Unerwünschtes Jagdverhalten Der Jagdtrieb des Hundes dient der Selbsterhaltung durch Nahrungserwerb und ist Hunden angeboren, also im unbewussten Verhalten verankert. Der Reiz-Reaktionsablauf unterliegt der klassischen Konditionierung, d.h. das Tier hat keine Kontrolle darüber. Hier muss der Besitzer über voraus-schauendes Spazierengehen und genaue Beobachtung des Hundes und der Umgebung das „Anspringen“ des Rituals verhindern. Über intensives Training, wobei konsequent erwünschtes Alternativverhalten belohnt wird, kann das unerwünschte Jagdverhalten kontrolliert werden (s.u.). Jagdverhalten ist ein normales Hundeverhalten und hat nichts mit Aggression zu tun. Es kann sich u.U. erst im Alter von 1-2 Jahren äußern, wenn der Hund plötzlich statt seinem Spielzeug Radlern und Joggern hinterherhetzt (und versucht, sie zu packen), den Ball spielender Kinder „erlegt“ oder fahrenden Autos in die Reifen beißen möchte. Diese Ansätze sind ernst zu nehmen! „Der will nur spielen“ reflektiert fehlendes Bewusstsein oder bewusste Verharmlosung beim Hundebesitzer. Aus Spiel wird immer dann Ernst, wenn einer der Spielpartner keinen Spaß mehr am Spiel hat. Das Unterbinden von Jagdverhalten ist eine der schwierigsten erzieherischen Maßnahmen, da das Verhalten „selbstbelohnend“ ist, d.h. in dem Moment, wo es praktiziert wird, hat es beim Hund schon ein Wohlgefühl durch Botenstoffausschüttung im Gehirn (positive Verstärkung) ausgelöst. Der Geruch und noch mehr das Wahrnehmen der Fluchtbewegung von Wild ist ein äußerst starker Reiz für den Hund. Hat das Verfolgen eines möglichen Beutetieres schon begonnen, muss dieser Reiz durch einen noch stärkeren Reiz „überlagert“ werden. Dieser starke alternative Reiz muss dem Hund durch zahlreiche Wiederholungen auftrainiert werden. Das können Tonsignale (z.B. Pfeife) sein, bei einigen Hunden sind jedoch Wurfzeuge, die ein metallisches Scheppern erzeugen, nötig (diese sind immer nur nach verhaltenstherapeutischer Beratung von Fachleuten einzusetzen, da sie perfektes Timing erfordern und einen so starken Reiz auslösen, dass z.B. Terrier, die sich bereits oberhalb einer bestimmten Erregungsschwelle befinden, auf den zusätzlichen starken Reiz mit Aggressionen reagieren können). Fehler, die Hundebesitzer unbewusst machen, sind z.B. eine Verstärkung des Jagdverhaltens ihres Hundes durch hektisches Rufen und Hinterherlaufen, wenn der Hund bereits Jagdverhalten zeigt. Diese Reaktion interpretiert der Hund als „Mitmachen“ seines Rudelführers bei der Jagd und wird so in der Richtigkeit seines Verhaltens noch bestärkt. Strafen, die zu spät erfolgen, zu schwach sind, um das Verhalten abzubrechen, und unregelmäßig wiederholt werden, machen es dem Hund unmöglich, sein Verhalten und die Strafe zu verknüpfen. Der Hund lernt das Gewünschte nicht und die Beziehung Hund-Halter wird ernsthaft geschädigt. Idealerweise werden alternative Verhaltensweisen trainiert, die der Hund in Zukunft anstelle des Jagens einsetzen soll. Man beginnt z.B. mit der Konzentration auf den Besitzer, Rückruf und „Bei-Fuß-Gehen“ erst ohne, dann mit langsam steigender Ablenkung. Das Jagen soll möglichst früh durch ein Abbruchsignal gestoppt werden können. Auf die Präventions-Maßnahmen zum Jagdverhalten wird im Folgenden genauer eingegangen. © Tierärztekammer Berlin - www.tieraerztekammer-berlin.de Der Hundebesitzer muss agieren statt reagieren! Vorausschauendes Spazierengehen: das bedeutet, ein potentielles Beutetier zu sehen, bevor der Hund es wahrnimmt. Die Aufmerksamkeit des Hundes soll möglichst vor Auslösung des Jagdverhaltens gebunden werden, bevor er im ablaufenden Jagdritual durch den Besitzer mental nicht mehr erreichbar ist. Die Erreichbarkeit für äußere Reize sinkt beim Hund mit steigender Erregungs-lage, also meist mit der Zeitspanne, die bereits im Jagdritual verbracht wurde. Besondere Aufmerksamkeit ist hier geboten bei kleinen Schonungen - am besten eignet man sich auch an, wie die Losungen (Ausscheidungen) von Hasen, Rehen, usw. aussehen; Wildwechselspuren registrieren; das Wetter beachten (lange anhaltender Regen drückt das Wild aus dem Wald; bei Hitze geht das Wild tief in den Wald); die Tageszeit bedenken – Wild ist dämmerungsund nachtaktiv, d.h. erhöhte Vorsicht in der Dämmerung und auch am Morgen, denn da sind die Spuren noch ganz frisch; Eichhörnchen z.B. sind dagegen tagaktiv, da sie aber auf Bäume gehen, ist der Hund zumindest am Ort fixiert. das Ausdrucksverhalten seines Hundes „lesen“ lernen: eine fehlende Kommunikation zwischen Hund und Hundebesitzer (oder anders formuliert: ein unaufmerksamer Hundebesitzer) lockert die „mentale Leine“. Erhöhte Aufmerksamkeit und Kommunikation ist spätestens geboten, wenn der Hund sich dauernd in die Seiten des Weges orientiert, wenn er sehr weit voraus läuft, wenn er auf Witterung geht, wenn der Hund Spur aufnimmt (der Hund bleibt mit der Nase kurz am Boden „kleben“ – oft während sich der Körper noch weiterbewegt), wenn er vorsteht (ein Vorderbein angezogen bei hoher Nase) oder hohe Erregung zeigt (gestellte Ohren und Rute bei „erstarrtem“ Körper)! Jagdverhalten steckt auch andere Hunde in der Umgebung an und Ihr Hund kann es sich von anderen Hunden „abgucken“! kommunikatives Spazierengehen praktizieren: spielerische Gehorsamsübungen in den Spaziergang einbauen, zwischendurch Kunststücke machen lassen, Wald- und Wiesen-Agility, den Hund unterwegs mal spielerisch „Probleme“ lösen lassen (z.B. Suchspiele, d.h. Futter und/oder Spielzeug verstecken und den Hund suchen lassen, dabei nicht immer alles am Boden verstecken), unerwartet Tempo und Richtung ändern, ein „WIR“-Gefühl aufbauen, also sich gemeinsam mit dem Hund über die gleichen Dinge freuen (z.B. der Hundeführer starrt in die Ferne, er sprintet los - der Hund vermutlich mit - unbemerkt muss der Hundeführer nun noch am Ziel Wurst abwerfen, die der Hund dann findet. Aus der Sicht des Hundes ist man der absolut beste Jäger, denn man hat ein kleines Stück Wurst auf 50m Entfernung gefunden!); „Würstchenbaum“: unbemerkt drückt man Wurst in eine Baumrinde und ruft den Hund danach besonders aufgeregt und sucht zusammen (Würstchenbäume, Käsemoos, Leckerlilaubhaufen, Spielzeuggebüsche u.ä. findet man NUR mit Frauchen / Herrchen gemeinsam!) oder mit dem Hund gemeinsam schnüffeln („ah, du riechst es auch??“), ein plötzliches Rennspiel einleiten usw. taktile Kommunikation: Hunde kommunizieren hauptsächlich über Berührungen, Körpersprache und Blickkontakt; die Lautgebung steht ganz am Schluss - also einfach beim Vorbeigehen den Hund streifen (heißt: „hier bin ich wieder, ich laufe schon mal voraus“) © Tierärztekammer Berlin - www.tieraerztekammer-berlin.de optische Kommunikation: dreht der Hund sich z.B. an einer Wegkreuzung zum Hundeführer, gibt ihm dieser eine Richtungsanzeige mit einem Hand- oder Körpersignal, oder: wenn der Hund schaut, geht man in die „Vorderkörpertiefstellung“, mit der Hunde sich zum Spielen auffordern, rennt plötzlich weg und beginnt so ein Spiel. Dieses Verhalten festigt beim Hund die Haltung: „der Chef sagt, was gemacht wird – am besten gucke ich häufiger mal hin, es gibt meist etwas Angenehmes für mich wie Futter, Spiel oder Zuwendung“. Weiterhin kann man unterschiedlichste Variablen des Herankommens trainieren, wichtig ist dabei, dass ein gehorsames Zurückkommen immer belohnt, ein Misserfolg (verzögerte Rückkehr) vom Besitzer ignoriert, und nicht durch Schimpfen oder Zureden „bestraft“ wird; das kann sonst die Vertrauensbasis des Hundes in seinen Besitzer erschüttern und macht das prompte Zurückkommen wenig attraktiv für den Hund. Konditionieren auf ein Lautsignal (z.B. Pfeife für den Rückruf, Clicker für Aufmerksamkeit): dazu ein Leckerli verwenden, das der Hund sonst NIE bekommt und wirklich liebt. In den ersten Wochen zuhause ohne Ablenkung üben: Lautsignal erzeugen und innerhalb 1-2 Sekunden das genannte Leckerli geben. Die Einhaltung des Zeitfensters ist sehr wichtig, da Hunde nur max. 2 sec. lang zwei Ereignisse miteinander verknüpfen können. Diesen Vorgang mindestens 100 mal wiederholen, bevor der Grad der Ablenkung gesteigert wird. Den Hund mit Nasenarbeit beschäftigen, heißt die Fähigkeiten des Geruchssinnes des Hundes unter Signalkontrolle bringen und in von uns gewünschte Bahnen lenken. Über die Nasenarbeit kann man den Hund geistig auslasten, denn körperliche Müdigkeit alleine ist Hunden zu wenig. In der Nasenarbeit lernt der Hund gezielt, welche Gerüche man (mit Erfolg!) verfolgen darf. Man kann unterschiedlichste Arten der Nasenarbeit machen, wie: Fährte, Stoffidentifikation, Flächensuche, Frei-Verlorensuche, kontrolliert Beute jagen (mit Kommandos) usw. Infos: z.B. Nina Ottosson Interaktives Spielzeug (pet-pillow.de), sonstige Suchspiele (wie z.B. Riechrallye oder lights out – Spielanleitungen und Ideen: z.B. Viviane Theby: „Schnüffelstunde“ bzw. „Das Schnüffeln geht weiter“) oder Suzanne Clothier: flyingdogpress.com/scntgame.html Was muss man beachten, wenn der Hund an der Leine geführt wird oder werden muss? Die Gesamtlänge der Leine sollte 3 m nicht unterschreiten. Die LEINE ERSETZT ABER NICHT DIE KOMMUNIKATION! Sollte es für den einen oder anderen Hund nötig sein, ihn dauernd an der Leine zu führen ist das kein Problem, wenn der Hund auch an der Leine beschäftigt und gefordert wird! Ein solcher Hund wird dennoch mehr Lebensqualität besitzen, als einer, der auf Grund seines Jagdverhaltens permanent bei Fuß gehen muss. Die Frustration eines Hundes, seine Erregung und seinen Jagdtrieb nicht ausleben zu dürfen, kann sich bis zur Aggression (auch gegen den Besitzer) steigern, hier ist in jedem Fall ein verhaltenstherapeutisches Training – trotz Leinenführung – angezeigt. © Tierärztekammer Berlin - www.tieraerztekammer-berlin.de Verhaltenstherapeutische Hilfsmittel: Schleppleinen sind nach Rücksprache mit Fachleuten für Verhaltenstherapie einzusetzen; sie machen nur Sinn, wenn parallel ein sachgemäßes Training mit dem Hund stattfindet! Die unsachgemäße Verwendung kann zu einer Verstärkung der Verhaltensproblematik sowie zu einer Erschütterung des Hundevertrauens in den Besitzer führen. Die Verwendung zusammen mit Halsbändern oder Ketten kann durch das plötzliche Stoppen im Lauf beim Hund zu schweren Verletzungen an Halswirbelsäule, Kehlkopf und Schilddrüse der Hunde führen. Alternative ist ein gutes Brustgeschirr, da hier der Druckpunkt auf den Brustkorb verlagert wird. Halter können sich schwere Brand-, Schulter- und Bandscheibenverletzungen beim Ergreifen der Leine eines laufenden Hundes zuziehen. Gefährlich ist beim Spielen von Hunden auch deren mögliches Einwickeln in die Leine. Stromreiz-Geräte, Wurfzeuge und Sprühhalsbänder gehören ausschließlich in die Hände von Fachleuten für Verhaltenstherapie! Elektrische Erziehungshalsbänder sind per Tierschutzgesetz verboten. Der Einsatz von strafenden Hilfsmitteln erfordert unbedingt professionelle Erfahrung und ein perfektes Timing (die Verknüpfung: Verhalten des Hundes - Strafreiz muss innerhalb 0,5 Sekunden erfolgen!). Bei Unregelmäßigkeiten im Umgang können über einen messbaren Stressanstieg beim Hund vorhandene Probleme verstärkt bzw. schwere Verhaltensprobleme ausgelöst werden, die dann meist im Aggressions- und/oder Angstverhalten zu finden sind. Verhaltenstherapeutische Beratung: „Hundeflüsterer“ gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Da die Berufsbezeichnungen Hundetrainer, Verhaltensberater und Hundepsychologe nicht geschützt (standardisiert) sind, eine unsachgemäße Therapie aber zu schweren psychischen Schäden beim Hund führen kann, ist unbedingt auf eine fundierte Ausbildung der Therapeuten/Trainer und eine Zertifizierung von Hundeschulen zu achten: Tierärzte mit verhaltenstherapeutischer Zusatzqualifikation sind Fachtierärzte für Verhaltenskunde, Tierärzte mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie, Tierärzte, die verhaltenstherapeutische Beratungen und Training anbieten Zertifizierte Hundetrainer/Hundeschulen (Ausbildung durch Industrie- u. Handelskammern bzw. durch staatl. anerkannte Verbände oder Institute anerkannt) © Tierärztekammer Berlin - www.tieraerztekammer-berlin.de