Italienischer Vater kämpft für den Tod seiner Tochter

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AUSLAND
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Tages-Anzeiger · Montag, 10. November 2008
General übt sich als Geschichtsklitterer
Japans Luftwaffenkommandant
Toshio Tamogami hat bei einem
Schreibwettbewerb mitgemacht.
Sein Beitrag gewann, löste aber
einen Skandal aus. Nun ist der
General seinen Job los.
Von Christoph Neidhart, Tokio
Eine Kommission des japanischen Oberhauses hat für heute Montag General Toshio Tamogami vorgeladen, bis vor wenigen Tagen der Kommandant von Japans
Luftwaffe. Verteidigungsminister Yasukazu Hamada fordert, der 60-jährige Karriereoffizier sollte auf die 60 Millionen
Yen Abgangsentschädigung verzichten,
die ihm als einmalige Rentenzahlung zustehen, umgerechnet knapp 500 000 Euro.
In seinem Aufsatz schrieb Tamogami,
Japan sei im Zweiten Weltkrieg nicht Aggressor gewesen, sondern habe sich selbst
verteidigt. US-Präsident Roosevelt habe
Japan zum Angriff auf Pearl Harbor provoziert. Das ist die Standarderklärung der japanischen Reaktion. In den 30er-Jahren
wähnte sich das imperialistische Japan,
das eine Kolonialmacht wie die westlichen
sein wollte und mit der Parallele seine angestrebte Vorherrschaft über Ostasien
rechtfertigte, zunehmend umzingelt. Manchuko, Japans Marionettenstaat in Nordostchina, und das kolonisierte Korea dienten, schrieb Tamogami, als Bollwerk gegen den Kommunismus. Dieses Geschichtsbild hat im rechten Flügel der liberaldemokratischen Regierungspartei LDP
durchaus Anhänger, auch prominente.
Nur darf kein Amtsträger so etwas laut sagen. Als offizielle Position hat Japan seine
Kriegsschuld akzeptiert; Tokio hat sich,
wenngleich gewunden, bei seinen Nachbarn entschuldigt.
Innenpolitisch dagegen hat die LDP sich
nie gegen den revisionistischen Sumpf abgegrenzt, sondern im Gegenteil diesen als
Wählerbasis stets gehegt. Eine ernsthafte
Aufarbeitung der Geschichte hat es in Japan bis heute nicht gegeben.
Premier Aso gibt sich empört
Die Empörung, mit der Taro Aso, seit
sieben Wochen Premier, Tamogami sofort
entliess, dürfte eher dem aussenpolitischen Tabubruch gelten als dessen Gesinnung. Die kann Aso nicht überrascht haben. Aber Japan will sich nicht erneut in
ein Gezänk mit China und Südkorea um
seine Geschichte verheddern. Es kann sich
Streit mit China auch gar nicht leisten.
Tamogami selbst sagte zu seiner Entlassung, Japan sei ja wie Nordkorea, es herrsche keine Meinungsfreiheit. Der neue
Luftwaffenchef dagegen entschuldigte
sich für seinen Vorgänger. Er habe das
Vertrauen der Bevölkerung erschüttert.
Ein Kommentator schrieb, Tamogami sei
für seine Dummheit bestraft worden.
Der Essay-Wettbewerb zur «Wahrheit
der jüngsten Geschichte» war von APA
gesponsert worden, einer Hotel- und Immobilienfirma. Dessen Chef Toshio Motoya ist bekannt als Rechtsnationaler. Eingereicht wurden 235 Aufsätze, 94 aus der
Luftwaffe, 62 von Offizieren einer Einheit,
deren Kommandant Tamogami einst war.
Die «Japan Times» vermutet den General
hinter der plötzlichen Schreibwut seiner
alten Waffenbrüder.
Die Jury wusste, von wem der Aufsatz
stammte, den sie auszeichnete. APA versicherte sich, Tamogami nehme den Preis
von 25 000 Euro auch an, bevor sie ihn
zum Gewinner erklärte. APA-Boss Motoya und General Tamogami kennen sich
persönlich, Berichten zufolge soll der Luftwaffenkommandant den Unternehmer
schon zum Spazierflug in einem Kampfjet
mitgenommen haben.
BILD HULTON ARCHIVE/GETTY IMAGES
Japanischer Angriff auf Pearl Harbor, angeblich von den USA provoziert.
Italienischer Vater kämpft für den Tod seiner Tochter
Seit bereits 16 Jahren liegt die
Italienerin Eluana Englaro im
Koma. Ihr Vater kämpft mit
einem Buch darum, dass sie
sterben darf. Das letzte Wort aber
haben am Dienstag die Richter.
Von Kordula Doerfler, Rom
Das Foto zeigt eine strahlend schöne junge
Frau, die selbstbewusst in die Kamera
lacht. Von Eluana Englaros Fröhlichkeit,
ihrem Lebenshunger, schwärmen ihre
Freunde, ihre Familie noch heute, und an
ihrem Schicksal nimmt ganz Italien teil.
Immer wieder wird ihr Bild in den Medien
gezeigt, und es lacht einem jetzt auch in
den Buchhandlungen entgegen. Ganz Italien weiss natürlich, dass «Eluana», wie sie
meist nur genannt wird, heute ganz anders
aussieht, nur noch ein Schatten ihrer
selbst ist. Heute ist sie 37 Jahre alt. Seit 16
Jahren liegt sie im Koma und wird künstlich ernährt.
Eluana hätte eigentlich Etrusca heissen
sollen, erzählt ihr Vater Beppino Englaro.
Diesen Wunsch ihrer Mutter aber wusste
ein Beamter in der Stadtverwaltung von
Lecco zu verhindern, man einigte sich auf
Eluana Iolanda Giulia. Geblieben sind ihm
viele Erinnerungen – und der tägliche
Schmerz über das Leben seiner Tochter, und betten sie, und ihre Eltern besuchen
das keines mehr ist. Im Buch «Eluana. La sie täglich. Jeden Tag, jede Stunde, jede
Libertà e la vita» hat er ihn sich von der Minute seines Lebens hofft Beppino EnSeele geschrieben, schaffte das aber auch glaro, dass «die Natur ihren Lauf nehmen
nur mit der Hilfe von Elena Nave, einer darf». Dass die künstliche Ernährung einjungen Philosophiestudentin, die sich mit gestellt wird. Seit Jahren kämpft er darum,
und er hat es sich gewiss nicht leicht gebioethischen Fragen beschäftigt.
Es ist ein bewegendes, 230 Seiten langes macht. Wer möchte schon darüber entscheiden, das Leben der
Zeugnis eines Vaters und
eigenen Tochter zu beeneiner Mutter, die nur eines
den? Doch ist Englaro
wollen: Dass ihre Tochter
überzeugt, dass Eluana
endlich in Frieden sterben
selbst es nicht anders gedarf, erlöst wird aus jenem
wollt hätte.
Zustand zwischen Leben
«Wenn ich nicht mehr
und Tod, den die Ärzte
die sein kann, die ich jetzt
«vegetativ» und «irreverbin, will ich sterben»,
sibel» nennen. Also ohne
sagte sie mit 20. Darauf
Hoffnung, dass sie jemals
stützt sich ihr Vater heute
wieder zu Bewusstsein
in seinem Kampf durch
kommt. Nur einmal zeigte
alle gerichtlichen Instansie nach jener schrecklizen. «Es ist ein menschenchen Nacht des 18. Januar
unwürdiger
Zustand»,
1992, als ihr Auto auf einer Eluana Englaro.
sagt er. An der Frage, wer
eisglatten Strasse ins
Schleudern kam und gegen eine Mauer über Leben und Tod entscheidet, scheiden
prallte, noch ein aktives Lebenszeichen. sich die Geister in Italien, Gegner und BeEinige Wochen später schlug Eluana En- fürworter gehören oft der gleichen Partei
glaro die Augen auf. Dabei blieb es. Jahre- an – oder der gleichen Familie. In dem
lang pflegten die Eltern sie zu Hause, jetzt Land, in dem auch das Oberhaupt der kaliegt sie wieder in einem kirchlichen Spital tholischen Kirche sitzt, wird sie immer
in Lecco, mit offenen Augen, bewegungs- wieder mit der Wucht eines Glaubenskrieges ausgefochten und beschäftigt Ärzte
und reglos.
In die Nase läuft eine Sonde, über die sie und Juristen, Theologen und Politiker.
Wie in den meisten europäischen Länernährt wird. Die Schwestern waschen
dern, ist jegliche Art von Sterbehilfe in Italien verboten. Wer als Arzt dagegen verstösst, dem drohen Lizenzentzug und Haft
– so geschehen im Falle von Piergiorgio
Welby, der an einer unheilbaren Muskelkrankheit litt. Am Ende erklärte sich sein
Arzt dazu bereit, die künstliche Beatmung
abzuschalten, auf ausdrücklichen Wunsch
Welbys, der anders als Eluana Englaro bis
zum Schluss im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte war. Welby wurde zum Vorkämpfer für viele andere, und dass ihm die Kirche schliesslich ein christliches Begräbnis
verweigerte, brachte selbst strenge Katholiken in ganz Italien auf.
Widerspruch aus dem Vatikan
Auch Beppino Englaro bewegt sich in
einer moralisch-ethischen, politischen
und juristischen Grauzone, geht es hier
doch gar nicht um aktive Sterbehilfe, sondern um die Einstellung lebenserhaltender
Massnahmen. Zwar hat in Italien grundsätzlich jeder Patient das Recht, über seine
Behandlung zu entscheiden, Patientenverfügungen allerdings gibt es nicht. In den
kommenden Monaten wird sich auch das
Parlament wieder mit einer Reihe von Gesetzesentwürfen befassen, deren Bandbreite aber so gross ist, dass eine schnelle
Einigung kaum zu erwarten ist.
Englaro schildert in seinem Buch eine
nervenaufreibende Achterbahnfahrt der
Gefühle, ein ständiges Schwanken zwischen Hoffnung und Zorn. So schien sich
alles zum Guten zu wenden, als das Kassationsgericht in Rom Ende vergangenen
Jahres entschied, der Fall müsse neu aufgerollt werden. Am Ziel wähnte sich Englaro gar im Sommer dieses Jahres, als ein
Mailänder Gericht es sogar für legitim
hielt, die künstliche Ernährung einzustellen. «Jetzt werden wir sie endlich befreien», freute sich Beppino Englaro. Zu
früh.
Neuer heftiger Widerspruch aus dem
Vatikan, der nach Welby einen zweiten
Präzedenzfall befürchtet, liess nicht lange
auf sich warten. Richter dürften nicht über
Leben und Tod entscheiden, donnerten
die Bischöfe. Dabei bewegt sich sogar die
Kirche in einem Dilemma. Auch Papst Benedikt XVI. lehnt jegliche Form von Sterbehilfe strikt ab, ist aber auch gegen den
Einsatz von Hightech-Medizin bei unheilbar Kranken.
Das – wieder einmal – letzte Wort soll
am Dienstag das Kassationsgericht haben.
Unterdessen sucht Englaro nach einem
Ort in Italien, an dem seine Tochter in
Ruhe sterben kann. Die Region Lombardei
hat die Erlaubnis dafür verweigert. Vor ein
paar Wochen schöpfte er wieder neue
Hoffnung ganz anderer Art. Nach inneren
Blutungen verschlechterte sich der Zustand Eluanas dramatisch. Bis die Ärzte
wieder Entwarnung gaben.
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