Unerwünschtes Jagdverhalten - bei der Tierärztekammer Berlin

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Unerwünschtes Jagdverhalten
Der Jagdtrieb des Hundes dient der Selbsterhaltung durch Nahrungserwerb und ist Hunden
angeboren, also im unbewussten Verhalten verankert. Der Reiz-Reaktionsablauf unterliegt
der klassischen Konditionierung, d.h. das Tier hat keine Kontrolle darüber. Hier muss der
Besitzer über voraus-schauendes Spazierengehen und genaue Beobachtung des Hundes
und der Umgebung das „Anspringen“ des Rituals verhindern. Über intensives Training, wobei
konsequent erwünschtes Alternativverhalten belohnt wird, kann das unerwünschte
Jagdverhalten kontrolliert werden (s.u.).
Jagdverhalten ist ein normales Hundeverhalten und hat nichts mit Aggression zu tun. Es
kann sich u.U. erst im Alter von 1-2 Jahren äußern, wenn der Hund plötzlich statt seinem
Spielzeug Radlern und Joggern hinterherhetzt (und versucht, sie zu packen), den Ball
spielender Kinder „erlegt“ oder fahrenden Autos in die Reifen beißen möchte. Diese Ansätze
sind ernst zu nehmen! „Der will nur spielen“ reflektiert fehlendes Bewusstsein oder bewusste
Verharmlosung beim Hundebesitzer. Aus Spiel wird immer dann Ernst, wenn einer der
Spielpartner keinen Spaß mehr am Spiel hat.
Das Unterbinden von Jagdverhalten ist eine der schwierigsten erzieherischen
Maßnahmen, da das Verhalten „selbstbelohnend“ ist, d.h. in dem Moment, wo es praktiziert
wird, hat es beim Hund schon ein Wohlgefühl durch Botenstoffausschüttung im Gehirn
(positive Verstärkung) ausgelöst. Der Geruch und noch mehr das Wahrnehmen der
Fluchtbewegung von Wild ist ein äußerst starker Reiz für den Hund. Hat das Verfolgen eines
möglichen Beutetieres schon begonnen, muss dieser Reiz durch einen noch stärkeren Reiz
„überlagert“ werden. Dieser starke alternative Reiz muss dem Hund durch zahlreiche
Wiederholungen auftrainiert werden. Das können Tonsignale (z.B. Pfeife) sein, bei einigen
Hunden sind jedoch Wurfzeuge, die ein metallisches Scheppern erzeugen, nötig (diese sind
immer nur nach verhaltenstherapeutischer Beratung von Fachleuten einzusetzen, da sie
perfektes Timing erfordern und einen so starken Reiz auslösen, dass z.B. Terrier, die sich
bereits oberhalb einer bestimmten Erregungsschwelle befinden, auf den zusätzlichen starken
Reiz mit Aggressionen reagieren können).
Fehler, die Hundebesitzer unbewusst machen, sind z.B. eine Verstärkung des
Jagdverhaltens ihres Hundes durch hektisches Rufen und Hinterherlaufen, wenn der Hund
bereits Jagdverhalten zeigt. Diese Reaktion interpretiert der Hund als „Mitmachen“ seines
Rudelführers bei der Jagd und wird so in der Richtigkeit seines Verhaltens noch bestärkt.
Strafen, die zu spät erfolgen, zu schwach sind, um das Verhalten abzubrechen, und
unregelmäßig wiederholt werden, machen es dem Hund unmöglich, sein Verhalten und die
Strafe zu verknüpfen. Der Hund lernt das Gewünschte nicht und die Beziehung Hund-Halter
wird ernsthaft geschädigt. Idealerweise werden alternative Verhaltensweisen trainiert, die der
Hund in Zukunft anstelle des Jagens einsetzen soll. Man beginnt z.B. mit der Konzentration
auf den Besitzer, Rückruf und „Bei-Fuß-Gehen“ erst ohne, dann mit langsam steigender
Ablenkung. Das Jagen soll möglichst früh durch ein Abbruchsignal gestoppt werden können.
Auf die Präventions-Maßnahmen zum Jagdverhalten wird im Folgenden genauer
eingegangen.
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 Der Hundebesitzer muss agieren statt reagieren!
Vorausschauendes Spazierengehen:
das bedeutet, ein potentielles Beutetier zu sehen, bevor der Hund es wahrnimmt. Die
Aufmerksamkeit des Hundes soll möglichst vor Auslösung des Jagdverhaltens gebunden
werden, bevor er im ablaufenden Jagdritual durch den Besitzer mental nicht mehr erreichbar
ist. Die Erreichbarkeit für äußere Reize sinkt beim Hund mit steigender Erregungs-lage, also
meist mit der Zeitspanne, die bereits im Jagdritual verbracht wurde. Besondere Aufmerksamkeit ist hier geboten bei kleinen Schonungen - am besten eignet man sich auch an, wie
die Losungen (Ausscheidungen) von Hasen, Rehen, usw. aussehen; Wildwechselspuren
registrieren; das Wetter beachten (lange anhaltender Regen drückt das Wild aus dem Wald;
bei Hitze geht das Wild tief in den Wald); die Tageszeit bedenken – Wild ist dämmerungsund nachtaktiv, d.h. erhöhte Vorsicht in der Dämmerung und auch am Morgen, denn da sind
die Spuren noch ganz frisch; Eichhörnchen z.B. sind dagegen tagaktiv, da sie aber auf
Bäume gehen, ist der Hund zumindest am Ort fixiert.
das Ausdrucksverhalten seines Hundes „lesen“ lernen:
eine fehlende Kommunikation zwischen Hund und Hundebesitzer (oder anders formuliert: ein
unaufmerksamer Hundebesitzer) lockert die „mentale Leine“. Erhöhte Aufmerksamkeit und
Kommunikation ist spätestens geboten, wenn der Hund sich dauernd in die Seiten des
Weges orientiert, wenn er sehr weit voraus läuft, wenn er auf Witterung geht, wenn der Hund
Spur aufnimmt (der Hund bleibt mit der Nase kurz am Boden „kleben“ – oft während sich der
Körper noch weiterbewegt), wenn er vorsteht (ein Vorderbein angezogen bei hoher Nase)
oder hohe Erregung zeigt (gestellte Ohren und Rute bei „erstarrtem“ Körper)! Jagdverhalten
steckt auch andere Hunde in der Umgebung an und Ihr Hund kann es sich von anderen
Hunden „abgucken“!
kommunikatives Spazierengehen
praktizieren: spielerische Gehorsamsübungen in den Spaziergang einbauen, zwischendurch
Kunststücke machen lassen, Wald- und Wiesen-Agility, den Hund unterwegs mal spielerisch
„Probleme“ lösen lassen (z.B. Suchspiele, d.h. Futter und/oder Spielzeug verstecken und
den Hund suchen lassen, dabei nicht immer alles am Boden verstecken), unerwartet Tempo
und Richtung ändern, ein „WIR“-Gefühl aufbauen, also sich gemeinsam mit dem Hund über
die gleichen Dinge freuen (z.B. der Hundeführer starrt in die Ferne, er sprintet los - der Hund
vermutlich mit - unbemerkt muss der Hundeführer nun noch am Ziel Wurst abwerfen, die der
Hund dann findet. Aus der Sicht des Hundes ist man der absolut beste Jäger, denn man hat
ein kleines Stück Wurst auf 50m Entfernung gefunden!); „Würstchenbaum“: unbemerkt
drückt man Wurst in eine Baumrinde und ruft den Hund danach besonders aufgeregt und
sucht zusammen (Würstchenbäume, Käsemoos, Leckerlilaubhaufen, Spielzeuggebüsche
u.ä. findet man NUR mit Frauchen / Herrchen gemeinsam!) oder mit dem Hund gemeinsam
schnüffeln („ah, du riechst es auch??“), ein plötzliches Rennspiel einleiten usw.
taktile Kommunikation:
Hunde kommunizieren hauptsächlich über Berührungen, Körpersprache und Blickkontakt;
die Lautgebung steht ganz am Schluss - also einfach beim Vorbeigehen den Hund streifen
(heißt: „hier bin ich wieder, ich laufe schon mal voraus“)
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optische Kommunikation:
dreht der Hund sich z.B. an einer Wegkreuzung zum Hundeführer, gibt ihm dieser eine
Richtungsanzeige mit einem Hand- oder Körpersignal, oder: wenn der Hund schaut, geht
man in die „Vorderkörpertiefstellung“, mit der Hunde sich zum Spielen auffordern, rennt
plötzlich weg und beginnt so ein Spiel. Dieses Verhalten festigt beim Hund die Haltung: „der
Chef sagt, was gemacht wird – am besten gucke ich häufiger mal hin, es gibt meist etwas
Angenehmes für mich wie Futter, Spiel oder Zuwendung“. Weiterhin kann man
unterschiedlichste Variablen des Herankommens trainieren, wichtig ist dabei, dass ein
gehorsames Zurückkommen immer belohnt, ein Misserfolg (verzögerte Rückkehr) vom
Besitzer ignoriert, und nicht durch Schimpfen oder Zureden „bestraft“ wird; das kann sonst
die Vertrauensbasis des Hundes in seinen Besitzer erschüttern und macht das prompte
Zurückkommen wenig attraktiv für den Hund.
Konditionieren auf ein Lautsignal
(z.B. Pfeife für den Rückruf, Clicker für Aufmerksamkeit): dazu ein Leckerli verwenden, das
der Hund sonst NIE bekommt und wirklich liebt. In den ersten Wochen zuhause ohne
Ablenkung üben: Lautsignal erzeugen und innerhalb 1-2 Sekunden das genannte Leckerli
geben. Die Einhaltung des Zeitfensters ist sehr wichtig, da Hunde nur max. 2 sec. lang zwei
Ereignisse miteinander verknüpfen können. Diesen Vorgang mindestens 100 mal
wiederholen, bevor der Grad der Ablenkung gesteigert wird.
Den Hund mit Nasenarbeit beschäftigen,
heißt die Fähigkeiten des Geruchssinnes des Hundes unter Signalkontrolle bringen und in
von uns gewünschte Bahnen lenken. Über die Nasenarbeit kann man den Hund geistig
auslasten, denn körperliche Müdigkeit alleine ist Hunden zu wenig. In der Nasenarbeit lernt
der Hund gezielt, welche Gerüche man (mit Erfolg!) verfolgen darf. Man kann
unterschiedlichste Arten der Nasenarbeit machen, wie: Fährte, Stoffidentifikation,
Flächensuche, Frei-Verlorensuche, kontrolliert Beute jagen (mit Kommandos) usw.
Infos: z.B. Nina Ottosson Interaktives Spielzeug (pet-pillow.de), sonstige Suchspiele (wie
z.B. Riechrallye oder lights out – Spielanleitungen und Ideen: z.B. Viviane Theby:
„Schnüffelstunde“ bzw. „Das Schnüffeln geht weiter“) oder Suzanne Clothier:
flyingdogpress.com/scntgame.html
 Was muss man beachten, wenn der Hund an der Leine geführt wird oder werden
muss?
Die Gesamtlänge der Leine sollte 3 m nicht unterschreiten. Die LEINE ERSETZT ABER
NICHT DIE KOMMUNIKATION! Sollte es für den einen oder anderen Hund nötig sein, ihn
dauernd an der Leine zu führen ist das kein Problem, wenn der Hund auch an der Leine
beschäftigt und gefordert wird! Ein solcher Hund wird dennoch mehr Lebensqualität besitzen,
als einer, der auf Grund seines Jagdverhaltens permanent bei Fuß gehen muss. Die
Frustration eines Hundes, seine Erregung und seinen Jagdtrieb nicht ausleben zu dürfen,
kann sich bis zur Aggression (auch gegen den Besitzer) steigern, hier ist in jedem Fall ein
verhaltenstherapeutisches Training – trotz Leinenführung – angezeigt.
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 Verhaltenstherapeutische Hilfsmittel:
Schleppleinen
sind nach Rücksprache mit Fachleuten für Verhaltenstherapie einzusetzen; sie machen nur
Sinn, wenn parallel ein sachgemäßes Training mit dem Hund stattfindet! Die unsachgemäße
Verwendung kann zu einer Verstärkung der Verhaltensproblematik sowie zu einer
Erschütterung des Hundevertrauens in den Besitzer führen. Die Verwendung zusammen mit
Halsbändern oder Ketten kann durch das plötzliche Stoppen im Lauf beim Hund zu
schweren Verletzungen an Halswirbelsäule, Kehlkopf und Schilddrüse der Hunde führen.
Alternative ist ein gutes Brustgeschirr, da hier der Druckpunkt auf den Brustkorb verlagert
wird. Halter können sich schwere Brand-, Schulter- und Bandscheibenverletzungen beim
Ergreifen der Leine eines laufenden Hundes zuziehen. Gefährlich ist beim Spielen von
Hunden auch deren mögliches Einwickeln in die Leine.
Stromreiz-Geräte, Wurfzeuge und Sprühhalsbänder
gehören ausschließlich in die Hände von Fachleuten für Verhaltenstherapie! Elektrische
Erziehungshalsbänder sind per Tierschutzgesetz verboten. Der Einsatz von strafenden
Hilfsmitteln erfordert unbedingt professionelle Erfahrung und ein perfektes Timing (die
Verknüpfung: Verhalten des Hundes - Strafreiz muss innerhalb 0,5 Sekunden erfolgen!). Bei
Unregelmäßigkeiten im Umgang können über einen messbaren Stressanstieg beim Hund
vorhandene Probleme verstärkt bzw. schwere Verhaltensprobleme ausgelöst werden, die
dann meist im Aggressions- und/oder Angstverhalten zu finden sind.
Verhaltenstherapeutische Beratung:
„Hundeflüsterer“ gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Da die Berufsbezeichnungen
Hundetrainer, Verhaltensberater und Hundepsychologe nicht geschützt (standardisiert) sind,
eine unsachgemäße Therapie aber zu schweren psychischen Schäden beim Hund führen
kann, ist unbedingt auf eine fundierte Ausbildung der Therapeuten/Trainer und eine
Zertifizierung von Hundeschulen zu achten:
Tierärzte mit verhaltenstherapeutischer Zusatzqualifikation sind Fachtierärzte für
Verhaltenskunde, Tierärzte mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie, Tierärzte, die
verhaltenstherapeutische Beratungen und Training anbieten
Zertifizierte Hundetrainer/Hundeschulen (Ausbildung durch Industrie- u. Handelskammern
bzw. durch staatl. anerkannte Verbände oder Institute anerkannt)
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