Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg Institut für Geschichte – Abteilung für Historische Hilfswissenschaften „Königtum und Ritual“ PD Dr. Joachim Schneider Würzburg, den 1. März 2008 Lehnswesen und Lehnszeremoniell im römisch-deutschen Reich Dennis Majewski stud. phil. Sanderstraße 10a 97070 Würzburg am Main 6. Fachsemester HF: Historische Hilfswissenschaften NF: Mittelalterliche Geschichte NF: Volkskunde angestrebter Abschluß: Magister I. – Inhaltsverzeichnis I. Inhaltsverzeichnis …1 II. Einleitung …2 III. Entstehung des Lehnswesens …3 IV. Rechtsformen des Lehnswesen …5 V. Belehnungszeremonielle …7 VI. Charakteristika des Lehnswesen …10 VII. Beispiel Brandenburg VIII. a) Allgemeines …13 b) Belehnungszeremoniell nach Richental …14 c) Belehnungsurkunde(n) Sigismunds an Friedrich …15 Beispiel Würzburg a) Belehnung Johanns II. durch Sigismund …16 b) Transkription …17 c) Zusammenfassung …19 IX. Zur Kanzlei König Sigismunds …20 X. Schluß …21 XI. Quellen- und Literaturverzeichnis …22 XII. Anhang a) Bestätigungsurkunde der Privilegien und weltlichen Rechte Bischof Johanns II. b) Bildliche Darstellung der Belehnung Friedrich VI. mit der Mark Brandenburg 1 II. – Einleitung Als eines der prägendsten gesellschaftlichen Phänomene des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im römisch-deutschen Reich kann das Lehnswesen bezeichnet werden. Auch wenn es möglicherweise ähnliche Konstellationen in anderen Kulturkreisen gegeben haben mag, so ist es doch, in der europäischen Geschichte, einmalig. Bereits im frühen Mittelalter entstanden, konnte sich das Lehnswesen so verwurzeln und verfestigen, daß es als feste Konstante die Zeit bis in die Frühe Neuzeit hin überdauern konnte. Die nachfolgende Arbeit soll das Lehnswesen als solches, aber auch ganz besonders die damit verbundenen Zeremonielle und Rituale beleuchten. Dabei wird auf die Entstehung des Lehnswesen seit der Karolingerzeit und die unterschiedlichen Ausprägungen des Systems eingegangen werden. Neben den verschiedenen Arten von Lehen steht auch die Betrachtung der Charakteristika des Lehnswesens im Fokus der Arbeit. Anhand zweier Beispiele aus dem Spätmittelalter wird Einblick in die Belehnung von geistlichen und weltlichen Fürsten gegeben. Darin eingebettet ist die Beschreibung Ulrich Richentals von der Belehnung Burggraf Friedrichs von Nürnberg mit der Mark Brandenburg durch König Sigismund während des Konstanzer Konzils, sowie die Transkription einer Lehnsurkunde König Sigismunds aus dem frühen 15. Jahrhundert an den Würzburger Bischof Johann II. von Brunn. Voran gestellt sei ein Zitat von Karl-Heinz Spieß, der mit seinen Forschungen die bis dahin angestellten Forschungen zum Thema Lehnswesen in ein anderes Licht rückt: „Die Bedeutung des Lehnswesen für die Adelsgesellschaft wird häufig danach bemessen, wie der Vasall seine Lehnspflichten erfüllt hat. Gerade bei den Lehnsbeziehungen zwischen König und Reichsfürsten im Spätmittelalter hat man aber den Eindruck, wichtiger als die konkrete Ausgestaltung des Lehnsbandes sei der zeremoniell überhöhte Belehnungsakt an sich gewesen.“1 Eine abschließende Beurteilung wird dieser Arbeit nicht bieten können, wohl aber das Umfeld des Lehnswesens vom frühen bis zum späten Mittelalter beleuchten und daraus Rückschlüsse auf die mögliche Bedeutungsverschiebung, weg von der persönlichen Bindung hin zum Instrument herrschaftlicher Selbstinszenierung, zu ziehen vermögen. 1 Spieß, Das Lehnswesen in Deutschland (2002), S. 15 2 III. – Entstehung des Lehnswesens Die Anfänge des Lehnswesen liegen wohl im merowingischen Frankenreich des sechsten bis achten Jahrhunderts2. Seit dieser Zeit begannen sich freie Personen in den Schutz mächtigerer Herren zu begeben. Ganshof erklärt dies mit der sich erst langsam herausbildenden und noch nicht durchsetzbaren öffentlichen Macht und dem Schutzbedürfnis der Menschen dieser Zeit3. Schulze nennt als weiteren Grund die materielle Not, welche zu Abhängigkeitsverhältnissen unter Freien führte4. Zunächst diente eine solche „Kommendation“5 dem Schutz des Mannes und der „Übernahme bestimmter Verpflichtungen6 unter Wahrung der persönlichen Freiheiten“7. Dennoch wurde die Freiwilligkeit dieser lebenslangen Bindung stets betont. Eine formelhafte Überlieferung einer Kommendation ist in einem Formelbuch aus dem zweiten Viertel des achten Jahrhunderts überliefert. Darin heißt es: „Dum et omnibus habetur persognitum, qualiter ego minime habeo, unde me pascere vel vestire debeam, ideo petii pietati vestrae, et mihi decrevit voluntas, ut me in vestrum mundoburdum tradere vel commendare deberem; quod ita et feci; eo videlicet modo ut me tam de victu quam et de vestimento, iuxta quod vobis servire et promereri potuero, adiuvare vel consolare debeas, et dum ego in capud advixero, ingenuili ordine tibi servicium vel obsequium inpendere debeam et de vestra potestate vel mundoburdo tempore vitae meae postestatem non habeam subtrahendi, nisi sub vestra potestate vel defensione diebus vitae meae debeam permanere.“8 Aus dem Kommendationswesen, das die Franken aus dem eroberten Gallien übernahmen, entsprang die „Gehorsamspflicht“ des Lehnswesens9. Die zweite Grundlage des sich in der Karolingerzeit herausbildenden Lehnswesens, war die „durch Eid begründete Treue“10. Diese wurzelte in dem germanischen System der Gefolgschaft. Das anfängliche „Treuemonopol“ der Frankenkönige wurde mit der Zeit durch Adlige und hohe Geistliche gebrochen11 und ließ „die gallo-römische Vasallität mit ihrer starken Abhängigkeit des Vasallen von seinem Herrn […] mit Elementen der auf 2 siehe: Ganshof, Was ist das Lehnswesen? (1975), S. 1 und Schulze, Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter (1985), S. 56 3 Ganshof, S. 1 4 Schulze, S. 57 5 terminus technicus: commendare, bzw. commendation wird bereits von Gregor von Tours verwendet 6 Dienst und Gehorsam (servitium vel obsequim) 7 Schulze, S. 57 8 Zeumer (Hg.), Formulae Merovingi et Karolini Aevi (1886), S. 158 9 siehe Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters (1974), S. 59 10 Mitteis, S. 61 11 Ders., S. 62 3 gegenseitiger Treue basierenden germanischen Gefolgschaft zum frühmittelalterlichen Lehnswesen [verschmelzen]“12. Neben den beiden bereits genannten Elementen trat ein weiteres hinzu, welches für „die weitere Entfaltung des Lehnswesens von größter Bedeutung war“13: das Benefizium. Das Benefizium, also das Lehnsobjekt, bildete sich schon bald als das „dingliche Substrat“14 der Vasallität, beziehungsweise des Lehnsverhältnisses heraus. Hatten die Merowinger zunächst das Land den Kommendierten geschenkt15, so waren die Eigentumsrechte des Herrn bei der Vergabe von Benefizien deutlich besser abgesichert. Der Beliehne war demnach „Inhaber eines ius in re aliena des römischen Rechts, eines Rechts an einer fremden Sache“16. Mit den Benefizien sollten die Beliehen die Möglichkeit haben, ihren vasallitischen Pflichten nachzukommen. Allerdings, das soll betont werden, war die Vergabe eines Benefiziums in ihren Anfängen nicht zwangsläufig an Vasallität gebunden: „Noch im Mittelalter gab es (…) Vasallen ohne Benefizium und Benefizien, die nicht in den Händen von Vasallen waren.“17 Abschließend ist zu sagen, daß Kommendation, Treueid und Benefizium allmählich eine enge Verbindung eingingen, aus der sich im frühen Mittelalter das klassische Lehnswesen herausbildete. Dabei verschob sich die Gewichtung der drei Elemente immer mehr hin zur Vergabe eines Lehnsobjektes. „Der Empfang eines Benefiziums wurde als ein wesentlicher Bestandteil der vasallitischen Bindung angesehen.“18 Entwickelte sich diese Verbindung unter den ersten Karolingern noch schrittweise, kann man seit Karl dem Großen von einer „verstärkten Ausbreitung von Vasallität und Benefizium“ sprechen19. Das Lehnswesen erreichte dann zwischen dem zehnten und dreizehnten Jahrhundert seine „klassische Ausprägung“20. „Die endgültige Umgestaltung des Reichsverbandes unter Anwendung lehnrechtlicher Prinzipien erfolgte unter den staufischen Herrschern. Der König beanspruchte eine oberlehnsherrliche Stellung gegenüber allen Herrschaftsträgern, die in einen das ganze Reich umfassenden Lehnsverband eingeordnet waren.“21 12 Schulze, S. 58 Ebenda 14 Mitteis, S. 65 15 „allerdings nicht zu freiem, sondern nach germanischer Auffassung an den Zweck Anhänger zu belohnen gebundenes Eigentum“ (Mitteis, S. 65f.) 16 Ganshof, S. 8 17 Mitteis, S. 66f. 18 Schulze, S. 59 19 vgl. Ganshof, S. 21-23 20 Ganshof, S. 65 21 Ders., S. 65 13 4 IV. – Rechtsformen des Lehnswesen Abzugrenzen von anderen Leiheverhältnissen sind Verleihungen „die durch eine Widerrufsklausel eingeschränkt, oder auf einen bestimmten Zeitraum befristet sind“22. Auch Zölle und „andere vermögenswerten Rechte ‚auf ewige Zeiten’“23 begründen kein Reichslehenverhältnis. Auch Zins- oder Pfandleihen sind, sofern nicht durch andere lehnsrechtliche Bestandteile verknüpft, nicht zu den Reichslehen zu rechnen. „Mannlehen“: Hierbei handelt es sich nach dem Sprachgebrauch der königlichen Kanzlei wohl zunächst um „jedes gegen Mannschaftsleistung verliehenes Lehen“24. Erst mit der Zeit grenzten sich „erblehen“ und „burglehen“ davon ab. Die ebenfalls synonym gebrauchten Begriffe „rechtes lehen“, oder „feudum rectum“ verschmolzen im vierzehnten Jahrhundert auch zur Formel „zu rechtem mannlehen“25. Fahnlehen: Getrennt von jenem „mannlehen“ ist das Fahnlehen zu betrachten. Die verwendeten Begriffe „vanlen“, „feudum vexillare“, oder „feudum vexilli“ „deuten dabei stets auf ein besonders qualifiziertes Lehnsverhältnis hin“26. Kennzeichnend für diese Art der Belehnung ist die Tatsache, daß hierbei (im Gegensatz zu den Belehnung geistlicher Fürsten mit dem Szepter) eine Fahne als Investitursymbol gebräuchlich war. Fahnenlehen drückten die Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand aus. Abweichend davon wurden aber auch Grafen und freie Herren mit Fahnen investiert. Die damit verbundene Problematik ist bei Krieger näher ausgeführt27 und soll daher an dieser Stelle ausgelassen werden. Fest steht, daß die Fahne wohl ursprünglich „die Übertragung militärischer Kontrollgewalt“28 ausdrücken sollte. Später trat sie dann auch als „Blutfahne“ als Symbol für (Hoch-)Gerichtsbarkeitsrechte auf. Weitere Besonderheiten der Fahnlehen waren die Unteilbarkeit und die Bestimmung, daß der König sie im Falle eines Mannfalls binnen Jahr und Tag wieder ausgegeben mußte29. Szepterlehen: Zu trennen von den Fahnlehen sind die sogenannten Szepterlehen. Spätestens seit dem Investiturstreit hatten die römisch-deutschen Könige das Recht verloren, Bischöfe mit Ring und Stab zu investieren. Dennoch unterlagen die Fürstbischöfe und Reichsäbte der Lehnshoheit der Könige. Spieß bezeichnet in diesem Zusammenhang das Wormser Konkordat 22 Krieger, S. 32 Ders., S. 33 24 Ders., S. 34 25 vgl. Krieger, S. 35 26 Krieger, S. 36 27 Ders., S. 39-41 28 Ders., S. 41 29 Ders., S. 37 23 5 von 1122 als „Markstein auf dem Weg zu dieser Feudalisierung der Reichskirchenverfassung“30. Hierbei wurde dem König ein Leiheverhältnis für die weltlichen Herrschaftsrechte zugestanden, die in Folge dessen mit dem Szepter als Investitursymbol verliehen wurden. „Die mit dem Zepter verliehenen Regalien erstreckten sich auf das vom Reich stammende Kirchengut der geistlichen Reichsfürsten, das auf diese Weise in den Reichslehnsverband eingegliedert wurde“31. Im Spätmittelalter vermischten sich allerdings Szepter und Fahnen als Investitursymbole, so daß auch weltliche Fürsten mit dem Szepter belehnt wurden und umgekehrt geistliche Fürsten Fahnlehen erhielten. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert wurden „sämtliche Fürsten nur noch mit Fahnen investiert“32. Handlehen: Zahlreiche Deutungen zum Begriff des Handlehen wurden bislang von der Forschung unternommen. So wird unter anderem das Handlehen als eine Beleihung angesehen, bei dem der Lehnsmann weder Mannschaft noch Treueid leisten muß, sondern lediglich ein „Handgelübde“ leistet. Krieger kommt zu dem Schluß, daß „das ‚Handlehen’ lediglich im Bereich der untersten Stufe des Reichslehnverbandes als besonders ausgestaltetes Lehnsverhältnis Eingang gefunden hat, in der königlichen Belehnungspraxis selbst jedoch als vom Normallehen abweichendes Rechtsinstitut nicht nachweisbar ist“33. Pfandlehen: Weitere Ausprägungen des Lehnswesen finden sich in Pfandlehen, die eine „eigenartige Zwischenform zwischen Lehnrecht und Pfandrecht“34 darstellen. Für den König bot sich hier eine attraktive Alternative, da der „Pfandgläubiger der königlichen Lehnshoheit unterstellt wurde und der König als Lehnsherr in der Lage war, bereits durch die Drohung, das Pfandobjekt einzulösen, in gesteigertem Maße auf das Verhalten des Beliehenen einwirken konnte“35. Burglehen, Zinslehen: Als Sonderformen des Lehnswesen können das sogenannte Burglehen und das Zinslehen angesehen werden. Während beim Burglehen der Vasall zum Burgdienst verpflichtet wurde und dafür eine Geldsumme, oder Rentenzahlungen erhielt, so mußte beim Zinslehen eine entsprechende Gebühr für das Lehnsobjekt an den König abgeführt werden. Das Zinslehen wurde als echtes Lehen angesehen, für das im Gegensatz zu der Leihe nach städtischem Erbzinsrecht oder bäuerlichem Hofrecht Mannschaft und Treueid geleistet werden mußten. 30 Spieß, S. 36 Ebenda 32 Spieß, S. 37 33 Krieger, S. 47 34 Ders., S. 52 35 Ders., S. 58 31 6 V. – Belehnungszeremonielle Kein Lehnsverhältnis konnte ohne das dazugehörige Zeremoniell begründet werden. Die Investitur war die zentrale Symbolhandlung der gesamtpolitischen Ordnung des frühen Mittelalters36. Das Belehnungszeremoniell als solches bestand aus mehreren Rechtsakten, welche notwendig waren, um ein Lehnsverhältnis zu begründen und die sich seit der Karolingerzeit herausgebildet hatten37. „Solche Rechtsakte wurden in der Öffentlichkeit vorgenommen, die von dem betroffenen Lebenskreis hergestellt wurde. Mit diesem Akt wurde zugleich Konsens, Zeugenschaft und Garantie für das Geschehen zum Ausdruck gebracht.“38 Weinfurter erklärt auch, warum dies so wichtig war: „Die öffentliche Zeremonie hatte nichts anderes zum Ziele, als die Ordnung sichtbar zu machen.“39 Der erste dieser aneinander gereihten Rechtsakte war die sogenannte „Mannschaft“ (hominium, hommagium). Diese bestand im Wesentlichen wiederum aus zwei Elementen, die aufeinander folgten. Zuerst die immixtio manuum, dem Handgang. Bei diesem legte der Vasall seine gefalteten Hände in die des Herrn, welcher sie mit den seinigen umschloß. Der später, hauptsächlich in Frankreich, hinzutretende Lehnskuß, sollte die „im Grunde für den Vasallen erniedrigende Zeremonie“40 aufwerten. Dabei durfte der Vasall den Herrn auf die Wange küssen. Die Bedeutung im römisch-deutschen Raum unterschied sich dabei von der französischen. „In Deutschland war der Lehnskuß kein konstitutiver Bestandteil der Zeremonie, sondern diente eher zur Dokumentierung der engen persönlichen Bindung zwischen dem Lehnsherrn und seinen Vasallen.“41 Dem Handgang folgt das volo, die Willenserklärung, welche mündlich vorgetragen wurde. Dabei mußte die Willenserklärung nicht zwangsläufig nur von dem Vasallen aus gehen. „Auch der Herr konnte mit einigen Worten seinen Willen kundtun (…)“42. Das wesentlichere Element der Mannschaft war jedoch der Handgang. Nach dem vorherrschenden Rechtsverständnis war „eine sinnenfällige Handlung, meist symbolischer Art“43 zu vollziehen, um ein Rechtverhältnis zu begründen. Charakteristisches Merkmal der Mannschaft war jedoch die Selbstübergabe44. 36 Weinfurter, Das Ritual der Investitur (2005), S. 136 (so formuliert bei Hans Keller) vgl. Schulze, S. 73 38 Weinfurter, S. 136f. 39 Weinfurter, S. 143 40 Schulze, S. 73 41 Ebenda, ähnlich auch Ganshof, S. 80f. 42 Ganshof, S. 75 43 Ders., S. 75 44 vgl. Ganshof, S. 76 und die dort beschriebenen Ausnahmen 37 7 Freiwilligkeit der Der Mannschaftsleistung folgte der Treue- oder Lehnseid (fides/fidelitatis, mhd. hulde). Der Eid wurde stehend und unter Hinzunahme einer res sacra geleistet. Der Vasall schwor dabei auf eine Reliquie oder die Heilige Schrift, „seinem Herrn treu zu sein, ihm Hilfe und Beistand zu leisten und ihm keinen Schaden zuzufügen“45. Als Beispiel für einen solchen Treueid sei der des Grafen Rotgarius von Foix gegenüber dem Bischof Peter von Gerona 1034 angeführt: „De ista ora inantea fidel serai ego Rotgarius, filius Garsen a te Petrone episcopo, filio Adalaiz per rectam fidem, sine ingan, sicut omo debet esse ad seniorem suum sine nulla sua desptione me sciente“46. Der Lehnseid gewann mit der Zeit immer mehr an Bedeutung „und wurde im späteren Mittelalter als der eigentliche Rechtsgrund für die Verpflichtungen des Vasallen gegenüber seinem Senior betrachtet“47. Es folgte darauf die Investitur durch den Herrn, bei der der Vasall ein „Lehngut oder andere nutzbare Rechte aus der Hand des Lehnsherrn“48 empfing. Die Rechtsakte Mannschaft (mit oder ohne Kuß) und Treueid begründeten ein personenbezogenes Rechtsverhältnis zwischen Vasall und Herrn. Erst die Übergabe eines Investitursymbols (Fahne, Szepter, Schwert, Ring, etc.) ließen ein „dingliches Rechtsverhältnis zwischen Vasall und Herrn entstehen49. Dabei lassen sich nach Schulze „Handlungssymbole“ und „Gegenstandssymbole“ unterscheiden. Erstere dienten zur „Veranschaulichung des vom Lehnsherrn vorgenommenen Aktes“50. Schulze rechnet dieser Gruppe Gegenstände wie Szepter und Ring zu. Die „Gegenstandssymbole“, zu denen Schulze Lanzen und Fahnen zählt, verblieben im Besitz des Vasallen51. „Die mit der Huldigung eines neuen Herrschers verbundene Investitur bedeutete die gegenseitige Anerkennung von Rang und Stellung und vor allem die Anerkennung all der Vergünstigungen, die vom Reich (…) ausgingen.“52 Nicht selten wurde im Anschluß an das Ritual eine Urkunde ausgestellt, „in der die näheren Umstände der Leistung von Treueid und Mannschaft festgehalten und die von beiden Parteien eingegangenen Verpflichtungen verhältnismäßig ausführlich niedergelegt wurden“53. Ausführliche Untersuchungen zu diesen Urkunden hat Volker Rödel unternommen. Die in diesem Zusammenhang gemachten Auswertungen zu den Arengen können an dieser Stelle vernachlässigt werden, zumal sie in späterer Zeit fast gänzlich verschwinden: „Es hat den 45 Schulze, S. 74 vgl. Ganshof, S. 78 47 Schulze, S. 74, auch bei Ganshof, S. 82 48 Schulze, S. 74 49 Ebenda, auch Ganshof, S. 134 50 Ganshof, S. 135 51 nach Schulze, S. 74 52 Weinfurter, S. 143 53 Ganshof, S. 83 46 8 Anschein, als seien Arengen vornehmlich dann verwendet worden, wenn Vergünstigungen aus besonderer, aber deswegen nicht willkürlich waltender Gnade gewährt wurden (…)“54. Bei einem Großteil der von Rödel untersuchten Urkunden war keine Narratio vorhanden. Rödel begründet dies damit, „daß bei rund der Hälfte der Quellen die rechtlichen Voraussetzungen entweder als geklärt oder in einer Weise als problemlos aufgefaßt wurden, daß eine Narratio sich erübrigte“55. In der sich anschließenden Dispositio sei nach Rödel „das Ureigenste einer Belehnung aufzusuchen“56. Der am häufigsten auftretende lateinische Terminus „concedere“ ist dabei wohl die übliche Wendung für (ver)leihen57. Rödel gibt hier jedoch die Einschränkung, daß concedere nicht zwangsläufig für (ver)leihen steht, sondern „auch im Sinne seiner allgemeineren Bedeutung, nämlich ‚zugestehen’, ‚gestatten’ zu verwenden war“58. Weitere Wendungen für Vergabe von Lehen waren „conferre“, „infeudare“, „investire“ und „gratiam facere“59. Allein auf Grund dieser Leiheformeln läßt sich allerdings noch nicht zweifelsfrei auf eine Belehnungsurkunde schließen. „Eine Berücksichtigung des Kontextes ist hierfür unabdingbar, auch deswegen, weil die oft komplexe Vertragsform von Renten- und Pfandlehen nur aus dessen Gesamtheit heraus erkannt werden kann.“60 Dazu dient eine nähere Betrachtung der Pflichtenerwähnung. Diese können lediglich darauf hinweisen, daß „das Lehen zu demselben Rechte besessen werde, wie es ein Vorbesitzer (…) innegehabt habe“61. Wobei auch seit dem 14. Jahrhundert Erwähnungen von Eid und Mannschaft vorkommen62. An die Dispositio schließt sich dann eine oft kurze Poenformel oder ein Schutzmandat an, die das Rechtsverhältnis vor dem Eingriff Dritter schützen soll63. Abschließend kann gesagt werden, daß „der Lehnsakt immer aufwendiger und prachtvoller inszeniert wurde, denn er sollte durch seine Gesten und Symbole die rechtliche Eindeutigkeit zum Ausdruck bringen. Das Ritual der Investitur (…) überdauerte die Zeiten, aber seine Aussage und seine Bedeutung veränderten sich so tief greifend, dass man am Ende des Mittelalters kaum mehr von derselben Sache zu sprechen vermeint – ein Beispiel dafür, wie sehr Rituale ihren Sinn verändern konnten und wie fein sie reagierten auf den Wandel in den Ordnungskonfigurationen der Gesellschaft.“64 54 Rödel, Reichslehnswesen (1979), S. 88 Ders., S. 94 56 Ders., S. 98 57 Rödel, S. 99 Anm. 4: „Ebel (…) meint, im Zweifel könne man immer „verleihen“ darunter verstehen.“ 58 So bei der Abtretung von Ministerialen, der Erlaubnis weiblicher Erbfolge, etc. (vgl. Rödel, S. 99) 59 nach Rödel, S. 100 und 101 60 Rödel. S. 104 61 Krieger, S. 110f. 62 Ders., S. 105 und 114f. 63 Ders., S. 127-131 64 Weinfurter, S. 151 55 9 VI. – Charakteristika des Lehnswesens Wurden bislang die Grundlagen des Lehnswesen und seine Entstehung betrachtet, soll im Folgenden der Blick auf die Charakteristika des Lehnswesen, sowie auf den Reichslehnverband und die königliche Lehnshoheit gerichtet werden. Zunächst müssen aber noch wesentliche Grundlagen des Lehnssystems erörtert werden. Die Entstehung eines Lehnsverhältnisses wurde dabei schon beleuchtet. Jedoch erlosch mit dem Tod eines der beiden Beteiligten die lehnsrechtliche Bindung, was eine Erneuerung des Lehnsverhältnisses zwischen den Rechtsnachfolgern nach sich zog. Hierbei wird zwischen dem Herrenfall (Tod des Lehnsherrn) und dem Mannfall (Tod des Vasallen) unterschieden. Während in dem ersteren Falle alle Vasallen ihre Lehen muten mußten, mußte im zweiten Fall der jeweilige Erbe sich um die erneute Belehnung bemühen. Die sogenannte Mutung der Lehen hatte binnen Jahr und Tag65 zu erfolgen. „Zwar mußte das Lehnsverhältnis nach dem Tode des Vasallen erneuert werden, doch konnte der Lehnsherr die Belehnung eines lehnsfähigen Erben nicht verweigern.“66 Das persönliche Element des Lehnswesen brachte jedoch für die Beteiligten einen ernormen Aufwand mit sich. Das persönliche Erscheinen zu Lehnsvergaben führte dazu, daß mit der Zeit auch die Belehnung durch Stellvertreter, oder auch an Stellvertreter erfolgen konnte. So waren zahlreiche „Landvögte, Bürgermeister, Schultheißen, Pfleger und sonstige Amtsträger“67 mit Generalvollmachten des Königs ausgestattet, um in seinem Namen Reichslehen zu vergeben. Aber auch auf der Seite der Beliehenen mehrte sich die Gesandtenbelehnung, wobei allerdings die wohl eher theoretische „Auflage gemacht wurde, bei sich bietender Gelegenheit den Lehnsempfang persönlich nachzuholen“68. Kern des Lehnswesens war die Erfüllung der Lehnspflichten durch den Vasallen. Diese begründete sich aus der Leistung von Mannschaft und Treueid. Der Vasall „hatte nicht nur alles zu unterlassen, was seinem Herrn schaden konnte, sondern war ihm gegenüber auch zu „Rat und Tat“ (consilium et auxilium) verpflichtet“69. Dies bedeutete im Wesentlichen, daß der Vasall zur „Hof- und Heerfahrt“ verpflichtet war und „an dem für Lehnsangelegenheiten zuständigen Hofgericht teilzunehmen (…) hatte“70. Andererseits war auch der Lehnsherr zur Treue gegenüber seinen Vasallen verpflichtet. Die 65 Krieger, S. 437, Anm 261: „Die Frist von „Jahr und Tag“ umfaßte im Mittelalter regelmäßig einen Zeitraum von einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen“ 66 Schulze, S. 82 67 Krieger, S. 435 68 Ders., S. 437 69 Schulze, S. 76 70 Ebenda 10 Verpflichtungen des Herrn die mit der Formel „Schutz und Schirm“ umschrieben werden, wurden allerdings nicht durch einen Eid begründet, „sondern als Reflexwirkung der Mannentreue verstanden“71. Grundlage der Lehnsfähigkeit war unter anderem die Heerschildordnung des Sachsenspiegels. Diese besagte, daß der König an der Spitze stand, gefolgt von den geistlichen Reichsfürsten an zweiter und den weltlichen Reichsfürsten an dritter Stelle. Auf der vierten Stufe standen die freien Herren, während die nachfolgenden Stufen (fünf, sechs und sieben) deren Vasallen und Aftervasallen zustanden72. Die Heerschildordnung sah dabei vor allem das Verbot der „Lehenniederung“ vor. „So konnte nach der Lehre von der Heerschildordnung kein Vasall von einem anderen, der der gleichen oder gar einer niedrigeren Heerschildstufe angehörte, Lehen empfangen, wollte er nicht Gefahr laufen seinen Heerschild zu erniedrigen.“73 Dennoch schrieb die Heerschildordnung keinen Typus den Kronvasallen vor. Der König war also frei Angehörige aus allen Heerschildstufen zu belehnen. So setzten sich die Kronvasallen des hohen und späten Mittelalters zwar im Wesentlichen aus den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten zusammen, daneben waren aber auch Grafen, freie Herrn, Dienstmannen und sogar Bürger und Bauern mitunter Teil der Kronvasallität. Der sogenannte Lehnshof wurde aus der Gesamtheit der Vasallen eines Herrn gebildet. „Die Vasallen bildeten somit einen herrschaftlich strukturierten Verband, dem im Unterschied zu genossenschaftlich gebildeten Gruppen die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung fehlte.“74 Dennoch gab es eine Institution bei der die Vasallen genossenschaftlich zusammenwirken konnten: Das für Lehnsfragen zuständige Lehnsgericht. Zwar konnte hier der Lehnsherr, sofern er nicht an der Streitsache beteiligt war, als Richter fungieren, war jedoch an das Urteil der Vasallen gebunden. War er selbst in dem Verfahren beteiligt, so setzte er einen Vasallen an seiner statt ein. Jedoch „gelang es dem Lehnsherrn immer wieder, ein Urteil der Vasallen gegen einen unbotmäßigen Mitvasallen in seinem Sinne zu erreichen.“75 Die Belehnung von Reichsfürsten durch den König war mit einem aufwendigen Zeremoniell verbunden, „das die Ableitung der fürstlichen Herrschaft vom Königtum sinnfällig vor Augen führen“76 sollte. Zwar ist für die Salier- und Stauferzeit nicht belegt, daß die Fürsten ihre Lehen kniend empfangen haben. Spätestens aber seit Rudolf von Habsburg mehren sich die Zeugnisse für einen knienden Lehnsempfang. Dabei agierten oft auch die Kurfürsten als 71 Spieß, S. 27 vgl. Spieß, S. 25 und 27 73 Krieger, S. 118 74 Spieß, S. 31 75 Ebenda 76 Spieß, S. 39 72 11 Helfer, wie beispielsweise auch aus dem Bericht Ulrich Richentals über die Belehnung Friedrichs VI. mit der Mark Brandenburg hervorgeht77. Sie machten somit „jedermann deutlich, dass die auf der Bühne anwesenden Personen das Reich mit seinen Gliedern darstellten“78. Mit der Zunahme des gestiegenen Selbstbewußtseins der Fürsten nahmen solche öffentlichen Investituren mit Kniefall vor dem König jedoch ab dem sechzehnten Jahrhundert kontinuierlich ab. Oft erfolgte dann die bereits erwähnte Belehnung eines Gesandten. Besonders in Frankreich kam ab dem Ende des neunten Jahrhunderts eine Form des Lehnswesens auf, die den eigentlichen Grundsätzen widersprach. In diesem Fall war es Brauch, daß „ein Vasall mehreren Herren Mannschaft leistete“79. Dies konnte leicht zu einem Interessenkonflikt bei der Treueleistung führen. Dies führte letztendlich zu dem System der Ligesse, bei dem einer der Herren gegenüber dem Vasall eine Sonderstellung einnahm. Diesem mußte der Vasall mit der ganzen Hingabe dienen, die das Wesen der frühen Vasallität ausgemacht hatte: integre, d.h. ganz und vorbehaltlos und contra omnes, gegen jedermann“80. Daraus entwickelte sich in England eine Monopolisierung der Ligesse durch das Königtum; eine Entwicklung die in Deutschland erst im zwölften Jahrhundert einsetzte. „Größere Bedeutung als auf der Ebene des Reiches gewann die Ligesse in Deutschland auf der Ebene der Territorialfürstentümer.“81 An dieser Stelle soll auch noch kurz auf die Beendigung eines Lehnsverhältnis eingegangen werden. Zwar war eine Beendigung theoretisch nur im Falle des Todes einer der beiden beteiligten Parteien vorgesehen, jedoch konnte durch Felonie (das heißt durch Bruch der Lehnstreue, beziehungsweise durch Nichterfüllung der vasallitischen Pflichten) das Lehen entzogen werden. Der Felonieprozeß wurde vor dem Lehnsgericht geführt. „Zum Tatbestand der Felonie gehörten vor allem der Angriff auf den Lehnsherrn, die Aufsagung der Treue während eines Kampfes, die Weigerung, sich dem Lehnsgericht zu stellen, die Verschweigung der Lehen und ihre Veräußerung ohne die Zustimmung des Lehnsherrn.“82 Im gegenteiligen Fall, das heißt bei der sogenannten „Herrenfelonie“ blieb dem Vasallen der Weg vor den Oberlehnsherrn (sofern es nicht der König selbst war), oder die schuldfreie Führung einer Fehde gegen den Lehnsherrn83. 77 siehe S. 14 Spieß, S. 39 79 Ganshof, S. 107 80 Ders., S. 108 81 Schulze, S. 81 82 Ders. S. 77 83 vgl. Schulze, S. 77 78 12 VII. – Beispiel Brandenburg Allgemeines In diesem Teil der Arbeit soll die Belehnung eines weltlichen Reichsfürsten näher beleuchtet werden. Als Beispiel soll hier die Belehnung des Nürnberger Burggrafen Friedrichs VI. von Hohenzollern mit dem Kurfürstentum Brandenburg herangezogen werden. Dabei wurden der Bericht Ulrich Richentals vom Konstanzer Konzil, sowie die beiden von König Sigismund ausgestellten Belehnungsurkunden herangezogen werden. Nach dem Aussterben der Askanier in Brandenburg sollte auch ein Zwischenspiel der Wittelsbacher84 nur von kurzer Dauer sein. So waren Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Luxemburger in den Besitz Brandenburgs gekommen. Nach dem Tode Jobsts von Mähren fiel die Mark Brandenburg nun an Sigismund zurück85. Dieser hatte bereits am 8. Juli 1411 den Hohenzollern Friedrich VI. als „obersten Hauptmann und Verweser der Mark Brandenburg“86 eingesetzt. In dieser Funktion versuchte Friedrich die Vorherrschaft des märkischen Adels, hier besonders die der Familie Quitzow, zu brechen. Für seine Bemühung übertrug ihm König Sigismund dafür am 30. April 1415 die Markgrafschaft Brandenburg, die Kur und das Erzkämmereramt. War Friedrich damit faktisch im Besitz sämtlicher Rechte in der Mark Brandenburg gebrauchte er den Titel „Kurfürst“ jedoch nicht, sondern führte lediglich den Markgrafen-Titel87. Obwohl es sich hierbei nicht um eine Belehnung im klassischen Sinne gehandelt haben mag, erfolgte am 21. Oktober 1415 eine Erbhuldigung durch die brandenburgischen Stände88. Dabei ist anzumerken, daß sie zuvor nicht von Sigismund von ihrem Treueid ihm gegenüber entbunden wurden89. Die Belehnung 1417 sieht Ranke als logische Konsequenz: „(…) andererseits die Mark Brandenburg beruhigt und im Besitz des Burggrafen von Nürnberg befestigt, der durch seine Erhebung zur Kurwürde zugleich einen gesetzlichen Anteil an der Reichsverwaltung erhielt. Mit dem Land wurde eine Würde erworben, welche nach der königlichen die höchste im Reiche war. Alles beruhte auf den Diensten, welche der Burggraf (…) leistet“90. 84 König Ludwig der Bayer belehnte seinen achtjährigen Sohn Ludwig V. mit der Mark (vgl. Weiß, Die ersten Hohenzollern in der Mark (2001), S. 28 85 siehe Ranke, Preußische Geschichte (1981), S. 32 86 Weiß, S. 28 87 siehe Weiß, S. 30 88 Ebenda 89 vgl. Ranke, S. 39: „sie war bei ähnlichen Fällen in der Regel gemacht worden; aber doch nur formaler Natur und ohne politische Bedeutung“ 90 Ranke, S. 41f. 13 Belehnungszeremoniell nach Richental In seiner Chronik über das Konstanzer Konzil beschreibt Ulrich Richenal das Belehnungszeremoniell des Hohenzollern Friedrich VI. ausführlich. Auf die Überlieferung der Konstanzer Chronik Richentals einzugehen wäre ein anderes Thema. Für die Schilderung der Vorkommnisse wurde die Edition von Buck herangezogen. Dies sei erwähnt, da Abweichungen zu anderen Handschriften auszumachen sind91. Am 18. April 1417 „do empfieng der hochwirdig fürst burggrauf Fridrich von Nürenberg vor imbiß an der achtenden stund sin kurfürstenthumb, die marggrafschaft Brandenburg am obern markt ze Costentz“92. Während Friedrich mit seinem Gefolge durch die Stadt ritt, wurden zwei Fahnen mit den brandenburgischen und zollerschen Wappen vorangetragen. Auf dem Marktplatz waren viele Menschen anwesend. Darunter auch Kardinäle, hohe Geistliche, sowie weltliche Fürsten. „hertzog Ludwig von Payern von Haidelberg“93 hielt während der Zeremonie ein blankes Schwert, während die geistlichen Kurfürsten brief in iro henden hatten, was er dem hailgen römischen riche sweren solt. Ebenso waren hertzog Ludwig von Sachßen, der elter, der kurfürst, der einen güldin gilgen in der Hand hielt, hertzog Hainrich von Payern, der Szepter und Reichsapfel trug und herzog Rudolffen von Sachßen, an der Zeremonie beteiligt. Auf einer bereitgestellten Tribüne thronte der mit einer goldenen Krone bekrönte Sigismund. Friedrich kniete vor dem König nieder und es wurde ihm die Belehnungsurkunde verlesen. Der König legte ihm das Szepter und den Reichsapfel in die Hände. Do nam hertzog Ludwig das schwert uß siner schoß und hub es hoch enbor und stackt den spitz in des küngs kron94. Und aus der Hand des Königs empfing Friedrich die beiden Fahnen (Brandenburg und Zollernschild). Im Anschluß daran leistete Friedrich den Treueid. „Pauker und Posaunisten beendeten die Zeremonie, die verdeutlicht, wie eine politische Entscheidung in die ehrwürdigen Formen des Lehensrechts gehüllt und öffentlich demonstriert wurden.“95 Im Anschluß an den eigentlichen Belehnungsakt lud derselb marggrauf Fridrich von Brandenburg, burggraf zu Nürenberg unßern herren den küng, all churfürsten, grauen, ritter und knecht und vil bischof und sust pfaffen und gelert lüt, ußgenomen die cardinäl (zu dem imbiß). 91 vgl. hierzu auch Buck, Ulrich Richental: Chronik des Constanzer Concil (1882), S. 105, Anm. 1 Buck, S. 104 93 alle weiteren Quellenzitate auf dieser Seite entstammen der Edition von Buck (Seiten 102 bis 106) 94 die gleiche Geste, das blanke Schwert über dem Haupt des Königs, begegnet beim Weihnachtsdienst wieder 95 Weiß, S. 31 92 14 Belehnungsurkunde(n) Sigismunds an Friedrich Es sind zwei Urkunden, die dem Burggrafen Friedrich VI. zu Nürnberg die Mark Brandenburg und die damit verbundene Kurwürde und das Erzkämmereramt einbringen und damit den Grundstein für den späteren Aufstieg der Hohenzollern legen. Beide Urkunden rechtfertigen die Einsetzung/Belehnung Friedrichs mit dessen Verdiensten um König und Reich96. Die erste Urkunde datiert vom 30. April 1415 und ist deutlich länger als die eigentliche Belehnungsurkunde vom 18. April 1417. In jener ersten Urkunde „überläßt (König Sigismund) dem Burggrafen Friedrich VI. zu Nürnberg die Kur und Mark Brandenburg und das Erzkämmerer-Amt“97. In der Urkunde heißt es dazu: „(…) haben wir, mit wolbedachtem mute, gutem rate vnserr vnd des Richs kurfurstem Dem merenteile, vnd ouch vil ander fursten, Greuen, Edler vnd getruen, Dem vorgenanten fridrich vnd sinen erben Die vorgenannte marke vnd kurfurstentum mitsampt der kure vnd Ertzcamermeisterampte (…)98 gnedicleich gegeben, vnd In ouch einen rechten vnd waren Marggrauen doruber gemacht.“99 Die zweite, deutlich kürzere, Urkunde wurde am 18. April 1417 ausgestellt. In dieser Urkunde wird ein Merkmal des Lehnszeremoniell noch einmal aufgegriffen. So heißt es: „Vns hat ouch der vorgenannt Friedrich gewöhnlich gelubd vnd Eyde doruf getan, vns vnd dem Riche getrue gehorsam vnd gewertig zusin, vnd zudienen.“100 Bereits vorher wird die Belehnungsformel genannt: „Haben wir, Als wir In Vnserr kunglicher Maiestat zu Costencz saszen, mit wolbedahtem mute, gutem vnd einhelligem Rate (…) den vorgenannten Fridrich zu dem vorgenannten kurfurstentumm vserkon, vnd In ouch dorczu geuordert vnd geruffen, vnd Im also das vorgenannte kurfurstentumme, die Marke zu Brandemburg, mitsampt der kure dorczu gehörende (…) Als dann das von vns vnd dem Riche zu lehen rüret, gnediclich vnd mit solicher czierheit (…) verlihen.“101 Als Notare der Kanzlei nennt sich 1415 ein Johannes prepositus De Strigonio als Vicecancellarius und 1417 ein gewisser Johannes Kirchen102. 96 „(…) vnd ouch des iczgenannten Fridrichs redlikeite, vestikeitem biderbkeite vnd vernunfte, vnd sunderlich sin willig, vnuerdrossen, nucze vnd getrue dienste, die Er vns vnd dem Riche langczyt getan hat (…)“ 97 Stillfried/Märcker, Monumenta Zollerana (1861), S. 299 98 es folgt eine Aufzählung der verliehenen Besitzungen (u.a. gerichten, mannen, wildpennen, Dorffern, weiden) 99 Stillfried/Märcker, 300f. 100 Dies., S. 452 101 Dies, S. 451f. 102 siehe dazu S. 20 15 VIII. – Beispiel Würzburg Belehnung Johanns II. durch Sigismunds Es soll nun im Folgenden auf die Bestätigung der Privilegien und weltlichen Rechte des Würzburger Fürstbischofs Johann II. von Brunn eingegangen werden. Dieser Vorgang steht exemplarisch für die Belehnung eines geistlichen Herren durch den König/Kaiser. Bereits 1411 war Johann II. von Brunn auf den Würzburger Bischofsstuhl gelangt103. Und so mag es kein Zufall gewesen sein, daß Bischof Johann II. bei der Krönung Sigismunds in Aachen am 8. November 1414 anwesend war, „von dem er am 12. November Regalien und Privilegienbestätigung empfängt“ 104. Bereits am 21. Juli 1411 war Sigismund von Johanns Vorgänger (Johann I. von Egloffstein, als Bevollmächtigter von König Wenzel von Böhmen) in Frankfurt zum römisch-deutschen König gewählt worden105. Die Belehnungsurkunde für Bischof Johann II. wurde von mir im Staatsarchiv Würzburg eingesehen. Sie ist unter der Signatur WWU 35/33 zu finden und wurde am 12. November 1414 in Aachen ausgestellt106. Die Urkunde ist auf Pergament und in deutscher Sprache verfaßt. Bei der Schrift handelt es sich um eine gut leserliche gotische Bastarda des frühen 15. Jahrhunderts. Als Initialen sind das „W“ von „Wir“ und das „B“ von „Bekennen“ in der ersten Zeile hervorgehoben. Auf der rechten Seit der Plica nennt sich der Schreiber: Ad mandatum domini Regis Michael de Priest canonicus wratislamensis107. Das angehängte Siegel ist an einem blau-roten Fadenbündel mittig an der Plica befestigt. Es ist aus braunem Wachs gefertigt. Es handelt sich bei dem Siegel um das einseitige Thronsiegel König Sigismund als römischer König wie es bei Posse beschrieben wird: „Zwei dreistöckige Türme, sich nach oben verjüngend, bilden, verbunden durch einen gekrümmten Spitzbogen, eine Nische, deren Hintergrund ein gegitterter, mit Lilien besäter Teppich bildet In dieser Nische der König sitzend, mit der Bügelkrone, im Königsornate, mit Zepter und Reichsapfel. Rechts oben der Schild mit dem einfachen Adler, darunter der böhmische Löwe, links oben das Patriarchenkreuz (neuungarisches Wappen) darunter ein dreimal geteilter Schild (altungarisches Wappen). Unten am Fußschemel rechts der Schild mit dem luxemburger Löwen, links ein Schild mit drei gekrönten Löwenköpfen (Dalmatien).“108 Auf der Rückseite der zusammengefalteten Urkunde ist ein Eingangsvermerk der bischöflichen Verwaltung auf dem Marienberg angebracht. 103 Wendehorst, S. 143 Wendehorst, S. 144 105 Böhmer, Regesta Imperii (1896-1900), Nr. 64a 106 Ebenda, Nr. 1313 107 Michael de Priest war zunächst in der Kanzlei König Wenzels IV. beschäftigt. Sein Übertritt zu Sigismund erfolgte 1413. (vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des Königs Wenzel (IV.) (1970), S. 222) 108 vgl. Posse, Die Siegel der Deutschen Kaiser und Könige (1913), S. 45f. 104 16 Tanskription Wir Sigmund, von gotes gnaden Romischer kung zu allentziiten merer des Riichs und zu Ungern, Dalmacien, Croacien etc109 kung, Bekennen an disem brive allen den In sehen, oder horen lesen, Und ob sich unser angeborne konigcliche güte110 gegen allen unsern und des Riichs getreuen alltziit miltigclich beweyste, ire frumen und nutze tzuschaffen. Iidoch sein wir billichen mit mererm flisse dartzu geneygt unser und des Riichs fursten und besunder der die mit willigen dinsten und andacht In unsern und des Riichs gehorsamen und treuen allwege herkomen und stete bliben sein ere und nutz gnediclichen furtzuwenden. Wann nu der Erwirdig Johanns Bischoff tzu wirtzburg unser furste und lieber andechtiger fur uns komen ist und uns demuticlich gebeten hat das wir Im und sinem Stifft tzu Wirtzpurg sine Regalia und werntlichkeyt zuverlihen gnediclichen geruchten. Und wann sein vorfarn Bischofe tzu Wirtzpurg Romischen keysern und kungen unsern vorfarn an dem Riiche und auch dem heiligen Romische[n] Riiche alltziit willig getreue und gehorsam gewest sein und er uns und dem Riiche willig getreue gewertig und gehorsam ist und sein sol und mag In kunfftigen ziiten. Des haben wir angesehen und gnediclichen betrachtet die obgenan[nten] sine demütigen bette und haben Im darumb mit wolbedachtem mute gutem rate und rechter wissende die vorgenan[nten] sine und seins Stifftes tzu Wirtzpurg Regalia und werntlichkeite mit allen rechten wirdikeyten eren und tzirden dartzu gehorende von Romischer koniglicher gewalt macht und volkumenheit In unser maiestat sitzende mit unserm konigilichen sceptro111 verlihen und verleihen auch Im die und dem vorgen[annten] sinem Stiffte In crafte ditz brives und Romischer konigcilicher gewalt macht und volkumenheit. Und wollen und gebieten darumb allen und iglichen sinen und des vorgenan[nten] Stiffts zu Wirtzpurg mannen und undertanen ernstlichen und vesticlichen mit disem brive das sie dem vorgenan[nten] Johannsen Bischoffe als Irem rechten ordenlichen herren in allen werntlichkeiten gerichten und sachen die vorgenan[nten]Regalia und kunglichkeyte antreffende furbasser mer ersamlich gehorsam und gewertig sein sullen an alles widersprechen als lieb In sey unser und des Riichs swere ungenade zuvermeiden und bey verliesung aller lehen die sie und igclicher besunder von Im und sinem Stiffte zu Wirtzburg haben und besitzen. Auch haben wir Im sinen Nachkomen Bischoffen tzu Wirtzpurg und desselben Stifftes zu Wirtzpurg alle Ire brieve und privilegia wie die von worte tzu worte lutend und begriffen sein die sine vordern von den obgenanten unsern vorfarn Romischen keysern und kungen und er von uns und vor unser 109 tironische Kürzung Punkt und Strich über dem u 111 sc in Ligatur 110 17 Romischen kungclichen Cro(nün)ge und bis here behalden erworben und herbracht haben oder sich der gebrauchen gnediclichen und von besundern gnaden bestetigt verneuet confirmiret und befestiget, bestetigen verneuen confirmiren und befestigen Im die auch, sinen Nachkomen und dem vorgenanten Stiffte In craft ditz brives und Romischer kunglicher macht gewalt und volkumenheit. Und gebieten auch darumbe allen und igclichen fursten geistlichen und werntlichen, Greven, freyen, Rittern, knechten, vogten Amptluten schultheissen schopffen und gemeinschefften und sust allen unsern und des Riichs unttertanen und getreuen ernstlich und vesticlich mit diesem brive und wollen das sie die vorgenanten Johannsen Bischoff sine Nachkomen und Stifft tzu Wirtzpurg an den obgenanten Iren brieven und privilegien nicht hindern oder Irren noch dorein greiffen oder widersetzen in dheinewise Sundern sie do bey gerucklich bliben lassen als lieb In sey unser und des Riichs swere ungenade zuvermeyden und bey verliesung hundert marken lotigs goldes und auch ander pene als die dann In unser vorfaren Romischen keysern und kungen Privilegien und brieven In vormals gegeben clerlicher begriffen ist halbe In unser Camer und halbe dem vorgenanten Bischoffe und sinen Nachkomen unleßlichen zubetzalen. Und ob von uns oder unsern vorfarn Romischen keysern oder kungen an dem Riiche yemandes dheyne privilegia oder brive gegeben weren oder hernach von uns oder unsern Nachkomen Römischen keysern oder kungen an dem Riiche gegeben wurden die des obgenanten Stiffts tzu Wirtzburg privilegia oder brieve swechten oder letzen mochten oder dowider weren, die widerruffen wir und tun die abe In crafft ditz brives und Romischer kunglicher gewalt macht und volkumenheit und sie sullen wider die nicht crafft noch macht haben In dheine wyse. Mit urkunde ditz brives versigelt mit unser kunglicher maiestat Insigel. Geben zu Ache Nach Cristi geburt virtzehenhundert Iare und darnach In dem virtzendem Iare am nechsten Montage nach sand Mertens tage112, unser[es] Riiche des ungerischen etc113 In dem acht undzwentzigisten und Romischen In dem funfften Iaren. Der auf der Rückseite angebrachte und stark gekürzte Vermerk gibt den Eingang in der fürstbischöflichen Kanzlei an: Confirmatio Sigismundi Roman’ Reg’ etc. pro Jo de xxx114 epi’. herbii’ (…) ad montem Beate marie Datum Anno dmi’ mo cccco xiiiito 112 das ist der 12. November tironische Kürzung 114 unleserlich, möglicherweise bor’ 113 18 Zusammenfassung Johann von Brunn entstammte einem elsässischen Adelsgeschlecht und mit „der Wahl eines Fremden wollte das Domkapitel den Einfluß benachbarter fränkischer Adelsgeschlechter ausschalten“115. Die Wahl fand am 8. Dezember 1411 statt und bereits drei Tage später am 11. Dezember huldigte ihm die Stadt Würzburg. Er wurde am 18. März 1412 durch Papst Johannes XXIII. mit seinem Bistum providiert116. Betrachtet man sich die Belehnung Johanns II. ist ein weiterer Aspekt zu beobachten. Im Falle der Lehnserneuerung durch Sigismund nämlich muß die Frage gestellt werden „inwieweit die Reichsfürsten unter König Sigmund ihre Reichslehen und Regalien fristgemäß empfangen haben?“117 Durch den Herrenfall (Krieger nennt es Thronfall) stellte sich in diesem Falle die Frage, ab wann die vorgeschriebene Frist von Jahr und Tag118 zu rechnen war. Während Sigismund selbst seit der ersten Wahl (20. September 1410) rechnete, wäre eine Rechnung erst ab der zweiten Wahl (21. Juli 1411) denkbar gewesen. In beiden Fällen wäre die Frist jedoch zu Beginn des Jahres 1413 abgelaufen. Lediglich zwei Reichsfürsten119 ließen sich in dieser Zeit ihre Lehen bestätigen. So hatte sich Johann bereits am 2. Juli 1412 eine „allgemeine Privilegienbestätigung“120 erteilen lassen um sich dann nach der Krönung im November persönlich belehnen zu lassen. Dies ist um so auffälliger, als daß viele andere (geistliche, wie weltliche) Reichsfürsten erst nach einem Ultimatum Sigismunds ihre Lehen muten ließen. Einige sogar erst deutlich nach dessen Ablauf121. Vergleicht man die ausgestellten Urkunden, mit den beiden brandenburgischen Urkunden, so lassen sich in Form und Sprache Parallelen feststellen. Nicht nur die Intitulatio (Wir Sigmund, von gotes gnaden Romischer kung zu allentziiten merer des Riichs und zu Ungern, Dalmacien, Croatien etc.) sind wortgleich, sondern auch Formulierungen innerhalb der Urkunde sind identisch. So unter anderem das Schutzmandat und die Datierung. Inhaltlich jedoch unterscheiden sie sich jedoch darin, daß die Urkunde für Friedrich eine Belehnungs-, die für Johann eine Bestätigungsurkunde ist. 115 Gatz, Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches (2001), S. 904 siehe Gatz, S. 904 117 Krieger, S. 446 118 die, wie bereits bemerkt, länger als ein Jahr und einen Tag war 119 Bischof Johann II. von Würzburg und Graf Amadeus VIII. von Savoyen 120 Krieger, S. 447, Anm. 305 121 Ders., S. 447f. 116 19 IX. – Zur Kanzlei König Sigismunds Zum Ende der Arbeit soll noch ein kurzer Blick auf die Kanzlei Sigismunds geworfen werden, um das Umfeld näher zu beleuchten, aus dem die vorgenannten Urkunden entstammen. Sigismund lies nach seiner Wahl zunächst die Kanzleigeschäfte durch sein ungarisches Kanzleipersonal besorgen. Die Kanzleileitung übernahm der Erzbischof von Gran Johann Kanizsai, während dessen Vikar Propst Johann von Gran Vizekanzler wurde122. Letzterer war der Aussteller der Urkunde von 1415, in der Sigismund die Mark Brandenburg dem Zollerngrafen überlies. Diese Vorgehensweise führte jedoch zu einem Bruch mit den bisherigen Gepflogenheiten der Reichskanzlei, da der neue Kanzler die Geschäfte weitgehend seinem Stellvertreter überlies und sich im wesentlichen auf repräsentative Aufgraben beschränkte123. Dennoch versuchte Sigismund mit der „Schaffung einer eigenen deutschen Königskanzlei (…) Kontinuität zu dokumentieren“124. So übernahm er unter anderen Personal aus der Kanzlei Ruprechts von der Pfalz. Der Aussteller der „zweiten“ Belehnungsurkunde Friedrichs von 1417, der Pronotar und Hofgerichtsschreiber Johannes Kirchen, war bereits „aus den Diensten König Wenzels zu Ruprecht von der Pfalz übergewechselt“125 und stand neben dem Vizekanzler „im Zentrum“126 der deutschen Kanzlei. Er kann daher, im Gegensatz zu Johann von Gran, als kontinuierliches Moment der Kanzlei angesehen werden. Er war es auch, der ab Februar 1417 das Registraturwesen ordnete. „Die Mischung aus Kontinuität und Neubeginn, die die Kanzleiverhältnisse (…) prägten, war zu einem guten Teil geboren aus der Not der Stunde und weniger die Folge eines durchdachten Konzepts.“127 Dennoch ziehen sich diese Merkmale durch die gesamte Regierungszeit Sigismunds. Während sie die Tradition der Vorgänger aufgriff, blieb sie flexibel genug, um situationsbedingt reagieren zu können. Mit der Ernennung eines weltlichen Leiters, Georg von Hohenlohe, kam es zu einer weiteren tiefgreifenden Neuerung, ohne dabei jedoch eine grundsätzliche Neuordnung der Kanzlei anzustoßen128. 122 siehe Erkens, Über Kanzlei und Kanzler Sigismunds (1987), S. 435f. Erkens, S. 436 124 Ders., S. 437 125 Ders., S. 438 126 Ebenda 127 Ebenda 128 siehe dazu: Erkens, S. 458 123 20 X. – Schluß Abschließen kann man sagen, daß das Lehnswesen eines der dominierenden gesellschaftspolitischen Elemente des Mittelalters war. Aus römischen und germanischen Wurzeln stammend, bildete zunächst die persönliche Beziehung zwischen Lehnsherrn und Vasall das bestimmende Moment. Im Zuge der Weiterentwicklung formte sich als bald eine konstitutive Ordnung heraus, die jedem Menschen einen Platz in der Gesellschaft zuwies. Waren zu Beginn des Mittelalters noch große Adelsherrschaften Allod, das heißt im Eigenbesitz, so verschwanden diese Flächen bis zum Ende des Mittelalters weitestgehend. Das Lehnswesen bot somit die Möglichkeit für die Könige, die Reichsfürsten enger an sich und das Reich zu binden. Mit dem Sinken der königlichen/kaiserlichen Macht verschob sich die zentrale Stellung im Reichslehnsverband hin zu den geistlichen und weltlichen Reichsfürsten, die das „Machtvakuum“ zu füllen versuchten. Diese Veränderungen drückten sich auch bei den Belehnungszeremoniellen aus, wie in dieser Arbeit bereits angesprochen wurde. Zwar brachten die Zeremonielle eine deutliche Unterordnung der Reichsfürsten unter den König/Kaiser zum Ausdruck. Mit tatsächlicher und direkter Macht des Königs/Kaisers über die Fürsten hatte dies spätestens seit dem Spätmittelalter nur noch wenig zu tun. Die angeführten Beispiele sind geradezu mustergültig für die Belehnungspraxis des späten Mittelalters. Sowohl die Belehnung Friedrichs, als auch die Bestätigung der Privilegien Johanns bestätigen mit ihrer chronikalen/urkundlichen Überlieferung den Bedeutungsgehalt der inszenierten Herrschaftsdarstellung. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß das Lehnswesen, wie es in Deutschland praktiziert wurde, einzigartig in Europa war. Nicht nur die starken Stellungen der europäischen Herrscher schufen (im Gegensatz zum römisch-deutschen Reich) differenzierte Ausformungen, die den jeweiligen Gegebenheiten ihrer Ländern Rechnung trugen. Die herausgehobene Stellung der Reichsfürsten, die durch das Lehnswesen weiter aufgewertet und gefestigt wurde, war damit zum tragenden Element föderaler Strukturen in Deutschland geworden. Die ursprüngliche Bedeutung der persönlichen Abhängigkeit hatte sich zur Landesherrschaft entwickelt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten konnte sich die feudalistische Ordnung im deutschen Raum besonders lange halten. England hatte dieses System durch die Revolution von 1649, Frankreich durch die Revolution von 1789 bereits beseitigt. Erst mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches und der Revolution von 1848/49 wurden die lehnsrechtlichen Bindungen aufgehoben. 21 XI. – Anhang Die Abbreviationen der Titel sind unterstrichen. Quellenverzeichnis Staatsarchiv Würzburg: Würzburger Urkunden 35/33 Böhmer, Johann Friedrich; Altmann, Wilhelm (Berab.): Regesta Imperii XI. Die Urkunden Kaiser Sigmunds (1410-1437), Innsbruck 1896-1900. Buck, Michael Richard (Hg.): Ulrich Richental: Chronik des Constanzer Conzils, Stuttgart 1882. Feger, Otto (Hg.): Ulrich von Richental: Das Konzil zu Konstanz [Faksimile], Starnberg 1964. Stillfried, Rudolph Freiherr von; Märcker, Traugott (Hg.): Monumenta Zollerana, Bd. 7, Berlin 1861. Zeumer, Karl (Hg.): Formulae Merovingici et Karolini Aevi, Hannover 1886. Literaturverzeichnis Erkens, Franz-Reiner: Über Kanzlei und Kanzler König Sigismunds, In: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde, Bd. 33, Köln 1987. Ganshof, François Louis: Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1975. Gatz, Erwin: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1449, Berlin 2001. Hlaváček, Ivan: Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376 – 1419, Stuttgart 1970. Krieger, Karl-Friedrich: Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter, Aalen 1979. Mitteis, Heinrich: Der Staats des hohen Mittelalters, Köln & Wien 1974. Posse, Otto: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1913, Dresden 1913. Ranke, Leopold von: Preußische Geschichte 1415 – 1871, Mühltal 1981. Rödel, Volker: Reichslehenswesen, Ministerialität, Burgmannschaft und Niederadel, Darmstadt 1979. Schulze, Hans K.: Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, Bd. 1, Stuttgart 1985. Spieß, Karl-Heinz: Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, Idstein 2002. Weinfurter, Stefan: Das Ritual der Investitur und die ‚gratiale Herrschaftsordnung’ im Mittelalter. In: Hülsen-Esch, Andrea von (Hg.): Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 2005. Weiß, Dieter J.: Die ersten Hohenzollern in der Mark (1415–1499). In: Kroll, Frank-Lothar (Hg.): Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 2001. Wendehorst, Alfred: Das Bistum Würzburg. Teil 2 – Die Bischofsreihe von 1254 bis 1455, Berlin 1969. 22