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Daum: Gerichts- und Behördenterminologie
3 Strafverfahren
Da auch das Strafverfahren ein gerichtliches Verfahren ist, ähnelt die Terminologie des Strafverfahrens der des Zivilprozesses. Im Folgenden soll sie daher nur
insoweit behandelt werden, als sie von letzterer abweicht. Die gesetzliche
Regelung des Strafverfahrens findet sich in der Strafprozessordnung (StPO).
3.1 Beteiligte
Entsprechend der abweichenden Struktur und den abweichenden Zwecken des
Strafverfahrens heißen natürlich auch die Beteiligten anders als die des Zivilprozesses.
Auf der Seite, die wir im Zivilprozess Klägerseite nennen, treten im Strafverfahren auf:
• der Anzeigeerstatter, der die Strafanzeige erstattet, die das Strafverfahren
einleitet;
• der Verletzte oder Geschädigte, der mit dem Anzeigeerstatter identisch sein
kann, aber nicht muss (es ist derjenige, in dessen Rechtsgut die Straftat eingegriffen hat);
• der Antragsteller, d.h. der Verletzte, der gegen den mutmaßlichen Täter oder
„gegen unbekannt“ Strafantrag gestellt, also die Strafverfolgung verlangt hat
(bei sog. Antragsdelikten kann die Strafverfolgung grundsätzlich nur erfolgen, wenn der Verletzte Strafantrag gestellt hat, z.B. bei Beleidigung, Hausfriedensbruch, u.U. bei Körperverletzung);
• der Staatsanwalt (bzw. die Staatsanwaltschaft als Behörde), also das staatliche Organ, das beim Verdacht einer Straftat zu ermitteln und ggf. auf gerichtliche Verurteilung oder Freisprechung hinzuwirken hat (in Jugendstrafsachen: Jugendstaatsanwalt); seine Vorgesetzten sind von unten nach oben Erster Staatsanwalt (EStA), Oberstaatsanwalt (OStA) und Generalstaatsanwalt;
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die Staatsanwaltschaften sind für die am Amtsgericht oder Landgericht anhängigen Strafverfahren beim zuständigen Landgericht konstituiert, während
Staatsanwälte, die einem Amtsgericht zugewiesen sind, Amtsanwälte heißen;
• der Nebenkläger, d.h. der Antragsteller, der sich als Verletzter (oder Angehöriger eines Getöteten) der öffentlichen Klage des Staatsanwalts angeschlossen hat (Anschlusserklärung) und vom Gericht als Nebenkläger zugelassen
worden ist;
• der Privatkläger, d.h. der verletzte Antragsteller, der seine Rechte aus einem
Antragsdelikt ohne Beteiligung des Staatsanwalts in einem von ihm selbst
(dem Privatkläger) beantragten Strafverfahren, dem Privatklageverfahren,
mit dem Ziel der Verurteilung des Privatbeklagten zu einer Strafe (nicht: zum
Schadensersatz wie bei der Zivilklage) durchsetzt, was allerdings einen erfolglosen Sühneversuch bei der Gemeinde voraussetzt, wenn beide Parteien
in derselben Gemeinde wohnen.
Auf der Gegenseite finden wir den mutmaßlichen Täter, der je nach Verfahrensstadium wie folgt genannt wird:
a. im Ermittlungsverfahren bis zur Einreichung der Anklageschrift (s. u.):
Beschuldigter,
b. im Zwischenverfahren vom Eingang der Anklageschrift bei Gericht bis zur
Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens (s. u.): Angeschuldigter,
c. von der Zulassung der Anklage bzw. – im Strafbefehlsverfahren – von der
Unterzeichnung des Strafbefehls an: Angeklagter, welche Bezeichnung er
gemäß der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention (MRK) auch in höheren Instanzen, selbst bei wiederholter Verurteilung, bis zur Rechtskraft des Urteils behält,
d. Verurteilter von der Rechtskraft der Verurteilung an und
e. Freigesprochener von der Rechtskraft des Freispruchs an.
Verteidiger – nicht Prozessbevollmächtigter wie im Zivilprozess – heißt der
Vertreter und Beistand des mutmaßlichen Täters. Bestellt ihn dieser selbst, so
wird der Verteidiger Wahlverteidiger genannt. In den Fällen der notwendigen
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Verteidigung, oder wenn das Gericht wegen der Schwierigkeit der Sache die
Zuziehung eines Verteidigers auf Antrag des Beschuldigten/Angeklagten etc. für
geboten hält, bestellt das zuständige Gericht einen Pflichtverteidiger (oder gar
mehrere). Gelegentlich – wie etwa in Terroristenprozessen – bestellt das Gericht
einen Pflichtverteidiger, der das Vertrauen des Angeklagten genießt (Vertrauensanwalt), und einen weiteren Pflichtverteidiger, der im Hinblick auf die
notwendige Verteidigung die Durchführung des Verfahrens auch bei „Streik“
des Vertrauensanwalts sichern soll.
Im Privatklageverfahren heißt die Gegenpartei des Privatklägers Beschuldigter
oder Privatbeklagter.
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3.2 Gerichte
Während im Zivilprozess Laien nur in Handelssachen (bei den Handelskammern) und in Arbeitssachen (bei den Arbeitsgerichten) mitwirken, haben die
ehrenamtlichen Richter (Laienrichter, Schöffen) im Strafverfahren ein großes
Betätigungsfeld. Am Amtsgericht gibt es neben dem Einzelrichter und dem
Jugendrichter das Schöffengericht und das Jugendschöffengericht, am Landgericht die Kleine Strafkammer sowie die Strafkammer als Schwurgericht, die
Große Strafkammer und die Jugendkammer. Das Schöffengericht, das Jugendschöffengericht, die Jugendkammer und die Kleine Strafkammer bestehen aus
einem Berufsrichter (ausnahmsweise zwei Berufsrichtern) und zwei Schöffen.
Die Große Strafkammer entscheidet mit zwei (ausnahmsweise auch drei)
Berufsrichtern und zwei Schöffen, ebenso die Große Jugendkammer. Die große
Strafkammer als Schwurgericht entscheidet mit drei Berufsrichtern und zwei
Schöffen. Den Begriff „Geschworene“ gibt es im deutschen Strafprozess nicht
mehr. Der Instanzenzug ist bei kleineren Strafsachen dreistufig, bei größeren
zweistufig:
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Aus den gerichtlichen Aktenzeichen lassen sich die Art des Strafverfahrens und
das zuständige Gericht ersehen, z.B.:
•
•
•
•
•
•
Js – Ermittlungsverfahren bei Staatsanwaltschaft
Cs – Strafbefehlsverfahren bei Amtsgericht
Ds – Verfahren beim Einzelrichter des AG aufgrund Anklage
Ls – Verfahren bei AG (Schöffengericht)
Ns – Berufungsverfahren (Strafkammer)
Qs – Beschwerdeverfahren
3.3 Ermittlungsverfahren
Anders als der Zivilprozess beginnt das Strafverfahren nicht mit einem Schriftsatz, der bei Gericht eingereicht wird, sondern mit einer Strafanzeige. Für ihre
Entgegennahme sind die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten, die Beamten
der Kriminalpolizei, zuständig. Strafanzeigen können also sowohl bei den
Polizeibehörden als auch bei der Staatsanwaltschaft erstattet werden. Bei einem
Offizialdelikt (einem Delikt, das von Amts wegen verfolgt wird) kann jedermann
Anzeige erstatten. Bei einem Antragsdelikt (s. o. Kap. 3.l) setzt die Strafverfolgung dagegen einen Strafantrag des Verletzten voraus. Dieser Strafantrag zwingt
aber die Staatsanwaltschaft nicht, mehr als die Personalien des mutmaßlichen
Täters zu ermitteln, geschweige denn, Anklage zu erheben. Der Staatsanwalt
kann vielmehr das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneinen und
den Antragsteller auf den Privatklageweg verweisen, etwa mit den Worten:
„Dem Strafantrag gebe ich keine Folge.“
Dem Verletzten bleibt es unbenommen, seinen Anspruch auf Bestrafung des
Täters durch eine Privatklage zu verfolgen.
Übernimmt aber der Staatsanwalt das Strafverfahren, oder handelt es sich um
ein Offizialdelikt, so muss der Staatsanwalt alles ermitteln, was zur Aufklärung
der behaupteten Straftat – zugunsten oder zuungunsten des Beschuldigten –
geboten erscheint. Er beauftragt hiermit in aller Regel die Kriminalpolizei und
bestimmt meist lediglich die Marschroute des Ermittlungsverfahrens. Er wirkt
aber insbesondere mit, wenn die polizeilichen Machtmittel nicht ausreichen. So
kann er die Vernehmung eines Beschuldigten anordnen und erzwingen, während
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dieser nicht verpflichtet ist, polizeilichen Vorladungen Folge zu leisten. Er kann
bei Gefahr im Verzug auch vorbeugende Zwangsmaßnahmen veranlassen, die
zur Sicherung des Ermittlungszwecks erforderlich werden, und die sonst nur der
Ermittlungsrichter anordnen kann, nämlich:
Vorläufige Festnahme des Beschuldigten, wenn hinreichender Tatverdacht und
Haftgründe bestehen. Hierzu heißt es in der StPO:
§ 112 (Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe)
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden,
wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf
nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu
erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen
1. festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen
hält,
2. bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, dass der
Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr),
oder
3. das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er
werde
a) Beweismittel vernichten, verändern, beiseiteschaffen, unterdrücken
oder fälschen oder
b) auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise
einwirken oder
c) andere zu solchem Verhalten veranlassen, und wenn deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 129 a Abs. 1 oder nach
den §§ 211, 212, 220 a Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches oder, soweit durch
die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 311 Abs.
1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht
besteht.
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Wird allerdings der Täter auf frischer Tat betroffen, so darf ihn jeder Polizeibeamte, ja sogar jeder Bürger vorläufig festnehmen (§ 127 StPO). Er muss dann
nur spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorgeführt werden, der
entweder einen Haftbefehl erlässt oder den Beschuldigten auf freien Fuß setzt.
Der Ermittlungsrichter entscheidet ferner nach Erlass eines Haftbefehls, wenn
der Beschuldigte mündliche Haftprüfung beantragt, über die Aufrechterhaltung
des Haftbefehls. Er kann hierbei
• den Haftbefehl aufheben oder
• den Haftbefehl aufrechterhalten, so dass der Beschuldigte in Haft bleibt, oder
• den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug setzen (Haftverschonung
gewähren); Hinterlegung einer Kaution, regelmäßige Meldung bei der Polizei, Beibehaltung eines bestimmten Aufenthaltsorts u. ä.
Dieselben Entscheidungen kann auch das höhere Gericht (etwa das Landgericht,
wenn der Amtsrichter Haftbefehl erlassen hat) auf Haftbeschwerde ohne mündliche Verhandlung treffen. Andere Entscheidungen, die grundsätzlich einen
Beschluss des Ermittlungsrichters voraussetzen, sind:
• Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs (Telefon, Funk,
Telefax, E-Mail) oder ganz allgemein des gesprochenen Worts („Lauschangriff“);
• Haussuchung (Durchsuchung der Wohnung oder anderer Räume);
• Beschlagnahme von Postsendungen (Postbeschlagnahme);
• Beschlagnahme von Gegenständen, die als Beweismittel in Frage kommen,
vom Gewahrsamsinhaber aber nicht freiwillig herausgegeben werden; dagegen ist Polizei und Staatsanwaltschaft die bloße Sicherstellung gestattet, d.h.
die Ansichnahme von Gegenständen, die sich in niemands Gewahrsam befinden, oder die der Gewahrsamsinhaber freiwillig herausgibt.
Am Ende des Ermittlungsverfahrens steht die Einstellung des Verfahrens oder
die Erhebung der Anklage. Soll nur Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verhängt werden, kann der
Staatsanwalt u.U. auch einen Strafbefehl beantragen.
Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein, wenn kein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht (§ 170 StPO). Hiergegen kann der
Verletzte (Geschädigte) Beschwerde erheben. Gegen die Ablehnung der Beschwerde kann er die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragen (Klage-
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erzwingungsverfahren). Die Staatsanwaltschaft kann ferner bei Vergehen das
Verfahren mit Zustimmung des Gerichts wegen geringer Schuld einstellen,
wenn die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der
Strafverfolgung besteht (§ 153 StPO). Meist wird das öffentliche Interesse an
der Strafverfolgung erst dann verneint, wenn sich der Beschuldigte bereit
erklärt, bestimmte Auflagen und Weisungen zu befolgen, wie z.B. Wiedergutmachung des Schadens oder Zahlung einer Geldsumme an die Staatskasse
oder eine gemeinnützige Einrichtung (§ 153 a StPO).
3.4 Zwischenverfahren
Das Zwischenverfahren ist der Teil des Verfahrens, der zwischen dem Eingang
der Anklage bei Gericht und der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bzw. beim Strafbefehlsverfahren zwischen dem Eingang des Strafbefehlsantrags bei Gericht und dem Erlass des Strafbefehls liegt.
Das Gericht stellt die Anklageschrift dem Angeschuldigten zu und gibt ihm
Gelegenheit, hierzu binnen bestimmter Frist Stellung zu nehmen. Der Angeschuldigte kann sich zu der Anklage äußern (sich einlassen) und auch die
Erhebung von Beweisen im Zwischenverfahren beantragen. Die gerichtliche
Entscheidung lautet entweder:
„Das Hauptverfahren wird eröffnet“ (Eröffnungsbeschluss) oder
„Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt“,
je nachdem, ob der Angeschuldigte der ihm vorgeworfenen (angelasteten)
Straftat hinreichend verdächtig ist oder nicht.
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3.5 Hauptverfahren
Das Hauptverfahren beginnt mit dem Eröffnungsbeschluss. Im Strafbefehlsverfahren entspricht ihm der Erlass des Strafbefehls; hiergegen kann der Angeklagte binnen zwei Wochen Einspruch einlegen mit der Folge, dass das bisher
schriftliche Verfahren in das normale Hauptverfahren übergeht.
Hauptverfahren ist das gesamte Verfahren vom Eröffnungsbeschluss bis zum
Urteil.
Hauptverhandlung dagegen ist nur die Sitzung des Strafgerichts, die der Verhandlung über die Anklage und der Gewinnung der richterlichen Überzeugung
dient. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Darauf folgen:
die Vernehmung zur Person, die Verlesung der Anklage bzw. des Strafbefehls,
die Belehrung des Angeklagten über das Wahlrecht, auszusagen oder zu
schweigen, die Vernehmung zur Sache (falls der Angeklagte aussagen will) und
die Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung, Sachverständigengutachten, Verlesung von Urkunden, Augenschein). Wenn keine Beweisanträge mehr gestellt
werden, wird die Beweisaufnahme geschlossen, und es schließen sich die
Plädoyers (Schlussvorträge) des Staatsanwalts und des Verteidigers an. Der
Staatsanwalt ist nicht verpflichtet, auf Verurteilung zu plädieren, sondern kann,
ja muss Freispruch beantragen, wenn die Schuld des Angeklagten nicht bewiesen ist. Kommen der Staatsanwalt oder der Verteidiger zum Ergebnis, dass der
Angeklagte schuldig ist, so nehmen sie im Plädoyer nicht nur zur Schuldfrage,
sondern auch zur Straffrage, also zur Bemessung der Strafe (Strafzumessung),
Stellung, wobei es gilt, strafmildernde und straferschwerende Umstände gegeneinander abzuwägen. Das letzte Wort muss dem Angeklagten gewährt werden.
Die Urteilsberatung ist geheim (nichtöffentlich). Besteht das Gericht aus mehreren Richtern, so zieht es sich zur Beratung zurück. Ein Einzelrichter kann
natürlich auch im Sitzungssaal mit sich zu Rate gehen. Hat das Gericht eine
Entscheidung getroffen, so verkündet es, wiederum in öffentlicher Sitzung, das
Urteil. Dieses kann etwa folgendermaßen lauten:
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Verurteilungen
1. Der Angeklagte ist schuldig eines fortgesetzten3 Verbrechens des Raubes
nach § 249 StGB und wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt.
2. Der Angeklagte wird wegen eines Vergehens des … rechtlich zusammentreffend4 / sachlich zusammentreffend5 mit einem Vergehen des …, zu einer
Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.
3. … zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50,– €, ersatzweise 20 Tagen
Freiheitsstrafe, verurteilt.
4. Der Angeklagte wird unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts A.
vom … wegen eines gemeinschaftlich begangenen Vergehens des … zu einer
Gesamtstrafe von 15 Monaten verurteilt.
5. … zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 50,– € verurteilt, an deren
Stelle bei Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 100 Tagen tritt.
6. Dem Angeklagten werden die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter
und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, für die Dauer
von fünf Jahren aberkannt.
7. Die Tatwaffe wird eingezogen.
8. Der PKW … wird dem Staate für verfallen erklärt.
9. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Nervenklinik / Rehabilitationseinrichtung / Rehabilitationsklinik wird angeordnet.
10. Dem Angeklagten wird auf die Dauer von fünf Jahren die Ausübung des
Berufes eines … untersagt.
11. Dem Angeklagten wird die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen
(oder: die Fahrerlaubnis) entzogen.
Der ihm am … erteilte Führerschein wird eingezogen.
3
4
5
Eine in mehreren Einzelakten, aber in Wiederholungsabsicht (in Fortsetzungszusammenhang) begangene Straftat.
rechtlich zusammentreffend = in Tateinheit (Idealkonkurrenz) mit einer anderen Tat (eine
Handlung verletzt mehrere Strafgesetze)
sachlich zusammentreffend = in Tatmehrheit (Realkonkurrenz) mit einer anderen Tat (mehrere selbständige Handlungen)
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12. Dem Verletzten wird die Befugnis zuerkannt, die Verurteilung auf Kosten
des Angeklagten binnen einer Frist von einem Monat durch einmaliges Einrücken des verfügenden Teils6 in die Zeitung … / durch Aushang an der Gerichtstafel öffentlich bekanntzumachen.
13. Auf die Strafe wird die in der Zeit vom … bis … verbüßte Untersuchungshaft angerechnet.
14. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt7.
15. Die Strafe gilt als durch die Untersuchungshaft verbüßt.
Freispruch und Einstellung des Verfahrens
1.
2.
3.
4.
5.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Der Angeklagte wird für straffrei erklärt8.
Es wird von Strafe abgesehen9.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Das Verfahren wird wegen geringer Schuld mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Kostenentscheidungen
1. Die Kosten des Verfahrens werden, soweit Verurteilung erfolgt ist, dem
Angeklagten, soweit Freisprechung erfolgt ist, der Staatskasse auferlegt.
2. Der Angeklagte wird unter Überbürdung der Kosten des Verfahrens auf die
Staatskasse freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten
einschließlich seiner Auslagen für die Verteidigung trägt die Staatskasse
(oder: fallen der Staatskasse zur Last).
6
7
8
9
verfügender Teil = Urteilstenor, Urteilsausspruch
Strafaussetzung kommt bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, in Ausnahmefällen auch bei
Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren in Betracht. Voraussetzung ist eine günstige Sozialprognose. Strafaussetzung zur Bewährung entfällt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung
die Strafvollstreckung gebietet.
z.B. bei gegenseitigen Beleidigungen und Körperverletzungen (Kompensation, Straffreierklärung)
Zulässig bei Jugendlichen oder z.B. bei schweren Folgen der Tat für den Täter.
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Das Urteil wird mündlich begründet. Hierauf folgt die Rechtsmittelbelehrung.
Sie wird mündlich erteilt und in Bayern durch die Aushändigung folgenden
Merkblatts verdeutlicht:
Rechtsmittelbelehrung
I.
1. Sie können gegen das Urteil entweder die Berufung oder die Revision
einlegen. Sind Sie zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 15 Tagessätzen
verurteilt worden, beträgt im Falle einer Verwarnung die vorbehaltene Strafe
nicht mehr als 15 Tagessätze oder ist eine Verurteilung zu einer Geldbuße
erfolgt, so ist die Berufung nur zulässig, wenn sie angenommen wird.
Mit der Berufung können Sie erreichen, dass alle tatsächlichen und rechtlichen Fragen nochmals beurteilt werden, Sie können auch neue Beweismittel
(Zeugen, Sachverständige, Urkunden) angeben.
Die Revision können Sie dagegen nur darauf stützen, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.
2. Wollen Sie das in der Hauptverhandlung verkündete Urteil anfechten, so
müssen Sie binnen einer Woche nach der Verkündung des Urteils (Rechtsmittelfrist) bei dem unten bezeichneten Amtsgericht zu Protokoll der Geschäftsstelle (bei Berufung) bzw. zu Protokoll des Rechtspflegers (bei Revision) oder schriftlich die Erklärung abgeben, dass Sie gegen das Urteil nach
Ihrer Wahl die Berufung oder Revision einlegen.
Sie können sich aber auch die Entscheidung, welches Rechtsmittel Sie wählen, vorbehalten, bis Ihnen das Urteil mit der schriftlichen Begründung zugestellt ist. In diesem Fall genügt es, wenn Sie während der Rechtsmittelfrist zu
Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich erklären, dass Sie das Urteil
anfechten, ohne zugleich das Rechtsmittel als „Berufung“ oder „Revision“ zu
bezeichnen.
II.
3. Haben Sie Berufung eingelegt, so steht es Ihnen frei, sie zu begründen. Es
empfiehlt sich jedoch anzugeben, ob Sie die Berufung auf bestimmte Beschwerdepunkte, z. B: das Strafmaß, das Fahrverbot oder die Entziehung der
Fahrerlaubnis beschränken und ob Sie neue Beweismittel vorbringen. Wollen
Sie die Berufung begründen, so soll dies binnen einer Woche geschehen. Die
Frist beginnt mit dem Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels
(Nr. 2) oder, wenn das Urteil zu dieser Zeit noch nicht zugestellt ist, mit sei-
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ner Zustellung. Die Begründung ist dem Gericht schriftlich einzureichen oder
zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären.
4. Wird die Berufung nicht auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt oder
wird sie überhaupt nicht begründet, so gilt der ganze Inhalt des Urteils als
angefochten. Haben Sie das Urteil angefochten, ohne das Rechtsmittel zu
bezeichnen, und geben Sie keine weitere Erklärung ab, so gilt die Anfechtung als Berufung.
5. Wenn Sie Berufung eingelegt haben, können Zustellungen an Sie im Wege
der öffentlichen Zustellung durch Bekanntmachung in einer Zeitung oder
durch Anheften an die Gerichtstafel bereits dann vorgenommen werden,
wenn eine Zustellung nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die Sie zuletzt angegeben haben.
6.1. Sind bei Beginn der Hauptverhandlung weder Sie selbst noch in den Fällen,
in denen dies zulässig ist, ein von Ihnen bevollmächtigter Vertreter anwesend
und ist das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, hat das Gericht grundsätzlich die Berufung ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen.
6.2. Hat im vorbezeichneten Fall die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, kann
auch in Ihrer Abwesenheit verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft kann in
diesem Fall die Berufung auch ohne ihre Zustimmung zurücknehmen.
6.3. Wird nicht nach Nr. 6.1 und 6.2 verfahren, kann das Gericht auch Ihre
Vorführung oder Verhaftung anordnen.
III.
7. Haben Sie Revision eingelegt, so müssen Sie diese begründen. Hierzu gehört
die Erklärung,
a) ob das Urteil im ganzen oder nur in bestimmten Teilen angefochten und
ob beantragt wird, es ganz oder teilweise aufzuheben (Revisionsanträge),
und
b) ob das Urteil wegen der Verletzung des sachlichen (materiellen) Rechts
oder wegen Verletzung einer Vorschrift über das Verfahren angefochten
wird (Revisionsbegründung); im letzten Fall müssen alle Tatsachen angegeben werden, aus denen sich der Verfahrensmangel ergeben soll.
8. Zur Begründung der Revision genügt eine von Ihnen unterschriebene Schrift
nicht. Die Revisionsanträge und ihre Begründung (Nr. 7) müssen vielmehr zu
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Protokoll des Rechtspflegers erklärt oder in einer vom Verteidiger oder von
einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift eingereicht werden. Dies muss
binnen eines Monats geschehen. Die Frist beginnt mit dem Ablauf der Frist
zur Einlegung des Rechtsmittels (Nr. 2) oder, wenn zu dieser Zeit das Urteil
noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung.
9. Haben Sie das Urteil angefochten, ohne das Rechtsmittel zu bezeichnen, und
entschließen Sie sich für die Revision, so müssen Sie dies dem Gericht mitteilen und das Rechtsmittel in der Frist und in den Formen der Nrn. 7 und 8
begründen.
IV.
10. Gegen die Entscheidung über die Verfahrenskosten und die notwendigen
Auslagen können Sie, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– €
übersteigt, bei dem unten bezeichneten Amtsgericht binnen einer Woche
nach Verkündung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle
die sofortige Beschwerde einlegen.
V.
11. Bei schriftlichen Erklärungen genügt es zur Fristwahrung nicht, dass die
Erklärung innerhalb der Frist zur Post gegeben wird. Die Frist ist vielmehr
nur dann gewahrt, wenn die Erklärung vor dem Ablauf der Frist bei dem Gericht eingeht. Die schriftliche Rechtsmitteleinlegung muss in deutscher Sprache erfolgen.
Die rechtskräftigen Verurteilungen werden in das Strafregister (Bundeszentralregister) eingetragen. Wird ein neues Strafverfahren gegen einen Verurteilten
anhängig, so wird ein Auszug aus dem Strafregister (eine Strafliste) eingeholt,
um festzustellen, ob Vorstrafen eingetragen sind, d.h. ob der Angeklagte vorbestraft ist. Ein Auszug aus dem Strafregister, der nicht für Justizbehörden erteilt
wird, heißt Führungszeugnis. In dieses werden Bagatellstrafen nicht aufgenommen.
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3.6 Strafvollstreckung
Die Durchsetzung der dem Angeklagten auferlegten Strafe (Strafvollzug,
Strafvollstreckung) obliegt der Staatsanwaltschaft. Sie sorgt dafür, dass der
rechtskräftig Verurteilte die Geldstrafe entrichtet und im Falle, dass sie nicht
beigetrieben werden kann, die Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt. Bei Freiheitsstrafen
erhält der Verurteilte zunächst eine Ladung zum Strafantritt. Missachtet er sie,
ergeht Haftbefehl, und er wird festgenommen und zwangsweise in die Justizvollzugsanstalt (JVA) verbracht. Wehrt er sich, wird er gefesselt, d.h. es werden
ihm Handschellen angelegt. Er ist nunmehr Strafgefangener und befindet sich in
der Obhut der Strafvollzugsbediensteten. In der Strafhaft unterliegt er der
Zensur; nur für wenige Ausnahmefälle, z.B. für den Briefwechsel mit einem
Rechtsanwalt, kann er unzensierten Briefverkehr beantragen. Auch Besuch kann
er nicht unbeschränkt empfangen. Wer den Strafgefangenen besuchen will,
bedarf einer Besuchserlaubnis (Sprecherlaubnis). Sie wird von der Staatsanwaltschaft (während der U-Haft vom Gericht) in Form eines Einzel- oder
Dauersprechscheins erteilt.
Nach Verbüßung von zwei Dritteln einer zeitigen (nicht lebenslänglichen)
Freiheitsstrafe – ausnahmsweise schon nach Verbüßung der Hälfte – kann der
Verurteilte bei der für die Justizvollzugsanstalt zuständigen Strafvollstreckungskammer beantragen, dass der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werde. Wird
dem Antrag stattgegeben, so wird der Verurteilte ebenso wie derjenige, dessen
Strafe bereits im Urteil zur Bewährung ausgesetzt wurde, einem Bewährungshelfer unterstellt, der seine Lebensführung überwachen und hierfür Weisungen
erteilen kann. Wer im Urteil der Führungsaufsicht unterstellt wurde, sowie
derjenige, dessen Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, wird ferner von der
zuständigen Aufsichtsstelle überwacht.
Der Verurteilte kann vor oder während der Strafvollstreckung durch ein Gnadengesuch seine Begnadigung beantragen, wenn der (weitere) Strafvollzug eine
unbillige Härte darstellen würde. Zuständig für den Gnadenerweis (Gnadenakt)
ist das Ministerium der Justiz, auf das der Ministerpräsident sein Begnadigungsrecht delegiert hat. Die Entscheidung (nämlich ob „Gnade vor Recht“ ergeht)
wird dem Antragsteller durch die Staatsanwaltschaft mitgeteilt.
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Anhang
Anhang 1: Rotkäppchen auf Juristendeutsch
Als in unserer Stadt wohnhaft ist eine Minderjährige aktenkundig, die infolge
ihrer hierorts üblichen Kopfbedeckung gewohnheitsrechtlich Rotkäppchen
genannt zu werden pflegt…
Vor ihrer Inmarschsetzung wurde die R. seitens ihrer Mutter über das Verbot
betreffs Verlassens der Waldwege auf Kreisebene belehrt. Sie machte sich
infolge Nichtbeachtung dieser Vorschrift straffällig und begegnete beim Überschreiten des diesbezüglichen Blumenpflückverbotes einem polizeilich nicht
gemeldeten Wolf ohne festen Wohnsitz.
Dieser verlangte in unberechtigter Amtsanmaßung Einsichtnahme in den zum
Transport von Konsumgütern dienenden Korb und traf zwecks Tötungsabsicht
die Feststellung, dass die R. zu ihrer verwandten und verschwägerten Großmutter eilends war.
Da bei dem Wolfe Verknappungen auf dem Ernährungssektor vorherrschend
waren, beschloss er, bei der Großmutter der R. unter Vorlage falscher Papiere
vorsprachig zu werden. Da dieselbe wegen Augenleidens krank geschrieben
war, gelang dem Wolf die diesfällige Täuschungsabsicht, worauf er unter
Verschlingung der Bettlägerigen einen strafbaren Mundraub ausführte.
Bei der später eintreffenden R. täuschte er seine Identität mit der Großmutter
vor, stellte der R. nach und durch Zweitverschlingung derselben seinen Tötungsvorsatz unter Beweis. Der sich auf einem Dienstgang befindliche Förster
B. vernahm verdächtige Schnarchgeräusche und stellte deren Urheberschaft
seitens des Wolfsmaules fest.
Er reichte bei seiner vorgesetzten Dienststelle ein Tötungsgesuch ein, welches
zuschlägig beschieden wurde. Daraufhin gab er einen Schuss ab auf den Wolf.
Dieser wurde nach Infangnahme der Kugel ablebig.
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Die Beinhaltung des Getöteten weckte in dem Schussabgeber die Vermutung,
dass der Leichnam Personen beinhalte. Zwecks diesbezüglicher Feststellung
öffnete er unter Zuhilfenahme eines Messers den Kadaver zur Einsichtnahme
und stieß hierbei auf die noch lebende R. nebst Großmutter.
Durch die unverhoffte Wiederbelebung bemächtigte sich der beiden Personen
ein gesteigertes, amtlich nicht erfassbares Lebensgefühl. Der Vorfall wurde von
den Gebrüdern Grimm zu Protokoll gegeben.
(von Thaddäus Troll, zitiert nach: Süddeutsche Zeitung v. 18./19.5.1974)
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