leistung nur allen Arbeitnehmern unternehmenseinheitlich gewähren wollte – die originäre Zu711
ständigkeit des Gesamtbetriebsrates nach § 50 Abs. 1 BetrVG bestand.
Der Erwerber E
übernimmt drei Betriebe dieses Unternehmens und führt sie unverändert fort. Damit wirkt die
Gesamtbetriebsvereinbarung kollektivrechtlich weiter. E möchte jedoch bei den Entgeltstrukturen stärker zwischen den einzelnen Betrieben differenzieren und ein Weihnachtsgeld zahlen,
dass zum Teil von der Ertragslage des jeweiligen Betriebes abhängig ist. Damit entfällt die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates, da eine unternehmenseinheitliche Regelung nicht mehr
zwingend notwendig ist, sodass die Betriebsräte der einzelnen (übergegangenen) Betriebe für
die Regelung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zuständig sind.
Praxishinweis: Trotz der dargestellten Möglichkeit der Ablösung sollte der Erwerber die Gesamtbetriebsvereinbarung abhängig von der Fallkonstellation gegenüber dem Gesamtbetriebsrat, den einzelnen Betriebsräten oder den einzelnen Arbeitnehmern gegenüber kündigen.
bb) Erwerber mit eigenen Betrieben
(1) Selbstständige Fortführung der übernommenen Betriebe
Die im Unternehmen des Erwerbers geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen können gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ablösende Wirkung auch gegenüber den normativ weitergeltenden (Gesamt-)Betriebsvereinbarungen haben, wenn man davon ausgeht, dass eine bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung auch neu hinzukommende Betriebe erfasst. Das ist
jedenfalls bei Gesamtbetriebsvereinbarungen mit originärer Zuständigkeit anzunehmen (§ 50
Abs. 1 BetrVG).712 Weitere Voraussetzung ist dafür, dass die Regelungsgegenstände identisch sind.
710
BAG v. 11.12.2001 – 1 AZR 193/01, NZA 2002, 688; BAG v. 23.10.2002 – 7 ABR 55/01,
NZA 2003, 1360.
711
BAG v. 11.02.1992 – 1 ABR 51/91, NZA 1992, 702.
712
LAG München v. 08.11.1988 – 2 Sa 691/88, DB 1989, 1879.
225
(2) Ablösung bei Eingliederung der übernommenen Betriebe in den Erwerberbetrieb
gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB
Eine Ablösung der Gesamtbetriebsvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bei der
Eingliederung in den Erwerberbetrieb kommt sowohl durch Einzel- als auch durch Gesamtbetriebsvereinbarungen in Betracht.
Es ist zwischen folgenden Fallkonstellationen zu unterscheiden:
 Der Erwerber war vor dem Betriebsübergang bereits Inhaber eines Betriebes, in dem
ein Betriebsrat existiert. Er gliedert den übernommenen Betrieb bzw. Betriebsteil in
diesen Betrieb ein. Eine übergehende Gesamtbetriebsvereinbarung kann in diesem
Fall durch eine im Betrieb des Erwerbers bestehende (Einzel-)Betriebsvereinbarung
nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden, wenn die Regelungsgegenstände
identisch sind.
 Der Erwerber war vor dem Betriebsübergang Inhaber mehrerer Betriebe mit Betriebsräten und Gesamtbetriebsrat. Er übernimmt einen oder mehrere Betriebe und Betriebsteile und gliedert diese in (verschiedene) Betriebe seines Unternehmens ein. Die
übergehende Gesamtbetriebsvereinbarung kann bei Vorliegen identischer Regelungsbereiche entweder durch die in den einzelnen Betrieben bestehenden Betriebsvereinbarungen oder durch eine schon bisher im Unternehmen des Erwerbers geltende Gesamtbetriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden.
Beispiel:
Im Unternehmen des Erwerbers E besteht bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die
Zahlung von Urlaubsgeld in Höhe eines halben Monatsgehalts. Er übernimmt einen Betrieb, in
dem bisher eine Gesamtbetriebsvereinbarung galt, nach der ein Urlaubsgeld in Höhe eines Monatsgehalts zu zahlen war und gliedert diesen Betrieb sofort nach dem Betriebsübergang in einen seiner Betriebe ein. Für die übergehenden Arbeitnehmer gilt in diesem Fall die bereits bei E
bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung, sodass sie nur noch einen Anspruch auf ein halbes
Monatsgehalt Urlaubsgeld haben.
Dabei spielt in Bezug auf bereits bestehende Gesamtbetriebsvereinbarungen der oben
erwähnte Streit, ob sich diese auch auf neu hinzukommende Betriebe erstrecken, keine
Rolle, da die übernommenen Betriebe ja eingegliedert werden und daher ohne Weiteres
unter den Geltungsbereich bestehender Gesamtbetriebsvereinbarungen fallen.
226
Zusammenfassender Überblick
Ablösung der übernommenen Gesamtbetriebsvereinbarung
Erwerber ohne eigenen Betrieb
Übernahme nur
eines Betriebes
Übernahme aller
oder mehrerer
Betriebe
Weitergeltung beim
Erwerber als
Einzelbetriebsvereinbarung
Weitergeltung
beim Erwerber als
Gesamtbetriebsvereinbarung
Ablösung durch
neue Betriebsvereinbarung mit
zuständigem
Betriebsrat
(auch § 21 BetrVG)
Ablösung durch
neue
Gesamtbetriebsvereinbarung mit
neu zu bildendem
Gesamtbetriebsrat
Erwerber mit eigenem Betrieb
selbstständige
Fortführung der
übernommenen
Betriebe
Ablösung durch
Gesamtbetriebsvereinbarung im
Erwerberbetrieb
Zumindest bei
originärer
Zuständigkeit (§ 50
Abs. 1 BetrVG)
Eingliederung in Erwerberbetrieb
Nur ein
Betriebsrat im
Erwerberbetrieb
Betriebsräte und
Gesamtbetriebsrat im
Erwerberbetrieb
Ablösung durch
Einzelbetriebsvereinbarung
Ablösung durch
Einzelbetriebsoder durch
Gesamtbetriebsvereinbarung
c) Transformation von Gesamtbetriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2
BGB
Gliedert der Erwerber die übernommenen Betriebe oder Betriebsteile in seinen eigenen Betrieb ein, ist von einer Transformation der Regelung der Gesamtbetriebsvereinbarung gemäß
§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen. Sie werden zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses.
Auch hier stellen sich die gleichen Fragen wie bereits im Rahmen der Transformation von
Einzelbetriebsvereinbarungen.
3. Konzernbetriebsvereinbarungen
Das Schicksal von Konzernbetriebsvereinbarungen bei einem Betriebsübergang war bisher
noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen.
a) Unveränderte normative Weitergeltung
Eine normative Weitergeltung von Konzernbetriebsvereinbarungen wird dann angenommen,
wenn auch der neue Unternehmensträger dem gleichen Konzern wie der vorherige Unternehmensträger angehört.713
Beispiel:
Das zum X-Konzern gehörende Tochterunternehmen V veräußert einen seiner Betriebe an das
ebenfalls zum X-Konzern gehörende Tochterunternehmen E.
Umstritten ist, ob Konzernbetriebsvereinbarungen auch dann normativ fortwirken, wenn das
veräußerte Unternehmen bzw. der veräußerte Betrieb aus dem Konzernverbund ausscheidet.
713
Willemsen, Teil E, Rn. 70.
227
Fraglich ist, ob die vom BAG714 aufgestellten Grundsätze zu Gesamtbetriebsvereinbarungen
auf Konzernbetriebsvereinbarungen übertragbar sind. Dies ist mit folgenden Argumenten zu
bejahen:
Das BAG hat maßgeblich darauf abgestellt, dass das Regelungsobjekt der Gesamtbetriebsvereinbarung bei einer Wahrung der Betriebsidentität nicht entfällt. Sie gelte nach einem
identitätswahrenden Betriebsübergang kollektivrechtlich weiter. Einer Unternehmensidentität bedürfe es nicht. Der Auffangtatbestand des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sei nicht erforderlich. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Rechtslage bei Konzernbetriebsvereinbarungen
anders gewertet werden sollte. Auch Konzernbetriebsvereinbarungen gelten – wie Gesamtbetriebsvereinbarungen – im jeweils einzelnen Betrieb und ihr Regelungsobjekt entfällt
ebenso wenig – wie bei Gesamtbetriebsvereinbarungen – bei einer identitätswahrenden Betriebsübertragung.
Wird ein Betrieb oder Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen und führt dieser den (ggf.
neu entstandenen) Betrieb als eigenständige Einheit weiter, kann auch eine normative Weitergeltung von Konzernbetriebsvereinbarungen angenommen werden.
Kompliziert wird die Rechtslage allerdings dadurch, dass Konzernbetriebsvereinbarungen
i. d. R. sozusagen auf der „dritten Regelungsstufe“ stehen, sodass insbesondere zweifelhaft
ist, wie sie weitergelten. Deshalb sollte zwischen verschiedenen Fallgestaltungen differenziert werden.
 Wird ein Konzernunternehmen (mit mehreren Betrieben) vollständig auf einen Unternehmensträger außerhalb des Konzernverbundes übertragen und werden die Betriebe unverändert weitergeführt, gelten Konzernbetriebsvereinbarungen als Gesamtbetriebsvereinbarung weiter, wenn der neue Unternehmensträger seinerseits nicht zu
einem Konzernverbund gehört.
 Gehört jedoch das erwerbende Unternehmen seinerseits zu einem anderen Konzern,
in dem ein Konzernbetriebsrat besteht, spricht mehr für eine Weitergeltung als Konzernbetriebsvereinbarung.715 Dies hat zur Folge, dass über eine Neuregelung mit dem
Konzernbetriebsrat zu verhandeln ist, soweit die Voraussetzungen für dessen Zuständigkeit nach § 58 Abs. 1 BetrVG gegeben sind. Besteht hingegen kein Konzernbetriebsrat, spricht mehr für eine Weitergeltung als Gesamtbetriebsvereinbarung, da ein
Konzernbetriebsrat – anders als ein Gesamtbetriebsrat – nicht zwingend zu errichten
ist.
 Übernimmt der Erwerber mehrere Betriebe oder Betriebsteile von einem oder mehreren konzernangehörigen Unternehmen und führt diese als selbstständige Betriebe
weiter, kommt eine Weitergeltung der Konzernbetriebsvereinbarung als Gesamtbetriebsvereinbarung in Betracht, wenn die übernommenen Betriebe gesamtbetriebsratsfähig sind.716 Andernfalls ist eine Weitergeltung als Einzelbetriebsvereinbarung denkbar.
 Wird ein einzelner Betrieb oder Betriebsteil aus einem konzernangehörigen Unternehmen herausgelöst und von einem – nicht konzernangehörigen – Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung als Einzelbetriebsvereinbarung weiter. Sie ist ggf. gegenüber dem für den übergegangenen Betrieb
bzw. Betriebsteil zuständigen Betriebsrat zu kündigen. Mit diesem ist auch ggf. über
eine Neuregelung zu verhandeln.
714
BAG v. 18.09.2002 – 1 ABR 54/91, NZA 2002, 670.
Willemsen, Teil E, Rn. 70.
716
Willemsen, Teil E, Rn. 70.
715
228
Der Umfang der normativen Weitergeltung richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie
bei Gesamtbetriebsvereinbarungen.
b) Ablösung
Konzernbetriebsvereinbarungen können – je nach der Organisation des bzw. der Betriebe
des Erwerbers – sowohl durch Konzern- als auch durch Gesamt- oder Einzelbetriebsvereinbarung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst werden.
c) Transformation
Konzernbetriebsvereinbarungen werden nach dem derzeitigen Rechtsstand dann transformiert, wenn der Erwerber ein konzernangehöriges Unternehmen, Betriebe bzw. Betriebsteile
eines konzernangehörigen Unternehmens erwirbt, diese in seinen bereits bestehenden Betrieb eingliedert und keine ablösenden Betriebsvereinbarungen im Erwerberbetrieb existieren. Der Umfang der Transformation richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei Gesamtbetriebsvereinbarungen.
229
Kapitel E: Kündigungsverbot
233
I. Inhalt und praktische Relevanz des § 613a Abs. 4 BGB
233
1. Für den Veräußerer
233
2. Für den Erwerber
233
II. Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB
233
1. Rechtsnatur
233
2. Persönlicher Anwendungsbereich
234
3. Sachlicher Anwendungsbereich
234
a) Arbeitgeberseitige Kündigungen
b) Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen
aa) freie Entscheidung
bb) auf Veranlassung des Arbeitgebers
c) Wechsel in die Transfergesellschaft
d) Befristete Arbeitsverhältnisse und auflösende Bedingung
234
235
235
235
236
237
III. Zulässigkeit von Kündigungen aus anderen Gründen – § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB
240
1. Inhalt der Regelung
240
2. Zulässigkeit betriebsbedingter Beendigungskündigungen in Zusammenhang mit
einem (geplanten) Betriebsübergang
240
a) Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang
aa) Geplante Betriebsstilllegung
bb) Geplanter Betriebsübergang scheitert
cc) Betriebsübergang noch nicht absehbar
dd) Beweislastfragen
b) Umstrukturierungsmaßnahmen und Betriebsübergang
aa) Druckkündigungen
bb) Maßnahmen des Veräußerers vor Betriebsübergang
cc) Maßnahmen des Erwerbers nach Betriebsübergang
dd) Kündigungen des Veräußerers aufgrund eines Erwerberkonzepts
c) Auslagerung und/oder Stilllegung eines Betriebsteils
aa) Mitarbeiter in zentraler Position
bb) Sozialauswahl
240
240
241
241
242
242
243
243
243
244
245
245
245
3. Betriebsbedingte Kündigungen nach Widerspruch
245
a) Ausgangspunkt
aa) Möglicher Entfall der Zuständigkeit des Betriebsrats
b) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KSchG
c) Frei werdende Arbeitsplätze
aa) Widerspruchsrecht des Betriebsrats bei Neueinstellungen
bb) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei Massenwidersprüchen
d) Sozialauswahl
e) Betriebsratsanhörung
245
246
247
247
248
248
249
251
231
4. Versetzungen vor dem Betriebsübergang
251
5. Wiedereinstellungsanspruch bei unerwartetem/ungeplantem Betriebsübergang
252
a) Wiedereinstellungsanspruch vor Ablauf der Kündigungsfrist
b) Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist
c) Entgegenstehende berechtigte Interessen des Erwerbers
252
253
253
6. Zulässigkeit betriebsbedingter Änderungskündigungen nach Betriebsübergang
254
7. Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf die kündigungsschutzrechtliche
Stellung der Arbeitnehmer
254
a) Betriebsübergang kraft Einzelrechtsnachfolge
aa) Amtsträger
bb) einzelvertragliche und kollektivrechtliche Vereinbarungen
cc) Schwellenwert, § 23 KSchG
b) Betriebsübergang kraft Gesamtrechtsnachfolge
255
255
255
255
255
IV. Prozessuale Fragen beim Betriebsübergang
257
1. Passivlegitimation und Rechtskraftwirkung
257
a) Kündigung vor Betriebsübergang und Klage vor Betriebsübergang
b) Kündigung vor Betriebsübergang und Klage nach Betriebsübergang
257
259
2. Stellung eines Auflösungsantrags nach § 9 Abs. 1 KSchG
259
3. Prozessuale Fragen beim Wiedereinstellungsanspruch
260
4. Beschlussverfahren
260
232
Kapitel E: Kündigungsverbot
I. Inhalt und praktische Relevanz des § 613a Abs. 4 BGB
Der Schutz der von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer wird durch die Regelung des § 613a Abs. 4 BGB vervollständigt.717 Danach sind Kündigungen wegen eines Betriebsübergangs unzulässig. Zulässig bleiben jedoch Kündigungen aus anderen Gründen, da
die Arbeitnehmer nicht mehr geschützt werden sollen, als wenn sie beim Veräußerer geblieben wären.
1. Für den Veräußerer
Bei (betriebsbedingten) Kündigungen durch den Veräußerer steht die Frage nach der Abgrenzung zwischen einer Betriebs(teil)stilllegung einerseits und einem Betriebs(teil)übergang
andererseits im Vordergrund. Für den Veräußerer kann ferner von Interesse sein, ob er einen Betrieb oder Betriebsteil umstrukturieren kann, um seine Verkaufschancen zu erhöhen.
Bei Veräußerung nur eines Betriebsteils können ferner Arbeitsplätze in anderen (zentralisierten) Abteilungen entfallen. Schließlich kann er sich, wenn einer oder mehrere Arbeitnehmer
dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen, vor die Notwendigkeit betriebsbedingter Kündigungen gestellt sehen.
2. Für den Erwerber
Für den Erwerber eines Betriebes geht es in erster Linie darum, ob er nach einem Betriebsübergang die Möglichkeit hat, wegen notwendiger Umstrukturierungs- oder Anpassungsmaßnahmen betriebsbedingte Kündigungen, sowohl in Form von Beendigungs- als auch von
Änderungskündigungen auszusprechen.
II. Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB
1. Rechtsnatur
§ 613a Abs. 4 BGB stellt einen eigenständigen Unwirksamkeitsgrund i. S. v. § 13 Abs. 3
KSchG, § 134 BGB für eine Kündigung dar.718 Dies hat vor allem Folgen für den persönlichen Anwendungsbereich dieses Kündigungsverbots.
Der Arbeitnehmer hat die Unwirksamkeit der Kündigung innerhalb von drei Wochen nach
Zugang der Kündigung geltend zu machen. Die vom Veräußerer ausgesprochene Kündigung gilt dann gemäß § 7 KSchG als wirksam, da sich diese gesetzliche Fiktion nunmehr
ebenfalls auf alle Unwirksamkeitsgründe für eine Kündigung erstreckt.
Erfährt der Arbeitnehmer allerdings erst später, dass ein Betriebs(teil)übergang vorliegt, hat
er die Möglichkeit, gemäß § 5 KSchG einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu stellen. Insbesondere dann, wenn die Arbeitnehmer nicht über einen
(geplanten) Betriebsübergang informiert wurden, kann ein solcher Antrag hohe Erfolgsaussichten haben. Damit kann sich der Veräußerer nach Ablauf der Dreiwochenfrist nicht sicher
darauf verlassen, dass ihm Kündigungsschutzklagen erspart bleiben.
Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB gilt sowohl für Kündigungen des Veräußerers
als auch des Erwerbers.
717
718
BAG v. 18.07.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148.
BAG v. 31.01.1985 – 2 AZR 530/83, NZA 1985, 593.
233
2. Persönlicher Anwendungsbereich
Aus der Rechtsnatur des § 613a Abs. 4 BGB als „eigenständiges Kündigungsverbot“ i. S. v.
§ 13 Abs. 3 KSchG folgt, dass es auf die Anwendbarkeit des KSchG nicht ankommt. Dies hat
vor allem Konsequenzen für den persönlichen Anwendungsbereich dieses Kündigungsverbots. Es greift nicht nur bei Arbeitnehmern ein, für die das KSchG gilt, sondern auch bei:
 Arbeitnehmern, die weniger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sind und damit die
Wartezeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erfüllen,
 Arbeitnehmern in Kleinbetrieben gemäß § 23 KSchG,
 leitenden Angestellten, d. h. auch solchen, die unter § 14 KSchG fallen.
Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB ist jedoch auf Arbeitnehmer beschränkt. Es
gilt somit z. B. nicht für:
 Freie Mitarbeiter, Subunternehmer etc.
 Heimarbeiter
 Organmitglieder
Bei Praktikanten ist entscheidend, in welchem Zusammenhang und zu welchem Zweck sie
im Unternehmen beschäftigt werden.719
Für GmbH-Geschäftsführer hat das BAG entschieden, dass deren Anstellungsverhältnis
grundsätzlich nicht gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf einen Erwerber übergeht720, sodass dementsprechend auch das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB mangels Arbeitnehmereigenschaft nicht eingreifen kann. Der EuGH hat entschieden, dass der Geschäftsführer einer
GmbH, der seine Tätigkeit gegen Entgelt nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs
dieser Gesellschaft ausübt und selbst keine Anteile an dieser Gesellschaft besitzt, als Arbeitnehmer i. S. d. § 17 KSchG gilt.721 Es besteht daher die Gefahr, dass diese Rechtsprechung auf den Betriebsübergang übertragen werden kann.
Das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB kann jedoch bei Organmitgliedern, insbesondere GmbH-Geschäftsführern relevant werden, wenn neben dem Anstellungsverhältnis noch
ein ruhendes Arbeitsverhältnis vorliegt, was nach der derzeitigen Rechtsprechung des BAG
allerdings nur noch in Ausnahmefällen anzunehmen ist.722 Sollte dies jedoch der Fall sein,
gilt dasselbe wie für andere ruhende Arbeitsverhältnisse. Für dieses müsste dann auch folgerichtig das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB eingreifen.
Praxishinweis: Ebenso wie bei leitenden Angestellten wird der Arbeitgeber im Falle einer
Kündigungsschutzklage jedoch noch die Möglichkeit des Auflösungsantrags nach §§ 14 Abs.
2 Satz 2 i. V. m. § 9 KSchG haben.
3. Sachlicher Anwendungsbereich
a) Arbeitgeberseitige Kündigungen
§ 613a Abs. 4 BGB erfasst alle Kündigungen, die vom Arbeitgeber wegen eines Betriebsübergangs ausgesprochen werden.
719
vgl. hierzu Kapitel A II.7.
BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552.
721
EuGH v. 09.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 861.
722
BAG v. 25.4.2002 – 2 AZR 352/01, NZA 2003, 272.
720
234
Dieses Kündigungsverbot umfasst also:
 ordentliche und außerordentliche Beendigungskündigungen (ggf. mit sozialer Auslauffrist)
 ordentliche und außerordentliche Änderungskündigungen
 u. U. Kündigungen vor und nach dem Betriebsübergang, wobei ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Betriebsübergang nicht zwingend erforderlich
ist723
 Kündigungen des Insolvenzverwalters im Insolvenzverfahren „wegen“ eines Betriebsübergangs724
Für eine Kündigung benötigt man bei der Anwendbarkeit des KSchG einen Kündigungsgrund
(§§ 1, 2 KSchG). Allein wegen eines Betriebsübergangs kann damit weder eine Beendigungs- noch eine Änderungskündigung ausgesprochen werden.
Unzulässig ist es, wenn der Veräußerer das Arbeitsverhältnis kündigt und der Erwerber den
Arbeitnehmer nach Betriebsübergang zu gleichen Arbeitsbedingungen wieder einstellt.725
b) Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen
Das Verbot des § 613a Abs. 4 BGB kann auch für andere Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, insbesondere bei Aufhebungsverträgen und Eigenkündigungen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einem (geplanten) Betriebsübergang eingreifen.
aa) freie Entscheidung
Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, die auf ein endgültiges Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb zielen, sind wirksam, auch wenn dies in Zusammenhang mit einem Betriebsübergang geschieht.726 § 613a BGB gewährt keinen Schutz
des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich ohne sachlichen Grund aufzuheben.
bb) auf Veranlassung des Arbeitgebers
Rechtliche Schwierigkeiten gibt es dann, wenn Arbeitnehmer zum Abschluss von Aufhebungsverträgen oder Eigenkündigungen veranlasst werden, damit sie nach dem Betriebsübergang vom Erwerber zu neuen Arbeitsbedingungen wieder eingestellt werden können.
Praktisch relevant wird dies vor allem bei Unternehmenssanierungen und einem damit verbundenen Personalabbau. Wenn den Arbeitnehmern in einem solchen Fall eine feste Wiedereinstellung durch den Erwerber des Betriebs oder Betriebsteils zugesagt wird, werden
sowohl Aufhebungsverträge als auch Eigenkündigungen als Umgehung des § 613a BGB
und damit als nichtig gewertet. Dann entfällt aber auch ein vertraglich zugesicherter Abfindungsanspruch.727 Das BAG geht in diesen Fällen davon aus, dass lediglich die Kontinuität
des Arbeitsverhältnisses beseitigt werden soll, obwohl der Arbeitsplatz erhalten bleibt. Dies
kann durch ein neu abgeschlossenes Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber erfolgen.
723
BAG v. 19.05.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461.
BAG v. 20.09.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387.
725
EuGH v. 10.02.1988 – C 324/86.
726
BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262;
BAG v. 27.09.2012 – 8 AZR 826/11, NZA 2013, 961.
727
BAG v. 28.04.1987 – 3 AZR 75/86, NZA 1988, 198;
BAG v. 11.07.1995 – 3 AZR 154/95, NZA 1996, 207.
724
235
Ausreichend ist aber auch, dass dem Arbeitnehmer klar war, dass er vom Erwerber eingestellt wird und ihm ein Arbeitsverhältnis verbindlich in Aussicht gestellt wurde.728 Diese vom
BAG aufgestellten Grundsätze gelten für Eigenkündigung und Aufhebungsvereinbarungen.
Dabei ist es unerheblich, ob die Parteien die Rechtsfolgen des § 613a BGB kannten.
Beispiel
Ein in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlicher Betrieb soll an den Erwerber E veräußert
werden. Die Belegschaft willigt ein, mit Veräußerer V Aufhebungs- und mit E neue Arbeitsverträge zu schlechteren Arbeitsbedingungen abzuschließen. Diese Verträge sind unwirksam, sodass E an die bisherigen Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des § 613a Abs. 1 BGB gebunden
bleibt. Außerdem muss er ggf. die Arbeitnehmer, mit denen er keine neuen Arbeitsverträge abgeschlossen hat, übernehmen. Die Aufhebungsvereinbarungen sind nichtig. Sollte V die Belegschaft zu Eigenkündigungen statt Aufhebungsvereinbarungen veranlasst haben, wären diese
ebenfalls nichtig.
c) Wechsel in die Transfergesellschaft
Anders wird die Rechtslage beurteilt, wenn die Arbeitnehmer aufgrund eines dreiseitigen
Vertrags zu einer Beschäftigungsgesellschaft wechseln und ihr Arbeitsverhältnis mit dem
Veräußerer durch Aufhebungsvertrag beenden und sie auch keine sichere Aussicht auf eine
neue Stelle beim Erwerber haben. Das BAG lässt dies für Aufhebungsverträge zu, mit denen
eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verbunden ist, wenn für die Verschlechterung
ein sachlicher Grund besteht.729 Das kann beim Abschluss eines dreiseitigen Vertrages unter
Einschaltung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zur Vermeidung einer
Insolvenz der Fall sein.
Eine Umgehung des § 613a Abs. 4 BGB wird angenommen, wenn die Transfergesellschaft
nur zum Schein vorgeschoben wird oder offensichtlich eine Umgehung der Sozialauswahl
bezweckt wird.730 Ebenso liegt Verstoß gegen § 613a Abs. 4 BGB vor, wenn der Erwerber
mit dem Arbeitnehmer bereits eine neue Vereinbarung abgeschlossen bzw. diese verbindlich
in Aussicht gestellt hat.731 Für die Wirksamkeit der Vertragskonstruktion genügt es auch
nicht, dass der Arbeitnehmer nach einer rechtlichen Verweildauer in der Transfergesellschaft
von einem Tag ein Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber eingeht. Das Arbeitsverhältnis mit der
Transfergesellschaft wurde dadurch nie betrieben. 732
Praxishinweis: Probleme können vor allem dann auftreten, wenn diese Vertragsgestaltungen den Zweck haben, die Beschäftigtenzahl (ohne Sozialauswahl) zu reduzieren. Geht es
hingegen „nur“ um eine Änderung der Arbeitsbedingungen, kann es sicherer sein, wenn der
Erwerber versucht, sich mit den übergehenden Arbeitnehmern, ggf. auch mit dem Betriebsrat, unmittelbar über eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu einigen, wobei er allerdings ggf. die Verschlechterungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB beachten muss.
Außerdem darf kein unzulässiger Druck auf die Arbeitnehmer ausgeübt werden, damit diese
den neuen Vertrag nicht gemäß § 123 BGB wegen widerrechtlicher Drohung anfechten können.
728
BAG v. 18.08.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152;
BAG v. 25.10.2012 – 8AZR 572/11, NZA 2013, 961.
729
BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04 , NZA 2006, 145;
BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422.
730
BAG v. 23.11.2006 – 8 AZR 349/06, NZA 2007, 866.
731
BAG v. 25.10.2012 – 8 AZR 572/11, BB 2012, 2815.
732
BAG v. 18.08.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 252.
236
Beispiel:
Zur Rettung des insolventen Veräußerers V sollten die dort beschäftigten Arbeitnehmer in eine
Transfergesellschaft wechseln. Erwerber E wollte dabei lediglich 352 von den bei V beschäftigten 452 Arbeitnehmern übernehmen. Die 352 Mitarbeiter sollten durch Losentscheid ermittelt
werden. Hierzu unterzeichnete Arbeitnehmer A mehrere dreiseitige Verträge mit unterschiedlichen Austrittsdaten und den korrespondierenden Eintrittsdaten zum Wechsel in die Transfergesellschaft. Noch vor der Annahme des dreiseitigen Vertrags unterzeichnete A am 09.05.2015
Angebote auf ein befristetes und unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber E. V und die
Transfergesellschaft nahmen am 30.05.2015 das Angebot des A an, mit Ablauf des 31.05.2015
bei V auszuscheiden und am 01.06.2015 in die Transfergesellschaft einzutreten. Nach dem A
am 01.06.2015 gezogen wurde, nahm der E das Angebot des A auf einen unbefristeten Vertrag
an. Als Eintrittsdatum war der 02.06.2015 vorgesehen.
In diesem Fall ist die Aufhebungsvereinbarung unwirksam, weil es am endgültigen Ausscheiden
des A fehlt.
Praxishinweis: Bei einem Wechsel von der Transfergesellschaft zum Erwerber wird seitens
des BAG darauf geachtet, ob zwischen den beiden rechtlich getrennten Arbeitsverhältnissen
mit dem Veräußerer und dem Erwerber ein hinreichend enger innerer Zusammenhang besteht. Dabei kommt es nicht nur auf die Dauer der Unterbrechung, sondern auch auf die
Gründe der Unterbrechung und die Art der Weiterbeschäftigung an. Daher ist entscheidend,
von welcher Partei und aus welchem Anlass das Arbeitsverhältnis beendet wurde und ob die
weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers seiner früheren Stelle entspricht. Der Erwerber
sollte daher bereits vor einer Übernahme prüfen, ob im Falle des Abschlusses des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitnehmer aus der Transfergesellschaft die Indizien entkräftet werden
können. Andernfalls riskiert er die Unwirksamkeit des Vertrages, sodass er an alle früheren
Arbeitsbedingungen gebunden ist.
d) Befristete Arbeitsverhältnisse und auflösende Bedingung
Schließlich kann das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 BGB für befristete Arbeitsverhältnisse relevant werden. So stellt es keinen Sachgrund für eine Befristung dar, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag befristet, weil er einen Betriebsübergang plant oder ins Auge
gefasst hat.733 Gleiches gilt für auflösende Bedingungen, wenn sie darauf abzielen, den
Schutz des § 613a Abs. 4 BGB zu umgehen.
Wird ein Arbeitsvertrag auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 TzBfG sachgrundlos befristet, ist
dies hingegen auch dann wirksam, wenn das Ende der Befristung zeitlich (eng) mit dem Betriebsübergang zusammenfällt. Anders liegt der Fall, wenn dem Veräußerer eine Umgehung
des § 613a Abs. 4 BGB nachgewiesen wird.
Praxishinweis: Für eine solche Umgehung bzw. Umgehungsabsicht wäre jedoch bei einer
evtl. Entfristungsklage der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Er muss zumindest
Indizien vortragen, die hierfür sprechen.
Verlängert der Erwerber ein befristetes Arbeitsverhältnis nicht, kann dies allenfalls dann einen Verstoß gegen § 613a BGB darstellen, wenn die Nichtverlängerung mit dem Betriebsübergang begründet wird. Im Übrigen laufen befristete Arbeitsverhältnisse beim Erwerber
unverändert weiter.
733
BAG v. 02.12.1998 – 7 AZR 579/97, NZA 1999, 926.
237
Praxishinweis: Der Erwerber sollte sich erkundigen, ob es sich um Sachgrundbefristungen
oder sachgrundlose Zeitbefristungen nach § 14 Abs. 2 TzBfG handelt. Bei Sachgrundbefristungen sollte er sich die Unterlagen des Veräußerers über den Sachgrund aushändigen oder
sich Informationen über den Sachgrund geben lassen, damit er sich gegen eventuelle Entfristungsklagen nach Betriebsübergang wehren kann.
Bei sachgrundlosen Befristungen stehen dem Erwerber die gleichen Rechte wie dem Veräußerer zu, sodass er insbesondere die Verlängerungsmöglichkeiten des § 14 Abs. 1 Satz 1
TzBfG ausnutzen kann. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn der Arbeitnehmer beim Veräußerer geblieben wäre.
Praxishinweis: Der Erwerber sollte jedoch darauf achten, dass es sich dann tatsächlich um
reine „Verlängerungen“ handelt, also insbesondere keine neuen Vertragsbedingungen vereinbart werden. In diesem Fall soll es sich nicht mehr um eine Verlängerung, sondern um
den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages handeln, der wegen des Vorbeschäftigungsverbots dann nur noch als Sachgrundbefristung zulässig ist.734 Dies kann vor allem dann
schwierig sein, wenn der Erwerber den Betrieb oder Betriebsteil nach dem Betriebsübergang
umstrukturiert oder in seinen eigenen Betrieb eingliedert. Außerdem muss diese Verlängerung – wie bei allen anderen sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen – vor dem Auslaufen der vereinbarten Befristung schriftlich (§ 14 Abs. 4 TzBfG) vereinbart werden.
In Bezug auf sachgrundlose Befristungen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass das sog.
Vorbeschäftigungsverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht eingreift, wenn der Arbeitnehmer schon einmal beim Veräußerer bzw. dessen Rechtsvorgänger beschäftigt und dieses
Arbeitsverhältnis vor dem Betriebsübergang (endgültig) beendet war.735 Das BAG knüpft dabei an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Vertragsarbeitgeber an und
nicht an eine Beschäftigung mit dem Betriebsinhaber. Von demselben Arbeitgeber ist nur
dann auszugehen, wenn der Vertragspartner des Arbeitnehmers dieselbe natürliche oder juristische Person ist.736 Der Arbeitnehmer soll durch den Betriebsübergang nicht schlechter,
aber auch nicht besser gestellt werden.
Beispiel:
Arbeitnehmer A hatte vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2015 ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis mit der A GmbH abgeschlossen. Zum 01.01.2016 geht der Betrieb der A GmbH auf
die B AG über. Die B AG könnte mit A nunmehr noch ein Arbeitsverhältnis ohne sachlichen
Grund für die Dauer von zwei Jahren eingehen.
Praxishinweis: Bei der sachgrundlosen Befristung ist zu beachten, dass die Tarifverträge
der Metall- und Elektroindustrie zum Teil keine sachgrundlose Befristung erlauben (z. B. § 2
Ziff. 6.1. MTV für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) bzw. strengere Voraussetzungen daran stellen und z. B. kürzere Zeiträume vorsehen (z. B. § 7 Ziff.2 (I) MTV für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und
Elektroindustrie).
Allerdings dürfte eine sachgrundlose Befristung, die beim Veräußerer begründet wurde, nach
einem Betriebsübergang dann nicht mehr (sachgrundlos) beim Erwerber verlängert werden
734
BAG v. 26.07.2000 – 7 AZR 51/99, NZA 2001, 546.
BAG v. 10.11.2004 – 7 AZR 101/04, NZA 2005, 515; siehe dazu Kapitel Teil D.
736
BAG v. 19.03.2014 – 7 AZR 527/12, NZA 2014, 840;
BAG v. 04.12.2013 – 7 AZR 290/12, NZA 2014, 426.
735
238
können, sofern mit dem Erwerber bereits ein Vorbeschäftigungsverhältnis bestanden hat. Allerdings hat das BAG entschieden, dass eine „Zuvor-Beschäftigung“ des Arbeitnehmers nicht
vorliegt, wenn das Ende des früheren Arbeitsverhältnisses länger als drei Jahre zurückliegt.737Allerdings besteht in diesen Fällen die Unsicherheit, wie die Frist zu berechnen ist.
Hierbei sollte zur Sicherheit die Frist nach den Verjährungsbestimmungen des § 199 BGB
berechnet werden.
Beispiel:
Arbeitnehmer A war bei E vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2015 sachgrundlos befristet beschäftigt. E könnte mit A daher, wenn man für die Berechnung der dreijährigen Unterbrechung die
Verjährungsvorschriften des BGB zugrunde legt, erst wieder am 01.01.2019 ein sachgrundlos
befristetes Arbeitsverhältnis eingehen.
Gegen die Auslegung des BAG sind eine Verfassungsbeschwerde und eine Vorlageentscheidung des ArbG Braunschweig beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig.
Praxishinweis: Solange die Entscheidung des BVerfG aussteht, sollte der Arbeitgeber vorsichtig bei sachgrundlosen Befristungen sein, sofern Arbeitnehmer zuvor bei ihm beschäftigt
waren. Er hat das Risiko, dass die erneute sachgrundlose Befristung unwirksam ist und ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet wurde.
Beispiel:
Arbeitnehmer A ist beim Veräußerer V seit 01.02.2015 sachgrundlos für ein Jahr beschäftigt.
Am 01.01.2016 übernimmt der Erwerber E den kompletten Betrieb des V. Nach Auslaufen der
Befristung am 31.01.2016 dürfte das Arbeitsverhältnis dann nicht mehr mit A sachgrundlos verlängert werden, sofern A bereits einmal bei E vor dem Betriebsübergang beschäftigt war. Eine
Ausnahme ergibt sich nach der Rechtsprechung des BAG lediglich dann, wenn seit der letzten
Beschäftigung mindestens drei Jahre vergangen sind, wobei, wie oben geschildert, auf die dreijährige Verjährungsvorschrift des BGB zurückgegriffen werden sollte.
Entscheidend für das Vorbeschäftigungsverbot beim Erwerber ist die rechtliche Beendigung
des befristeten Arbeitsverhältnisses, also das vertraglich vorgesehene Ende der Befristung
und nicht, ab wann der Arbeitnehmer, z. B. wegen einer Freistellung, keine Arbeitsleistung
mehr erbracht hat.
Beispiel:
Arbeitnehmer A hat mit dem Veräußerer V einen befristeten Vertrag vom 01.01.2015 bis zum
31.12.2015 abgeschlossen. Am 01.01.2016 übernimmt der Erwerber E den Betrieb. Er kann mit
A einen weiteren sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG abschließen, da zwischen ihm und A vorher kein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Abwandlung:
Wurde A von V Ende November 2015 für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich freigestellt und übernimmt E den Betrieb zum 15.12.2015, kann er einen neuen Arbeitsvertrag mit A nicht auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 TzBfG befristen, da dann das sog. Vorbeschäftigungsverbot eingreift.
737
BAG v. 21.09.2011 – 7 AZR 375/10, NZA 2012, 255.
239
Praxishinweis: In einem derartigen Fall empfiehlt es sich, dass der Veräußerer die zwei
Jahre der sachgrundlosen Befristung ausschöpft und entsprechende Verlängerungen mit
den Arbeitnehmern abschließt, bevor es zum Betriebsübergang kommt. Der Erwerber kann
dann, unabhängig ob eine Vorbeschäftigung bei ihm bestand, die Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Befristung beschäftigen.
III. Zulässigkeit von Kündigungen aus anderen Gründen – § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB
1. Inhalt der Regelung
Da ein Betriebsübergang nicht zu einer Besserstellung der übergehenden Arbeitnehmer führen soll, regelt das Gesetz ausdrücklich, dass verhaltens- und personenbedingte Kündigungen nach wie vor möglich sind. Gleiches gilt für betriebsbedingte Kündigungen, sofern diese
ihren Grund nicht im Betriebsübergang haben. Wenn sich der Veräußerer oder der Erwerber
auf einen Kündigungsgrund berufen können, sind Kündigungen unter Umständen nach
Maßgabe des KSchG möglich und rechtswirksam. Dies gilt für alle Kündigungsgründe.
Beispiel:
Nachdem Arbeitnehmer A auf der Betriebsversammlung von der bevorstehenden Übernahme
mehrerer Betriebe des Veräußerers V durch den Erwerber E erfährt, beschimpft er den Vorstand des V in übelster, ehrverletzender Art und Weise und droht körperliche Gewalt für den
Fall an, dass sein Betrieb übergeht. A ist schon in der Vergangenheit durch Beleidigungen gegenüber Mitarbeitern aufgefallen und abgemahnt worden. Eine verhaltensbedingte Kündigung
des A bleibt trotz des Betriebsübergangs möglich und zulässig.
2. Zulässigkeit betriebsbedingter Beendigungskündigungen in Zusammenhang mit einem (geplanten) Betriebsübergang
In der Praxis wirft indes die Abgrenzung einer zulässigen Kündigung aus betriebsbedingten
Gründen und einer unzulässigen Kündigung wegen eines Betriebsübergangs die meisten
Probleme auf.
a) Abgrenzung zwischen Betriebsstilllegung und Betriebsübergang
Will der Veräußerer, z. B. wegen eines Auftragsverlustes, seinen Betrieb ganz oder teilweise
stilllegen oder Personal reduzieren und werden – u. U. erst nach einem gewissen Zeitraum –
von einem anderen Unternehmensträger der Auftrag oder Betriebsmittel übernommen, stellt
sich die Frage, wie eine (Teil-)Betriebsstilllegung von einem Betriebsübergang abzugrenzen
ist.738
aa) Geplante Betriebsstilllegung
Nach einer vom BAG in ständiger Rechtsprechung verwandten Formel soll eine Kündigung
gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam sein, wenn der Betriebsübergang zum Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigung den tragenden Grund bzw. die ganz überwiegende Ursache und
nicht den äußeren Anlass für die Kündigung bildet.739 Die Kündigung müsse „aus sich heraus“ gerechtfertigt sein.
738
739
Ausführlich hierzu Kapitel A.
BAG v. 20.09.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387.
240
Diese Formel ist missverständlich, da sie den Eindruck erwecken kann, es komme für die
Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung maßgeblich darauf an, ob (subjektives)
Motiv für die arbeitgeberseitige Kündigung der (geplante) Betriebsübergang ist. Das aber ist
unzutreffend, weil es unerheblich ist, ob der Arbeitgeber den Betriebsübergang kannte.740
Dies wird vor allem bei einer Auftragsnachfolge, also beim Fehlen vertraglicher Beziehungen
zwischen dem Veräußerer und Erwerber, der Fall sein.
Entscheidend ist somit, ob im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung objektiv ein Betriebs(teil)übergang vorlag oder ob er ernsthaft geplant war bzw. „greifbare Formen“ angenommen hat.741 Wenn dies der Fall ist, ist eine betriebsbedingte Kündigung vom Betriebs(teil)übergang betroffener Arbeitnehmer wegen Betriebs(teil)stilllegung nicht gerechtfertigt, da dann kein Kündigungsgrund i. S. v. § 1 KSchG vorliegt.
Beispiel:
Der Veräußerer V will aus wirtschaftlichen Gründen einen Betriebsteil abstoßen. Er verhandelt
mit mehreren Interessenten über eine Übernahme, die sich jedoch zeitlich hinauszögert. Da der
Betriebsteil für ihn nicht mehr tragbar ist, entschließt er sich schließlich, den dort beschäftigten
Arbeitnehmern zu kündigen. Einige Zeit danach gelingt es ihm aber doch, den Betriebsteil an
einen der Interessenten zu veräußern. Die von ihm ausgesprochenen Kündigungen dürften von
den Arbeitsgerichten für unwirksam erklärt werden, da in solchen Konstellationen wohl davon
auszugehen ist, dass der Betriebs(teil)übergang bereits greifbare Formen angenommen hat.
Für die Beurteilung, ob eine beabsichtigte Betriebsstilllegung vorliegt, ist auf den Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt muss der Arbeitgeber endgültig entschlossen sein, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer aufzulösen. An dem endgültigen Entschluss fehlt es, wenn der
Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses noch Verhandlungen über
eine Veräußerung des Betriebs führt. 742
Eine Stilllegungsabsicht liegt nicht vor, wenn der Veräußerer einen Betriebs(teil)übergang ins
Ausland plant.743
bb) Geplanter Betriebsübergang scheitert
Die Kündigungen bleiben auch dann unwirksam, wenn ein Arbeitgeber wegen einer geplanten Betriebsveräußerung kündigt, sich die Übernahmepläne später zerschlagen und der Betrieb stillgelegt werden muss.
Praxishinweis: Falls die Übernahme scheitert, muss der Arbeitgeber bei der anschließenden Betriebsstilllegung neue Kündigungen aussprechen, um die Arbeitsverhältnisse wirksam
zu beenden.
cc) Betriebsübergang noch nicht absehbar
Anders ist die Rechtslage hingegen zu beurteilen, wenn der Betriebsübergang zum Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigungen noch nicht abzusehen war. In diesem Fall sind die vom
Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigungen wirksam, wenn der (betriebsbedingte) Kündigungsgrund zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen vorlag.
740
BAG v. 16.05.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93.
BAG v. 09.05.1988 – 2 AZR 596/87, NZA 1989, 461;
BAG v. 27.02.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757.
742
BAG v. 29.09.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720.
743
BAG v. 26.05.2011 – 8 AZR 37/10, NZA 2011, 1143, vgl. auch Kapitel A.VIII.3.
741
241
Den gekündigten Arbeitnehmern kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen gegen den
Erwerber ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen.744
Beispiele:
Der Veräußerer V verliert zum 01.10.2015 seinen mit einem Krankenhaus bestehenden Reinigungsauftrag und muss daher den Betrieb stilllegen und den Arbeitnehmern am 01.10. betriebsbedingt zum 31.10.2015 kündigen. Am 12.10.2015 übernimmt der Erwerber E, der den
Reinigungsauftrag erhalten hat, 90 % der bei V beschäftigten Arbeitnehmer. Die am 01.10. ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen bleiben zwar wirksam, jedoch können die nicht
übernommenen Arbeitnehmer u. U. einen Wiedereinstellungsanspruch gegen E geltend machen.
Der Veräußerer V will aus wirtschaftlichen Gründen einen Betriebsteil zum 31.12.2015 schließen und kündigt, nachdem er sämtliche Abwicklungsschritte für eine Schließung eingeleitet hat,
den dort beschäftigten Mitarbeitern im Oktober 2015 zu diesem Termin. Im Dezember 2015 findet sich überraschend ein Interessent, der den Betriebsteil zum 01.01.2016 übernimmt. Auch in
diesem Fall kann ein Wiedereinstellungsanspruch geltend gemacht werden.
Praxishinweis: Als Faustregel lässt sich festhalten, dass jedenfalls dann, wenn sich ein Arbeitgeber im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gegenüber dem Arbeitnehmer bereits in
Vertragsverhandlungen über die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils befindet,
i. d. R. betriebsbedingte Kündigungen wegen einer geplanten Betriebs(teil)stilllegung unwirksam sind.
dd) Beweislastfragen
Dem Arbeitnehmer ist es nicht mehr möglich, nach Ablauf der in § 4 KSchG enthaltenen
Dreiwochenfrist eine allgemeine, auf § 613a Abs. 4 BGB gestützte Feststellungsklage zu erheben. Andernfalls bleibt ihm nur die Möglichkeit, die vom Veräußerer ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung – über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand –
gerichtlich anzugreifen.
Die Frage der Darlegungs- und Beweislast richtet sich nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, d. h.
der Arbeitgeber muss die Tatsachen vortragen, die für den betriebsbedingten Kündigungsgrund, die Betriebs(teil)stilllegung sprechen. Dafür muss der Arbeitgeber vor allem vortragen
und ggf. belegen, dass er zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung(en) einen ernsthaften und endgültigen Stilllegungsbeschluss gefasst hatte. Dabei soll der Vorbehalt, diesen
Entschluss nicht zu verwirklichen, wenn sich die Umstände ändern, nicht (immer) schädlich
sein.745 Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber die Schließung lediglich plant oder in Erwägung zieht.746 Der Arbeitnehmer muss dies – ggf. substantiiert – bestreiten, wobei er auch
hier Indizien vortragen kann, die gegen eine ernsthafte Stilllegungsabsicht des Arbeitgebers
sprechen.
b) Umstrukturierungsmaßnahmen und Betriebsübergang
Eine anders gelagerte Frage stellt sich in Bezug auf die Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen, wenn Veräußerer oder Erwerber in Zusammenhang mit dem (geplanten) Betriebsübergang Umstrukturierungs- oder andere Maßnahmen ergreifen, die zu betriebsbedingten
744
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251;
BAG v. 29.09.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720.
745
BAG v. 27.02.1987 – 7 AZR 652/85, NZA 1987, 700.
746
BAG v. 12.04.2002 – 2 AZR 256/01, NZA 2002, 1205 zum Fall des Auftragsverlustes.
242
Kündigungen führen. Solche Kündigungen sind nur dann zulässig, wenn ihnen ein betriebsbedingter Kündigungsgrund zugrunde liegt, der kündigende Arbeitgeber also darlegen und
beweisen kann, dass Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen sind. Es gelten die gleichen
Grundsätze wie für andere betriebsbedingte Kündigungen.
aa) Druckkündigungen
Nicht zulässig sind sog. Druckkündigungen, die ausgesprochen werden, weil der Erwerber
eines Betriebes oder Betriebsteils nicht alle oder nur bestimmte Arbeitnehmer beschäftigen
will.747
bb) Maßnahmen des Veräußerers vor Betriebsübergang
Der Veräußerer ist jedoch berechtigt, im Vorfeld eines Betriebsübergangs Sanierungsmaßnahmen durchzuführen, um die Verkaufschancen zu erhöhen bzw. wenn er langfristig seine
unternehmerische Tätigkeit optimieren will.748 Ebenso ist kein Verstoß gegen § 613a Abs. 4
BGB gegeben, wenn der Veräußerer die Maßnahme selbst ohne Betriebsübergang aus notwendigen betrieblichen Gründen durchführen muss.
Der Schutzzweck des § 613a BGB soll verhindern, dass bei der Übernahme der Belegschaft
eine Auslese getroffen wird und Veräußerer und Erwerber den Betriebsübergang dazu benutzen, sich der besonders schutzbedürftigen älteren, schwerbehinderten, unkündbaren oder
sonst sozial schwächeren Arbeitnehmer zu entledigen. Die Arbeitnehmer sind aber nicht vor
Risiken geschützt, die sich unabhängig von einem Betriebsübergang ereignen können. Deshalb darf der Betriebsübergang nicht zur Lähmung der notwendigen betrieblichen Maßnahmen führen.749 Dies soll auch dann gelten, wenn die Kündigung mit dem Ziel ausgesprochen
wird, dass sich der Veräußerer selbst eine Beschäftigungsmöglichkeit beim Erwerber sichert.750
Dabei sind die Vorgaben des § 1 KSchG, d. h. zum betriebsbedingten Kündigungsgrund und
zur Sozialauswahl, zu beachten. Wenn es sich um eine Betriebsänderung handelt, ist der
Betriebsrat nach den gesetzlichen Vorschriften zu beteiligen, d. h. es ist ein Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren durchzuführen.
cc) Maßnahmen des Erwerbers nach Betriebsübergang
Auch der Erwerber eines Betriebes ist nicht gehindert, nach einem Betriebsübergang betriebsbedingte Kündigungen nach Maßgabe der allgemein geltenden kündigungsschutzrechtlichen Grundsätze auszusprechen, wenn bei ihm Beschäftigungsmöglichkeiten entfallen, z.
B. weil er durch das Zusammenführen von Betrieben oder Betriebsteilen Synergieeffekte erzielen kann oder weil er den übernommenen Betrieb umstrukturiert. Spricht er betriebsbedingte Kündigungen aus, muss er jedoch beachten, dass bei den übernommenen Arbeitnehmern die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten angerechnet werden.
Dies wird z. B. für (tarifliche) Unkündbarkeitsklauseln und die Sozialauswahl relevant, außerdem ggf. bei Sozialplanansprüchen, wenn der Personalabbau eine Betriebsänderung i. S. v.
§ 111 BetrVG darstellt.
747
BAG v. 26.05.1983 – 2 AZR 477/81, NJW 1984, 627,
BAG v. 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027.
748
BAG v. 18.07.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148,
BAG v. 20.09.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387.
749
BAG v. 20.09.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387.
750
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 09.01.2013 – 2 Sa 166/12, NZA-RR 2013, 238.
243
Praxishinweis: Ein neu gegründetes Unternehmen, das einen Betrieb oder Betriebsteil
übernimmt, kann sich auf die in § 112a Abs. 2 BetrVG enthaltene Befreiung von der Sozialplanpflicht berufen, es sei denn, es handelt sich um eine Neugründung im Rahmen einer Unternehmensumstrukturierung.751
dd) Kündigungen des Veräußerers aufgrund eines Erwerberkonzepts
Denkbar ist es auch, dass noch der Veräußerer betriebsbedingte Kündigungen ausspricht,
die jedoch auf einem (Sanierungs-)Konzept des Erwerbers beruhen. Früher ging das BAG
davon aus, dass solche betriebsbedingten Kündigungen dann zulässig sind, wenn der Veräußerer das Sanierungskonzept auch selbst hätte verwirklichen können.752
Beispiel:
Der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Betrieb des Veräußerers V soll an den Erwerber E veräußert werden, der jedoch nach entsprechenden Gutachten feststellt, dass zur Sanierung des Betriebes 20 % der bei V beschäftigten Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt werden müssen. V kündigt daraufhin auf der Grundlage des von E vorgelegten Sanierungskonzepts den Beschäftigten aus (gegebenen) betriebsbedingten Gründen und unter Beachtung der
Sozialauswahl. Danach übernimmt E den Betrieb.
Für den Fall der Insolvenz ist das BAG abgerückt und fordert, dass es eines Konzepts bzw.
eines verbindlichen Sanierungsplans bedarf, wobei es – wie bereits dargestellt – nicht ausreichend ist, dass der Erwerber eine Verkleinerung der Belegschaft fordert. Der Veräußerer
ist oft nicht in der Lage, die Rationalisierungsmaßnahmen, z. B. mangels finanzieller Mittel,
durchzuführen. Er darf demnach die Kündigungen nach Maßgabe des Sanierungsplans des
Erwerbers vornehmen, ohne dass der Schutzgedanke des § 613a BGB tangiert wird.753 Diese Auffassung erscheint auch folgerichtig, da im Fall einer Betriebsstilllegung für den Fall,
dass die Übernahme scheitert, ebenfalls betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen
werden müssten.
Beispiel:
Betriebsleiter L ist bei der A GmbH beschäftigt. Am 01.09.2015 wurde über das Vermögen der
A GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 16.01.2016 kündigte der Insolvenzverwalter das
Anstellungsverhältnis mit L mit Ablauf des 30.04.2016. Mit Wirkung zum 17.01.2016 veräußerte
der Insolvenzverwalter die A GmbH an die B GmbH. Zwischen dem Insolvenzverwalter und
dem Betriebsrat der A GmbH wurde vor Betriebsübergang ein Interessenausgleich abgeschlossen, in dem das Sanierungskonzept ausgearbeitet wurde. Dieses sah vor, dass die beiden ursprünglichen Geschäftsführer der A GmbH die Betriebsleiterfunktion in der B GmbH mit übernehmen. Die Kündigung des L ist im vorliegenden Fall wirksam.
Unklar ist derzeit, ob auch Kündigungen, die auf einem Sanierungskonzept beruhen, das der
Veräußerer selbst nicht durchführen könnte, rechtswirksam sind.
Ob das BAG dies auch für einen Erwerb außerhalb der Insolvenz anerkennen wird, ist derzeit nicht prognostizierbar. Die Fälle werden allerdings praktisch ohnehin selten sein, da i. d.
R. Sanierungskonzepte auch vom Veräußerer umgesetzt werden können.
751
BAG v. 13.06.1989 – 1 ABR 14/88, NZA 1989, 974.
BAG v. 26.05.1983 – 2 AZR 477/81, DB 1983, 2690.
753
BAG v. 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027.
752
244
Praxishinweis: Bei der betriebsbedingten Kündigung ist Vorsicht geboten, wenn eine solche
Gestaltung letztlich dazu führt, dass der Erwerber selbst in seinen bereits bestehenden Betrieben keine Kündigungen aussprechen muss. In solchen Fällen kann leicht der Eindruck
entstehen, dass nur den Arbeitnehmern des Veräußerers gekündigt werden soll. Wenn dies
der Fall ist, könnte der Gedanke an eine (unzulässige) Umgehung des § 613a BGB nahe liegen.
c) Auslagerung und/oder Stilllegung eines Betriebsteils
Zusätzliche kündigungsschutzrechtliche Fragen stellen sich, wenn kein gesamter Betrieb betroffen ist, sondern wenn nur ein Betriebsteil ausgelagert bzw. stillgelegt werden soll.
aa) Mitarbeiter in zentraler Position
In diesem Fall können beim Veräußerer infolge dieser Auslagerung Arbeitsplätze in anderen
Betriebsabteilungen entfallen, so z. B. in zentralisierten Abteilungen. Soweit die Arbeitnehmer in solchen Betriebsabteilungen oder Betriebsteilen nicht dem übergehenden Betriebsteil
zugeordnet werden können, bleiben ihre Arbeitsverhältnisse zum Veräußerer bestehen.
Ihnen kann zwar betriebsbedingt gekündigt werden, jedoch muss der Arbeitgeber erstens
prüfen, ob für sie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb bzw. Unternehmen bestehen und zweitens eine Sozialauswahl durchführen, also vor allem die Vergleichbarkeit mit
anderen Arbeitnehmern prüfen.
bb) Sozialauswahl
Plant der Arbeitgeber, einen Betriebsteil stillzulegen und einen anderen zu übertragen, muss
er vorher eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl durchführen. Daher soll
bei der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers, der dem stillzulegenden Betriebsteil angehört, auch ein vergleichbarer Arbeitnehmer zu berücksichtigen sein, der zum Zeitpunkt der Kündigung dem noch zu übertragenden Betriebsteil angehört.754
Beispiel:
Der Veräußerer V beschäftigt in zwei voneinander getrennten Betriebsabteilungen je einen Lagerleiter. 2015 überträgt er eine Betriebsabteilung auf den Erwerber E. Die andere Betriebsabteilung legt er still. Dabei kündigt er dem in der stillgelegten Betriebsabteilung beschäftigten Lagerleiter aus betriebsbedingten Gründen, obwohl dieser sozial schutzbedürftiger als der im
übertragenen Betriebsteil beschäftigte Lagerleiter ist. Das BAG hat eine vergleichbare Kündigung aus den o. g. Gründen als unwirksam angesehen.
3. Betriebsbedingte Kündigungen nach Widerspruch
a) Ausgangspunkt
Für den Veräußerer eines Betriebes stellt sich die Frage, ob er Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben, ordentlich betriebsbedingt kündigen
kann. Dies ist grundsätzlich möglich, jedoch sind einige Einschränkungen zu beachten, die
sich zum Teil aus dem allgemeinen Kündigungsrecht, zum Teil aber auch aus einigen speziell zur Kündigung widersprechender Arbeitnehmer ergangenen Entscheidungen des BAG
ergeben.
754
BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285.
245
Praxishinweis: Es muss beachtet werden, dass die Kündigungsfristen einzuhalten sind,
auch wenn der widersprechende Arbeitnehmer nicht beschäftigt werden kann.
aa) Möglicher Entfall der Zuständigkeit des Betriebsrats
Der Betriebsrat ist vor der Kündigung anzuhören (§ 102 BetrVG). Wenn allerdings ein gesamter Betrieb auf einen Erwerber übertragen wurde, muss der bisherige Arbeitgeber vor einer betriebsbedingten Kündigung nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG den – mit
dem Betrieb übergegangenen – Betriebsrat nicht anhören, weil dieser nicht mehr für den Arbeitnehmer zuständig ist.755 Auch ein anderer (Gesamt-)Betriebsrat wird nicht zuständig.
Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor keinem anderen Betrieb zugeordnet hat756, was auch stillschweigend oder konkludent erfolgen kann.
Unklar ist allerdings nach einer Entscheidung des BAG757, ob der Arbeitgeber in solchen Fällen eine Zuordnungsentscheidung treffen muss. Das hätte zur Folge, dass dann zumindest in
den Fällen, in denen der Arbeitgeber noch Inhaber eines oder mehrerer anderer Betriebe ist,
einer der dortigen Betriebsräte vor der Kündigung des widersprechenden Arbeitnehmers anzuhören wäre.
Offen ist, wie die Ausführungen des BAG zu verstehen sein sollen, da sich seine Ausführungen vom Wortlaut her allein auf den Übergang eines Teilbetriebs beziehen, im konkret zu
entscheidenden Sachverhalt aber wohl ein ganzer Betrieb auf den Veräußerer übertragen
wurde. Es ist daher zweifelhaft, ob der Arbeitgeber beim Übergang eines gesamten Betriebs
widersprechende Arbeitnehmer einem anderen Betrieb zuordnen muss oder nicht.
Dies ist abzulehnen, da dafür keine Rechtsgrundlage ersichtlich ist. Wenn sich der Arbeitnehmer für einen Widerspruch entscheidet, obwohl der gesamte Betrieb auf einen Erwerber
übergeht, dann ist es auch folgerichtig, dass er sich dann – außerhalb der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 2 KSchG – nicht darauf berufen kann, er wolle jetzt einem
anderen Betrieb des Arbeitgebers angehören.
Praxishinweis: Aus Sicherheitsgründen ist zu empfehlen, widersprechende Arbeitnehmer
unmittelbar nach dem Widerspruch einem anderen Betrieb zuzuordnen und vor Ausspruch
der Kündigung den dort gebildeten Betriebsrat vorsorglich anzuhören. Dabei sollte bei der
Zuordnungsentscheidung darauf geachtet werden, dass sie billigem Ermessen entsprechen
muss. Wird also ein widersprechender Arbeitnehmer bewusst einem Betrieb zugeordnet, in
dem z. B. wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten eine betriebsbedingte Kündigung leichter als in anderen Betrieben wäre, könnte dies auf entsprechende anwaltliche Einwände der Gegenseite treffen.
Die (erhebliche) Gefahr bei einem solchen Vorgehen liegt allerdings darin, dass der Arbeitgeber in dem Augenblick, in dem er den bzw. einen anderen Betriebsrat anhört, eine Zuordnungsentscheidung getroffen hat und dann u. U. eine Sozialauswahl durchgeführt werden
muss. Es muss daher in jedem Einzelfall abgewogen werden, welche Lösung die günstigere
ist.
Die Kündigung eines widersprechenden Arbeitnehmers wird auch nicht dadurch unwirksam,
dass sich dieser Arbeitnehmer auf eine (angeblich) fehlende, unvollständige oder unzutref-
755
vgl. Kapitel I.
BAG v. 21.03.1996 – 2 AZR 559/95, NZA 1996, 974.
757
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 2472.
756
246
fende Information beruft. Das BAG hat klar entschieden, dass dies nicht zur Unwirksamkeit
einer betriebsbedingten Kündigung des widersprechenden Arbeitnehmers führt.758
b) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KSchG
Die Kündigung eines widersprechenden Arbeitnehmers ist gem. § 1 KSchG unwirksam,
wenn er auf einem anderen freien Arbeitsplatz, ggf. auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann.759 Insoweit gelten zunächst keine anderen
Grundsätze als bei anderen Kündigungen auch.
c) Frei werdende Arbeitsplätze
Zusätzlich ist jedoch eine weitere Erschwerung zu beachten: Nach der Rechtsprechung des
BAG muss der Arbeitgeber bei einem Betriebs(teil)übergang grundsätzlich ab dem Zeitpunkt,
in dem er die Arbeitnehmer von dem bevorstehenden Betriebsübergang unterrichtet und die
Arbeitnehmer Kenntnis vom Betriebsübergang haben, mit einem Widerspruch der übergehenden Arbeitnehmer rechnen, sodass er einen frei werdenden Arbeitsplatz nicht besetzen
und sich dann gegenüber dem widersprechenden Arbeitnehmer darauf berufen kann.760
Beispiel:
761
Arbeitnehmer A war bei einem Buch- und Zeitungsverlag als Auslieferungsfahrer beschäftigt.
Der Veräußerer V entschloss sich 2014, den gesamten Ladebereich und den Fuhrpark mit zwei
Fahrern zum 01.03.2015 auf ein Logistikunternehmen zu übertragen. Er unterrichtete A am
19.01.2015 und am 21.01.2015 über den bevorstehenden Betriebsteilübergang und den damit
verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses.
Mit Schreiben vom 16.2.2015 widersprach A dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Gegen
die daraufhin von V ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung wehrte er sich (mit Erfolg)
damit, er hätte auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können, den V
am 19.01.2015 mit einem anderen (externen) Bewerber besetzt hatte.
In welchen Zeiträumen genau der Arbeitgeber dabei mit einem Widerspruch rechnen muss,
hat das BAG offengelassen.762 Jedenfalls fällt darunter aber die Zeit zwischen der Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB und dem Ablauf der Frist nach § 613a Abs. 6 BGB, sodass der
Arbeitgeber jedenfalls in diesem einmonatigen Zeitraum vergleichbare Arbeitsplätze, die im
Betrieb oder in einem anderen Betrieb seines Unternehmens (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 KSchG) frei
sind und die von den übergehenden Arbeitnehmer besetzt werden könnten, nicht mit neu
eingestellten Arbeitnehmern besetzen sollte.
Damit begegnet er der Gefahr, dass ihm eine Stellenneubesetzung entgegengehalten wird,
wenn er den widersprechenden Arbeitnehmer betriebsbedingt kündigen will. Freie Stellen,
die nicht von den übergegangen Arbeitnehmern – auch nach Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht – besetzt werden können, müssen im Einmonatszeitraum nicht freigehalten
werden.
Praxishinweis: Für den Veräußerer resultiert aus dieser Rechtsprechung bei Betriebsteilübertragungen ein erhebliches Risiko, zumal er ggf. nach § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG zur Wei758
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 2472.
Im Kündigungsschutzverfahren trägt dafür jedoch zunächst einmal der Arbeitnehmer die Darlegungslast, BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430.
760
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430; a.A. Lunk/Möller NZA 2004, 9.
761
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430.
762
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430.
759
247
terbeschäftigung des Arbeitnehmers nach ihm zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen verpflichtet ist.
Um dieses Risiko zu verringern, empfiehlt es sich, in solchen Konstellationen frei werdende
Arbeitsplätze nach Möglichkeit nicht sofort wieder zu besetzen, sondern zumindest den Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist (§ 613a Abs. 6 BGB) abzuwarten, die vom Zeitpunkt
der Information nach § 613a Abs. 5 BGB abhängig ist. Dies dürfte auch für Neubesetzungen
kurz vor einer geplanten Betriebsteilübertragung gelten. Nimmt der Arbeitgeber dennoch eine Neubesetzung vor, bleibt ihm jedoch nur der Weg der Kündigung des neu eingestellten
Arbeitnehmers, die dann i. d. R. noch innerhalb der ersten sechs Monate vor der Geltung
des KSchG ohne Kündigungsgrund erfolgen kann.
Für Kündigungsschutzverfahren ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer nach den
vom BAG entwickelten Regeln eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit aufzeigen muss.763
aa) Widerspruchsrecht des Betriebsrats bei Neueinstellungen
Des Weiteren stellt sich für den Veräußerer die Frage, ob dem Betriebsrat bei einer Neueinstellung während des Laufs der Widerspruchsfrist ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach
§ 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zusteht, da dem übergehenden Arbeitnehmer bei Widerspruch die
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses droht. In der Literatur wird die Auffassung vertreten,
dass dem Arbeitnehmer zunächst kein Nachteil droht. 764 Allerdings überzeugt die Auffassung nicht, weil es auf die durch Tatsachen begründete Besorgnis ankommt, dass dem Widersprechenden durch die Neueinstellung eine Kündigung (mangels Weiterbeschäftigungsmöglichkeit) droht, was kaum bestritten werden kann.
Deshalb ist entgegen den Stimmen in der Literatur ein Zustimmungsverweigerungsrecht innerhalb der Monatsfrist jedenfalls dann zu bejahen, wenn ein übergehender Arbeitnehmer im
Laufe des Einstellungsverfahrens des neuen Beschäftigten widerspricht.
Wurde hingegen das Widerspruchsrecht noch nicht ausgeübt, dürfte das Bestehen eines Zustimmungsverweigerungsrechts davon abhängig sein, ob man in der möglichen Ausübung
des Widerspruchsrechts durch die übergehenden Arbeitnehmer bereits eine „durch Tatsachen begründete Besorgnis“ sehen will. Dafür sollen nach allgemeiner Rechtslage bloße
Vermutungen noch nicht ausreichen.765 Damit reicht die bloße Widerspruchsmöglichkeit noch
nicht aus. Der Betriebsrat muss dann ggf. vortragen, welche Tatsachen ihm vorliegen, die
auf einen Widerspruch durch den bzw. die von einem Betriebsteilübergang betroffenen Arbeitnehmer schließen lassen. Dies könnte z. B. auch ein Gespräch mit dem oder den betroffenen Arbeitnehmern sein, in denen diese einen Widerspruch ernsthaft ankündigen.
Praxishinweis: Der Veräußerer sollte daher auf jeden Fall in den mit dem neu einzustellenden Arbeitnehmer abzuschließenden Arbeitsvertrag die Klausel aufnehmen, dass dieser nur
vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrates zur Einstellung geschlossen wird.
bb) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei Massenwidersprüchen
Besondere Probleme gibt es mit dieser Rechtsprechung darüber hinaus dann, wenn nicht einer, sondern gleich mehrere Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen und nur ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb
des Unternehmens vorhanden ist.
763
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430.
a. A. Lunk/Möller NZA 2004, 9.
765
Huke in H/W/G/N/R/H, § 99 BetrVG, Rn. 171.
764
248
Beispiel:
766
Arbeitnehmer A war bei einem Buch- und Zeitungsverlag als Auslieferungsfahrer beschäftigt.
Der Veräußerer V entschloss sich 2014, den gesamten Ladebereich und den Fuhrpark mit zwei
Fahrern zum 01.03.2015 auf ein Logistikunternehmen zu übertragen. Er unterrichtete A am
19.01.2015 und am 21.01.2015 über den bevorstehenden Betriebsteilübergang und den damit
verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Mit Schreiben vom 16.2.2015 widersprach
A dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. Gegen die daraufhin von V ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung wehrte er sich (mit Erfolg) damit, er hätte auf einem anderen freien
Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können, den V am 19.01.2015 mit einem anderen (externen) Bewerber besetzt hatte.
Wandelt man das o. g. Beispiel dahin gehend ab, dass beide Fahrer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen hätten, stellt sich die Frage, wem der Arbeitgeber den
freien Arbeitsplatz hätte anbieten müssen. Dies wird man wohl in Anlehnung an die Grundsätze zur Sozialauswahl lösen müssen, sodass der Arbeitgeber dem sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer den freien Arbeitsplatz hätte anbieten müssen und dem anderen hätte
kündigen dürfen. Es ist aber eine freie unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers,
das Anforderungsprofil für einen eingerichteten Arbeitsplatz festzulegen.767
Kann sich der widersprechende Arbeitnehmer auf besonderen Kündigungsschutz berufen,
z. B. weil er Betriebsrats-Mitglied ist, ist der Arbeitgeber u. U. sogar dazu verpflichtet, einen
Arbeitsplatz freizukündigen.768
Ähnlich strenge Voraussetzungen stellt das BAG auf, wenn ein (tariflich) ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat.769 In diesem Fall sollen an die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen, verschärfte Anforderungen gestellt werden. Der Arbeitgeber soll alle zumutbaren Mittel, die eine Weiterbeschäftigung ermöglichen, ausschöpfen müssen. Legt der widersprechende unkündbare Arbeitnehmer dar, wie er sich eine Weiterbeschäftigung vorstellt, soll es
nicht genügen, wenn der Arbeitgeber das Vorhandensein entsprechender freier Arbeitsplätze
bestreitet und ggf. nachweist. Er soll vielmehr ggf. unter Vorlage der Stellenpläne substantiiert darlegen, weshalb ein geeigneter Arbeitsplatz nicht freigemacht bzw. durch eine entsprechende Umorganisation geschaffen werden kann oder nicht zumutbar gewesen sein soll.
Auch das zu erwartende Freiwerden eines geeigneten Arbeitsplatzes aufgrund üblicher Fluktuation soll zu berücksichtigen sein.
Praxishinweis: Es dürfte sich ohne Weiteres ergeben, dass die betriebsbedingte Kündigung
eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses
widersprochen hat, allenfalls dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn nicht nur ein Betrieb, sondern zugleich ein ganzes Unternehmen stillgelegt wird (§ 15 KSchG).
d) Sozialauswahl
Eine andere Ebene ist betroffen, wenn zwar der Arbeitsplatz des widersprechenden Arbeitnehmers entfällt (und eine Weiterbeschäftigung gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 KSchG nicht möglich
766
BAG v. 15.08.2002 – 2 AZR 195/01, NZA 2003, 430.
BAG v. 07.07.2005 - 2 AZR 399/04, DB 2006, 341.
768
BAG v. 17.09.1998 – 2 AZR 419/97, NZA 1999, 870 (tarifliche Unkündbarkeit);
LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97, BB 1998, 1317 (Betriebsratsmitglied);
ausführlich hierzu Teil I.
769
BAG v. 17.09.1998 – 2 AZR 419/92, NZA 1999, 258.
767
249
ist), er oder sie jedoch mit anderen Arbeitnehmern vergleichbar ist und deshalb eine Sozialauswahl durchzuführen ist. Dies ist dann relevant, wenn ein Betriebsteil übertragen wird, da
die Sozialauswahl betriebs- und nicht unternehmensbezogen durchzuführen ist.
Beispiel:
Der im ausgegliederten und übertragenen Betriebsteil „Vertrieb“ beschäftigte EDV-Fachmann
widerspricht dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses und wendet sich gegen die daraufhin
ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung mit dem Einwand, er sei vergleichbar mit dem in
der Personalabteilung beschäftigten EDV-Fachmann und schutzwürdiger als dieser.
Umgekehrt scheidet also eine Sozialauswahl aus, wenn ein ganzer Betrieb übertragen wird.
Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die widersprechenden Arbeitnehmer mit Arbeitnehmern
eines anderen Betriebes zu vergleichen, besteht nicht.
Die Rechtslage ist allerdings durch die Entscheidung des BAG770 wesentlich unsicherer geworden. Danach ist nunmehr unklar, ob der Arbeitgeber den widersprechenden Arbeitnehmer auch beim Übergang eines ganzen Betriebs einem anderen Betrieb zuordnen muss.
Wäre dies der Fall, hätte dies zur Folge, dass in dem Betrieb, dem der widersprechende Arbeitnehmer zugeordnet wird, eine Sozialauswahl durchzuführen wäre. Die Ausführungen des
BAG sind jedoch unklar und widersprüchlich. Es fehlt eine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Zuordnungsentscheidung zu treffen.
Praxishinweis: Folgt man aus Sicherheitsgründen der gegenteiligen Auffassung, treten vor
allem dann, wenn mehrere Arbeitnehmer dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen, erhebliche Folgeprobleme auf. Im „zugeordneten Betrieb“ könnte keine auch nur halbwegs rechtssichere Sozialauswahl durchgeführt werden.
Das Problem stellt sich nicht, wenn die widersprechenden Arbeitnehmer mit den Arbeitnehmern im zugeordneten Betrieb – z. B. wegen eines ganz anderen vertraglichen Tätigkeitsbereichs – nicht vergleichbar sind, da eine Sozialauswahl dann aus anderen Gründen ausscheidet. Art und Weise des Vorgehens sollten daher jeweils vom Einzelfall abhängig gemacht werden.
Ist nach diesen Grundsätzen eine Sozialauswahl durchzuführen, folgt sie den hierfür entwickelten üblichen Regeln, d. h. es ist insbesondere vor der Durchführung der eigentlichen Sozialauswahl zu prüfen, ob der oder die widersprechenden gekündigten Arbeitnehmer mit anderen Arbeitnehmern des verbleibenden (Rest-)Betriebs vergleichbar sind.
Da ein Betriebsteilübergang i. d. R. zur Folge hat, dass die widersprechenden Arbeitnehmer
nicht mehr mit den Tätigkeiten betraut werden können, die sie im übergegangenen Betriebsteil verrichtet haben, wird durchweg die Frage relevant, ob sie – ggf. nach einer kurzen Einarbeitungszeit – andere Tätigkeiten verrichten können und ob ihnen diese Tätigkeiten aufgrund des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und/oder ihres Arbeitsvertrages zugewiesen
werden können. Das BAG spricht insofern von tatsächlicher und rechtlicher Einsetzbarkeit des widersprechenden Arbeitnehmers.771
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Sozialauswahl entfällt nicht deshalb, weil die Arbeitnehmer ihr Widerspruchsrecht ausgeübt haben. Aufgrund des abschließenden Katalogs des
§ 1 Abs. 3 KSchG ist ein ausgeübter Widerspruch im Rahmen der Sozialauswahl unbeacht770
771
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 2472.
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 398/04, DB 2005, 2472.
250
lich. Die Sozialauswahl ist auf die Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung beschränkt. Dies hat das BAG auch bestätigt. Das BAG
verkennt zwar nicht, dass es dadurch zu einem „Verdrängungswettbewerb“ zwischen den
Arbeitnehmern des übergegangenen Betriebsteils und den restlichen, vom Übergang nicht
betroffenen Arbeitnehmern kommt. Dies hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung aber
offensichtlich in Kauf genommen.772 Zudem sind die Gründe und Motive für den Widerspruch
belanglos.773
e) Betriebsratsanhörung
Wie bereits angesprochen, muss der Betriebsrat des Ursprungsbetriebes bei einem Teilbetriebsübergang vor der geplanten (betriebsbedingten) Kündigung eines widersprechenden
Arbeitnehmers gem. § 102 Abs. 1 BetrVG angehört werden.
Praxishinweis: Auch im Fall der Aufstellung einer Namensliste muss der Betriebsrat noch
nach § 102 BetrVG zu den einzelnen Kündigungen angehört werden.
Hinsichtlich des Umfangs der Mitteilungspflichten gegenüber dem Betriebsrat gilt nichts anderes als für andere betriebsbedingte Kündigungen.
4. Versetzungen vor dem Betriebsübergang
Versetzt der Veräußerer in unmittelbarer Nähe vor dem Betriebsübergang einzelne Arbeitnehmer, sind diese Versetzungen auch an § 613a BGB zu messen. Ob der Arbeitnehmer
vom Betriebsübergang betroffen ist, hängt davon ab, welchem Betrieb bzw. Betriebsteil er
zuzuordnen ist. Dabei ist auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien abzustellen. Liegt eine
derartige Vereinbarung nicht vor, entscheidet der Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts. Unzulässig wäre es, den Mitarbeiter im Rahmen eines Interessenausgleichs einem
anderen Betriebsteil zuzuordnen, ohne dass eine vorherige wirksame Versetzung stattgefunden hat. Daher ist es dem Veräußerer nicht möglich, mittels eines Interessenausgleichs
bzw. einer Vereinbarung mit dem Erwerber den Mitarbeiter organisatorisch in einen anderen
Bereich einzugliedern.774
Beispiel:
Die A GmbH betreibt einen Callcenter, in dem Telefontätigkeiten und Backofficearbeiten erledigt
werden. Im Zuge einer Umstrukturierung wurde der Mitarbeiter N mit seinem Team in den ersten Stock des Gebäudes versetzt. Von dort verrichtete er nunmehr ausschließlich Backofficetätigkeiten. Die A GmbH beschließt einige Zeit später die GmbH aufzuspalten und den Geschäftsbereich Telefontätigkeiten an die B GmbH und die Backofficearbeit an die C GmbH zu
verpachten. Würde im Interessenausgleich mit dem Betriebsrat vereinbart, dass N dem Bereich
Telefontätigkeit zuzuordnen ist, wäre dies wegen eines Verstoßes gegen § 613a BGB unwirksam, weil zuvor keine wirksame Zuordnung zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffen
wurde und der Interessenausgleich für eine rechtliche Bindung nicht ausreicht.
Abwandlung:
N wird vorliegend dem Bereich der Backofficearbeiten zugeordnet, widerspricht dem geplanten
Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die C GmbH, teilt aber mit, dass er, nachdem er vor
772
BAG v. 31.05.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33.
BAG v. 29.03.2007 – 8 AZR 538/06, NZA 2008, 48.
774
BAG v. 21.02.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617;
BAG v. 21.06.2012 – 8 AZR 181/11, NZA 2013, 344.
773
251
der Umstrukturierung Telefontätigkeiten mit ausführte, für die Tätigkeit in der B GmbH zur Verfügung steht. Nach dem BAG resultiert daraus aber kein Anspruch des Arbeitnehmers, einem
775
anderen Betrieb zugeordnet zu werden.
Praxishinweis: Vor dem Betriebs(teil)übergang sollte der Veräußerer überprüfen, ob die
Mitarbeiter dem Bereich, in dem sie tätig sind, auch wirksam zugeordnet sind und die Zuordnung beim Betriebs(teil)übergang beibehalten wird.
5. Wiedereinstellungsanspruch bei unerwartetem/ungeplantem Betriebsübergang
a) Wiedereinstellungsanspruch vor Ablauf der Kündigungsfrist
Ausschließlich bei unerwarteten oder ungeplanten Betriebsübergängen tritt die zusätzliche
Frage auf, ob Arbeitnehmer, denen der Veräußerer z. B. wegen Auftragswegfalls (wirksam)
betriebsbedingt gekündigt hat, nach dem Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. dem Zugang der
Kündigungen einen Wiedereinstellungsanspruch gegen den Erwerber geltend machen können.776 Dies wird vom BAG jedenfalls dann angenommen, wenn der Betriebsübergang noch
während des Laufs der Kündigungsfrist stattfindet.777 Dies gilt auch für den Fall, dass der Betriebsübergang bereits beschlossen aber noch nicht vollzogen ist.778
Ein Wiedereinstellungsanspruch nach Maßgabe der o. g. Voraussetzungen besteht auch
dann, wenn ein Arbeitnehmer mit dem Veräußerer einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen
hat.779 Der Wiedereinstellungsanspruch muss unverzüglich nach Kenntniserlangung über die
den Betriebsübergang begründenden Tatsachen geltend gemacht werden.780
Das BAG hat in Anlehnung an die Frist zur Ausübung des Widerspruchs entschieden, auch
das Wiedereinstellungs- und Fortsetzungsverlangen binnen eines Zeitraums von einem
Monat geltend zu machen, da der Zweck des Bestandsschutzes Phasen vermeidbarer Ungewissheit über das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigt. Für die
Einhaltung der Frist genügt die Bewerbung eines gekündigten Arbeitnehmers beim Erwerber.781
Beispiel:
Der Veräußerer V beschließt, seinen Betrieb wegen erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten
zum 31.12.2015 stillzulegen und kündigt seinen Arbeitnehmern im Oktober 2015 zum Jahresende. Im Dezember 2015 findet sich überraschend ein Investor, der den Betrieb zum
15.12.2015 übernimmt. Die gekündigten Arbeitnehmer können einen Wiedereinstellungsanspruch geltend machen.
Dem gleichgestellt ist der Fall, dass sich während des Laufs der Kündigungsfrist die der
Kündigung zugrunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nachträglich als unzutreffend herausstellt, weil er z. B. den Betriebsübergang
nicht oder anders als ursprünglich geplant vollzieht.
775
BAG v. 21.02.2013 – 8 AZR 877/11, NZA 2013, 617.
Bonanni/Niklas, DB 2010, 1826.
777
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251.
778
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357.
779
BAG v. 28.06.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097.
780
BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311.
781
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357.
776
252
Beispiel:
782
Der Veräußerer V in B beschließt seine Produktion auf den Erwerber E in M zu übertragen. Mit
Schreiben vom 06.10.2004 widersprach Arbeitnehmer A dem Betriebsübergang, aufgrund der
persönlichen Verhältnisse und des weiten Wegs von B nach M. Daraufhin wurde das Arbeitsverhältnis am 25.10.2004 zum 31.03.2005 gekündigt. Die erhobene Kündigungsschutzklage
hatte keinen Erfolg. Anfang März 2005 beschloss E die Produktion in B zu belassen. A machte
vorliegend erfolgreich einen Wiedereinstellungsanspruch bzw. Fortsetzungsanspruch gegen E
geltend.
b) Wiedereinstellungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist
Der für das Betriebsübergangsrecht zuständige 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dies
in zwei Fällen angenommen, in denen die Kündigungsfrist der Arbeitnehmer zeitgleich mit
dem Auslaufen des (Reinigungs-)Auftrags endete und der Erwerber (= neuer Auftragnehmer)
unmittelbar anschließend durch die Einstellung einer wesentlichen Anzahl von Arbeitnehmern des Veräußerers einen Betriebsübergang herbeiführte.783
In den aktuellen Entscheidungen lässt das BAG den Wiedereinstellungsanspruch mit Ablauf
der Kündigungsfrist enden.784 Eine Ausnahme macht das BAG für den Fall, dass der Betriebsübergang zwar erst kurz nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt, es aber möglich war
den Arbeitnehmer schon während des Laufs der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Damit war die Prognoseentscheidung bei Ausspruch der Kündigung, dass der Arbeitsplatz wegfällt, falsch.785
Beim Erwerb eines Betriebes oder Betriebsteils aus der Insolvenz ist ein Wiedereinstellungsanspruch ebenfalls ausgeschlossen, wenn der Betriebsübergang nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt.786
c) Entgegenstehende berechtigte Interessen des Erwerbers
Dem Wiedereinstellungsanspruch können berechtigte Interessen des Erwerbers entgegenstehen. Bei Wiedereinstellungsansprüchen nimmt das BAG dies allgemein an, wenn der Arbeitgeber einen unvorhergesehen frei werdenden Arbeitsplatz schon wieder mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt hat, weil er auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertraut
hat.787 Der Arbeitgeber darf den Wegfall der in Betracht kommenden Beschäftigungsmöglichkeit aber weder treuwidrig herbeigeführt noch treuwidrig vereitelt haben. Das BAG nimmt
dies an, wenn der Veräußerer oder der Erwerber weiß, dass sich gekündigte Arbeitnehmer
auf eine Stelle bewerben.788
Hingegen kann eine Weiterbeschäftigung unzumutbar sein, wenn sich nach endgültiger Stilllegungsabsicht und einer erfolgten betriebsbedingten Kündigung ein Erwerber findet, der den
Betrieb nach seinem unternehmerischen Konzept mit geringerer Personalstärke weiter-
782
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357.
BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251;
BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 156/95, NZA 1999, 486.
784
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357;
BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 208/07, NZA 2009, 29.
785
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; BAG v. 21.08.2008 – 8 AZR 208/07,
NZA 2009, 29; BAG v. 25.09.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469.
786
BAG v. 13.05.2004 – 8 AZR 198/03, DB 2004, 2107.
787
BAG v. 04.05.2006 – 8 AZR 299/05, DB 2006, 2129.
788
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357.
783
253
führt.789 Hierbei kann der Wiedereinstellungsanspruch auf lediglich einen Teil der bisherigen
Belegschaft nach sozialen Gesichtspunkten begrenzt sein.
6. Zulässigkeit betriebsbedingter Änderungskündigungen nach Betriebsübergang
Der Erwerber eines Betriebes hat nach einem Betriebsübergang die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen der übernommenen Arbeitnehmer den bei ihm geltenden Arbeitsbedingungen
anzupassen. Soweit eine Ablösung kollektivrechtlich geregelter Arbeitsbedingungen nach
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht in Betracht kommt und die übergehenden Arbeitnehmer den
Abschluss von Änderungsvereinbarungen verweigern, kommt nur eine Änderungskündigung
in Betracht. Notwendig hierfür ist ein Kündigungsgrund (§§ 1, 2 KSchG).
Der Betriebsübergang selbst stellt keinen (betriebsbedingten) Kündigungsgrund dar. Der Erwerber muss sich also auf andere Gründe berufen können. Die Erfolgsaussichten von Änderungskündigungen hängen vor allem davon ab, welche Arbeitsbedingungen der Erwerber
ändern will.
Schwierig und kaum durchsetzbar sind Änderungskündigungen, mit denen der Erwerber Änderungen beim Arbeitsentgelt oder der Dauer der Arbeitszeit durchsetzen will. Das BAG stellt
im Entgeltbereich strenge Anforderungen an das Vorliegen eines (betriebsbedingten) Kündigungsgrundes und lässt auch eine Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern nicht als
Kündigungsgrund ausreichen.790
Realistischerweise wird daher eine Änderungskündigung allenfalls dann Aussicht auf Erfolg
haben, wenn der Erwerber lediglich die Entgeltstrukturen ändern will, ohne die Höhe des im
Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsentgelts zu vermindern.
Einfacher durchsetzbar können Änderungskündigungen im organisatorischen Bereich sein;
allerdings wird hier schon häufig das Direktionsrecht des Arbeitgebers oder eine entsprechende Betriebsvereinbarung (z. B. zu Lage und Verteilung der Arbeitszeit) zur Änderung
der Arbeitsbedingungen ausreichen.
Praxishinweis: Vor Ausspruch einer Änderungskündigung sollte man daher immer prüfen,
ob dem Erwerber ggf. die mit dem Veräußerer getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen eine Anpassung von Arbeitsbedingungen gestatten.
7. Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf die kündigungsschutzrechtliche Stellung
der Arbeitnehmer
Ausschließlich für den Erwerber eines Betriebes oder Betriebsteils ist relevant, ob und wenn
ja, in welchem Umfang sich die übergehenden Arbeitnehmer auch noch nach dem Betriebsübergang auf ihre erworbene kündigungsschutzrechtliche Stellung berufen können. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die beim Veräußerer zurückgelegte Beschäftigungsdauer in vollem Umfang angerechnet wird.791 Dies hat vor allem Bedeutung für das Eingreifen des KSchG und die Sozialauswahl bzw. Sozialplanansprüche. Darüber hinaus stellt sich
die Frage, ob sich die übergehenden Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsübergang auf für
sie günstige besondere kündigungsschutzrechtliche Bestimmungen oder Vereinbarungen
berufen können. Dabei ist danach zu differenzieren, ob der Betrieb oder Betriebsteil im Wege
der Einzel- oder der Gesamtrechtsnachfolge übergeht.
789
BAG v. 04.12.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757.
BAG v. 16.05.2002 – 2 AZR 292/01, NZA 2003, 147.
791
Siehe Kapitel D.
790
254
a) Betriebsübergang kraft Einzelrechtsnachfolge
Ein etwaiger Sonderkündigungsschutz der übergehenden Arbeitnehmer bleibt grundsätzlich
auch nach Betriebsübergang erhalten.
Insbesondere für schwerbehinderte Menschen, Schwangere und Elternzeitler ändert sich
durch den Betriebsübergang nichts.
aa) Amtsträger
Anders ist die Rechtslage bei Amtsträgern zu werten, die unter den Sonderkündigungsschutz
des § 15 KSchG fallen, also vor allem Betriebsratsmitglieder sowie Mitglieder der Jugendund Auszubildendenvertretung. Sie behalten ihren Sonderkündigungsschutz nur dann, wenn
sie nach dem Betriebsübergang weiterhin ihr Amt behalten.
Dies ist dann der Fall, wenn ein ganzer Betrieb übertragen wird und dieser im Wesentlichen
unverändert weitergeführt wird, da das Amt des Betriebsrates dann unberührt bleibt. Denkbar ist auch, dass ein Betrieb in einen betriebsratslosen Betrieb eingegliedert wird, sodass
dem Betriebsrat des Ursprungsbetriebes gemäß § 21a BetrVG das Übergangsmandat zusteht.
Verliert ein auf den Erwerber übergehendes Betriebsratsmitglied durch den Betriebs(teil)übergang sein Mandat, kann es sich auf den nachwirkenden besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG berufen. Dies wird vor allem beim Übergang eines Betriebsteils der Fall sein, da in diesem Fall der Betriebsrat im Ursprungsbetrieb zwar
bestehen bleibt, das übergehende Betriebsratsmitglied jedoch sein Amt verliert, weil es nicht
mehr Arbeitnehmer des Ursprungsbetriebes ist.
bb) Einzelvertragliche und kollektivrechtliche Vereinbarungen
Kündigungsschutzrechtliche Vereinbarungen in Einzelarbeitsverträgen, Tarifverträgen oder
Betriebsvereinbarungen gehen nach den allgemeinen Regeln auf den Erwerber eines Betriebes über und werden, falls sie durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt sind,
u. U. nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst. Damit können auch Verschlechterungen für
die übergehenden Arbeitnehmer verbunden sein.
cc) Schwellenwert, § 23 KSchG
Die kündigungsschutzrechtliche Stellung der Arbeitnehmer kann weiterhin dadurch verschlechtert werden, dass ein ausgegliederter Betriebsteil nach dem Betriebsübergang als
selbstständiger (Klein-)Betrieb weiter geführt wird, in dem die Zahlengrenzen des § 23 Abs. 1
KSchG nicht erreicht werden.
Praxishinweis: Dies sollte in die nach § 613a Abs. 5 BGB zu erstellende Information der Arbeitnehmer aufgenommen werden.
b) Betriebsübergang kraft Gesamtrechtsnachfolge
Die oben dargestellten Grundsätze gelten auch für die Fälle, in denen ein Betrieb oder Betriebsteil mittels einer Gesamtrechtsnachfolge auf den Erwerber übergeht. Es können sich
jedoch Besonderheiten aus dem Umwandlungsgesetz ergeben. Wenn dem Betriebsübergang eine Spaltung (§§ 123 ff. UmwG) oder eine Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG)
zugrunde liegt, greift § 323 Abs. 1 UmwG ein, nach dem sich die kündigungsschutzrechtliche
255
Stellung eines übergehenden Arbeitnehmers aufgrund der Spaltung für die Dauer von zwei
Jahren nicht verschlechtert. Es ist umstritten, wie diese Vorschrift zu verstehen ist.792
Während zum einen die Auffassung vertreten wird, § 323 Abs. 1 UmwG regele allein den
Fall, dass ein Betrieb nach einer Spaltung aus dem Geltungsbereich des KSchG herausfällt,
also weniger als fünf/zehn Arbeitnehmer i. S. v. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt werden, wird
die Vorschrift zum anderen umfassend verstanden. Von ihr sollen danach alle gesetzlichen,
tarifvertraglichen oder betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen, die für die kündigungsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers von Bedeutung sind und auf deren Voraussetzungen
sich die Spaltung auswirkt, erfasst werden.
Dies hätte z. B. zur Folge, dass ein Betriebsratsmitglied, das sein Amt durch die Spaltung
verliert, dennoch für zwei Jahre den Sonderkündigungsschutz des § 15 KSchG genießen
würde. Außerdem würden tarifliche und betriebliche Bestimmungen zum Kündigungsrecht für
die Dauer von zwei Jahren ohne die Möglichkeit einer – gesetzlichen (§ 613a Abs. 1 Satz 3
BGB) oder vertraglichen (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB) – Ablösung uneingeschränkt weitergelten.
Deshalb ist die letztgenannte Auslegung unzutreffend, weil sie zu einem unlösbaren Widerspruch dazu führt, da § 613a Abs. 1 BGB gemäß § 324 UmwG auch auf Betriebsübergänge
anzuwenden ist, die auf einer Gesamtrechtsnachfolge beruhen. Dazu passt es nicht, wenn
§ 613a Abs. 1 BGB in einem Bereich faktisch verdrängt würde. Darüber hinaus entsteht auch
ein Widerspruch dadurch, dass allein die Spaltung und die Vermögensübertragung von
§ 323 UmwG erfasst werden, die Verschmelzung aber nicht. Wenn man aber ein besonderes
Schutzbedürfnis der übergehenden Arbeitnehmer bei einer Gesamtrechtsnachfolge nach
dem UmwG sieht, ist es kaum nachvollziehbar, warum dies nur bei der Spaltung und nicht
bei der Verschmelzung gelten soll. Die Vorschrift kann sich daher nur allein auf die Besonderheiten beziehen, die sich gerade bei einer Spaltung (und Vermögensübertragung) zu Lasten der Arbeitnehmer ergeben. Das aber ist nur das Herausfallen aus dem Geltungsbereich
des KSchG, während der Verlust des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 KSchG für Betriebsratsmitglieder und ihnen Gleichgestellte sowie die Ablösbarkeit tariflicher und betrieblicher Regelungen auch bei der Verschmelzung auftreten können.
Praxishinweis: Solange diese Rechtsfrage höchstrichterlich nicht geklärt ist, besteht indes
gerade bei einer Spaltung für den übernehmenden Rechtsträger ein nicht unerhebliches Risiko, wenn er bis zu zwei Jahren danach – insbesondere im Rahmen eines Personalabbaus
– betriebsbedingte Kündigungen aussprechen will, da nicht klar ist, auf welche Schutzvorschriften sich die übergehenden Arbeitnehmer berufen können. Daher sollte bereits im Vorfeld entsprechender Vorhaben – meist wird es sich um unternehmens- oder konzerninterne
Umstrukturierungen handeln – überlegt werden, ob eine Spaltung nach dem UmwG tatsächlich die richtige Option ist.
Das BAG hat im Übrigen entschieden, dass Unkündbarkeitsklauseln in Betriebsvereinbarungen von § 113 InsO verdrängt werden und dass auch § 323 UmwG dem Kündigungsrecht
des Insolvenzverwalters nicht entgegenstehen soll.793
792
793
Willemsen, Teil H, Rn. 154; Henssler/Willemsen/Kalb, § 323 UmwG, Rn. 1 ff, 5.
BAG v. 22.09.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658.
256
IV. Prozessuale Fragen beim Betriebsübergang
1. Passivlegitimation und Rechtskraftwirkung
Im Rahmen eines Betriebsübergangs kann es bei der Passivlegitimation des Veräußerers
und bei der Rechtskraftwirkung eines im Prozess zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer
ergangenen Urteils Probleme geben, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom
Veräußerer ausgesprochen wurde und danach ein Betriebsübergang erfolgt ist.
Spricht der Erwerber eine Kündigung des (übergegangenen) Arbeitsverhältnisses nach Betriebsübergang aus, ergeben sich keine Besonderheiten.
Praxishinweis: Macht allerdings der Arbeitnehmer im Prozess gegen den Veräußerer selbst
geltend, das Arbeitsverhältnis sei schon vor Ausspruch der Kündigung auf den Erwerber
übergegangen, so ist eine Klage gegen den Veräußerer unschlüssig und daher abzuweisen.794
Im Folgenden soll es daher nur um Fallgestaltungen gehen, bei denen der Veräußerer eine
Kündigung vor Betriebsübergang ausgesprochen hat.
Zwei Fälle sind hierbei zu unterscheiden:
 Kündigung vor Betriebsübergang und Klage vor Betriebsübergang
 Kündigung vor Betriebsübergang und Klage nach Betriebsübergang
a) Kündigung vor Betriebsübergang und Klage vor Betriebsübergang
Beispiel:
Der Veräußerer V kündigt dem Arbeitnehmer A am 01.09.2015 zum 31.12.2015. Am
15.09.2015 erhebt der A Klage vor dem Arbeitsgericht. Am 01.12.2015 findet ein Betriebsübergang auf den Erwerber E statt.
Die Klage ist gegen den Veräußerer zu richten und zwar unabhängig davon, ob der in der
Kündigung vorgesehene Beendigungszeitpunkt vor oder nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs liegt.795 Der Veräußerer ist und bleibt passiv legitimiert. Das im Prozess zwischen
Veräußerer und Arbeitnehmer ergehende Urteil wirkt in analoger Anwendung der §§ 265,
325 ZPO auch für und gegen den Erwerber.796 Nach einer Entscheidung des BAG797 gilt die
Rechtskraftwirkung auch für einen Vergleich. Da eine Gutglaubensvorschrift fehlt, kommt es
für die Rechtskraftwirkung schließlich nicht darauf an, ob der Erwerber Kenntnis von dem
Prozess zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer hatte.
Der Erwerber kann ein Interesse am Ausgang des Prozesses zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer haben. Für den Erwerber stellt sich daher die Frage, ob und wie er sich an diesem Prozess beteiligen kann. Da für den hier interessierenden Fall nicht nur § 325 ZPO,
794
BAG v. 18.04.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207.
BAG v. 18.03.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706; ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 170/171;
Henssler/Willemsen/Kalb, § 613a BGB, Rn. 371;
a.A. LAG Hamm v. 02.12.1999 – 4 Sa 1153/99, ZIP 2000, 325: Klage gegen den Erwerber, wenn
Kündigungsfrist erst nach Betriebsübergang abläuft.
796
BAG v. 24.05.2005 – 8 AZR 246/04, DB 2005, 2082;
BAG v. 18.03.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 706.
797
BAG v. 24.08.2006 – 8 AZR 574/05, NZA 2007, 328.
795
257
sondern auch § 265 Abs. 2 ZPO analog anzuwenden ist798, kann der Erwerber mit Zustimmung des Arbeitnehmers anstelle des Veräußerers den Prozess übernehmen. Stimmt dagegen der Arbeitnehmer einer Übernahme nicht zu, kann der Rechtsnachfolger (Erwerber) nur
im Wege der Nebenintervention gem. § 66 ff. ZPO am Prozess teilnehmen.799
Unzulässig dürfte eine Streitverkündung durch Veräußerer oder Arbeitnehmer gegenüber
dem Erwerber sein, da die Voraussetzungen des § 72 ZPO nicht erfüllt sind.
Praxishinweis: Während der Prozessvertreter des Veräußerers den Prozess ohne Rücksicht auf den Betriebsübergang weiterführen kann, besteht für den Prozessvertreter des Erwerbers nur die Möglichkeit der Nebenintervention, wenn der Arbeitnehmer seine Zustimmung zur Prozessübernahme durch den Erwerber verweigert. Ob sich der Erwerber am Prozess zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer beteiligen sollte, ist vor allem davon
abhängig, ob die Prozessführung (durch den Veräußerer) beeinflusst werden soll.
In der Praxis verbreitet ist es, dass der Arbeitnehmer neben der Kündigungsschutzklage gegen den Veräußerer noch eine Feststellungsklage gegen den Erwerber erhebt. Nach der
Rechtsprechung des BAG ist dies auch zulässig. 800 Es bestehen zwar wegen der Rechtskraftwirkung am Feststellungsinteresse erhebliche Zweifel, jedoch wird man mit diesem Einwand wenig Erfolg haben.
Der Arbeitnehmer kann jedoch den Veräußerer nicht hilfsweise für den Fall verklagen, dass
der Feststellungsantrag gegen den eventuellen Erwerber scheitert, weil eine bedingte subjektive Klagehäufung unzulässig ist.801
Eine Feststellungsklage gegen den Veräußerer nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist ist aufgrund der Neufassung des § 4 S. 1 KSchG nicht mehr statthaft. Denn das Kündigungsverbot
des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ist nunmehr als „anderer Grund“ im Rahmen der Frist des § 4 S.
1 KSchG geltend zu machen. Bei Fristversäumung kann der Arbeitnehmer also allenfalls einen Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 5 KSchG stellen.
Werden sowohl Veräußerer als auch Erwerber in der oben beschriebenen Weise verklagt,
entsteht zwischen ihnen nur eine einfache Streitgenossenschaft.802 Demnach hindern
Rechtsbehelfe nur eines Arbeitgebers den Eintritt der Rechtskraft gegen den anderen Arbeitgeber nicht.803 Will man bei getrennter Klageerhebung gegen Veräußerer und Erwerber –
wegen der Gefahr divergierender Entscheidungen – erreichen, dass über beide Klagen dasselbe Gericht entscheidet, sollte ein Antrag auf Prozessverbindung gemäß § 147 ZPO in Betracht gezogen werden.
Praxishinweis: Dies hat auch den Vorteil, dass man im Vergleichsfalle beide Verfahren zusammen erledigen kann. Sind die beiden Verfahren bei verschiedenen Gerichten oder
Kammern anhängig, kann man dennoch versuchen, sie im Vergleichsfall zusammen zu erledigen.
Wehrt sich der Veräußerer gegen eine Kündigungsschutzklage damit, dass er einen Betriebsübergang auf einen anderen Arbeitgeber behauptet, so ist ein Feststellungsinteresse für einen vom Arbeitnehmer gestellten allgemeinen Feststellungsantrag auf Fortbestand des Ar798
BAG v. 04.03.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260.
Zöller, § 265 ZPO, Rn. 8a.
800
BAG v. 04.03.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260.
801
BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534.
802
BAG v. 24.06.2004 – 2 AZR 215/03, AP Nr. 278 zu § 613a BGB.
803
BAG v. 04.03.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260.
799
258
beitsverhältnisses zum Veräußerer zu bejahen. Der den Betriebsübergang behauptende Arbeitgeber soll in einem solchen Fall den Erwerber im Wege der Drittwiderklage in den Prozess einbeziehen können.804
b) Kündigung vor Betriebsübergang und Klage nach Betriebsübergang
Beispiel:
Der Veräußerer V kündigt dem Arbeitnehmer A am 01.09.2014 zum 31.12.2014. Am
15.09.2015 findet ein Betriebsübergang auf den Erwerber E statt. Am 21.09.2015 erhebt A Klage vor dem Arbeitsgericht.
Gegen wen die Klage zu richten ist, ist fraglich. Nach der Rechtsprechung des BAG ist auch
in diesen Fällen die Klage gegen den Veräußerer zu richten, weil zwischen ihm und dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestand und
Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage die Frage ist, ob dieses Arbeitsverhältnis durch
die streitbefangene Kündigung beendet worden ist.805
Dies ist jedoch problematisch, weil die Rechtskraftwirkung gem. § 325 ZPO hier nicht eintritt,
da der Erwerber in diesem Falle nicht, wie von § 325 ZPO gefordert, nach, sondern bereits
vor Rechtshängigkeit „Rechtsnachfolger“ des Veräußerers wird.806 Deshalb ist nach anderer
Ansicht die Klage hier gleich gegen den Erwerber zu richten.807 Es kann sich also hier empfehlen, einer Klage des Arbeitnehmers gegen den Veräußerer mit dem Einwand der fehlenden Passivlegitimation zu begegnen.
Folgt man der Auffassung, wonach auch hier trotz fehlender Rechtskraftwirkung die Klage
gegen den Veräußerer zu richten ist, stellt sich die Frage, wie sich der Erwerber am Prozess
zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer beteiligen kann. Letztlich besteht auch hier die Möglichkeit der Nebenintervention gem. § 66 ZPO.
Unschlüssig ist die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers, falls er gegen den Erwerber
klagt und behauptet, dass ein Betriebsübergang stattgefunden hat, dem er aber widersprochen hat.808
2. Stellung eines Auflösungsantrags nach § 9 Abs. 1 KSchG
Nach der Rechtsprechung des BAG kann ein Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang vor
dem (beabsichtigten) Auflösungszeitpunkt des § 9 Abs. 2 KSchG einen bislang noch nicht
gestellten Auflösungsantrag nur in einem Prozess gegen den ihm bekannten Erwerber stellen.809 Die Passivlegitimation des Arbeitgebers für den Auflösungsantrag folgt nicht automatisch dem bereits erhobenen Kündigungsschutzantrag. Der Auflösungsantrag ist ein selbstständiger Antrag und ein eigenständiges prozessuales Institut des Kündigungsrechts, sodass
auch bei analoger Anwendung der §§ 265, 325 ZPO keine Prozessführungsbefugnis gegeben ist.810
804
LAG Köln v. 26.03.1998 – 5 Sa 1420/97, NZA-RR 1998, 398.
BAG v. 26.05.1983 – 2 AZR 477/81, DB 1983, 2690; BAG v. 27.09.1984 – 2 AZR 309/83,
NZA 1985, 493; ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 170/171;
Henssler/Willemsen/Kalb, § 613a BGB, Rn. 371.
806
BAG v. 18.02.1999 – 8 AZR 485/97, NZA 1999, 648.
807
Müller-Glöge, NZA 1999, 449.
808
LAG Nürnberg v. 05.10.2011 – 2 Sa 765/10, ArbRB 2012, 44.
809
BAG v. 20.03.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937.
810
BAG v. 20.03.1997 – 8 AZR 769/95, NZA 1997, 937.
805
259
Praxishinweis: Diese Rechtsprechung zwingt den Arbeitnehmer faktisch dazu, nur zwecks
Stellung des Auflösungsantrags den Erwerber zu verklagen. In der Praxis wird es daher –
wie ohnehin üblich – eher zu (außer-)gerichtlichen Vergleichen kommen.
Hinsichtlich eines Auflösungsantrags des Arbeitgebers gilt nach dem BAG, dass der Veräußerer befugt bleibt, aus eigenem Recht einen Auflösungsantrag zu stellen, wenn der Auflösungszeitpunkt zeitlich vor dem Betriebsübergang liegt. Der Veräußerer verfolgt in diesem
Fall nicht die Rechte des Erwerbers, sondern die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, welches bis zum Betriebsübergang bei ihm fortbestand. Offen bleibt, ob der Veräußerer den Antrag nach § 9 KSchG auch dann stellen kann, wenn der (behauptete) Betriebsübergang vor
Ablauf der Kündigungsfrist stattgefunden haben soll.
3. Prozessuale Fragen beim Wiedereinstellungsanspruch
Die Geltendmachung eines Wiedereinstellungsanspruchs ist nur gegenüber dem Erwerber
denkbar. Der Anspruch muss im Wege einer Klage auf Abgabe einer Willenserklärung (§ 894
ZPO) geltend gemacht werden.
Da eine bedingt subjektive Klagehäufung unzulässig ist811, kann der Arbeitnehmer auch nicht
gegenüber dem Erwerber hilfsweise den Wiedereinstellungsanspruch für den Fall geltend
machen, dass er mit seiner Kündigungsschutzklage gegenüber dem Veräußerer scheitert.
Es besteht daher nur die Möglichkeit der unbedingten Klageerhebung gegenüber Veräußerer
und Erwerber, mit der Folge, dass der Arbeitnehmer auf alle Fälle einen von beiden Prozessen verliert.
4. Beschlussverfahren
Ist zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs ein Beschlussverfahren zwischen dem Veräußerer
und dem Betriebsrat anhängig, wird der Prozess zwischen dem Erwerber und dem Betriebsrat fortgesetzt.
Anders als im Urteilsverfahren finden die §§ 265, 325 ZPO auch keine entsprechende Anwendung. Der Erwerber nimmt automatisch die Rechtsstellung des Veräußerers ein.812
Beispiel:
Ein Seniorenwohnheim wurde vom Veräußerer bis zum 31.12.2014 betrieben. Ab dem
01.01.2015 wurde das Heim an den Erwerber E verpachtet. Der Betriebsrat B betrieb gegen V
im August 2014 zwei Beschlussverfahren. Im Mai 2015 einigt man sich in den beiden Beschlussverfahren. Nachdem sich sowohl V als auch E weigerten die Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 2.000 € zu begleichen, verklagte B V und E gesamtschuldnerisch. Vorliegend haftet
nach dem BAG ausschließlich E für die entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von
2.000 €.
Entscheidend ist demnach, wer zum Zeitpunkt der Entscheidung Inhaber des Betriebs ist.
Dabei ergibt sich die Kostentragungspflicht aus § 40 BetrVG nicht unmittelbar aus § 613a
BGB, da dieser nur die individualrechtlichen Folgen regelt. Der Erwerber tritt unmittelbar in
die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Veräußerers ein und haftet als Betriebserwerber ausschließlich (alleine) für nicht erfüllte Freistellungsansprüche. Lediglich bei einem
811
812
BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, NZA 1998, 534.
BAG v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12, NZA 2015, 1530.
260
Betriebsübergang aus der Insolvenz haftet der Erwerber nicht für Insolvenzforderungen,
sondern nur für Masseverbindlichkeiten. Dies gilt dann auch für Betriebsratskosten, die nach
§ 40 BetrVG entstanden sind.813 § 613a Abs. 2 BGB ist vorliegend auf den Beispielsfall weder direkt noch analog anwendbar. Die Haftung des Erwerbers ist außerdem unabhängig davon, ob der Betriebsübergang erst im Rechtsbeschwerdeverfahren eintritt.814
813
814
BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07.
BAG v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12, NZA 2015, 1530.
261
Kapitel F: Insolvenz
265
I. Insolvenzverfahren im Überblick
265
II. Grundsätzliche Geltung des § 613a BGB in der Insolvenz
266
III. Anwendungsbereich und Umfang der Haftungsbeschränkung des Erwerbers
268
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Eingreifen der Haftungsbeschränkung
268
a) Zeitpunkt des Betriebsübergangs nach der Rechtsprechung
269
b) Personelle Verflechtung von Veräußerer und Erwerber
269
c) Darlegungs- und Beweislast
270
2. Umfang der Haftungsbeschränkung
271
a) Monatlich laufendes Arbeitsentgelt
271
b) Einmalzahlungen/Sonderzahlung
272
aa) Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter
bb) Sonderzahlungen mit Mischcharakter
cc) Sonderleistungen/Gratifikationen im Übrigen
272
272
272
c) Urlaubsansprüche
272
d) Arbeitszeitkonten
273
aa) Haftung des Erwerbers – Insolvenz des Veräußerers
bb) Haftung des Veräußerers – Insolvenz des Erwerbers
273
274
e) Altersteilzeit
275
f) Sozialplanansprüche
276
g) Abfindungsansprüche
277
h) Kündigung und behördliche Zustimmung
277
i) Betriebliche Altersversorgung
277
aa) Haftungsbeschränkung
bb) Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern
(1) Verzicht
(2) Abfindung
(3) Eingriff / Modifizierung
277
278
278
279
279
j) Betriebsratskosten
279
IV. Arbeitsrechtliche Besonderheiten aus Erwerbersicht
282
1. Kündigungen und Insolvenz
282
2. Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch gekündigter Arbeitnehmer
282
3. Umsetzung des Erwerberkonzepts vor Betriebsübergang
282
263
Kapitel F: Insolvenz
I. Insolvenzverfahren im Überblick
Da das Insolvenzverfahren auch der Sanierung und nicht nur der Gläubigerbefriedigung
durch die Abwicklung des insolventen Betriebes dienen soll (§ 1 InsO), ist ein Betriebsübergang im Zusammenhang mit der Insolvenz in der Praxis häufiger anzutreffen. Für die rechtlichen Besonderheiten bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz sind die einzelnen Schritte im Insolvenzverfahren entscheidend.
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
§ 13 InsO
Prüfverfahren durch Insolvenzgericht vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens
(Masse zur Deckung der Verfahrenskosten
ausreichend)
§ 26 InsO
Anordnung von Sicherungsmaßnahmen vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens
§§ 21, 22 InsO
z. B. vorläufiger Insolvenzverwalter
Durch Eröffnungsbeschluss
Eröffnung des
Insolvenzverfahrens
Abweisung des Antrags
mangels Masse
§ 26 InsO
§ 27 InsO
Insolvenzverfahren
§§ 28 f. InsO
265
II. Grundsätzliche Geltung des § 613a BGB in der Insolvenz
§ 613a BGB findet nach der ständigen Rechtsprechung des BAG auch in der Insolvenz Anwendung.815 Das heißt in der Praxis insbesondere:
 Eintritt in die bestehenden Arbeitsverhältnisse auch bei einem Erwerb vom Insolvenzverwalter816,
 Bindung an die im Betrieb bestehenden Kollektivverträge ebenso nach den Vorgaben
des § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB,817
 Geltung der Unterrichtungspflicht nach Abs. 5 und des Widerspruchsrechts nach
Abs. 6,818
 Bindung auch des Insolvenzverwalters an die Vorschriften des KSchG (bei verkürzter
Kündigungsfrist § 113 InsO) sowie an das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4
BGB.819
Für Betriebsübergänge in der Insolvenz gelten jedoch rechtliche Besonderheiten, die dann
beachtet werden müssen, wenn ein Unternehmen einen Betrieb oder Betriebsteil von einem
insolvent gewordenen Unternehmen erwirbt.
Diese rechtlichen Besonderheiten ergeben sich vor allem aus der Haftungsbeschränkung für
den Erwerber. Er haftet nicht für Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden (§ 41 Abs. 1 InsO), da insoweit die Verteilungsgrundsätze des Insolvenzverfahrens Vorrang haben.820 Tragender Grund für diese Haftungsbeschränkung ist, dass eine Haftung des Erwerbers für rückständige Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, zu einer Benachteiligung der anderen Insolvenzgläubiger führen würde.
Der Erwerber würde nämlich in diesem Fall den Kaufpreis um die Höhe der zu erwartenden
Verbindlichkeiten mindern, was zu Lasten der Insolvenzmasse ginge. Die anderen Gläubiger
des Insolvenzschuldners würden dann in noch größerem Umfang mit ihren Forderungen
ausfallen, währenddessen die Arbeitnehmer volle Befriedigung ihrer Forderungen erlangen
würden.
Praxishinweis: Entscheidender Zeitpunkt für die Haftungsbeschränkung ist nicht der Betriebsübergang, sondern die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Erwerber kann sich nur
auf die Haftungsbeschränkung berufen, wenn der Betriebs(teil)übergang nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens erfolgt ist. Es ist daher zu empfehlen, keine Indizien zu setzen, die
auf die Übernahme der Leitungsmacht schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
schließen lassen.
Beispiel:
Über das Vermögen der Firma V wird am 01.09.2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Erwerber übernimmt diese Firma zum 01.11.2015. Er kann sich damit auf die Haftungsbeschränkung berufen, dies allerdings nur für Ansprüche der übergehenden Arbeitnehmer, die vor dem
01.09.2015 begründet wurden.
815
BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 917/06; BAG v. 17.01.1980 – 3 AZR 160/79, DB 1980, 308; bestätigt
für das Insolvenzverfahren von BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318.
816
BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08.
817
BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01.
818
Henssler/Willemsen/Kalb, § 613a BGB, Rn. 364.
819
BAG v. 16.09.1982 – 2 AZR 271/80.
820
BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318.
266
Die Haftungsbeschränkung des Erwerbers greift grundsätzlich nicht bei sog. Masseverbindlichkeiten ein.821 Zu den Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO gehören auch die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Diese
sind zwar vorrangig aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Dennoch kann für den Erwerber
insoweit ein nicht unbeträchtliches Haftungsrisiko bestehen, wenn der Insolvenzverwalter
nicht in der Lage ist, diese Masseverbindlichkeiten in vollem Umfang zu erfüllen.
Beispiel:
822
Über das Vermögen der Firma V wurde am 14.09.1981 das Konkursverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigt Arbeitnehmer A am 25.09.1981 fristgemäß zum 17.10.1981. Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage wurde stattgegeben. Der Erwerber E erwirbt den Betrieb zum 01.04.1982. Er wird nun von A auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit vom
18.10.1981 bis zum 31.03.1982 verklagt. Das BAG hat der Klage stattgegeben, weil sich die
von ihm angenommene Haftungsbeschränkung des Erwerbers im Konkurs nicht auf Masseschulden beziehe. An dieser Rechtsprechung hat sich durch die Einführung der Insolvenzordnung nichts geändert.
Die Haftungsbeschränkung auf Ansprüche, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründet wurden, bedeutet im Umkehrschluss, dass in Bezug auf künftige Ansprüche der
Arbeitnehmer für den Erwerber die gleichen Rechtsgrundsätze gelten wie bei Betriebs(teil)übergängen außerhalb der Insolvenz.
Weder hinsichtlich der individualvertraglich noch der kollektivrechtlich geregelten Arbeitsbedingungen gelten also Besonderheiten.823 Damit bestehen für den Erwerber auch dann,
wenn er einen Betrieb oder Betriebsteil aus der Insolvenz erwirbt, die gleichen Schwierigkeiten bei der Übernahme und Anpassung von Arbeitsbedingungen wie bei einem Betriebs(teil)übergang außerhalb der Insolvenz.
Zusammenfassender Überblick
Haftungsbeschränkung für den Erwerber
Erwerber
Ansprüche der Arbeitnehmer
Ansprüche der Arbeitnehmer
Eröffnung des
Insolvenzverfahrens
Betriebs(teil)übergang
821
BAG v. 04.12.1986 – 2 AZR 246/86, NZA 1987, 460; BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03,
NZA 2003, 651; BAG v. 09.12.2009 – 7 ABR 90/07, NZA 2010, 461.
822
BAG v. 04.12.1986 – 2 AZR 246/86, NZA 1987, 460.
823
Lembke, BB 2007, 1333.
267
III. Anwendungsbereich und Umfang der Haftungsbeschränkung des Erwerbers
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Eingreifen der Haftungsbeschränkung
Der Erwerber kann sich auf die Haftungsbeschränkung nur berufen, wenn ein Betrieb oder
Betriebsteil nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf ihn übergegangen ist. Das Insolvenzverfahren wird durch den Eröffnungsbeschluss gemäß § 27 InsO eröffnet.
Der Erwerb eines Betriebs/Betriebsteiles vor oder ohne Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann für den Erwerber erhebliche finanzielle Risiken mit sich bringen.
Praxishinweis: Erfolgt der Betriebsübergang vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens,
bedeutet das im Umkehrschluss, dass eine Haftungsbeschränkung ausscheidet.
Eine Haftungsbeschränkung greift auch dann nicht, wenn ein vorläufiger – schwacher oder
starker – Insolvenzverwalter den Betrieb oder Betriebsteil veräußert.824 Die Bestellung eines
vorläufigen Insolvenzverwalters ist eine der Sicherungsmaßnahmen, die das Insolvenzgericht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordnen kann (§§ 21, 22 InsO).
Exkurs – Insolvenzrecht: Wird dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und gleichzeitig ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO), geht gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf diesen über (sog. starker Insolvenzverwalter). Der Insolvenzverwalter
tritt dann in die Rechtsstellung des Schuldners ein.
Das Insolvenzgericht kann aber auch gemäß § 22 Abs. 2 S. 1 InsO die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters einzeln bestimmen (sog. schwacher Insolvenzverwalter).
Eine Haftungsbeschränkung kommt ebenfalls nicht in Betracht, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird.825 Unschädlich für die Haftungsbeschränkung des Erwerbers ist aber, wenn erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verfahren mangels Masse eingestellt wird.826
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass eine Haftung des Erwerbers nach § 613a
Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe der Quote dann in Betracht kommt, wenn ein Insolvenzplan abgeschlossen wurde. Dies soll sich aus § 254 InsO ergeben.827
Praxishinweis: Es wird empfohlen, einen Betrieb oder Betriebsteil während des laufenden
Insolvenzverfahrens zu erwerben, da in diesem Fall die Haftung für Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden, vollständig entfällt. Wenn also ein Erwerb geplant ist, sollte er nach Eröffnung, aber vor Abschluss des Insolvenzverfahrens vollzogen werden.
Offengelassen hat das BAG die Frage, ob die Haftungsbeschränkung des Erwerbers ausnahmsweise in den Fällen greift, in denen der Verkauf vor Verfahrenseröffnung eine Stilllegung des Betriebes im Hinblick auf auflaufende wirtschaftliche Verluste abwenden oder ei-
824
BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318; Lembke, BB 2007, 1333.
BAG v. 20.11.1984 – 3 AZR 584/83, NZA 1985, 393.
826
BAG v. 11.02.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20.
827
Annuß/Lembke, Rn. 29.
825
268
nen außerordentlichen wirtschaftlichen Vorteil realisieren soll, der nach Verfahrenseröffnung
nicht mehr erzielt werden könnte und das Insolvenzgericht der Veräußerung zustimmt.828
a) Zeitpunkt des Betriebsübergangs nach der Rechtsprechung
Entscheidend für die Frage nach dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs ist auch beim
Erwerb aus der Insolvenz nicht, wann der Kaufvertrag abgeschlossen oder das Eigentum
bzw. die Nutzungsrechte an den Betriebsmitteln auf den Erwerber übergegangen ist, sondern allein, zu welchem Zeitpunkt der Erwerber aufgrund rechtsgeschäftlicher Übereinkunft
in die Lage versetzt worden ist, die Leitungsmacht im Betrieb mit dem Ziel der Betriebsfortführung auszuüben. 829
Das BAG hatte in seinen Urteilen zur Konkursordnung und zum Insolvenzverfahren verschiedene Begriffe des Zeitpunkts gewählt. Aufgrund dieser Unterschiede war insbesondere
fraglich, ob schon allein die Möglichkeit, die Leitungsmacht aufgrund der abgeschlossenen
Verträge auszuüben, für einen Betriebs(teil)übergang spricht.
Für das Insolvenzverfahren hat das BAG klargestellt, dass maßgeblich für das Vorliegen eines Betriebsübergangs der Zeitpunkt sei, in dem der Erwerber die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführe oder wieder aufnähme. Die bloße Möglichkeit zu einer unveränderten
Fortsetzung der Betriebstätigkeit genüge für die Annahme eines Betriebsübergangs nicht.830
Praxishinweis: Es empfiehlt sich, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Betrieb oder Betriebsteil weder nach außen (zu den Kunden und Lieferanten) noch nach innen (zu
den Arbeitnehmern) als Inhaber des Betriebes aufzutreten.
Die Vertragsgestaltung kann von den Haftungsbeschränkungen abhängig gemacht werden.
Das BAG hat es nicht für rechtsmissbräuchlich gehalten, wenn sich die Vertragsgestaltung
hinsichtlich der Übernahme der Leitungsmacht bzw. der Fortführung des Betriebes an der
Möglichkeit der Haftungsbeschränkung orientiert. Die Vertragspartner könnten sich auf das
Privileg der beschränkten Haftung im Konkurs berufen, ohne dass dies gegen Sinn und
Zweck des § 613a BGB verstoße.831 Diese Aussage wird auf die Insolvenz übertragbar sein.
Unabhängig davon dürfte es für den Erwerber riskant sein, einen echten Betriebsführungsvertrag bis zur Übernahme der Leitungsmacht durch den Erwerber nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuschließen.832 Danach soll der Erwerber den Betrieb im Namen und
für Rechnung des Veräußerers bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterführen.833
b) Personelle Verflechtung von Veräußerer und Erwerber
Probleme kann es vor allem dann geben, wenn der Erwerber und der Veräußerer personell
miteinander verflochten sind, z. B. wenn die Gesellschafter und ggf. Geschäftsführer einer
insolvent gewordenen GmbH im Wege einer sog. „sanierenden Übertragung“ eine neue
GmbH bzw. Gesellschaft gründen und Teile des alten Betriebes fortführen. Für diese Kons-
828
BAG v. 12.11.1991 – 3 AZR 559/90, NZA 1992, 929; Kammel, NZI 2000, 102;
Lohkemper ZIP 1999, 1251.
829
Allgemein dazu Kapitel A.
830
BAG v. 21.02.2008 – 8 AZR 77/07, NZA 2008, 825;
BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318.
831
BAG v. 26.03.1996 – 3 AZR 965/94, NZA 1997, 94.
832
Annuß/Lembke, Rn. 59.
833
Lembke, BB 2007, 1333.
269
tellationen kann es nach der Rechtsprechung des BAG auch ausreichen, wenn ein Betrieb
auf eine Vor-GmbH übertragen wird.834
Angesichts der in diesen Fällen häufigen Personenidentität oder zumindest der (engen) personellen Verflechtung der handelnden Personen zueinander kann der Nachweis, dass die
neue Gesellschaft den Betrieb oder Betriebsteil tatsächlich erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weitergeführt hat, schwierig werden.
Praxishinweis: In solchen Fällen ist daher zusätzlich darauf zu achten, dass die handelnden
Personen nachweisbar und deutlich für die neue Gesellschaft erst nach dem Zeitpunkt der
Insolvenzeröffnung handeln. Dies muss entsprechend mit dem Insolvenzverwalter abgeklärt
werden.
c) Darlegungs- und Beweislast
Zur Beweislast hinsichtlich der Haftungsbeschränkung des Erwerbers in der Insolvenz hat
das BAG835 eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast angenommen:
1. Stufe: Der Erwerber muss zunächst den nach seiner Auffassung maßgeblichen und von
der Haftung entlastenden Erwerbstatbestand nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Inhalt und Zeitpunkt darlegen und ggf. beweisen.
2. Stufe: Der Arbeitnehmer, der sich auf die unbeschränkte Haftung des Erwerbers beruft,
muss dann Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, dass der Erwerber bereits vor
diesem Zeitpunkt die betriebliche Leitungsmacht ausgeübt bzw. den Betrieb fortgeführt hat. Der Hinweis auf im Wesentlichen abgeschlossene Vertragsverhandlungen genügt dafür nicht.836
Praxishinweis: Die Frage der Haftungsbeschränkung des Erwerbers ist nicht nur bezüglich
der von den Arbeitnehmern selbst geltend gemachten Ansprüche von Bedeutung, sondern
auch für eventuelle Regressansprüche der Bundesagentur für Arbeit (BA). Hat diese den Arbeitnehmern Insolvenzgeld gezahlt, gehen die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gemäß § 187
SGB III auf die BA über.837 Wenn der Zeitpunkt des Betriebsübergangs und damit der des
Übergangs der Arbeitsverhältnisse in einem Zeitraum liegt, in dem Insolvenzgeld gezahlt
wurde (drei Monate vor Insolvenzeröffnung, § 183 Abs. 1 S. 1 a. E. SGB III), muss der Erwerber mit erheblichen Forderungen rechnen.
834
BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318.
BAG v. 26.03.1996 – 3 AZR 965/94, NZA 1997, 94.
836
BAG v. 26.03.1996 – 3 AZR 965/94, NZA 1997, 94.
837
BAG v. 20.06.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318.
835
270
Zusammenfassender Überblick
Maßgebliche Zeitpunkte
Erwerber
Ansprüche der Arbeitnehmer
Ansprüche der Arbeitnehmer
Eröffnung des Insolvenzverfahrens
durch Eröffnungsbeschluss nach
§ 27 InsO
Betriebsübergang erfolgt mit der
tatsächlichen Weiterführung des
Betriebes
Achtung!
Vorläufiger Insolvenzverwalter
– schwach oder stark –
nach §§ 21, 22 InsO nicht ausreichend
Empfehlung:
 Klare Vertragsgestaltung
 Handlungen (nach außen) erst
nach Insolvenzeröffnung
2. Umfang der Haftungsbeschränkung
a) Monatlich laufendes Arbeitsentgelt
Aus der oben dargestellten Haftungsbeschränkung folgt, dass Haftung für rückständige Ansprüche auf monatlich laufendes Arbeitsentgelt, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
begründet wurden, ausgeschlossen ist.
Dementsprechend können auch dann, wenn von der Bundesagentur für Arbeit (BA) Insolvenzgeld gezahlt wurde, keine Regressansprüche der BA gem. § 187 SGB III geltend gemacht werden.
Entstehen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Annahmeverzugsansprüche, hat der Erwerber dafür nach der Rechtsprechung des BAG in vollem Umfang einzustehen.838
Wird Arbeitnehmern nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Arbeitsentgelt gezahlt und
erhalten sie stattdessen Arbeitslosengeld, ist der Annahmeverzugsanspruch als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren, der gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit
übergegangen ist.839 Diese wiederum kann den Erwerber im Umfang der erbrachten Leistungen in Anspruch nehmen.
Praxishinweis: Ein Haftungsrisiko für den Erwerber besteht also für Entgeltforderungen, die
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden.
838
839
BAG v. 04.12.1986 – 2 AZR 246/86, NZA 1987, 460.
BAG v. 22.10.2009 – 8 AZR 766/08, ZIP 2010, 849; Lindemann, ZInsO 2010, 792.
271
b) Einmalzahlungen/Sonderzahlung
Anders ist die Rechtslage u. U. bei Entgeltbestandteilen zu beurteilen, die nicht Teil des monatlich laufenden Arbeitsentgelts sind, z. B. Einmalzahlungen. In Bezug auf Sonder- bzw.
Einmalzahlungen kommt es daher in erster Linie darauf an, welcher Zweck mit ihnen verfolgt
wird. Dies ist nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen.840 Unerheblich ist es, ob der Anspruch des Arbeitnehmers auf arbeitsvertraglicher oder kollektivrechtlicher Grundlage beruht.
Anhand der konkreten Ausgestaltung ist festzustellen, ob die Ansprüche im jeweiligen Bezugszeitraum verdient und erst später am vereinbarten Fälligkeitstermin ausbezahlt werden:
aa) Sonderzahlungen mit reinem Entgeltcharakter
Bei Sonderzahlungen mit echtem Entgeltcharakter schuldet der Erwerber die Sonderzahlung
nur zeitanteilig für die nach der Insolvenzeröffnung liegende Zeit des Bezugszeitraums.841
Solche Einmalzahlungen verfolgen keinen weiteren Zweck als die Entlohnung tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung. Der Anspruch entsteht zwar ratierlich, ist aber erst später auszuzahlen.
bb) Sonderzahlungen mit Mischcharakter
Bei Sonderzahlungen, die neben dem Gratifikationsziel auch Entgeltcharakter aufweisen,
geht die Rechtsprechung davon aus, dass diese bereits durch die vorangegangene Arbeitsleistung erdient wurden.842 Auch ein solcher Anspruch entsteht ratierlich und wird später ausgezahlt. Der Erwerber schuldet die Sonderzahlung nur zeitanteilig für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung.
cc) Sonderleistungen/Gratifikationen im Übrigen
Für stichtagsabhängige einmalige Sonderleistungen hingegen muss der Erwerber vollständig
einstehen, wenn der Auszahlungsstichtag erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
liegt.843 Bei solchen Zahlungen wird der Anspruch erst an dem bezeichneten Stichtag begründet. Das BAG hat insoweit darauf abgestellt, wann die Arbeitnehmer ihren Anspruch gegen den Veräußerer geltend machen konnten.844
Die tariflich geregelte Sonderzahlung soll nicht die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung entlohnen.845 Das BAG hat vor der Schuldrechtsreform hierzu entschieden, dass der Erwerber
bei der Insolvenzeröffnung vor dem Stichtag für die dann als Masseverbindlichkeit gemäß
§ 55 InsO einzustufende Sonderzahlung unabhängig vom Zeitpunkt des Betriebsübergangs
voll haftet.846
c) Urlaubsansprüche
Noch ausstehende Urlaubsansprüche übergehender Arbeitnehmer stellen nach der Rechtsprechung des BAG keine Insolvenzforderungen dar, die die Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger geltend machen müssen.
840
ErfK-Preis, § 611 BGB, Rn. 528.
Lembke, BB 2007, 1333.
842
BAG v. 13.11.2013 – 10 AZR 848/12; BAG v. 18.05.2016 – 10 AZR 233/15.
843
BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, NZA 1996, 432.
844
BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, NZA 1996, 432.
845
BAG v. 11.10.1995 – 10 AZR 984/94, NZA 1996, 432.
846
LAG Nürnberg v. 03.02.2010 – 4 Sa 367/09.
841
272
Bestehen bei Betriebsübergang noch Urlaubsansprüche, sind diese Masseverbindlichkeiten.847 Diese gehen in vollem Umfang auf den Erwerber über. Sie können nicht in die Zeit vor
und nach dem Betriebsübergang aufgeteilt werden.848
Beispiel:
Der Erwerber übernimmt am 01.09.2015 den Betrieb einer Firma, über deren Vermögen am
22.08.2015 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Arbeitnehmer A, dessen Arbeitsverhältnis
gemäß § 613a BGB auf den Erwerber übergegangen ist, verlangt nun von ihm Gewährung des
vollen Jahresurlaubs 2015. A hatte unstreitig im Jahre 2015 noch keinen Urlaub genommen.
Der Erwerber muss dem Verlangen stattgeben, da der Urlaubsanspruch des A in vollem Umfang auf ihn übergegangen ist.
Praxishinweis: Hinsichtlich der Urlaubsregelungen wird der Erwerber eines insolventen Betriebs bzw. Betriebsteils letztlich genauso behandelt wie ein Erwerber, der einen Betrieb außerhalb der Insolvenz erworben hat.
Wegen der veränderten Rechtsprechung des BAG849 zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei
lang andauernder Arbeitsunfähigkeit können auf den Erwerber weitergehende finanzielle Belastungen zukommen.
Ansprüche auf Urlaubsabgeltung sind Masseverbindlichkeiten850, sodass der Erwerber für
diese vollumfänglich haftet. Eine Aufteilung in einen vor und einen nach Verfahrenseröffnung
entstehenden Teilurlaubsanspruch sei mit dem Urlaubsrecht nicht vereinbar.
d) Arbeitszeitkonten
aa) Haftung des Erwerbers – Insolvenz des Veräußerers
Für den Erwerber eines insolventen Betriebs stellt sich die Frage, ob er für Freistellungsansprüche aus beim Veräußerer aufgebauten Arbeitszeitkonten haftet.
Das Hessische LAG851 hat entschieden, dass ein Anspruch auf Freistellung aus Arbeitszeitkonten nach der Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung nach §§ 38, 45 InsO wird.
Der Freistellungsanspruch könne nach § 45 InsO nur noch mit seinem Wert geltend gemacht
werden. Der Freistellungsanspruch sei vor der Insolvenzeröffnung begründet worden. Eine
Erfüllung bedeute gegenüber anderen Gläubigern eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung. Der Freizeitanspruch sei auch nicht vergleichbar mit dem Urlaubsanspruch. Der Urlaubsanspruch könne keinem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden, Freizeitansprüche
aus geleisteten Überstunden hingegen schon.
Exkurs – Insolvenzrecht: Insolvenzforderungen sind nach § 38 InsO alle Forderungen, die
der Gläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner hat. Insolvenzforderungen können auch Ansprüche auf Handlungen sein. Sind die Forderungen
des Gläubigers nicht auf eine Geldforderung gerichtet – wie der Freistellungsanspruch –, so
erfolgt eine Umrechnung der Forderung nach § 45 InsO in einen Geldwert.
847
Düwell/Pulz, NZA 2008, 786.
BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, NZA 2004, 654;
BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, NZA 2004, 651.
849
BAG v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07; BAG v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10;
BAG v. 11.06.2013 – 9 AZR 855/11.
850
BAG v. 25.03.2003 – 9 AZR 174/02, NZA 2004, 43;
Sächsisches LAG v. 26.02.2013 – 1 Sa 360/12.
851
Hessisches LAG v. 10.09.2008 – 8 Sa 1595/07, NZA 2009, 615.
848
273
Das Urteil des Hessischen LAG erging zwar gegen den Veräußerer aufgrund § 613a
Abs. 2 BGB. Die Entscheidung hat jedoch im Ergebnis zur Folge, dass der Erwerber aufgrund der vom BAG angenommenen Haftungsbeschränkung nicht für entsprechende Forderungen der Arbeitnehmer einstehen muss.
Das stimmt auch mit der Rechtsprechung des BAG zu Ansprüchen übergehender Altersteilzeitler für deren während der Arbeitsphase im Hinblick auf die Freistellungsphase vor der Insolvenzeröffnung erworbenen Entgeltansprüche (aus Zahlung des Altersteilzeitentgelts und
der Aufstockungsbeträge) überein. Auch dafür haftet der Erwerber nicht.852
Skizze zum LAG-Fall
Anspruch Arbeitnehmer
gg. Veräußerer
Aufbau Arbeitszeitkonto
Anspruchsübergang
Betriebsübergang
Veräußerer
Erwerber I
Arbeitgeber: Veräußerer
01.10.2004
Umwandlung Abgeltung
Insolvenzeröffnung
Betriebsübergang
Erwerber I
Erwerber II
Arbeitgeber: Erwerber I
10.03.2005
Arbeitgeber: Erwerber II
01.10.2005
Praxishinweis: In der Praxis werden Arbeitszeitkonten in der Regel mit dem Stichtag der
Eröffnung vom Insolvenzverwalter eingefroren, um Insolvenzforderungen von Masseverbindlichkeiten zu trennen. Gegebenenfalls werden für die Zeit nach diesem Stichtag neue Konten
erstellt.
bb) Haftung des Veräußerers – Insolvenz des Erwerbers
Die Entscheidung ist aber für Veräußerer von Brisanz, wenn der Erwerber nach dem Betriebsübergang insolvent wird.
Nach der Entscheidung des Hessischen LAG853 haftet der Veräußerer gemäß § 613a
Abs. 2 BGB nach § 45 InsO, soweit der Freizeitanspruch bei ihm begründet wurde und dieser mit der Insolvenzeröffnung innerhalb eines Jahres nach der Betriebsveräußerung fällig
wird. Wird also über den Betrieb des Erwerbers innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang das Insolvenzverfahren eröffnet, besteht die Gefahr der Haftung für den Veräußerer. Auch ein zeitanteiliger Ausgleich im Innenverhältnis zum insolventen Erwerber erfolgt
nicht für diese Freizeitansprüche, da sie vor dem Betriebsübergang begründet wurden.
852
853
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
Hessisches LAG v. 10.09.2008 – 8 Sa 1595/07, NZA 2009, 615.
274
Exkurs Insolvenzrecht: Nach § 45 InsO werden Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet
sind, mit dem Wert angenommen, der für die Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschätzt werden kann.
In diesem Punkt wird die Entscheidung mit dogmatischen Argumenten kritisiert.854
Die Wirkung der Umrechnung einer Insolvenzforderung gemäß § 45 InsO gelte nur im Verhältnis Gläubiger und Schuldner, nicht gegenüber mithaftenden Dritten. Gegenüber dem
Veräußerer sei der Anspruch trotz Insolvenzeröffnung immer noch ein Freistellungsanspruch
gegen Entgelt.
Diesen könne er aber gemäß § 275 BGB nicht mehr erfüllen. Zudem sei die Haftung nach
§ 613a Abs. 2 BGB auch zeitlich nicht mit dem Abgeltungsanspruch zu begründen. Der Veräußerer hafte danach nur für Ansprüche, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind.
Der Abgeltungsanspruch entstünde nach der Rechtsprechung des LAG aber erst mit der Insolvenzeröffnung, also nach dem Betriebsübergang
e) Altersteilzeit
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gehen auch dann, wenn der ursprüngliche Arbeitgeber insolvent wurde, vollständig auf den Erwerber über. Dies gilt auch für solche Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, bei denen sich der Arbeitnehmer bereits in der Freistellungsphase befindet.855
Hat der Betriebserwerber den Betrieb(steil) aus der Insolvenz erworben, haftet er nach
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nur für das Entgelt, welches "spiegelbildlich" für die Vorleistung
geschuldet ist, welche der Arbeitnehmer nach der Insolvenzeröffnung noch in der Arbeitsphase erbracht hat. 856 Insoweit handelt es sich um Masseverbindlichkeiten.
Das gilt besonders für Ansprüche auf Zahlung des Arbeitsentgelts und der Aufstockungsbeträge in der Freistellungsphase.
 So haftet der Erwerber nicht, wenn sich der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits in der Freistellungsphase befindet.
 Befindet sich der Arbeitnehmer hingegen im Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch in
der Arbeitsphase, haftet der Erwerber in der Freistellungsphase sowohl für das Arbeitsentgelt als auch die Aufstockungsbeträge nur eingeschränkt:
o zum einen in dem zeitlichen Umfang, in dem bei ihm nach dem Betriebsübergang
die Arbeitsphase noch gedauert hat,857
o zum anderen „spiegelbildlich“ für die Monate der Freistellungsphase, für die der Altersteilzeitler nach der Insolvenzeröffnung beim Veräußerer die Arbeitsleistung erbracht hatte.
854
Henssen, jurisPR-ArbR 25/2009, Anm. 2.
Siehe dazu Kapitel G.
856
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705; BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 54/07,
NZA 2009, 432; BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432.
857
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
855
275
1. ATZ-Jahr
2. ATZ-Jahr
Arbeitsphase
Freistellungsphase
Entstandene
Ansprüche
nach
Insolvenzeröffnung
Arbeitsphase
beim Erwerber
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
Insolvenzeröffnung
Haftung:
Spiegelbildliche Entstandene
FreistellungsAnsprüche
phase
nach
beim Erwerber
Insolvenzeröffnung
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
Betriebsübergang
Beispiel:
Altersteilzeitler A befindet sich ab dem 01.01.2014 in zweijähriger verblockter Altersteilzeit. Am
01.01.2015 wechselt er in die Freistellungsphase. Der Veräußerer wird insolvent und der Erwerber übernimmt den Betrieb am 01.11.2014 nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am
01.10.2014. Der Erwerber muss dem A für insgesamt 5 Monate, für November 2014 und Dezember 2014 sowie für Oktober, November und Dezember 2015, das vereinbarte Altersteilzeitentgelt samt den Aufstockungsbeträgen zahlen. Ggf. haftet er zusätzlich für Oktober 2014.
f) Sozialplanansprüche
Die grundsätzliche Haftung des Erwerbers für Sozialplanansprüche der Arbeitnehmer außerhalb der Insolvenz858 besteht in den Fällen eines insolventen Veräußerers nicht.
Der Erwerber haftet für Ansprüche aus einem Sozialplan, der vor der Insolvenzeröffnung
vom Veräußerer abgeschlossen wurde, wegen der insolvenzrechtlichen Haftungsbeschränkung nicht.859
Wurde vom Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sozialplan
abgeschlossen, scheidet ebenfalls eine Haftung des Erwerbers für darin begründete Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer aus, wenn diese auf ihn übergegangen sind.860 Dies hat
das BAG zur Rechtslage nach der Konkursordnung mit folgenden Argumenten entschieden:
Obwohl es sich bei Sozialplanverbindlichkeiten gemäß § 123 Abs. 2 InsO um Masseverbindlichkeiten handelt, für die der Erwerber grundsätzlich haftet, sei hier eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu machen, da der tragende Grund für die Haftungsbeschränkung bei Betriebsübergängen in der Insolvenz auch für Sozialplanansprüche zuträfe.
858
Siehe dazu Kapitel D „Rechtsfolgen – Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung“.
Lembke, BB 2007, 1333;
BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01 NZA 2002, 1034 (zur Konkursordnung).
860
BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01, NZA 2002, 1034.
859
276
Würde der Erwerber für Ansprüche aus einem Sozialplan haften, den der Insolvenzverwalter
abgeschlossen habe, ginge dies zu Lasten der Insolvenzmasse, da der Erwerber in diesem
Fall den Kaufpreis entsprechend schmälern würde und die anderen Gläubiger des Insolvenzschuldners gegenüber den Arbeitnehmern benachteiligt würden. Aufgrund dieser Argumente gilt die Entscheidung des BAG auch nach der Einführung der Insolvenzordnung weiterhin.861 Ein Restrisiko bis zur höchstrichterlichen Klärung bleibt für den Erwerber jedoch
bestehen.
g) Abfindungsansprüche
Wird zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer ein Aufhebungsvertrag inklusive eines Abfindungsanspruchs vor der Insolvenzeröffnung vereinbart, so haftet nach Ansicht des
Hessischen LAG862 der Erwerber dafür nicht, selbst dann nicht, wenn die Abfindungsforderung erst nach der Insolvenzeröffnung entsteht.
h) Kündigung und behördliche Zustimmung
Das BAG863 hat entschieden, dass sich der Erwerber auf eine vom Insolvenzverwalter beim
Integrationsamt beantragte und ihm erteilte Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht berufen kann.
Praxishinweis: Aus den Entscheidungsgründen lässt sich der Schluss ableiten864, dass der
Insolvenzverwalter dem Integrationsamt den Hinweis auf den beabsichtigten Betriebsübergang geben sollte, sodass der Erwerber am Zustimmungsverfahren nach §§ 1, 12 Abs. 1 Nr.
2 SGB X beteiligt werden kann und ihm letztlich nach erfolgtem Betriebsübergang der Zustimmungsbescheid zugestellt wird.
i) Betriebliche Altersversorgung
aa) Haftungsbeschränkung
Die Frage nach der Haftung für Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung spielt wegen
der hohen finanziellen Belastungen eine besonders erhebliche Rolle.865 Die vom BAG aufgestellten Grundsätze zur Haftungsbeschränkung für Betriebsübergänge in der Insolvenz gelten auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung.
Die Haftungsbeschränkung gilt unabhängig davon, ob die Versorgungszusagen aus individualrechtlichen Zusagen oder aus kollektivrechtlichen Regelungen stammen.866
Der Erwerber tritt gemäß § 613a Abs. 1 BGB – wie in allen anderen Betriebsübergangsfällen
außerhalb der Insolvenz – in die unverfallbaren und verfallbaren Versorgungsanwartschaften
der übergehenden Arbeitnehmer ein.867 Er haftet jedoch nicht für die bis zum Zeitpunkt der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Versorgungsanwartschaften.868
861
Henssler/Willemsen/Kalb, § 613a BGB, Rn. 365.
Hessisches LAG v. 21.05.2013 – 8 Sa 1235/12.
863
BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 827/11.
864
Zimmermann/Gerstung, jurisPR-ArbR 46/2014 Anm. 4.
865
Gantenberg/Hinrichs/Janko, ZinsO 2009, 1000.
866
BAG v. 15.01.2002 – 1 AZR 58/01, NZA 2002, 1034, Lembke, BB 2007, 1333.
867
Siehe dazu Kapitel H.
868
BAG v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07; BAG v. 19.05.2005 – 3 AZR 649/03, DB 2005, 2362;
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779.
862
277
Für
diese
muss
vielmehr
869
(§ 7 Abs. 2 BetrAVG).
der
Pensionssicherungsverein
(PSV)
haften
Der PSV haftet jedoch nur für die Versorgungsanwartschaften, die aus den Durchführungswegen Direktzusage, Unterstützungskasse oder einem Pensionsfonds stammen.870 Zudem
beschränkt sich die Einstandspflicht des PSV gleichlaufend mit der Haftungsbeschränkung
des Erwerbers auf bereits bestehende Versorgungsansprüche nach Eintritt des Versorgungsfalls sowie auf die nach § 1b BetrAVG unverfallbaren Versorgungsanwartschaften.
Spätere Änderungen der Versorgungsordnung, z. B. Änderung der festen Altersgrenzen,
sind gegenüber dem PSV unerheblich.871
Die Einstandspflicht des PSV greift auch dann, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
mangels Masse abgelehnt wird (§ 7 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 BetrAVG).
Praxishinweis: Es ist daher eine Fehlvorstellung, dass die Übernahme eines Betriebs aus
der Insolvenz zu einer vollständigen Enthaftung des Erwerbers in Bezug auf die vom Veräußerer zugesagte Altersversorgung führt. Die Haftungsbeschränkung gilt ausschließlich für die
zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erdienten Versorgungsanwartschaften, nicht
erst ab Betriebsübergang!
Zudem haftet der Erwerber für die künftig zu erdienenden Versorgungsbestandteile. Insoweit
können erhebliche finanzielle Belastungen für den Erwerber entstehen.
Anders als bei Betriebsübergängen außerhalb der Insolvenz, kann der Erwerber im Übrigen
auch nicht aus anderen Haftungsgründen, speziell den §§ 25, 28 HGB, für bereits begründete Versorgungsanwartschaften und Betriebsrenten haften, da diese Vorschriften nach der
Rechtsprechung des BGH in der Insolvenz keine Anwendung finden.872
Die Haftungsbeschränkung des Erwerbers bleibt auch dann bestehen, wenn das Insolvenzverfahren später mangels Masse nach § 207 InsO eingestellt wird.873 Hingegen greift die
Haftungsbeschränkung des Erwerbers – anders als bei der Einstandspflicht des PSV – nicht
ein, wenn bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird.874
bb) Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern
(1) Verzicht
Vereinbarungen mit den übergehenden Arbeitnehmern zum Verzicht auf bereits unverfallbare Anwartschaften sind schon wegen § 17 BetrAVG unwirksam.875 Auch der Verzicht auf die
künftige Altersversorgung ist grundsätzlich wegen der Umgehung von § 613a BGB unwirksam. Er kann aber zulässig sein bei Vorliegen eines sachlichen Grundes.876
869
BAG 11.02.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20;
BAG v. 16.02.1993 – 3 AZR 347/92, NZA 1993, 643.
870
Wisskirchen/Bissels, BB 2009, 2142.
871
BAG v. 17.09.2008 – 3 AZR 865/06, NZA 2009, 440;
BAG v. 28.10.2008 – 3 AZR 903/07, NZA-RR 2009, 327.
872
BGH v. 11.04.1988 – II ZR 313/87, DB 1988, 1437.
873
BAG v. 11.02.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20.
874
BAG v. 20.11.1984 – 3 AZR 584/83, NZA 1985, 393.
875
BAG v. 12.05.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080.
876
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779.
278
Der Betriebsübergang als solcher stellt keinen sachlichen Grund für einen Verzicht oder
auch nur eine Änderung dar.877 Der dauerhafte Erhalt von Arbeitsplätzen durch den Verzicht
kann als sachlicher Grund angesehen werden.878
(2) Abfindung
Zwar kann der Insolvenzverwalter die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten
Betriebsrenten-Anwartschaften nach § 3 Abs. 4 BetrAVG (auch ohne Zustimmung des Arbeitnehmers) abfinden. Eine Abfindung scheidet jedoch aus, wenn es zu einem Betriebsübergang kommt.879
(3) Eingriff / Modifizierung
Bei einem Eingriff in die bestehende Versorgungszusage für künftige Zuwächse bedarf es
eines „triftigen“ Grundes.880 Triftige wirtschaftliche Gründe liegen vor, wenn bei Weitergeltung
der bisherigen Versorgungsregelung der Bestand des Unternehmens des Erwerbers gefährdet ist.
Der Erwerber kann sich auch auf eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen oder eine
eventuelle Unmöglichkeit, einem bisher bestehenden Versorgungssystem beizutreten (z. B.
wenn bislang eine Unterstützungskasse bestand881) berufen.
Denkbar scheint, den Arbeitnehmern ohne Anrechnung der beim Veräußerer zurückgelegten
Beschäftigungszeiten die Aufnahme in das beim Erwerber bestehende Versorgungswerk anzubieten bzw. sie über eine Betriebsvereinbarung in das beim Erwerber bestehende Versorgungswerk aufzunehmen. Insoweit dürften auch bei Betriebs(teil)übergängen in der Insolvenz keine anderen Regeln als bei Betriebs(teil)übergängen außerhalb der Insolvenz882 gelten.
Praxishinweis: Es ist daher davon abzuraten, einen entschädigungslosen Verzicht auf eine
Versorgungszusage zu vereinbaren oder eine Abfindungsvereinbarung abzuschließen. Im
letzteren Fall ist der Erwerber dem Risiko der doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt; zum
einen aus der Abfindungsvereinbarung und zum anderen aus der Versorgungszusage.
Den übergehenden Arbeitnehmern kann aber ggf. eine andere – gleichwertige – Versorgungsform angeboten werden.883
j) Betriebsratskosten
Nach der Rechtsprechung des BAG sollen grundsätzlich außerhalb der Insolvenz auch Ansprüche des Betriebsrates bzw. seiner Mitglieder nach § 40 Abs. 1 BetrVG gemäß
§ 613a BGB auf den Erwerber übergehen.
Ebenso wie bei Ansprüchen der Arbeitnehmer scheidet jedoch eine Haftung des Erwerbers
für Kostentragungs- bzw. Freistellungsansprüche des Betriebsrates nach § 40 Abs. 1 BetrVG
aus, wenn diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurden.884
877
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779.
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779.
879
BAG v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, NZA 2010, 568.
880
BAG v. 09.12.2008 – 3 AZR 348/07, NZA 2009, 1341.
881
Siehe dazu Kapitel H.
882
Dazu Kapitel D.
883
Meyer, NZA 2002, 246.
884
BAG v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12; BAG v. 13.07.1994 – 7 ABR 50/93, NZA 1994, 1144.
878
279
Diese Forderungen stellen dann einfache Insolvenzforderungen dar, die vom Betriebsrat
dem Insolvenzverwalter gegenüber geltend zu machen sind.885
Beispiel:
886
Der Betriebsrat der in Insolvenz gegangenen Firma V hatte im September 1991 einen Rechtsanwalt mit der Einleitung eines gegen den Veräußerer gerichteten Beschlussverfahrens beauftragt. Das Insolvenzverfahren wurde im Oktober 1991 eröffnet. Danach übernahm der Erwerber
den Betrieb. Der Betriebsrat nahm den Antrag im Januar 1992 zurück. Der von ihm beauftragte
Rechtsanwalt verlangte nun vom Erwerber sein Honorar. Die Klage wurde abgewiesen, da sich
der Erwerber auf die Haftungsbeschränkung in der Insolvenz berufen kann.
Bei laufenden Verhandlungen oder Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus stellt sich für den Erwerber ebenfalls die Haftungsfrage.
Das BAG887 vertritt die Auffassung, dass die Rechtsanwaltskosten Insolvenzforderungen
sind, wenn der Betriebsrat diesen für die Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen als Sachverständigen nach § 80 Abs. 3 BetrVG hinzugezogen hat, auch wenn diese Tätigkeit nach der Insolvenzeröffnung noch andauert. Die Begründung von Masseverbindlichkeiten im insolvenzrechtlichen Sinn erfordere, dass es sich um ein vom Insolvenzverwalter
nach Verfahrenseröffnung eingegangenes Schuldverhältnis handelt. Die Beratertätigkeit des
Rechtsanwalts sei teilbar und im konkreten Fall vor der Insolvenzeröffnung erbracht worden.
Nimmt der Insolvenzverwalter allerdings ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren
(z. B. Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG) auf, sind die Kosten nach der früheren
BAG-Rechtsprechung888 nach § 40 Abs. 1 BetrVG Masseverbindlichkeiten, für die der Erwerber haften kann. Mit der Aufnahme des Verfahrens begründe der Insolvenzverwalter
durch sein Handeln nach Insolvenzeröffnung eine Masseverbindlichkeit. In der aktuellen Entscheidung lässt das BAG ausdrücklich die Frage offen, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist.
Praxishinweis: Aufgrund dieser Rechtsprechungsentwicklung empfiehlt es sich für den Erwerber, die Freistellungs- und Kostenansprüche des Betriebsrates, die vor der Insolvenzeröffnung begründet wurden, zurückzuweisen.
885
BAG v. 09.12.2009 – 7 ABR 90/07, NZA 2010, 461.
BAG v. 13.07.1994 – 7 ABR 50/93, NZA 1994, 1144.
887
BAG v. 09.12.2009 – 7 ABR 90/07, NZA 2010, 461.
888
BAG v. 17.08.2005 – 7 ABR 56/04, NZA 2006, 109.
886
280
Zusammenfassender Überblick
Haftung des Erwerbers für vor Insolvenzeröffnung begründete Ansprüche der Arbeitnehmer
Laufendes Arbeitsentgelt
NEIN
Echter
Entgeltcharakter
Einmalzahlungen
Sonderleistungen
(z. B. Weihnachtsgeld)
Urlaubsansprüche
Arbeitszeitkonten
Altersteilzeit
Ansprüche in der
Freistellungsphase
Anmerkungen
Betriebsübergang
in Freistellungsphase
NEIN
Abhängig vom
Fälligkeitsdatum
soweit zeitanteilig vor Insolvenzeröffnung erdient
NEIN, wenn fällig vor Insolvenzeröffnung
JA, wenn fällig nach Insolvenz
JA
können nicht zeitanteilig
aufgeteilt werden
NEIN
Achtung! Aber ggf. Haftung
des Veräußerers bei Insolvenz des Erwerbs innerhalb
der Jahresfrist
NEIN
JA
für Dauer der Arbeitsphase
nach Insolvenzeröffnung
und beim Erwerber
NEIN
gilt sowohl für Sozialplan
des Erwerbers als auch des
Insolvenzverwalters
Betriebliche Altersversorgung
NEIN
aber für Versorgungsansprüche ab Insolvenzeröffnung
Betriebsratskosten
NEIN
Ausnahme wenn Insolvenzverwalter kostenauslösendes Verfahren aufnimmt
Sozialplanansprüche
Betriebsübergang
in Arbeitsphase
281
IV. Arbeitsrechtliche Besonderheiten aus Erwerbersicht
1. Kündigungen und Insolvenz
Arbeitsverhältnisse gehen dann nicht auf den Erwerber über, wenn diese vor dem Betriebsübergang beendet sind. Für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Ablauf der Kündigungsfrist maßgeblich und nicht der Ausspruch der Kündigung.
Der Insolvenzverwalter ist nach § 113 InsO befugt, Arbeitsverhältnisse ohne Einhaltung anderer vereinbarter Kündigungsfristen mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende zu kündigen. Ggf. kürzere gesetzliche oder tarifliche Kündigungsfristen kann der
Insolvenzverwalter ebenfalls nutzen.
Nach der Rechtsprechung des BAG werden Unkündbarkeitsklauseln in Betriebsvereinbarungen889 oder in Tarifverträgen890 von § 113 InsO verdrängt.
Praxishinweis: § 113 InsO normiert keinen besonderen Kündigungsgrund, sondern nur eine
einheitliche (verkürzte) Kündigungsfrist. Der Insolvenzverwalter muss bei Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes § 1 KSchG beachten.
2. Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch gekündigter Arbeitnehmer
Hat ein Insolvenzverwalter bereits vor dem Betriebsübergang betriebsbedingte Kündigungen
ausgesprochen und sind diese nicht gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam, stellt sich die
Frage nach einem Wiedereinstellungs- oder Fortsetzungsanspruch gegen den Erwerber.
Außerhalb der Insolvenz beantwortet die Rechtsprechung diese Frage differenziert (vgl. Kapitel E. III. 5). In der Insolvenz verneint die Rechtsprechung einen solchen Anspruch grundsätzlich.891
Zusammenfassender Überblick
Wiedereinstellungsanspruch
Anmerkungen
Vor Ablauf der Kündigungsfrist
JA
Anspruch muss noch während der Kündigungsfrist oder unverzüglich nach Kenntnis vom Betriebsübergang innerhalb
eines Monats geltend gemacht werden
Nach Ablauf der Kündigungsfrist
NEIN
Betriebsübergang
3. Umsetzung des Erwerberkonzepts vor Betriebsübergang
§ 128 Abs. 1 InsO ermöglicht es dem Betriebserwerber vor dem Betriebsübergang in Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter, eine Betriebsänderung durchführen. Die
§§ 125 bis 127 InsO sind anwendbar.
Die Betriebsänderung kann vom Erwerber geplant werden. Dem Insolvenzverwalter ist es
möglich, bereits vor der Veräußerung die notwendigen Kündigungen auszusprechen und de889
BAG v. 22.09.2005 – 6 AZR 526/04, NZA 2006, 658.
BAG v. 19.01.2000 – 4 AZR 70/99, NZA 2000, 658.
891
BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97; BAG v. 13.05.2004 – 8 AZR 198/03
890
282
ren Wirksamkeit gerichtlich feststellen zu lassen.892 Der Erwerber kann den Betrieb an seine
Bedürfnisse anpassen (lassen), bevor es zur eigentlichen Betriebsübernahme kommt.
Der Sanierungsplan muss jedoch im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits greifbare Formen angenommen haben. Allein die Forderung des Erwerbers, die Personalstärke
zu verringern, genügt nicht.893
Praxishinweis: Es empfiehlt sich, das Erwerberkonzept möglichst konkret und detailliert
auszuarbeiten.
Exkurs – Insolvenzrecht894
§ 125 InsO: Kommt ein Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat
zustande, in dem die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich benannt werden, so wird
§ 1 KSchG dahin gehend modifiziert, dass die soziale Rechtfertigung der Kündigung vermutet wird. Die gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl ist auf drei Kriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten) und auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt.
§ 126 InsO: Kommt kein Interessenausgleich zustande, kann der Insolvenzverwalter beim
Arbeitsgericht die Feststellung beantragen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse, die
in einer vorgelegten Namensliste enthalten sind, durch dringende betriebliche Gründe bedingt und sozial gerechtfertigt ist. Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung erfolgt zwar nach
den Grundsätzen des § 1 KSchG. Die gerichtliche Prüfung der Sozialauswahl ist aber auf die
drei Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten beschränkt.
§ 127 InsO: Erhebt ein gekündigter Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und hat der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 126 InsO durchgeführt, so ist die Feststellung
aus dem Beschlussverfahren für das Kündigungsschutzverfahren bindend. Der Insolvenzverwalter kann aber auch erst nach Erhebung der Kündigungsschutzklage ein Beschlussverfahren nach § 126 InsO einleiten und das Verfahren auf die streitigen Fälle beschränken.
Das bedeutet für den Kündigungsschutzprozess, dass dieser bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Beschlussverfahren auszusetzen ist.
§ 128 Abs. 2 InsO: Die Vermutung nach § 125 InsO und die Feststellung nach § 126 InsO
erstreckt sich auch darauf, dass die Kündigung nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt
(§ 613a Abs. 4 BGB).
892
Wisskirchen/Bissels, BB 2009, 2142.
BAG v. 20.03.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027.
894
Leister, ZInsO 2009, 1944.
893
283
Kapitel G: Altersteilzeit
287
I. Übergang der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
287
1. Übergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
287
2. Anspruch auf Altersteilzeit nach Betriebsübergang
288
a) Anspruchsgrundlagen
288
3. Widerspruch von Altersteilzeitlern
289
a) Arbeitnehmer in der Freistellungsphase
289
b) Arbeitnehmer in der Arbeitsphase
289
c) Anspruchsbegrenzung
290
II. Inhalt der übergehenden Altersteilzeitarbeitsverhältnisse / Umfang der Einstandspflicht des Erwerbers
290
1. Grundsätzlicher Umfang der Einstandspflicht
290
2. Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf (bestehende)
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
291
a) (Normative) Weitergeltung der Rechtsgrundlagen für
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
291
b) Transformation von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen
291
(1) Allgemeine Entgeltentwicklung bei Tarifbindung des Veräußerers
(2) Allgemeine Entgeltentwicklung bei fehlender Tarifbindung des Veräußerers
292
293
c) Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bei anderen (kollektivrechtlichen)
Regelungen zur Altersteilzeit?
293
(1) Arbeitnehmer (noch) nicht in Altersteilzeit
(2) Arbeitnehmer bereits mit Altersteilzeitvertrag
294
294
d) Rechtslage in Bezug auf individualrechtliche Vereinbarungen
295
e) Keine Altersteilzeitregelung beim Erwerber – Auswirkungen anderer Entgeltstrukturen
295
f) Auswirkungen weiterer Änderungen beim Arbeitsentgelt
296
III. Mithaftung des Veräußerers gemäß § 613a Abs. 2 BGB
298
1. Grundsätzliche Einstandspflicht des Veräußerers
298
a) Altersteilzeitentgelt
298
b) Aufstockungsbetrag und zusätzlicher Rentenversicherungsbeitrag
299
c) Bedeutung der Jahresgrenze
300
2. Außen- und Innenhaftung des Veräußerers für Ansprüche in der
Freistellungsphase
301
a) Ausgangsüberlegung – Parallelen zu Urlaubsansprüchen
301
b) Übertragbarkeit auf Freistellungsphase – Außenhaftung gegenüber Altersteilzeitler
301
c) Übertragbarkeit – Innenhaftung gegenüber dem Erwerber
302
IV. Besonderheiten beim Erwerb eines Betriebes aus der Insolvenz
304
285
1. Haftungsbeschränkung aufgrund der Insolvenz
304
2. Verhältnis zum Träger der Insolvenzsicherung (§ 8a AltTZG)
306
286
Kapitel G: Altersteilzeit
I. Übergang der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
Wie der vom Gesetzgeber im Altersteilzeitgesetz (AltTZG) benutzte Begriff “Altersteilzeitarbeit” zeigt, handelt es sich auch bei den Rechtsverhältnissen in Altersteilzeit um Arbeitsverhältnisse. Für sie gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen, soweit sich aus dem
Recht der Altersteilzeit nichts anderes ergibt.895
Die Frage nach Ansprüchen des Erwerbers auf die Erstattung der Aufstockungsbeträge
und des zusätzlichen Rentenversicherungsbeitrags ist nur für Altersteilzeitfälle, die vor dem
1. Januar 2010 begonnen haben, relevant. Diese Fälle haben sich jedoch nach dem Ablauf
von sechs Jahren mit Beginn des Jahres 2016 erledigt.
1. Übergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB
Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gehen wie alle anderen Arbeitsverhältnisse gem. § 613a Abs.
1 Satz 1 BGB auf den Erwerber eines Betriebes über und zwar auch dann, wenn sie sich bereits in der Freistellungsphase befinden.896 Für Altersteilzeitverhältnisse gilt also nichts anderes als für andere, ggf. ruhende Arbeitsverhältnisse.897 Gleichwohl werfen Altersteilzeitverhältnisse besondere Fragen auf, die im Folgenden dargestellt werden.
Praxishinweis: Es besteht keine Möglichkeit, im Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber
zu regeln, dass Altersteilzeitarbeitsverhältnisse (auch nicht solche in der Freistellungsphase)
nicht auf den Erwerber übergehen, da § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zwingendes Recht ist. Die
Altersteilzeitverhältnisse können nur dann beim Veräußerer verbleiben, wenn die Altersteilzeitler das ihnen nach § 613a Abs. 6 BGB zustehende Widerspruchsrecht ausüben oder
zwischen ihnen und dem Veräußerer vertraglich geregelt wird, dass ihre Arbeitsverhältnisse
bei letzterem verbleiben.
Wirtschaftliche Diskrepanzen ergeben sich für den Erwerber vor allem deshalb, weil der Veräußerer in der Arbeitsphase zwar die volle Arbeitsleistung des Altersteilzeitlers erhalten, dafür aber monatlich nur die Hälfte des damit erzielten Verdiensts gezahlt hat. Es besteht für
den Erwerber das Risiko, dass er wegen des Übergangs der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
für eine Arbeitsleistung zahlen muss, die er nicht erhalten hat und die er auch nicht erhalten
wird.
Allerdings ist zu beachten, dass der frühere Arbeitgeber über § 613a Abs. 2 BGB zumindest
zum Teil für die nach dem Betriebsübergang noch entstehenden Ansprüche der Altersteilzeitarbeitnehmer gesamtschuldnerisch mithaftet.
Praxishinweis: Zu beachten ist für den Erwerber, dass er beim Übergang von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen zur Insolvenzsicherung nach § 8a AltTZG verpflichtet ist.
895
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705 (zur Freistellungsphase);
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408 (zur Arbeitsphase).
897
Allgemein dazu Kapitel D.
896
287
2. Anspruch auf Altersteilzeit nach Betriebsübergang
Für den Erwerber stellt sich vor allem dann, wenn Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder auch kollektivbezogene individualvertragliche Instrumente (z. B. Gesamtzusage) dem
Arbeitnehmer einen Anspruch auf Altersteilzeit einräumen (§ 2 Abs. 2 AltTZG), die Frage, ob
die übergehenden Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang den hierdurch eingeräumten
Anspruch auf den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung behalten.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz geht offensichtlich davon aus, dass der Anspruch
auf Altersteilzeit aufgrund tariflicher Regelungen beim Veräußerer nur dann gegenüber dem
Erwerber geltend gemacht werden kann, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt bzw. eine rechtserhebliche Anwartschaft besitzt.898
Zu bereits vor einem Betriebsübergang tariflich vereinbarten Entgelterhöhungen mit späterer
Fälligkeit hat das BAG899 jedoch entschieden, dass der übergegangene Arbeitnehmer darauf
gegen den Erwerber einen Anspruch hat. Zu den bestehenden Rechten und Pflichten nach §
613a BGB gehörten nicht nur die aktuell realisierten Rechte und Pflichten, sondern alle, auf
die sich eine der Vertragsparteien bei unveränderter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
berufen könne. Ob diese Rechtsprechung auf die Altersteilzeit zu übertragen ist, bleibt abzuwarten.
a) Anspruchsgrundlagen
Dies ist nach den allgemeinen Regeln zu § 613a BGB zu beurteilen.
 Gelten also Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen auch nach dem Betriebsübergang normativ weiter, behalten die übergehenden Arbeitnehmer grundsätzlich einen
etwaigen Anspruch auf Altersteilzeit.
 Werden Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
in das Arbeitsverhältnis transformiert und nicht durch eine beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Regelung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst, gilt wohl, dass
die Arbeitnehmer einen Anspruch auf den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung
behalten, da es sich bei den entsprechenden kollektivrechtlichen Regelungen um sog.
Inhaltsnormen handeln dürfte, die den Arbeitnehmern individuelle Rechte einräumen.
 Beruht der Anspruch auf Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung auf einer individualrechtlichen Grundlage, also z. B. einer Gesamtzusage, geht der entsprechende Anspruch der Arbeitnehmer gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über.
 Die Arbeitnehmer des Veräußererbetriebes können gegebenenfalls einen Anspruch auf
Altersteilzeit aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz haben, wenn der
Veräußerer mit mehreren Arbeitnehmern oder bestimmten Arbeitnehmergruppen Altersteilzeitverträge abgeschlossen hat und ein sachlicher Differenzierungsgrund für den
konkreten Arbeitnehmer nicht vorliegt. Dieser Anspruch kann auf den Erwerber übergehen. Eine solche Verpflichtung beschränkt sich jedoch auf die übergehenden Arbeitnehmer.
898
899
LAG Rheinland-Pfalz v. 25.11.2008 – 3 Sa 422/08.
BAG v. 19.09.2007 – 4 AZR 711/06, NZA 2008, 241;
LAG Rheinland-Pfalz v. 13.01.2015 – 8 Sa 280/14.
288
Der Anspruch der übergehenden Arbeitnehmer richtet sich dabei nicht nur auf den Abschluss
einer Altersteilzeitvereinbarung selbst, sondern auch darauf, diese Vereinbarung zu den Bedingungen abschließen zu können, die mit dem Veräußerer vereinbart wurden. Dies ist nur
anders, wenn eine beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Regelung ablösende Wirkung
nach § 613a Abs. 1 Satz 3 oder 4 BGB hat.
Praxishinweis: Für alle Anspruchsgrundlagen gilt: Aufgrund der Entscheidung des
LAG Rheinland-Pfalz900 könnte eine zeitliche Nähe zwischen Betriebsübergang und Erreichen des erforderlichen Lebensalters gefordert werden.
3. Widerspruch von Altersteilzeitlern
Auch Altersteilzeitarbeitnehmer haben nach § 613a Abs. 6 BGB das Recht, dem Übergang
ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Der Widerspruch hat zur Folge, dass der Veräußerer weiterhin Arbeitgeber des widersprechenden Altersteilzeitarbeitnehmers bleibt.
Dies kann zu verschiedenen Problemen führen, wenn der Veräußerer für den Altersteilzeitarbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat und daher eine betriebsbedingte
Kündigung aussprechen will.
a) Arbeitnehmer in der Freistellungsphase
Befindet sich der widersprechende Altersteilzeitler bereits in der Freistellungsphase, ist eine
betriebsbedingte Kündigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch den Veräußerer
ausgeschlossen.901 Der Veräußerer ist also bis zur Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses sowohl zur Zahlung des Altersteilzeitentgelts als auch der Aufstockungsbeträge
verpflichtet.
b) Arbeitnehmer in der Arbeitsphase
Befindet sich dagegen der widersprechende Altersteilzeitler noch in der Arbeitsphase, darf
der Veräußerer wohl jedenfalls dann eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, wenn
das Arbeitsverhältnis noch in der Arbeitsphase beendet werden soll.902
Praxishinweis: Das gilt jedenfalls dann, wenn die ordentliche Kündbarkeit des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Altersteilzeitvertrag vereinbart ist. Fehlt es daran, wird wahrscheinlich
schon § 15 Abs. 3 TzBfG einer betriebsbedingten Kündigung entgegenstehen.
Der Veräußerer wird – wie in anderen Widerspruchsfällen – ggf. prüfen müssen, ob der Altersteilzeitler gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 b) KSchG weiterbeschäftigt werden kann und er wird
u. U. eine Sozialauswahl durchführen müssen. Ist eine betriebsbedingte Kündigung zulässig,
tritt ein sog. Störfall ein, sodass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis mittels der hierzu entwickelten Grundsätze abzuwickeln ist.
900
LAG Rheinland-Pfalz v. 25.11.2008 – 3 Sa 422/08.
BAG v. 05.12.2002 – 2 AZR 571/01, NZA 2003, 789.
902
BAG v. 16.06.2005 – 6 AZR 476/04, DB 2005, 2303; BAG v. 23.02.2005 – 10 AZR 602/03,
NZA 2005, 694 (Kündigungsbefugnis des Insolvenzverwalters).
901
289
c) Anspruchsbegrenzung
Wird der tarifliche Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages transformiert, muss
sich der Erwerber jedenfalls dann auch auf die in diesen Tarifverträgen enthaltenen Begrenzungen entsprechender Ansprüche der Arbeitnehmer berufen können, wenn er einen gesamten Betrieb übernommen hat.
Ist also z. B. wie in den Metalltarifverträgen eine sog. Überforderungsgrenze enthalten, kann
sich der Erwerber darauf berufen. Der entsprechende Anspruch der Arbeitnehmer steht insoweit unter einer aufschiebenden Bedingung, die ebenfalls nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
transformiert wird. Gleiches gilt für entsprechende Betriebsvereinbarungen oder individualrechtliche Regelungsinstrumente, soweit diese – wie in § 2 Abs. 2 AltTZG vorgesehen – die
tarifvertragliche Altersteilzeitregelung in Bezug nehmen.
Zusammenfassender Überblick
Übergang
§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB
Widerspruch/
Kündigung
Ansprüche auf ATZ
Altersteilzeitarbeitsverhältnis ist Arbeitsverhältnis
und wird ebenso vom Betriebsübergang erfasst
Arbeitsphase
Betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich
möglich
Freistellungsphase
Betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen
Aufgrund von Transformation oder Ablösung gehen Ansprüche
i. d. R. auf Erwerber über, jedoch auch mit normierten
Anspruchsbegrenzungen (Überforderungsschutz)
II. Inhalt der übergehenden Altersteilzeitarbeitsverhältnisse / Umfang der Einstandspflicht des Erwerbers
1. Grundsätzlicher Umfang der Einstandspflicht
Geht ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf den Erwerber über, muss es grundsätzlich zu den
Bedingungen fortgeführt werden, die der Altersteilzeitarbeitnehmer mit dem Veräußerer vereinbart hat. Der Erwerber tritt also in alle Verpflichtungen ein, die sich aus dem Altersteilzeitvertrag ergeben, d. h. er ist sowohl zur Zahlung des Altersteilzeitentgelts als auch der vereinbarten Aufstockungsbeträge verpflichtet.903 Sollten weitergehende Leistungen des Arbeitgebers vereinbart sein, muss der Erwerber auch diese erfüllen, wie z. B. die Weitergewährung von Sachleistungen oder Zusagen, eine betriebliche Altersversorgung weiterzuführen.904
Da die zu den Rechtsfolgen des § 613a BGB entwickelten Rechtsgrundsätze auch auf Altersteilzeitarbeitsverhältnisse Anwendung finden, können sich die Inhalte der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nach einem Betriebsübergang ebenfalls ändern. Dies wird im Folgenden
anhand der einzelnen denkbaren Fallgestaltungen dargestellt.
903
904
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
290
2. Auswirkungen eines Betriebsübergangs auf (bestehende) Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
a) (Normative) Weitergeltung der Rechtsgrundlagen für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
Wenn die den übergehenden Altersteilzeitverhältnissen zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen – i. d. R. in Form eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung – normativ weitergelten, bleibt hinsichtlich der Ausgestaltung der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse „alles beim
Alten“, d. h. sie werden unverändert weitergeführt.
Beispiel:
Der Erwerber ist Mitglied des gleichen tarifschließenden Arbeitgeberverbandes wie der Veräußerer. Die Rechtsgrundlage für das Altersteilzeitverhältnis bleibt der einschlägige Tarifvertrag.
Probleme kann es jedoch dann geben, wenn der Veräußerer die Altersteilzeitvereinbarungen
gemäß § 2 Abs. 2 AltTZG auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung mit Bezugnahme
auf einen Altersteilzeittarifvertrag abgeschlossen hat und der übergehende Betrieb bzw. Betriebsteil nach dem Betriebsübergang nicht mehr unter den Geltungsbereich des in der Betriebsvereinbarung Bezug genommenen Altersteilzeittarifvertrages fällt.
Beispiel:
Ein nicht verbandsangehöriger Arbeitgeber aus der Metallbranche vereinbart mit seinem Betriebsrat die Geltung des für ihn räumlich geltenden Metall-Altersteilzeittarifvertrages. Er gliedert
später seine Vertriebsabteilung aus, in der sich bereits einige Mitarbeiter in Altersteilzeit befinden.
Praxishinweis: Eine solche Bezugnahme ist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 AltTZG immer dann erforderlich, wenn eine Altersteilzeit von mehr als drei Jahren vereinbart werden soll.
In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob sich das Herausfallen aus dem Geltungsbereich
eines in Bezug genommenen Tarifvertrages in irgendeiner Form auf die Altersteilzeitarbeitsverhältnisse auswirkt. Zumindest für bestehende Verträge muss ein Bestands- und Inhaltsschutz gewährleistet sein.
Auch die Bundesagentur für Arbeit905 geht davon aus, dass die Altersteilzeitverhältnisse in
diesem Fall unverändert weitergeführt werden können. Dies soll auch für die Altersteilzeitverhältnisse gelten, die rechtswirksam mit Wirkung für die Zukunft mit dem bisherigen Arbeitgeber vereinbart wurden, die Altersteilzeitarbeit aber erst beim neuen Arbeitgeber einsetzt.
b) Transformation von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen
Kommt es gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zu einer Transformation von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen auf die Ebene des Arbeitsverhältnisses, ändert sich in Bezug auf
bereits abgeschlossene Altersteilzeitverträge i. d. R. nichts.
Diese gehen mit den vereinbarten Arbeitsbedingungen auf den Erwerber über. Er bleibt damit insbesondere zur Zahlung des vereinbarten bzw. tariflichen Altersteilzeitentgelts sowie
der – tariflich ebenfalls meist festgelegten – Aufstockungsbeträge verpflichtet.
905
Durchführungsanweisung der BA, Ziffer 2.3 Abs. 2, Stand 01.06.2015.
291
Dass der dem Altersteilzeitvertrag zugrunde liegende Tarifvertrag nicht mehr normativ gilt,
hat auf die Wirksamkeit dieses Vertrages keine Auswirkungen. Dies ergibt sich schon daraus, dass auch Altersteilzeitverträge mit nicht organisierten Arbeitnehmern, die sich an den
tariflichen Vorgaben ausrichten, ohne Zweifel wirksam sind, obwohl auch in diesem Fall der
Tarifvertrag nur schuldrechtlich und nicht normativ wirkt.
Praxishinweis: Eine Transformation kollektivrechtlicher Altersteilzeitregelungen auf die arbeitsvertragliche Ebene wird dabei in Betracht kommen, wenn entweder im Betrieb des Erwerbers keine Altersteilzeitregelungen bestehen oder wenn er an andere (kollektivrechtliche)
Altersteilzeitregelungen gebunden ist, die keine ablösende Wirkung nach § 613a Abs. 1 Satz
3 BGB haben.
Beispiel:
Der Veräußerer ist Mitglied in einem tarifschließenden Metallarbeitgeberverband, der Erwerber
ist Mitglied eines tarifschließenden Gaststättenverbandes, der Altersteilzeitler ist Mitglied der
IG Metall. Beide Verbände haben Altersteilzeittarifverträge abgeschlossen. Da es jedoch nach
dem Betriebsübergang an einer sog. kongruenten Tarifgebundenheit zwischen Erwerber und
dem übergehenden Arbeitnehmer fehlt, werden die Metalltarifverträge gemäß § 613a Abs. 1
906
Satz 2 BGB transformiert und nicht von den Gaststättentarifverträgen abgelöst.
(1) Allgemeine Entgeltentwicklung bei Tarifbindung des Veräußerers
Probleme ergeben sich vor allem dann, wenn der Altersteilzeitarbeitnehmer aufgrund der tariflichen Vorgaben an der allgemeinen tariflichen Entgeltentwicklung teilnimmt. Hier stellt sich
für den Erwerber die Frage, ob er Altersteilzeitlern tarifliche Entgelterhöhungen gewähren
muss, die erst nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs vereinbart werden.
Da die entsprechende tarifliche Bestimmung mit dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages
zum Bestandteil dieses Vertrages wird, scheint sich dies in der Tat aus § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB zu ergeben. Zweifel an der dynamischen Entwicklung des Entgelts ergeben sich daraus, dass für alle anderen übergehenden Arbeitnehmer die beim Veräußerer geltenden Tarifverträge nur statisch transformiert werden, sodass sie an Tariferhöhungen, die nach Betriebsübergang vereinbart werden, i. d. R. nicht partizipieren.907
Im Ergebnis wird man dann, wenn für die aufgrund eines Betriebsübergangs übergehenden
Arbeitnehmer ein beim Veräußerer geltender Entgelttarifvertrag nur noch statisch gilt, auch
für die Altersteilzeitler annehmen müssen, dass sie an Tariferhöhungen nach Betriebsübergang nicht teilnehmen. Eine entsprechende (höchst-)richterliche Entscheidung zu dieser
Frage steht noch aus. Dafür sprechen folgende Argumente:
 Wäre der Erwerber nur bei den Altersteilzeitarbeitnehmern verpflichtet, das Altersteilzeitentgelt entsprechend zu erhöhen, käme es also zu einer unterschiedlichen Behandlung von Altersteilzeitlern und anderen Arbeitnehmern. Dies ist jedoch mit dem Sinn
und Zweck dieser speziellen Tarifklausel nicht vereinbar. Diese soll – ähnlich wie Bezugnahmeklauseln – bezwecken, dass Altersteilzeitler in Bezug auf tarifliche Entgeltentwicklungen genauso behandelt werden wie die anderen im Betrieb tätigen Arbeitnehmer, also eine Gleichstellung herbeiführen. Damit würde sich im Übrigen auch eine
tarifliche Entgeltminderung auf das Altersteilzeitentgelt auswirken.
906
907
Siehe dazu Kapitel D.
Siehe dazu Kapitel D.
292
Die Klausel deckt eine unterschiedliche Behandlung von Altersteilzeitlern und anderen
Arbeitnehmern (nach einem Betriebsübergang) nicht ab, sodass eine Privilegierung der
Altersteilzeitarbeitnehmer weder gewollt noch zu rechtfertigen ist.
 Ein anderes Ergebnis würde auch in Widerspruch insbesondere zur negativen Koalitionsfreiheit des Erwerbers stehen. Mit dieser Begründung wird ja auch im Rahmen der
Transformation von Tarifverträgen eine dynamische Weitergeltung dieser Tarifverträge
abgelehnt. Rechtstechnisch wird man dieses Ergebnis mittels einer Auslegung der entsprechenden (Tarif-)Klausel, die durch den Abschluss des Altersteilzeitvertrages Vertragsbestandteil wird, erreichen können; die Rechtslage ist insoweit – darauf wurde bereits hingewiesen – mit Bezugnahmeklauseln vergleichbar. Auch dort wird angenommen, dass nicht organisierte Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Tariferhöhungen haben, die nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs vereinbart werden.
(2) Allgemeine Entgeltentwicklung bei fehlender Tarifbindung des Veräußerers
Die vorgenannte Einschränkung bei der Transformation von Altersteilzeittarifverträgen dürfte
allerdings nach der derzeitigen Rechtsprechung des BAG nur dann gelten, wenn der Veräußerer – i. d. R. über eine Verbandsmitgliedschaft – gem. § 4 Abs. 1 TVG an den transformierten Tarifvertrag gebunden war.
War der Veräußerer nicht tarifgebunden, führt die nur schuldrechtlich wirkende Bezugnahme
auf Tarifverträge nicht zur Anwendung des § 613a Abs. 1 Sätze 2 bis 4, sondern es ist allein
§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB einschlägig. Damit schuldet ein Erwerber, der einen Betrieb von
einem nicht tarifgebundenen Veräußerer übernimmt, allen übergehenden Arbeitnehmern
(einschließlich Altersteilzeitlern) die nach Betriebsübergang neu vereinbarten Tariferhöhungen, soweit dies in der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel vereinbart ist.908
c) Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB bei anderen (kollektivrechtlichen)
Regelungen zur Altersteilzeit?
Ist der Erwerber an andere (kollektivrechtliche) Altersteilzeitregelungen als der Veräußerer
gebunden, stellt sich die Frage, ob die Regelungen des Erwerbers abgelöst werden nach
§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB.
Insoweit ist fraglich, ob für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse die gleichen Regelungen wie für
andere übergehende Arbeitsverhältnisse gelten. Das könnte vor allem zur Folge haben, dass
sich die Altersteilzeitarbeitsverhältnisse der auf den Erwerber übergehenden Altersteilzeitarbeitnehmer nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nach den beim Erwerber geltenden
Regelungen richten, wenn eine beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Regelung ablösende Wirkung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB hat.
Denkbar sind auch hier die verschiedenen Ablösungskonstellationen, d. h.
 Tarifvertrag durch Tarifvertrag,
 Tarifvertrag durch Betriebsvereinbarung,909
 Betriebsvereinbarung durch Tarifvertrag oder
 Betriebsvereinbarung durch Betriebsvereinbarung.
908
909
Siehe zu dem gesamten Komplex Kapitel D.
Wegen des geringen Anwendungsbereichs der Über-Kreuz-Ablösung praktisch kaum denkbar.
293
Beispiel:
Der an die Metalltarifverträge gebundene Veräußerer verkauft einen Betriebsteil an den Erwerber, der an die Textiltarifverträge gebunden ist. Da hinsichtlich der übergehenden Arbeitnehmer
kongruente Tarifgebundenheit wegen der Zuständigkeit der IG Metall für beide Branchen gegeben ist, lösen die Altersteilzeittarifverträge der Textilindustrie die Altersteilzeittarifverträge der
Metallindustrie ab.
Das ist unter zwei Aspekten wichtig:
 Altersteilzeitregelung beim Erwerber günstiger: Sollte die beim Veräußerer geltende
kollektivrechtliche Altersteilzeitregelung für die Arbeitnehmer bzw. Altersteilzeitler ungünstiger sein als die beim Erwerber geltende Altersteilzeitregelung, stellt sich die Frage, ob die übergehenden Altersteilzeitarbeitnehmer nach dem Betriebsübergang nunmehr verlangen können, dass ihre (bereits bestehenden) Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nach den beim Erwerber geltenden Regelungen durchgeführt werden.
 Altersteilzeit beim Erwerber ungünstiger: Genau umgekehrt stellt sich hingegen die Lage dar, wenn die beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Altersteilzeitregelung für
die Altersteilzeitarbeitnehmer ungünstiger ist als die beim Veräußerer geltende. Dann
stellt sich für den Erwerber die Frage, ob die auf ihn übergegangenen Altersteilzeitarbeitsverhältnisse nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nunmehr allein nach den
für ihn geltenden kollektivrechtlichen Regelungen durchgeführt werden können bzw.
dürfen.
Beide gerade gestellten Fragen können nur einheitlich beantwortet werden. Wenn man von
einer ablösenden Wirkung und damit ggf. einer inhaltlichen Änderung der übergehenden Altersteilzeitarbeitsverhältnisse ausgeht, dann muss dies für beide Varianten gelten, d. h. unabhängig davon, ob die beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Altersteilzeitregelung für
die übergehenden Altersteilzeitarbeitnehmer ungünstiger ist oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist folgende Lösung zu bevorzugen:
(1) Arbeitnehmer (noch) nicht in Altersteilzeit
Wird ein Altersteilzeittarifvertrag oder eine Altersteilzeitbetriebsvereinbarung von einem für
den Erwerber geltenden Altersteilzeittarifvertrag oder einer Altersteilzeitbetriebsvereinbarung
gem. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst, so hat dies zunächst zur Folge, dass die Arbeitnehmer, die sich (noch) nicht in Altersteilzeit befinden, nunmehr nur noch nach Maßgabe des
beim Erwerber geltenden Tarifvertrages bzw. der Betriebsvereinbarung ggf. einen Anspruch
auf Altersteilzeit haben. Der Altersteilzeitvertrag richtet sich dann allein nach den beim Erwerber geltenden tariflichen oder betrieblichen Bestimmungen.
(2) Arbeitnehmer bereits mit Altersteilzeitvertrag
Eine ganz andere Frage ist, ob die Verträge der Altersteilzeitarbeitnehmer, die bereits mit
dem Veräußerer einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen haben, nunmehr dahin gehend
geändert werden (müssen), dass sie den beim Erwerber geltenden tariflichen oder betrieblichen Altersteilzeitregelungen entsprechen.
Dies ist ungeklärt. Es spricht jedoch mehr für eine Ablösung.
Gegen eine ablösende Wirkung kann argumentiert werden, dass der bereits abgeschlossene
Altersteilzeitvertrag nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber übergeht.
294
Allerdings wird sein Inhalt im Wesentlichen vom einschlägigen Altersteilzeittarifvertrag bzw.
der einschlägigen Altersteilzeitbetriebsvereinbarung vorgegeben. Damit aber wirkt ein Altersteilzeittarifvertrag i. S. v. § 4 TVG bzw. eine Altersteilzeitbetriebsvereinbarung gemäß § 77
Abs. 4 BetrVG normativ auf die (freiwillig) abgeschlossenen Altersteilzeitverträge ein. Es besteht also insoweit kein Unterschied zu anderen Arbeitsverhältnissen.
Geht man von der Ablöse-Prämisse nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB aus, muss man jedoch
folgerichtig auch dann – ebenso wie bei anderen „normalen“ Arbeitsverhältnissen – davon
ausgehen, dass nunmehr der neue Altersteilzeittarifvertrag bzw. die neue Altersteilzeitbetriebsvereinbarung normativ auf die übergegangenen Altersteilzeitarbeitsverhältnisse einwirkt.
Dies hat dann zur Folge, dass sich nach dem Betriebsübergang die übergehenden Altersteilzeitarbeitsverhältnisse allein nach den beim Erwerber geltenden tariflichen oder betrieblichen
Bestimmungen über die Altersteilzeit richten; unabhängig davon, ob diese für den Altersteilzeitarbeitnehmer günstiger sind oder nicht. Es gilt das Ablösungsprinzip. Der Erwerber wendet die kollektivrechtlichen Altersteilzeitregelungen an, die für ihn maßgebend sind.
d) Rechtslage in Bezug auf individualrechtliche Vereinbarungen
Wurden im Betrieb des Veräußerers die abgeschlossenen Altersteilzeitverträge auf eine individualrechtliche Grundlage gestützt, tritt in Bezug auf § 613a BGB nur dann kein rechtliches
Problem auf, wenn die Individualvereinbarungen günstiger als die für den Erwerber maßgebenden Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen sind. Die Altersteilzeitverträge gehen hier
schon wegen des Günstigkeitsprinzips mit dem Inhalt, den der Veräußerer vereinbart hat, auf
den Erwerber über. Beim Erwerber geltende kollektivrechtliche Altersteilzeitvereinbarungen
haben i. d. R. weder auf den Bestand noch auf den Inhalt solcher Altersteilzeitarbeitsverhältnisse Einfluss.
Probleme können dann auftreten, wenn die beim Erwerber geltenden kollektivrechtlichen
Regelungen günstiger als die mit dem Veräußerer abgeschlossenen Individualvereinbarungen sind. Wirken diese Kollektivvereinbarungen über § 4 Abs. 1 TVG oder § 77 Abs. 4 BetrVG normativ auf die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer ein, stellen sich
die gleichen Fragen wie gerade erörtert. Anders als bei der Ablösung durch Kollektivvereinbarungen ist hier aber das Verhältnis zwischen Individualvereinbarung und Kollektivregelung
betroffen. Hier gilt im Ergebnis grundsätzlich das Günstigkeitsprinzip.
e) Keine Altersteilzeitregelung beim Erwerber – Auswirkungen anderer Entgeltstrukturen
Ein ganz anderes Problem stellt sich, wenn der Erwerber zwar tarifgebunden ist, aber keine
Altersteilzeittarifverträge in seiner Branche bestehen.
Wenn dann insbesondere hinsichtlich der Entgelttarifverträge eine Ablösung nach § 613a
Abs. 1 Satz 3 BGB eintritt, stellt sich die Frage, ob sich das Altersteilzeitentgelt der Altersteilzeitarbeitnehmer nunmehr nach den veränderten tariflichen Entgeltbestimmungen richtet.
Wenn ja, hätte dies auch Auswirkungen auf die Berechnung der Aufstockungsbeträge, da
deren Berechnungsgrundlage nunmehr das veränderte Tarifentgelt wäre.
Praxishinweis: Bei Altfällen bleibt in diesem Fall nur die prozentuale Höhe der (transformierten tariflichen) Aufstockungsbeträge unabhängig vom Entgelt unverändert; diese sind aber
ggf. auf der Grundlage des veränderten Altersteilzeitentgelts neu zu berechnen. Der Bruttoaufstockungsprozentsatz wird nicht neu ermittelt.
295
Im Ergebnis tritt auch hier die Ablösung ein, da kein Grund ersichtlich ist, warum Altersteilzeitarbeitnehmer anders als die anderen übergehenden Arbeitnehmer behandelt werden
sollten. Wenn diese anderen tariflichen Entgeltstrukturen unterfallen, muss dies also auch für
Altersteilzeitarbeitnehmer gelten und zwar unabhängig davon, ob das beim Erwerber geltende Tarifentgelt niedriger oder höher als beim Veräußerer ist.
Das Problem ist im Ansatz vergleichbar mit der bereits erörterten Frage, was gilt, wenn ein
Entgelttarifvertrag statisch transformiert wird und die anderen übergehenden Arbeitnehmer
daher nicht mehr an Tariferhöhungen nach Betriebsübergang partizipieren.
Praxishinweis: Eine Änderung der geschuldeten Arbeitszeit für „normale“ Arbeitnehmer darf
nicht auf Altersteilzeitmitarbeiter in der Arbeitsphase angewandt werden.910 In der Altersteilzeit gilt der Hälftigkeitsgrundsatz, d. h. die bisherige Arbeitszeit – also vor Beginn der Altersteilzeit – muss halbiert werden, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG. Eine dauerhafte Änderung der Arbeitszeit von Altersteilzeitlern in der Arbeitsphase ist unzulässig und kann zum Wegfall sämtlicher steuerlicher, sozialversicherungsrechtlicher und erstattungsrechtlicher Vorteile führen.
f) Auswirkungen weiterer Änderungen beim Arbeitsentgelt
Neben den bereits behandelten Veränderungen können sich Auswirkungen auf das Arbeitsentgelt der übergehenden Arbeitnehmer auch aus anderen Gründen ergeben.
So können z. B. Betriebsvereinbarungen über freiwillige Entgeltzusatzleistungen ersatzlos
gekündigt oder (zu Lasten der Arbeitnehmer) geändert werden oder der Erwerber nimmt einzelvertraglich vereinbarte (Widerrufs-)Rechte bezüglich einzelner Entgeltbestandteile wahr.
In allen diesen Fällen verringert sich das Arbeitsentgelt der übergehenden Arbeitnehmer entsprechend.
Damit stellt sich für Altersteilzeitarbeitnehmer die Frage, ob auch ihr Altersteilzeitentgelt entsprechend vermindert wird. Wenn ja, hat dies auch Auswirkungen auf die Berechnung der
Aufstockungsbeträge, da diese auf einer anderen Grundlage (neu) berechnet werden müssen. Folgt man dem Grundsatz, dass auch für Altersteilzeitarbeitnehmer grundsätzlich die
allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen gelten, wirken sich entsprechende Änderungen
im Bereich des Arbeitsentgelts in der Tat unmittelbar auf das Altersteilzeitentgelt aus.
Allerdings könnten entsprechende Änderungen dann unzulässig sein, wenn diese durch den
Altersteilzeitvertrag vertraglich ausgeschlossen sind. Eine solche Vereinbarung wird jedoch
nicht schon darin zu sehen sein, dass im Altersteilzeitvertrag die Berechnungsgrundlage für
die Aufstockungsbeträge ggf. ausdrücklich enthalten ist; dies wird vielmehr i. d. R. nur den
Willen der Vertragsparteien widerspiegeln, Altersteilzeitarbeitnehmer beim Entgelt ebenso zu
behandeln wie die anderen Arbeitnehmer des Betriebes. Eine Zusicherung des Inhalts, bestimmte Entgeltbestandteile für die Dauer des Altersteilzeitverhältnisses verbindlich zuzusagen, wird daher nur bei Vorliegen darüber hinausgehender Umstände angenommen werden
können. Damit werden auch einzelvertraglich vereinbarte, aber unter Widerrufs- oder Freiwilligkeitsvorbehalt stehende Entgeltbestandteile i. d. R. während der Altersteilzeit entfallen
können. Selbstverständlich muss der Erwerber dabei die allgemeinen rechtlichen Grenzen,
insbesondere beim Widerruf von Entgeltbestandteilen, beachten.
Auch Besonderheiten des Altersteilzeitrechts stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Allein
der Hinweis auf den Altersteilzeitvertrag reicht dafür nicht aus.
910
BAG v. 11.04.2006 – 9 AZR 369/05, NZA 2006, 926.
296
Bedenken könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass die Aufstockungsbeträge auch das
Ziel verfolgen, den Lebensstandard des Altersteilzeitarbeitnehmers zu sichern.911 Dies allein
rechtfertigt jedoch eine Besserstellung des Altersteilzeitarbeitnehmers gegenüber anderen
Arbeitnehmern des Betriebes nicht.912 Vielmehr stellt die Änderung bzw. Verringerung des
Arbeits- und damit auch des Altersteilzeitentgelts ein allgemeines Risiko für alle Arbeitnehmer dar, die damit auch entsprechend mit einer Verringerung ihres Lebensstandards rechnen müssen.
Der Altersteilzeitarbeitnehmer wird insoweit bereits durch die Zahlung der Aufstockungsbeträge an sich ausreichend geschützt. Das AltTZG selbst definiert mit dem Mindestaufstockungsbetrag in § 3 Abs. 1 Nr. 1a AltTZG die notwendige Untergrenze zur Sicherung des
Lebensstandards. Ein weitergehender Schutz des Inhalts, dass das Altersteilzeitentgelt und
damit auch die Aufstockungsbeträge während der Dauer des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses unverändert bleiben, kann hingegen nicht aus dem Altersteilzeitrecht abgeleitet werden.
Praxishinweis: Zu beachten ist allerdings für Altersteilzeit im Blockmodell, dass der Widerruf bzw. das Entfallen einer Entgeltzusatzleistung während der Arbeitsphase bei entsprechender vertraglicher Regelung zur Folge hat, dass diese Entgeltbestandteile dennoch für
dieselbe zeitliche Dauer spiegelbildlich in der Freistellungsphase zu zahlen sind.913
Zusammenfassender Überblick
Auswirkung § 613a BGB auf Altersteilzeitentgelt u. a.
Normative
Weitergeltung
Transformation
z. B. BV/TV  ArbV
z.B. M+E-TV  M+E-TV
Materielle
Grundlagen des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bleiben
unverändert
„Altersteilzeitentgelt
nimmt an allgemeiner Entgeltentwicklung teil“
(P) Statische oder
dynamische
Auslegung für
Altersteilzeitler
i. E. wohl keine
Besserstellung ggü.
anderen
Arbeitnehmern
Ablösung durch
andere
Kollektivregelung
(P) Ablöseprinzip vs.
Günstigkeitsprinzip
i. E. setzt sich wohl
Ablöseprinzip durch
Individualvereinbarung
(P) Günstigkeitsprinzip im Verhältnis
zu günstigerer
Kollektivvereinbarung beim
Erwerber
i. E. setzt sich wohl
Günstigkeitsprinzip
durch
Einschränkung der
Transformation =
Statische Auslegung
911
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
BAG v. 11.04.2006 – 9 AZR 369/05, NZA 2006, 926 zur anteiligen Entgeltreduzierung bei
allgemeiner Erhöhung der Pflichtstundenzahl für Lehrer.
913
BAG v. 24.06.2003 – 9 AZR 353/02, DB 2004, 258.
912
297
III. Mithaftung des Veräußerers gemäß § 613a Abs. 2 BGB
1. Grundsätzliche Einstandspflicht des Veräußerers
Ob und in welchem Umfang der Veräußerer haftet, wenn ein Altersteilzeitverhältnis auf den
Erwerber übergegangen ist, richtet sich nach § 613a Abs. 2 BGB und damit zunächst danach, welche Ansprüche des Altersteilzeitarbeitnehmers noch vor dem Betriebsübergang im
Sinne dieser Vorschrift „entstanden“ sind.
Ausgehend von den allgemeinen Regeln zu § 613a Abs. 2 BGB914 sind während der Arbeitsphase zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Wechselt der Arbeitnehmer binnen eines Jahres
nach Betriebsübergang von der Arbeits- in die Freistellungsphase, so besteht eine Mithaftung des Veräußerers. Eine Mithaftung kommt dann nicht in Betracht, wenn es um Ansprüche von Altersteilzeitarbeitnehmern geht, deren Arbeitsverhältnis noch während der Arbeitsphase auf den Erwerber übergeht und die Arbeitsphase noch über das Jahr hinaus andauert.
Für die Ansprüche auf die Zahlung des Altersteilzeitentgelts und der Aufstockungsbeträge,
die erst nach dem Betriebsübergang i. S. d. § 613a Abs. 2 BGB „entstehen“, haftet der Veräußerer nicht mit. Insoweit besteht kein Unterschied zu „normalen“ laufenden monatlichen
Entgeltansprüchen übergehender Arbeitnehmer.
Relevant wird die Mithaftung des Veräußerers daher nur dann, wenn sich ein Altersteilzeitarbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits in der Freistellungsphase befindet.
Die Mithaftungsfrage reduziert sich also darauf, ob der Veräußerer nach Maßgabe des
§ 613a Abs. 2 BGB für Ansprüche der Altersteilzeitarbeitnehmer nach Beginn der Freistellungsphase haftet.
Praxishinweis: Die gleichen Fragen, die im Blockmodell relevant sind, können sich je nach
Ausgestaltung auch im gleitenden Modell des TV FlexÜ 2015 stellen, wenn der Arbeitnehmer
im Rahmen dieses Modells komplett von der Arbeit freigestellt wird.
a) Altersteilzeitentgelt
Die Ansprüche der Arbeitnehmer auf das laufende Arbeitsentgelt entstehen jeweils in dem
Monat, in dem gearbeitet wurde. Bei der Altersteilzeit im Blockmodell besteht jedoch die Besonderheit, dass der Altersteilzeitarbeitnehmer während der Arbeitsphase mit seiner vollen
Arbeitsleistung im Hinblick auf die anschließende Freistellungsphase in Vorleistung tritt.
Allgemein wird deshalb davon ausgegangen, dass der Altersteilzeitarbeitnehmer bereits
während der Arbeitsphase einen Anspruch auf das volle Arbeitsentgelt erwirbt, dieser jedoch
nur zur Hälfte durchsetzbar ist. Die andere Hälfte wird erst in der Freistellungsphase fällig. 915
Das BAG hat sich mit dieser Frage in Zusammenhang mit der insolvenzrechtlichen Haftungsbeschränkung des Erwerbers befasst und ist dabei davon ausgegangen, dass sich die
Abgrenzung von Insolvenz- und Masseforderungen danach richtet, wann die Arbeitsleistung,
die den Ansprüchen zugrunde liegt, erbracht wurde.916 Dies ist auf die hier in Rede stehende
Problematik übertragbar.
Daraus folgt für § 613a Abs. 2 BGB, dass zumindest die Ansprüche auf das Altersteilzeitentgelt in der Freistellungsphase bereits während der Arbeitsphase entstanden sind.
914
Siehe dazu Kapitel J „Haftung des Veräußerers“.
Ascheid/Preis/Schmidt, § 8 AltTZG, Rn. 4; Rombach RdA 1999, 194;
im Ergebnis ebenso BAG v. 24.06.2003 – 9 AZR 353/02, DB 2004, 258.
916
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
915
298
Beispiel:
Arbeitnehmer A hat mit dem Veräußerer V einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell für die Zeit
vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2015 geschlossen. Am 01.01.2015 geht der Betrieb des V auf
den Erwerber E über. Es ist davon auszugehen, dass die Ansprüche des A ab dem Beginn der
Freistellungsphase am 01.01.2015 bereits vor diesem Zeitpunkt entstanden sind.
b) Aufstockungsbetrag und zusätzlicher Rentenversicherungsbeitrag
Fraglich ist jedoch, ob dies auch für die Aufstockungsbeträge und den zusätzlichen Rentenversicherungsbeitrag gilt. Insoweit dürfte auch die Entscheidung des BAG917, in der es um
die insolvenzrechtliche Haftungsbeschränkung für Ansprüche übergehender Altersteilzeitarbeitnehmer ging, von Bedeutung sein.
Danach sollen auch die Aufstockungsbeträge Entgelt i. S. d. §§ 611, 612 BGB sein. Dass
sich der Aufstockungsbetrag der Höhe nach rechnerisch nicht allein an der Arbeitsleistung,
sondern darüber hinaus auch an dem Ziel orientiere, den Lebensstandard des Arbeitnehmers zu sichern, ändere nichts am Charakter der Aufstockungsbeträge als Arbeitsentgelt.
Damit scheint das BAG davon auszugehen, dass nicht nur der Anspruch auf das Altersteilzeitentgelt, sondern auch auf die Aufstockungsbeträge, die in der Freistellungsphase zu zahlen sind, bereits in der Arbeitsphase entstehen. Dabei werden die Ansprüche des Altersteilzeitarbeitnehmers in der Freistellungsphase jeweils in dem Monat fällig, der dem Monat in
der Arbeitsphase entspricht, d. h. das im ersten Monat der Arbeitsphase erarbeitete Altersteilzeitentgelt sowie die Aufstockungsbeträge werden im ersten Monat der Freistellungsphase fällig.
Beispiel:
Arbeitnehmer A hat mit dem Veräußerer V einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell für die Zeit
vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2015 geschlossen. Bereits am 01.10.2014 geht der Betrieb des
V auf den Erwerber über. V haftet hier für die Ansprüche aus der restlichen Arbeitsphase von
Oktober bis Dezember 2014 nicht, da diese Ansprüche erst nach dem Betriebsübergang entstehen. Er haftet aber für die Ansprüche in der Freistellungsphase von Januar 2015 bis September 2015, da Arbeitsentgelt und Aufstockungsbeträge für diesen Zeitraum von Januar bis
September 2014 erarbeitet wurden und damit bereits vor dem Betriebsübergang entstanden
sind.
917
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
299
Beispiel-Skizze – Haftung Veräußerer
1. ATZ-Jahr
2. ATZ-Jahr
Arbeitsphase
Freistellungsphase
Keine
Haftung:
Ansprüche
entstehen
nach
Betriebsübergang
Haftung: Ansprüche sind bereits vor
Betriebsübergang in der
(spiegelbildlichen) Arbeitsphase
erarbeitet und damit vor dem
Betriebsübergang entstanden
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
Januar – September 2014
01.01.2014
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
Januar – September 2015
Betriebsübergang
01.01.2015
31.12.2015
01.10.2014
c) Bedeutung der Jahresgrenze
Die in § 613a Abs. 2 BGB genannte Jahresgrenze bildet zugleich auch die Haftungsgrenze.918
Beispiel (Abwandlung Ausgangsfall):
Der Altersteilzeitvertrag zwischen A und V ist für die Dauer von drei Jahren, also vom 01.01.2014
bis zum 31.12.2016 abgeschlossen worden. Der Betriebsübergang erfolgt am 01.01.2015. A wechselt am 01.07.2015 in die Freistellungsphase. Eine Haftung des V besteht für die Zeit von Juli bis
Dezember 2015 für die Ansprüche, die im Jahre 2009 erdient wurden. Ab Januar 2016 werden die
Ansprüche des A erst über ein Jahr nach dem Betriebsübergang fällig, sodass insoweit eine Haftung des V ausgeschlossen ist.
Praxishinweis: Als Faustregel kann man festhalten, dass der Veräußerer innerhalb der Jahresfrist des § 613a Abs. 2 BGB spiegelbildlich in dem Umfang für Ansprüche in der Freistellungsphase haftet, für die er in der Arbeitsphase die Leistung erhalten hat.
918
BAG v. 22.06.1978 - 3 AZR 832/76.
300
Zusammenfassender Überblick
Arbeitsentgelt
Aufstockungsbeträge
Arbeitsphase
Wechsel von Arbeitsphase in Freistellungsphase
binnen 1 Jahres nach
Betriebsübergang
Freistellungsphase
Keine Haftung:
Ansprüche entstehen durch Erbringung der Arbeitsleistung erst nach Betriebsübergang
Keine Haftung für Ansprüche in der Arbeitsphase,
Haftung nur, wenn Ansprüche in der Freistellungsphase vor dem
Betriebsübergang
spiegelbildlich erdient
wurden
(Haftungsgrenze
1 Kalenderjahr!)
aber Haftung für Ansprüche in der Freistellungsphase, die vor dem
Betriebsübergang spiegelbildlich erdient wurden
Haftung für Aufstockungsbeträge folgt Haftung für Arbeitsentgelt
2. Außen- und Innenhaftung des Veräußerers für Ansprüche in der Freistellungsphase
a) Ausgangsüberlegung – Parallelen zu Urlaubsansprüchen
Bei Urlaubsansprüchen übergehender Arbeitnehmer wird angenommen, dass der Veräußerer diese nach dem Betriebsübergang nicht mehr erfüllen könne bzw. müsse (Außenhaftung). Dieser Anspruch sei in erster Linie auf die Freistellung von der Arbeitspflicht gerichtet.
Der Veräußerer werde gegenüber den übergegangenen Arbeitnehmern gemäß § 275 Abs. 1
BGB wegen Unmöglichkeit frei von seiner Leistungspflicht.919
Gegenüber dem Erwerber haftet der Veräußerer jedoch anteilig nach § 421 BGB wegen Gesamtschuldnerschaft gemäß § 613a Abs. 2 BGB für das Urlaubsentgelt (Innenhaftung). Der
Umstand, dass der Schuldner von einer Verpflichtung frei werde, die er nicht mehr erfüllen
kann, werde durch die Sonderregelung des § 613a BGB ausgeräumt. Dies sei mit der Regelung als Gesamtschuld zu vereinbaren. § 421 BGB setze nur voraus, dass beide Schuldner
zu der gleichen Leistung rechtlich verpflichtet seien, nicht aber, dass jeder die geschuldete
Leistung auch tatsächlich erbringen könne.920
b) Übertragbarkeit auf Freistellungsphase – Außenhaftung gegenüber Altersteilzeitler
Dies könnte für Altersteilzeitarbeitnehmer, die sich beim oder nach Betriebsübergang in der
Freistellungsphase befinden, genauso zu werten sein, da auch sie gegen ihren Arbeitgeber
einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistungsverpflichtung erwerben.921
Die Rechtsfrage ist derzeit völlig ungeklärt. Gegen die Außenhaftung des Veräußerers sprechen folgende Argumente:
 Die Sach- und Interessenlage dürfte bei Urlaubsansprüchen und Freistellungsansprüchen aus dem Wertguthaben der Altersteilzeit im Wesentlichen identisch sein.
919
BGH v. 04.07.1985 – IX ZR 172/84, DB 1985, 2505;
bestätigt von BGH v. 25.03.1999 – III ZR 27/98, NZA 1999, 817.
920
BGH v. 04.07.1985 – IX ZR 172/84, DB 1985, 2505; Thüringer OLG v. 02.05.2012 – 7 U 971/11.
921
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
301
 Wenn man Ansprüche aus Arbeitszeitkonten ebenfalls wie Urlaubsansprüche behandelt, ist eine Gleichbehandlung von Altersteilzeit und Urlaub naheliegend. Auch bei der
Altersteilzeit wird letztlich ein Arbeitszeitkonto aufgebaut.
 Eine Außenhaftung des Veräußerers gegenüber dem Altersteilzeitarbeitnehmer würde
dazu führen, dass der Anspruch auf Freistellung vom Anspruch auf Zahlung des Altersteilzeitentgelts und der Aufstockungsbeträge getrennt würde. Dies dürfte kaum möglich
sein.
Dem folgend kann sich der Veräußerer gegenüber dem Altersteilzeitler auf § 275 Abs. 1
BGB berufen. Er haftet ihm gegenüber dann nicht mehr auf Zahlung des Altersteilzeitentgelts
und der Aufstockungsbeträge.
c) Übertragbarkeit – Innenhaftung gegenüber dem Erwerber
Dies würde allerdings eine Haftung des Veräußerers nicht vollständig ausschließen.
Vielmehr soll nach der Rechtsprechung des BGH922 zum Urlaubsrecht ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen Erwerber und Veräußerer erfolgen; § 421 BGB stünde dem nicht entgegen, da § 613a Abs. 2 BGB eine diese Vorschrift verdrängende Sonderregelung darstelle.
Danach muss der Veräußerer dem Erwerber anteiligen Ausgleich für das Urlaubsentgelt zahlen, welches für die vor dem Betriebsübergang entstandenen Urlaubsansprüche vom Erwerber an den übergegangenen Arbeitnehmer gezahlt wurde.
Überträgt man dies auf Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, hat der Veräußerer dem Erwerber
die Entgeltzahlungen zuzüglich Aufstockungsbeträge entsprechend seiner Haftung nach
§ 613a Abs. 2 BGB zu erstatten. Das gilt jedoch nur für die Monate der Freistellungsphase,
für die das Altersteilzeitentgelt und die Aufstockungsbeträge in den vor dem Betriebsübergang liegenden Monaten der Arbeitsphase erdient wurde. Die Haftungsgrenze für den Veräußerer liegt jedoch auch hier bei der in § 613a Abs. 2 BGB genannten Jahresgrenze.
Beispiel (wie schon oben):
Arbeitnehmer A befindet sich seit dem 01.01.2014 in dreijähriger verblockter Altersteilzeit. Der
Betrieb geht am 01.01.2015 auf den Erwerber E über. A wechselt am 01.07.2015 in die Freistellungsphase. E kann vom Veräußerer V Zahlung des für Juli bis Dezember 2015 gezahlten Altersteilzeitentgelts und der Aufstockungsbeträge verlangen. Ab Januar 2016 ist die Haftung des
V nach § 613a Abs. 2 BGB ausgeschlossen.
922
BGH v. 04.07.1985 – IX ZR 172/84, DB 1985, 2505;
bestätigt von BGH v. 25.03.1999 – III ZR 27/98, NZA 1999, 817.
302
Beispiel-Skizze – Haftung Veräußerer
1. ATZ-Jahr
2. ATZ-Jahr
3. ATZ-Jahr
1 Jahr Haftungsgrenze
Arbeitsphase
Freistellungsphase
Keine Haftung:
Ansprüche
entstehen nach
Betriebsübergang
Haftung:
Ansprüche sind
bereits vor
Betriebsübergang erarbeitet
und damit
davor
entstanden
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
12 Monate (Jan. – Dez. 2014)
Betriebsübergang
01.01.2014
Keine Haftung:
Ansprüche sind
zwar bereits vor
Betriebsübergang erarbeitet,
aber Haftungshöchstgrenze
von einem Jahr
überschritten
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
12 Monate (Juli 2015 – Juni 2016)
01.07.2015
31.12.2015
01.07.2016
31.12.2016
01.01.2015
Zusammenfassender Überblick
Ansprüche aus der Freistellungsphase
gegenüber dem Veräußerer
Altersteilzeitmitarbeiter
(Außenverhältnis)
Erwerber
(Innenverhältnis)
wohl wg. § 275 Abs. 1 BGB kein Anspruch
– Unmöglichkeit der geschuldeten
Freistellung beseitigt auch darauf
basierenden Zahlungsanspruch
Ansprüche aus Gesamtschuldnerregress gemäß
§§ 421, 426 i. V. m.
§ 613a Abs. 2 BGB
jedoch gekürzt um:
Haftungsumfang nach
§ 613a Abs. 2 BGB:
nur für Ansprüche, die vor
dem Betriebsübergang
erdient wurden und nicht
mehr als ein Jahr danach
fällig werden
Erstattungsleistungen
nach § 4 AltTZG für
Altfälle
auch wenn mangels
Wiederbesetzung keine
Erstattung erfolgt
303
IV. Besonderheiten beim Erwerb eines Betriebes aus der Insolvenz
1. Haftungsbeschränkung aufgrund der Insolvenz
Der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteiles kann sich dann, wenn der Zeitpunkt des Betriebsübergangs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt, auf eine Haftungsbeschränkung berufen.923 Er haftet nach der Rechtsprechung des BAG924 allgemein nicht für solche
Forderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.
Die Frage, ob durch die Besonderheit der Vorleistung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses
für Entgeltansprüche in der Freistellungsphase etwas anderes gilt, ist vom BAG geklärt.925
Hat der Betriebserwerber den Betrieb(-steil) aus der Insolvenz erworben, haftet er nach
§ 613a Abs. 1 S 1 BGB nur für das Entgelt, welches "spiegelbildlich" für die Vorleistung geschuldet ist, welche der Arbeitnehmer während der nach der Insolvenzeröffnung noch andauernden Arbeitsphase erbracht hat. Insoweit handelt es sich um Masseforderungen.
Beispiel:
926
Arbeitnehmer A hat mit dem Veräußerer V einen sechsjährigen Altersteilzeitvertrag im sog.
Blockmodell für die Zeit vom 01.08.2009 bis 31.07.2015 geschlossen. Die Arbeitsphase endete
am 31.07.2012. Die Freistellungsphase begann ab dem 01.08.2012. Am 27.10.2011 wurde
über das Vermögen des V das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 01.06.2013 erwarb der Erwerber E Teile des Betriebes, denen A zuzuordnen war.
A verlangt von E die Zahlung des Altersteilzeitentgelts und der vereinbarten Aufstockungsbeträge für die gesamte Dauer der verbleibenden Altersteilzeit, insbesondere für die Freistellungsphase.
Das BAG hat - der Vorinstanz folgend – der Klage nur zum Teil stattgegeben. In Anknüpfung
an seine ständige Rechtsprechung zur Haftungsbeschränkung des Erwerbers beim Erwerb
eines Betriebs oder Betriebsteils aus der Insolvenz stellt es dabei darauf ab, dass der Erwerber für Insolvenzforderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden
sind, nicht haftet. Die Haftung tritt vielmehr nur für Masseforderungen ein.
Die damit auftretende (Grundsatz-)Frage, wie Ansprüche aus Altersteilzeitarbeitsverhältnissen zu bewerten sind, beantwortet das BAG bereits in der Vorentscheidung927 so, dass sich
die Abgrenzung danach richtet, wann die Arbeitsleistung, die den Ansprüchen zugrunde
liegt, erbracht wurde.
Der Altersteilzeitarbeitnehmer erarbeite sich bereits während der Arbeitsphase Entgelte, die
nicht im Monat der Arbeitsphase ausgezahlt, sondern für die spätere Freistellungsphase angespart würden. Der Arbeitnehmer erarbeite sich daher im Umfang seiner Vorleistungen zum
einen Ansprüche auf die spätere Zahlung der Bezüge und zum anderen einen entsprechenden Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht. Daher sei das während der Freistellungsphase ausgezahlte Entgelt Gegenleistung für die bereits während der Arbeitsphase geleistete, über die verringerte Arbeitszeit hinausgehende Arbeit.
923
vgl. Kapitel F.
BAG v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12, ZTR 2015, 53.
925
BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432; BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 27/07,
NZA 2008, 705; BAG v. 23.02.2005 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408; BAG 19.10.2004 – 10 AZR
602/03, NZA 2005, 694; ebenso Hessisches LAG v. 29.04.2015 – 12 Sa 973/13.
926
BAG v. 31.01.2008 – 8 AZR 27/07, NZA 2008, 705.
927
BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, NZA 2005, 408.
924
304
Der Anspruch hierauf sei im insolvenzrechtlichen Sinne „für“ diese Zeit geschuldet. Die so
vorzunehmende Aufteilung nach der Erbringung der Arbeitsleistung vor oder nach der Insolvenzeröffnung betreffe sowohl das entsprechend der Verringerung der Gesamtarbeitsleistung halbierte Arbeitsentgelt als auch die Aufstockungsbeträge, die ebenfalls als Arbeitsentgelt einzuordnen seien. Entsprechendes gelte für andere vereinbarte Zahlungen bzw. Leistungen des Arbeitgebers.
Daraus folgt für das BAG, dass der Erwerber nur für die Ansprüche des Altersteilzeitarbeitnehmers (auf Zahlung des Altersteilzeitentgelts plus der Aufstockungsbeträge) in der Freistellungsphase haftet, die dem Zeitraum der nach der Insolvenzeröffnung liegenden Arbeitsphase entspricht.
Dabei entsteht der entsprechende Zahlungsanspruch des Altersteilzeitarbeitnehmers jedoch
nicht unmittelbar nach Ende der Arbeitsphase bzw. mit Beginn der Freistellungsphase. Das
BAG leitet vielmehr aus § 366 BGB sowie aus dem Umstand, dass die in der Freistellungsphase gezahlte Vergütung jeweils „spiegelbildlich“ für die entsprechenden Monate der Altersteilzeit gezahlt wird, ab, dass die in der Arbeitsphase erworbenen Ansprüche des Altersteilzeitarbeitnehmers in der Freistellungsphase zeitlich genauso abgebaut werden wie sie aufgebaut wurden.
Im o. g. Beispielsfall:
Die Ansprüche für den ersten Monat der Freistellungsphase im August 2012 sind danach im
ersten Monat der Arbeitsphase im August 2009 entstanden. Daher wurde im Beispielsfall dem
Zahlungsverlangen von A nur für den Zeitraum vom 27.10.2014 bis 31.07.2015 stattgegeben,
weil A nach der Insolvenzeröffnung in der Zeit vom 27.10.2011 bis 31.07.2012 noch gearbeitet
hatte. Insoweit handelt es sich um Masseforderungen. Dem stattgegebenen Zeitraum der Freistellungsphase entspricht der Zeitraum vom 27.10.2011 bis 31.07.2012.
Beispiel-Skizze
1. ATZ-Jahr
2. ATZ-Jahr
3. ATZ-Jahr
Arbeitsphase
4. ATZ-Jahr
5. ATZ-Jahr
Freistellungsphase
Haftung:
Entstandene
Ansprüche
nach
Insolvenzeröffnung
Entstandene
Ansprüche
nach
Insolvenzeröffnung
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
01.08.2009
6. ATZ-Jahr
Arbeitsentgelt und
Aufstockungsbeträge
Insolvenzeröffnung
Betriebsübergang
27.10.2011
01.06.2013
31.07.2015
305
2. Verhältnis zum Träger der Insolvenzsicherung (§ 8a AltTZG)
Soweit der Erwerber für Ansprüche von Altersteilzeitarbeitnehmern haftet, ist allerdings das
Verhältnis zur Insolvenzsicherung unklar. Nach § 8a AltTZG ist der Arbeitgeber grundsätzlich
zur Insolvenzsicherung von Altersteilzeitwertguthaben sowie der zukünftigen Aufstockungsbeträge verpflichtet, soweit das Dreifache des Regelarbeitsentgelts nach § 6 Abs. 1 AltTZG
einschließlich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag überstiegen wird. Eine Einstandspflicht des Insolvenzsicherungsträgers wird man wohl
annehmen müssen
 jedenfalls für die Monate der Freistellungsphase, für die der Erwerber nicht haftet;
 außerdem wohl auch für die Monate, in denen der Altersteilzeitarbeitnehmer während
der Arbeitsphase mit seinen Forderungen ausgefallen ist.
Ob dies allerdings auch dann gilt, wenn der Erwerber nach den oben dargelegten Grundsätzen für Ansprüche des Altersteilzeitarbeitnehmers, die vor dem Betriebsübergang, aber nach
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, haftet, ist fraglich.
Praxishinweis: Dies sollte mit dem Insolvenzverwalter und dem Träger der Insolvenzsicherung geklärt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Träger der Insolvenzsicherung zu
einem erheblichen Teil oder gar vollständig von seiner Einstandspflicht frei wird, obwohl der
Veräußerer die Insolvenzsicherung gerade zum Zwecke der Absicherung der Altersteilzeitarbeitnehmer für den Fall der Insolvenz abgeschlossen (und bezahlt!) hat.
Zusammenfassender Überblick
Betriebsübergang
nach Insolvenzeröffnung
Altersteilzeitler bereits in der Freistellungsphase
Altersteilzeitler noch
in der Arbeitsphase
928
Übergang
Haftung
Übergang der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
Keine Haftung - weder für Arbeitsentgelt noch für Aufstockungsbeträge (Insolvenzforderungen)
bei Teilbetriebsübergang muss
Altersteilzeit dem übergehenden
Betriebsteil zuordenbar sein;
maßgeblich nach dem zuletzt innegehabten Arbeitsplatz
Übergang der Altersteilzeitarbeitsverhältnisse
Entgelt für Freistellungsphase
wird mit Insolvenzeröffnung gemäß § 41 InsO fällig928
Keine Haftung für Ansprüche in
der Freistellungsphase, die vor
der Insolvenzeröffnung erarbeitet
wurden (Insolvenzforderungen)
Haftung für Ansprüche in der
Freistellungsphase, die spiegelbildlich nach Insolvenzeröffnung
erarbeitet wurden (Masseforderungen)
BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, NZA 2009, 432.
306
Kapitel H: Betriebliche Altersversorgung
311
I. Grundsätzliches
311
II. Erfasster Personenkreis
311
1. Bei Einzelrechtsnachfolge
312
a) Gemäß § 613a BGB
312
aa) Übergehende, aktive Arbeitnehmer mit verfallbarer oder unverfallbarer
Anwartschaft
bb) Ausgeschiedene Arbeitnehmer mit verfallbarer oder unverfallbarer Anwartschaft
und Betriebsrentner
cc) Technische Betriebsrentner
dd) Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, aber denen eine Versorgungszusage
erteilt wurde und die unter § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG fallen
b) Gemäß §§ 25, 28 HGB (Firmenfortführung)
312
312
312
313
313
2. Bei Gesamtrechtsnachfolge
314
3. Mithaftung des Veräußerers
315
a) Gemäß § 613a Abs. 2 BGB
315
aa) Rentenleistungen
bb) Kapitalleistungen
cc) Besonderheiten bei Umwandlungen
315
316
316
b) Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber
317
c) Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Betriebsübergang
317
III. Informationspflichten der beteiligten Arbeitgeber
317
1. Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
317
2. Auskunft über die Höhe der Anwartschaft nach § 4a BetrAVG
318
IV. Umfang der Haftung des Erwerbers für Ansprüche aus betrieblicher
Altersversorgung gemäß § 613a BGB
318
1. Versorgungsordnung beim Veräußerer, nicht beim Erwerber
320
a) Übernahme der Versorgungsordnung(en) des Veräußerers / Verschaffungspflicht
des Erwerbers
320
aa) Übergang gemäß § 613a Abs. 1 BGB
bb) Besonderheiten der einzelnen Durchführungswege
(1) Direktzusage
(2) Unterstützungskasse
(3) Direktversicherung
(4) Pensionskasse
(5) Pensionsfonds
(6) Gemeinsame Einrichtung gemäß § 4 Abs. 2 TVG
320
320
321
321
323
324
325
325
b) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
326
c) Änderungsmöglichkeiten für den Erwerber
326
307
aa) Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit – Drei-Stufen-Theorie des BAG
bb) Änderungsmöglichkeit je nach Rechtsgrundlage der Zusage
(1) Individualrechtliche Rechtsgrundlage
(2) Individualrechtliche Rechtsgrundlage mit kollektivem Bezug
(3) Betriebsvereinbarung
(4) Tarifvertrag
327
331
331
332
334
335
2. Versorgungsregelungen sowohl bei dem Veräußerer als auch bei dem Erwerber
a) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: Betriebsvereinbarung
336
336
aa) Zwei-Stämme-Lösung
bb) Alternativer Lösungsansatz des BAG
cc) Bewertung
dd) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
337
338
339
342
b) Veräußerer: Individualrechtliche Grundlage / Erwerber: Betriebsvereinbarung
342
aa) Einzelzusage
bb) Individualvertragliche Vereinbarung mit kollektivem Bezug
cc) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
342
343
344
c) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: individualrechtliche Regelung
345
aa) Transformation in das Arbeitsverhältnis
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
345
346
d) Veräußerer: Individualrechtliche Grundlage / Erwerber: Individualrechtliche
Grundlage
347
aa) Übergang der individualrechtlichen Regelung
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
347
347
e) Veräußerer: Tarifvertrag (normative Wirkung) / Erwerber: Betriebsvereinbarung
347
aa) Keine „Über-Kreuz-Ablösung“
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
347
348
f) Veräußerer: Tarifvertrag (normative Wirkung) / Erwerber: Individualvertragliche
Regelung (mit oder ohne kollektiven Bezug)
349
aa) Transformation in das Arbeitsverhältnis
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
349
349
g) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: Tarifvertrag
349
aa) Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied
bb) Arbeitnehmer ist kein Gewerkschaftsmitglied
cc) Arbeitnehmer wird Gewerkschaftsmitglied
dd) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
349
350
350
351
h) Veräußerer: Individualrechtliche Regelung / Erwerber: Tarifvertrag
351
aa) Fortbestand der einzelvertraglichen Regelung, gegebenenfalls Überlagerung
bb) Inhalt des Informationsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB
351
351
i) Tarifvertrag bei Veräußerer und Erwerber
352
aa) Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied – Ablösung oder Transformation
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
352
352
3. Versorgungsregelung nicht bei Veräußerer, nur bei Erwerber
354
308
a) Keine Kollision möglich
354
aa) Ausschluss der übergehenden Arbeitnehmer vom betrieblichen
Versorgungssystem
bb) Einbeziehung der übergehenden Arbeitnehmer ins betriebliche
Versorgungssystem
354
355
b) Inhalt des Informationsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB
355
V. Sonderfall: Entgeltumwandlung
356
1. Grundsätzliche Erwägungen
356
2. Problematik: Unternehmens- oder branchenspezifische Versorgungseinrichtung
357
3. Problematik: Wechsel der tariflichen Rahmenbedingungen
357
a) Tarifvertrag des Veräußerers weicht von § 1a BetrAVG ab
357
b) Tarifvertrag des Erwerbers weicht von § 1a BetrAVG ab
358
4. Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
358
309
Kapitel H: Betriebliche Altersversorgung
I. Grundsätzliches
Die juristische und betriebs- sowie finanzwirtschaftliche Bewertung von betrieblichen Versorgungsverpflichtungen ist bei jeder Form von Betriebsübergang/Betriebsumwandlung von erheblicher Relevanz. Die verbandliche Beratung umfasst ausschließlich die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen. Nur diese sind Bestandteil dieser Ausarbeitung.
Praxishinweis: Zu anderen als arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen
sollte externer Sachverstand hinzugezogen werden. Das sind z. B. Steuerberater, Aktuare,
Versicherungsmathematiker, Beratungsfirmen etc.
Der Erwerber tritt als Folge des Betriebsübergangs in alle Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen mit denjenigen Arbeitnehmern ein, die nach den im Folgenden dargestellten Grundsätzen auf ihn übergehen. Da die Versorgungszusage – gleich ob auf kollektiver
oder individueller Grundlage erteilt – Teil des Arbeitsverhältnisses ist, tritt der Erwerber damit
auch in die Pflichten aus den Versorgungszusagen ein, die den übergehenden Arbeitnehmern erteilt wurden.
Der Erwerber übernimmt dabei grundsätzlich sowohl den Teil der Versorgungsanwartschaften, den die übergehenden Arbeitnehmer in der Vergangenheit erdient haben (sog. past service) als auch die Verpflichtung aus der Zusage, dass die übergehenden Arbeitnehmer in der
Zukunft weitere Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgungsleistungen erwerben können (sog. future service). Der Inhalt der Versorgungszusage bleibt durch den Betriebsübergang selbst unberührt und kann nur unter engen Voraussetzungen abgeändert werden.
Der Veräußerer wird im Gegenzug gegenüber den Berechtigten von seiner Verpflichtung aus
der Versorgungszusage frei, wenn nicht Nachhaftungstatbestände gem. § 613a Abs. 2 BGB
oder aus dem UmwG greifen.
II. Erfasster Personenkreis
Existiert oder existierte in dem erworbenen Unternehmen eine betriebliche Versorgungsregelung, lassen sich die berechtigten Personen in mehrere Gruppen unterteilen, deren Versorgungsschicksal jeweils separat beurteilt werden muss.
Von besonderer Relevanz sind:
(1) Übergehende, aktive Arbeitnehmer mit verfallbarer oder unverfallbarer Anwartschaft,
(2) ausgeschiedene Arbeitnehmer mit einer verfallbaren oder unverfallbaren Versorgungsanwartschaft und Betriebsrentner,
(3) technische Betriebsrentner, also Beschäftigte, die zwar eine gesetzliche Rente, wegen
Weiterbeschäftigung im Unternehmen aber noch keine betriebliche Versorgungsleistung
beziehen,
(4) Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, aber denen eine Versorgungszusage erteilt wurde und die unter § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG fallen. Dies können nach § 17 Abs. 1 S. 2
BetrAVG auch arbeitnehmerähnliche Personen, Heimarbeiter, aber auch Organmitglieder oder ein GmbH-Geschäftsführer sein.929
929
ErfK-Steinmeyer, § 17 BetrAVG, Rn. 4 ff.
311
Als Rechtsgrundlage für eine Einstandspflicht des Erwerbers kommt dabei nicht nur § 613a
BGB in Betracht, sondern für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge (insbesondere bei Umwandlungen) die §§ 20, 131, 174, 324 UmwG sowie für den Fall der Einzelrechtsnachfolge
die §§ 25, 28 HGB. In der nachfolgenden Darstellung wird detailliert ausschließlich auf
§ 613a BGB eingegangen.
Der Veräußerer bleibt hingegen Schuldner aller Versorgungsansprüche derjenigen Personen, deren Arbeitsverhältnisse nicht auf den Erwerber übergehen.
1. Bei Einzelrechtsnachfolge
a) Gemäß § 613a BGB
aa) Übergehende, aktive Arbeitnehmer mit verfallbarer oder unverfallbarer Anwartschaft
Eine Einstandspflicht für Versorgungszusagen trifft den Erwerber nur in Bezug auf die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse gemäß § 613a BGB auf ihn übergehen. Hierbei macht
es keinen Unterschied, ob die mitübergehenden Anwartschaften zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs unverfallbar waren oder nicht.
bb) Ausgeschiedene Arbeitnehmer mit verfallbarer oder unverfallbarer Anwartschaft
und Betriebsrentner
Wurde das Arbeitsverhältnis bereits vor dem Betriebsübergang beendet, gehen auch keine
Rechte und Pflichten aus diesem Arbeitsverhältnis auf den Erwerber über. Das bedeutet,
dass sowohl Betriebsrentner als auch Arbeitnehmer, die vor dem Betriebsübergang mit einer
unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus dem Betrieb ausgeschieden sind, keine Ansprüche gegen den Erwerber geltend machen können.930 Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die
vor dem Betriebsübergang mit einer verfallbaren Anwartschaft ausgeschieden sind. Diese
haben zudem keinen Anspruch gegen den Veräußerer, sofern keine vertragliche Unverfallbarkeit vereinbart wurde.
cc) Technische Betriebsrentner
Nicht endgültig entschieden ist die Frage der Haftung für Versorgungsverbindlichkeiten gegenüber den sogenannten „technischen Betriebsrentnern“. Dies sind Personen, die eine betriebliche Versorgungsleistung beziehen könnten, dies wegen Weiterbeschäftigung im Unternehmen jedoch nicht tun.931 Nach Ansicht des BAG gehen auch die Verpflichtungen gegenüber technischen Betriebsrentnern nicht auf den Erwerber über, wenn der technische Rentner zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht. Denn trotz Beschäftigungsverhältnis liege hier ein Ruhestandsverhältnis vor, das
nicht auf den Erwerber übergehe. Ein neben dem Bezug der gesetzlichen Vollrente weiterlaufendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis und dessen Übergang auf den Erwerber
führt nicht zum Übergang des bereits zuvor beendeten betriebsrentenrechtlich maßgeblichen
Vollarbeitsverhältnisses.932
Beispiel:
Die E-GmbH übernimmt zum 01.01.2015 den (einzigen) Betrieb der A-GmbH. Zu den Beschäftigten der A-GmbH gehört im Zeitpunkt des Betriebsübergangs der Altersvollrentner P.
930
BAG v. 11.11.1986 – 3 AZR 194/85, NZA 1987, 559.
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 53.
932
BAG v. 18.03.2003 – 3 AZR 313/02, BB 2004, 269.
931
312
Dieser bezieht seit dem 01.06.2014 eine gesetzliche Altersvollrente und hat im Rahmen eines
geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses die Einarbeitung seines Nachfolgers übernommen.
Da bei P als technischem Rentner eine Auszahlung der Betriebsrente nicht erfolgt, führt die Zuerkennung der gesetzlichen Rente gem. § 6 BetrAVG zu einem vorgezogenen Versorgungsfall.
Betriebsrentenrechtlich besteht damit zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs kein Anwartschaftsverhältnis mehr, sondern ein Versorgungsverhältnis, das – nach den o. g. Grundsätzen –
nicht auf den Erwerber übergeht.
Unklar ist die Behandlung von Sachverhalten, in denen der technische Betriebsrentner in einem mehr als geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht. So wird z. B. bei einem Vollzeitarbeitsverhältnis unter Hinweis auf die Grundwertung des § 613a BGB teilweise vertreten, dass der Erwerber für die bereits erdienten Versorgungsverbindlichkeiten einzustehen
hat.933 Dies lässt sich vor allem argumentieren, wenn das für das Betriebsrentenrecht maßgebliche Vollzeitarbeitsverhältnis noch nicht vor dem Betriebsübergang beendet wurde und
daher noch kein Ruhestandsverhältnis vorliegt.
Praxishinweis: Hinsichtlich der Behandlung von technischen Rentnern, die in einem mehr
als geringfügigen Beschäftigungsverhältnis stehen, bestehen demnach Rechtsunsicherheiten. Für eine rechtssichere Handhabung müssten sie wie „normale“ übergehende Arbeitnehmer behandelt werden (mit den entsprechenden finanziellen Folgen).
dd) Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, aber denen eine Versorgungszusage erteilt
wurde und die unter § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG fallen
Der Erwerber muss des Weiteren nicht gemäß § 613a BGB für Versorgungszusagen einstehen, die gegenüber Personen im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG erteilt worden sind
(z. B. arbeitnehmerähnliche Personen, Organmitglieder). Diese Vertragsverhältnisse gehen
nicht gemäß § 613a BGB auf den Erwerber über, sodass dementsprechend auch nicht die
Versorgungszusagen übergehen können. Die Versorgungsanwartschaften dieser Personen
können nur unter den engen Voraussetzungen des § 4 BetrAVG auf den Erwerber übertragen werden.
Beispiel:
Die E-GmbH übernimmt den (einzigen) Betrieb der V-GmbH und will den (Fremd-)Geschäftsführer der V-GmbH, dem eine Versorgungszusage erteilt wurde, behalten. Sein Anstellungsverhältnis geht ebenso wenig wie die Versorgungszusage auf die E-GmbH über, sie muss also mit
ihm einen neuen Vertrag schließen. Die Versorgungszusage kann mit Zustimmung des Geschäftsführers sowie der V-GmbH gemäß § 4 BetrAVG übernommen werden.
b) Gemäß §§ 25, 28 HGB (Firmenfortführung)
Eine Haftung des Erwerbers besteht – neben den übernommenen Arbeitsverhältnissen –
auch für die laufenden Betriebsrenten und unverfallbare Versorgungsanwartschaften der bereits vor dem Betriebsübergang Ausgeschiedenen, wenn i. Ü. die Voraussetzungen der
§§ 25, 28 HGB erfüllt sind.
Nach §§ 25, 28 HGB tritt der Erwerber in die Verbindlichkeiten des Veräußerers, zu denen
auch die Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung gehören, ein.
933
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 53.
313
Praxishinweis: § 25 HGB ist dispositiv. Es empfiehlt sich, vor Betriebsübergang zu prüfen,
ob eine abweichende Regelung vereinbart wurde. Eine solche kann nach § 25 Abs. 2 HGB
auch im Handelsregister eingetragen sein.
Zusammenfassender Überblick
Übergang der bAV-Verpflichtungen nach § 613a BGB auf den Erwerber
Unverfallbare Anwartschaft
JA
Verfallbare Anwartschaft
JA
Keine Unterbrechung der
Betriebszugehörigkeit für die
Unverfallbarkeit
Geringfügige Beschäftigung
NEIN
Weiterarbeit über gesetzliche Altersgrenze/ Leistungszeitpunkt der bAV hinaus
Vollzeitbeschäftigung
Lit: wohl
JA
Aktive Arbeitnehmer
Technische Betriebsrentner
mit/ohne unverfallbaAusgeschiedene Arbeitnehmer (zur Zeit des re/r Anwartschaft
Betriebsübergangs)
Betriebsrentner
Versorgungsberechtigte
nach § 17 Abs. 1 S. 2
BetrAVG
NEIN
NEIN
NEIN
z. B. Heimarbeiter, Organmitglieder
Zusätzliche Haftung für bAV-Verpflichtungen nach §§ 25, 28 HGB des Erwerbers
Ausgeschiedene Arbeitnehmer
Unverfallbare Anwartschaft mit/ohne
Bezug der Betriebsrente
JA
2. Bei Gesamtrechtsnachfolge
Eine Haftung auch für die Ruhegeldverbindlichkeiten ausgeschiedener Arbeitnehmer und
Betriebsrentner kommt in Betracht, wenn der Erwerber den Betrieb oder Betriebsteil im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übernommen hat. Denn in diesem Fall haftet er für alle bestehenden Verbindlichkeiten seines Rechtsvorgängers. Dies wird vor allem bei Umwandlungen nach dem UmwG der Fall sein, in jedem Fall aber bei der Verschmelzung und dem
Formwechsel.
Bei einer Spaltung kommt es in erster Linie auf den Spaltungsplan an - und damit die Zuordnung der bestehenden laufenden Betriebsrenten und unverfallbaren Versorgungsanwartschaften.
Es ist grundsätzlich möglich und zulässig, (unverfallbare) Versorgungsverbindlichkeiten gegenüber bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmern im Spaltungsplan dem übernehmenden
Rechtsträger zuzuordnen.
314
Dies ist weder von einer Zustimmung des Versorgungsberechtigten noch des PSV abhängig.
Auch steht dem Versorgungsberechtigten kein Widerspruchsrecht gegen den Spaltungsplan
zu.
§ 133 UmwG ordnet eine auf zehn Jahre begrenzte gesamtschuldnerische Haftung der an
der Spaltung beteiligten Rechtsträger an. Die gesamtschuldnerische Haftung bezieht sich auf
diejenigen Versorgungsverpflichtungen, die innerhalb der Frist fällig werden. Im Fall der Insolvenz werden alle bis zum Stichtag der Insolvenzeröffnung erdienten Anwartschaften und
laufenden Ansprüche fällig, jedenfalls soweit diese auf den PSV übergegangen sind. Die
Haftung des mithaftenden Rechtsträgers geht in diesem Fall über die im normalen Fälligkeitszeitraum zu erbringenden Zahlungen hinaus.934
Zusammenfassender Überblick
Gesamtrechtsnachfolge bei Verschmelzung, Formwechsel
Veräußerer
Erwerber

Enthaftung

Aktive Arbeitnehmer

Ausgeschiedene mit unverfallbarer Anwartschaft

Betriebsrentner

Organmitglieder
Gesamtrechtsnachfolge bei Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung)
durch Spaltungsplan möglich:
Veräußerer

Übernahme von Betriebsrenten

Übernahme von ehemaligen Arbeitnehmern, die mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschieden sind

Aktive Arbeitnehmer
durch Spaltungsplan möglich:
Erwerber

Übernahme von Betriebsrenten möglich

Übernahme von ehemaligen Arbeitnehmern, die mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschieden sind
3. Mithaftung des Veräußerers
a) Gemäß § 613a Abs. 2 BGB
Für die auf den Erwerber gemäß § 613a BGB übergegangenen Versorgungsverpflichtungen
gilt ebenso wie für alle anderen Ansprüche der übergehenden Arbeitnehmer, dass der Übergang zugleich auch zu einer grundsätzlichen Enthaftung des Veräußerers führt. Denn dieser ist ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht mehr Vertragspartner der übergehenden Arbeitnehmer
aa) Rentenleistungen
Die für die Dauer eines Jahres bestehende Nachhaftung des Veräußerers gemäß § 613a
Abs. 2 BGB ist in der Praxis von untergeordneter Bedeutung: Sie greift nur in solchen Ver934
Willemsen, Teil J, Rn. 616.
315
sorgungsfällen ein, die binnen eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs eintreten. D. h., der Veräußerer haftet für die Betriebsrentenansprüche derjenigen übergegangenen Arbeitnehmer, die bis zu einem Jahr nach dem Betriebsübergang935 Rentenleistungen
beanspruchen können (z. B. wegen Erreichens der Altersgrenze oder wegen Invalidität).936
Sachlich haftet der Veräußerer lediglich für diejenigen monatlichen Rentenleistungen, die bis
zum Ablauf des ersten Jahres fällig werden. Damit wird die Haftung des Veräußerers auf
maximal zwölf Monatsrenten beschränkt.
Beispiel:
Veräußerer V veräußert seinen Betrieb zum 01.01.2015 an den Erwerber E. Der Arbeitnehmer
A ist seit 1995 bei V beschäftigt. Ihm wurde eine Versorgungszusage erteilt. Das Arbeitsverhältnis des A geht auf E über. A erreicht am 01.07.2015 die Regelaltersgrenze und geht in Altersrente. A hat gegen E einen Anspruch auf Zahlung der zugesagten Betriebsrente. Von V kann er
gemäß § 613a Abs. 2 S. 1 BGB die Rentenleistungen für Juli bis Dezember 2015 beanspruchen. Ferner haftet V nach § 613a Abs. 2 S. 2 BGB „nur“ für den Anteil, den der A während seiner Betriebszugehörigkeit bei V erworben hat.
Veräußerer und Erwerber haften in diesem Fall im Außenverhältnis als Gesamtschuldner,
d. h., der Arbeitnehmer kann nach seiner Wahl einen von ihnen auf Zahlung des nach §
613a Abs. 2 BGB sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch der Höhe nach begrenzten Betrages937 in Anspruch nehmen.
In jedem Einzelfall gesondert zu betrachten ist die Frage, wer im Innenverhältnis (zwischen
Veräußerer und Erwerber) die wirtschaftlichen Lasten zu tragen hat. Dies richtet sich gemäß
§ 426 Abs. 1 BGB in erster Linie nach der vertraglichen Vereinbarung zwischen Veräußerer
und Erwerber. Wenn die Vertragsparteien eine ausdrückliche Regelung nicht getroffen haben, wird man im Wege der Auslegung dazu kommen können, dass der Erwerber jedenfalls
dann, wenn die Versorgungsverbindlichkeiten in den Kaufpreis eingeflossen sind, im Innenverhältnis voll haftet. Ist eine solche Auslegung nicht möglich, tritt nach § 426 Abs. 1 Satz 1
BGB eine Haftung von Veräußerer und Erwerber zu gleichen Teilen ein.
bb) Kapitalleistungen
Statt einer monatlichen Rentenleistung kann im Versorgungsfall auch eine Kapitalleistung
geschuldet sein. Im Vergleich zu monatlichen Rentenleistungen wirkt sich die gesamtschuldnerische Mithaftung bei fällig werdenden Kapitalleistungen deutlich gravierender aus, da hier
für das nahezu gesamte Volumen gehaftet wird.
cc) Besonderheiten bei Umwandlungen
Auch die gesamtschuldnerische Haftung bei Umwandlungen nach dem UmwG ist aufgrund
des erheblich längeren Zeitraums von zehn Jahren deutlich höher.
Praxishinweis: Bei der Haftungsproblematik innerhalb des ersten Jahres nach Betriebsübergang geht es nicht nur um Arbeitnehmer, die im Jahr nach dem Betriebsübergang in Altersrente gehen können, sondern auch um solche, die ggf. eine Invalidenrente beanspruchen
können. Gleiches gilt für die Hinterbliebenenrente, wenn ein übergegangener Arbeitnehmer
nach dem Betriebsübergang stirbt.
935
Zum zeitlichen Haftungsumfang siehe Kapitel J.
Willemsen, Teil J, Rn. 490.
937
BAG v. 22.06.1978 – 3 AZR 832/76.
936
316
b) Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen Veräußerer und Erwerber
Eine Abrede zwischen Veräußerer und Erwerber, nach der der Erwerber auch für die Versorgungsleistungen der Ausgeschiedenen und Betriebsrentner haftet, ist in der Regel wegen
des Übertragungsverbots nach § 4 Abs. 1 BetrAVG nichtig. Abfindungen steht in der Regel
das Abfindungsverbot nach § 3 BetrAVG entgegen (Ausnahme Kleinstanwartschaften).
Wollen Erwerber und Veräußerer die Haftung nach past und future service aufteilen, kommt
der Abschluss eines Aufhebungsvertrages vor dem Betriebsübergang mit anschließendem
Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages wegen Umgehung des § 613a BGB nicht in Betracht (sog. Lemgoer Modell).938 In Betracht kommt hier nur ein vertraglicher Schuldbeitritt
des Veräußerers. Da es sich um eine Erweiterung zugunsten des Arbeitnehmers handelt, ist
dies zulässig. Im Außenverhältnis haften Veräußerer und Erwerber dann gesamtschuldnerisch, im Innenverhältnis können Freistellungsregelungen vereinbart werden.
c) Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Betriebsübergang
Wird vor dem Betriebsübergang das Insolvenzverfahren eröffnet, haftet der Erwerber nicht
für vor Insolvenzeröffnung entstandene Ansprüche. Der Erwerber haftet nur für ab dem
Übertragungsstichtag erdienbare Anwartschaften (future service).
III. Informationspflichten der beteiligten Arbeitgeber
Jeder Betriebsübergang löst beim Arbeitnehmer ein erhebliches Informationsbedürfnis aus.
Nach § 613a Abs. 5 BGB haben Veräußerer und Erwerber die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer über Zeitpunkt, Grund und über die rechtlichen, wirtschaftlichen und
sozialen Folgen des Übergangs sowie über in Aussicht genommene Maßnahmen zu unterrichten.
1. Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Grundsätzlich gelten auch für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung die Erwägungen, die für andere Arbeitsbedingungen bereits angestellt wurden.939
Wird die betriebliche Altersversorgung inhaltlich unverändert auf den Erwerber übertragen,
besteht keine Informationspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB. Denn die Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung sind keine Folge des Übergangs, da sie bis zum Zeitpunkt des Übergangs ohne Rücksicht auf diesen entstehen. Ebenso wenig sind sie hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommene Maßnahmen, da sie unabhängig vom Handeln des Veräußerers oder des Erwerbers bestehen.940
Praxishinweis: Aufgrund der Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer empfiehlt sich auch bei unverändertem Fortbestehen der Zusage beim Erwerber ein
Hinweis darauf.
Etwas anderes gilt jedoch, wenn die betriebliche Altersversorgung geändert wird. Dezidierte
Ausführungen sind insbesondere dann erforderlich, wenn der Betriebsübergang Auswirkungen auf den Inhalt der Versorgungszusage hat, z. B. bei einer notwendigen Umstellung des
938
BAG v. 20.07.1982 - 3 AZR 261/80.
Siehe Kapitel B.
940
BAG v. 22.07.2007 – 3 AZR 834/05.
939
317
Durchführungsweges, des Versorgungsträgers oder Ablösung durch eine bestehende oder
konkret geplante Erwerberregelung941.
Im Folgenden werden Inhalte und mögliche Formulierungen für das nach § 613a Abs. 5 BGB
zu erstellende Informationsschreiben jeweils nach der rechtlichen Erörterung der denkbaren
Fallgestaltung dargestellt und vorgeschlagen. Diese Formulierungen sind an die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls anzupassen.
2. Auskunft über die Höhe der Anwartschaft nach § 4a BetrAVG
Die Höhe der beim Veräußerer erdienten Versorgungsanwartschaft ist nicht Gegenstand des
Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB. Der Arbeitnehmer hat allerdings einen
Auskunftsanspruch nach § 4a BetrAVG, den er geltend machen kann. Die Voraussetzungen
hierfür werden zumeist erfüllt sein, da ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers an der
Feststellung der Höhe seiner unverfallbaren Anwartschaft bei einem Arbeitgeberwechsel
kaum zu verneinen sein wird. Eine Hinweispflicht des Arbeitgebers auf das Bestehen des
Auskunftsanspruchs gibt es allerdings nicht.942
Inhaltlich muss die Auskunft nach § 4a BetrAVG so ausgestaltet sein, dass der Arbeitnehmer
die Wahrung seiner Versorgungsanwartschaften anlässlich des Betriebsübergangs überprüfen kann. Nach § 4a Abs. 1 Nr. 1 BetrAVG ist dem Arbeitnehmer mitzuteilen, „in welcher Höhe aus der bisher erworbenen unverfallbaren Anwartschaft bei Erreichen der in der Versorgungsordnung vorgesehenen Altersgrenze ein Anspruch auf Altersversorgung besteht“. Die
Auskunftsverpflichtung erfasst folglich nur die Altersleistung, nicht aber die vorzeitige Altersleistung und auch nicht die Invaliditäts- oder Hinterbliebenenleistung.943
Der Anspruch richtet sich grundsätzlich gegen den Arbeitgeber, d. h. vor dem Betriebsübergang gegen den Veräußerer, nach dem Betriebsübergang nur noch gegen den Erwerber.
Nur wenn es nicht oder nur unter besonderen Erschwernissen möglich ist, beim Erwerber eine zuverlässige Auskunft zu erhalten, der Veräußerer diese Auskunft ohne größeren Aufwand erteilen kann und der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Auskunft hat,
lässt das BAG auch nach Betriebsübergang einen Anspruch gegen den Veräußerer zu.944
Zusammenfassender Überblick
Informationsschreiben Auswirkungen des Betriebsübergangs auf rechtlichen Bestand der
§ 613a Abs. 5 SGB
Versorgungszusage
Auskunft
§ 4a BetrAVG
Auswirkung des Betriebsübergangs auf Höhe der Altersleistung
aus unverfallbarer Anwartschaft
IV. Umfang der Haftung des Erwerbers für Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung gemäß § 613a BGB
Bei übergehenden Arbeitsverhältnissen ist eine Einstandspflicht des Erwerbers nach § 613a
BGB unabdingbar. Vereinbarungen zwischen dem Veräußerer, dem Erwerber und den Arbeitnehmern, nach denen der Veräußerer alleiniger Schuldner der Versorgungsansprüche
941
Willemsen, Teil J, Rn. 532.
Höfer, BetrAVG, Band I, § 4a Rn. 20.
943
Kemper, BetrAVG, § 4a, Rn. 37 ff.
944
BAG v. 22.05.2007 – 3 AZR 834/05.
942
318
der übergehenden Arbeitnehmer bleibt, sind nach der Rechtsprechung des BAG wegen eines Verstoßes gegen § 613a BGB und § 4 BetrAVG unwirksam.945
Ebenso unwirksam ist die einseitige oder einvernehmliche Abfindung von Versorgungsanwartschaften im unmittelbaren Zusammenhang eines Betriebsübergangs. Zu dieser Frage
hat das BAG entschieden, dass ein vereinbarter Ausschluss von Versorgungsanwartschaften
anlässlich eines Betriebsinhaberwechsels gegen den Schutzzweck des § 613a BGB verstoße und damit unwirksam sei. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber
sein Abfindungsverlangen durch einen sachlichen Grund, z. B. die Gefährdung von Arbeitsplätzen, rechtfertigen kann.946
Als Umgehung des § 613a BGB ausgeschlossen ist auch das unter dem Stichwort „Lemgoer
Modell“ bekannt gewordene Verfahren, nach dem die übergehenden Arbeitnehmer Eigenkündigungen aussprechen, um dann mit dem Erwerber neue Arbeitsverträge unter Ausschluss von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung abzuschließen.947
Der Erwerber hat damit zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs keine zulässige Möglichkeit,
seine rechtliche Einstandspflicht für Versorgungszusagen, die der Veräußerer erteilt hat, mit
Außenwirkung gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern zu vermeiden.
Praxishinweis: Zulässig und in der Praxis verbreitet sind sog. Freistellungsvereinbarungen
zwischen Veräußerer und Erwerber. Der Veräußerer verpflichtet sich im Innenverhältnis gegenüber dem Erwerber (§ 329 BGB), wirtschaftlich für die künftigen Betriebsrentenansprüche
der übergehenden Arbeitnehmer allein aufzukommen.948 An der Schuldnerstellung des Erwerbers ändert das allerdings nichts. Insbesondere wird er gegenüber dem PSV beitragspflichtig und muss bei Insolvenz des Veräußerers auf Erfüllung der Versorgungszusage ggf.
persönlich haften.
Der Erwerber übernimmt die Zusage mit dem Inhalt, mit dem der Veräußerer sie begründet
hat. Der Umfang der Einstandspflicht des Erwerbers sowie die ihm zur Verfügung stehenden
Änderungsmöglichkeiten richten sich daher im Wesentlichen nach den Faktoren
 Zusageinhalt / Leistungsplan,
 Rechtsbegründungsakt,
 Durchführungsweg
mit denen die betriebliche Versorgungsregelung beim Veräußerer erteilt worden ist.
Darüber hinaus hängt das Schicksal der Versorgungsverbindlichkeit nach dem Betriebsübergang entscheidend davon ab, ob der Erwerber zu diesem Zeitpunkt bereits über ein eigenes
Versorgungssystem verfügt oder beabsichtigt, ein solches einzuführen.
Praxishinweis: In der Praxis wird der übernommene Betrieb allerdings häufig nicht nur eine
einzelne, sondern eine Mehrzahl an Versorgungsordnungen aufweisen. Diese sind unter den
genannten Kriterien Zusageinhalt, Rechtsbegründungsakt und Durchführungsweg jeweils
gesondert zu beurteilen. Besondere Sorgfalt ist überdies dann geboten, wenn der Veräußerer die betriebliche Versorgungsregelung in der Vergangenheit einschränkend angepasst
hat, da hier für den Erwerber erhebliche Bewertungs- und Haftungsrisiken entstehen können.
945
BAG v. 14.07.1981 – 3 AZR 517/80, DB 1982, 1067.
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779;
BAG v. 12.05.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080.
947
BAG v. 20.07.1982 – 3 AZR 261/80
948
Willemsen, Teil J, Rn. 547.
946
319
1. Versorgungsordnung beim Veräußerer, nicht beim Erwerber
a) Übernahme der Versorgungsordnung(en) des Veräußerers / Verschaffungspflicht
des Erwerbers
aa) Übergang gemäß § 613a Abs. 1 BGB
Besteht nur beim Veräußerer, nicht aber beim Erwerber eine betriebliche Altersversorgung,
so gilt diese Versorgungsordnung grundsätzlich weiter.
Soweit die Versorgungszusage des Veräußerers auf einer individualrechtlichen Grundlage beruht (Arbeitsvertrag, Gesamtzusage, vertragliche Einheitsregelung, betriebliche Übung
oder arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz), geht sie nach § 613a Abs. 1 Satz 1
BGB auf den Erwerber über.
Beruht die Versorgungszusage des Veräußerers auf einer kollektivrechtlichen Grundlage
(Betriebsvereinbarung, z. T. auch Tarifvertrag), gilt diese nach den allgemeinen Grundsätzen
entweder normativ oder nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB als Inhalt des Arbeitsverhältnisses
(Transformation) weiter.
Unerheblich ist zunächst, ob die Altersversorgung vom Veräußerer selbst (interner Durchführungsweg) oder über einen Dritten (externer Durchführungsweg) durchgeführt wird. Im letzteren Falle schuldet der Erwerber u. U. die Verschaffung eines Versorgungsanspruchs. Dies
gilt auch, wenn die Altersversorgung – wie z. B. im Baugewerbe – über eine gemeinsame
Einrichtung der Tarifvertragsparteien durchgeführt wird.949
Der Erwerber muss nicht nur für die bereits unverfallbar gewordenen Versorgungsanwartschaften der auf ihn übergehenden Arbeitnehmer einstehen, sondern auch für die verfallbaren Versorgungsanwartschaften. Die Unverfallbarkeitsfristen des § 1b BetrAVG bleiben gemäß § 1b Abs. 1 Satz 3 BetrAVG vom Betriebsübergang unberührt. Darüber hinaus ist der
Erwerber – vorbehaltlich etwaiger Änderungsmöglichkeiten – auch für die Zukunft verpflichtet, die Versorgungszusagen entsprechend den beim Veräußerer geltenden Bedingungen
weiterzuführen bzw. den übergehenden Arbeitnehmern eine gleichwertige Versorgung zu
verschaffen.
Praxishinweis: Der Betriebsübergang führt also nicht dazu, dass die übergehenden Arbeitnehmer nunmehr lediglich noch eine unverfallbare Anwartschaft haben, die nach § 2 BetrAVG zu berechnen wäre. Die übernommene Anwartschaft bleibt vielmehr mit allen Entwicklungschancen und -risiken erhalten.
bb) Besonderheiten der einzelnen Durchführungswege
Der Erwerber übernimmt die Zusage mit dem Inhalt, mit der der Veräußerer sie begründet
hat. Das gilt auch für den vom Veräußerer eingerichteten Durchführungsweg.
Praxishinweis: Es ist zwischen dem Durchführungsweg an sich und dem rechtlichen Verhältnis zwischen Veräußerer und externem Anbieter zu unterscheiden. Der Durchführungsweg ist das rechtliche Mittel, dessen sich der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Versorgungszusage bedient und damit Bestandteil des arbeitsrechtlichen Versorgungsverhältnisses. Diese Verpflichtung geht gemäß § 613a BGB auf den Erwerber über. Das rechtliche Verhältnis
zwischen Veräußerer und externem Anbieter ist nicht Bestandteil des Arbeits-/Versorgungsverhältnisses und geht daher nicht automatisch auf den Erwerber über.
949
BAG v. 05.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848.
320
Durchführungswege der
betrieblichen Altersversorgung
Direktzusage
Unterstützungskasse
Direktversicherung
Pensionskasse
Pensionsfonds
ArbG sagt ArbN
direkt Anspruch
auf Versorgung
zu
ArbN hat zwar keinen
rechtlichen Anspruch
gegen UK, BAG billigt
ihm aber faktisch
einen solchen zu
ArbN erhält
direkten
Anspruch gegen
die Versicherung
ArbN erhält
direkten
Anspruch ggü.
Pensionskasse
ArbN erhält
direkten
Anspruch ggü.
Pensionsfonds
Insolvenzsicherung über PSV
Insolvenzsicherung über PSV
kein PSV
kein PSV
Insolvenzsicherung über PSV
(1) Direktzusage
Die Direktzusage ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitgeber dem Berechtigten unmittelbar die Zahlung einer Betriebsrente zusagt. Der Erwerber tritt in diesem Fall in die vom
Veräußerer begründeten Rechte und Pflichten aus der Versorgungszusage ein und muss –
vorbehaltlich etwaiger Änderungsmöglichkeiten – die Direktzusage als solche weiterführen.
Praxishinweis: Hat der Veräußerer seine Versorgungsverbindlichkeiten über ein sog.
Contractual Trust Arrangement (CTA) finanziert, so bleibt dieses im Falle des Betriebsübergangs unberührt. Ein CTA ist ein Treuhandmodell, bei dem die Finanzmittel für die Pensionszusagen auf einen Treuhänder übertragen werden.
Es ermöglicht, die Pensionsverpflichtungen in der Handelsbilanz mit den Forderungen gegen
den Treuhänder saldieren zu können. Ein CTA ist weder ein eigener Durchführungsweg,
noch ist es Bestandteil der Versorgungszusage. Ein Übergang auf den Erwerber nach
§ 613a BGB findet daher nicht statt.
Auch wenn zur Ausfinanzierung der Zusage mit einem Versicherungsunternehmen eine
Rückdeckungsversicherung abgeschlossen wurde, bleibt diese vom Betriebsübergang nach
§ 613a BGB unberührt.
Je nach gewünschter Vorgehensweise sind daher gesonderte Vereinbarungen zwischen Erwerber, Veräußerer und ggf. dem Treuhänder bzw. Versicherungsunternehmen zu treffen.
(2) Unterstützungskasse
Wird die betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse des Veräußerers
durchgeführt, gilt auch hier, dass das (Vertrags-)Verhältnis zwischen Veräußerer und Unterstützungskasse vom Betriebsübergang unberührt bleibt. Die Unterstützungskasse bzw. die
entsprechende Trägerschaft geht also nicht kraft Gesetzes auf den Erwerber über.950 Sie
kann, muss aber nicht, auf den Erwerber übertragen werden. Wird die Unterstützungskasse
950
BAG v. 08.11.1988 – 3 AZR 85/87, NZA 1989, 679.
321
nicht übertragen, trifft den Erwerber eine eigene Haftung auf die Erfüllung der Versorgungsverpflichtung. Der Veräußerer und die Unterstützungskasse werden – vorbehaltlich der
Nachhaftung des § 613a Abs. 2 BGB – enthaftet.
Beispiel:
Der Erwerber E hat am 01.01.2013 einen Betriebsteil vom Veräußerer V erworben, der seinen
Arbeitnehmern eine Versorgungszusage über eine Unterstützungskasse erteilt hatte. Die Unterstützungskasse wird von E nicht übernommen. Der auf E übergegangene Arbeitnehmer A geht
zum 01.01.2016 in Rente. Er kann direkt von E die Zahlung der zugesagten Betriebsrente verlangen.
Es ist jedoch dem Erwerber freigestellt, in welcher Form er die übernommenen Versorgungsansprüche befriedigen will.
Es bestehen folgende Möglichkeiten:
 Der Erwerber kann die Unterstützungskasse des Veräußerers vollständig übernehmen
oder zumindest Co-Trägerunternehmen werden. Die interne Umbuchung des Kassenvermögens dürfte dabei der satzungsmäßigen Zweckbindung des Kassenvermögens
nicht entgegenstehen.951
Praxishinweis: In welcher Form die „Übertragung“ einer Unterstützungskasse durchgeführt
wird, hängt von deren Rechtsform ab. Handelt es sich um eine GmbH oder AG, werden die
Geschäftsanteile bzw. Aktien auf den Erwerber übertragen und der satzungsmäßig berechtigte Personenkreis auf die übergehenden Arbeitnehmer erweitert. Die beim Erwerber bereits
bestehenden Arbeitsverhältnisse werden hiervon nicht erfasst.
Handelt es sich um einen eingetragenen Verein, kann die „Übertragung“ nur erfolgen, indem
der Erwerber durch Satzungsänderung als Dotierungspflichtiger ausgewiesen wird. Die Unterstützungskasse bzw. der Veräußerer bleibt aber i. d. R. auch nach dem Betriebsübergang
für laufende Betriebsrenten und unverfallbare Anwartschaften verpflichtet.
Damit kann es bei der Übertragung einer unternehmenseigenen Unterstützungskasse zu einer Trägermehrheit kommen, die in der Praxis selten erwünscht ist. Häufiger hingegen ist der
Beitritt zu einer Gruppen-Unterstützungskasse.
 Der Erwerber kann einer anderen Gruppen-Unterstützungskasse beitreten oder seinerseits eine Unterstützungskasse gründen. Nach Schnitker/Sittard952 widerspricht auch
eine Übertragung des Kassenvermögens von der Unterstützungskasse des Veräußerers auf eine andere Unterstützungskasse nicht dessen satzungsmäßiger Zweckbindung.
 Der Erwerber kann den Durchführungsweg ändern. Ergibt sich aus der Zusage allerdings ein Anspruch auf Durchführung über eine „Unterstützungskasse“, kann ggf. die
Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich sein. In der Literatur wird ein Zustimmungserfordernis verneint, wenn die Zusage als Direktzusage fortgeführt wird. Denn
dies sei unmittelbare Folge des Betriebsübergangs.953 In allen anderen Fällen ist die
Zustimmung des übergehenden Arbeitnehmers erforderlich. Entstehen dem Arbeit951
Schlewing, Arbeitsrecht der bAV Teil 17A, Rn. 369.
in: Schlewing, Arbeitsrecht der bAV, Teil 17A, Rn. 369.
953
Schlewing, Arbeitsrecht der bAV, Teil 17A, Rn. 370;
BAG v. 12.06.2007 – 3 AZR 186/06.
952
322
nehmer bei einem Wechsel keine materiellen Nachteile, ist er aus der Treuepflicht (§
242 BGB) grundsätzlich zur Zustimmung verpflichtet.954 Das ist der Fall, wenn er die
Betriebsrente in der zugesagten Form und Höhe erhält. Trifft der Erwerber keine aktive
Entscheidung hinsichtlich des Durchführungsweges, kann er dennoch aus der Zusage
direkt in Anspruch genommen werden.955
Praxishinweis: Ist Rechtsbegründungsakt der Zusage eine kollektivrechtlich fortgeltende
Betriebsvereinbarung, ist eine einzelvertragliche Zustimmung des Arbeitnehmers gegebenenfalls nicht ausreichend. Es empfiehlt sich dann eine Änderung unter Beteiligung des Betriebsrates.
(3) Direktversicherung
Wenn der Veräußerer die betriebliche Altersversorgung über eine Direktversicherung durchführt, schließt er zugunsten der Arbeitnehmer eine Lebensversicherung ab. Vertragspartner
im versicherungsrechtlichen Verhältnis sind allein der Versicherer und der Arbeitgeber. Dem
Arbeitnehmer wird lediglich „als versicherter Person“ ein Bezugsrecht eingeräumt.
Im Falle des Betriebsübergangs tritt der Erwerber in die vom Veräußerer erteilte Versorgungszusage ein. Das versicherungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Veräußerer und der
Versicherung bleibt jedoch von dem Betriebsübergang unberührt. Eine Vertragsübernahme
kraft Gesetzes erfolgt nicht.956 Der Veräußerer bleibt also trotz des Betriebsübergangs Versicherungsnehmer mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag.
Es bestehen folgende Möglichkeiten:
 Ein Wechsel dieser Rechtsposition ist nur in Form einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen dem Erwerber, der Versicherung und dem Veräußerer möglich. Einen Anspruch
hierauf hat der Erwerber nicht.
Praxishinweis: Es sollte bereits im Vorfeld des Betriebsübergangs sichergestellt werden,
dass Veräußerer und Versicherung den Schuldnerwechsel vom Veräußerer zum Erwerber
ermöglichen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass der Veräußerer auch noch nach
dem Betriebsübergang Rechte aus dem Versicherungsvertrag (z. B. Kündigung oder Beleihung von Versicherungsverträgen) ausübt.957
Wenn die Versicherung ihre Zustimmung verweigert, muss im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber geregelt werden, dass der Veräußerer künftig seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht oder nur mit Zustimmung des Erwerbers ausübt.
Im Gegenzug sollte geregelt werden, dass der Erwerber im Wege der Erfüllungsübernahme
(§ 329 BGB) die Zahlung der Versicherungsbeiträge übernimmt.
 Der Erwerber kann sich auch dann, wenn der Versicherungsvertrag beim Veräußerer
verbleibt, den entsprechenden Versorgungsverpflichtungen nicht entziehen. Führt er
die Versicherung nicht weiter, muss er dem Arbeitnehmer Ansprüche aus einer neuen
Direkt- bzw. Lebensversicherung verschaffen.958
954
Schlewing, Arbeitsrecht der bAV, Teil 17A, Rn. 371.
Willemsen, Teil J, Rn. 502.
956
BAG v. 05.05.1977 – 3 ABR 34/76.
957
Willemsen, Teil J, Rn. 506.
958
BAG v. 08.11.1988 – 3 AZR 85/87, NZA 1989, 679.
955
323
Auf die Leistungen aus dieser neuen Versicherung können die Leistungen aus der
Versicherung des Veräußerers angerechnet werden bzw. die Leistungen aus der neuen Versicherung gleich entsprechend niedriger festgesetzt werden.959 Notwendig ist
immer, dass die Versicherung des Veräußerers von diesem beitragsfrei gestellt wird.
Ferner muss im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber geregelt werden, dass
der Veräußerer künftig seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag nicht oder nur mit
Zustimmung des Erwerbers ausübt.
 Im Rahmen des sog. Übertragungsabkommens der Versicherungen vom 19.06.2015960
kann auch der Rückkaufswert von der Versicherung des Veräußerers auf die neue
Versicherung des Erwerbers übertragen werden. Aufgrund der Änderung des Leistungsplans bedarf es dazu aber der Zustimmung des Arbeitnehmers.
 Für einen Wechsel des Durchführungsweges bedarf es der Zustimmung des Arbeitnehmers. Entstehen dem Arbeitnehmer bei einem Wechsel keine materiellen Nachteile, ist er aus der Treuepflicht (§ 242 BGB) grundsätzlich zur Zustimmung verpflichtet.961
Praxishinweis: Ist Rechtsbegründungsakt der Zusage eine kollektivrechtlich fortgeltende
Betriebsvereinbarung, ist eine einzelvertragliche Zustimmung des Arbeitnehmers gegebenenfalls nicht ausreichend. Es empfiehlt sich dann eine Änderung unter Beteiligung des Betriebsrates.
Wird keine dieser Möglichkeiten genutzt, haftet der Erwerber direkt auf die Zahlung der entsprechenden Summe.962
Praxishinweis: Es sollte bereits im Vorfeld des Betriebsübergangs das Vorgehen geklärt
werden. Ferner sollte sichergestellt werden, dass die beteiligten Parteien die ggf. erforderlichen Zustimmungen und Erklärungen erteilen. Insbesondere sollten die im Innenverhältnis
zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber notwendigen Regelungen getroffen werden.
(4) Pensionskasse
Zu unterscheiden ist zwischen sog. „Wettbewerbs-Pensionskassen“ und unternehmenseigenen Pensionskassen.
Wettbewerbs-Pensionskassen sind Versicherungseinrichtungen, die satzungsgemäß die
Aufnahme jedes Arbeitnehmers vorsehen, gleichgültig bei welchem Arbeitgeber dieser beschäftigt ist. Hier bestehen keine rechtlichen Besonderheiten gegenüber der Übernahme einer Direktversicherung. Sowohl das Mitgliedschafts- als auch das Versicherungsverhältnis
können unter den dort genannten Voraussetzungen regelmäßig aufrechterhalten bleiben.
Bei unternehmenseigenen Pensionskassen ist eine Fortführung des Versicherungsverhältnisses unwahrscheinlich. Die Satzungen von Unternehmens-Pensionskassen sehen in
aller Regel vor, dass die Mitgliedschaft nur Arbeitnehmern eines bestimmten Unternehmens,
Konzerns oder einer Unternehmensgruppe offensteht. Scheidet der Arbeitnehmer durch einen Betriebsübergang aus diesem Personenkreis aus, so ist dem Erwerber die Fortführung
der zugesagten Pensionskassenzusage rechtlich unmöglich.
959
Willemsen, Teil J, Rn. 506.
http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2015/12/GDVUebertragungsabkommen_Text_Anlagen_DV_PK_PF_Januar2016.pdf
961
Willemsen, Teil J, Rn. 508.
962
BAG v. 08.11.1988 – 3 AZR 85/87, NZA 1989, 679.
960
324
In der Praxis können die Satzungen der Pensionskasse Regeln enthalten, nach denen die
Versorgungsleistungen für den bereits erdienten Anwartschaftsteil (past service) weiterhin
von ihr erbracht werden. Das mit der Versorgungskasse bestehende Versicherungsverhältnis
wird dann für die Zukunft beitragsfrei gestellt.
Denkbar ist auch eine Bestandübertragung auf eine eigene Pensionskasse des Erwerbers
mit Zustimmung der BaFin gemäß §§ 14, 44 VAG. Die Zustimmung der BaFin ersetzt die
Zustimmung des Arbeitnehmers.
Für die Zukunft (den future service) stehen dem Erwerber folgende Möglichkeiten offen:
 Er kann versuchen, die Versorgung über eine eigene Pensionskasse oder eine öffentlich zugängliche Pensionskasse abzudecken, die den Leistungsplan übernimmt. Bei
einer Anpassung des Leistungsplans ist die Rechtsprechung des BAG zur Abänderung
von Versorgungszusagen zu beachten.963
 Ebenfalls in Betracht kommt der Abschluss einer gleichwertigen Direktversicherung,
wozu jedoch die Zustimmung des Berechtigten einzuholen ist. Der Arbeitnehmer ist zur
Erteilung der Zustimmung jedoch in der Regel nach § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet.
Praxishinweis: Die Beurteilung der Gleichwertigkeit kann problematisch sein. Es empfiehlt
sich daher, sie durch einen Versicherungsmathematiker vornehmen zu lassen.
 Alternativ kann die Pensionskasse des Veräußerers ihren Versicherungsbestand auch
im Einvernehmen mit der BaFin auf ein Lebensversicherungsunternehmen übertragen
(§§ 14, 44 VAG). Die Zustimmung der BaFin ersetzt die Zustimmung des Arbeitnehmers.
 Versorgungsverpflichtung wird durch Direktzusage des Erwerbers weitergeführt.
Praxishinweis: Die Auswahl eines gleichwertigen Versicherungsproduktes ist nicht risikofrei,
da die Tarifwerke und Satzungen von Direktversicherern, Pensionskassen und Unterstützungskassen häufig keine vollständige Abbildung des Leistungsplanes der übernommenen
Pensionskassenzusage ermöglichen. Auch kann die unterschiedliche Besteuerung des
Durchführungsweges zu einer Schlechterstellung für den Arbeitnehmer führen.
Kommt es hierdurch zu einer Verringerung der für die übergegangenen Arbeitnehmer in der
Zukunft erdienbaren Versorgungsleistungen, ist für die Zulässigkeit der Zusageänderung die
Rechtsprechung des BAG zur Abänderung von Versorgungszusagen zu beachten.964
(5) Pensionsfonds
Das rechtliche Schicksal einer Zusage aus einem Pensionsfonds ist im Betriebsübergang
identisch mit dem der Pensionskasse.
(6) Gemeinsame Einrichtung gemäß § 4 Abs. 2 TVG
Die Verschaffungspflicht des Erwerbers besteht auch dann, wenn die Altersversorgung beim
Veräußerer über eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien erfolgt ist.
963
964
siehe dazu Ziff. IV.1.c)aa) sowie Willemsen, Kapitel J, Rn. 512.
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa)
325
Beispiel:
Der tarifgebundene Veräußerer V unterfällt dem fachlichen Geltungsbereich der Bautarifverträge und ist daher verpflichtet, Beiträge an die Zusatzversorgungskasse im Baugewerbe abzuführen. Der einem Metallarbeitgeberverband angehörende Erwerber E erwirbt von V einen Betriebsteil. Da er nicht unter den fachlichen Geltungsbereich der Bautarifverträge fällt, muss er
zwar keine Beiträge an die Zusatzversorgungskasse abführen, aber er muss den übergehenden
Arbeitnehmern, deren Versorgungsanspruch nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert wur965
de, eine gleichwertige Leistung verschaffen.
b) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Die Information der Arbeitnehmer sollte in dem Fall, dass der Erwerber die Versorgungszusage des Veräußerers übernimmt, folgende Punkte enthalten:
 Übergang der Versorgungszusage auf den Erwerber
 Mitteilung, dass der Erwerber die vom Veräußerer übernommene Versorgungszusage
nach Maßgabe der bisherigen Versorgungsordnung unverändert weiterführen wird
Praxishinweis: Diesbezüglich ist ein Hinweis rechtlich zwar nicht zwingend, aber wegen der
Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer zu empfehlen.
 Vorbehalt späterer (rechtlich zulässiger) Änderungen
 ggf., dass der Betriebsübergang keine Auswirkungen auf Wartezeiten sowie Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung haben wird
Formulierungsvorschlag:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage wird von der Firma E mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten übernommen. Für Sie ergeben sich hieraus keine Änderungen. Der Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses wird keine Auswirkungen auf den Lauf der
Unverfallbarkeitsfristen, die bisher vorgesehenen Wartezeiten sowie Art und Höhe der Ihnen
zugesagten Betriebsrente haben. Die Firma E wird die von der Firma V erteilte Versorgungszusage nach Maßgabe der bisherigen Versorgungsordnung unverändert weiterführen. Spätere
Änderungen, soweit rechtlich zulässig, bleiben vorbehalten.“
Wenn der Erwerber nicht in der Lage ist, die beim Veräußerer geltende Versorgungsregelung weiterzuführen, schuldet er dem Arbeitnehmer die Verschaffung einer gleichwertigen
Versorgungszusage. Das Informationsschreiben muss dann deutlich umfangreicher ausgestaltet werden. Insbesondere sind dezidierte Ausführungen dann erforderlich, wenn der Betriebsübergang Auswirkungen auf den Inhalt der Versorgungszusage hat, z. B. bei einer notwendigen Umstellung des Durchführungsweges, des Versorgungsträgers oder Ablösung
durch eine bestehende oder konkret geplante Erwerberregelung. Auch die Frage, ob eine
kollektivrechtliche Versorgungsordnung kollektivrechtlich oder als Inhalt des Arbeitsvertrages
weitergilt, ist zu behandeln.966
c) Änderungsmöglichkeiten für den Erwerber
Für den Erwerber ist regelmäßig von Interesse, ob er auf Dauer zur Aufrechterhaltung und
Finanzierung nicht nur der bereits erdienten, sondern auch der künftigen Versorgungsansprüche verpflichtet ist.
965
966
BAG v. 05.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848.
BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268.
326
Für Änderungen der Zusage gelten für den Erwerber die gleichen Grenzen, die für den Veräußerer gegolten hätten. Er hat damit nicht die Möglichkeit, die übernommenen Versorgungszusagen ohne Weiteres zu ändern. Will der Erwerber die erdienten und künftigen Anwartschaften der übergehenden Arbeitnehmer mindern, richten sich die rechtlichen Änderungsmöglichkeiten grundsätzlich nach dem Rechtsbegründungsakt der Zusage. Zusätzlich
sind möglicherweise die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit
sowie ggf. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten.
aa) Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit – Drei-Stufen-Theorie des BAG
Jede Änderung, Anpassung oder Beseitigung von Versorgungszusagen ist grundsätzlich an
den Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit und Vertrauensschutz zu messen.967 Das gilt unabhängig von der Rechtsgrundlage, auf der die Zusage beruht. Bei Eingriffen durch abändernde Betriebsvereinbarung in die Höhe der Anwartschaft ist Prüfungsmaßstab die sog.
Drei-Stufen-Theorie des BAG.968 Diese konkretisiert die allgemeinen Grundsätze von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit. Das BAG unterteilt dabei den Besitzstand der Arbeitnehmer in drei Stufen mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit.
Beispiel:
Der Veräußerer V hat seinen Arbeitnehmern zugesagt, dass sie bei Eintritt des Versorgungsfalles eine Betriebsrente in Höhe von 1 % des Endgehalts pro Dienstjahr ab Rentenalter 67 erhalten. Arbeitnehmer A tritt 1992 im Alter von 27 Jahren in das Unternehmen ein. Die maximal
mögliche Rente von Arbeitnehmer A beträgt also 40 % seines Endgehalts. Der Betrieb geht im
Jahr 2012 auf Erwerber E über. A verdient zu diesem Zeitpunkt 2.000 € brutto. 2032 wird A voraussichtlich 4.000 € brutto verdienen. Die maximal mögliche Altersrente für A beträgt also
1.600 € (4.000 € x 0,4).
2. Stufe
3. Stufe
1. Stufe
Eintritt ins Unternehmen
1992
Betriebsübergang
2012
Renteneintritt
2032
Die Differenzierung des BAG ist im Folgenden an diesem Beispiel dargestellt:
 1. Besitzstandsstufe: Erdienter Teilbetrag, für den der Arbeitnehmer bereits seine
Gegenleistung erbracht hat.
967
968
BAG v. 13.09.2014 – 3 AZR 998/12.
BAG v. 17.04.1985 – 3 AZR 72/83, NZA 1986, 57.
327
Der erdiente Teilbetrag errechnet sich gem. § 2 Abs. 1, Abs. 5 BetrAVG zum Zeitpunkt
des Betriebsübergangs. Er ist das Produkt von der bei Erreichen der Altersgrenze erreichbaren Vollrente und dem Verhältnis von erbrachter Dienstzeit zu maximal erreichbarer Dienstzeit (erreichte Dienstzeit bis BÜ ÷ maximal mögliche Dienstzeit bis Altersgrenze x Vollrente). Dabei wird zur Berechnung der Vollrente das ruhegehaltsfähige
Gehalt zum Zeitpunkt der Änderung zugrunde gelegt.
2. Stufe
3. Stufe
1. Stufe
Eintritt ins Unternehmen
1992
Betriebsübergang
2012
Renteneintritt
2032
Beispiel:
Der Betrieb geht im Jahr 2012 auf Erwerber E über. A ist seit 1992 bei V beschäftigt. Er verdient
zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs 2.000 € brutto. A hat eine (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft in Höhe von 400 € [(0,5 x (2.000 € x 0,4))] monatlich erworben, da er im Jahr 2012
lediglich die Hälfte der maximal erbringbaren Dienstzeit erfüllt hat. Dieser erdiente Teilbetrag ist
die 1. Besitzstandsstufe.
Ein besonderer Besitzstand gilt nach § 2 Abs. 5a BetrAVG bei Entgeltumwandlung oder für beitragsorientierte Leistungszusagen in den Durchführungswegen Direktzusage, Unterstützungskasse oder Pensionsfonds, die ab dem 01.01.2001 erteilt wurden
bzw. werden. Ebenso nach § 2 Abs. 5b BetrAVG für Beitragszusagen mit Mindestleistung bei Zusagen über versicherungsförmige Durchführungswege.969
Ein Eingriff in die 1. Besitzstandsstufe erfordert zwingende Gründe. Das ist bei einer
Störung der Geschäftsgrundlage der Fall (§ 313 BGB). Zwingende Gründe können
zum Beispiel eine erhebliche Äquivalenzstörung im Falle einer absoluten oder planwidrigen Überversorgung sein.970 Eine wirtschaftliche Notlage ist nach Rechtsprechung
des BAG hingegen nicht mehr ausreichend.971
Beispiel:
Bei Vorliegen eines zwingenden Grundes könnte der erdiente Besitzstand des A in Höhe von
400 € unterschritten werden.
969
Höfer, BetrAVG, Kapitel 5, Rn. 353 ff.
Kemper, BetrAVG, § 1, Rn. 306; BAG v. 19.02.2008 – 3 AZR 290/06, DB 2008, 1387.
971
BAG v. 17.06.2003 – 3 AZR 396/02, DB 2004, 324.
970
328

2. Besitzstandsstufe: Die 2. Besitzstandsstufe gibt es nur bei Leistungszusagen972 mit
dynamischen Leistungsplänen, insb. also endgehaltsbezogenen Zusagen. Der Besitzstand umfasst den Teil der zugesagten Dynamik aus dienstzeitunabhängigen Variablen, der auf die bis zum Änderungszeitpunkt abgeleistete Dienstzeit entfällt (sog. zeitanteilig erdiente dienstzeitunabhängige Dynamik). Der geschützte Besitzstand der 2.
Stufe errechnet sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs als Produkt von der bei Erreichen der Altersgrenze erreichbaren Vollrente und dem Verhältnis von erbrachter
Dienstzeit zu maximal erreichbarer Dienstzeit (erreichte Dienstzeit bis BÜ ÷ maximal
mögliche Dienstzeit bis Altersgrenze x Vollrente). Dabei wird zur Berechnung der Vollrente das prognostizierte ruhegehaltsfähige Endgehalt zugrunde gelegt.
2. Stufe
3. Stufe
1. Stufe
Eintritt ins Unternehmen
1992
Betriebsübergang
2012
Renteneintritt
2032
Beispiel:
Der Betrieb geht im Jahr 2012 auf Erwerber E über. Arbeitnehmer A, der seit 1992 bei V beschäftigt ist, hat im Zeitpunkt des Betriebsübergangs eine (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft in Höhe von 400 € [(0,5 x (2.000 € x 0,4))] monatlich erworben. Da sein prognostiziertes
Endgehalt im Jahre 2032 ebenfalls feststeht, unterliegt auch dieser Teil der Gehaltsentwicklung
einem Vertrauensschutz. Der maximal erreichbare Besitzstand auf der 2. Besitzstandsstufe beträgt also für Arbeitnehmer A 800 € [(0,5 x (4.000 € x 0,4))]. Ein Eingriff auf dieser 2. Besitzstandsstufe könnte demnach maximal bis zur Grenze von 400 € (1. Besitzstandstufe) erfolgen.
Ein Eingriff in die 2. Besitzstandsstufe erfordert triftige Gründe.
Nach dem BAG können triftige Gründe insb. dann vorliegen, wenn ein unveränderter
Fortbestand des Versorgungswerkes langfristig zu einer Substanzgefährdung des Versorgungsschuldners führen würde. Das ist nach der Literatur anzunehmen, wenn die
Kosten nicht mehr aus den Unternehmenserträgen und Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens finanziert werden können.973 Eine wirtschaftliche Notlage muss
jedoch nicht gegeben sein. Allerdings muss der Eingriff in die erdiente Dynamik dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Zur Prüfung kann sich an den zu § 16 BetrAVG entwickelten Regeln zur Anpassungsverweigerung wegen schlechter wirtschaftlicher Lage des Arbeitgebers orientiert werden.
972
973
Höfer, BetrAVG, Kapitel 5 Rn. 314 und 332 ff.
Kemper, BetrAVG, § 1, Rn. 314, BAG v. 05.06.1984 – 3 AZR 33/84, NZA 1985, 22.
329
Auch nichtwirtschaftliche Gründe können triftige Gründe sein. Hier etwa eine Umverteilung zwischen den Leistungsarten, wenn also eine Altersleistung zugunsten der Einführung oder Erhöhung einer Invaliditätsabsicherung reduziert wird.974
Beispiel:
Bei Vorliegen eines triftigen Grundes kann der Besitzstand des A auf bis zu 400 € reduziert
werden. Darüber hinaus ist ohne zwingende Gründe ein weiterer Eingriff (in die 1. Stufe) nicht
möglich.
 3. Besitzstandsstufe: Die 3. Stufe schützt die zugesagten Steigerungsbeträge, die
durch zukünftige Betriebstreue erst noch erworben werden.
2. Stufe
3. Stufe
1. Stufe
Eintritt ins Unternehmen
1992
Betriebsübergang
2012
Renteneintritt
2032
Beispiel:
Der Betrieb geht im Jahr 2012 auf Erwerber E über. Arbeitnehmer A, der seit 1992 bei V beschäftigt ist, hat im Zeitpunkt des Betriebsübergangs eine (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft in Höhe von 400 € [(0,5 x (2.000 € x 0,4))] monatlich erworben. Im Jahr 2017 wird er befördert und erhält deshalb ab diesem Zeitpunkt monatlich 6.000 €, sein ab 2017 prognostiziertes
Endgehalt beträgt 10.000 €. Trifft diese Prognose zu, hat A im Jahr 2032 einen Anspruch auf
4.000 € (10.000 x 0,4).
Ein Eingriff in die 3. Besitzstandsstufe erfordert sachlich-proportionale Gründe.
Hierunter sind nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe zu
verstehen.975 Es muss erkennbar sein, welche Umstände und Erwägungen zur Änderung
der Versorgungszusage Anlass gegeben haben.976 Solche Gründe liegen etwa in einer
wirtschaftlich ungünstigen Entwicklung, „auf die ein vernünftiger Unternehmer reagieren
dürfe“.977 Auch die Vereinheitlichung von Versorgungssystemen kann Eingriffe auf der 3.
Stufe rechtfertigen.
Darüber hinaus darf der Eingriff nicht unverhältnismäßig sein. Bei Eingriffen aus wirtschaftlichen Gründen ist das z. B. gewährleistet, wenn der Eingriff auf der 3. Stufe nur so
weit erfolgt, wie es aus Sicht eines vernünftigen Unternehmers zur Kosteneinsparung in
der konkreten wirtschaftlichen Situation geboten ist.978
974
Kemper, BetrAVG, § 1, Rn. 320 (m.w.N.).
BAG v. 09.12.2014 – 3 AZR 323/13.
976
Kemper, BetrAVG, § 1, Rn. 317.
977
BAG v. 09.12.2014 – 3 AZR 323/13.
978
BAG v. 09.12.2014 – 3 AZR 323/13.
975
330
Bei Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe sind Eingriffe auf der 3. Besitzstandsstufe
maximal bis zum Besitzstand der 2. Besitzstandsstufe zulässig.
Enthält die Zusage keine dienstzeitunabhängige Dynamik und damit keine 2. Stufe, können Eingriffe maximal bis zum Besitzstand der 1. Stufe (im Beispiel: 400 €) erfolgen.
Beispiel:
Bei Vorliegen nur eines sachlich-proportionalen Grundes kann der Besitzstand des A auf maximal 800 € [(0,5 x (4.000 € x 0,4))] reduziert werden. Die karrierebedingte Änderung des prognostizierten Endgehalts stellt zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs im Jahre 2012 eine lediglich
erdienbare Dynamik dar, für die zu diesem Zeitpunkt noch keine Betriebstreue erbracht worden
979
ist .
Praxishinweis: Der Betriebs(teil)übergang bzw. der Wunsch des Erwerbers nach einer Reduzierung der finanziellen Belastungen ist für sich genommen kein anerkannter Grund, eine
bestehende und übernommene Versorgungsordnung zu Lasten der Arbeitnehmer zu ändern.
Dies gilt auch für die Besitzstände der 3. Stufe.
Zusammenfassender Überblick
Eingriff in
Rechtfertigung Beispiel für Rechtfertigung
1. Besitzstandsstufe
erdiente Teilbeträge
zwingende
Gründe
Planwidrige Überversorgung bei
Gesamtversorgungssystemen,
seltene Fälle von Wegfall der
Geschäftsgrundlage; wirtschaftliche Notlage nicht ausreichend
2. Besitzstandsstufe
zugesagte Dynamik
des erdienten Teilbetrags
triftige Gründe
Langfristige Gefährdung der Unternehmenssubstanz durch die
Versorgungslast
3. Besitzstandsstufe
zukünftige Steigerungsbeträge
sachlichproportionale
Gründe
Wirtschaftlich ungünstige Entwicklung, Vereinheitlichung heterogener Versorgungssysteme
bb) Änderungsmöglichkeit je nach Rechtsgrundlage der Zusage
Ob und in welchem Umfang der Erwerber die Möglichkeit zur Änderung betrieblicher Versorgungsordnungen hat, richtet sich nach der Rechtsgrundlage, auf der die Versorgungszusage
des Veräußerers beruht.
(1) Individualrechtliche Rechtsgrundlage
Rein individualrechtliche Versorgungszusagen ohne kollektiven Bezug (sog. Einzelzusagen) gelten beim Erwerber gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB fort. Sie können nur ausnahmsweise einseitig geändert oder gar beseitigt werden. In der Regel ist eine Änderung nur durch
Änderungsvereinbarung denkbar. Eine Änderungskündigung ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes vorliegen. Diese werden in der Praxis jedoch
nicht gegeben sein, weshalb eine Änderungskündigung faktisch nicht möglich ist.
Eine Änderungsvereinbarung setzt immer eine einvernehmliche Einigung zwischen Arbeitnehmer und Erwerber voraus. Der Erwerber ist also auf das Einverständnis der betroffenen
979
siehe auch Höfer, BetrAVG, Kapitel 5, Rn. 316.
331
Arbeitnehmer angewiesen. Hierauf hat er jedoch gerade bei für die Arbeitnehmer nachteiligen Änderungen keinen Anspruch. Ist der Arbeitnehmer zur Änderung nicht bereit, so ist dieser Weg versperrt980.
Selbst wenn sich die Arbeitnehmer auf Änderungen einlassen, sind solche einzelvertraglichen Vereinbarungen, in denen sie ganz oder zum Teil auf ihre künftigen Betriebsrentenansprüche verzichten, nicht ohne Weiteres zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des
BAG ist eine solche Vereinbarung ohne sachlichen Grund wegen Umgehung des § 613a
BGB unzulässig, wenn die Änderung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betriebsübergang steht. Der Betriebsübergang als solcher stellt keinen sachlichen Grund dar.981
Praxishinweis: Zusätzlich ist bei einer ggf. einvernehmlichen Vereinbarung mit ehemaligen
Arbeitnehmern das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG zu beachten.
(2) Individualrechtliche Rechtsgrundlage mit kollektivem Bezug
Größere Gestaltungsmöglichkeiten hat der Erwerber, wenn die Versorgungsregelung zwar
auf individualrechtlicher Grundlage beruht, jedoch einen kollektiven Bezug aufweist.
Hierunter fallen die Gesamtzusage, die vertragliche Einheitsregelung982, Zusagen aus betrieblicher Übung und aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz.983 Diese gelten beim Erwerber
gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB fort und können nur mit den Mitteln verändert werden, die
auch dem alten Arbeitgeber zur Verfügung standen.
Diese Zusagen können – wie auch die rein individualvertragliche Regelung – durch eine Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung geändert bzw. beseitigt werden. In der Praxis dürfte es allerdings kaum möglich sein, ausnahmslos jeden betroffenen Versorgungsberechtigten zur Zustimmung zur beabsichtigten Änderung zu bewegen. Für eine wirksame
Änderungskündigung werden in der Praxis die Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht vorliegen.
Es besteht aber zudem die Möglichkeit einer ggf. verschlechternden Änderung oder Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung. Deren Wirkung richtet sich nach den allgemeinen
Grundsätzen zur sog. ablösenden Betriebsvereinbarung. Es müsste damit entweder die individualvertragliche Regelung mit kollektivem Bezug betriebsvereinbarungsoffen oder die
ablösende Betriebsvereinbarung kollektiv günstiger sein. Ferner müssen die Grundsätze
von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit984 beachtet werden.
Die beim Veräußerer geltende Versorgungsregelung ist „betriebsvereinbarungsoffen“,
wenn die Zusage den ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung enthält.985 Ohne ausdrücklichen Vorbehalt kann nur bei konkreten Anhaltspunkten von einem (konkludenten) Vorbehalt ausgegangen werden. Diese können sich
entweder aus der Zusage selbst oder aus sonstigen Umständen ergeben986. Entscheidend
ist, ob der Arbeitnehmer nach den Umständen bei Zusageerteilung davon ausgehen musste,
dass seine Versorgungszusage unter dem Vorbehalt einer zukünftigen kollektiven Ablösung
steht.987 Das BAG hat einen stillschweigenden Änderungsvorbehalt z. B. in einem Fall bejaht,
980
Willemsen, Kapitel J, Rn. 666.
BAG v. 12.05.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, 1081;
BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, DB 1986, 1779.
982
BAG GS v. 16.09.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168.
983
Höfer, BetrAVG, Kapitel 5, Rn. 34.
984
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa).
985
BAG GS v. 16.09.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168.
986
Kemper, BetrAVG, § 1, Rn. 353.
987
ErfK-Kania, § 77 BetrVG, Rn. 79.
981
332
in dem die Gesamtzusage des Veräußerers den Hinweis enthielt, dass sie mit dem Betriebsrat abgestimmt ist.988
Das BAG hat inzwischen mehrfach entschieden, dass der Arbeitgeber bei Gesamtzusagen
eine Leistung erkennbar nach einem einheitlichen System erbringen wolle, das auf unbestimmte Zeit hin angelegt sei.989 Weil es daher erkennbar künftigen Änderungsbedarf habe,
sei eine erleichterte Änderung durch kollektive Rechtsbegründungsakte möglich: Die Änderungsmöglichkeit einer Gesamtzusage sei ähnlich wie die einer Betriebsvereinbarung.990
In einem Einzelfall hat das BAG eine Vereinbarung als betriebsvereinbarungsoffen anerkannt, deren Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB)
enthalten war und die einen kollektiven Bezug aufwies.991 Ob diese Entscheidung des BAG
auf andere Sachverhalte, wie etwa die betriebliche Altersvorsorge, übertragbar ist, ist offen
und bleibt abzuwarten.
Die Rechtsprechung zur Änderung von Gesamtzusagen durch Betriebsvereinbarung hat sich
damit zuletzt etwas gelockert. Bisher nicht explizit entschieden ist, ob dies auch bei vertraglichen Einheitsregelungen gelten soll. Unklar ist ferner, ob der Arbeitgeber eine Gesamtzusage einseitig durch eine andere Gesamtzusage ändern kann. Dies dürfte insbesondere dann
von Interesse sein, wenn ein Betriebsrat nicht besteht. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten sollte in diesen Fällen wie bisher vorgegangen werden.
Ist die individualvertragliche Zusage mit kollektivem Bezug betriebsvereinbarungsoffen, kann
sie durch eine Betriebsvereinbarung des Erwerbers sogar zum Nachteil der Arbeitnehmer
abgelöst werden. Dabei müssen allerdings die Grenzen der BAG-Rechtsprechung zur Besitzstandswahrung für bereits erdiente Versorgungsanwartschaften (Drei-Stufen-Theorie)992
beachtet werden.
Ist die Zusage nicht betriebsvereinbarungsoffen, kann eine Ablösung durch Betriebsvereinbarung nur erfolgen, wenn sie nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BAG
dem sog. „kollektiven Günstigkeitsprinzip“ entspricht. Dafür darf die Neuregelung insgesamt bei kollektiver Betrachtung der Gesamtbelegschaft nicht ungünstiger sein bzw. der Dotierungsrahmen nicht verändert werden. 993 Das ist der Fall, wenn sich der wirtschaftliche
Wert bzw. der Barwert des arbeitgeberseitigen Gesamtaufwands nicht verschlechtert. Eine
solche Betriebsvereinbarung kann dann auch Regelungen treffen, die zu Lasten einzelner
Arbeitnehmer gehen, sofern die durch die Drei-Stufen-Theorie konkretisierten Grundsätze
von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit994 beachtet werden.
Ist der Erwerber Inhaber eines Betriebes, in dem er bereits vor dem Betriebsübergang Arbeitnehmer beschäftigt hat, haben diese Arbeitnehmer gegen ihn keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage nach den für die übergegangenen Arbeitnehmer geltenden
Richtlinien. Ein Anspruch folgt auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, da die aus § 613a BGB folgende rechtliche Bindung des Erwerbers an Rechtshandlungen des Veräußerers einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer darstellt.995
988
BAG v. 17.02.2015 – 1 AZR 599/13.
BAG v. 13.01.2015 – 3 AZR 897/12; BAG v. 10.03.2015 – 3 AZR 56/14,
BAG v. 23.02.2016 – 3 AZR 960/13.
990
BAG v. 23.02.2016 – 3 AZR 960/13.
991
BAG v. 05.03.2013 – 1 AZR 417/12.
992
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa) und BAG v. 17.03.1987 – 3 AZR 64/84, NZA 1987, 855.
993
BAG GS v. 16.09.1986 – GS 1/82, NZA 1987, 168.
994
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa).
995
BAG v. 31.08.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265 für das Arbeitsentgelt.
989
333
Gegenüber Arbeitnehmern, die nach dem Betriebsübergang eingestellt werden, kann - und
sollte - der Erwerber die Geltung der auf einer individualrechtlichen Grundlage (insbesondere
einer Gesamtzusage) beruhenden Versorgungsordnung durch ausdrückliche Erklärung ausschließen.
(3) Betriebsvereinbarung
Ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich dem Erwerber, wenn die betriebliche Altersversorgung des Veräußerers auf einer Betriebsvereinbarung beruht und diese nach dem Betriebsübergang normativ weitergilt. Dies ist der Fall, wenn der Betrieb(-steil) als Ganzes unter
Wahrung der Betriebsidentität auf den Erwerber übergeht. Der Erwerber tritt bei fortbestehender Betriebsidentität in die betriebsverfassungsrechtliche Stellung des bisherigen Inhabers ein und wird Vertragspartner der Betriebsvereinbarung996.
In diesem Fall kann der Erwerber auch Betriebsvereinbarungen über betriebliche Altersversorgung nach § 77 Abs. 5 BetrVG kündigen. Eine solche Kündigung hat jedoch nicht zur Folge, dass dann die Versorgungsansprüche der übergehenden bzw. von der Betriebsvereinbarung erfassten Arbeitnehmer vollständig entfallen. Vielmehr wendet das BAG auch in diesem
Fall die Drei-Stufen-Theorie an997. Kündigt der Erwerber also die Betriebsvereinbarung sogar
ohne sachlich-proportionalen Grund, ändert sich am Inhalt der bereits bestehenden und noch
zu erdienenden Anwartschaften der übergehenden Arbeitnehmer nichts. Der einzige Vorteil
für den Erwerber liegt dann darin, dass nach dem Betriebsübergang eintretende Arbeitnehmer von der Betriebsvereinbarung jedenfalls nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr erfasst werden.
Eine Änderung der auf einer Betriebsvereinbarung beruhenden Versorgungszusagen ist nur
mittels Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung möglich. Hier gilt das kollektive Günstigkeitsprinzip nicht, da es nicht um die Ablösung individualvertraglicher Regelungen geht.
Den Rechten der Betriebsparteien werden jedoch letztlich die bekannten Grenzen gesetzt, d.
h., es gilt auch insoweit die Drei-Stufen-Theorie des BAG998.
Wirkt eine Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversorgung nicht normativ weiter, wird sie gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem
Erwerber und dem Arbeitnehmer. Zu einer solchen Transformation kommt es vor allem dann,
wenn der übernommene Betrieb(-steil) seine bisherige Identität verliert.
Durch die Transformation verliert die Betriebsvereinbarung nach dem BAG bzgl. Kollisionen
mit späteren kollektivrechtlichen Regelungen allerdings nicht ihren kollektivrechtlichen Charakter999. Diese Einordnung hat erhebliche Auswirkungen auf die weiteren Gestaltungsmöglichkeiten. Die Ansprüche aus einer solchen transformierten Betriebsvereinbarung können –
auch vor Ablauf der Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB – durch eine ablösende Betriebsvereinbarung abgeändert werden. Denn die individualrechtlich als Inhalt des
Arbeitsverhältnisses fortgeltenden kollektivrechtlichen Regelungen sind nicht weiter geschützt als sie es bei einem Fortbestand beim Veräußerer gewesen wären1000.
996
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 77.
BAG v. 18.04.1989 – 3 AZR 688/87, NZA 1990, 67;
BAG v. 11.05.1999 – 3 AZR 21/98, NZA 2000, 322.
998
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa).
999
BAG v. 22.04.2009 – 4 AZR 100/08.
1000
BAG v. 13.03.2012 – 1 AZR 659/10.
997
334
Daher gilt im Verhältnis zu der neuen Betriebsvereinbarung auch nicht das Günstigkeits-,
sondern das Ablösungsprinzip1001.
Da die Regelungen individualrechtlich weitergelten, kann der Erwerber die Betriebsvereinbarung allerdings nicht nach § 77 Abs. 5 BetrVG kündigen1002.
Bei transformierten Betriebsvereinbarungen werden weder die Arbeitnehmer, die beim Erwerber bereits vor dem Betriebsübergang beschäftigt waren, noch die Arbeitnehmer, die
nach dem Betriebsübergang neu eingestellt werden, von dieser Betriebsvereinbarung erfasst. Auch Ansprüche aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kommen für
diese Personengruppe nicht in Betracht.
(4) Tarifvertrag
Beruhen die Betriebsrentenansprüche bzw. Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer
auf einer tariflichen Rechtsgrundlage, werden diese – bei fehlender Bindung des Erwerbers
an diesen Tarifvertrag – grundsätzlich in das Arbeitsverhältnis transformiert. In der M+EIndustrie ist das die Regel, da flächentarifvertragliche Regelungen fehlen, die Zusagen auf
betriebliche Altersversorgung begründen könnten.
Insoweit kommt für Betriebe der Metall- und Elektroindustrie grundsätzlich weder eine normative Weitergeltung der Tarifverträge noch eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB
in Betracht. Der Regelungsinhalt der Tarifnorm geht vielmehr in aller Regel statisch in das
Arbeitsverhältnis über. Spätere Änderungen durch die Tarifvertragsparteien haben auf den
Erwerber keinen Einfluss1003. Die Verpflichtung zur Fortführung der Zusage erlischt gleichwohl nicht.
Eine einvernehmliche Änderung ist möglich. Sie ist aber erst nach Ablauf eines Jahres gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB zulässig.
Praxishinweis: Unter dem Stichwort „Über-Kreuz-Ablösung“ wurde längere Zeit diskutiert,
ob eine Transformation der tariflichen Regelung durch eine beim Erwerber bestehende oder
noch abzuschließende Betriebsvereinbarung verhindert bzw. beseitigt werden könne. Das
BAG hat in einer grundsätzlichen Entscheidung eine „Über-Kreuz-Ablösung“ abgelehnt,
wenn der Regelungsgegenstand nicht dem zwingenden Mitbestimmungsrecht unterliegt, was
bei einer Versorgungsordnung gerade der Fall ist1004. Auch eine gemäß § 4 Abs. 5 TVG nur
nachwirkende Tarifnorm kann – außerhalb des Bereichs zwingender Mitbestimmung – nicht
durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung abgelöst werden, da hierdurch das Günstigkeitsprinzip verletzt würde1005.
1001
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 81; die Auswirkungen des EuGH – Urteils v. 06.09.2011
(Az. C-108/10, Scattolon) auf diese Frage sind unklar.
1002
siehe Kapitel D.
1003
BAG v. 29.08.2001 – 4 AZR 332/00, NZA 2002, 513.
1004
BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600.
1005
BAG v. 06.11.2007 – 1 AZR 826/06, NZA 2008, 542.
335
Zusammenfassender Überblick
Änderungsmöglichkeit des Erwerbers
(Versorgungsordnung beim Veräußerer, nicht beim Erwerber)
Individualrechtliche Grundlage
Einzelvertraglich
Kollektiver Bezug
(Gesamtzusage u. a.)
Betriebsvereinbarung
Normative
Weitergeltung
Transformation
Tarifvertrag
in M+E-Industrie
i. d. R.
Transformation
 Änderungs-
kündigung
kaum
möglich
Nicht BVoffen
BV-offen
 Änderungs-
vereinbarung
(P) § 613a i.
V. m. § 134
BGB
 Änderungs-
 Änderungs-
vereinbarung
(P) § 613a i.
V. m. § 134
BGB
vereinbarung
(P) § 613a i.
V. m. § 134
BGB
 Durch BV
 Durch BV
nur aufgrund
kollektiven
Günstigkeitsvergleichs
unter
Beachtung
Drei-StufenTheorie
Kündigung oder
Änderung unter
Beachtung der
Drei-StufenTheorie
 Kündigung der
BV nicht möglich
 Änderungs-
kündigung
(P) Veränderungssperre
 Durch BV unter
Beachtung DreiStufen-Theorie
 Durch BV nicht
möglich („Über-KreuzAblösung“)
 Änderungsverein-
barung
(P) Veränderungssperre
2. Versorgungsregelungen sowohl bei dem Veräußerer als auch bei dem Erwerber
In den Fällen der Eingliederung1006 können aufgrund des Betriebsübergangs bei dem Erwerber mehrere unterschiedliche Versorgungssysteme aufeinandertreffen. Deren Verhältnis
zueinander und deren Geltung für die einzelnen Arbeitsverhältnisse hängen primär von der
jeweiligen Rechtsgrundlage der Zusage ab.
a) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: Betriebsvereinbarung
Wird der übernommene Betrieb(-steil) in einen bestehenden Betrieb des Erwerbers unter
Verlust seiner Identität eingegliedert, kommt es grundsätzlich nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB
zur Transformation. Die Regelungen der Betriebsvereinbarung werden damit Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Erwerber und dem Arbeitnehmer.
Besteht bei dem Erwerber eine Betriebsvereinbarung oder wird eine solche nachträglich vereinbart, kann diese die nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierte Regelung ablösen
(§ 613a Abs. 1 S. 3 BGB). Das Günstigkeitsprinzip soll dabei nach dem BAG nicht greifen1007, die ablösende Betriebsvereinbarung kann also auch nachteilige Regelungen treffen.1008 Die nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierte Betriebsvereinbarung ist insofern
immer als betriebsvereinbarungsoffen anzusehen.1009 Voraussetzung für eine Ablösung ist
stets ein gleicher Regelungsgegenstand der Betriebsvereinbarung des Erwerbers sowie der
transformierten Regelung des Veräußerers. Wann ein solcher vorliegt, kann problematisch
sein. Nach Hohenstatt1010 muss sich die kollektivrechtliche Regelung auf „dieselbe Sachgruppe“ beziehen.
1006
Kommt es nicht zu einer Eingliederung, gelten die Ausführungen unter IV.1. entsprechend.
BAG v. 14.8.2001 – 1 AZR 619/00.
1008
Aufgrund des EuGH – Urteils vom 06.09.2011 (Az. C-108/10, Scattolon) ist fraglich und bislang
offen, ob das BAG diese Rechtsprechung aufrechterhalten kann.
1009
Kemper, BetrAVG, § 1 Rn. 347 m. w. N.
1010
Willemsen, Teil E, Rn. 47.
1007
336
Jedenfalls bei identischem Durchführungsweg und Finanzierungsart soll die Gleichartigkeit
von Betriebsvereinbarungen über betriebliche Altersversorgung bejaht werden können.1011
Nach Schnitker1012 soll wegen der Einstandspflicht aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG auch ein unterschiedlicher Durchführungsweg der Ablösung nach § 613a Abs. 1 S. 3 BetrAVG nicht entgegenstehen. Ferner bejaht er eine Ablösung, wenn „in der Betriebsvereinbarung des Erwerbers ausdrücklich geregelt ist, dass (…) [diese] eine abschließende Regelung der Altersversorgung unter Ausschluss jeder anderen Altersversorgung durch den Erwerber“ sein soll.
Das könne unter bestimmten Umständen auch bei einer ganz/teilweise arbeitnehmerfinanzierten Altersversorgung der Fall sein.1013
Praxishinweis: Aufgrund dieser Rechtsunsicherheiten kann sich anstelle einer Ablösung eine generelle Harmonisierung durch eine explizit hierauf bezogene Betriebsvereinbarung (etwa: stichtagsbezogene Umstellung auf eines der geltenden Versorgungssysteme oder generelle Neuregelung für alle Arbeitnehmer) unter Wahrung der Besitzstände empfehlen.
Für die Unverfallbarkeit dem Grunde nach (§ 1b Abs. 1 S. 1 BetrAVG) werden für die ablösende Zusage des Erwerbers die bei dem Veräußerer erbrachten Dienstzeiten auch dann
angerechnet, wenn der Erwerber diese nicht leistungserhöhend berücksichtigt.1014
Ferner sind bei einer Ablösung die unter der Geltung der bisherigen Betriebsvereinbarung
erdienten Besitzstände zu wahren, soweit sie vor dem Betriebsübergang erdient wurden.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Anwartschaften zur Zeit des Betriebsübergangs die Voraussetzungen für die gesetzliche Unverfallbarkeit erfüllten oder nicht.1015
Zur Ermittlung des schutzbedürftigen Besitzstands haben sich folgende Lösungsansätze gebildet:
aa) Zwei-Stämme-Lösung
In der Praxis verbreitet ist die sog. Zwei-Stämme-Lösung. Dabei wird bezogen auf den Zeitpunkt der Ablösung1016 unterschieden zwischen
 den Anwartschaften, die bis zu diesem Zeitpunkt nach der Betriebsvereinbarung des
Veräußerers erworben wurden (erster Rentenstamm) sowie
 den Anwartschaften, die ab diesem Zeitpunkt nach der ablösenden Betriebsvereinbarung des Erwerbers erworben werden (zweiter Rentenstamm).
Die Summe der beiden Rentenstämme bildet den Gesamtanspruch des übergehenden Arbeitnehmers.
Der erste Stamm wird dabei basierend auf der Regelung beim Veräußerer nach § 2 BetrAVG
errechnet. Allerdings soll bei dynamischen Versorgungsregelungen mit einer 2. Besitzstandsstufe1017 auch die auf den erdienten Teilbetrag entfallende Dynamik geschützt sein.
So würde etwa die bis zum Ablösungszeitpunkt erdiente Anwartschaft einer endgehaltsbezogenen Zusage infolge der Lohnentwicklung beim Erwerber weiter anwachsen1018.
1011
Willemsen, Teil J, Rn. 466.
Willemsen, Teil J, Rn. 463.
1013
Willemsen, Teil J, Rn. 465.
1014
Schlewing, Arbeitsrecht der bAV, Teil 17A, Rn. 335.
1015
Blomeyer, Anhang zu § 1, Rn. 322.
1016
In der vorliegenden Konstellation entspricht der Zeitpunkt der Ablösung dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs.
1017
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa).
1012
337
Der zweite Stamm beruht allein auf der ablösenden Regelung des Erwerbers. Es werden also nur die Dienstzeiten ab dem Betriebsübergang nach der (ggf. schlechteren) Regelung des
Erwerbers berücksichtigt.
bb) Alternativer Lösungsansatz des BAG
Das BAG hat alternativ eine eigene Vergleichsmethode entwickelt. Die Zwei-StämmeLösung ist also für den Erwerber nicht zwingend. Nach dem BAG werden bei Eintritt des
Versorgungsfalls – retrospektiv – die Versorgungsleistungen nach der Veräußerer- und der
Erwerberregelung verglichen, der Versorgungsberechtigte hat Anspruch auf die jeweils höhere Leistung.
Ist der Anspruch aus der ablösenden Regelung des Erwerbers höher als der auf Basis der
alten Regelung bis zum Ablösungsstichtag erdiente Teilbetrag, so ist allein die ablösende
Betriebsvereinbarung maßgeblich. Führt die Regelung des Erwerbers zu materiell geringeren
Ansprüchen, werden die bereits zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs/der Ablösung erdienten Anwartschaften gewahrt. Die Versorgungsregelung des Erwerbers bleibt in diesem Fall
unberücksichtigt1019.
Die Besitzstandswahrung führt nach dem BAG also nur insoweit zu einem erhöhten Versorgungsanspruch, wie die Ansprüche aus der Betriebsvereinbarung des Erwerbers im Versorgungsfall hinter dem zurückbleiben, was bis zum Ablösungsstichtag nach der bis dahin geltenden Betriebsvereinbarung erdient wurde. Es ist nicht notwendig, die aus den jeweiligen
Regelungen erdienten Versorgungsbesitzstände miteinander zu addieren1020.
Das BAG stellt den Arbeitnehmer damit so, als ob die ablösende Versorgungsregelung beim
Veräußerer eingeführt worden wäre. Der Erwerber wird durch den Lösungsansatz des BAG
begünstigt, insofern als
 er bei höherer eigener Versorgungsleistung lediglich die Finanzierungslasten für die im
Erwerberbetrieb erdiente Versorgungsverbindlichkeit trägt,
 er hingegen bei niedrigerer eigener Versorgungsleistung kaum bis gar keine Finanzierungslasten trägt, sofern die beim Veräußerer erdiente Versorgungsverbindlichkeit bereits im Rahmen der Kaufpreisfindung angemessen berücksichtigt wurde.
Eine andere Frage ist, ob Vordienstzeiten beim Veräußerer für die erstmalige Begründung
von Anwartschaften bei dem Erwerber berücksichtigt werden müssen. Das BAG hat dies
dem Erwerber in der Entscheidung vom 24.07.2001 freigestellt. Sollen die Vordienstzeiten
nicht angerechnet werden, empfiehlt es sich, in die Betriebsvereinbarung des Erwerbers eine
entsprechende klarstellende Regelung aufzunehmen. Lediglich im Rahmen der gesetzlichen
Unverfallbarkeit einer Anwartschaft nach § 1b BetrAVG sind Vordienstzeiten zu berücksichtigen1021.
Praxishinweis: Diese Rechtsprechung hat zur Folge, dass bei kollidierenden Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung vor dem Betriebsübergang nicht nur die
beim Veräußerer erworbenen Anwartschaften ermittelt werden müssen, sondern zusätzlich
eine Vergleichsrechnung anzustellen ist.
1018
Willemsen, Teil J, Rn. 473.
BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520.
1020
BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520;
abweichend LAG Düsseldorf v. 25.02.2014 – 6 Sa 1431/13.
1021
BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520.
1019
338
Zur Bestimmung der Vorgehensweise empfiehlt sich für den Erwerber, folgende vier Zahlen
zu ermitteln:
(1) Wie hoch ist die (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft, die der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatte?
(2) Wie hoch wäre die Versorgungsanwartschaft bzw. die Betriebsrente, wenn der Betriebsübergang nicht stattfinden würde?
(3) Wie hoch wäre die (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft bzw. die Betriebsrente, die
der übergehende Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt des Versorgungsfalles gegen den Erwerber erdienen kann, ohne dass die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten mit
eingerechnet werden?
(4) Wie hoch wäre die (unverfallbare) Versorgungsanwartschaft bzw. die Betriebsrente, die
der übergehende Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt des Versorgungsfalles gegen den Erwerber erdienen kann, wenn die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten mit eingerechnet werden?
Auch für die übergehenden Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch
keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben haben, sollte errechnet werden,
welche Konsequenzen sich ergeben, wenn sie – mit oder ohne Anrechnung der beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten – in das Versorgungswerk des Erwerbers mit
aufgenommen werden. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, was geschieht, wenn sie
beim Erwerber vorzeitig ausscheiden würden.
cc) Bewertung
Die Entscheidung des BAG vom 24.07.2001 ist für den Erwerber insgesamt günstig. Insbesondere verringert sie die Belastungen des Erwerbers, die aus der per Betriebsvereinbarung
geregelten Zusage des Veräußerers resultieren. Demgegenüber können die übergehenden
Arbeitnehmer Nachteile erfahren.
Umstritten ist, ob im Rahmen des § 613a Abs. 1 S. 3 BGB die Drei-Stufen-Theorie des BAG
zur Anwendung kommt. Das BAG hat bislang die Wahrung der Besitzstände nach § 2 BetrAVG und damit der 1. Besitzstandsstufe gefordert. Diese beinhaltet nicht die nach dem
Stichtag fortentwickelte Dynamik dienstzeitunabhängiger Variablen. Der Grund für Eingriffe
auf der 3. Besitzstandsstufe sind in der Regel das Interesse des Erwerbers an einer Vereinheitlichung. Die Frage stellt sich daher i. d. R. nur bei dynamischen Versorgungszusagen,
mithin für die Besitzstände der 2. Stufe. Ein erheblicher Teil der Literatur geht von der Anwendbarkeit der Drei-Stufen-Theorie aus1022. Der Sinn und Zweck des § 613a BGB erfordert
ein solches jedoch nicht1023.
Dass auch nach der Lösung des BAG einige Fallgestaltungen weiterhin unklar sind, zeigen
folgende (Berechnungs-)Beispiele:
Beispiel – Grundfall:
Beim Veräußerer V besteht eine Betriebsvereinbarung, nach der die Arbeitnehmer für jedes
Jahr der Betriebszugehörigkeit eine monatliche Rente von 5 Euro erhalten. Beim Erwerber E gilt
die Regelung, dass Arbeitnehmer für jedes Jahr der Beschäftigungsdauer eine monatliche Rente von 10 Euro pro Beschäftigungsjahr erhalten. Arbeitnehmer A ist seit 1980 bei V beschäftigt.
1022
1023
vgl. Nachweise in: Willemsen, Teil J, Rn. 475, Fn. 638.
Willemsen, Teil J, Rn. 475.
339
Der Betrieb geht 1990 auf E über, der die übergehenden Arbeitnehmer in sein Versorgungswerk aufnimmt, aber die bei V zurückgelegten Beschäftigungszeiten nicht anrechnet. A geht
2005 in Rente. Wie hoch ist sein Betriebsrentenanspruch gegen E?
A hat bei V eine Anwartschaft in Höhe von 50 Euro (10x5) erworben, bei E beträgt die Anwartschaft bzw. Betriebsrente 150 Euro (15x10). Die beiden Anwartschaften werden nach dem BAG
nicht addiert. A hätte allenfalls gegen E einen höheren Anspruch, wenn seine Anwartschaft zum
Zeitpunkt des Betriebsübergangs als dem Zeitpunkt der Ablösung höher als seine Rente wäre.
Das ist hier nicht der Fall. A hätte auch dann gegen E keinen höheren Anspruch, wenn man hypothetisch fragt, wie hoch die Betriebsrente gewesen wäre, wenn A bei V geblieben wäre, da
die Rente des A dann nur 125 Euro (25x5) betragen hätte. Im Ergebnis wird A damit so gestellt,
als wäre er 1990 von E neu eingestellt worden.
Berechnungsgrundlage
Rechenweg im Beispiel
Unverfallbare Versorgungsanwartschaft beim
Veräußerer bis zum Betriebsübergang
1980 – 1990 = 10 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Veräußerer bis
zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls ohne Betriebsübergang
1980 – 2005 = 25 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber ohne
Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1990 – 2005 = 15 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber mit Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1980 – 2005 = 25 Jahre
x5€
x5€
x 10 €
x 10 €
Ergebnis
50 €
125 €
150 €
250 €
Beispiel - Abwandlung 1:
Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn der Betriebsübergang erst 1995 stattgefunden hätte?
In diesem Fall hätte A im Zeitpunkt des Betriebsübergangs eine Anwartschaft in Höhe von 75
Euro erworben, gegen E hätte er einen Anspruch von 100 Euro. Hätte der Betriebsübergang
nicht stattgefunden, hätte A gegen V einen Betriebsrentenanspruch in Höhe von 125 Euro. Ob
der E auf Zahlung von 125 Euro haftet, ist vom BAG offen gelassen worden.
Berechnungsgrundlage
Rechenweg im Beispiel
Unverfallbare Versorgungsanwartschaft beim
Veräußerer bis zum Betriebsübergang
1980 – 1995 = 15 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Veräußerer bis
zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls ohne Betriebsübergang
1980 – 2005 = 25 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber ohne
Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1995 – 2005 = 10 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber mit Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1980 – 2005 = 25 Jahre
x5€
x5€
x 10 €
x 10 €
Ergebnis
75 €
125 €
100 €
250 €
340
Beispiel - Abwandlung 2:
Was wäre, wenn bei V eine monatliche Betriebsrente von 10 Euro pro Beschäftigungsjahr zugesagt worden ist, bei E eine monatliche Betriebsrente von 5 Euro pro Beschäftigungsjahr und
der Betriebsübergang 1990 stattgefunden hätte?
Dann hätte A bei V eine Anwartschaft in Höhe von 100 Euro (10x10) und bei E einen Anspruch
in Höhe von 75 Euro (15x5) erworben. E muss mindestens 100 Euro zahlen, da die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende Anwartschaft höher als die bei E erdiente Betriebsrente ist. Vom BAG offengelassen wurde, ob E ggf. sogar 250 Euro (25x10) leisten muss, da A
ohne den Betriebsübergang gegen V einen Rentenanspruch in dieser Höhe erworben hätte. Bei
Anrechnung der bei V zurückgelegten Beschäftigungszeiten würde E evtl. günstiger stehen:
Dann hätte A gegen E einen Betriebsrentenanspruch in Höhe von 125 Euro.
Berechnungsgrundlage
Rechenweg im Beispiel
Unverfallbare Versorgungsanwartschaft beim
Veräußerer bis zum Betriebsübergang
1980 – 1990 = 10 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Veräußerer bis
zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls ohne Betriebsübergang
1980 – 2005 = 25 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber ohne
Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1990 – 2005 = 15 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber mit Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1980 – 2005 = 25 Jahre
x 10 €
x 10 €
x5€
x5€
Ergebnis
100 €
250 €
75 €
125 €
Beispiel - Abwandlung 3:
Wenn die bei V geltende Versorgungsordnung gemäß der Abwandlung 2 für den Arbeitnehmer
günstiger als die Regelung bei E wäre, hätte A gegen E einen Anspruch auf 230 Euro.
Berechnungsgrundlage
Rechenweg im Beispiel
Unverfallbare Versorgungsanwartschaft beim
Veräußerer bis zum Betriebsübergang
1980 – 2003 = 23 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Veräußerer bis
zum Zeitpunkt des Versorgungsfalls ohne Betriebsübergang
1980 – 2005 = 25 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber ohne
Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
2003 – 2005 = 2 Jahre
Versorgungsanwartschaft beim Erwerber mit Anrechnung der Beschäftigungszeiten beim Veräußerer
1980 – 2005 = 25 Jahre
x 10 €
x 10 €
x5€
x5€
Ergebnis
230 €
250 €
10 €
125 €
341
Praxishinweis: Nach Ermittlung der o. g. Zahlen kann der Erwerber klären, welche Vorgehensweise die für ihn (kosten-)günstigste darstellt. Sollte die beim Veräußerer geltende Versorgungsordnung auch unter Berücksichtigung des damit verbundenen Verwaltungsaufwands für ihn günstiger als die von ihm selbst angebotene sein, bietet es sich an, die beim
Veräußerer geltende Versorgungsordnung für die übernommenen Arbeitnehmer weiterzuführen.
Dafür muss vor dem Betriebsübergang der Geltungsbereich der beim Erwerber einschlägigen Betriebsvereinbarung auf die bereits bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer beschränkt
werden, damit es nicht gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu einer automatischen Ablösung
der beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung kommt. Nach Rechtsprechung des
BAG können sich die übergehenden Arbeitnehmer dabei nicht auf eine Verletzung des
Gleichbehandlungsgebots (§ 75 BetrVG) berufen, da der Betriebsübergang selbst einen
sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellt1024.
dd) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Die Ablösung der Versorgungsregelung des Veräußerers durch die beim Erwerber geltende
dürfte im Hinblick auf die Information der übergehenden Arbeitnehmer der schwierigste Fall
sein. Denn der Erwerber sollte die Arbeitnehmer nicht nur über die Übernahme der Versorgungszusage informieren. Er sollte vielmehr auch über die konkreten Auswirkungen der Ablösung der beim Veräußerer geltenden Versorgungsregelung informieren.
Die Arbeitnehmer sollten jedenfalls informiert werden über:
 den Umstand, dass bei Veräußerer und Erwerber jeweils eigene Versorgungswerke
bestehen,
 die Aufnahme in das beim Erwerber geltende Versorgungswerk – alternativ: die Weiterführung der beim Veräußerer geltenden Versorgungsregelung ohne Aufnahme in das
beim Erwerber geltende Versorgungswerk,
 im Falle der Aufnahme in das beim Erwerber geltende Versorgungswerk: die Garantie
mindestens des Betrages, der der Höhe der beim Veräußerer bestehenden Versorgungsanwartschaft zum Ablösungszeitpunkt entspricht,
 die ggf. leistungserhöhende Anrechung der beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten bei einer Aufnahme in das Regelungswerk des Erwerbers.
b) Veräußerer: Individualrechtliche Grundlage / Erwerber: Betriebsvereinbarung
Die unter a) dargestellten Grundsätze des BAG1025 gelten nur, wenn sowohl beim Veräußerer
als auch beim Erwerber eine Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversorgung
besteht. Etwas anderes gilt, wenn die betriebliche Altersversorgung beim Veräußerer entweder auf einer individualvertraglichen Vereinbarung ohne kollektivem Bezug (Einzelzusage)
oder einer individualvertraglichen Vereinbarung mit kollektivem Bezug (insb. vertragliche
Einheitsregelung oder Gesamtzusage) beruht.
aa) Einzelzusage
Bei einer Einzelzusage greift die allgemeine Rechtsfolge des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach ist die Einzelzusage als solche vom Erwerber fortzuführen. Eine Änderung dieser Zusage kann nur nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen.
1024
1025
BAG v. 19.01.2012 – 3 ABR 19/08.
BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00, NZA 2002, 520.
342
In Betracht kommt eine Änderung durch Änderungsvereinbarung oder bei Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Eine Änderungskündigung wird in der Regel nicht möglich
sein.1026 Die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2 BetrAVG greift nicht.
Wenn der übergehende Arbeitnehmer dem Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung des
Erwerbers unterfällt, ist nicht sichergestellt, dass über das Günstigkeitsprinzip eine Ablösung
erfolgt. Nicht auszuschließen ist, dass es statt einer Ablösung zu einem Nebeneinander der
Zusagen kommt.1027 Die Konsequenz wäre, dass der Arbeitnehmer ggf. kumulativ aus beiden
Zusagen die volle Leistung beanspruchen könnte.
Praxishinweis: Um eine Doppelung der Ansprüche zu vermeiden, sollten die übergehenden
Arbeitnehmer vom Geltungsbereich der beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung über
eine betriebliche Altersversorgung ausdrücklich ausgenommen werden. Alternativ bietet sich
an, aus der Erwerberregelung grundsätzlich Beschäftigte mit einer individuellen Versorgungszusage auszuschließen. Bei einer Herausnahme ist jedoch generell zu beachten, dass
Arbeitnehmer, denen bereits einzelvertraglich eine betriebliche Altersversorgung zugesagt
wurde, grundsätzlich nur dann vollständig von einem auf einer Betriebsvereinbarung beruhenden kollektiven Versorgungssystem des Arbeitgebers ausgenommen werden dürfen,
wenn die Betriebsparteien davon ausgehen können, dass diese Arbeitnehmer im Versorgungsfall typischerweise eine zumindest annähernd gleichwertige Versorgung erhalten.1028
Wegen zweitinstanzlicher Rechtsprechung1029 ist eine klare Regelung und Formulierung
dringend anzuraten.
bb) Individualvertragliche Vereinbarung mit kollektivem Bezug
Beruht die beim Veräußerer geltende Versorgungsordnung auf einer individualrechtlichen
Grundlage mit kollektivem Bezug (vertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage, betriebliche
Übung, Gleichbehandlungsgrundsatz), ist eine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung
des Erwerbers auch zum Nachteil der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen
möglich:1030
 Die ablösende Betriebsvereinbarung muss sich im konkreten Einzelfall auf die abzulösende Regelung beziehen (können) – was bei einer bereits bestehenden Betriebsvereinbarung oft nicht der Fall ist.
 Die beim Veräußerer geltende individualvertragliche Regelung muss „betriebsvereinbarungsoffen“ oder die Erwerberregelung kollektiv günstiger sein.
 Wie auch bei zwei kollidierenden Betriebsvereinbarungen sind die unter Ziff. IV.1.) c)
aa) dargestellten Grundsätze zur Besitzstandswahrung zu beachten.
Für den Erwerber besteht die Gefahr, dass man einerseits von der Fortgeltung der Versorgungsregelung des Veräußerers nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeht und andererseits
die übergehenden Arbeitnehmer von der beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung erfasst werden. Das kann zu einer Kumulation von Versorgungsansprüchen und damit auch zu
einer erhöhten Belastung des Erwerbers führen.
1026
siehe dazu Ziff. IV.1.c) aa).
Willemsen, Teil J, Rn. 444 ff.
1028
BAG v. 19.07.2016 – 3 AZR 314/15.
1029
LAG Düsseldorf v. 25.02.2014 – 6 Sa 1431/13.
1030
vgl. BAG v. 16.09.1985 – GS 1/82, NZA 1987, 168; BAG v. 07.11.1989 – GS 3/85, NZA 1990,
816; BAG v. 23.10.2001 – 3 AZR 74/01, NZA 2003, 986.
1027
343
Um dieses Risiko zu vermeiden, hat der Erwerber verschiedene Möglichkeiten, z. B.:
 Der Erwerber kann die Versorgungsregelung des Veräußerers weiterführen und die
übergehenden Arbeitnehmer vom Geltungsbereich seiner Betriebsvereinbarung ausdrücklich ausnehmen. Alternativ kann er Beschäftigte mit einer individuellen Versorgungszusage von seiner Regelung ausschließen1031. Neu eingestellte Beschäftigte
können dann dennoch in den Genuss der betrieblichen Altersversorgung des Erwerbers kommen.
 Der Erwerber kann den übernommenen Betrieb oder Betriebsteil als eigenständigen
Betrieb weiterführen und von einer Eingliederung absehen.
 Der Erwerber kann versuchen, mit den Arbeitnehmern eine einzelvertragliche Vereinbarung zu schließen, mit der er ihnen den im Zeitpunkt des Betriebsübergangs erworbenen Besitzstand garantiert und anbietet – ggf. unter Anrechnung der beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten – in das bei ihm geltende Versorgungswerk
mit einzutreten. Einen Anspruch darauf, dass die Arbeitnehmer eine solche Vereinbarung abschließen, hat der Erwerber allerdings nicht. Falls sich die Arbeitnehmer weigern, könnte er daher nur versuchen, über eine (betriebsbedingte) Änderungskündigung vorzugehen. Eine solche wird in der Regel jedoch nicht möglich sein1032.
 Ist die Individualvereinbarung nicht betriebsvereinbarungsoffen, kann der Erwerber
versuchen, mit dem dann zuständigen Betriebsrat eine ablösende Betriebsvereinbarung abzuschließen. Dabei ist das kollektive Günstigkeitsprinzip zu beachten sowie die
Besitzstände der übergehenden Arbeitnehmer zu wahren.
 Ist die Individualvereinbarung betriebsvereinbarungsoffen, kann der Veräußerer vor
Betriebsübergang die betriebsvereinbarungsoffene Versorgungsordnung unverändert
in eine Betriebsvereinbarung übernehmen. Diese kann dann nach dem Betriebsübergang gemäß den allgemeinen Grundsätzen von der beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Ein solches Vorgehen kann allerdings vor allem
dann ggf. rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Versorgung beim Erwerber ungünstiger
ist. Denn das Instrument „Betriebsvereinbarung“ würde genutzt, um künftige Ansprüche
der übergehenden Arbeitnehmer leichter ändern zu können. Es bestünde also das Risiko, dass weder die vom Veräußerer abgeschlossene Betriebsvereinbarung noch die
ablösende Wirkung der beim Erwerber geltenden Betriebsvereinbarung anerkannt
würden.
cc) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Der Inhalt des Informationsschreibens ist vor allem davon abhängig, welche der oben dargestellten Möglichkeiten der Erwerber wählt. Daher kann eine generelle Formulierung nicht
vorgeschlagen werden.
Die Arbeitnehmer sollten jedoch über folgende Punkte informiert werden:
 Umstand, dass beim Veräußerer und Erwerber eigene, jedoch verschiedene Versorgungsregelungen bestehen.
 Ob der Erwerber die beim Veräußerer bestehende Versorgungsordnung unverändert
weiterführt oder ob und wie er – in Abstimmung mit dem nach dem Betriebsübergang
bestehenden Betriebsrat – die übernommenen Arbeitnehmer in das bei ihm bestehende Versorgungswerk integriert.
1031
1032
Beachte aber BAG v. 19.07.2016 – 3 AZR 314/15.
siehe Ziff. IV.1.c) bb) (1).
344
Bei letzterem kann den übergehenden Arbeitnehmern bereits jetzt der Besitzstand, jedenfalls in Form der erdienten Bestandteile der Versorgungsanwartschaften, garantiert
werden. Ferner sollte schon jetzt darauf hingewiesen werden, dass sich ggf. Änderungen bei den noch nicht erdienten Teilen der Versorgungsanwartschaft ergeben können.
Sollte die beim Erwerber geltende Versorgungsregelung insgesamt günstiger für die
Arbeitnehmer sein, sollte darauf hingewiesen werden.
Formulierungsvorschlag:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage wird mit allen Rechten und Pflichten von
der Firma E übernommen und nach Maßgabe der Ihnen bekannten Versorgungsordnung weitergeführt werden. Spätere Änderungen bleiben vorbehalten. Sie werden nicht in das bei der
Firma E bestehende Versorgungswerk aufgenommen.“
Alternativ:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage muss nach der derzeit geltenden
Rechtslage von der Firma E zunächst übernommen und nach Maßgabe der Ihnen bekannten
Versorgungsordnung weitergeführt werden. Bei der Firma E besteht jedoch ein eigenes Versorgungswerk, in das wir Sie gern aufnehmen würden. Dies setzt jedoch ihre Zustimmung voraus.
Wie Sie den beigefügten Unterlagen entnehmen können, bleiben Ihnen die bei der Firma V erdienten Bestandteile Ihrer Versorgungsanwartschaft der Höhe nach erhalten. Die weitere Entwicklung Ihrer späteren Betriebsrentenansprüche würde sich dann jedoch nach den für die Firma E bereits geltenden Versorgungsrichtlinien richten.“
c) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: individualrechtliche Regelung
aa) Transformation in das Arbeitsverhältnis
Es ist auch denkbar, dass die betriebliche Altersversorgung beim Veräußerer durch eine Betriebsvereinbarung geregelt wurde, während sie beim Erwerber auf individualrechtlicher
Grundlage (mit oder ohne kollektiven Bezug) beruht.
Sofern die Betriebsvereinbarung nicht normativ fortgilt, wird sie beim Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis transformiert. Der Erwerber ist zunächst zur Weiterführung verpflichtet. Die bei ihm individualrechtlich geregelte betriebliche
Altersversorgung hat keine ablösende Wirkung1033.
Der Erwerber kann die transformierte Versorgungsregelung weiterführen. Um zu vermeiden,
dass die übergehenden Arbeitnehmer sowohl aus der Versorgungsregelung des Veräußerers wie auch aus der des Erwerbers Ansprüche erwerben, sollte er die übergehenden Arbeitnehmer von seiner Versorgungsregelung (z. B. Versorgungsordnung, Pensionsplan)
ausschließen. Nach Rechtsprechung des BAG können sich die übergehenden Arbeitnehmer
dabei zur Zeit des Betriebsübergangs nicht auf eine Verletzung des § 75 BetrVG oder des
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen, da der Betriebsübergang selbst
einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellt. 1034
Praxishinweis: Wie der Ausschluss aus der Versorgungsregelung bei individuellen Zusagen
(mit oder ohne kollektiven Bezug) erfolgt und wie die Arbeitnehmer davon Kenntnis erlangen,
hängt insb. auch von dem jeweiligen Rechtsbegründungsakt der Zusage ab.
1033
1034
BAG v. 18.03.1997 – 3 AZR 729/95, NZA 1998, 97.
BAG v. 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, DB 2010, 1131.
345
Zu einer Vereinheitlichung der betrieblichen Altersversorgung stehen dem Erwerber darüber
hinaus verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
 Der Erwerber kann versuchen, mit den übergehenden Arbeitnehmern einzelvertragliche Vereinbarungen über die Abänderung der Versorgungsregeln zu treffen. Bei transformierten Betriebsvereinbarungen ist dabei die einjährige Veränderungssperre des §
613a Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten. Auch besteht kein Anspruch des Erwerbers gegen
den Arbeitnehmer auf Abschluss einer solchen Vereinbarung.
 Der Erwerber kann mit dem bei ihm bestehenden Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung abschließen, in der er beide Versorgungswerke zusammenführt. Dabei sind
die vom BAG aufgestellten Grundsätze einer abändernden bzw. ablösenden Betriebsvereinbarung zu beachten (insb. die sog. Drei-Stufen-Theorie).1035 Die nach § 613a
Abs. 1 S. 2 BGB transformierte Betriebsvereinbarung ist insofern immer als betriebsvereinbarungsoffen anzusehen.1036 Die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 S. 2
BGB gilt in diesem Fall nicht.
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Der Inhalt des Informationsschreibens ist von der Vorgehensweise des Erwerbers abhängig.
Die übergehenden Arbeitnehmer sollten informiert werden über:
 den Umstand, dass jeweils beim Veräußerer und Erwerber eine Versorgungsregelung
besteht,
 die Übernahme der Versorgungsregelung des Veräußerers durch den Erwerber sowie
deren unveränderte Weiterführung oder Harmonisierung mit der beim Erwerber bereits
geltenden Versorgungsregelung. Spätere Änderungen sollten vorbehalten werden.
Formulierungsvorschlag:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage wird mit allen Rechten und Pflichten von
der Firma E als Inhalt Ihres Arbeitsverhältnisses übernommen und nach Maßgabe der Ihnen
bekannten Versorgungsregelung weitergeführt. Spätere Änderungen bleiben vorbehalten. Sie
werden nicht in das bei der Firma E bestehende Versorgungswerk aufgenommen.“
Alternativ:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage wird nach der derzeit geltenden Rechtslage von der Firma E zunächst übernommen und nach Maßgabe der Ihnen bekannten Versorgungsregelung weitergeführt. Bei der Firma E besteht jedoch ein eigenes Versorgungswerk, in
das wir Sie gern aufnehmen würden. Entsprechende Verhandlungen mit dem BR sind geplant/wurden bereits eingeleitet. Wir können Ihnen bereits jetzt zusagen, dass Ihnen die bei der
Firma V erdienten Bestandteile Ihrer Versorgungsanwartschaft der Höhe nach erhalten bleiben.
Die weitere Entwicklung Ihrer späteren Betriebsrentenansprüche würde sich ausschließlich
nach den für die Mitarbeiter der Firma E geltenden Versorgungsrichtlinien richten.“
1035
1036
siehe Ziff. IV.1.c) aa).
Kemper, BetrAVG, § 1 Rn, 354 m. w. N.
346
d) Veräußerer: Individualrechtliche Grundlage / Erwerber:
Individualrechtliche Grundlage1037
aa) Übergang der individualrechtlichen Regelung
Beruht die betriebliche Altersversorgung sowohl beim Veräußerer als auch beim Erwerber
auf einer individualrechtlichen Grundlage, erfolgt keine automatische Ablösung der Versorgungsregelung. Die vom Veräußerer erteilte Versorgungszusage geht nach § 613a Abs. 1
Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Sie muss unverändert von ihm weitergeführt werden.
Es kann jedoch dazu kommen, dass die übergehenden Arbeitnehmer nach dem Betriebsübergang nicht nur ihre von dem Veräußerer begründeten Versorgungsansprüche behalten,
sondern zusätzlich Versorgungsansprüche nach der beim Erwerber geltenden Versorgungsordnung erwerben.
Daher sollte der Erwerber auch bei kollidierenden individualrechtlichen Regelungen schon
vor dem Betriebsübergang dafür Sorge tragen, dass ein kumulativer Erwerb von Versorgungsanwartschaften ausgeschlossen ist:
 Der Erwerber kann dazu das vom Veräußerer übernommene Versorgungswerk unverändert weiterführen und zugleich die übernommenen Arbeitnehmer ausdrücklich aus
dem Geltungsbereich seines eigenen Versorgungswerkes ausschließen. Nach Rechtsprechung des BAG können sich die übergehenden Arbeitnehmer dabei wohl nicht auf
eine Verletzung des § 75 BetrVG oder des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen, da der Betriebsübergang selbst einen sachlichen Grund für die
Ungleichbehandlung darstellt1038.
 Der Erwerber kann versuchen, mit den übergehenden Arbeitnehmern individualvertragliche Vereinbarungen über den Wechsel in das beim Erwerber bestehende Versorgungswerk zu treffen. Die bis zum Betriebsübergang erworbenen Ansprüche bzw. Versorgungsanwartschaften sind dabei zu wahren. Die einjährige Veränderungssperre des
§ 613a Abs. 1 S. 2 BGB gilt hier (mangels Transformation) nicht.
 Sofern die Regelung des Erwerbers betriebsvereinbarungsoffen ist, kann der Erwerber
diese mit dem bei ihm bestehenden Betriebsrat in eine Betriebsvereinbarung überführen. Für Veränderungen sind dabei die vom BAG aufgestellten Grundsätze zu ablösenden Betriebsvereinbarungen zu beachten1039.
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Wegen der nahezu identischen Problematik kann hinsichtlich des Inhalts des Informationsschreibens auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen werden.1040
e) Veräußerer: Tarifvertrag (normative Wirkung) / Erwerber: Betriebsvereinbarung
aa) Keine „Über-Kreuz-Ablösung“
Ist die Altersversorgung beim Veräußerer gegenüber einem Gewerkschaftsmitglied durch
Tarifvertrag, beim Erwerber aber mittels einer Betriebsvereinbarung geregelt, löst nach der
Rechtsprechung des BAG die Betriebsvereinbarung den Tarifvertrag nicht ab (keine sog.
1037
Die folgenden Ausführungen gelten auch, wenn Bezugnahmeklauseln auf tarifvertragliche Regelungen bestehen und die Arbeitnehmer nicht Gewerkschaftsmitglied sind. Siehe dazu Kapitel D.
1038
BAG v. 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, DB 2010, 1131.
1039
siehe Ziff. IV. 1. c) aa).
1040
siehe Ziff. IV. 1. c) aa).
347
„Über-Kreuz-Ablösung“) 1041. Die auf tarifvertraglicher Grundlage erteilte Versorgungszusage
gilt als Bestandteil des individuellen Arbeitsverhältnisses statisch weiter (§ 613 Abs. 1 S. 2
BGB, sog. „Transformation“).
Sollen die übergehenden Arbeitnehmer nicht von der Versorgungsregelung des Erwerbers
erfasst werden (z. B. weil die Weiterführung transformierter Regelung für ihn günstiger ist),
sollte er sie vor dem Betriebsübergang vom Geltungsbereich seiner Betriebsvereinbarung
ausschließen.
Nach Rechtsprechung des BAG können sich die übergehenden Arbeitnehmer dabei nicht auf
eine Verletzung des § 75 BetrVG oder des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes
berufen, da der Betriebsübergang selbst einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung
darstellt.1042
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
In dem Schreiben nach § 613a Abs. 5 BGB sollten die übergehenden Arbeitnehmer informiert werden:
 über das Schicksal der tariflichen Regelungen zur Altersversorgung, die i. d. R. transformiert werden,
 ob die hierauf beruhende Versorgungszusage des Veräußerers vom Erwerber übernommen und (nach Maßgabe der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden tariflichen Regelungen) vom Erwerber weitergeführt wird oder ob die Zusage des Veräußerers unter Wahrung des bisher erworbenen Besitzstands durch eine beim Erwerber
geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird,
 ob die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten bei einer Aufnahme in
das Regelungswerk des Erwerbers leistungserhöhend angerechnet werden.
Praxishinweis: Auch wenn die transformierte tarifliche Regelung selbst nur statisch weitergilt, ist zu beachten, dass der Erwerber auch in diesen Fällen nicht von der Anpassungsüberprüfungspflicht (§ 16 BetrAVG) befreit ist.
Formulierungsvorschläge:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage, die auf dem für Sie bisher geltenden
Tarifvertrag ... beruht, wird von der Firma E übernommen und nach Maßgabe der im Zeitpunkt
des Betriebsübergangs geltenden tariflichen Regelungen als Bestandteil Ihres Arbeitsverhältnisses weitergeführt. Spätere Änderungen bleiben vorbehalten. In das bei der Firma E bestehende Versorgungswerk werden Sie nicht aufgenommen.“
1041
1042
BAG v. 30.07.2008 – 3 AZR 191/06, NZA 2008, 600.
BAG v. 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, DB 2010, 1131.
348
Alternativ:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage, die auf dem für Sie bisher geltenden
Tarifvertrag ... beruht, wird von der Firma E nicht übernommen. Stattdessen werden Sie ab dem
Zeitpunkt des Betriebsübergangs in das bei der Firma E geltende Versorgungswerk aufgenommen, das derzeit durch die Betriebsvereinbarung ... geregelt ist. Ihre bei der Firma V zurückgelegten Beschäftigungszeiten werden Ihnen angerechnet / nicht angerechnet. Soweit Sie bereits
nach den bisher bei der Firma V geltenden Regelungen eine Versorgungsanwartschaft erhalten
haben, wird Ihnen diese der Höhe nach erhalten bleiben. Die weitere Entwicklung Ihrer künftigen Versorgungsansprüche richtet sich jedoch ausschließlich nach den bei der Firma E geltenden Versorgungsrichtlinien.“
f) Veräußerer: Tarifvertrag (normative Wirkung) / Erwerber:
Individualvertragliche Regelung (mit oder ohne kollektiven Bezug)
aa) Transformation in das Arbeitsverhältnis
Ist der übergehende Arbeitnehmer Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft, wird die tarifvertragliche Regelung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert. Die auf tarifvertraglicher Grundlage erteilte Versorgungszusage gilt als Bestandteil des individuellen Arbeitsverhältnisses statisch weiter. Der Erwerber hat die transformierte Zusage weiterzuführen bzw.
muss den Arbeitnehmern einen gleichwertigen Versorgungsanspruch verschaffen.
Die übergehenden Arbeitnehmer haben i. d. R. keinen Anspruch darauf, in das auf individualrechtlicher Grundlage bestehende Versorgungswerk des Erwerbers aufgenommen zu werden. Der Erwerber sollte dies aber gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern klarstellen.
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Das Informationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB sollte folgende Informationen erhalten:
 das Schicksal der tariflichen Regelungen zur Altersversorgung, die i. d. R. transformiert
werden,
 die Behandlung der übernommenen Zusage durch den Erwerber,
 ggf. die Klarstellung, dass keine Aufnahme in das Versorgungswerk des Erwerbers erfolgt.
Formulierungsvorschlag:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage, die auf dem für Sie bisher geltenden
Tarifvertrag ... beruht, wird von der Firma E als Inhalt Ihres Arbeitsverhältnisses übernommen
und nach Maßgabe der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden tariflichen Regelungen
weitergeführt. Spätere Änderungen bleiben vorbehalten. In das bei der Firma E bestehende
Versorgungswerk werden Sie nicht aufgenommen.“
g) Veräußerer: Betriebsvereinbarung / Erwerber: Tarifvertrag
aa) Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied
Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft, kommen die für den Erwerber geltenden Tarifverträge normativ zur Anwendung.
Dies gilt nicht nur für die Versorgungsregelungen, sondern auch für alle anderen Tarifverträge, sodass dann auch in anderen Bereichen (Entgelt!) eine Ablösung nach § 613a Abs. 1
349
Satz 3 BGB eintritt. Das kann für die übergehenden Arbeitnehmer ein deutlicher Anreiz zum
Beitritt in die für den Erwerber tarifzuständige Gewerkschaft sein1043.
bb) Arbeitnehmer ist kein Gewerkschaftsmitglied
Für die übergehenden Arbeitnehmer, die nicht Mitglied in der für den Erwerberbetrieb zuständigen Gewerkschaft sind oder werden, gelten die tariflichen Altersversorgungsregeln des
Erwerbers nicht automatisch.
Der Erwerber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die bei ihm geltenden Tarifverträge mittels
einer Bezugnahmeklausel für die übergehenden Arbeitnehmer schuldrechtlich zur Anwendung zu bringen. Dies sollte allerdings gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Ein Anspruch der übergehenden Arbeitnehmer auf eine schuldrechtliche Anwendung der im
Erwerberbetrieb geltenden Tarifverträge besteht nicht. Er kann auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hergeleitet werden, da im Betriebsübergang ein
sachlicher Grund für die entsprechende Ungleichbehandlung liegt.1044 Zudem können die
übergehenden Arbeitnehmer die Geltung der für sie einschlägigen Tarifverträge durch den
Beitritt bzw. Wechsel zur tarifzuständigen Gewerkschaft selbst herbeiführen.
Nicht in Betracht kommt die individualvertragliche Inbezugnahme lediglich eines Versorgungstarifvertrages des Erwerbers. Denn die Veränderungssperre entfällt gem. § 613a Abs.
1 S. 4 BGB nur, wenn das Tarifvertragswerk des Erwerbers gänzlich in Bezug genommen
wird.
cc) Arbeitnehmer wird Gewerkschaftsmitglied
Falls die übergehenden Arbeitnehmer durch Beitritt in die zuständige Gewerkschaft unter
den Geltungsbereich der tariflichen Versorgungsregelungen des Erwerbers fallen, greifen
diese normativ. Es stellt sich dann die Frage, ob die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten zwingend vom Erwerber angerechnet werden müssen.
Eine solche Verpflichtung des Erwerbers ist ebenso wenig gegeben wie bei Versorgungssystemen, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen. Denn dies würde eine von § 613a BGB
nicht geforderte Besserstellung der übergehenden Arbeitnehmer bedeuten. Vor allem könnten dann Ansprüche aus der ursprünglich beim Veräußerer geltenden Versorgungsregelung
u. U. mit den Ansprüchen aus der beim Erwerber geltenden Versorgungsregelung kumulieren1045.
Praxishinweis: Um eine leistungserhöhende Anrechnung von Beschäftigungszeiten beim
Veräußerer und ggf. eine Kumulation von Zusagen zu vermeiden, sollte vor dem Betriebsübergang dringend ausgelotet werden, ob dahin gehende Ergänzungen/Anpassungen der tarifvertraglichen Regelung des Erwerbers notwendig und möglich sind (beispielsweise durch
Ergänzungstarifvertrag). Wegen zweitinstanzlicher Rechtsprechung1046 empfehlen sich hier
möglichst klare Formulierungen und Abgrenzungen. Sollten solche Anpassungen nicht möglich sein, ist dies bei der Kaufpreisfindung zu berücksichtigen.
1043
Nach LAG Düsseldorf v. 25.02.2014 (6 Sa 1431/13) wird der zu wahrende Besitzstand entgegen
der BAG-Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich geschuldet.
1044
BAG v. 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, DB 2010, 1131.
1045
LAG Düsseldorf, v. 25.02.2014 – 6 Sa 1431/13.
1046
LAG Düsseldorf v. 25.02.2014 – 6 Sa 1431/13,
entgegen BAG v. 24.07.2001 – 3 AZR 660/00.
350
dd) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Das Schreiben nach § 613a Abs. 5 BGB sollte informieren über:
 die Geltung der einschlägigen tariflichen Versorgungsregelungen im Betrieb des Erwerbers,
 die dadurch verursachte Unwirksamkeit der bisherigen betrieblichen Regelung, jedoch
mit Bestandsschutz für die erworbenen Versorgungsanwartschaften,
 die Möglichkeit, in den Geltungsbereich der tariflichen Regelung aufgenommen zu
werden, jedoch unter Anrechnung der bereits beim Veräußerer erworbenen Ansprüche
oder mit Nichteinbeziehung der beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten.
Formulierungsvorschlag:
„Die bei der Firma V bisher geltende Versorgungsordnung kann aus rechtlichen Gründen von
der Firma E weder übernommen noch weitergeführt werden, da für die Firma E insoweit der Tarifvertrag ... gilt, der gegenüber der bisherigen betrieblichen Regelung Vorrang genießt. Ihre
bisher erworbenen Versorgungsanwartschaften bleiben davon jedoch unberührt. Soweit Sie
Mitglied der für die Firma E zuständigen Gewerkschaft ... sind oder werden, fallen Sie ebenfalls
unter den Geltungsbereich dieser tariflichen Regelung und können/werden danach Versorgungsansprüche erwerben. Auf diese werden Ihre bei der Firma V erworbenen Versorgungsansprüche, soweit rechtlich zulässig, angerechnet.“
h) Veräußerer: Individualrechtliche Regelung / Erwerber: Tarifvertrag
aa) Fortbestand der einzelvertraglichen Regelung, gegebenenfalls Überlagerung
Ist beim Veräußerer die betriebliche Altersversorgung auf individualrechtlicher Grundlage geregelt, bewirkt der beim Erwerber geltende Tarifvertrag nicht deren Unwirksamkeit. Die Zusage geht vielmehr nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Sie wird lediglich
bei normativer Geltung der tariflichen Regelung des Erwerbers (d. h. der Arbeitnehmer ist
Mitglied der Gewerkschaft) überlagert, wenn sie für die übergehenden Arbeitnehmer ungünstiger als die tarifliche Regelung ist. Ist sie hingegen für die übergehenden Arbeitnehmer
günstiger i. S. v. § 4 Abs. 3 TVG, bleibt sie bestehen.
Die Überlagerung einer einzelvertraglichen Regelung wirkt sich nur für die Zukunft aus. Die
bereits erworbenen Versorgungsanwartschaften der übergehenden Arbeitnehmer bleiben
erhalten. Die übergehenden Arbeitnehmer können nicht verlangen, so gestellt zu werden, als
wären sie von Anfang an beim Erwerber beschäftigt gewesen. Die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind dementsprechend vom Erwerber auch nicht anzurechnen. Insoweit ist die Rechtslage ebenso zu bewerten, wie bei der Verdrängung einer beim
Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarung durch einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag.
bb) Inhalt des Informationsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB
Der Inhalt des Informationsschreibens hängt davon ab, ob die individualrechtliche Versorgungsregelung des Veräußerers günstiger ist als der Tarifvertrag des Erwerbers. Die Arbeitnehmer sollten über Folgendes informiert werden:
 dass beim Erwerber eine tarifliche Regelung zur betrieblichen Altersversorgung besteht,
 ob diese tarifliche Regelung die bisher beim Veräußerer geltende Regelung ablöst und
351
 welche Folgen eine Ablösung für ihre Versorgungsansprüche hat.
Formulierungsvorschlag:
„Für die Firma E gilt der Tarifvertrag ... Sollte dieser Tarifvertrag auf Ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden, werden sich Ihre Versorgungsansprüche ab dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs ausschließlich danach richten, wobei Ihre bei der Firma V zurückgelegten
Beschäftigungszeiten nicht angerechnet werden. Ihre während Ihrer Beschäftigungszeit bei der
Firma V bereits erdienten Versorgungsanwartschaften bleiben Ihnen jedoch in der bis zum Betriebsübergang entstandenen Höhe erhalten. Die ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs bei
der Firma E erworbenen Anwartschaften werden hierauf angerechnet.“
Alternativ:
„Die Ihnen von der Firma V erteilte Versorgungszusage wird von der Firma E übernommen und
nach Maßgabe der bisherigen Versorgungsordnung als Inhalt Ihres Arbeitsverhältnisses weitergeführt. Der für die Firma E einschlägige Tarifvertrag ... findet auf Ihr Arbeitsverhältnis derzeit
keine Anwendung, da die übergehende und weitergeführte Regelung zurzeit günstiger ist als
die tarifliche Regelung.“
Alternativ: „... es sei denn, Sie sind oder werden Mitglied der für die Firma E zuständigen Gewerkschaft.“
i) Tarifvertrag bei Veräußerer und Erwerber
aa) Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied – Ablösung oder Transformation
Der – seltene – Fall, dass sowohl beim Veräußerer als auch beim Erwerber tarifliche Regelungen zur Altersversorgung gelten und diese bei dem Arbeitnehmer normativ greifen1047,
muss nach den allgemeinen Konkurrenzregeln gelöst werden. Soweit eine Ablösung nach §
613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht erfolgt, werden die beim Veräußerer geltenden tariflichen Regelungen transformiert und müssen weiterhin auf die übergehenden Arbeitsverhältnisse angewendet werden. Im Fall einer Ablösung gelten die gleichen besitzstandswahrenden
Grundsätze, die das BAG zu kollidierenden Betriebsvereinbarungen aufgestellt hat.
bb) Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
Die Arbeitnehmer sollten über Folgendes informiert werden:
 ob der bisherige Tarifvertrag transformiert wird bzw. statisch weitergilt oder ob er durch
den für den Betrieb des Erwerbers geltenden Tarifvertrag abgelöst wird,
 welche Folgen eine Ablösung für die Versorgungsansprüche hat.
1047
Wenn der Arbeitnehmer nicht Gewerkschaftsmitglied ist, der Tarifvertrag des Veräußerers jedoch
kraft Bezugnahmeklausel gilt, s. Kapitel D.II.1.f.
352
Formulierungsvorschlag:
„Die Ihnen von der Firma V auf der Grundlage des Tarifvertrages ... erteilte Versorgungszusage
wird von der Firma E übernommen und auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs geltenden tariflichen Regelungen als Inhalt Ihres Arbeitsverhältnisses weitergeführt. Die für die Firma E geltenden Bestimmungen des Tarifvertrages ... sind auf Ihr Arbeitsverhältnis derzeit nicht anwendbar. Falls Sie Mitglied der für die Firma E zuständigen Gewerkschaft werden, richten sich Ihre Versorgungsansprüche ab diesem Zeitpunkt ausschließlich
nach dem für die Firma E geltenden Tarifvertrag. Ihre bei der Firma V zurückgelegten Beschäftigungszeiten werden dann angerechnet / nicht angerechnet. Ihre auf Grundlage der Versorgungsregelung der Firma V bis dahin erdienten Versorgungsanwartschaften bleiben Ihnen jedoch erhalten. Die nach dem Tarifvertrag der Firma E erworbenen Anwartschaften werden hierauf angerechnet.“
Alternativ:
„Die Ihnen von der Firma V auf der Grundlage des Tarifvertrages ... erteilte Versorgungszusage
wird ab dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs durch die für die Firma E geltenden Bestimmungen des Tarifvertrages ... abgelöst. Die noch zu erdienende Versorgungsanwartschaft richtet sich ausschließlich nach den für die Firma E geltenden tariflichen Bestimmungen. Ihre bei
der Firma V zurückgelegte Beschäftigungszeit wird angerechnet / nicht angerechnet. Ihre bis
zum Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs erdiente Versorgungsanwartschaft bleibt erhalten.
Die nach dem Tarifvertrag der Firma E erworbenen Anwartschaften werden hierauf angerechnet.“
Zusammenfassender Überblick
Beim Veräußerer
Individualvertragliche
Grundlage
Betriebsvereinbarung
Individual-vertragliche Grundlage
Betriebsvereinbarung
Tarifvertrag
Unveränderte Weitergeltung
Transformation
Transformation
Ablösung, aber Bestandsschutz
Transformation, keine
Über-KreuzAblösung
BV wird wegen Tarifvorrang unwirksam,
Erfassung von TV
durch Tarifbindung
oder Bezugnahmeklausel unter Besitzstandswahrung
Ablösung unter Besitzstandswahrung oder
Transformation
 Einzelvertraglich: keine Kollision, sondern
unveränderte Weitergeltung (P) Geltungsbereich der BV
ggf. anpassen
 Kollektiver Bezug:
wenn BV-offen Ablösung unter Besitzstandswahrung
Beim
Erwerber
Tarifvertrag
Unveränderte Weitergeltung, ggf. Überlagerung durch TV (Günstigkeitsprinzip)
353
3. Versorgungsregelung nicht bei Veräußerer, nur bei Erwerber
a) Keine Kollision möglich
Besteht im Eingliederungsfall lediglich beim Erwerber ein betriebliches Versorgungssystem,
sind auch keine nach § 613a BGB übergehenden Versorgungsverbindlichkeiten zu übernehmen. Der Erwerber hat die Wahl, ob er die übergehenden Arbeitnehmer überhaupt in die
Altersversorgung aufnehmen will und - wenn ja - ob er die beim Veräußerer zurückgelegten
Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Versorgungsanwartschaften werterhöhend berücksichtigt.
aa) Ausschluss der übergehenden Arbeitnehmer vom betrieblichen
Versorgungssystem
Der Erwerber kann die übergehenden Arbeitnehmer in ein bereits bei ihm bestehendes Versorgungswerk aufnehmen. Er muss dies jedoch nicht tun.1048
Zu einer automatischen Aufnahme in das Versorgungswerk kann es kommen, wenn das
Versorgungswerk nicht für Neuzugänge bzw. für aufgrund eines Betriebsübergangs übergehende Arbeitnehmer geschlossen ist. Dies ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln. Will
der Erwerber, dass keine Aufnahme in sein Versorgungswerk erfolgt, sollte er dies explizit
regeln. Bei Zusagen auf individualvertraglicher Basis bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung des Erwerbers gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern. Beruht die Zusage des
Erwerbers auf einer kollektivrechtlichen Regelung (insb. Betriebsvereinbarung), ist eine Einschränkung des Geltungsbereichs vor Betriebsübergang notwendig.1049 In Betracht kommt
zudem eine generelle Schließung des Versorgungswerkes, etwa durch Kündigung der Betriebsvereinbarung.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht einer solchen Vorgehensweise in der durch § 613a
BGB bewirkten Übergangssituation1050 dann nicht entgegen, wenn die übergehenden Arbeitnehmer weiterhin zum erworbenen Betrieb gehören. Bei einem Wechsel der betroffenen Arbeitnehmer in einen Betrieb des Erwerbers, in dem eine Altersversorgung besteht, müssen
sonstige sachliche Gründe für eine Differenzierung bestehen.1051 Auch besteht langfristig ggf.
die Notwendigkeit, bei einer Harmonisierung von Vergütungs- und Versorgungsregelungen
den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten.1052
Praxishinweis: Um mögliche Haftungstatbestände auszuschließen, sollte der Erwerber seine kollektivrechtlichen Versorgungsregelungen vor dem Betriebsübergang anpassen
und/oder den übergehenden Arbeitnehmern ausdrücklich mitteilen, dass für sie keine betriebliche Altersversorgung besteht. Zur Information bietet sich das an die übergehenden Arbeitnehmer zu richtende Informationsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB an.
Wie der Ausschluss aus der Versorgungsregelung bei individuellen Zusagen (mit oder ohne
kollektiven Bezug) erfolgt und wie die Arbeitnehmer davon Kenntnis erlangen, hängt insb.
auch von dem jeweiligen Rechtsbegründungsakt der Zusage ab.
Diese Möglichkeiten des Erwerbers bestehen grundsätzlich auch dann, wenn die betriebliche
Altersversorgung in einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung geregelt ist.
1048
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 91; BAG v. 25.08.1976 – 5 AZR 788/75, DB 1977, 358.
dazu insgesamt: Höfer, BetrAVG, Kap. 9, Rn. 89 ff.
1050
Kemper, BetrAVG, § 1b Rn. 90.
1051
Höfer, BetrAVG, Kapitel 9, Rn. 90.
1052
Kemper, BetrAVG, § 1b Rn. 90.
1049
354
Insoweit ist allerdings schon umstritten, ob eine Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung
automatisch auf neu hinzukommende Betriebe erstreckt wird. Geht man von einer solchen
Erstreckung aus, muss der Erwerber vor dem Betriebsübergang dafür sorgen, dass sich der
Geltungsbereich einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung nicht auf den neu hinzukommenden Betrieb erstreckt. Allerdings dürfte insoweit jedoch der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten sein, da dieser zumindest im individualrechtlichen Bereich unternehmensweite Geltung hat.1053 Zur Differenzierung zwischen einzelnen Betrieben bedarf es damit sachlicher Gründe, für die der Erwerber darlegungs- und ggf. beweisbelastet ist.
Praxishinweis: Es empfiehlt sich daher, auch bei einer Regelung über eine Gesamt- oder
Konzernbetriebsvereinbarung, diese entsprechend der gewünschten Vorgehensweise anzupassen.
bb) Einbeziehung der übergehenden Arbeitnehmer ins betriebliche
Versorgungssystem
Will der Erwerber die übergehenden Arbeitnehmer in seine Versorgungszusage einbeziehen,
kann er die Höhe von Versorgungsanwartschaften allein auf der Grundlage der bei ihm zurückgelegten Beschäftigungszeiten berechnen. Das gilt zumindest dann, wenn die betriebliche Altersversorgung beim Erwerber individualvertraglich oder durch Betriebsvereinbarung
geregelt ist. Beim Veräußerer zurückgelegte Beschäftigungszeiten muss er nicht anrechnen1054. Er ist darin frei, Vorbeschäftigungszeiten als wertbildende Faktoren außer Ansatz zu
lassen. Denn die übergehenden Arbeitnehmer tragen erst ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs zur Wertschöpfung des Unternehmens bei1055. § 613a BGB steht dem nicht entgegen. Denn diese Vorschrift schützt den Inhalt des Arbeitsverhältnisses nur so weit, wie er
im Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht. Alles andere wäre ein Vorteil, der ohne den Betriebsübergang nicht bestünde. Zudem begründet die Betriebszugehörigkeit allein für sich
keine Rechte1056.
Bei einer tarifvertraglichen Regelung des Erwerbers entstehen Ansprüche der übergehenden
Arbeitnehmer, wenn die beim Erwerber geltenden Tarifverträge auf ihre Arbeitsverhältnisse
anzuwenden sind. Dies ist insb. der Fall bei normativer Geltung gemäß § 4 Abs. 1 TVG oder
bei einer Bezugnahmeklausel.
Im Übrigen können die Arbeitnehmer tarifvertragliche Ansprüche nur dadurch herbeiführen,
dass sie in die für den Erwerber zuständige Gewerkschaft eintreten. Dann kommt es nach §
613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu einer Ablösung hinsichtlich aller beim Erwerber geltenden Tarifverträge mit gleichem Regelungsgegenstand1057.
b) Inhalt des Informationsschreibens gemäß § 613a Abs. 5 BGB
Der Inhalt des Informationsschreibens ist davon abhängig, ob der Erwerber (1) die übergehenden Arbeitnehmer in das bei ihm bestehende Versorgungswerk aufnimmt und (2) ob er
die beim Veräußerer zurückgelegten Beschäftigungszeiten anrechnet.
1053
BAG v. 17.11.1998 – 1 AZR 147/98, NZA 1999, 606.
BAG v. 30.08.1979 – 3 AZR 58/78, DB 1979, 2431;
BAG v. 19.12.2000 – 3 AZR 451/99, NZA 2002, 615.
1055
BAG v. 19.12.2000 – 3 AZR 451/99, NZA 2002, 615.
1056
BAG v. 30.08.1979 – 3 AZR 58/78, DB 1979, 2431.
1057
dazu eingehend Kapitel D. III. 2. a).
1054
355
Die übergehenden Arbeitnehmer sollten also über folgende Umstände informiert werden:
 Ob sie in das beim Erwerber geltende Versorgungswerk aufgenommen werden und
 ob ihre beim Veräußerer zurückgelegte Beschäftigungszeit angerechnet wird.
Formulierungsvorschlag:
„Sie werden ab dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs in das bei der Firma E bestehende
Versorgungswerk aufgenommen und können nach den hierfür bestehenden Richtlinien einen
Betriebsrentenanspruch erwerben. Ihre bei der Firma V zurückgelegten Beschäftigungszeiten
werden angerechnet / (nicht) angerechnet, sodass Sie in Bezug auf die betriebliche Altersversorgung von der Firma E wie ein neu eingestellter AN behandelt werden. Damit gilt für den Erwerb und die Höhe der späteren Betriebsrente der Zeitpunkt des Betriebsübergangs als Ihr Eintrittszeitpunkt.“
Alternativ bei Schließung:
„Das bei der Firma E bestehende Versorgungswerk ……. wurde für Neueintritte und Arbeitnehmer, die gem. § 613a BGB auf die Firma E übergehen, geschlossen. Sie erwerben daher keine
Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung auf Basis dieses Versorgungswerks.“
Zusammenfassender Überblick
Reaktionsmöglichkeit des Erwerbers
(Versorgungsordnung nicht beim Veräußerer, aber beim Erwerber)
Kollision nicht möglich
Ausschluss der übernommenen Arbeitnehmer
(A) Gilt dann auch zwingend für neu eingestellte Arbeitnehmer nach
Betriebsübergang
Individualvertragliche Grundlage
Betriebsvereinbarung
Ausdrücklicher
Ausschluss neu
eintretender
Arbeitnehmer vor
Betriebsübergang
(im Betrieb und im
Informationsschreiben)
einvernehmliche
Einschränkung des
Geltungsbereichs
oder Kündigung der
Betriebsvereinbarung
Tarifvertrag
i. d. R. nicht möglich
wegen Tarifbindung
Einbeziehung der
übernommenen
Arbeitnehmer
Höhe der
Versorgungsanwartschaft
= Beschäftigungszeiten
können erst ab
Betriebsübergang
berücksichtigt werden
V. Sonderfall: Entgeltumwandlung
1. Grundsätzliche Erwägungen
Einen Sonderfall stellt die durch Entgeltumwandlung finanzierte betriebliche Altersversorgung dar. Diese kennzeichnet sich dadurch, dass selbst bei tariflichen oder betrieblichen
Regelungen eine einzelvertragliche Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien über
die Umwandlung von Entgeltbestandteilen abgeschlossen werden muss. Diese Entgeltumwandlungsvereinbarung geht nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber über. Der
Erwerber ist hieran ebenso gebunden wie früher der Veräußerer.
356
Damit bleibt sowohl die Höhe und/oder Art des umzuwandelnden Entgeltbestandteils wie
auch der gewählte Durchführungsweg maßgebend. Allerdings kann für die Arbeitnehmer
u. U. ein außerordentliches Kündigungsrecht hinsichtlich der Umwandlungsvereinbarung bestehen, wenn z. B. der umgewandelte Entgeltbestandteil entfällt oder sich Änderungen beim
Entgelt des Arbeitnehmers ergeben.
Beispiel:
Arbeitnehmer A hatte mit dem Veräußerer V vereinbart, dass 50 % der tariflichen Sonderzahlung umgewandelt werden und der Betrag in eine Pensionskasse eingezahlt wird. Nach dem
Betriebsübergang finden auf das Arbeitsverhältnis des A die beim Erwerber E einschlägigen Tarifverträge Anwendung, die keine oder nur eine wesentlich geringere Sonderzahlung vorsehen.
2. Problematik: Unternehmens- oder branchenspezifische Versorgungseinrichtung
Schwierigkeiten können sich für den Erwerber bei einem Durchführungsweg ergeben, der
nur dem Veräußerer offensteht. Dies kann etwa bei der Pensionskasse einer bestimmten
Branche der Fall sein, die nur branchenangehörige Unternehmen aufnimmt. Dem Erwerber
wird dann die Durchführung der Entgeltumwandlungsvereinbarung unmöglich. Jedoch ist er
– wie bei der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung – verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine gleichwertige Altersversorgung zu verschaffen.
Problematisch ist insbesondere, dass die beim früheren Versorgungsträger bereits bestehenden Anwartschaften nicht automatisch übertragen werden, der Arbeitnehmer ggf. wieder
„bei Null“ anfangen muss. Ein Übertragungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 4 Abs. 4
BetrAVG besteht nicht. Denn das Arbeitsverhältnis wird durch den Betriebsübergang nicht
beendet. Es müsste jedoch eine freiwillige Vereinbarung zwischen dem alten und dem neuen
Versorgungsdienstleister, dem Erwerber und dem Arbeitnehmer über die Übertragung des
sog. Barwerts möglich sein.
3. Problematik: Wechsel der tariflichen Rahmenbedingungen
Fraglich ist auch, wie sich – insbesondere hinsichtlich der Umwandlung tarifvertraglicher
Entgeltbestandteile – eine Änderung der tariflichen Rahmenbedingungen auswirkt.
Unerheblich dürfte es i. d. R. sein, wenn die kollektivrechtliche Vereinbarung entfällt, die
Grundlage für die einzelvertragliche Entgeltumwandlungsvereinbarung ist. Denn die Entgeltumwandlungsvereinbarung enthält üblicherweise alle notwendigen Bestandteile, ist also
auch ohne die maßgebende kollektivrechtliche Regelung „lebensfähig“.
Probleme kann es allerdings dann geben, wenn tarifliche Regelungen insbesondere von den
gesetzlichen Vorgaben in § 1a BetrAVG abweichen, also z. B. nur die Umwandlung bestimmter Entgeltbestandteile (z. B. vermögenswirksamer oder altersvorsorgewirksamer Leistungen) zulassen.
Hier muss bei der rechtlichen Lösung differenziert werden.
a) Tarifvertrag des Veräußerers weicht von § 1a BetrAVG ab
Wenn beim Veräußerer ein Tarifvertrag mit eigenständigen Regelungen zur Entgeltumwandlung galt, stellt sich die Frage, ob Erwerber und Arbeitnehmer auch nach dem Betriebsübergang noch an die entsprechenden tariflichen Vorgaben gebunden sind.
357
Bei tariflichen Regelungen über das Ob und die Ausgestaltung von Entgeltumwandlungsvereinbarungen handelt es sich um Inhaltsnormen, da mit ihnen Rechte und Pflichten der
Arbeitsvertragsparteien geregelt werden. Diese werden gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB
transformiert, gelten also auch nach dem Betriebsübergang weiter. Etwas anderes gilt, wenn
die Tarifvertragsparteien zugunsten der Arbeitnehmer etwas anderes oder die Geltung eines
anderen Kollektivvertrages gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB vereinbaren.
Beispiel:
Der beim Veräußerer V geltende Tarifvertrag sieht vor, dass die Arbeitnehmer nur bestimmte
Entgeltbestandteile, z. B. die vermögenswirksamen Leistungen, umwandeln können. Erwerber
E ist an diese Tarifverträge nicht gebunden. Kann Arbeitnehmer A nach dem Betriebsübergang
von E die Umwandlung anderer Entgeltbestandteile (z. B. eine tarifliche Sonderzahlung) verlangen bzw. kann E den übergehenden Arbeitnehmern den Abschluss entsprechender Entgeltumwandlungsvereinbarungen anbieten?
Die übergehenden Arbeitnehmer haben keinen Anspruch auf den Abschluss von Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die von den transformierten tariflichen Regelungen abweichen. Es
dürfte aber rechtlich zulässig sein, wenn der Erwerber mit den übergehenden Arbeitnehmern
entsprechende Vereinbarungen trifft, da diese i. d. R. günstiger sein werden.
b) Tarifvertrag des Erwerbers weicht von § 1a BetrAVG ab
Die umgekehrte Problematik kann sich stellen, wenn die beim Erwerber geltenden Tarifverträge die Möglichkeiten der Entgeltumwandlung entweder in Höhe und/oder Art der umwandelbaren Entgeltbestandteile oder bei den Durchführungswegen beschränken. Die bereits
bestehenden Entgeltumwandlungsvereinbarungen sind aber weiterhin wirksam, auch wenn
die maßgebliche tarifliche Rechtsgrundlage entfällt.
4. Inhalt des Informationsschreibens nach § 613a Abs. 5 BGB
In der Regel wird eine bereits abgeschlossene Entgeltumwandlungsvereinbarung ohne
rechtliche Probleme weitergeführt werden können oder müssen. Für Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die nach dem Betriebs(teil)übergang abgeschlossen werden, sind ggf. veränderte Rechtsgrundlagen in Form anderer tariflicher Regelungen zu beachten.
Die Arbeitnehmer sollten daher über Folgendes informiert werden:
 dass bestehende Entgeltumwandlungsvereinbarungen vom Betriebs(teil)übergang
nicht berührt werden,
 dass ggf. andere Rechtsgrundlagen für Entgeltumwandlungsvereinbarungen bestehen.
Formulierungsvorschlag:
„Sollten Sie mit der Firma V eine Entgeltumwandlungsvereinbarung getroffen haben, wird diese
ab dem Zeitpunkt des Betriebs(teil)übergangs von der Firma E übernommen und nach Maßgabe der bisherigen Bedingungen unverändert weitergeführt. Sollten Sie mit der Firma V keine
Entgeltumwandlungsvereinbarung getroffen haben, steht es Ihnen frei, ob Sie nach dem Betriebs(teil)übergang eine solche Vereinbarung mit der Firma E treffen wollen. Für die Firma E ist
insoweit der Tarifvertrag ... maßgebend, der die näheren Bedingungen für Entgeltumwandlungsvereinbarungen festlegt.“ Evtl. ergänzend (bei Transformation): „Soweit dieser Tarifvertrag auf Ihr Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet, ist es Ihnen freigestellt, auch Entgeltumwandlungsvereinbarungen auf der für Sie bisher geltenden tariflichen Rechtsgrundlage abzuschließen.“
358
Kapitel I: Betriebsverfassungsrecht
363
I. Auswirkungen eines Betriebs(teil)übergangs auf das Amt des Betriebsrates
363
1. Einzelbetriebsrat
363
a) Schicksal des Betriebsratsmandats
363
b) Übergangsmandat
364
aa) Abgrenzung zum Restmandat
bb) Inhalt des Übergangsmandats
cc) Reichweite des Übergangsmandats
dd) Kosten der Betriebsratstätigkeit
ee) Verlagerung ins Ausland
364
364
365
365
365
c) Übergang eines gesamten Betriebes
366
aa) unveränderte Fortführung des übernommenen Betriebes
366
bb) Eingliederung des übernommenen Betriebes in den Betrieb des Erwerbers
367
(1) Betriebsrat im Betrieb des Erwerbers
367
(2) Kein Betriebsrat im Betrieb des Erwerbers
368
cc) Zusammenführung des übernommenen Betriebes mit anderen Betrieben des
Erwerbers
369
d) Übergang eines Betriebsteils
370
aa) Betriebsratsmandat im Veräußererbetrieb
(1) Betriebsabspaltung
(2) Betriebsaufspaltung
bb) Betriebsratsmandat im Erwerberbetrieb
(1) Weiterführung als selbstständiger Betrieb
(2) Eingliederung in den Betrieb des Erwerbers
(3) Zusammenführung mehrerer Betriebsteile
(4) Sonderfall: Betriebsaufspaltung führt zum gemeinsamen Betrieb
370
370
371
371
371
372
373
374
e) Übergang von Kleinbetrieben/Betrieben gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
375
f) Sonderfall: Regelungen gemäß § 3 BetrVG
375
aa) Regelung nach § 3 BetrVG im Erwerberbetrieb
bb) Regelung nach § 3 BetrVG im Veräußererbetrieb
(1) Veräußerung eines gesamten Unternehmens mit mehreren Betrieben
(2) Übergang einzelner Betriebe oder Betriebsteile
376
376
376
377
2. Gesamtbetriebsrat (GBR)
378
a) Betriebsübergang eines oder mehrerer Betriebe
378
aa) Gesamtbetriebsrat beim Veräußerer
bb) Situation beim Erwerber
378
378
b) Entstehung eines Gemeinschaftsbetriebs
380
c) Sonderfall: Betriebsaufspaltung
380
3. Konzernbetriebsrat
381
a) beim Veräußerer
381
b) beim Erwerber
382
359
II. Beteiligungsrechte in Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang
382
1. Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht – §§ 111 ff. BetrVG
382
a) Grundsatz
382
b) Sonderprobleme
383
aa) Betriebsübergang gleich Betriebsänderung?
bb) Spaltung eines Betriebs nach § 111 Nr. 3 BetrVG
(1) Besitz- und Produktionsgesellschaft
(2) Bagatellausgründungen
(3) Spaltung führt zum Gemeinschaftsbetrieb
cc) Personalabbau
dd) Sozialplan bei unerkanntem oder überraschendem Betriebsübergang
383
383
383
384
385
385
385
c) Auszugleichende Nachteile
386
d) Betriebsänderung nach Betriebs(teil)übergang
386
e) Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegen Betriebsübergang
387
aa) Übertragung eines gesamten Betriebs – Übergangs- oder Restmandat?
(1) Widerspruch einzelner Arbeitnehmer
(2) Kollektiver Widerspruch
bb) Übertragung von Betriebsteilen
(1) Sozialauswahl
(2) Interessenausgleich und Sozialplan
387
387
387
388
388
388
2. Anhörung nach § 102 BetrVG
390
a) Übergang eines gesamten Betriebes
390
b) Übergang eines Betriebsteils
391
3. Datenschutz
391
a) Information des Erwerbers (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG)
391
b) Position des Datenschutzbeauftragten
391
4. Information des Wirtschaftsausschusses
392
III. Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder nach Betriebs(teil)übergang
393
1. Problemstellung / Ausgangslage
393
a) Übergang eines gesamten Betriebes
393
b) Übergang eines Betriebsteils
393
2. Zusammensetzung des Betriebsrat beim Übergangsmandat
394
3. Widerspruch eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 613a Abs. 6 BGB
395
a) Betriebsteilübergang - Beibehaltung der Mitgliedschaft im Betriebsrat
395
aa) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 5 KSchG (andere
Betriebsabteilung)
bb) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nach § 1 KSchG (anderer Betrieb im
Unternehmen)
397
397
b) Übergang eines gesamten Betriebes - Erlöschen der Mitgliedschaft im Betriebsrat
aa) Zustimmungserfordernis § 103 Abs. 1 BetrVG
398
398
360
bb) Anhörungserfordernis § 102 Abs. 1 BetrVG
cc) Sonderkündigungsschutz § 15 Abs. 1 und Abs. 4 KSchG
398
398
361
Kapitel I: Betriebsverfassungsrecht
I. Auswirkungen eines Betriebs(teil)übergangs auf das Amt des Betriebsrates
1. Einzelbetriebsrat
§ 613a BGB hat vorrangig die individualrechtlichen Folgen eines Betriebsübergangs zum Inhalt. Zu den kollektivrechtlichen Folgen enthält § 613a BGB nur insoweit eine Regelung, wie
es um die Geltung kollektivrechtlicher Normen im Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang geht. Zu den kollektivrechtlichen Auswirkungen auf den Betriebsrat, das Betriebsratsmandat, den Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat enthält § 613a BGB keine Aussagen.
Allein § 21a BetrVG sieht ein Übergangsmandat vor bei einer Betriebsspaltung oder einer
Betriebszusammenfassung.
a) Schicksal des Betriebsratsmandats
Geht ein Betrieb oder Betriebsteil über, stellt sich die Frage, ob der für diesen Betrieb gewählte Betriebsrat auch beim Erwerber weiterhin im Amt bleibt oder nicht. Dabei sind drei
verschiedene Alternativen denkbar. Welche dieser Alternativen eingreift, hängt von der jeweiligen Fallkonstellation ab.
§ 613a BGB - Betriebsratsmandat
Vollmandat
Übergangsmandat
Betriebsrat des
übergehenden Betriebes
weiterhin im Amt
Betriebsrat des
übergehenden Betriebes
im Rahmen des sog.
Übergangsmandats
(§ 21a BetrVG) weiterhin
für die übergehenden
Arbeitnehmer zuständig
Mandats-/Amtsverlust
Anderer Betriebsrat
zuständig
- zum einen der
Betriebsrat im Betrieb
des Erwerbers oder –
- bei der Zusammenfassung von Betrieben
der Betriebsrat des
größten Betriebes
(Übergangsmandat)
Praxishinweis: Nach der Einführung des § 21a BetrVG ist ein betriebsratsloser Zustand bei
einem Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang nur noch in Ausnahmefällen denkbar. Ein solcher
Ausnahmefall liegt vor, wenn der übergehende Betrieb oder Betriebsteil nach dem Betriebsübergang nicht mehr dem Geltungsbereich des BetrVG unterfällt, z. B. mangels Betriebsratsfähigkeit (§ 1 BetrVG) oder als Einrichtung einer Religionsgemeinschaft (§ 118 Abs. 2 BetrVG) oder als Verwaltungseinrichtung (LPersVGe, BPersVG).
363
b) Übergangsmandat
aa) Abgrenzung zum Restmandat
Das Betriebsverfassungsrecht sieht zwei besondere Betriebsratsmandate vor, um bei betrieblichen Strukturmaßnahmen einen betriebsratslosen Zustand für die betroffenen Arbeitnehmer zu vermeiden. Zum einen das sog. Übergangsmandat in § 21a BetrVG und das sog.
Restmandat in § 21b BetrVG. In Einzelfällen kann es bei Umstrukturierungen zur Kollision
von Übergangs- und Restmandat kommen. Es ist bislang nicht geklärt, wie solche Kollisionen aufzulösen sind.
Beispiel:
1058
Ein Unternehmen unterhält ca. 30 km voneinander entfernt liegende Betriebe (Betrieb A und
Betrieb B). In beiden Betrieben ist ein Betriebsrat gewählt (Betriebsrat A und Betriebsrat B).
Durch eine gestaltende Unternehmensentscheidung wird Betrieb B vollständig aufgelöst und
komplett in Betrieb A eingegliedert. In Betrieb B ist ein Arbeitnehmer beschäftigt, dem mitten in
der Auflösungs- und Eingliederungsphase gekündigt werden soll. In dieser Konstellation stellt
sich die Frage, welcher Betriebsrat für die Anhörung nach § 102 BetrVG zuständig ist. Betriebsrat A könnte sich auf ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG berufen, Betriebsrat B auf ein
Restmandat nach § 21b BetrVG.
Übergangsmandat
Restmandat
betroffener Betrieb/
Betriebsteil
Ursprungsbetrieb/-betriebsteil
Ursprungsbetrieb
zuständiger Arbeitgeber
Erwerber
Veräußerer
vollumfänglich
nur Mitbestimmungsrechte im
Zusammenhang mit Betriebsschließung (insbesondere
§ 111 f. BetrVG)
inhaltliche Reichweite
zeitliche Begrenzung
Sonderaufgabe: Einleitung
Betriebsratswahlen
6 Monate
keine
ab Übergang der Leitungsmacht
bis Betriebsschließung
endgültig abgewickelt
bb) Inhalt des Übergangsmandats
Sollte im Fall eines Betriebsübergangs ein Übergangsmandat eingreifen, ist zu beachten,
dass dieses nach h. M. ein Vollmandat darstellt, d. h. dem Betriebsrat, dem ein Übergangsmandat zusteht, stehen alle gesetzlich geregelten Beteiligungsrechte sowie die sich aus dem
Betriebsratsamt selbst ergebenden Rechte, wie z. B. Zutrittsrechte, zu.1059 Auch an der personellen Zusammensetzung des Betriebsrats ändert sich während der begrenzten Zeit des
Übergangsmandats nichts.1060
1058
Lelley, DB 2008, 1433 zu betriebsübergreifender Umstrukturierung innerhalb eines Unterneh
mens.
1059
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 30; LAG München v. 11.03.2009, - 5 TaBV 6/08,
n. v.
1060
Schulze, ArbRAktuell 2013, 413.
364
Daneben ist er nach § 21a BetrVG verpflichtet, unverzüglich, d. h. schnellstmöglich neue Betriebsratswahlen einzuleiten. Sein Mandat endet mit der Wahl eines neuen Betriebsrates,
spätestens mit Ablauf von sechs Monaten.
Praxishinweis: Das Übergangsmandat kann für den Erwerber vor allem zu Problemen führen, weil der Betriebsrat, dem das Übergangsmandat zusteht, weiterhin beim Veräußerer im
Amt ist, insbesondere beim Erwerb von Betriebsteilen. Er muss dann ggf. den Betriebsrat
des Veräußerers, also eines fremden Betriebes, beteiligen. Damit besteht - trotz der Geheimhaltungspflicht gemäß § 79 BetrVG1061 - die Gefahr, dass Betriebsinterna des Erwerbers
zur Kenntnis eines fremden Betriebsrats gelangen.
cc) Reichweite des Übergangsmandats
Ob bzw. in welchem Umfang dem Betriebsrat im Rahmen des Übergangsmandats Beteiligungsrechte zustehen, richtet sich dabei nach den Verhältnissen des übergegangenen
Betriebes bzw. Betriebsteils. Dies ist vor allem relevant für Beteiligungsrechte, die erst ab
einer bestimmten Arbeitnehmerzahl eingreifen.
Wird z. B. ein Betriebsteil ausgegliedert und von einem Unternehmensträger übernommen,
der insgesamt weniger als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigt, kommen Beteiligungsrechte
nach § 99 BetrVG nach dem Betriebsübergang nicht mehr in Betracht.1062 Diese Frage ist allerdings höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Steht einem Betriebsrat sowohl im Ursprungsbetrieb als auch im ausgegliederten bzw. abgespaltenen Betriebsteil ein (Übergangs-)Mandat zu, kann er die ihm zustehenden Beteiligungsrechte nicht betriebs- bzw. unternehmensübergreifend geltend machen, d. h. er kann
z. B. keine Betriebsvereinbarungen abschließen, die für beide Betriebe gelten.1063
Das Übergangsmandat endet vor Ablauf der sechs Monate, sobald ein neuer Betriebsrat
gewählt und das Ergebnis bekannt gegeben ist.1064
dd) Kosten der Betriebsratstätigkeit
Wer die Kosten der Betriebsratstätigkeit im Rahmen des Übergangsmandats trägt, ist nicht
geregelt. Erstinstanzlich wurde entschieden, dass der alte und der neue Arbeitgeber dem
Betriebsrat gegenüber als Gesamtschuldner haften.1065
Das Übergangsmandat sei mit der Konstellation eines gemeinsamen Betriebes mehrerer Unternehmen vergleichbar1066. Nach anderer Ansicht soll die Kostenlast der Inhaber des Veräußererbetriebs tragen.1067
ee) Verlagerung ins Ausland
Die kollektivrechtlichen Fragen eines grenzüberschreitenden Betriebsübergangs sind von der
Rechtsprechung nicht geklärt. Das BAG hat lediglich zu den Rechtsfolgen des § 613a BGB
entschieden, dass auch ein grenzüberschreitender Betriebsübergang dem Wirkungsbereich
des § 613a BGB unterliegt.1068
1061
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 36.
Rieble, NZA 2002, 233.
1063
Rieble, NZA 2002, 233.
1064
Schulze, ArbRAktuell 2013, 413.
1065
ArbG Leipzig v. 05.05.2006 – 10 BV 57/05, NZA-RR 2007, 24.
1066
Schulze, ArbRAktuell, 2013, 413.
1067
Maschmann, NZA-Beilage 1/2009, 32; ErfK-Koch, § 21a BetrVG, Rn. 9.
1068
BAG v. 26.05.2011 – 8 AZR 37/10 ; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11.
1062
365
Wegen des geltenden Territorialitätsprinzips ist davon auszugehen, dass das Mandat des
Betriebsrates bei einer Betriebsverlagerung ins Ausland endet.1069
c) Übergang eines gesamten Betriebes
Bei der Frage nach dem Schicksal des Betriebsrats und seinem Mandat im Zusammenhang
mit einem Betriebsrat ist grundsätzlich zwischen dem Übergang eines gesamten Betriebs
und dem Übergang eines Betriebsteils zu unterscheiden.
§ 21a BetrVG setzt zwar § 613a BGB auf individualrechtlicher Ebene voraus, regelt aber die
betriebsverfassungsrechtlichen Fragen umstrukturierender Maßnahmen auf Betriebs- und
Unternehmensebene.
Beim Übergang des gesamten Betriebes muss hinsichtlich des Fortbestandes des Betriebsrates zwischen drei Fallkonstellationen unterschieden werden:1070
 unveränderte Fortführung
 Eingliederung des übernommenen Betriebes in den Erwerberbetrieb
 Zusammenführung mehrerer Betriebe
Geht ein gesamter Betrieb auf den Erwerber über und führt dieser den Betrieb unverändert
fort, so bleibt der Betriebsrat des übergehenden Betriebs weiterhin im Amt (Vollmandat).1071
Besondere Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen der Eingliederung und der Zusammenführung, da sich aufgrund von § 21a BetrVG dafür unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben. Bei der Eingliederung ist der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes zuständig, der
Betriebsrat des aufgenommenen Betriebes verliert sein Amt. Bei der Zusammenführung
übernimmt der Betriebsrat des größten Betriebes ein Übergangsmandat.
aa) Unveränderte Fortführung des übernommenen Betriebes
Wird ein ganzer Betrieb übernommen und vom Erwerber im Wesentlichen, d. h. unter Wahrung der Betriebsidentität unverändert fortgeführt, bleibt der Betriebsrat nach allgemeiner
Meinung im Amt1072 und behält in vollem Umfang die ihm nach dem BetrVG zustehenden Beteiligungsrechte.1073
Praxishinweis: Damit sind auch keine Neuwahlen anzusetzen, da der Betriebsübergang
selbst keinen Grund hierfür darstellt, der unter § 13 Abs. 2 BetrVG fällt.
Das BAG1074 hat ausdrücklich entschieden, dass der Erwerber in die Kostentragungspflicht
des Veräußerers nach § 40 Abs. 1 BetrVG eintritt. Eine gesamtschuldnerische Haftung
scheide zudem aus.
Das bedeutet auch, dass den Erwerber eines Betriebes im Wege der Einzelrechtsnachfolge
etwaige Verpflichtungen des Veräußerers gegenüber dem Betriebsrat jedenfalls dann treffen,
wenn diese Verpflichtung in einem früheren Beschlussverfahren rechtskräftig festgestellt
1069
Raif, Ginal, GWR 2013, 217.
Moderegger, ArbRB 2011, 281.
1071
BAG v. 05.02.1991 – 1 ABR 32/90.
1072
Hessisches LAG v. 14.03.2011 – 16 Sa 1677/10;
BAG v. 05.02.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639.
1073
LAG Bremen v. 18.12.2013 – 2 TaBV 39/12.
1074
BAG v. 20.08.2014 – 7 ABR 60/12.
1070
366
wurde, da § 325 ZPO für den Fall auch der Einzelrechtsnachfolge eine Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger anordnet.1075
Jedoch kann eine Entscheidung der gleichen Streitfrage dann wieder zulässig sein, wenn
sich der Sachverhalt wesentlich geändert hat; der Betriebsübergang selbst ist jedoch keine
solche wesentliche Änderung.1076
Beispiel:
1077
Der Erwerber erwirbt einen Betrieb mit 75 Arbeitnehmern, in dem der Betriebsrat gegen den
früheren Arbeitgeber eine rechtskräftige Entscheidung darüber erwirkt hatte, dass ihm Auskunft
über bestimmte wirtschaftliche Daten zu erteilen ist. Auf der Grundlage dieser Entscheidung
begehrt der Betriebsrat nach dem Betriebsübergang nunmehr vom Erwerber die entsprechenden Informationen. Das BAG hat entschieden, dass ein Erwerber aus einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts verpflichtet sein kann.
Diese Grundsätze dürften allerdings nicht in dem Falle gelten, in dem sich Veräußerer und
Betriebsrat im Vergleichswege geeinigt haben, da sich § 325 ZPO allein auf rechtskräftige
Entscheidungen bezieht. Die Rechtslage ist jedoch höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Höchstrichterlich ungeklärt ist ebenfalls, ob auch Titel, die der Betriebsrat im Rahmen eines
Verfahrens nach § 23 Abs. 3 BetrVG gegen den Veräußerer erwirkt hat, gegenüber dem Erwerber gelten. Dagegen spricht, dass es sich hier i. d. R. um eine höchstpersönliche Verpflichtung des Arbeitgebers handelt, die nicht übertragbar sein dürfte.
Unklar ist zudem, ob der Erwerber als Rechtsnachfolger des Veräußerers auch in solche
Verpflichtungen eintreten muss, die sich aus (vertraglichen) Vereinbarungen mit dem Betriebsrat, z. B. über Kostentragung, Verfahrensregelungen etc. ergeben. Ein gesetzlicher
Übergang solcher Verpflichtungen scheidet aus, da sich insbesondere § 613a Abs. 1 BGB
nur auf Regelungen bezieht, die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer regeln, also sog.
„Betriebsvereinbarungen“. Vereinbarungen, die den Arbeitgeber/Veräußerer gegenüber dem
Betriebsrat selbst verpflichten, sind davon nicht erfasst.
bb) Eingliederung des übernommenen Betriebes in den Betrieb des Erwerbers
(1) Betriebsrat im Betrieb des Erwerbers
Wird ein übernommener Betrieb in den Betrieb des Erwerbers eingegliedert, in dem ein Betriebsrat besteht, ist grundsätzlich der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes auch für die
übergehenden Arbeitnehmer zuständig. Der Betriebsrat des aufgenommenen Betriebes verliert sein Amt.1078
Da § 21a BetrVG allerdings bei einer Zusammenführung ein Übergangsmandat für den Betrieb des größten Betriebes normiert, ist die Abgrenzung zwischen Eingliederung und Zusammenführung hier von entscheidender Bedeutung. Damit stellt sich die Frage, wann eine
Eingliederung vorliegt. Dies ist vom BAG noch nicht entschieden. Einige Landesarbeitsgerichte1079 stellen wie auch die Literatur1080 für eine Eingliederung darauf ab, ob der aufneh1075
BAG v. 18.03.2008 – 1 ABR 3/07 für neuen Betriebsrat nach Verschmelzung und Zuordnungstarifvertrag gemäß § 3 BetrVG, NZA 2008, 1259; BAG v. 05.02.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639.
1076
BAG v. 05.02.1991 – 1 ABR 32/90, NZA 1991, 639.
1077
BAG v. 05.02.1991 1 ABR 32/09, NZA 1991, 639.
1078
BAG v. 21.01.2003 - 1 ABR 9/02, NZA 2003, 1097.
1079
Hessisches LAG v. 23.10.2008 – 9 TaBV 155/08, n.v.;
LAG Düsseldorf v. 22.10.2008 – 7 TaBV 85/08, n.v.
367
mende Betrieb seine Identität behält, d. h. nach der Aufnahme unter gleichbleibender Leitung und mit im Wesentlichen gleichem Zweck fortgeführt wird. Der aufnehmende Betrieb
wird lediglich größer.
Beispiel:
Ein Wachdienst mit 20 Beschäftigten wird von einem großen Wachdienstunternehmen mit mehr
als 200 Arbeitnehmern aufgekauft und in den vorhandenen Betrieb eingegliedert. Der Betriebsrat des Erwerbers bleibt im Amt. Es handelt sich nicht um ein Übergangs-, sondern um ein Regelmandat. Damit wird der Betriebsrat des Erwerbers ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs
zuständig für die übergehenden Arbeitnehmer. Der beim Veräußerer bestehende Betriebsrat
verliert sein Amt. Es sind auch keine Neuwahlen einzuleiten, da die Voraussetzungen des § 13
Abs. 2 Nr. 1 BetrVG hier nicht erfüllt sind.
Allerdings ist umstritten, ob der Betriebsrat des aufgenommenen bzw. eingegliederten Betriebes noch ein Restmandat nach § 21b BetrVG gegenüber dem Veräußerer hat. Das kann
vor allem dann der Fall sein, wenn so viele Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen, dass die dann vom Veräußerer ggf. auszusprechenden betriebsbedingten Kündigungen die Zahlengrenzen des § 112a BetrVG überschreiten und eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung vorliegt, (siehe dazu II. 1. e) aa) und II 2. a)).
(2) Kein Betriebsrat im Betrieb des Erwerbers
Der Fall der Eingliederung eines gesamten Betriebes in einen betriebsratslosen Betrieb ist
vom Wortlaut des § 21a BetrVG zwar nicht ausdrücklich erfasst, es ist jedoch von einem
Übergangsmandat nach § 21a BetrVG für den Betriebsrat im eingegliederten Betrieb auszugehen. § 21a BetrVG soll die Kontinuität der Betriebsratsarbeit sichern.1081 Für ein Übergangsmandat spricht auch, dass der vergleichbare Fall der Eingliederung nur eines Betriebsteils in einen betriebsratslosen Betrieb vom Wortlaut des § 21a Abs. 1 BetrVG erfasst wird
und es keinen Unterschied machen kann, ob ein Betriebsteil oder ein ganzer Betrieb in den
Betrieb des Erwerbers eingegliedert wird.
Unklar ist die Rechtslage allerdings bei der Frage, welche Arbeitnehmer vom Übergangsmandat erfasst werden. Nach einer Ansicht soll dem Betriebsrat des eingegliederten Betriebes ein Übergangsmandat nicht nur für die Arbeitnehmer des übernommenen Betriebes,
sondern sogar des aufnehmenden Betriebes zustehen.1082 Nach anderer Auffassung steht
dem Betriebsrat des übernommenen Betriebes zwar ein Übergangsmandat zu, dieses beschränkt sich aber auf die übergehenden Arbeitnehmer.1083
Letzteres würde dem Sinn und Zweck des § 21a BetrVG als auch den Vorgaben der Betriebsübergangsrichtlinie am ehesten entsprechen, da ein Betriebsübergang einerseits nicht dazu
führen soll, dass die übergehenden Arbeitnehmer den bisher vorhandenen betriebsverfassungsrechtlichen Schutz verlieren, es aber andererseits kaum vertretbar ist, die Arbeitnehmer des aufnehmenden Betriebes, die bisher – vielleicht sogar bewusst und gewollt – auf einen Betriebsrat verzichtet haben, nunmehr zwangsweise unter die Zuständigkeit eines fremden und von ihnen nicht gewählten Betriebsrates zu stellen. Dem Betriebsrat des übernommenen Betriebes fehlt die demokratische Legitimation für Interessenwahrnehmung zugunsten der Arbeitnehmer des betriebsratslosen aufnehmenden Betriebes. Das Übergangsmandat ist auf die übergegangenen Arbeitnehmer zu begrenzen.
1080
Richardi/Thüsing, § 21a BetrVG, Rn. 5; Rieble, NZA 2002, 233.
ErfK-Eisemann/Koch, § 21a BetrVG, Rn. 3.
1082
Fitting, § 21a BetrVG, Rn. 23.
1083
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 9.
1081
368
Praxishinweis: Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage muss der Erwerber, in dessen
Betrieb es bislang keinen Betriebsrat gab, nicht nur damit rechnen, dass die Übernahme eines (kleineren) Betriebes nunmehr dazu führt, dass bei ihm ein Betriebsrat gewählt wird,
sondern er hat vor allem das Problem, dass er den Betriebsrat des übernommenen Betriebes u. U. auch bei den Angelegenheiten beteiligen muss, die die schon bisher bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer betreffen.
Dies gilt vor allem für die Beteiligung in personellen Angelegenheiten und hierbei für die Anhörungspflicht des § 102 Abs. 1 BetrVG vor dem Ausspruch etwaiger Kündigungen. Das
Unwirksamkeitsrisiko kann der Erwerber hier nur vermeiden, wenn er nach dem Betriebsübergang den Betriebsrat des übergehenden Betriebs gemäß den gesetzlichen Vorschriften
auch dann beteiligt, wenn es um Angelegenheiten der schon bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer geht.
Will der Erwerber dieses Risiko vollständig vermeiden, bleibt ihm letztlich nur, den übernommenen Betrieb nicht einzugliedern, sondern als eigenständigen Betrieb weiterzuführen.
Dann bleibt sein bisheriger Betrieb betriebsratslos.
cc) Zusammenführung des übernommenen Betriebes mit anderen Betrieben des
Erwerbers
Anders ist die Rechtslage zu bewerten, wenn der Erwerber eines Betriebes diesen mit einem
oder vielleicht sogar mehreren Betrieben zusammenführt. Eine solche Zusammenführung
soll – im Gegensatz zur Eingliederung – vorliegen, wenn zwei oder mehrere Betriebe zu einem neuen einheitlichen Betrieb unter einheitlicher Leitung zusammengefasst werden.1084 Im
Unterschied zur Eingliederung verlieren hier alle betroffenen Betriebe ihre Identität.1085
Das LAG Düsseldorf hingegen vertritt die Auffassung, dass auch eine Zusammenfassung
ohne Identitätsverlust vorliegen könne. Unerheblich sei, ob sich an den einzelnen Standorten
die betrieblichen Strukturen änderten.1086
Dem kann nicht gefolgt werden. Da bei einer Zusammenfassung nach § 21a Abs. 2 BetrVG
nur dem Betriebsrat des größten Betriebes das Übergangsmandat zusteht, bei der Eingliederung nach § 21a Abs. 1 BetrVG hingegen der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes sein
Vollmandat behält, ist eine klare und praktikable Abgrenzung zwischen der Eingliederung
und der Zusammenfassung erforderlich. Maßgebend ist also letztlich, ob nach dem Betriebsübergang ein neuer Betrieb entsteht, der sich deutlich von dem bisherigen Betrieb des Erwerbers unterscheidet.
Liegt eine solche Zusammenführung vor, steht nach § 21a Abs. 2 BetrVG dem Betriebsrat
des nach Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer größten Betriebes das Übergangsmandat zu.1087 Die Betriebsräte der anderen Betriebe verlieren also ihr Amt.
1084
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 10.
Hessisches LAG v. 23.10.2008 – 9 TaBV 155/08, n.v.
1086
LAG Düsseldorf v. 16.10.2008 – 11 TaBV 105/08, n.v.
1087
ArbG Cottbus v. 24.01.2013 – 3 BVGa 1/13.
1085
369
Zusammenfassender Überblick
Betriebsratsmandat im übernommenen Betrieb
- Übergang des gesamten Betriebs -
Eingliederung
Unveränderte
Fortführung
Betriebsrat
beim Erwerber
Kein
Betriebsrat bei
Erwerber
Amts-/
Mandatsverlust
Übergangsmandat für
Betriebsrat
des übernommenen
Betriebes
§ 21a BetrVG
(str.)
Vollmandat bleibt
beim Betriebsrat des
übernommenen
Betriebs
Zusammenführung
Übergangsmandat für
Betriebsrat des
„größten“ (wahlberechtigte
Arbeitnehmer)
Betriebs
§ 21a BetrVG
d) Übergang eines Betriebsteils
Beim Übergang eines Betriebsteils kann sowohl das Mandat des Betriebsrats im Veräußererbetrieb als auch sein Mandat im Erwerberbetrieb betroffen sein.
aa) Betriebsratsmandat im Veräußererbetrieb
Hinsichtlich des Schicksals des Betriebsratsmandats im Veräußererbetrieb besteht rechtliche Unsicherheit. Im Ausgang muss wohl zwischen einer sog. Abspaltung (Erhalt der Identität des Veräußererbetriebs) und einer sog. Aufspaltung (Verlust der Identität des Veräußererbetriebs) unterschieden werden. 1088
(1) Betriebsabspaltung
Bei der Betriebsabspaltung ist anzunehmen, dass der Betriebsrat im Veräußererbetrieb
grundsätzlich im Vollmandat weiterhin im Amt verbleibt.1089 Das BAG deutet in einer Entscheidung zum Gemeinschaftsbetrieb diesen Grundsatz an:1090 „Die Verringerung der Belegschaft und das Absinken der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder unter die gesetzlich vorgeschriebene Zahl führten nicht zur Beendigung des Amts des Betriebsrats.“
Geht man davon aus, dass bei Wahrung der Betriebsidentität der Betriebsrat im Veräußererbetrieb sein Vollmandat behält, stellen sich Fragen zur Neuwahl nach § 13 BetrVG und zur
Anzahl der Freistellungen.
Neu zu wählen ist der Betriebsrat nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG allerdings erst, wenn die
Zahl der Betriebsangehörigen um mehr als die Hälfte, mindestens aber um 50 gestiegen oder gesunken ist, und die letzte Betriebsratswahl nicht länger als 24 Monate zurückliegt.
1088
Fitting, § 21a BetrVG, Rn. 9a; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; indirekt auch LAG Düsseldorf v. 25.11.1997 – 8 Sa 1358/97.
1090
BAG v. 19.11.2003 – 7 AZR 11/03.
1089
370
Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG muss eine außerplanmäßige Neuwahl auch erfolgen, wenn
die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter
die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder sinkt. Bei der vorgeschriebenen Zahl
kommt es auf die bei der Betriebsratswahl festgestellte Betriebsratsgröße an. Eine Neuwahl
muss also auch dann erfolgen, wenn der personell reduzierte Betriebsrat der Staffel des § 9
BetrVG hinsichtlich der nun verringerten Belegschaft nach dem Betriebsteilübergang entspricht.1091
Werden die Schwellenwerte für die Freistellungen nach § 38 BetrVG unterschritten, kann die
Anzahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder reduziert werden.1092 Das gilt auch dann,
wenn der Betriebsrat ein Übergangsmandat für den Betriebsteil beim Erwerber hat. Die
übergegangenen Arbeitnehmer zählen bei den Schwellenwerten im Veräußererbetrieb nicht
mehr mit.1093
(2) Betriebsaufspaltung
Es wird vertreten, dass bei einer Betriebsaufspaltung der Betriebsrat im Veräußererbetrieb
i. d. R. für die verbleibende Einheit sein Mandat als Vollmandat verliert, weil er seine Betriebsidentität verliert.1094 Mit der BAG ist davon auszugehen, dass in einem solchen Fall der
Anwendungsbereich des Restmandats gemäß § 21b BetrVG eröffnet ist. 1095 Das Landesarbeitsgericht Köln vertrat in einer zeitlich vorhergehenden Entscheidung dagegen die Auffassung, dass auch im verbleibenden Teil lediglich ein Übergangsmandat für den Betriebsrat
besteht, welches nach 6 Monaten erlischt.1096
Das Mandat des Betriebsrates erlischt jedenfalls, wenn der verbleibende Betrieb so dezimiert
wurde, dass dieser nach § 1, 4 BetrVG nicht mehr betriebsratsfähig ist.1097
bb) Betriebsratsmandat im Erwerberbetrieb
Besteht beim Veräußerer ein Betriebsrat und ist ein Betriebsteil von einem Betriebsübergang
betroffen, müssen für den Erwerberbetrieb ebenfalls die drei Grundkonstellationen unterschieden werden:
 Weiterführung als selbstständiger Betrieb
 Eingliederung des übernommenen Betriebes in den Erwerberbetrieb
 Zusammenführung mehrerer Betriebe
(1) Weiterführung als selbstständiger Betrieb
Wird ein Betriebsteil ausgegliedert und vom Erwerber als eigenständiger Betrieb weitergeführt, steht dem Betriebsrat des Veräußerers nach § 21a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BetrVG das Übergangsmandat zu.1098
Voraussetzung ist allerdings, dass der als selbstständiger Betrieb weitergeführte Betriebsteil
nach § 1 Abs. 1 BetrVG betriebsratsfähig ist.
1091
ErfK-Koch, § 13 BetrVG, Rn. 5.
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
1093
Maschmann, NZA Beilage 1/2009, 32.
1094
BAG v. 24.05.2012 – 2 AZR 62/11; HWK, § 613a BetrVG, Rn. 285. Thüsing, DB 2002, 738;
Rieble, NZA 2002, 233; Feudner, DB 2003, 882; GK-BetrVG-Kreutz, § 21a BetrVG, Rn. 25.
1095
BAG v. 24.05.2012 – 2 AZR 62/11.
1096
LAG Köln v. 23.01.2004 – 12 Ta BV 64/03, n.v.
1097
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; Fitting, § 21 BetrVG, Rn. 31.
1098
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
1092
371
Nicht betriebsratsfähig kann auch ein Betrieb sein, der nicht mehr dem Geltungsbereich des
BetrVG unterfällt, z. B. weil er zu einem Betrieb nach § 118 Abs. 2 BetrVG wird oder im Bereich des öffentlichen Dienstes in einen anderen Betrieb eingegliedert wird.1099
Gerade bei der Ausgliederung eines Betriebsteils und dessen Weiterführung als selbstständiger Betrieb ist zu beachten, dass die Frage, welche Beteiligungsrechte dem Betriebsrat im
Rahmen des Übergangsmandats zustehen, allein nach den Verhältnissen des neu entstandenen Betriebs zu beurteilen ist.
Unterschreitet die Beschäftigtenzahl dieses Betriebs die in mehreren Beteiligungsrechten
(insbesondere §§ 95 Abs. 3, 99 Abs. 1, 111 BetrVG) vorgesehenen Zahlengrenzen, besteht
im Rahmen des Übergangsmandats kein Beteiligungsrecht.1100 Da diese Schwellenwerte
zum Teil auch auf die Unternehmensgröße abstellen, ist gegebenenfalls zusätzlich auch die
Struktur des Unternehmens beim Erwerbers zu beachten (z. B. § 111 BetrVG).
(2) Eingliederung in den Betrieb des Erwerbers
Wird der übernommene Betriebsteil in den Betrieb des Erwerbers im o. g. Sinne eingegliedert und besteht dort ein Betriebsrat, besteht kein Übergangsmandat des Betriebsrats des
Veräußerers. Allein zuständig für die übergehenden Arbeitnehmer wird der Betriebsrat des
Erwerbers.
Die Eingliederung erfordert im Gegensatz zur Zusammenführung den Verlust der Betriebsidentität des Veräußererbetriebsteils.1101
Praxishinweis: (Außerplanmäßige) Neuwahlen muss dieser nur einleiten, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere die des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, erfüllt sind.
Bei der Eingliederung eines Betriebsteils in einen betriebsratslosen Erwerberbetrieb ist ein
Übergangsmandat nach § 21a BetrVG gegeben: „führt die Geschäfte für … Betriebsteile weiter, soweit sie … nicht in einen Betrieb eingegliedert werden, in dem ein Betriebsrat besteht“.
Ebenso wie bei der Eingliederung eines ganzen Betriebes in einen betriebsratslosen Betrieb
des Erwerbers besteht jedoch auch bei der Eingliederung eines Betriebsteils in einen betriebsratslosen Betrieb des Erwerbers die Frage, in welchem Umfang dem Betriebsrat des
Veräußerers ein Übergangsmandat zusteht.
Umstritten ist auch hier, ob sich dieses Übergangsmandat auf die übergegangenen Arbeitsverhältnisse beschränkt1102 oder ob es auch die Arbeitsverhältnisse der beim betriebsratslosen Erwerber bereits vor dem Betriebsübergang beschäftigten Arbeitnehmer erfasst.1103
Praxishinweis: Angesichts dieser ungeklärten Rechtslage muss der Erwerber, in dessen
Betrieb es bislang keinen Betriebsrat gab, nicht nur damit rechnen, dass bei ihm ein Betriebsrat gewählt wird, sondern er hat vor allem das Problem, dass er den Betriebsrat des
übernommenen Betriebes u. U. auch bei den Angelegenheiten beteiligen muss, die die
schon bisher bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer betreffen.
Dies gilt vor allem für die Beteiligung in personellen Angelegenheiten und hierbei für die Anhörungspflicht des § 102 Abs. 1 BetrVG vor dem Ausspruch etwaiger Kündigungen.
1099
Rieble, NZA 2002, 233.
Rieble, NZA 2002, 233; Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 30.
1101
LAG Hessen v. 23.10.2008 – 9 TaBV 155/08; LAG Düsseldorf v. 22.10.2008 – 7 TaBV 85/08.
1102
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 9.
1103
Fitting, § 21a BertrVG, Rn. 23; Schulze, ArbRAktuell 2013, 413;
LAG Hessen v. 26.11.2009 – 9/5 TaBVGa 226/09.
1100
372
Das Unwirksamkeitsrisiko kann der Erwerber hier nur vermeiden, wenn er nach dem Betriebsübergang den Betriebsrat des übergehenden Betriebs gemäß den gesetzlichen Vorschriften auch dann beteiligt, wenn es um Angelegenheiten der schon bei ihm beschäftigten
Arbeitnehmer geht. Zudem besteht die Gefahr, dass Betriebsinterna des Erwerbers einem
fremden Betriebsrat, u. U. sogar einem Wettbewerber, bekannt werden; auch wenn die
Reichweite des Übergangsmandats inhaltlich beschränkt sein kann und zeitlich begrenzt ist.
Will der Erwerber dieses Risiko vollständig vermeiden, bleibt ihm letztlich nur, den übernommenen Betrieb nicht einzugliedern, sondern als eigenständigen Betrieb weiterzuführen.
Dann bleibt sein bisheriger Betrieb betriebsratslos.
(3) Zusammenführung mehrerer Betriebsteile
Werden mehrere Betriebsteile zu einem neuen Betrieb zusammengeführt, sodass in beiden
Betrieben die Betriebsidentität verloren geht, erhält nach § 21a Abs. 2 BetrVG der Betriebsrat des nach Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer größten Betriebes oder Betriebsteils
das Übergangsmandat. Auch insoweit ist zu beachten, dass der Betriebsrat eines Veräußererbetriebes die gesetzlichen Beteiligungsrechte im (neuen) Erwerberbetrieb wahrnehmen
kann.
Praxishinweis: Wie bereits oben dargestellt, kann dieses Übergangsmandat im größten Betrieb für den Erwerber zur Folge haben, dass er bis zum Amtsantritt eines neuen, bei ihm
gewählten Betriebsrats in allen beteiligungspflichtigen Angelegenheiten den Betriebsrat des
Veräußerers beteiligen muss. Er muss daher auch, wenn er – normativ weitergeltende – Betriebsvereinbarungen kündigen will, diese Kündigung gegenüber dem Betriebsrat aussprechen, der das Übergangsmandat wahrnimmt.
Wenn der Erwerber sukzessive Betriebe bzw. Betriebsteile zusammenführt, können – je
nach Größe der Betriebe bzw. Betriebsteile – verschiedene Übergangsmandate aufeinanderfolgen.
Beispiel:
Der Unternehmer führt zunächst zwei Betriebsteile aus zwei seiner Betriebe zusammen. Der
erste Betriebsteil verfügt über 100 Arbeitnehmer, der zweite über 200 Arbeitnehmer. Damit
nimmt der Betriebsrat des zweiten Betriebsteils das Übergangsmandat wahr. Wenn der Unternehmer jedoch danach einen dritten Betrieb oder Betriebsteil mit 250 Arbeitnehmern anfügt,
stellt sich die Frage, ob dann dem in diesem (Ursprungs-)Betrieb bestehenden Betriebsrat das
Übergangsmandat zusteht, ob er also den zweiten Betriebsrat (ggf. noch mit Übergangsmandat) ablöst.
Die damit verbundenen Fragen sind weitgehend ungeklärt und vom Gesetzgeber im Rahmen
des § 21a BetrVG auch nicht bedacht worden. Geht man vom Wortlaut des Gesetzes aus,
wird man wohl in der Tat davon ausgehen müssen, dass in diesem Fall ein zweites (sechsmonatiges) Übergangsmandat nach § 21a Abs. 2 BetrVG entsteht, das erste also verdrängt
wird. Zum Teil wird allerdings vertreten, dass der Sechsmonatszeitraum von Beginn des ersten Übergangsmandats zu bemessen ist.1104 Dies dürfte mit dem Wortlaut des § 21a BetrVG
nicht vereinbar und kaum praktikabel sein. Die Durchführung der Betriebsratswahl nimmt im
normalen Wahlverfahren mindestens zehn Wochen (§ 16 Abs. 1 S. 1 BetrVG) in Anspruch.
1104
Rieble, NZA 2002, 233.
373
Dies hat vor allem zur Konsequenz, dass eventuell bereits eingeleitete Betriebsratswahlen
abgebrochen werden müssen und ein neues Wahlverfahren eingeleitet werden muss.1105 Allerdings kann diese Folge auch dann eintreten, wenn das Übergangsmandat des ersten Betriebsrates erhalten bleibt.
Zusammenfassender Überblick
Betriebsratsmandat im übernommenen Betrieb
- Übergang eines Betriebsteils -
Fortführung als
eigenständiger
Betrieb
Übergangsmandat für
Betriebsrat des
übernommenen
Betriebs
§ 21 a BetrVG
Eingliederung
Betriebsrat
beim
Erwerber
Kein
Betriebsrat
beim
Erwerber
Amts-/
Mandatsverlust
Übergangsmandat für
Betriebsrat
des übernommenen
Betriebs
§ 21a BetrVG
Zusammenführung
Übergangsmandat für
Betriebsrat des
„größten“
(wahlberechtigte
Arbeitnehmer)
Betriebs
§ 21 a BetrVG
(4) Sonderfall: Betriebsaufspaltung führt zum gemeinsamen Betrieb
Ein Sonderfall liegt bei einer Betriebsaufspaltung vor, bei der zwar ein Betriebsteil auf einen
neuen Unternehmensträger übergeht, die tatsächlichen Verhältnisse davon jedoch im Wesentlichen unberührt bleiben, der Betrieb also weiter besteht. In diesem Fall ist für ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG kein Raum; vielmehr bleibt der bisherige Betriebsrat unverändert im Amt1106, da der Betrieb dann zu einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen wird, für den ein Betriebsrat zu bilden ist (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).1107
Damit ändert sich faktisch für den Betriebsrat nichts. Insbesondere steht ihm nicht das Recht
zu, Neuwahlen einzuleiten.
1105
Rieble, NZA 2002, 233.
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; Moderegger, ArbRB 2011, 281.
1107
BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, NZA 2001, 321; Rieble NZA 2002, 233;
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 12; ArbG Hamburg 13.06.2006 – 19 BV 16/06.
1106
374
vorher
A-GmbH
Produktion
nachher
Verwaltung
Unverändert:
einheitlicher
Leitungsapparat
B-GmbH
A-GmbH
Produktion
Verwaltung
Praxishinweis: In diesem Zusammenhang ist die Regelung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG zu
beachten, wonach ein gemeinsamer Betrieb vermutet wird, wenn die Spaltung eines Unternehmens ohne wesentliche Änderung der Organisation des betroffenen Betriebes erfolgt.
e) Übergang von Kleinbetrieben/Betrieben gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
Werden Betriebe veräußert, die bislang nach § 4 BetrVG dem Hauptbetrieb zugeordnet waren, gelten für das Übergangsmandat keine Besonderheiten. Dies bedeutet:
Wird ein nicht betriebsratsfähiger Kleinbetrieb i. S. d. § 4 Abs. 2 BetrVG veräußert, wird
ein Übergangsmandat nach § 21a BetrVG nicht in Betracht kommen, da dieser Kleinbetrieb
ja auch nach dem Betriebsübergang nicht betriebsratsfähig ist; auch wenn er vorher beim
Hauptbetrieb mitgewählt hat. Die Hauptaufgabe des Übergangsmandats (Einleitung einer
Betriebsratswahl) kann nicht erfüllt werden.
Wird hingegen ein betriebsratsfähiger Betrieb bzw. Betriebsteil i. S. d. § 4 Abs. 1 BetrVG,
für den bisher der Betriebsrat des Hauptbetriebes zuständig war, auf einen anderen Unternehmensträger übertragen, gelten u. E. die allgemeinen Regelungen zum Übergangsmandat. Der Betriebsrat des Hauptbetriebes nimmt daher gemäß § 21a BetrVG das Übergangsmandat wahr, es sei denn, der übertragene Betrieb oder Betriebsteil wird in den Betrieb des
Erwerbers, in dem ein Betriebsrat besteht, eingegliedert.
f) Sonderfall: Regelungen gemäß § 3 BetrVG
Nach § 3 BetrVG können insbesondere unternehmenseinheitliche Betriebsräte gebildet werden durch
 Tarifvertrag (§ 3 Abs. 1 BetrVG),
 Betriebsvereinbarung (§ 3 Abs. 2 BetrVG) oder
 Beschluss der Arbeitnehmer (§ 3 Abs. 3 BetrVG).
Mit einer solchen Regelung kann von den ansonsten zwingenden Organisationsbestimmungen des Betriebsverfassungsrechts abgewichen werden.
375
aa) Regelung nach § 3 BetrVG im Erwerberbetrieb
Wird ein Betrieb mit einem Betriebsrat in einen Betrieb des Erwerbers eingegliedert, so gilt
wie bei jeder anderen Eingliederung auch, dass der zuständige Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs – hier nach § 3 BetrVG – Funktionsnachfolger wird.1108 Das hat das LAG Köln
zumindest für den Fall entschieden, dass der Zuordnungstarifvertrag die Möglichkeit einer
Eingliederung regelt.1109 Das Betriebsratsmandat des Veräußererbetriebsrates endet mit der
Eingliederung.
bb) Regelung nach § 3 BetrVG im Veräußererbetrieb
Besteht in einem zu veräußernden Unternehmen eine Regelung nach § 3 BetrVG, stellen
sich zwei Fragen: Geht die Regelung auf den Erwerber über? Bleibt die Amtsstellung des
Betriebsrates unberührt oder entsteht ggf. ein Übergangsmandat?
Für die Beantwortung der ersten Frage muss zwischen dem Tarifvertrag und der Betriebsvereinbarung auf der einen und dem Beschluss der Arbeitnehmer auf der anderen Seite unterschieden werden.
Das Problem des Übergangs auf den Erwerber ist zudem verknüpft mit der zweiten Frage,
da es hier um die Kontinuität der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung geht. Es ist zwischen der Veräußerung eines gesamten Unternehmens oder einzelner Betriebe bzw. Betriebsteile zu trennen.
(1) Veräußerung eines gesamten Unternehmens mit mehreren Betrieben
Wird ein gesamtes Unternehmen mit mehreren Betrieben veräußert, für die eine Regelung
nach § 3 BetrVG besteht, ist im Ergebnis hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung kein Raum für ein Übergangsmandat, da sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht
ändern und daher der bzw. die Betriebsräte – ebenso wie beim Übergang und der Weiterführung des gesamten Betriebes – im Amt bleiben.1110
Problematisch ist in diesem Fall allerdings, dass Vereinbarungen nach § 3 Abs. 1 und 2 BetrVG jedenfalls bei der Einzelrechtsnachfolge nicht kraft gesetzlicher Anordnung auf den Erwerber übergehen, sodass entsprechenden betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen ohne
eine tarifvertragliche Regelung über die Weitergeltung der zugrunde liegenden Vereinbarung
„der Boden entzogen“ wird. Wie diese Problematik zu lösen ist, ist derzeit ungeklärt. Denkbar
wären:
 Außerplanmäßige Neuwahlen: Das Entfallen der Rechtsgrundlage müsste eigentlich zu
(außerplanmäßigen) Neuwahlen führen; dies ist allerdings in § 13 BetrVG nicht ausdrücklich vorgesehen; gegebenenfalls kann § 13 Abs. 3 Nr. 6 eine Rechtsgrundlage
bilden.
 Fortgeltung der Vereinbarung:
o zeitlich unbefristet: Der zugrunde liegenden Kollektivvereinbarung könnte Wirkung
über den Betriebsübergang hinaus zugemessen werden.
o zeitlich befristet bis zum Ablauf der regulären Amtszeit des Betriebsrates: Schließlich könnte man noch daran denken, die Kollektivvereinbarung für die verbleibende
Amtszeit des Betriebsrates als maßgebend anzusehen und erst bei den turnusmäßigen Betriebsratswahlen wieder zu den gesetzlichen Regelungen zurückzukehren.
1108
Salomon, ArBRAktuell 2013, 638; BAG v. 24.01.2001 – 4 ABR 4/00.
LAG Köln v. 18.12.2012 – 7 TaBV 44/12.
1110
Däubler, DB 2005, 666.
1109
376
Gibt es hingegen einen Beschluss der Arbeitnehmer entsprechend § 3 Abs. 3 BetrVG, besteht zwar keine Vereinbarung, die auf den Erwerber übergeht. Die Entscheidung der Arbeitnehmer ist allerdings von diesen für diese Unternehmensstruktur getroffen worden und an
das Unternehmen als Veräußerungsobjekt gebunden. Das Unternehmen als Anknüpfungspunkt für diesen Beschluss besteht weiter. Der Beschluss zur Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates muss nach Ablauf der Amtszeit auch nicht wiederholt werden1111.
Der Beschluss der Arbeitnehmer für „ihr“ Unternehmen gilt deshalb auch gegenüber dem
Erwerber.
Für den Fall der Verschmelzung wird in der Literatur die Transformation einer solchen Regelung in allen drei Varianten des § 3 BetrVG verneint, da der Anknüpfungspunkt „Unternehmen“ durch die Eintragung erlösche.1112
Praxishinweis: Die Frage ist für den Erwerber deshalb relevant, weil er ohne eine sichere
Rechtsgrundlage für die auf der Grundlage des § 3 BetrVG gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungen nicht mit Gewissheit davon ausgehen kann, dass die mit diesen
Organen abgeschlossenen (Betriebs-)Vereinbarungen rechtswirksam sind.
In solchen Fallgestaltungen sollte daher bereits vor sowie ggf. nach dem Betriebsübergang
mit der tarifzuständigen Gewerkschaft oder dem Betriebsrat geklärt werden, wie sich die betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungen nach dem Übergang des Unternehmens bzw. der
Betriebe zusammensetzen sollen. Es dürfte für den Erwerber dabei häufig die günstigste Lösung sein, wenn er – zumindest bis zum Zeitpunkt der nächsten turnusmäßigen Neuwahlen
– die Vereinbarung nach § 3 BetrVG im Wege eines dreiseitigen Vertrages übernimmt, da in
diesem Fall die Rechtwirksamkeit der mit der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung abgeschlossenen (Betriebs-)Vereinbarungen gesichert sein dürfte.
Hier sollte die Unterstützung des Verbandes in Anspruch genommen werden.
(2) Übergang einzelner Betriebe oder Betriebsteile
Anders sieht die Rechtslage aus, wenn aus einem Unternehmen, das eine Vereinbarung
nach § 3 BetrVG abgeschlossen hat, einzelne Betriebe oder Betriebsteile herausgelöst werden und auf einen Erwerber übertragen werden.
Dies dürfte nicht anders als die anderen Fälle des Betriebsübergangs zu beurteilen sein.
Wird der übergehende Betrieb oder Betriebsteil durch den Betriebsübergang betriebsratslos,
nimmt der bisherige Betriebsrat unter den Voraussetzungen des § 21a BetrVG das Übergangsmandat wahr. Wird der übergehende Betrieb oder Betriebsteil in den Betrieb des Erwerbers eingegliedert, in dem ein Betriebsrat besteht, ist hingegen für ein Übergangsmandat
kein Raum.1113
Beispiel:
Der nicht tarifgebundene Veräußerer ist Inhaber eines Unternehmens, das insgesamt 10 Filialbetriebe hat. Er hat mit dem Betriebsrat vereinbart, dass gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 a) BetrVG ein
unternehmenseinheitlicher Betriebsrat gebildet wird. Er veräußert nunmehr eine seiner Filialen
an den Erwerber. Eine Eingliederung im Erwerberbetrieb erfolgt nicht. Der unternehmenseinheitliche Betriebsrat nimmt für die übergehenden Arbeitnehmer das Übergangsmandat wahr,
wenn die übergehende Filiale betriebratsfähig ist.
1111
ErfK-Eisemann/Koch, § 3 BetrVG, Rn.10.
Trappehl/Zimmer, BB 2008, 778.
1113
Rieble, NZA 2002, 233.
1112
377
2. Gesamtbetriebsrat (GBR)
Welche Auswirkungen der Übergang eines oder mehrerer Betriebe oder auch eines gesamten Unternehmens auf den Bestand und/oder die Zusammensetzung eines beim Veräußerer
oder beim Erwerber bestehenden Gesamtbetriebsrats hat, wird nur selten thematisiert.1114
Auch die §§ 47 ff. BetrVG selbst enthalten kaum Anhaltspunkte, wie die daraus resultierenden Probleme zu lösen sind. § 49 BetrVG regelt lediglich, wann die Mitgliedschaft eines einzelnen Gesamtbetriebratsmitglieds im Gesamtbetriebsrat erlischt, sagt aber nichts darüber
aus, wie sich die Herauslösung eines oder mehrerer Betriebe aus einem Unternehmen auf
den Bestand des Gesamtbetriebsrats auswirkt. § 21a BetrVG gilt weder für den Gesamtnoch für den Konzernbetriebsrat.
a) Betriebsübergang eines oder mehrerer Betriebe
aa) Gesamtbetriebsrat beim Veräußerer
Der beim Veräußerer bestehende Gesamtbetriebsrat existiert auch nach den Betriebsübergängen fort, solange mindestens zwei Betriebe mit je einem Betriebsrat vorhanden sind. 1115
Die Betriebsräte der übergehenden Betriebe scheiden mit dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs aus dem Gesamtbetriebsrat des veräußernden Unternehmens aus. Der Gesamtbetriebsrat verliert seine Zuständigkeit für die übertragenen Betriebe.1116
Wenn allerdings – das gilt vor allem für sog. Aufspaltungen nach § 123 Abs. 1 UmwG – der
übertragende Rechtsträger untergeht bzw. nach dem Betriebsübergang erlischt oder der
Veräußerer nach dem Betriebsübergang nur noch Inhaber eines einzelnen Betriebes ist,
dann geht auch der zu diesem Unternehmen gehörende Gesamtbetriebsrat unter.1117
bb) Situation beim Erwerber
Im Erwerberbetrieb muss gegebenenfalls erstmals überhaupt ein Gesamtbetriebsrat oder ein
erweiterter Gesamtbetriebsrat errichtet werden.1118 Drei Konstellationen sind bei unveränderter Fortführung des erworbenen Betriebes / der erworbenen Betriebe denkbar:
Bestand das Unternehmen des Erwerbers bislang nur aus einem Betrieb mit Betriebsrat, so
ist erstmals ein Gesamtbetriebsrat zu bilden. (§ 47 Abs. 1 BetrVG)
Bestand das Unternehmen des Erwerbers bereits aus mehreren Betrieben mit Betriebsräten,
so ist der dort vorhandene Gesamtbetriebsrat zu erweitern.
Sofern beim Erwerber (noch) kein Gesamtbetriebsrat bestand, da dieser entweder betriebslos oder betriebsratslos war, wird die Frage aufgeworfen, ob nicht auch der Gesamtbetriebsrat des Veräußerers beim Erwerber einfach fortbestehen kann.
Das BAG hatte bislang nur einmal über die Frage zu entscheiden, ob ein Gesamtbetriebsrat
als solcher nach dem Übergang mehrerer Betriebe eines Unternehmens im Erwerberbetrieb
fortbesteht.1119
1114
Willemsen, Teil D, Rn. 97.
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1017.
1116
BAG v. 05.06.2002 – 7 ABR 17/01; Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
1117
Für die erstgenannte Alternative: Willemsen, Teil D, Rn. 110;
für die zweitgenannte Alternative: ArbG Bielefeld v. 02.04.2008 – 6 BV 16/08;
Fitting, § 47 BetrVG, Rn. 18.
1118
BAG v. 05.06.2002 – 7 ABR 17/01.
1119
BAG v. 05.06.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336.
1115
378
Es hat ausdrücklich ausgeführt, der Fortbestand eines Veräußerer-Gesamtbetriebsrats im
Erwerberbetrieb komme nicht in Betracht, wenn
 nicht sämtliche Betriebe eines Unternehmens auf einen neuen Inhaber übertragen
werden oder
 das übernehmende Unternehmen bereits einen oder mehrere Betriebe hat und sich die
betrieblichen Strukturen im übernehmenden Unternehmen durch Integration der neuen
Betriebe in das Unternehmen entsprechend änderten.
Offengelassen hat es, ob der Gesamtbetriebsrat fortbesteht, wenn ein neuer Unternehmer
alle Betriebe des alten Unternehmens übernimmt und die Betriebsidentität aller Betriebe erhalten bleibt. Für eine Fortführung werden in der Literatur gute Argumente aufgeführt, zumindest für die Fälle, in denen ein bislang arbeitnehmerloser Erwerberbetrieb vorliegt.1120
Hieraus folgt: Wird ein gesamtes Unternehmen mit allen dazugehörenden Betrieben von einem Erwerber, der bisher keinen Betrieb hatte, übernommen und im Wesentlichen unverändert fortgeführt, spricht einiges dafür, dass nicht nur die in den Betrieben bestehenden Betriebsräte im Amt bleiben und sich an ihrer Rechtsstellung nichts ändert, sondern auch, dass
der Gesamtbetriebsrat in der vor den Betriebsübergängen bestehenden Zusammensetzung
im Amt bleibt. Der Gesamtbetriebsrat ist dann kein für das Unternehmen gebildetes Gremium, sondern ein auf der Ebene des Unternehmens angesiedeltes Gremium.1121
Sollte beim Erwerber bereits ein Gesamtbetriebsrat vorhanden sein, werden Mitglieder der
Einzelbetriebsräte der übergehenden Betriebe in den beim Erwerber bestehenden Gesamtbetriebsrat nach Maßgabe des § 47 Abs. 2 BetrVG entsandt.1122 Das gilt auch dann, wenn
der Erwerber keinen ganzen Betrieb, sondern einen betriebsratsfähigen Betriebsteil vom
Veräußerer erwirbt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine Entsendung in den
Gesamtbetriebsrat bzw. die Neubildung eines Gesamtbetriebsrats auch beim Vorliegen eines Übergangsmandats nach § 21a BetrVG möglich sein dürfte.1123
1120
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013 m. w. N.
Willemsen, Teil D, Rn. 101.
1122
BAG v. 16.03.2005 – 7 ABR 37/04, NZA 2005, 1069.
1123
Glock in H/W/G/N/R/H, § 47 BetrVG, Rn. 13.
1121
379
Zusammenfassender Überblick
Betriebsratsmandat Gesamtbetriebsrat
Gesamtbetriebsrat im
Veräußererunternehmen
Gesamtbetriebsrat im
Erwerberunternehmen
i. Ü. bleibt
Unternehmen
erhalten
Untergang des übertragenden Rechtsträgers oder Verbleib
nur eines Betriebes
Kein
Gesamtbetriebsrat
beim Erwerber
Gesamtbetriebsrat
beim Erwerber
Gesamtbetriebsrat bleibt
bestehen, ggf.
scheiden
Betriebsräte des
übernommenen
Betriebes aus
Mandats-/ Amtsverlust
Bildung eines
Gesamtbetriebsrats, wenn
Unternehmen
entsteht
§ 47 BetrVG
Gesamtbetriebsrat
erlangt
Zuständigkeit, ggf.
Erweiterung um
Betriebsräte im
übernommenen
Betrieb
Praxishinweis: Beim Vorliegen eines Übergangsmandats besteht daher – wenn auch nur
kurzfristig – die Gefahr, dass Mitglieder eines fremden, nämlich des beim Veräußerer bestehenden Betriebsrats, in den beim Erwerber bestehenden Gesamtbetriebsrat entsandt werden. Auch deshalb sollte der Erwerber im eigenen Interesse möglichst schnell auf die Bildung eines eigenen Betriebsrats drängen.
b) Entstehung eines Gemeinschaftsbetriebs
Sollte durch eine Umstrukturierung ein gemeinschaftlicher Betrieb zweier Unternehmen entstehen, ist zusätzlich zu beachten, dass der für diesen Betrieb zuständige Betriebsrat eventuell Mitglieder in die Gesamtbetriebsräte beider Unternehmen entsenden kann. Aufgrund
der Neufassung des § 47 Abs. 9 BetrVG geht das BAG nunmehr davon aus, dass auch der
Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebes Mitglieder in die Gesamtbetriebsräte der Trägerunternehmen entsendet. 1124 Umstritten ist jedoch weiterhin die Frage, ob auch unternehmensfremde Betriebsratsmitglieder dem Gesamtbetriebsrat des jeweils anderen Trägerunternehmens angehören können.1125
c) Sonderfall: Betriebsaufspaltung
Einen Sonderfall stellt die sog. Betriebsaufspaltung (meist in eine Besitz- und eine Betriebsgesellschaft) dar, bei der i. d. R. ein Betriebsteil auf einen neuen Unternehmensträger (Besitz- oder Betriebsgesellschaft) übertragen wird und damit sozusagen aus einem Betrieb
zwei Betriebe werden. Ein Gesamtbetriebsrat ist hier jedoch i. d. R. nicht zu bilden:
Ist die Besitzgesellschaft eine arbeitnehmerlose Gesellschaft, stellen sich schon allein aus
diesem Grund keine betriebsratsrelevanten Fragen.
1124
1125
BAG 13.02.2007 – 1 AZR 184/06, NZA 2007, 825.
Willemsen, Teil D, Rn. 117.
380
Besteht der Betrieb, so wie er schon bisher existiert hat, im Wesentlichen unverändert fort,
liegt – nicht zuletzt wegen der Vermutung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG – ein gemeinsamer
Betrieb zweier Unternehmen vor, für den nur ein Betriebsrat zu bilden ist bzw. für den der
bisher schon zuständige Betriebsrat im Amt bleibt.
Für den Gesamtbetriebsrat fehlt es zudem am einheitlichen Unternehmensträger, da der
übertragene Betriebsteil abgetrennt und als eigener Betrieb bei einem anderen Unternehmensträger weitergeführt wird. Durch die Betriebsaufspaltung entstehen zwei verschiedene
Gesellschaften. Die Bildung eines Gesamtbetriebsrats ist ausgeschlossen.1126 Möglich ist in
diesem Fall allerdings die Bildung eines Konzernbetriebsrats, wenn der bzw. die Gesellschafter beider Gesellschaften als herrschendes Unternehmen i. S. v. § 54 Abs. 1 BetrVG i.
V. m. § 18 AktG anzusehen sind.
3. Konzernbetriebsrat
Für den Konzernbetriebsrat dürfte sich die Rechtslage ähnlich darstellen wie beim Gesamtbetriebsrat.1127
a) beim Veräußerer
Dies bedeutet für den Veräußerer zunächst, dass weder der Übergang eines Betriebes/Betriebsteils noch der eines gesamten Unternehmens (evtl. mit mehreren Betrieben) am
Bestand des beim Veräußerer gebildeten Konzernbetriebsrats etwas ändert, sofern zumindest zwei Unternehmen im Konzern verbleiben.
Darüber hinaus wird die Frage, ob sich an Bestand oder Zusammensetzung eines Konzernbetriebsrats etwas ändert, ohnehin nur dann relevant, wenn ein gesamtes (Konzern-)Unternehmen veräußert wird. Gegebenenfalls erlischt die Mitgliedschaft eines Konzernbetriebsratsmitglieds, wenn die Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat durch die Veräußerung des Betriebs(teils) deshalb endet, weil der Mandatsträger von dem Betriebsübergang
betroffen ist.1128
Konzern mit 3 Unternehmen
Konzernbetriebsrat
Unternehmen mit 3
Betrieben
Unternehmen mit 4
Betrieben
Gesamtbetriebsrat
Gesamtbetriebsrat
Betriebsrat
Betriebsrat
Betriebsrat
Betriebsrat
Betriebsrat
Unternehmen mit 2
Betrieben
Betriebsrat
Betriebsrat
Gesamtbetriebsrat
Betriebsrat
Betriebsrat
1126
BAG v. 05.12.1975 – 1 ABR 8/74, DB 1976, 588.
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
1128
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013.
1127
381
Veräußert ein Konzernunternehmen lediglich einen Betrieb oder Betriebsteil, hat dies auf die
Zusammensetzung des Konzernbetriebsrates keine Auswirkung, da nach wie vor der Gesamtbetriebsrat des Veräußererunternehmens Mitglieder in den Konzernbetriebsrat entsendet. In Ausnahmefällen – wenn ein Unternehmen nach Veräußerung nur noch einen Betrieb
hat – tritt der dann dort bestehende Betriebsrat gemäß § 54 Abs. 2 BetrVG an die Stelle des
bisherigen Gesamtbetriebsrats.
b) beim Erwerber
Für den Erwerber gilt spiegelbildlich das Gleiche: Ein bei ihm bereits bestehender Konzernbetriebsrat ändert seine Zusammensetzung nur, wenn ein weiteres (Konzern-)Unternehmen
dazukommt und der dort bestehende Gesamtbetriebsrat (evtl. auch in den Fällen des § 54
Abs. 2 BetrVG der Betriebsrat) neue Mitglieder in den Konzernbetriebsrat entsendet.
Ggf. kommt auch erst nach Erwerb des Unternehmens erstmalig die Bildung eines Konzernbetriebsrats in Betracht. Anders als die Bildung des Gesamtbetriebsrats (§ 47 Abs. 1 BetrVG) ist die Bildung des Konzernbetriebsrats jedoch nicht obligatorisch, sondern hängt vom
Willen der beteiligten (Gesamt-)Betriebsräte ab (§ 54 Abs. 1 S. 2 BetrVG).
Dagegen ändert sich i. d. R. nichts, wenn der Erwerber lediglich einen Betrieb oder Betriebsteil erwirbt und kein neues Konzernunternehmen gründet, sondern den erworbenen Betrieb/Betriebsteil in ein bestehendes Unternehmen integriert. In diesem Fall ändert sich die
Zahl der Konzernunternehmen nicht, sodass sich auch an der Zusammensetzung des Konzernbetriebsrats nichts ändert.
Kaum vorstellbar ist es im Übrigen, dass ein Konzernbetriebsrat insgesamt bei einem neuen
Inhaber fortbesteht. Dies dürfte in Anlehnung an die Entscheidung des BAG zum Fortbestand eines Gesamtbetriebsrats1129 allenfalls dann der Fall sein, wenn ein gesamter Konzern
(einschließlich aller dazugehöriger Konzernunternehmen) veräußert wird und der Konzern
insgesamt in seiner Struktur unverändert bleibt.
II. Beteiligungsrechte in Zusammenhang mit einem Betriebs(teil)übergang
Gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat einen allgemeinen Informationsanspruch. Er
ist rechtzeitig und umfassend zu informieren, soweit es zur Durchführung seiner Aufgaben
erforderlich ist. Dafür ist es ausreichend, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein Mitbestimmungsrecht besteht.1130
Praxishinweis: Unabhängig von der konkreten Prüfung von Mitbestimmungstatbeständen
ist in der Regel eine frühzeitige und umfassende Einbindung des Betriebsrates empfehlenswert.
1. Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht – §§ 111 ff. BetrVG
a) Grundsatz
Ob ein Betriebs(teil)übergang die Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff. BetrVG und dabei
insbesondere die Sozialplanpflicht auslöst, hängt zentral davon ab, ob eine Betriebsänderung i. S. v. § 111 BetrVG vorliegt.
1129
1130
BAG v. 05.06.2002 – 7 ABR 17/01, NZA 2003, 336.
BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98, NZA 1999, 722.
382
Praxishinweis: Für den Schwellenwert in § 111 S. 1 BetrVG (20 wahlberechtigte Arbeitnehmer) ist seit 2001 die Größe des Unternehmens maßgeblich. Für die Beurteilung einer
Betriebsänderung nach § 111 S. 3 BetrVG ist wieder auf die Betriebsebene zu wechseln.
Zudem ist für diese Frage der Zeitpunkt der geplanten Umstrukturierung wesentlich. Eine
nach dem Betriebsübergang geplante Umstrukturierung ist mit dem Betriebsrat des Erwerberbetriebes zu verhandeln.1131
b) Sonderprobleme
Im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ergeben sich im Hinblick auf § 111 BetrVG
einige Sonderprobleme, die im Folgenden dargestellt werden.
aa) Betriebsübergang gleich Betriebsänderung?
Nach einer inzwischen ständig verwendeten Formel stellt ein Betriebsübergang für sich genommen keine Betriebsänderung dar.1132 Eine Betriebsänderung kann jedoch vorliegen,
wenn mit einem Betriebs(teil)übergang weitere bzw. andere Maßnahmen des Arbeitgebers
verbunden sind, die den Tatbestand des § 111 BetrVG erfüllen.1133
bb) Spaltung eines Betriebs nach § 111 Nr. 3 BetrVG
Wird ein Betriebsteil ausgegliedert und übertragen, ist seit der Neufassung des § 111 Nr. 3
BetrVG zu beachten, dass die Ausgliederung und Übertragung eines Betriebsteils regelmäßig den Begriff der Spaltung erfüllt und damit eine Betriebsänderung darstellt.1134
§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG setzt die Spaltung von Betrieben und nicht von Unternehmen voraus. Eine Aufspaltung, die nur den bzw. die Unternehmensträger betrifft, die tatsächlichen
organisatorischen Verhältnisse aber unverändert lässt, stellt keine Betriebsänderung dar.
Der Betrieb wird dann nur zu einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen (§ 1 Abs.
2 Nr. 2 BetrVG).
Praxishinweis: Daraus folgt als Faustformel, dass eine Betriebsänderung i. d. R. dann vorliegt, wenn ein Betriebsteil übertragen wird, während sie durchweg ausscheidet, wenn – ohne weitere organisatorische Maßnahmen – ein gesamter Betrieb übertragen wird.
(1) Besitz- und Produktionsgesellschaft
Diskutiert wird, ob eine Betriebsänderung i. S. v. § 111 Nr. 3 BetrVG auch gegeben ist, wenn
eine Aufspaltung in eine Besitz- und eine Produktionsgesellschaft erfolgt und die Arbeitsverhältnisse aller Beschäftigten in die Produktionsgesellschaft übergehen.1135 Der Betrieb zur
Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke bleibt dabei unangetastet.1136
Zur Rechtslage vor der Neufassung des § 111 Nr. 3 BetrVG 1995 hat das BAG 1137 die Auffassung vertreten, dass die Aufspaltung eines Unternehmens in je eine rechtlich selbstständige Besitz- und Betriebsgesellschaft der Art, dass die Betriebsgesellschaft die Betriebsmittel
von der Besitzgesellschaft pachtet und die Arbeitnehmer übernimmt, keine Betriebsänderung
1131
Meyer, NZA-RR 2013, 225.
BAG vom 31.01.2008 - 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642,
LAG Hamm v. 16.06.2008 – 10 TaBV 59/08, n.v.
1133
st. Rspr. seit BAG v. 04.12.1979 – 1 AZR 843/76, DB 1980, 743.
1134
BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898.
1135
Hess in H/W/G/N/R/H, § 111 BetrVG, Rn. 151 f.
1136
Henssler, NZA 1994, 294.
1137
BAG v. 17.02.1981 – 1 ABR 101/78, DB 1981, 1190.
1132
383
im Sinne von § 111 BetrVG sei. Der damit verbundenen möglichen Gefährdung künftiger Ansprüche der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer könne nicht mit Mitteln des Betriebsverfassungsgesetzes begegnet werden.
Im Ergebnis dürfte der neu eingefügte § 111 Nr. 3 BetrVG zu keiner anderen Bewertung führen. Im Vergleich zum Wortlaut des § 106 Abs. 3 Nr. 8 BetrVG verlangt § 111 BetrVG eine
Betriebsspaltung. Eine Unternehmensspaltung reicht nicht aus.1138 Erst wenn mit einer Unternehmensspaltung auch eine Abspaltung oder Ausgliederung von Betriebsteilen verbunden
ist, so erfüllt die Unternehmensspaltung auch die Voraussetzungen einer Betriebsänderung
nach § 111 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG.
Praxishinweis: Die Gefährdung künftiger Ansprüche der Arbeitnehmer ist durch § 134
UmwG in der Praxis kaum noch gegeben. Danach haftet die Besitzgesellschaft für alle Ansprüche nach den §§ 111-113 BetrVG, sofern sie nicht später als fünf Jahre nach der Spaltung entstanden sind. Der Gesetzgeber hat also dem Missbrauch der Spaltung im Vorfeld einer Betriebsänderung bereits entgegengewirkt.
(2) Bagatellausgründungen
Das BAG hat dabei bislang die Frage offengelassen, ob sog. „Bagatellausgründungen“ hiervon ausgenommen sind. Es hat jedoch betont, die Veräußerung eines Betriebsteils setze eine veräußerungsfähige Einheit voraus, die regelmäßig erst bei einer wirtschaftlich relevanten
Größenordnung und einer abgrenzbaren eigenständigen Struktur gegeben sei.1139 Es weist
aber in einer anderen Entscheidung auch darauf hin, dass anders als nach § 111 Satz 3 Nr.
1 BetrVG für Fälle der Betriebsteilstilllegung für eine Spaltung i. S. v. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht erforderlich sei, dass “wesentliche” Betriebsteile betroffen sind. Diese unterschiedliche Behandlung sei mit keinem unauflösbaren Wertungswiderspruch verbunden. Ihr liege
vielmehr die typisierende gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, eine Spaltung betreffe
anders als eine Teilstilllegung regelmäßig nicht nur den stillgelegten Teil, sondern den gesamten Betrieb.1140 Das LAG Hamm geht rechtsdogmatisch von einer Bagatellgrenze für
§ 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG aus, ohne sie für die Praxis handhabbar zu beschreiben.1141
Beispiel:
1142
Die Abteilung "Patientendisposition/-abrechnung" aus dem Betrieb in P wird abgespalten und in
den Betrieb in T eingegliedert. Damit verbunden ist der Wechsel von insgesamt sieben Arbeitnehmern unter der Leitung der Arbeitnehmerin S. Die Einigungsstelle ist im Rahmen des Verfahrens nach § 100 ArbGG nicht „offensichtlich unzuständig“, da nicht sofort erkennbar ist, ob
dadurch der Tatbestand des § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG erfüllt worden ist oder es sich lediglich
um eine "Bagatellausgründung" gehandelt hat.
1138
GK-BetrVG-Oetker, § 111 BetrVG, Rn. 127.
BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898.
1140
BAG v. 18.03.2008 – 1 ABR 77/06, NZA 2008, 957.
1141
LAG Hamm v. 31.01.2014 – 13 TaBV 114/13;
so auch ArbG Karlsruhe v. 22.07.2003 – 6 BVGa 2/03.
1142
LAG Hamm v. 31.01.2014 – 13 TaBV 114/13.
1139
384
Praxishinweis: Wegen dieses Risikos sollte man eher davon ausgehen, dass die Ausgliederung und Übertragung von Betriebsteilen faktisch immer eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung darstellt.1143 Zuständig für die Verhandlungen ist der Betriebsrat des Veräußererbetriebes.1144 Gegebenenfalls ist ein Interessenausgleich möglich, der die Arbeitgebermaßnahme einfach bestätigt.
(3) Spaltung führt zum Gemeinschaftsbetrieb
Eine Ausnahme von § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG ist dann anzunehmen, wenn nach Durchführung der Betriebsspaltung und Übertragung des Betriebs im Wege der Einzelrechtsnachfolge
der übergegangene Betriebsteil nun als Gemeinschaftsbetrieb fortgeführt wird. Hier ist die
von § 111 BetrVG grundsätzlich geforderte Änderung der betrieblichen Struktur nicht gegeben1145, sodass eine Beteiligung nach § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG nicht erfolgen muss.
vorher
A-GmbH
Produktion
nachher
Verwaltung
Unverändert:
einheitlicher
Leitungsapparat
B-GmbH
A-GmbH
Produktion
Verwaltung
cc) Personalabbau
Die Übertragung eines gesamten Betriebs kann in mehreren Fallgestaltungen Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG auslösen.
So zum einen dann, wenn der Veräußerer vor dem Betriebsübergang organisatorische Maßnahmen ergreift, um den Wert des Unternehmens oder Betriebes zu steigern. Im Fall eines
Personalabbaus beispielsweise liegt eine klassische Betriebsänderung i. S. d. § 111 Satz 3
Nr. 1 BetrVG vor, wenn die Zahlengrenzen des § 17 KSchG überschritten werden.
dd) Sozialplan bei unerkanntem oder überraschendem Betriebsübergang
Einen Sonderfall stellen die Fälle dar, in denen ein Arbeitgeber, z. B. weil er einen Auftrag
verloren hat, seinen Betrieb oder einen Teil seines Betriebes stilllegen will bzw. muss, entsprechende Verhandlungen mit dem Betriebsrat führt, ggf. schon Kündigungen ausspricht
und es dann unerwartet zu einem Betriebs(teil)übergang kommt.
1143
vgl. zur Instanzrechtsprechung auch Meyer/Röger, BB 2009, 894.
Meyer, NZA-RR 2013, 225.
1145
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1013; ErfK-Kania, § 111 BetrVG, Rn. 16;
Fitting, § 111, Rn. 88.
1144
385
Sollte der Sozialplan bereits vereinbart sein, besteht die Gefahr einer Haftung des Erwerbers. Allerdings können Ansprüche aus dem Sozialplan ausnahmsweise entfallen, wenn die
Geschäftsgrundlage des Sozialplans entfallen ist.1146
c) Auszugleichende Nachteile
Liegt eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung vor, stellt sich vor allem bei Verfahren vor
der Einigungsstelle die Frage, welche Nachteile auszugleichen sind bzw. ob dazu auch die
eventuell schlechtere Solvenz des Erwerbers u. ä. gehören.
Beispiel:
1147
Der Veräußerer gliedert eine Abteilung mit 24 Arbeitnehmern aus und überträgt sie auf die neu
gegründete E-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der bisherige Leiter dieser Abteilung ist. Der beim Veräußerer bestehende Betriebsrat verlangt, dass die schlechtere
Solvenz der E-GmbH sowie der Umstand, dass diese gemäß § 112a Abs. 2 BetrVG in den ersten vier Jahren nach Gründung nicht sozialplanpflichtig ist, im Rahmen des Sozialplans mit
ausgeglichen werden.
Das BAG hat ausdrücklich entschieden, dass eine etwaige Verringerung der Haftungsmasse
bei dem Betriebserwerber sowie dessen befristete Befreiung von der Sozialplanpflicht nach
§ 112a Abs. 2 BetrVG nicht zu berücksichtigen sind.1148
Die mögliche Verringerung der Haftungsmasse sei Folge des Schuldnerwechsels, nicht aber
der Spaltung des Betriebes. Es sollten auch dann, wenn ein (Teil-)Betriebsübergang mit einer Betriebsänderung zusammenfällt, nur diejenigen Nachteile zu berücksichtigen sein, die
die Betriebsänderung selbst verursacht, die also nicht durch § 613a BGB abschließend(!) geregelt sind.1149 Ausgleichsfähig sind damit allein die spaltungsbedingten Nachteile, z. B.
Fahrtkosten- oder Umzugskostenerstattung bei einer räumlichen Verlegung des ausgegliederten Betriebsteils.
Praxishinweis: Damit ist es auch nicht ausgleichsfähig, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil
durch einen Betriebs(teil)übergang nicht mehr der Tarifbindung unterfällt.
d) Betriebsänderung nach Betriebs(teil)übergang
Führt der Erwerber nach dem Betriebs(teil)übergang eine Betriebsänderung i. S. d. § 111
BetrVG durch, gelten hinsichtlich seiner Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht keine
Besonderheiten. Wurde das Unternehmen des Erwerbers neu bzw. kurz vor dem Betriebs(teil)übergang gegründet, kann sich der Erwerber auf die Befreiung von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 Satz 1 BetrVG berufen.
Diese Befreiung greift auch dann ein, wenn ein neu gegründetes Unternehmen einen bestehenden Betrieb oder Betriebsteil übernimmt.1150
Praxishinweis: Bei der Frage nach der Sozialplanpflicht beim Betriebserwerber kommt es
auf das Alter des Unternehmens des Betriebserwerbs an, nicht auf das Alter des übergehenden Betriebes.1151
1146
BAG v. 10.08.1994 – 10 ABR 61/93, NZA 1995, 314.
BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898.
1148
BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898.
1149
BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898.
1150
BAG v. 13.06.1989 – 1 ABR 14/88, NZA 1989, 974.
1147
386
Dies gilt nach § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG jedoch nicht für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen.
e) Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegen Betriebsübergang
aa) Übertragung eines gesamten Betriebs – Übergangs- oder Restmandat?
(1) Widerspruch einzelner Arbeitnehmer
Bei der Übertragung eines gesamten Betriebs kann der Veräußerer zudem zu Personalmaßnahmen gezwungen sein, wenn einige Arbeitnehmer nach Übergang des gesamten Betriebs
oder aller Betriebsteile dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen. In diesem
Fall könnte das Vorliegen einer nach § 111 BetrVG beteiligungspflichtigen Betriebsänderung
bereits daran scheitern, dass beim Veräußerer überhaupt kein Betrieb mit Betriebsrat mehr
besteht.1152
Das BAG hat in Bezug auf die Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG entschieden, dass der im
übergegangenen Betrieb fortbestehende Betriebsrat für diesen Fall weder ein Rest- noch ein
Übergangsmandat besitzt.1153
Der Arbeitgeber müsse bei der Kündigung eines widersprechenden Arbeitnehmers Vertretungsorgane von Betrieben nicht beteiligen, bei denen er nicht wenigstens Mitinhaber sei.
Die Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 2 BetrVG seien sinnvoll nur von dem Betriebsrat
geltend zu machen, der dem Vertragspartner des Arbeitnehmers gegenübersteht. 1154
Zu den Beteiligungsrechten des § 111 BetrVG beim Widerspruch von Arbeitnehmern gibt es
bislang noch keine ausdrückliche Entscheidung des BAG. Die Argumente aus der Entscheidung zu § 102 BetrVG sind jedoch übertragbar. Es bleibt allerdings für den Veräußerer ein
Risiko, wenn er den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans verweigert, dass
ihm ggf. dann Nachteilsausgleichsansprüche gemäß § 113 BetrVG drohen.
Praxishinweis: Will der Veräußerer dieses Risiko nicht eingehen und deshalb einen Sozialplan abschließen, sollte er auf jeden Fall die Aufnahme einer Klausel verlangen, dass eine
Abfindung ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer die Annahme eines anderen zumutbaren Arbeitsplatzes in einem anderen Betrieb des Unternehmens verweigert hat.
Außerdem verliert der Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat, trotz Unmöglichkeit der Beschäftigung durch den früheren Arbeitgeber einen
etwaigen Anspruch auf Annahmeverzugslohn, wenn er eine ihm zumutbare Beschäftigung
beim Übernehmer des Betriebes ausgeschlagen hat (§ 615 S. 2, 3. Alt. BGB).1155
(2) Kollektiver Widerspruch
Zum Teil wird auch danach differenziert, ob nur einzelne Arbeitnehmer oder alle Arbeitnehmer widersprechen. Im letzten Fall auch danach ob ein solcher kollektiver Widerspruch in einem betriebsmittelarmen oder in einem Produktionsbetrieb erfolgt.
Eine direkte oder analoge Anwendung des Übergangsmandats nach § 21a BetrVG scheidet
vom Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift aus.1156
1151
BAG v. 27.06.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106.
LAG München v. 17.10.2007 – 11 TaBV 73/07, n.v.
1153
BAG v. 08.05.2014 – 2 AZR 1005/12; BAG v. 24.05.2012 – 2 AZR 62/11.
1154
BAG v. 25.05.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115.
1155
BAG v. 19.03.1998 – 8 AZR 139/97, NZA 1998, 750.
1156
Fuhlrott/Oltmanns, BB 2015, 1015.
1152
387
Das LAG Rheinland-Pfalz1157 geht jedoch von einem Restmandat des Betriebsrats nach §
21b BetrVG für zahlreiche, widersprechende Arbeitnehmer aus. Der Betriebsrat müsse aber
in der bisherigen personellen Zusammensetzung sein Mandat ausüben. Dem widersprechen
das Sächsische LAG1158 und das LAG Köln1159 ausdrücklich. Der Gesetzgeber verwende den
Begriff des Betriebsüberganges nur in § 21a BetrVG, nicht aber für den Fall des Betriebsunterganges in der Vorschrift über das Restmandat nach § 21b BetrVG.
Es sei kaum anzunehmen, dass auch für den Fall des unveränderten Fortbestands des Betriebes ein Restmandat geschaffen werden sollte. Auch das LAG Nürnberg1160 sieht keinen
anhörungsberechtigten Betriebsrat in dieser Konstellation.
Praxishinweis: Im Ergebnis kann bei einem kollektiven Widerspruch eher davon ausgegangen werden, dass kein Betriebsrat mehr zuständig ist. Der Arbeitgeber muss deshalb vor der
Kündigung der widersprechenden Arbeitnehmer weder einen Interessenausgleich oder Sozialplan abschließen noch einen Betriebsrat nach § 102 BetrVG anhören.1161
Kann ein widersprechender Arbeitnehmer jedoch einem anderen Betrieb des Unternehmens
aufgrund einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zugeordnet werden, sollte eher von einer
Kündigung Abstand genommen werden und ggf. die Beteiligungsrechte des § 99 BetrVG im
aufnehmenden Betrieb beachtet werden.1162
bb) Übertragung von Betriebsteilen
(1) Sozialauswahl
Ein zusätzliches Problem entsteht dadurch, dass der Arbeitgeber beim Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen gemäß § 1 Abs. 3 KSchG eine Sozialauswahl durchführen muss, da
der bisherige Betrieb noch existent ist.
Nach der Rechtsprechung des BAG wirkt sich der Widerspruch selbst nicht auf die Sozialauswahl insgesamt aus.1163 Die Gründe für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den
Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber sind bei der Abwägung
der sozialen Auswahlkriterien nicht zu berücksichtigen, da die Auswahlkriterien (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) vom Gesetzgeber abschließend
benannt worden sind.
(2) Interessenausgleich und Sozialplan
Auch bei der Ausgliederung und/oder Übertragung von Betriebsteilen kann es zu dem Problem kommen, dass erst später ein sozialplan- und massenentlassungsanzeigepflichtiger Tatbestand entsteht, weil wegen des Widerspruchs (betriebsbedingte) Kündigungen gegenüber
mehreren Arbeitnehmern ausgesprochen werden müssen.
Das kann nach der Rechtsprechung des BAG dann der Fall sein, wenn ein oder mehrere Betriebsteile übertragen werden, beim Veräußerer aber noch ein (Rest-)Betrieb verbleibt.
1157
LAG Rheinland-Pfalz v. 18.04.2005 – 2 TaBV 15/05, NZA-RR 2005, 529.
Sächsisches LAG v. 21.06.2006 – 2 Sa 677/05, n.v.
1159
LAG Köln v. 17.08.2012 – 10 Sa 1347/11.
1160
LAG Nürnberg v. 09.08.2011 – 6 Sa 230/10.
1161
Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290.
1162
Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290.
1163
BAG v. 31.05.2007 – 2 AZR 276/06, NZA 2008, 33.
1158
388
Beispiel:
1164
Der Veräußerer beschließt, seine drei Betriebe mit insgesamt 18 Mitarbeitern jeweils an verschiedene Erwerber zu veräußern und die allgemeine kaufmännische Verwaltung mit 5 Mitarbeitern zum 31.12.2015 aufzulösen. Arbeitnehmer A aus Betrieb 2 widerspricht im Dezember
2015 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber II. Daraufhin wird ihm vom
Veräußerer betriebsbedingt gekündigt. A verlangt die Zahlung eines Nachteilsausgleichs gemäß
§ 113 BetrVG.
Das BAG ist der Auffassung, dass bei einem Personalabbau auch diejenigen Arbeitsverhältnisse mitgezählt werden müssen, die nur deshalb gekündigt werden müssen, weil die Arbeitnehmer dem Übergang auf einen Teilbetriebserwerber widersprochen haben und eine Beschäftigungsmöglichkeit im Restbetrieb nicht mehr besteht. Darüber hinaus sollen auch widersprechende Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich haben, wenn der Arbeitgeber vor der Betriebsänderung keinen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht.1165
Diese Rechtsprechung kann für einen Veräußerer zu einer echten „Haftungsfalle“ werden, da
er gerade bei solchen und ähnlichen Fallkonstellationen nicht weiß und auch nicht wissen
kann, ob die Grenzen für eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung überschritten werden
oder nicht.
Dieses Problem wird durch Entscheidung des EuGH zur Massenentlassung1166 verschärft.
Der Veräußerer wird vor das zusätzliche Problem gestellt, dass eventuell bereits ausgesprochene Kündigungen (wegen Betriebsstilllegung) aus diesem Grunde als unwirksam betrachtet werden.
Beispiel:
Beim Veräußerer verbleiben nach dem Betriebsteilübergang 540 Beschäftigte. Er trifft die Entscheidung, nach dem Betriebsübergang weitere 20 Arbeitnehmer betriebsbedingt zu entlassen.
Eine Massenentlassungsanzeige erstattet er nicht, da er den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Nr.
3 KSchG (mindestens 30 Arbeitnehmer) mit dieser Personalmaßnahme nicht erreicht. Kurz
nach Ausspruch der Kündigung widersprechen 15 Arbeitnehmer des übergegangenen Betriebsteils rechtswirksam dem Betriebsübergang. Die Entlassung weiterer 15 Arbeitnehmer (nach Sozialauswahl im Veräußererbetrieb) wird schnellstmöglich notwendig. Spricht er diese betriebsbedingten Kündigungen innerhalb der 30-Tages-Frist aus, werden die Personalmaßnahmen
nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 KSchG insgesamt anzeigepflichtig.
Praxishinweis: Das Problem lässt sich kaum befriedigend lösen. Eine Möglichkeit, das Risiko zu verringern, besteht in einer frühzeitigen Information nach § 613a Abs. 5 BGB, damit die
Einmonatsfrist des § 613a Abs. 6 BGB ausgelöst wird. In diesem Fall kann der Veräußerer
nach Ablauf der Monatsfrist abschätzen, wie hoch der tatsächliche Personalabbau sein wird.
Allerdings wird er dann u. U. erst Kündigungen aussprechen können, sodass wegen der zum
Teil erheblichen Kündigungsfristen die Gefahr erheblicher Entgeltzahlungen nach der (Teil)Stilllegung droht.
Der Arbeitgeber könnte auch vorsorglich bereits für die erste Personalmaßnahme trotz Unterschreiten der Schwellenwerte eine Massenentlassungsanzeige erstatten. Hier sind die er-
1164
BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787.
BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787.
1166
EuGH v. 27.01.2005 – C-188/03, NZA 2005, 213; Nicolai, NZA 2005, 206.
1165
389
höhten bürokratischen Anforderungen an die gleichzeitig vorzulegende Mitteilung an den Betriebsrat nach § 17 Abs. 3 KSchG zu beachten.1167
Eine andere Lösung besteht darin, jedenfalls schon einmal die Arbeitsverhältnisse zu beenden, die mit Sicherheit beendet werden müssen. Kündigungsschutzklagen können durch den
Abschluss von Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen oder der Möglichkeit nach § 1a
KSchG vermieden werden. Sofern Kündigungen ausgesprochen werden, ist die Massenentlassungsanzeige ggf. nachzuholen bzw. eine erneute Kündigung nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige auszusprechen.
Bei den Schwellenwerten des § 17 KschG sind dann auch die Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen auf Veranlassung des Arbeitgebers relevant.1168 Dann besteht für den Veräußerer zwar noch ein Risiko hinsichtlich der nach dem Widerspruch auszusprechenden
Kündigungen, aber die damit verbundene finanzielle Belastung (in Form von Nachteilsausgleichsansprüchen) dürfte kalkulierbar sein.
2. Anhörung nach § 102 BetrVG
a) Übergang eines gesamten Betriebes
Die Frage im Zusammenhang mit § 102 BetrVG hat das BAG beantwortet (vgl. II. 1 e) zu
§ 111 BetrVG). Widerspreche ein Arbeitnehmer wirksam dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, besitze der fortbestehende Betriebsrat im vollständig übergegangenen Betrieb
kein Rest- oder Übergangsmandat.1169
Allerdings wirft es in Bezug auf § 102 BetrVG die auch in der Literatur1170 diskutierte Frage
auf, ob etwas anderes gelten müsse, wenn in einem betriebsmittelarmen Betrieb ein erheblicher Teil der Belegschaft von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht.
Praxishinweis: Aufgrund dieser Andeutung kann es sich im Falle eines betriebsmittelarmen
Betriebes bei Widersprüchen eines erheblichen Teils der Belegschaft empfehlen – ausdrücklich vorsorglich – den Betriebsrat des übergegangenen Betriebes anzuhören, um das Scheitern der Kündigungen nicht allein nach § 102 BetrVG zu riskieren.
Zusätzlich wird die Frage diskutiert, ob der Arbeitgeber in einem Unternehmen mit mehreren
Betrieben einen anderen Betriebsrat seines Unternehmens beteiligen muss.
Beispiel:
1171
Ein Unternehmen mit mehreren Betrieben unterhält einen „Hauptbetrieb“ am Hauptstandort des
Unternehmens, in dem die Geschäftsleitung sitzt und buchhalterische und verwaltungstechnische Aufgaben erfüllt werden. Betriebsräte existieren in allen Betrieben und es existiert ein Gesamtbetriebsrat. Einer der Betriebe, ein Produktionsbetrieb mit 300 Mitarbeitern, wird verkauft
und geht vollständig nach § 613a BGB auf einen Erwerber über und einzelne oder alle Arbeitnehmer widersprechen dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Für diese Arbeitnehmer bestehen keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an anderen Standorten des Unternehmens.
Das BAG hat entschieden, dass weder der Betriebsrat eines anderen Betriebes im Unternehmen noch der Gesamtbetriebsrat angehört werden muss, zumindest soweit keine Wei1167
u. a. BAG v. 28.06.2012 – 6 AZR 780/10.
BAG v. 19.03.2015 – 8 AZR 119/14; BAG v. 28. 06. 2012 – 6 AZR 780/10.
1169
BAG v. 08.05.2014 – 2 AZR 1005/12;
1170
Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290; Moll/Ersfeld, DB 2011, 1108.
1171
Hidalgo/Kobler, NZA 2014, 290.
1168
390
terbeschäftigungsmöglichkeit für den widersprechenden Arbeitnehmer in einem dieser Betriebe besteht.1172
b) Übergang eines Betriebsteils
Im Fall eines Betriebsteilübergangs bleibt der Betriebsrat im Ausgangsbetrieb wohl bei Erhalt
der Betriebsidentität im Amt (vgl. I 1 d) aa)), sodass bei einem Widerspruch von Arbeitnehmern dieser auch zur Kündigung nach § 102 BetrVG angehört werden muss.
3. Datenschutz
a) Information des Erwerbers (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG)
Während der Verkaufsverhandlungen mit potenziellen Erwerbern ist es üblich, dass diese
sich umfassend über die wirtschaftlichen Daten des Veräußererunternehmens, aber auch
über die Personaldaten informieren möchten (sog. due dilligence).1173 Zum Teil reagieren Betriebsräte auf einen bevorstehenden Betriebsübergang deshalb auch mit datenschutzrechtlichen Einwänden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Die Weitergabe der Personaldaten an den potenziellen Erwerber wird unter Hinweis auf das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) als unzulässig bewertet.
Die Weitergabe von Personaldaten an den potenziellen Erwerber ist jedoch bei Beachtung
des Erforderlichkeitsgrundsatzes zulässig. Rechtsgrundlage für die Weitergabe der Personaldaten ist § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BDSG.1174 § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG ist nicht einschlägig,
da die Datenweitergabe nicht zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt
(zweckbezogene Datenverarbeitung).
Werden die Personaldaten allerdings anonymisiert weitergegeben, das heißt, es ist keinerlei
Bezug zur Person mehr herstellbar1175, greift das BDSG gar nicht ein (§ 3 Abs. 1 und
Abs. 6 BDSG).
Praxishinweis: Grundsätzlich erscheint es sinnvoll, die Personaldaten nur anonymisiert weiterzugeben. Soweit die Anonymisierung nicht in Betracht kommt, empfiehlt es sich wegen
des Grundsatzes der Erforderlichkeit, die Personaldaten auf die Daten zu reduzieren, die für
einen potenziellen Erwerber notwendig sind.
Um den Betriebsrat kooperativ einzubinden, kann auch eine Betriebsvereinbarung über die
Weitergabe der Personaldaten an einen potenziellen Erwerber geschlossen werden. Die Betriebsvereinbarung gilt dann selbst als ausreichende Rechtsgrundlage (§ 4 Abs. 1 BDSG)1176.
b) Position des Datenschutzbeauftragten
Geht das Arbeitsverhältnis des beim Betriebsveräußerers bestellten Datenschutzbeauftragten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Betriebserwerber über, wird der Arbeitnehmer
nicht dadurch zum bestellten Datenschutzbeauftragten des Betriebserwerbers. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Bestellung zum Datenschutzbeauftragen oder auf Ausübung des Amtes des Datenschutzbeauftragten im Unternehmen des Betriebs(teil)erwerbers.1177
1172
BAG v. 21.03.1996 – 2 AZR 559/95.
Woerz, ArbR 2011, 502; Göpfert/Meyer, NZA 2011, 486.
1174
Braun/Wybitl, BB 2008, 782.
1175
Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rn. 43.
1176
BAG v. 27.05.1986 – 1 ABR 48/84, NZA 1986, 643.
1177
LAG Berlin-Brandenburg v. 15.10.2013 – 3 Sa 567/13.
1173
391
4. Information des Wirtschaftsausschusses
Der Wirtschaftsausschuss ist gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG über eine Betriebsaufspaltung bzw. den Übergang eines Betriebes oder eines Betriebsteils auf einen anderen Inhaber
nach § 613a BGB durch den Unternehmer zu unterrichten.1178
Entsprechend den allgemein zu § 106 BetrVG entwickelten Grundsätzen muss diese Unterrichtung so rechtzeitig erfolgen, dass Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat durch ihre Stellungnahme und eigene Vorschläge noch Einfluss auf die Gesamtplanung wie auch die einzelnen Vorhaben nehmen können.1179
Praxishinweis: Die Vorlage der Unterlagen nach § 106 Abs. 2 S. 1 BetrVG erfordert ein
Zurverfügungstellen rechtzeitig vor den Sitzungen bis zu deren Ende in Form von Originalen,
Fotokopien oder Abschriften; ohne Zustimmung des Unternehmers dürfen sich die Mitglieder
keine Kopien anfertigen.1180
Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Unterlagen dem Wirtschaftsausschuss nach
§ 106 Abs. 2 BetrVG vorgelegt werden müssen, insbesondere ob dazu auch der mit dem
Erwerber geschlossene Kaufvertrag gehört.
Diese Frage hat aufgrund einer Änderung durch das sog. Risikobegrenzungsgesetz1181 neue
Brisanz erfahren. Nach § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG liegt auch eine wirtschaftliche Angelegenheit vor, wenn das Unternehmen mit Kontrollerwerb übernommen werden soll. Für diesen speziellen Fall konkretisiert § 106 Abs. 2 S. 2 BetrVG auch die erforderlichen Unterlagen: Angabe über den potenziellen Erwerber, dessen Absichten im Hinblick auf die künftige
Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf
die Arbeitnehmer.
Ziel des Risikobegrenzungsgesetzes1182 ist es, die Transparenz bei Unternehmenskäufen
von Finanzinvestoren zu erhöhen. § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG erfasst dabei nur die Übernahme durch den Erwerb von Geschäftsanteilen (sog. share-deal), das Unternehmen selbst
bleibt dadurch unberührt.1183 Für § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG wird teilweise vertreten, dass zu
den erforderlichen Unterlagen auch der Vertrag zur Veräußerung der Gesellschaftsanteile
gehört.1184 Der Wortlaut von § 106 Abs. 2 S. 2 BetrVG rechtfertigt diese Auffassung nicht.1185
Der klassische Betriebsübergang durch Erwerb von Vermögensgegenständen (sog. asset-deal) fällt dagegen nicht unter § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG, sondern zumindestens unter
§ 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG.1186 Die Aussagen zu § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG sind deshalb
nicht ohne Weiteres übertragbar.
Das BAG1187 hat über die Pflicht zur Vorlage des Gesellschaftervertrages gegenüber dem
Wirtschaftsausschuss abschlägig entschieden, solange dieser ausschließlich das Innenverhältnis des ehemaligen Gesellschafters zum neuen Gesellschafter betrifft.
1178
BAG v. 22.01.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649.
BAG v. 22.01.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649;
LAG Berlin-Brandenburg v. 30.03.2012 – 10 TaBV 2362/11.
1180
BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 64/82, NZA 1985, 432.
1181
BGBl. 2008/I, S. 1666.
1182
BT-Drucksache 16/7438, S. 8.
1183
Fitting, § 106 BetrVG, Rn. 81.
1184
Fitting, § 106 BetrVG, Rn. 125.
1185
Löw, DB 2008, 760.
1186
GK-BetrVG-Oetker, § 106 BetrVG, Rn. 91.
1187
BAG v. 22.01.1991 – 1 ABR 38/89, NZA 1991, 649.
1179
392
Zu einem anderen Sachverhalt hat das BAG entschieden, dass dem Wirtschaftsausschuss
alle Unterlagen vorzulegen sind, die ihm eine Stellungnahme und ggf. Einfluss auf die unternehmerische Entscheidung selbst ermöglichen.1188
Nach Auffassung des LAG Berlin1189 ist der Unternehmenskaufvertrag jedenfalls dann nicht
vorzulegen, wenn der reine Verkauf als solcher die Interessen der Arbeitnehmer im vorliegenden Falle nicht wesentlich berührt. Im Rahmen des § 80 Abs. 2 BetrVG hat das LAG
Rheinland-Pfalz1190 die Erforderlichkeit der Einsichtnahme in einen Mietvertrag verneint.
Im Ergebnis ist dem Wirtschaftsausschuss jedenfalls dann nicht der Unternehmenskaufvertrag vorzulegen, wenn keine Absprachen hinsichtlich des Geschäftsumfanges und der Geschäftspolitik zwischen Veräußerer und Erwerber getroffen wurden. Der Kaufvertrag setzt die
unternehmerische Entscheidung lediglich um.
Der Veräußerer kann aber gehalten sein, etwaige Unterlagen vorzulegen, die Grundlage für
seine entsprechende (Verkaufs- oder Auslagerungs-)Entscheidung sind. Das können z. B. in
Outsourcing-Fällen Berechnungen über die Höhe der möglicherweise einzusparenden Kosten sein.
III. Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder nach Betriebs(teil)übergang
1. Problemstellung / Ausgangslage
a) Übergang eines gesamten Betriebes
Bleibt ein Betriebsrat aufgrund der Übertragung eines gesamten Betriebes nach einem Betriebsübergang unverändert im Amt, ändert sich auch an der Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder nichts. Sie bleiben mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten im
Amt.
b) Übergang eines Betriebsteils
Schwieriger ist die Rechtslage, wenn lediglich ein Betriebsteil übertragen wird.
Praxishinweis: Für eine gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat im verbleibenden Veräußererbetrieb auch nach dem Betriebsübergang empfiehlt es sich, im Vorfeld des Betriebsübergangs mit den betroffenen Betriebsratsmitgliedern Lösungen zu suchen.
Ausgangspunkt ist, dass Betriebsratsmitglied nur sein kann, wer Arbeitnehmer des Betriebs
ist. Geht das Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds auf einen anderen Arbeitgeber
über, ist er ab dem Zeitpunkt des Teilbetriebsübergangs nicht mehr Arbeitnehmer des Ursprungsbetriebes, sodass seine Mitgliedschaft im Betriebsrat gemäß § 24 Nr. 3 BetrVG erlischt.1191 In den Betriebsrat des verbleibenden Veräußererbetriebes rücken dann ein bzw.
mehrere Ersatzmitglieder nach.
Beispiel:
Betriebsratsmitglied A ist in der Vertriebsabteilung im Betrieb des Veräußerers tätig. Die Abteilung wird vom Veräußerer ausgegliedert und verselbstständigt. Der Erwerber wird neuer Arbeitgeber. A verliert im Zeitpunkt des Betriebsübergangs seine Mitgliedschaft im Betriebsrat.
1188
BAG v. 11.07.2000 – 1 ABR 43/99, NZA 2001, 402.
LAG Berlin v. 06.12.2004 – 12 TaBV 1797/04.
1190
LAG Rheinland-Pfalz v. 18.01.2011 – 3 TaBV 46/10.
1191
ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 130.
1189
393
Praxishinweis: Der Übergang des Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB stellt für sich genommen keine Versetzung dar, die nach § 103 Abs. 3 BetrVG zustimmungspflichtig wäre.
Bestehen Unsicherheiten über den Fortbestand des Betriebsratsmandats des übergegangenen Betriebsratsmitglieds, scheidet eine einstweilige Verfügung schon mangels Eilbedürftigkeit aus,1192 da die Amtsfortführung im Ursprungsbetrieb durch Ersatzmitglieder gewährleistet
ist.
Unerheblich dürfte es in diesem Zusammenhang sein, ob das betreffende Betriebsratsmitglied freigestellt ist oder nicht. Wenn es dem übergehenden Betriebsteil zuzuordnen ist, geht
sein Arbeitsverhältnis mit der Folge auf den Erwerber über, dass nicht nur sein Betriebsratsamt, sondern auch die darauf beruhende Freistellung nach § 38 BetrVG erlischt.
Wird die Mitgliedschaft im Betriebsrat durch den Übergang eines Arbeitsverhältnisses nach
§ 613a BGB beendet, wird sich das ehemalige Betriebsratsmitglied gegenüber dem Erwerber auf den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 KSchG berufen können.
Diese Frage ist zwar noch nicht höchstrichterlich entschieden, jedoch geht das BAG wohl
davon aus, dass der nachwirkende Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG in allen
Fällen (hier zum Rücktritt eines Betriebsratsmitglieds) eingreift, in denen die Amtszeit des
konkreten Betriebsratsmitglieds endet.1193 Damit dürften auch die Fälle erfasst sein, in denen
ein Betriebsratsmitglied wegen des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses sein Mandat verliert.
Praxishinweis: Will der Erwerber also nach dem Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs eine
Betriebsänderung durchführen bzw. betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, sollte er
sicherheitshalber davon ausgehen, dass für frühere Betriebsratsmitglieder des Veräußerers
die ordentliche Kündigung bis zu einem Jahr nach Betriebsübergang ausgeschlossen ist.
Daher können sie z. B. nicht in die Sozialauswahl miteinbezogen werden. Insoweit gilt das
Gleiche wie bei anderen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern.
Der Mandatsverlust für das Betriebsratsmitglied ist jedoch in zwei Fällen problematisch:
 Zusammensetzung des Betriebsrates bei Bestehen eines Übergangsmandats
 Widerspruch gegen Betriebsübergang und Betriebsratsmandat
2. Zusammensetzung des Betriebsrat beim Übergangsmandat
Die überwiegende Literatur geht davon aus, dass die Mitgliedschaft im Betriebsrat in diesem
Fall nicht erlischt.1194 Das Übergangsmandat soll demnach nicht nur die Fortdauer einer betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung sichern, sondern zugleich für seine Dauer die Kontinuität des Betriebsratsamtes.1195 § 24 Nr. 3 BetrVG sei insoweit teleologisch zu reduzieren.
Die Betriebsratsmitglieder im Erwerberbetrieb sollen als Mandatsträger danach gegen den
neuen Vertragsarbeitgeber auch Anspruch auf Übernahme der anfallenden Sachkosten1196
1192
ArbG Mannheim v. 29.07.2008 – 8 BVGa 2/08, n.v.
BAG v. 05.07.1979 – 2 AZR 521/77, DB 1979, 2327; ErfK-Preis, § 613a BGB, Rn. 130 und
ErfK-Koch, § 21a BetrVG, Rn. 9.
1194
ErfK-Eisemann/Koch, § 21a BetrVG, Rn. 7; Maschmann, NZA-Beilage 1/2009, 32;
Worzalla in H/W/G/N/R/H, § 21a BetrVG, Rn. 24; Fitting, § 21a BetrVG, Rn. 16.
1195
LAG Sachsen-Anhalt v. 25.11.2010 – 3 TaBV 16/10 zum Restmandat § 21b BetrVG.
1196
ArbG Leipzig v. 05.05.2006 – 10 BV 57/05.
1193
394
und auf Freistellung mit Entgeltfortzahlung (§ 37 Abs. 2 BetrVG) haben.1197 Zwar hat das
BAG1198 zum Restmandat nach § 21b BetrVG Vergütungsansprüche ausgeschlossen, ob
diese Rechtsauffassung jedoch auf das Übergangsmandat übertragbar ist, bleibt fraglich.
Soweit Mitbestimmungsrechte wahrgenommen werden, die allein die Belegschaft des verbleibenden Betriebsteils betreffen, kann der Betriebsrat beim Veräußerer jedoch nur mit betriebsangehörigen Mitgliedern entscheiden.1199 An die Stelle der ausgeschiedenen Betriebsratsmitglieder treten dann betriebsangehörige Ersatzmitglieder.
Demgegenüber wird darauf hingewiesen, dass dies zu dem nicht praktikablen Ergebnis führt,
dass der Betriebsrat im Ursprungsbetrieb dann abhängig vom Mitbestimmungsgrund in einer
anderen Besetzung zusammentreten und beschließen müsste.1200
Mit der überwiegenden Literatur wird man davon ausgehen müssen, dass die Mitgliedschaft
im Betriebsrat nicht dann erlischt, wenn der Betriebsrat des Veräußererbetriebes im übertragenen Betriebsteil ein Übergangsmandat hat. Das Bestehen des Übergangsmandats modifiziert insoweit § 24 Nr. 3 BetrVG. Die Folgeprobleme hinsichtlich der Zusammensetzung des
Betriebsrats sind nicht unüberwindbar und die Kostenfragen können ggf. Inhalt des Kaufvertrages zwischen Veräußerer und Erwerber sein.
3. Widerspruch eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 613a Abs. 6 BGB
Der Widerspruch eines Betriebsratsmitglieds gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses ist sowohl beim Übergang eines ganzen Betriebes als auch eines Betriebsteiles möglich
und zulässig.
Die Frage nach dem Betriebsratsmandat nach Widerspruch hat insbesondere Bedeutung für
eine betriebsbedingte Kündigung im Veräußererbetrieb, wenn das widersprechende (bisherige) Betriebsratsmitglied dort nicht mehr beschäftigt werden kann.
a) Betriebsteilübergang - Beibehaltung der Mitgliedschaft im Betriebsrat
Ein widersprechendes Betriebsratsmitglied wird sein Amt nur dann behalten, wenn der Betriebsrat im Betrieb des bisherigen Arbeitgebers bestehen bleibt.
Zur Beibehaltung der Mitgliedschaft im Betriebsrat aufgrund Widerspruchs wird es ausschließlich bei Übertragung eines Betriebsteils kommen, da der Betriebsrat des verbleibenden (Rest-)Betriebes beim Veräußerer im Amt bleibt.
Der Widerspruch führt zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses beim bisherigen Arbeitgeber.1201 Dieser wirkt auf den Zeitpunkt des Übergangs zurück, auch wenn der Widerspruch
aufgrund mangelhafter Information erst längere Zeit nach dem Betriebsübergang erklärt
wird.1202 Das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbei
Herunterladen