Coaching in Organisationen Zu Mode und Praxis einer personenzentrierten Beratungsmethode oder Die Funktion von Coaching – jenseits von Mode und Wunschdenken oder Das Coaching der Organisation Wozu Organisationen Coaching nutzen von Andreas Taffertshofer Murnau im Mai 2007 Inhalt Inhalt 1 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? ............................................................................. 9 I Konzeption................................................................. 13 2 3 3.1 Forschungsfragen.................................................................... 13 Methodisches Vorgehen.......................................................... 21 Empirische Erhebung ................................................................ 21 3.1.1 Forschungsdesign ............................................................ 21 3.1.2 Printmedienindizes .......................................................... 22 3.1.3 Leitfadengestützte Experteninterviews............................ 23 3.1.4 Auswahl der Interviewpartner ......................................... 24 3.1.5 Feldzugang und Feedback ............................................... 25 3.2 Auswertung ............................................................................... 27 3.2.1 Anonymisierung .............................................................. 27 3.2.2 Fallbeispiele..................................................................... 27 3.2.3 Darstellung der empirischen Ergebnisse ......................... 28 3.3 Praktikerliteratur ....................................................................... 29 3.4 Wissenschaftliche Erklärungen ................................................. 30 II Analyse ....................................................................... 41 4 4.1 Untersuchungsgegenstand ...................................................... 41 Zur empirischen Bedeutung von Coaching............................... 41 4.1.1 Zur quantitativen Bedeutung in der Fachöffentlichkeit... 41 4.1.2 Zur quantitativen Bedeutung in Organisationen.............. 50 4.2 Coaching in Organisationen ...................................................... 53 4.2.1 Programme im Coaching ................................................. 54 Konditionalprogramme ............................................... 55 5 Inhalt Zweckprogramme ....................................................... 56 4.2.2 Kompetenzen im Coaching.............................................. 57 4.2.3 Coaching und Personal .................................................... 60 4.2.4 Coaching als Interaktion .................................................. 65 4.3 Zusammenfassung zur organisationalen Strukturiertheit.......... 68 5 5.1 „Persönliche“ Probleme in Organisationen.......................... 70 Die Personalisierung organisationaler Konflikte ...................... 71 5.2 Funktionen der Personalentwicklung........................................ 77 5.3 Die Lösung personalisierter Konflikte ...................................... 81 5.3.1 Ein Beispiel zur Lösung personalisierter Probleme......... 87 5.3.2 Möglichkeiten erfolgreicher Personalentwicklung.......... 89 6 6.1 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten.......................... 92 Vorgesetzte und ihre Konflikte ................................................. 93 6.1.1 Strukturell bedingte Konflikte ......................................... 96 6.1.2 Operativ bedingte Konflikte ............................................ 98 6.2 Vorgesetzte und Versetzungen................................................ 102 6.3 Führungskräfte und Strukturreformen..................................... 107 6.4 Führung und Hierarchie .......................................................... 108 6.5 Führung und Autorität............................................................. 112 7 7.1 Zur Beratungsmode Coaching ............................................. 117 Globalisierung und allgemeine Komplexitätssteigerung ........ 117 7.2 Funktionale Differenzierung ................................................... 118 7.3 Organisationale und gesellschaftliche Komplexität................ 120 7.4 Beratung und ihre Moden........................................................ 126 7.5 Verlust gesellschaftlicher Autoritätsgrundlagen ..................... 130 7.6 Problemlösungen für Autoritätsverlust ................................... 135 III Schlussfolgerungen ................................................. 141 8 Die Funktionsweise von Coaching ....................................... 141 6 Inhalt 8.1 Bezugsproblem situatives Führen ........................................... 141 8.2 Coaching und Organisationstypen .......................................... 147 8.3 Erfolgssicherungen.................................................................. 149 8.4 Funktionale Äquivalente zu Coaching .................................... 153 8.5 Evaluation von Coaching ........................................................ 156 8.6 Die Instrumentalisierung von Coaching.................................. 158 8.7 Personalisierung, Strukturschutz und Mode ........................... 161 A. B. Interviewleitfaden ................................................................. 165 Übersicht Experteninterviews.............................................. 168 Literatur........................................................................... 169 7 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? 1 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? So gut wie alle Publikationen der Coachingliteratur sind sich darin einig, dass Coaching ungemein populär geworden ist. Eine Abfrage in der Internetsuchmaschine „Google“ liefert rund 3,3 Millionen Treffer und scheint diese Einschätzung zu bestätigen1. Seit dem das Wort Coaching außerhalb der Terminologie des Sports auftaucht, ist aber damit die Frage verbunden, ob diese Methode der Beratung von Leistungsträgern nun als „soziale Innovation in der Personalentwicklung“ (Geßner 2000) zu loben oder nur als „alter Wein in neuen Schläuchen“ (Sattelberger 1990) zu durchschauen ist. Versuche, einen einzigartigen Bedarf nach Coaching aufzuweisen, kommen in der Regel über wage Vermutungen und Spekulationen im Zusammenhang mit Komplexitätssteigerung, Dynamisierung und Globalisierung nicht hinaus. Zahlreiche Definitionsversuche der Praktikerliteratur verweisen auf die Schwierigkeiten, überhaupt einen Begriff von Coaching zu finden (vgl. z.B. Kilburg 1996, 2000; KampaKokesch/Anderson 2001; Fengler 2001). Noch immer beginnen Publikationen zu Coaching mit der Frage, was darunter eigentlich verstanden werden könne und gegen welche modischen Verwendungen es abgegrenzt werden müsse (vgl. z.B. Böning/Fritschle 2005). Illustre Neologismen wie „Astrologie-Coaching“, „SM-Coaching“ oder „Musik-Coaching“ (ebd.: 17 ff.) und nicht zu vergessen das klassische Coaching im Sport lassen es dringend erforderlich erscheinen, eine Begriffsbestimmung vorzunehmen. Für diese Arbeit wurde ein Verständnis gewählt, das als Minimalkonsens gelten kann. Demnach interessiert Coaching als personenzentrierte Beratung von Personal (Coachees) in Organisationen durch beruflich spezialisierte 1 Zum Vergleich: das Wort des Jahres 2005 „Bundeskanzlerin“ liefert nur 1,3 Millionen Treffer (beide mit der Suchoption „Seiten auf Deutsch“; Januar 2006). Ein erneuter Vergleich im April 2007 liefert Hinweise, dass die Modewelle inzwischen im Abnehmen begriffen ist: „Coaching“ ergibt „nur“ noch 1.490.000 Treffer. 9 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? Berater (Coaches)2. Der Vorteil dieser Begriffsbestimmung liegt in ihrer sachlich-thematischen Offenheit und in ihrem Bezug auf die soziologisch gut betreute „fait sociale“ Organisation. „Executive Coaching Catches On“ titelte schon 1957 ein Artikel der Business Week. Diese Behauptung scheint aus heutiger Sicht doch etwas voreilig gewesen zu sein. Für Deutschland kann man sagen, dass Coaching in Unternehmen seit rund 15 Jahren anfangs vereinzelt, seit 6–8 Jahren regelmäßiger eingesetzt wird (Böning/Fritschle 2005). Die empirische Relevanz beginnt gerade erst eine Dimension zu erreichen, ab der eine soziologische Untersuchung lohnenswert scheint. Der Trend umfasst nicht mehr nur Unternehmen, wo sich Coaching in industriellen Großbetrieben schon weitgehend etabliert hat, sondern ergreift inzwischen auch Organisationen außerhalb des industriellen Produktions- und Finanzbereichs, wie Verwaltungen (Olivero et al. 1997), Krankenhäuser (Hutton 2003; König 2002), Kirchen (Ingenlath 2004), Schulen (Menzel 2004) und sogar Wissenschaftler (Klinkhammer 2004). Aufgrund des dürftigen Forschungsstands wurde eine empirische Herangehensweise gewählt. Dazu stehen aus einer Coachingstudie von Stefan Kühl (2005a) im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Supervision DGSv 24 Experteninterviews zur Verfügung. Die soziologische Verortung von Coaching bereitet einige Probleme, weshalb sich die Gliederung dieser Arbeit im Analyseteil weitgehend an der Begriffsbestimmung von Coaching als personenzentrierte Beratungsmethode in Organisationen orientiert. So wird es nach der Ausarbeitung der Forschungsfrage (Kapitel 2) und Darlegung des methodischen Vorgehens (Kapitel 3) im ersten Analyseschritt darum gehen, einen empirisch informierten Überblick über Verbreitung und strukturelle Verankerung von Coaching in Organisationen zu gewinnen (Kapitel 4). 2 Im Englischen findet man häufig die Bezeichnung „executive coaching“, im Deutschen ist entsprechend von „Führungskräftecoaching“ die Rede. Die suggerierte Fokussierung auf Führungskräfte stellt aber kein Definitionskriterium dar und muss als Marketingelement verstanden werden, das Bedeutung und Honorare von Coaches erhöhen soll. Als Synonym wird hier bisweilen auch „personalzentrierte Beratung“ verwendet, das den Zusammenhang von Person und Organisation verkürzt wiedergibt. 10 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? Im Folgenden muss geklärt werden, welche Art „persönlicher“ Probleme von Organisationen als relevant erachtet werden (Kapitel 5). Dabei zeigt sich, dass Organisationen nur solche persönlichen Probleme wahrnehmen können, die auf organisatorische Probleme verweisen. Daraus ergibt sich die These, dass es sich bei „persönlichen“ Problemen um die Externalisierung organisationaler Problemen auf Personen handelt. Im nächsten Schritt ist zu untersuchen, weshalb Führungskräfte von dieser Personalisierung organisationaler Probleme besonders betroffen sind (Kapitel 6). Die organisationssoziologische Bearbeitung des Themas Coaching erweist sich an dieser Stelle als nicht ausreichend, weil Personalisierung organisationaler Probleme kein neues Phänomen darstellt, das nun erstmalig mit Coaching bearbeitet werden könnte. Die Analyse zeigt, dass Coaching trotz behaupteter „Innovation“ (vgl. Geßner 2000) für konventionelle Problemlagen von Organisationen eingesetzt wird. Stattdessen muss die Neuerung darin gesehen werden, dass Führungskräfte bei personalisierten Problemen systematisch auf Beratung durch beruflich spezialisierte „Coaches“ (vgl. Kühl 2005a: 9 f.) zurückgreifen können. Die Frage, was Coaching notwendig macht, kann aus der Perspektive von Organisationen nicht schlüssig beantwortet werden. Weder wird Coaching für neuartige Probleme in Organisationen eingesetzt noch kann ein einzigartiger Beratungsbedarf nach Coaching identifiziert werden. Stattdessen kann man aber fragen, was es ermöglicht hat, dass man nun Führungskräften mehr oder weniger offiziell Defizite unterstellen kann, um dann in persönlichen Beratungsprojekten für Abhilfe zu sorgen. Die wesentlichen „Veränderungen der Rolle des Managements“ (Deutschmann et al. 1995) sind durch den Abbau gesellschaftlich subventionierter Autorität von Führungskräften verursacht (vgl. Luhmann 2000: 203 ff.). Erst wenn die Autorität kraft Herkunft und Bildung nicht mehr selbstverständlich ist, kann man Führungskräften offiziell persönlichen Beratungs- und Entwicklungsbedarf unterstellen (Kapitel 7). Schließlich werden Konsequenzen aus dieser Erkenntnis diskutiert und die Funktionsweise und Problemlagen von Coaching aus der Perspektive des gesellschaftlichen Autoritätsverlusts und den Folgen für Organisationen beleuchtet. Akzeptiert man diese gesellschaftliche Entwicklung als Bedingung für die Möglichkeit, Führungskräfte persönlich zu beraten, lässt sich Coaching weniger als die „Quadratur 11 Coaching: Innovation oder „alter Wein in neuen Schläuchen“? des Kreises“ in der Personalentwicklung begreifen, denn als „Beratungsfenster“, das gesellschaftlich geöffnet wurde, das sich aber durch Beratung nicht wieder schließen lässt. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass es sich bei Coaching sicherlich um ein modisches Wort handelt, das möglicherweise schon bald an Wirkung verlieren wird. Die Möglichkeit und die Legitimität der personenzentrierten Beratung von Führungskräften werden sich dagegen nicht wieder rückgängig machen lassen, selbst wenn kein einzigartiger Bedarf dafür nachgewiesen werden kann (Kapitel 8). 12 Konzeption Forschungsfrage I Konzeption 2 Forschungsfragen Der Grad der Institutionalisierung von Coaching in Organisationen ist noch schwer einzuschätzen. Regelhaftigkeit und Häufigkeit erreichen erst langsam ein Ausmaß, das das Thema für die Soziologie wahrnehmbar macht. Die soziologische Einordnung fällt zu diesem Entwicklungsstand noch schwer3. Es stellt sich die Frage, ob man Coaching treffend als „soziale Innovation“ (Geßner 2000) beschreibt oder ob es sich schlicht um „another fad“ (Kampa-Kokesch/Anderson 2001: 205) der Beratungswirtschaft handelt. Das Forschungsinteresse richtet sich daher auf eine soziologische Antwort der Frage, ob Coaching „alter Wein in neuen Schläuchen“ (Sattelberger 1990) ist. Verlässliche quantitative Daten über das Verbreitungsausmaß von Coaching wurden bisher noch nicht erhoben. Diesem Mangel kann auch hier nur ansatzweise abgeholfen werden. Anhand von Printmedienindizes lässt sich ein quantitativer Eindruck von Publikationstrends in Fachöffentlichkeit und massenmedialer Öffentlichkeit vermitteln. Der bisherige Trend nimmt einen Verlauf, wie er typisch auch für Managementmoden nachgewiesen werden kann (vgl. Benders/Van Bijsterveld 2000; Benders et al. 2005). Daraus lässt sich die These formulieren, dass die Wahrnehmung von Coaching als Mode aus der exponentiell gestiegenen Publikationsdichte herrührt. Dieser Eindruck steht aber im Kontrast zur organisationalen Bedeutung. Wie aus den Interviews deutlich wurde, ist dort Coaching eher „ein knappes Gut“ (Schulz, Unternehmen 1), das nur nach ausführlichen Entscheidungsprozessen eingesetzt wird. Die Frage, ob Coaching „nur“ eine Modewelle ist, hat weitreichende Konsequenzen, denn diese Frage ist gewissermaßen die „Killerfrage“: wer Coaching als reine Mode einschätzt, muss sich gar nicht mehr länger damit auseinandersetzen. Jedenfalls trifft man mit 3 So versteht der Soziologe Struck unter Coaching 1998 noch etwas ganz anderes: „Ältere Beschäftigte höherer Hierarchieebenen finden sich paarweise mit jüngeren Beschäftigten zusammen“ (Struck 1998: 128). In Abgrenzung zum hier vertretenen Verständnis von Coaching handelt es sich bei Struck eher um „Mentoring“ (vgl. Kimmle 2004). 13 Forschungsfrage Konzeption dem Modeargument eine Entscheidung gegen jede rationale oder funktionale Erklärung. Als klassisches Beispiel für die Absage an Ansprüche an Rationalität oder Funktionalität existiert der Erklärungsansatz der neo-institutionalistischen Schule. Überspitzt formuliert setzen sich dort Institutionen als kulturelle Innovationen durch, weil sie sich durchsetzen. Man kann, ja man will nicht erklären, weshalb sie sich durchsetzen. Radikal rationalitätskritisch stellt man nur fest, dass sich Organisationen an gesellschaftlichen Institutionen aus Legitimitätsgründen und nicht aus funktionalen Gründen orientieren (vgl. Meyer/Rowan 1977; Zucker 1977; DiMaggio/Powell 1983; für einen Überblick: Hasse/Krücken 1999). Übertragen auf das Thema Coaching würde das bedeuten: Coaching wird deshalb in Organisationen eingesetzt, weil Coaching in der Umwelt der Organisationen (also insbesondere in anderen Organisationen) institutionalisiert ist. Sicherlich spielen wechselseitige Beobachtungen von (Referenz-)Organisationen eine wichtige Rolle. In dieser Arbeit soll aber Coaching insofern über die Modebehauptung hinaus untersucht werden, als es dennoch zu einer Rationalisierung des Coaching-Konzepts in der jeweiligen Organisation kommt. Im Wesentlichen leisten diese Rationalisierungen die Personalentwickler bzw. „Gatekeeper“ der Organisationen (siehe 4.2.2 Kompetenzen im Coaching). Der hier vertretene Erklärungsanspruch bleibt aber nicht bei den formulierten Rationalisierungen der interviewten Gatekeeper stehen, sondern kontrastiert diese mit organisationssoziologischen Erkenntnissen und fragt danach, welche soziale Funktionen der Einsatz von Coaching unabhängig von rationalisierten Absichtserklärungen übernimmt. Das bis jetzt verfügbare Wissen über Coaching entstammt vorwiegend praxisorientierten Publikationen aus Organisationspsychologie, Pädagogik beruflicher Bildung und Managementlehre (vgl. KampaKokesch/Anderson 2001: 205). In erster Linie wird die Leistung von Coaching darin gesehen, persönliche mit betriebswirtschaftlichen Zielen zu harmonisieren. Demnach sei, so lautet die Standardbehauptung, Coaching in besonderer Weise dazu geeignet, die Ziele von Personen mit denen von Unternehmen zu verbinden. Nicht nur würden die Zufriedenheit und das allgemeine Lebensglück von Personen in beruflichen Rollen gesteigert; gleichzeitig verwirkliche Coaching eine bisher unerreichte Effektivitätssteigerung des gecoachten Personals. In diesen Behauptungen scheint Coaching eine wahre Wunderwaffe für 14 Konzeption Forschungsfrage die Harmonisierung und Optimierung privater, beruflicher und unternehmerischer Interessen zu sein (exemplarisch: Nowack 2003). Diese Einschätzung ist soziologisch zumindest überraschend, wenn nicht unglaubwürdig, und bedarf der Überprüfung. Moderne Organisationen erreichen ihre gesellschaftlich nicht zu ersetzende Leistungsfähigkeit gerade dadurch, dass sie von den persönlichen Bedürfnissen ihrer Mitglieder weitgehend abstrahieren. Die erste umfassende Beschreibung der organisierten Verhältnisse lieferte Karl Marx in den Begriffen der Teilung von beruflichem und privatem Leben und radikaler Selbstentfremdung (Marx/Engels 1969; 1988). Der korrespondierende wissenschaftliche Standpunkt war Kritik. Mit Max Weber wurde das Phänomen dann begrifflich als Trennung von Amt und Person gefasst (vgl. Weber 1922: 125 ff.). Beeindruckt von der bis dato unerreichten Leistungsfähigkeit moderner Bürokratie als „Herrschaftsapparat“ (Weber 1956) verblasste die Kritik zum allgemeinen Kulturpessimismus. Ab den 30er Jahren entdeckt man jedoch die Unvollständigkeit formaler Systeme und fasst neuen Mut mit der Beachtung informaler, persönlicher Beziehungen in Gruppen (Roethlisberger/Dickson 1939). Ab der Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts schließlich kommt es zu einer rollentheoretischen Reformulierung des Forschungsstands. Mit Niklas Luhmann (1999) werden formale und informale Rollen als komplementär, aber nicht gleichrangig ausgewiesen. Führend sind demnach formale Rollen, die aber systemnotwendig durch informale Rollen ergänzt werden müssen. Beide Rollentypen sind jedoch ohne die Differenz von Person und Rolle nicht verfügbar. Die Person ist also nicht Bestandteil der Organisation. Ganz wörtlich heißt das, dass Personen eine Rolle spielen. In ihrer Rolle wird die Person zum Personal4. Personal bezeichnet die Personenkonstruktion durch Organisation, die nach Maßgabe der Organisation darüber entscheidet, welche Personenmerkmale und -motive wahrgenommen werden und welche ignoriert werden. Das Personal der Organisation ist eine Eigenkonstruktion der Organisation und keine Kopie gesellschaftlich geprägter und verfügbar gehaltener Personen. 4 Gesellschaftstheoretisch gesprochen verdankt sich die Ausdifferenzierung von Organisationen der in der Moderne institutionalisierten und weiter zunehmenden Differenz von Person und Rolle(n): Moderne Organisation „ist nur dank dieser Trennung möglich“ (Luhmann 1987: 431) 15 Forschungsfrage Konzeption Dieser Erkenntnisstand ist heute in der Soziologie mit unterschiedlichen Konnotationen weithin akzeptiert. In den Quellwissenschaften der Coachingliteratur herrscht dagegen vielerorts die Überzeugung, Organisationen bestünden aus Menschen bzw. aus Personen. Dementsprechend sei es eigentlich selbstverständlich, dass alles, was die Entwicklung und dem Wohlergehen von Menschen/Personen diene, auch ebenso der beschäftigenden Organisation nütze. Als „personenbezogene Einzelberatung von Menschen in der Arbeitswelt“ (Looss 1991) befasse sich Coaching definitionsgemäß mit persönlichen beruflichen Problemen von Führungskräften. In Coaching, so die geschürte Hoffnung, gelinge die „Quadratur des Kreises“ der Personalentwicklung, die darin besteht, Personen zu beiderseitigem Nutzen von Person und Organisation zu entwickeln. Die Expertenbefragung bestätigt, dass es kaum Misserfolge beim Einsatz von Coaching gibt. Angesichts mangelnder Evaluationen von Coaching stellt sich aber erstens die Frage, worin dieser Erfolg besteht. In einem zweiten Schritt wird dann zu erklären sein, wie dieser Erfolg zustande kommt. Bevor diese Fragen bearbeitet werden können, muss zunächst ein empirisch informierter Überblick geschaffen werden, wie Coaching in Organisationen verankert ist. In der Behauptung, Coaching sei keine Modeerscheinung, wird argumentiert, dass immens gesteigerte Komplexität von Arbeits- und Führungsrollen den Bedarf nach dieser Form der personenzentrierten Beratung begründe. Freilich wird die Komplexitätssteigerung nicht weiter konkretisiert. Daher gilt es, das empirische Material daraufhin auszuwerten, bei welchen organisationalen Anlässen Coaching zum Einsatz kommt. Entlang der von Luhmann beschriebenen Organisationsstrukturen bzw. „Entscheidungsprämissen“ (Luhmann 2000) rücken damit Fragen in den Mittelpunkt, nach welchen Regeln (Programme) und bei welchen organisationalen Ereignissen Coaching eingesetzt wird, welche Kompetenzen (Kommunikationswege) dazu abgerufen werden und welche Voraussetzungen die daran beteiligten Personen (Personal) erfüllen müssen. Die Suche nach einem spezifischen Bedarf von Coaching legt eine funktionale Analyse nahe, wie sie von Niklas Luhmann ausgearbeitet wurde (Luhmann 2005c). Damit lässt sich der Frage nachgehen, ob Coaching tatsächlich Probleme der Organisation bearbeitet. Die systemtheoretische Organisationssoziologie Luhmanns nimmt als 16 Konzeption Forschungsfrage grundlegendes, gesellschaftliches Bezugsproblem von Organisationen „Unsicherheitsabsorption“ an (Luhmann 2000: 184). Der Kommunikationsmodus, um Unsicherheit in Sicherheit zu wandeln, ist Entscheidung. Organisationen funktionieren auf der Basis der alternativlosen Rekursion auf eigene Entscheidungen. Entscheiden ist Unsicherheitsabsorption. Wenn Coaching also entgegen dem Modeverdacht ein Bezugsproblem der Organisation bearbeitet, dann muss es letztlich als Unsicherheitsabsorption, das heißt als Entscheidung kenntlich sein. Die funktionale Analyse konzentriert sich daher darauf, die Entscheidungsstrukturen zu isolieren, die im Zusammenhang mit Coaching empirisch feststellbar sind. Es zeigt sich, dass die offiziell angegebenen Bezugsprobleme, die mit Coaching bearbeitet werden sollen, weitgehend auf konventionellen Ereignissen in Organisationen beruhen. Die Innovation im Coaching kann daher nicht darin gesehen werden, dass neuartige Probleme eine neue Lösung erforderten. Die Neuerung besteht darin, dass die personenzentrierte Beratung von Führungskräften in Organisationen zunehmend strukturell verankert wird5. Während Personal noch vor 20 Jahren weitgehend im Untergrund, fallweise und relativ unstrukturiert beraten wurde, diffundiert die personenzentrierte Beratung seither in formale Strukturen der Organisation. Coaching reagiert damit weder auf neuartige Problemstellungen noch handelt es sich um eine neuartige Beratungsform. Alter Wein in neuen Schläuchen also? Nicht ganz, denn noch nie wurde so in aller betrieblichen Öffentlichkeit beraten wie heute. Mit diesem Ergebnis, dass Coaching altbekannte Problemlagen bearbeitet, muss die Forschungsfrage reformuliert werden. Die zu erklärende Veränderung besteht in der zunehmenden Formalisierung und die Frage muss nun lauten, was es ermöglicht hat, Führungskräften quasi in aller Öffentlichkeit persönliche Defizite zu unterstellen, denen durch Entwicklung und Beratung abgeholfen werden könne. Diese Frage kann nicht länger organisationssoziologisch bearbeitet werden, sondern erfordert, den Blick auf den Wandel der gesellschaftlichen Autoritätsgrundlagen von Führung (vgl. Luhmann 2000: 203 ff.) zu richten. 5 Das gilt für Organisation. Professionssoziologisch betont Stefan Kühl „die Ausbildung einer Berufsrolle“ (Kühl 2005a: 9 f.). 17 Forschungsfrage Konzeption Dass kein singuläres und kein neuartiges Bezugsproblem gefunden werden konnte, hat auch methodische Konsequenzen für die Erklärung des Coachingbooms. Die strikte Kopplung genau einer Ursache mit genau einer sozialen Lösung gehört zum kausalwissenschaftlichen Ideal der soziologischen Erklärung (vgl. Esser 1993, v. a.: 29 ff.)6. Mit zunehmender Abweichung vom Ideal des Kausalmodells verwässert sich der Erklärungsgehalt dieser Methode. Die Vorteile einer funktionalen Analyse dagegen treten in diesen typischen Fällen der Multikausalität und Multifunktionalität zu Tage (vgl. Luhmann 2005b). Coaching kann einerseits dahingehend verglichen werden, welche funktional äquivalente alte Lösungen für ein altes Organisationsproblem vorhanden sind; und andererseits dahingehend, welche verschiedenen Problemlagen sich Coaching erschließt (vgl. Luhmann 2005c). Das weitere Vorgehen hat das Verhältnis von Führung, Autorität und Beratung in den Blick zu nehmen. Während Führungsthemen vor allem von der Managementlehre betreut werden, dort aber zu keinen eindeutigen Ergebnissen gelangen (Nicolai/Kieser 2002), führt das Thema Autorität in der Soziologie nach langen Jahren des Interesses inzwischen ein Randdasein. Darüber gibt es offensichtlich nicht mehr viel zu sagen außer, dass sie gesellschaftlich kaum noch gestützt ist und dies die Konsequenz der Verunsicherung von Führungskräften nach sich zieht (vgl. Faust et al. 1994: 125; Luhmann 2000: 205). Management- und Unternehmensberatung sind inzwischen soweit etabliert, dass es schon als Besonderheit vermerkt wird, wenn größere Unternehmen auf Beratung verzichten (Wooldridge 1997). Die soziologische Beratungsforschung ist inzwischen breit gefächert vor allem in der Arbeits- und Industriesoziologie (z.B. Clark 2002; Ernst/Kieser 2002; Faust 2002), aber auch in der allgemeinen Soziologie (z.B. Degele et al. 2001; Baecker 2005) verankert. Zum 6 Das Ideal der kausalwissenschaftlichen Erklärung darf nicht verwechselt werden mit der methodologisch weit umsichtigeren Formulierung von Idealtypen eines Max Webers. Denn Weber ist sich nur zu deutlich bewusst, dass „uns das Leben, sobald wir uns auf die Art, in der es uns unmittelbar entgegentritt, zu besinnen suchen, eine schlechthin unendliche Mannigfaltigkeit“ (Weber 1988: 171) bietet. Stattdessen interessiert sich der Wissenschaftler Weber für „die g e d a n k l i c h e n Zusammenhänge der P r o b l e m e “ (ebd.: 166). Eben das leistet die funktionale Analyse (vgl. Kapitel 3.4 Wissenschaftliche Erklärungen). 18 Konzeption Forschungsfrage Teil ist man sehr selbstbewusst mit der Konstruktion einer neuen Bindestrichsoziologie der Beratung befasst und diagnostiziert bereits die „Beratungsgesellschaft“ (Schützeichel/Brüsemeister 2004). Die gängigen Erklärungen, wie es zum Beratungsbedarf kommt, behaupten, dass durch Beratung wieder relative Sicherheit gewonnen werden könne, die der modernen Gesellschaft und damit auch ihren Organisationen abhanden gekommen sei. Insbesondere funktionale Differenzierung führe zu einer Komplexitätssteigerung, die Manager soweit verunsichere, dass sie ihr Gefühl des Kontrollverlusts durch Beratung zu kurieren suchen (Ernst/Kieser 2002: 73). Die kombinierte Erklärung anhand funktionaler Differenzierung der Gesellschaft und anthropologischem Kontrollstreben von Managern bei Ernst/Kieser kann aber soziologisch nicht überzeugen. So eine Erklärung des Beraterbooms ist soziologisch und gesellschaftstheoretisch unzulänglich. Auch die Vermutung, dass durch Beratung Sicherheit gewonnen werden könne, kann nicht befriedigen, weil Beratung selbst wiederum Entscheidungen unter Ungewissheit (Welche Berater? Welcher Ansatz? Welcher Vorschlag? Wozu überhaupt Beratung?) erfordert und nicht ersetzt (Schützeichel 2004a: 276). Die gestiegene Aufmerksamkeit in der Soziologie für Beratungsthemen kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass bislang kein eindeutiges Bezugsproblem gefunden wurde. Man weiß nicht so recht, welches Problem Beratung eigentlich löst, ob es wiederum ein einzigartiges Problem gibt oder ob mögliche Bezugsprobleme eigentlich neuartig sind. An diesen Punkt gelangt auch die Analyse der personalzentrierten Beratungsdienstleistung Coaching. Ein Ausweg aus diesem unbefriedigenden Ergebnis besteht darin, Beratung bzw. Coaching nicht als funktionales Äquivalent von Autorität zu begreifen, sondern als „Parasit“ (Serres 1987) einer gesellschaftlichen „Tendenz (…) in die Richtung auf ein gleiches Verhalten in allen Lebenslagen“ (Elias 1989: 42). Obwohl Organisationen nach wie vor hierarchisch strukturiert sind (Kühl 1999), verlieren autoritäre Entscheidungen an Legitimität und die Hierarchie scheint „mit ihren Notstandskompetenzen (…) nur eine Hilfsfunktion“ (Luhmann 2000: 207) zu erfüllen. Der eine, autoritäre Führungsstil passt nun nicht mehr in allen Fällen. Stattdessen haben Führungskräfte zu beobachten, wie sie von ihren Mitarbeitern beobachtet werden. Die abschließende These lautet, dass persönliche Coaches dabei behilflich sein können, welcher Führungsstil in bestimmten problematisch erlebten Fällen, legitim 19 Forschungsfrage Konzeption eingesetzt werden kann. Das Problem ist nur, dass Coaching wie jede andere Beratung nur Einzelfalllösungen erarbeiten kann ohne Garantie dafür, wie gut oder wie lange diese Lösung wirkt. Mit anderen Worten: wer sich einmal auf Beratung eingelassen hat, wird sie nur schwer wieder los. 20 Konzeption 3 Methodisches Vorgehen 3.1 Empirische Erhebung Methodisches Vorgehen 3.1.1 Forschungsdesign Die anhaltenden Querelen um Definition, Methodik und Wirksamkeit von Coaching in der Praktikerliteratur lässt eine empirische Herangehensweise empfehlenswert erscheinen. Ein schnell wachsender Markt mit einem vermutlich noch schneller wachsenden Angebot produziert eine Fülle von Literatur, Umfrageergebnissen und Marktstudien, deren Wert in erster Linie der Verbesserung der Marktchancen ihrer Autoren geschuldet ist. Wirksamkeitsstudien beziehen sich nur auf die Frage, ob Coaching auch das hält, was es verspricht. Ob Coaching daneben möglicherweise noch ganz andere „latente Funktionen“ (Merton 1995: 59 ff.) erfüllt, etwa der Ideologie, Verschleierung oder gar „Gehirnwäsche“ (Deutschmann 2002: 134), kann aus diesen Publikationen nicht beantwortet werden. Um die in vielen Fällen mit normativen Anteilen behafteten Definitionen von Coaching nicht unbesehen zu übernehmen, liegt der Schwerpunkt auf einem qualitativen Forschungsdesign. Diese Herangehensweise ist besonders bei empirischen Feldern geeignet, die bisher noch wenig beforscht sind. Für eine Abschätzung der empirischen Relevanz und der Modeförmigkeit des Themas wurden Printmedienindizes gebildet. Diese Indizes bieten aber nur einen Überblick über die Entwicklung in der öffentlichen und fachöffentlichen Aufmerksamkeit. Um das Feld in Organisationen beurteilen zu können, wurde mit offenen, leitfadengestützten Experteninterviews eine Methode gewählt, die sich für noch weitgehend unerforschte Themen eignet. Aus der verfügbaren Literatur konnte zwar ein Vorverständnis gewonnen werden. Die Offenheit des Leitfadens sowie die als Laie gekennzeichnete Rolle des Forschers im Experteninterview erlauben jedoch die ständige Erweiterung und Anpassung der zugrunde liegenden Annahmen des Forschers, um so das Feld in möglichst vielen Facetten kennenzulernen. Untersucht wurden zu etwa zwei Drittel Organisationen vom Typ Unternehmen. Unternehmen verfügen über die umfangreichste Erfahrung und die am weitesten fortgeschrittene Institutionalisierung von Coaching (und generell Personalentwicklung). Zur Erhöhung der Varianz beim möglichen Einflussfaktor Organisationstyp wurden 21 Methodisches Vorgehen Konzeption jedoch auch etwa ein Drittel Non-Profit-Organisationen aus den Bereichen Kirche, Verwaltung, Gewerkschaft und Sozialhilfe in die Untersuchung einbezogen. In diesen Organisationen liegen weit weniger Erfahrungen mit Coaching vor und zum Teil befinden sich die Coachingmaßnahmen erst in der Planung oder Erprobung. Eine denkbare Ursache für diesen Befund könnte man in der Größe der Organisationen gemessen an ihrem Personalbestand vermuten. Umso größer eine Organisation ist, umso mehr kann mit spezialisierten Abteilungen für Personalentwicklung und also auch mit Coaching rechnen. Zumindest für das hier verwendete Organisationssample7 trifft dieser Zusammenhang allerdings nicht zu. Zum einen streuen die Personalstärken der befragten Unternehmen sehr breit von 3.000 bis 230.000 und zum andern sind z.B. in Kirchen und Verwaltungen häufig ähnlich viele Personen beschäftigt und dennoch findet man hier seltener Coaching. Zwei Argumente, weshalb Coaching in Unternehmen stärker institutionalisiert ist als in den anderen untersuchten Organisationstypen, werden weiter unten entwickelt (siehe Kapitel 8.2). 3.1.2 Printmedienindizes Die meisten Fachpublikationen zum Thema Coaching stimmen in der Überzeugung überein, dass es sich zwar um ein modisches Thema handle, das aber durch einen echten Bedarf hervorgerufen sei. Beginnend mit einigen Printmedienindizes soll die Modeförmigkeit des Themas Coaching in der Presse überprüft werden. Diese Methode der quantitativen Trendschätzung vermittelt einen ersten Eindruck über die Bedeutung von Coaching in der öffentlichen und fachöffentlichen Diskussion. Im Vergleich mit schon fast klassisch zu nennenden Managementmoden „Gruppenarbeit“ und „Lean Management“ lässt sich ein Eindruck über die Mode- bzw. Dauerhaftigkeit des Themas gewinnen. Es kursieren eine Reihe von marketingfähigen Coachingstudien (z.B. Böning/Fritschle 2005; iSL Sozialforschung/Evolution Management 2005; PEF 2005), die aber wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen können. Leider sind keine Angaben zur 7 , …das freilich zu klein und mit zu wenigen Drittvariablen erhoben wurde, um gehobene Ansprüche der induktiven Statistik erfüllen zu können (vgl. Anhang D. Übersicht Experteninterviews). 22 Konzeption Methodisches Vorgehen untersuchten Grundgesamtheit enthalten, so dass die quantitativen Aussagen nur die Qualität ordinalskalierter Daten erhalten. Schlüsse auf den Coachingmarkt lassen sich daraus nicht generieren. Die Printmedienindizes liefern zwar ebenfalls nur ordinalskalierte Datenqualität. Indizes für verwandte Themen erlauben aber wenigsten eine vergleichende Einschätzung der Trendentwicklung. 3.1.3 Leitfadengestützte Experteninterviews Die empirische Basis dieser Studie liefern 18 Experteninterviews mit so genannten Gatekeepern, also Personalentwicklern in Positionen, an denen über den Einsatz von Coaching sowie über die Zulassung der Coaches innerhalb der Organisation entschieden wird. Die Interviews wurden im Rahmen der Coaching-Studie von Stefan Kühl (2005a), gefördert von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) in Köln, zwischen dem 20. Juni und dem 29. Juli 2005 durchgeführt8. Die hier behandelte Fragestellung nach der Bedeutung und Funktion von Coaching in Organisationen stellt nur einen Teil des im Interview verfolgten Forschungsinteresses dar. Für die DGSv spielte eine wichtige Rolle, einen Eindruck über das Marktgeschehen zu erhalten insbesondere darüber, welche Anbieter von Coaching vorzufinden sind, welche Qualifikationen und Zertifizierungen diese vorweisen können und welche Strategien zur Professionalisierung der Coaches von eine Vielzahl von Berufsverbänden (vgl. Schwertfeger 2004) verfolgt werden. Die Befragungen der organisationalen Gatekeeper mit einer durchschnittlichen Länge von 90 Minuten wurden ergänzt durch Interviews mit drei Coaches, einem Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens im Bereich Personalmanagement und -entwicklung, der Vertreterin eines Berufsverbands für Coaching sowie letztlich der Vertreterin einer Prüf- und Zertifizierungsstelle für Coaches. Die Ergänzung durch Experten, die außerhalb von nachfragenden Organisationen stehen, stellte eine hilfreiche Kontrolle der Innenansichten durch die Gatekeeper dar. Insbesondere verfügt diese zweite Gruppe von Interviewpartnern über Kenntnisse der Coachingpraxis in mehreren Organisationen, wodurch ein fundierter Überblick über das Thema vermittelt werden konnte. 8 Davon wurden 9 Interviews von Stefan Kühl, 8 gemeinsam und 7 vom Autor geführt. Die Transkription erledigte der Autor. 23 Methodisches Vorgehen Konzeption Methodenkritik könnte vor allem daran ansetzen, dass das empirische Material im Kern aus Experteninterviews gewonnen wurde, obwohl der Untersuchungsgegenstand Coaching in erster Linie als Interaktion zu Tage tritt (vgl. 4.2.4 Coaching als Interaktion). Was kann man über Coaching als Interaktion oder als psychologische Technik oder als personenzentrierte Beratung aussagen, wenn man dies gar nicht direkt erforscht hat? Nicht allzu viel, aber das ist auch nicht die Intention dieser Analyse9. Wie schon der Titel der Arbeit andeutet geht es darum zu klären, wozu Coaching in Organisationen eingesetzt wird. Das aber lässt sich durchaus in Gesprächen mit entsprechenden Organisationsmitgliedern in Erfahrung bringen. Hinzu kommt, dass auch die Organisation selbst durch das Gebot der Vertraulichkeit im Unklaren darüber ist, was genau in Coachinginteraktionen vor sich geht. Organisationen rechnen gerade nicht mit einem speziellen und direkten Einfluss durch die Coachinginteraktion, weshalb es für eine funktionale Analyse der Organisation gleichfalls irrelevant ist, was im Beratungsgespräch selbst geschieht. Das Coaching mag wichtige persönliche Bedeutung für die Beratenen haben; es mögen elaborierte psychologische und didaktische Techniken zu Anwendung kommen. Sofern Folgen für Organisation auftreten, wären sie in der Coachinginteraktion ohnehin nicht direkt feststellbar, sondern können besser von den Gatekeepern berichtet werden. 3.1.4 Auswahl der Interviewpartner Im Wesentlichen wurden drei Kriterien für die Auswahl der Experten gestellt. Erstens sollten die in Frage kommenden Organisationen Coaching institutionalisiert haben. Das bedeutet, dass die Organisation Coaching als Teil der Personalentwicklung regelmäßig und programmatisch anbietet. Als ein relativ neues und spezielles Instrument der Personalentwicklung bedeutet diese Forderung, dass sich die Grundgesamtheit auf relativ große Organisationen 9 Die Untersuchung der Coachinginteraktion an sich stellte ein ganz anderes Forschungsziel dar. Allerdings verschöbe sich in diesem Fall das Forschungsinteresse auf die Frage, welche Strukturänderungen im Systemtyp Organisation durch Vorgänge im Systemtyp Interaktion bewirkt werden können. Die Erfahrungen über direkte Einflüsse über Systemgrenzen hinweg sind nicht sehr erbaulich (vgl. Luhmann 1975), was umso mehr die Analyse der organisationalen Funktion von Coachingprogrammen rechtfertigt. 24 Konzeption Methodisches Vorgehen konzentriert, weil nur dort mit einer strukturierten Anwendung von Coaching zu rechnen ist. Zweitens wurden zu Kontroll- und Vergleichszwecken neben Unternehmen rund ein Drittel Non-ProfitOrganisationen in die Studie miteinbezogen. Und letztlich sollte es sich bei den Interviewpartnern tatsächlich um Mitglieder der „Funktionselite“ (Liebold/Trinczek 2002: 37 f.) von Gatekeepern handeln, weil hier umfangreiche Kenntnisse sowohl über Merkmale und Qualifikationen der Coaches als auch über die innerorganisatorische Praxis zu erwarten sind. Diese Kriterien waren in erster Linie durch das Forschungsinteresse der DGSv angeleitet, konnten aber nicht in jedem Fall vollständig erfüllt werden. In den Fällen Kirche, Sozialhilfe und eines mittelständischen Unternehmens war Coaching zwar geplant oder in der Erprobung, aber noch nicht institutionalisiert. Für die hier verfolgten Fragestellungen erweist sich dies aber keineswegs als Manko, sondern vielmehr als zusätzliche Variation der Ergebnisse, die Vergleiche ermöglicht und entsprechende Erklärungen motiviert. Es wird zu untersuchen sein, ob das Fehlen von Coaching in den genannten Organisationen möglicherweise mit deren spezifischer Situation in Zusammenhang zu bringen ist und welchen Beitrag dies zur Klärung der Funktion von Coaching leistet (Kapitel 8.2). Darüber hinaus fand keine systematische Auswahl statt, die in irgendeiner Form Ansprüche induktiver Statistik genügen könnte. Stattdessen standen pragmatische Kriterien, wie Terminfragen, einfach zu realisierender Feldzugang, möglichst geringe Reisekosten usw., im Vordergrund. 3.1.5 Feldzugang und Feedback Das Feedback, also das Zurückspielen der Ergebnisse der Untersuchung an die interviewten Experten, erfolgte nach Abschluss der Studie (Dezember 2005) durch ein Papier der DGSv. Es waren zwar keine weiteren Diskussionsrunden oder gar eine Expertentagung geplant (vgl. Liebold/Trinczek 2002: 57), aber die kostenlose Rückmeldung der Ergebnisse der Studie stellte in vielen Fällen erst den Feldzugang sicher. Die Aussicht auf eine relativ unabhängige wissenschaftliche und qualitative Studie erzeugte bei genügend vielen Interviewpartnern das entscheidende Teilnahmemotiv, zumal die verfügbaren Coachingstudien bisher meist quantitativ per schriftlicher oder telefonischer Befragung erhoben wurden oder auf der 25 Methodisches Vorgehen Konzeption langjährigen Erfahrung von Coaches beruhen. Wissenschaftliche Unabhängigkeit wird in der Rezeption dieser Studien nur selten unterstellt. Zudem kann man sich von einer qualitativen Herangehensweise entsprechend detailliertere Ergebnisse erwarten. In Einzelfällen wurde sogar Interesse an dieser Diplomarbeit geäußert, was die Ansprüche an die Anonymisierung erhöht (Kapitel 3.2.1). Das Feedback erwies sich jedoch nicht nur in der Herstellung des Feldzugangs als hilfreich, sondern auch innerhalb der Expertenbefragungen. So konnten im Laufe der Interviewphase zunehmend die Erfahrungen und Ergebnisse aus anderen Gesprächen eingebracht werden und so Besonderheiten der jeweiligen Organisation stärker herausgearbeitet werden. Es zeigte sich, dass der Austausch zwischen den Gatekeepern verschiedener Organisationen vor allem im Bereich der Unternehmen recht gering ist, so dass die anonymisierten Informationen über Coachingsysteme anderer Organisationen auf Interesse stießen. Offenbar ist es der Befragungsinteraktion und den darin geoffenbarten Informationen (ähnlich wie bei „Klatsch“; vgl. Bergmann 1987) zuträglich, wenn man als Fragesteller ebenfalls Informationen anbieten kann. Im März 2006 fand an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg dann doch eine Podiumsdiskussion mit Stefan Kühl, Harald Geißler und dem Autor, Andreas Taffertshofer statt. Als Publikum waren Studierende der Helmut-Schmidt-Universität, Coaches und Gatekeeper geladen. Die von Stefan Kühl wie auch vom Autor vorgestellten Thesen führten zum Teil zu heftigen Widerständen bei den Coaches. Die Reaktionen der Gatekeeper hingegen waren stärker von Offenheit, Interesse und Zustimmung geprägt. Damit wurde der Interessenskonflikt zwischen berufspolitisch geprägten Erfolgsdarstellungen der Coaches und den eher an organisationaler Effektivität und Effizienz orientierten Gatekeepern deutlich. Insgesamt erzeugte die soziologische Bearbeitung des Themas eine hohe Resonanz in der „Coaching-Szene“ (vgl. die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Coaching-Studie von Stefan Kühl: Werle 2007; Eidenschink 2006; Kühl 2006a; 2006b; 2006c; 2006d; o.A. 2006; Pichler 2006a; 2006b). 26 Konzeption 3.2 Methodisches Vorgehen Auswertung 3.2.1 Anonymisierung Die Zusage der Anonymisierung war eine wichtige Voraussetzung detaillierte Daten und Aussagen über die organisationale Coachingpraxis zu erhalten. Gatekeeper in Unternehmen legten zum Teil großes Misstrauen an den Tag aus der Befürchtung heraus, organisationsinterne Details über die Coachingsysteme gegenüber Konkurrenten und bewerbenden Coaches zu enthüllen. Die Anführung von Daten, Positionen und Zitaten erfolgen deshalb streng anonymisiert, das heißt in einer Form, in der weder Personen noch Organisationen rekonstruiert werden können. In der Regel sind die Angaben zum Organisationstyp möglichst hoch generalisiert, also zum Beispiel Unternehmen, Einrichtung der Sozialhilfe, öffentliche Verwaltung usw., um einen möglichst großen Anonymisierungseffekt zu erreichen. Selbst auf dieser obersten Ebene bleiben im Falle von kirchlichen Organisationen nicht allzu viele anonymisierende Möglichkeiten. Die Differenzierung in relativ selbständige Landeskirchen und Bistümer muss über diesen Mangel hinweg helfen. Zudem waren bei den Kirchen die Bedenken weniger groß als bei Unternehmen. In anderen Fällen dient bewusste Falschinformation, den gewünschten Anonymisierungsgrad zu erreichen. Dies wird insbesondere durch den organisationssoziologischen Fokus begünstigt, der zur Argumentation kaum auf Kontextbedingungen, etwa in bestimmten Branchen, Regionen oder auf speziellen Märkten zurückgreift, die die Rekonstruktion auf Organisationen und Personen erleichtern würde. 3.2.2 Fallbeispiele Die Interviewdaten liegen voll transkribiert vor. Aufgrund der Forschungsinteressen der DGSv zu Marktlage, Anbieterprofile, Berufsverbände und Professionalisierungsbestrebungen sind nicht alle Passagen von direkter Relevanz für diese Arbeit. Im Zentrum steht hier das Interesse an der Bedeutung von Coaching in Organisationen. Um dieses Themenfeld zu erschließen, wurden die Experten gebeten, konkrete Fallbeispiele zum Einsatz von Coaching zu berichten. Damit aus diesen Schilderungen nicht besondere, sondern eher typische Beispiele hervorgehen, sollten die Experten jeweils den letzten oder die letzten drei Fallbeispiele darstellen. Waren in diesen Fallbeispielen in der Wahrnehmung der Gatekeeper Besonderheiten aufgetreten, 27 Methodisches Vorgehen Konzeption wurde das als Kontrast zu Standardfällen diskutiert. Diese Fallbeispiele bilden den Kern des verwertbaren Materials, weil hier relativ wenig Wertungen und Interpretationen seitens der Gatekeeper einfließen. Insbesondere interessieren die Anlässe, die zum Coaching führen, weil sich damit Rückschlüsse ziehen lassen, was man sich vom Coaching erwartet und wozu Coaching eingesetzt wird. Die Fallbeispiele liefern außerdem den organisationalen Kontext, in dem Coaching zur Anwendung kommt. Neben dem Einzelfall wurde auch erhoben, ob es ein bestimmtes Ereignis gegeben hat, in deren Folge Coaching in der Organisation institutionalisiert wurde. In einer Reihe von Interviews kam Coaching schon länger zum Einsatz als die Interviewpartner Mitglied der Organisation waren, so dass über Anlässe zur Einführung, wenn überhaupt, nur sehr ungenaue Aussagen getroffen werden konnten. In anderen Fällen lag die Einführung von Coaching noch nicht sehr lange zurück, war aktuell im Gange oder sogar noch in der Planungs- und Erprobungsphase. Dort konnten Aussagen darüber gewonnen werden, welche organisationalen Ereignisse zur Einführung von Coaching führten. 3.2.3 Darstellung der empirischen Ergebnisse Die vorliegende Arbeit versteht sich als empirisch informierte Analyse von Coaching in Organisationen. Das bedeutet, dass die Darstellung, Kategorisierung und Interpretation nicht alleine den Gatekeepern überlassen werden soll. Das Ziel der Studie liegt nicht darin, die wahrgenommene Lebenswelt der Gatekeeper abzubilden. Die maßgebliche Rechtfertigung dieser Analyse besteht darin, eine distanzierte und eigenständige Betrachtung von Coaching in Organisationen anzubieten. Der Nutzwert entsteht daraus, sich relativ weit von den etablierten Bewertungs- und Interpretationsmustern der Experten, Gatekeepern und Autoren der Praktikerliteratur zu entfernen und so eine differente Erklärung anzubieten. Auf eine gesonderte Darstellung der Themen, Kategorien und Perspektiven der Gatekeeper und sonstigen Experten wird daher 28 Konzeption Methodisches Vorgehen verzichtet10. Die Erkenntnisse unterstützen, erläutern und unterlegen die soziologische Argumentation. Längere Zitate und Fallbeispiele sind in kleinerer Schriftart kursiv kenntlich gemacht. 3.3 Praktikerliteratur Die primäre Untersuchungsperspektive dieser Arbeit ist dem empirischen Material aus den Experteninterviews und wissenschaftlichen Erklärungsansätzen aus der Betriebs- und Organisationssoziologie verpflichtet. Die umfassende Berücksichtigung der Praktikerliteratur kann nicht geleistet werden, schon allein weil sie inzwischen schier unübersehbar angewachsen ist11. Die Praktikerliteratur dient aber einerseits als ein wichtiges Hilfsmittel, um ein Vorverständnis von Coaching zu erhalten. Andererseits bietet sie die Kontrastfolie zu den hier erarbeiteten Erklärungen und Thesen. Die Auswahlstrategie bezog sich daher darauf, zentrale Autoren und Werke zu identifizieren und zu rezipieren. Führend bleiben jedoch die analysierten Problemstellungen der Organisationen und nicht die Themen der Praktikerliteratur. Es zeigt sich, dass sich die Diskussion noch recht wenig differenziert gestaltet. Es sind noch keine Spezialdiskurse auszumachen, die sich deutlich voneinander unterscheiden ließen. Die meisten Publikationen versuchen eine Gesamtschau über den aktuellen Entwicklungsstand von Coaching anzubieten. Dabei wird noch immer um geeignete Definitionen gerungen. Daneben geht es um die Sicherstellung von Professionalität und Qualitätskriterien für Coaches, um Anwendungsbereiche, Erfolgskriterien, geeignete Methoden im Coaching sowie in neueren Publikationen verstärkt um Erfolgsevaluation. Sofern diese Themen auch für die Experten von Bedeutung sind, werden sie in dieser Arbeit aufgegriffen und bearbeitet. 10 Damit orientiert sich die Methode gerade nicht an der Methodologie der so genannten „grounded theory“ (Glaser/Strauss 1968)., die Interviewpartner nicht nur die Expertise von Experten ernst nimmt, sondern auch die soziologische Theoriebildung dem Interviewtext überlässt. Damit läuft man jedoch Gefahr, den fachspezifischen Experten (hier: für Coaching) gleich noch zum soziologischen Experten zu machen. 11 Vergleiche die Versuche umfassender Bibliographien bei Rauen (2005) oder auch bei Grant (2003). 29 Methodisches Vorgehen 3.4 Konzeption Wissenschaftliche Erklärungen Coaching aus der Organisationsperspektive zu beleuchten, entspricht nicht den üblichen Erklärungsansätzen der vorherrschenden Praktikerliteratur, weil dort zumindest gleichwertig eine Individualperspektive, oft aus humanistischen oder psychologischen Gründen, eingenommen wird. Daraus ergeben sich völlig andere Erklärungen und Wertungen, weil hier immer die Frage reflektiert wird, welche Auswirkungen auf Persönlichkeit bzw. „Menschen“ eintreten können. In der Regel vermutet man positive Auswirkungen, die zudem mit den Interessen der Organisation harmonisieren sollen. Publikationen, die stärker die Wirksamkeit von Coaching in der Organisation nachweisen wollen, orientieren sich zumeist am Gewinnziel von Unternehmen und kommen auf bisweilen extrem positive Return-of-Investement-Werte (McGovern et al. 2001; Böning/Fritschle 2005: 280). Die Fokussierung der Wirksamkeitsfrage auf das Gewinnziel ist für Unternehmen sinnvoll, weil dort eine starke Rationalisierung auf Wirtschaftlichkeit erfolgt. Eine solche „einseitige“ Durchrationalisierung von Organisationen hat aber bestimmte, typische Folgeprobleme zu verkraften, die sich mit profitlogischen Termini nur unzureichend analysieren lassen (vgl. Luhmann 1999: 284 f.). Daher wird in dieser Arbeit versucht, die Bedeutung von Coaching nicht primär unter Profitgesichtspunkten darzustellen, sondern die Probleme stärker auf die gesamte Organisation zu beziehen. Ebenso soll die humanistische Zentrierung vermieden werden und stattdessen der Frage nachgegangen werden, welche Probleme der Organisation mit Coaching gelöst werden können. Eine solche Erklärungstechnik, die ein soziales Phänomen wie Coaching als Lösung von zugrunde liegenden Problemen versteht, ist als funktionale Analyse bekannt (vgl. Luhmann 2005b; Luhmann 2005c; Merton 1995). Der Gewinn einer solchen Methode besteht vor allem darin, dass man verschiedene soziale Sachverhalte vergleichbar machen kann, wenn es gelingt, ein gemeinsames Bezugsproblem zu formulieren. Versteht man beispielsweise als Grundproblem menschlicher Gesellschaften die Sicherstellung ihrer materiellen Existenzgrundlagen, kann man verschiedene historische Gesellschaftsformationen miteinander als vergleichbar beschreiben, obwohl gerade die Steinzeitgesellschaften nicht dasselbe sind wie die antike oder die moderne Gesellschaft. Die jeweiligen Formationen gewährleisten aber Funktionen, wie das Grundproblem der Sicherstellung von Produktion 30 Konzeption Methodisches Vorgehen und Reproduktion gelöst werden kann, nämlich durch äußere und innere Beherrschung menschlicher Arbeitskraft. Für die Moderne löst der Kapitalismus dieses Herrschaftsproblem (Marx/Engels 1969). Hier kann man wiederum verschiedene Phasen oder sogar Moden als vergleichbare funktionale Äquivalente beschreiben, etwa frühindustrielle Verhältnisse mit Beherrschungsformen im so genannten Fordismus mit Formen postfordistischer Produktionsverhältnisse, obwohl all diese historischen Formen doch sehr verschieden sind (vgl. hierzu Taylor 1911; Aglietta 1979; Marx 1988). Der Gewinn besteht in der Vergleichbarkeit und Optionssteigerung, wenn man sieht, dass bestimmte Probleme auch anders gelöst werden können. Ein weiterer Vorteil dieser Methode der Erklärung besteht darin, dass Funktionen auch dort erkannt werden können, wo sie „offiziell“ gar nicht vorgesehen sind. Beispielsweise kann man völlig verschiedene Dinge wie Religion und Opium als Äquivalente beschreiben, wenn es darum geht, die kapitalistische Herrschafts- und Produktionsstruktur vor dem Bewusstsein der Arbeiter und Proletarier zu schützen (vgl. Marx/Engels 1976: 378). Erlangte die Klasse der Arbeiter über ihre unbewusste, objektive Stellung im Produktionsprozess ein gemeinsames, subjektives Bewusstsein, wäre die bestehende kapitalistische Produktionsstruktur in ihrem Fortbestand gefährdet. Die Unbewusstheit bestimmter Funktionen ist häufig eine wichtige Voraussetzung ihres reibungslosen Funktionierens. Der Latenz der oft als Ideologie gescholtenen Funktion kommt mithin System erhaltende Funktion zu (vgl. Luhmann 1987: 459 ff.). Mit etwas weniger kritischer Emphase kann man auch von einer Strukturschutzfunktion sprechen, die im obigen Beispiel Religion ausübt, wenn sie die Aufmerksamkeit von den irdisch-materiellen Verhältnissen ablenkt auf himmlisch-jenseitige Zustände und so neben den Zielen der vordergründigen Heilslehre latent die bestehenden Strukturen vor Bewusstsein und Kritik schützt. Die Formulierung zugrunde liegender Bezugsprobleme kann nicht aus der funktionalen Methode selbst geleistet werden, sondern ist auf theoretische Vorleistungen angewiesen (Luhmann 2005c: 48 ff.). Die obigen, ebenso bekannten wie umstrittenen Theoriebeispiele stammen aus der marxistischen Theorietradition. Für das vorliegende Thema bietet sich diese Tradition durchaus an, weil Coaching hier im Zusammenhang mit Organisationen untersucht wird. Dementsprechend findet man gelegentliche Verweise auf Coaching gerade in der 31 Methodisches Vorgehen Konzeption dieser Theorietradition angehörigen Industrie- bzw. Betriebssoziologie (z.B. Mutz 1999: 9; Deutschmann 2002: 134). Das „Elend der Industriesoziologie“ (Herkommer 1972) besteht jedoch darin, dass sie sich lange Zeit über dieses eine Generalproblem der gesellschaftlichen Beherrschung von Arbeitskraft identifizieren konnte. Nachdem aber der Analysewert dieser Problemsicht ausgereizt scheint bzw. das Interesse daran schlicht auf breiter Front nachgelassen hat12, gelingt es nicht dafür einen derart identitätsstiftenden Ersatz zu beschaffen. Abgesehen davon, dass dem marxistischem Ansatz inzwischen schon ein Hauch des ewig Gestrigen anhaftet13, kann man aber auch argumentieren, dass weitere, etwa betriebliche Probleme und Funktionen gegenüber dem „Super-Problem“ Herrschaft des Kapitals über den Arbeitsprozess in dieser Theorie nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das theoretische Auflösevermögen ist damit relativ begrenzt und die Versuche, weitere betriebliche oder gesellschaftliche Strukturmerkmale zu berücksichtigen, laufen ständig Gefahr, das Primat kapitalistischer Profit- und Herrschaftsfunktion zu untergraben. Die umfangreichen empirischen Forschungen der Betriebssoziologie können theoretisch nur relativ schlecht integriert werden (vgl. Ortmann 1994: 105 ff.; Gergs et al. 2000: 189 f.; Deutschmann 2003: 477 f.). Folge ist eine Fülle von kaum verbundenen Kategorien, Zusatzannahmen und oftmals rein analytischen Strukturmerkmalen. Es bleibt jedoch nicht nur bei dieser theoretisch unbefriedigenden Integration, sondern zudem scheint die Erklärungsmethode gebrochen. Sofern es gelingt empirische Befunde auf manifeste und latente Funktionen kapitalistischer Produktionsweise und ihrer Folgeprobleme zuzurechnen, herrscht die funktionale Erklärungsmethode vor. Liegen die gesellschaftlich oder betrieblich beschriebenen Phänomene außerhalb der Erklärungsreichweite des „marxistischen Funktionalismus“, wie dies typisch immer wieder bei den Themen Staat, 12 Dass wissenschaftliche Paradigmen bisweilen schon ausgetauscht werden, selbst wenn ihr Analysepotential nicht erschöpft ist, kann man auch an der wissenschaftlich nicht gut begründeten Ablösung von Parsons’ Handlungstheorie studieren. Thomas Kuhn hat solche Prozesse als „wissenschaftliche Revolutionen“ eingehend und rationalitätskritisch beschrieben (Kuhn 1962). 13 Dieser Eindruck ist durch den relativ plötzlichen Niedergang des sozialistischen Sowjetimperiums und die schrittweise Anpassung noch sozialistischer Staatssysteme an die kapitalistische Wirtschaftsweise maßgeblich verursacht (vgl. z.B. Ruben 1995; Warnke/Huber 1998; Müller 1999; ). 32 Konzeption Methodisches Vorgehen Rechtssystem und neuerdings bei gesellschaftlichen „Institutionen“, Managementmoden und Machtspielen in Organisationen auftritt (vgl. z.B. Ortmann 1994; Türk 1997: 161 ff.; Deutschmann 2002), dann wird das Erklärungsschema häufig auf ein (handlungstheoretisches) Kausalmodell umgestellt. So lässt sich beispielsweise die Funktion des Rechtssystems nicht eindeutig einer der beiden objektiv antagonistischen Klassen im kapitalistischen Produktionssystem Kapital oder Arbeit zuordnen. Das Rechtssystem übernimmt etwa durch die Gewährleistung und staatlich gesicherten Eigentumsrechte die Funktion, kapitalistische Produktionsverhältnisse durch formal freie Parteien im Arbeitsvertrag zu gewährleisten. Unternehmer wie Arbeiter sind vor dem Gesetz gleichberechtigt und frei in der Wahl von Vertragspartnern, was die moderne Produktionsweise basierend auf Arbeitsverträgen erst ermöglicht. Andererseits schützt das Rechtssystem in vielen Fällen auch konträre Interessen von Arbeitern, Betriebsräten und Gewerkschaften, was sich aus der kapitalistisch beherrschenden Funktion der Profitmaximierung des Kapitalisten nur schwer erklären lässt. Im Grunde muss man zwei gegenteilige Mechanismen auf ein Grundproblem beziehen. Im ersten Fall schützt das Rechtssystem das Profitstreben des Kapitalisten vor weiterreichenden Ansprüchen der Arbeiterklasse. Der Arbeiter kann rechtlich den Kapitalisten nicht für Verelendung und Entfremdung zur Verantwortung ziehen. Dabei wirkt der Mangel an Subsistenzchancen außerordentlich funktional für das Profitstreben, weil Arbeiter so gezwungen sind, das einzige zu verkaufen, was ihnen noch bleibt: ihre Arbeitskraft. Andererseits schützt das Rechtssystem und der Sozialstaat Arbeiternehmer doch weit mehr, als für optimale Mehrproduktionserlöse funktional erscheint. Offensichtlich sind im Rechtssystem noch andere Werte und Programme vorgesehen, die sich nicht aus der kapitalistischen Profitlogik ableiten lassen. Das Problem der funktionalen Erklärungsmethode ist, wie man bei so offensichtlich gegenläufigen Funktionen an einem gesellschaftsdeterminierenden Generalproblem festhalten kann. Ein ähnlicher Fall liegt bei neueren Managementstrategien vor, die vorgeben, arbeitende Personen stärker, als dies im fordistischen Paradigma intendiert war, in den Arbeitsprozess einzubinden. Lange Zeit galt die „Dequalifizierung“ und „Degradierung“ von Arbeitern als der Königsweg bei der Durchsetzung kapitalistischer Profitinteressen 33 Methodisches Vorgehen Konzeption (vgl. Braverman 1974). Seit rund drei Jahrzehnten beginnt sich das Bild jedoch zu wandeln und kapitalistische Unternehmen versuchen auch mit gegenteiligen Strategien, also mit der Höherqualifizierung und „upgrading“ von Mitarbeitern Profit zu erwirtschaften. Eine funktionale Argumentation marxistischer Tradition gerät nun in den Erklärungsnotstand, zwei gegensätzliche Strategien, Degradierung und Aufwertung, Dequalifizierung und Qualifizierung, letztlich auf ein und dasselbe Hauptproblem Sicherstellung kapitalistischer Produktionsweise beziehen zu müssen. Klar ist, dass eine Reihe von Zusatzannahmen getroffen werden müssen, um zu erläutern, dass in einigen Fällen die Qualifizierungsstrategie und in anderen Fällen die Dequalifizierungsstrategie derselben kapitalistischen Funktion dienlich sind. Die theoretisch schwer zu integrierende Frage aber ist, was die verschiedenen Fälle voneinander unterscheidet und aus welchem Problemgesichtspunkt sie integriert und vergleichbar gemacht werden können. Allein mit dem Generalproblem Herrschaft des Kapitals fällt dies schwer. Eine übliche Erklärungsstrategie ist es dann, auf das Agieren von Protagonisten im kapitalistischen System abzustellen. Man vermutet einfach, dass das Management es früher so wollte und jetzt anders will, weil sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen geändert haben (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 142 f.). Oder man erkennt plötzlich die Funktionalität von Institutionen wie Märkte, Moden und Mythen an (Deutschmann 2002; Türk 1997), deren Entstehen man aber ebenso wenig funktional auf den Kapitalismus beziehen kann. Überspitzt formuliert kann man das Thema Coaching arbeitssoziologisch nur dann funktional erklären, wenn es als Mechanismus nur der Steigerung des Profits dient. Gelingt die Bezugnahme auf Gewinnmaximierung nicht plausibel, bliebe nur zu sagen, dass Coaching deswegen eingesetzt werde, weil es sich um eine Mode handele. Wozu eine Mode wieder gut sein sollte, kann man nicht erklären. Um einen solchen methodischen Bruch zu vermeiden, hilft in dieser Arbeit eine funktionalistische Organisationssoziologie weiter. Profitmaximierung stellt sich in dieser Sichtweise als ein Problem unter vielen anderen dar. Eine Reihe von Vorteilen und zumindest ein gravierender Nachteil sind damit verbunden. Zu den Vorteilen gehört, dass man neben dem kapitalistischen Gewinnziel weitere Ziele und Zwecke von Organisationen gleichermaßen in Betracht ziehen kann. Damit kann man tiefenscharf Handlungslogiken analysieren, die nur 34 Konzeption Methodisches Vorgehen unbefriedigend als Funktion einer Profitlogik interpretiert werden können. Warum sollten plötzlich in Coachingsitzungen die persönlichen Probleme von Mitarbeitern und Vorgesetzten erörtert werden? Welche Legitimitäten und Logiken sind hier am Werke, die ein solches Beratungs- und Betreuungsangebot sinnvoll erscheinen lassen? Welche Probleme sollen bearbeitet werden, wenn man einen Manager zum Coaching schickt? Für den Fall der wissenschaftlichen Erklärung von Coaching würde eine kausale Methode bedeuten, dass man zunächst definitorisch zu klären hätte, was genau Coaching ist (vgl. Fengler 2001)14. Allein damit würde man sich tendenziell gegen ein empirisch informiertes Verständnis immunisieren. Zu dieser Kategorie der Erklärung gehören zum Beispiel die Argumentationen, dass bestimmte Beratungsformen gar nicht Coaching seien und deswegen nicht weiter beachtet werden müssten; oder dass bestimmte Anbieter gar nicht Coaches seien und deswegen ihre Dienste nicht in eine Untersuchung einbezogen werden müssten (Böning/Fritschle 2005: 17 ff.); oder dass es sich bei Coaching nur um eine Mode handele (Sievers 1991) und deswegen dem Thema keine weitere Aufmerksamkeit zu widmen sei. Auch mit dem Argument, Coaching diene der Profitsteigerung und der Sicherung der Herrschaft über die Arbeiterschaft, wird man weder empirisch weit tragende noch theoretisch detaillierte Beschreibungen des Phänomens liefern können. Nicht viel weiter hilft es, wenn man die Organisationsperspektive vernachlässigt, und erklärt, dass Coaching deswegen so boomt, weil unterbeschäftigte Therapeuten Profit erwirtschaften wollen (vgl. ebd. 272 f.). Die Vorgehensweise ist hier immer gleich: auf einem wie auch immer begründetem Vorverständnis wird eine klare und vor allem gut zu operationalisierende Definition von Coaching entwickelt, die sich dann verschließt gegen empirische Entwicklungen, die in der Definition nicht erfasst waren. Mit solch verkürzten und verkürzenden Erklärungsansätzen wandelt sich die funktionale Erklärung, mit der man verschiedene 14 Ein amüsantes Beispiel, wie wenig man sich aus Definitionswahn lösen kann, bietet Fengler: Nachdem er in einer Literaturdurchsicht auf sechzehn Coachingdefinitionen gestoßen ist, scheint die Lösung darin zu liegen, eine siebzehnte hinzuzufügen. Ähnlich auch bei Kilburg 1996. 35 Methodisches Vorgehen Konzeption Tatbestände auf ein Bezugsproblem beziehen kann, unter der Hand zur kausalen Ursache-Wirkungs-Beschreibung, die mehr ausschließt als erklärt. Bekanntermaßen sind streng kausale Erklärungen zumindest in den Sozialwissenschaften so gut wie nie erreicht worden (Diekmann 2001: 149). Immer müssen sie durch Zusatzannahmen, Ceteris-paribus-Klauseln und „Brückenhypothesen“ gerettet werden (vgl. Esser 1993: 94), weil unter empirischen Bedingungen praktisch immer mehrere Problemgesichtspunkte gleichzeitig beachtet werden. Zudem sind kausale Erklärungen generell sehr schlecht theoretisch integrierbar, weil sich sowohl in die Richtung der Ursachen als auch in die Richtung der Wirkungen Endlosketten bilden lassen (immer weitere Ursachen und immer weitere Wirkungen), deren Unterbrechung kausal nicht gerechtfertigt werden kann (vgl. Luhmann 2005b: 20). Jede Ursache muss bei konsequent kausaler Erklärungstechnik immer wieder auch als Wirkungen weiterer Ursachen erklärt werden können. Wenn die Frage nach dem „Warum“ im kausalwissenschaftlichen Paradigma die einzig relevante und echte wissenschaftliche Frage ist (vgl. Esser 1993 ff.; Diekmann 2001: 147), dann wären wirklich wissenschaftliche Forscher eine Art institutionalisierter, nervender Kleinkinder, die nicht aufhören wollen „und warum?“ zu fragen. Dass Eltern früher oder später Grenzen ihrer Auskunftsbereitschaft signalisieren, liegt nicht nur an deren Faulheit, sondern daran, dass solche Grenzen im Sozialen selbst institutionalisiert sind. Eine Theorie des Sozialen muss aber solche Grenzen zu erklären fähig sein und mit kausalen Erklärungen wird man nicht sehr weit kommen. Solche Erklärungsnotstände kann man vermeiden, in dem man theoretisch gestützte Problemgesichtspunkte formuliert und dann nach empirischen Lösungen für solche Probleme sucht. Dieser Weg der Problem- und Lösungssuche kann ebenso andersherum beschritten werden, indem man ein empirisches Phänomen als eine mögliche Lösung betrachtet und von dort aus nach Problemgesichtspunkten sucht, die diese Lösung notwendig gemacht haben (Luhmann 2005b: 22). Gegenüber der Unabschließbarkeit kausaler Erklärungen kommt man hier relativ schnell zu wenigen möglichen Problemen bzw. Lösungen der Probleme, weil die Phänomene immer in einem Kontext anderer Probleme und Lösungen stattfinden, die zugleich beachtet und gelöst werden müssen. Der Vorteil dieser Methode liegt darin, dass 36 Konzeption Methodisches Vorgehen man darüber gedankliche Ordnung gewinnen15 und erklären kann, unter welchem Problembezugspunkt beispielsweise Coaching, Mentoring, Supervision, Psychotherapie Gespräche mit Freuden, Vertrauten oder Ehepartnern vergleichbar sind, ja austauschbar erscheinen, und unter welchen Gesichtspunkten sie sich unterscheiden und je spezielle Problemlösungen darstellen. Um so mehr sich diese Vorgehensweise empirisch inspirieren lässt, also umso mehr die theoretisch formulierten Problemgesichtspunkte denen der Praxis entsprechen, um so mehr wird die Theorie zu einer praktischen Theorie, die in Konfliktfällen über weitere Handlungsmöglichkeiten, also funktionale Äquivalente, aufklären kann (vgl. Luhmann 2005c: 60). Ein weiterer Vorteil der funktionalen Methode ergibt sich daraus, dass mit einem solchen Vorgehen verschiedene Typen von Organisationen miteinander verglichen werden können. Sicher sind Unternehmen etwas völlig anderes als Sozialhilfeeinrichtungen, Sportvereine oder Kirchen usw. Unter zentralen Problembezugspunkten kann man aber sehen, dass alle Organisationen ganz ähnliche Probleme zu lösen haben: überall müssen Mitglieder irgendwie dazu motiviert werden, ihre Arbeitsleistung der Organisation zur Verfügung zu stellen (vgl. z.B. Berger 1995). Ein Problem, das offensichtlich Organisationen der freiwilligen „Bürgerarbeit“ (vgl. Beck 1999; Mutz 1999; kritisch: Klammer/Bäcker 1998) besonders schlecht zu lösen im Stande sind, was auf die große Bedeutung von Geldzahlungen als hoch generalisiertes Motivationsmittel hinweist. Aber auch die Motivgeneralisierung durch Entlohnung im Sinne einer „zone of indifference“ (Barnard 1971) stellt nur ein funktionales Äquivalent dar, das besonders stark im westlichen Regionen institutionalisiert ist. Für nicht-westliche Organisationen tritt für die direkte Entlohnung die Möglichkeit in Kraft, eigennützig Ressourcen der Organisation auszubeuten und direkte Bezahlung von externen Leistungsabnehmer 15 Und noch einmal sei an Max Weber erinnert, der das Ziel jeder soziologischen Bemühung: darin sieht:,„empirische Wirklichkeit in einer Weise denkend zu ordnen, welche den Anspruch auf Geltung als Erfahrungswahrheit erhebt“ (Weber 1988: 155). 37 Methodisches Vorgehen Konzeption der Organisation einzubeziehen (vgl. z.B. Kurkchiyan 2000; Birdsall 2000; Rottenburg 2002)16. Ebenso müssen alle Organisationen ab einer Größe oberhalb von „Face-to-Face-Organisation“ (Kühl 2002a) generalisierte Kommunikationswege hierarchischer oder fachlicher Art definieren (vgl. Luhmann 2000: 302). Und letztlich müssen Organisationen die Handlungen ihrer Mitglieder über formale Regeln der Richtigkeit koordinieren und entscheidbar machen, egal ob dies vorrangig über Zweck- (z.B. Gewinnziel) oder über Konditionalprogramme (z.B. Verfahrensanweisungen) geregelt ist (vgl. ebd.: 256). Mit solchen generellen Bezugsproblemen kann man Organisationen ganz verschiedenen Typs vergleichbar machen und ihre diesbezüglichen Strukturbildungen – Mitglieder, Kommunikationswege, Programme – als funktionale Äquivalente betrachten. Organisationen können so als eigenständige soziale Systeme relativ unabhängig von gesellschaftlichen Formationen, wie Kapitalismus oder Sozialismus, begriffen und analysiert werden. Auch im real existierenden Sozialismus sowjet- oder volksrepublikanischer Provenienz kamen und kommen Organisationen vor, die ganz ähnliche Probleme zu lösen haben, wie kapitalistische Unternehmen. Generelle Problemgesichtspunkte von Organisationen sind in dieser theoretischen Perspektive gerade nicht gesellschaftlich determiniert, sondern gehören zu den Eigenwerten der Organisation. Für Forschungszwecke ergibt sich daraus der Vorteil, dass man nicht nur verschiedene Organisationstypen, sondern aufgrund der gesellschaftlichen Unterdeterminiertheit auch Organisationen verschiedener Gesellschaften miteinander vergleichen kann (so z.B. Udy 1970). Darin verbirgt sich aber zugleich der große Nachteil der systemtheoretischen Organisationssoziologie. Es ist relativ unklar geblieben, wie gesellschaftliche Logiken auf das Geschehen in Organisationen zu 16 Wer derartige Praktiken als „Korruption“ nicht nur untersucht, sondern als moralisch zu ächtende Handlungsweise konzipiert (für viele z.B. Bannenberg/Schaupensteiner 2004), verbaut sich die Möglichkeit, die Funktionalität der Institution „Korruption“ zu verstehen. Dass der Forschungszugriff unter dem Titel „Korruption“ per se schon unter Moralaspekten erfolgt, zeigt Petra Hiller (Hiller 2005). Welche generellen Beschränkung und sogar Gefahren für die moderne Gesellschaft mit der moralisch geführten Kommunikation von Problemen verbunden sind, diskutiert Niklas Luhmann (Luhmann 1993). 38 Konzeption Methodisches Vorgehen beziehen sind (vgl. z.B. Ortmann et al. 2000; Gergs et al. 2000; Kneer 2001; Nassehi 2002; Drepper 2003; Faust et al. 2005)17. Dieses Manko hat der Organisationssoziologie seitens der in dieser Hinsicht besser aufgestellten Arbeitssoziologie immer wieder Kritik eingebracht. Angefangen von gesellschaftlicher Blindheit bis hin zum Ideologievorwurf reichen die Beschuldigungen, die gegen die relativ isolierte Beschreibung von Organisationen vorgebracht werden. Die beschriebenen methodischen Vorteile geben aber den Ausschlag, an einem funktionalistischen Erklärungsschema festzuhalten. Gesellschaftliche Einflüsse, die heute besonders in der Form von Institutionen diskutiert werden18, stehen sogar im Zentrum dieser Analyse von Coaching. Ihre Berücksichtigung bei der funktionalen Analyse von Coaching soll jedoch nicht zu einem methodischen Bruch führen, sondern orientiert sich an der Frage, in welcher Weise organisationale Problemlösungen gesellschaftlich „subventioniert“ sind (vgl. Luhmann 2000: 205) ohne dabei Probleme und Lösungen der Organisationen mit solchen der Gesellschaft zu verwechseln. 17 Dabei besteht die Forderung Adornos, dass ein „gesellschaftliches Phänomen wie die moderne Organisation“ nur durch eine „ausgeführte Theorie der Gesellschaft“ bestimmt werden könne, schon seit Jahrzehnten weitgehend unerfüllt in der Diskussion (Adorno 1997: 441). 18 Als Überblick zur einschlägigen Forschung vgl. Hasse/Krücken 1999. 39 Analyse Untersuchungsgegenstand II Analyse 4 Untersuchungsgegenstand 4.1 Zur empirischen Bedeutung von Coaching 4.1.1 Zur quantitativen Bedeutung in der Fachöffentlichkeit Wenn vom „Coachingboom“ die Rede ist, dann ist oft unklar, woran sich ein solcher Boom ablesen lässt. Berufsverbände verweisen gerne auf ihre steigenden Mitgliederzahlen (z.B. DBVC 2006; dvct 2006), Zertifizierungsstellen präsentieren stolz die stetig wachsende Anzahl von Prüflingen (z.B. FCG 2006) und praktisch jede Coachingstudie (z.B. iSL Sozialforschung/Evolution Management 2005; PEF 2005) und jede einschlägige Publikation (z.B. Looss 1997: 9; Böning/Fritschle 2005) behaupten, dass Coaching auf Grund der hervorragenden Ergebnisse (für die Beratenen!) auf dem Vormarsch sei oder noch weiter ausgebaut werden müsse. Der Markt gestaltet sich offenbar als außerordentlich unübersichtlich, was auch daran liegt, dass die meisten Anbieter von Coaching Selbständige oder Kleinunternehmer sind (vgl. Böning/Fritschle 2005: 128 f.). Diese Kleinanbieter sind aber für Zwecke der Datenerhebung relativ schlecht zu erfassen, weshalb das Abschätzen der Anbieterseite bisher ungenügend geblieben ist. Ein anderer Anhaltspunkt zur Beschreibung der Coachingwelle, der bislang kaum genutzt wurde (vgl. aber Böning/Fritschle 2005: 315), besteht in der Schätzung der Publikationsdichte der letzten Jahre anhand von Literaturdatenbanken. Diese Methode schätzt die Bedeutung von Coaching in der fachöffentlichen Diskussion ein. Diese Einschätzung basiert auf einer einfachen Annahme: dass die Publikationsdichte die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit für dieses Thema widerspiegelt. Damit ist auch schon angedeutet, dass nicht um die Bedeutung in Organisationen, sondern nur in einer Fachöffentlichkeit geht. Diese Fachöffentlichkeit spiegelt inhaltlich viel stärker Prozesse der Professionalisierung wider als die funktionale Bedeutung in Organisationen. Immerhin lässt sich aber der quantitative Boom in Publikationen mit der Einsatzhäufigkeit in Organisationen kontrastieren. 41 Untersuchungsgegenstand Analyse Die Schätzung hat mit einigen wichtigen methodischen Problemen zu kämpfen (vgl. Benders et al. 2005). Zum einen ist die Qualität und Auswahlsystematik von Literaturdatenbanken oftmals selbst den Betreibern nicht vollständig bekannt. Hinzu kommt, dass die Publikationen im untersuchten Zeitraum nicht gleichmäßig in elektronischen Formaten vorliegen, die Abbildung in den Datenbanken also durch den historischen Prozess der Digitalisierung verzerrt ist. Dieser Prozess verläuft ja zudem weder insgesamt linear noch für verschiedene Periodika und Datenbanken vergleichbar. Außerdem kommt es zu Neuerscheinungen und Einstellungen von Periodika, deren statistische Kontrolle den hier zu vertretenden Aufwand überschreitet und die deshalb nicht berücksichtigt werden können. Aus diesen Problemen resultiert eine deutliche Zurückhaltung, was die Datenqualität betrifft. Die Werte erreichen nicht die Qualität von intervallskalierten Daten. Die absoluten Publikationszahlen wären nur mit sehr großem Aufwand hinreichend valide zu erheben. Für die beabsichtigten Trendaussagen ist dies aber auch gar nicht nötig, weil man schon mit dem Vergleich der Zu- oder Abnahme der Publikationsdichte den Verlauf der Modewelle Coaching analysieren kann. Es reicht die begründete Annahme ordinalskalierter Daten, also von Werten, die nicht als absolute Größen, sondern nur als Rangordnung Vergleiche erlauben. Vergleiche sind dann in zwei Richtungen möglich: zunächst als Veränderung der Publikationsdichte innerhalb des Themas Coaching über den Zeitverlauf; und dann in Relation mit dem zeitlichen Verlauf von Publikationsdichten mit vergleichbaren oder zusammenhängen Themen. Ein wesentlicher Vorteil dieser quantitativen Methode liegt in ihrer Nähe zu lebenspraktischen Erfahrungen von Wissenschaftlern und Praktikern. Beim relativ neuen und noch wenig erforschten Gebiet der personenbezogenen Beratung von Organisationspersonal bietet es sich als Einstieg an, einige einfache Zahlenwerte zu erheben, um sich ein Bild von der empirischen Bedeutung zu machen. Leicht nachvollziehbare Indizes ohne großen theoretischen Ballast durch Erfordernisse der induktiven Statistik eignen sich hier gut für die Erschließung unbekannten Terrains. So nehmen gerade Gatekeeper das Thema Coaching als Modewelle bzw. als Boom war. Diese Wahrnehmung dürfte nicht unwesentlich auf der Thematisierung in der Fachliteratur begründet sein, weshalb es sich auch für Praktiker lohnt, ihre Eindrücke an systematisch erhobenen Daten zu überprüfen. 42 Analyse Untersuchungsgegenstand Aufgrund der Definitionsvielfalt des Begriffes Coaching besteht ein weiteres Problem in der Identifikation relevanter Datenbankeinträge. Für diese Arbeit interessiert Coaching nur insofern, als es in Organisationen zur Personalberatung eingesetzt wird. Nicht erfasst werden sollen insbesondere Coaching im Sport und Coaching außerhalb von Organisationen. Selbst in diesem begrenzten Feld hat man es allerdings mit verschiedenen Begriffsbildungen zu tun. Als schon relativ lange und gut eingeführt bieten sich die Begriffe „Führungskräftecoaching“ im Deutschen und „executive coaching“ (vgl. schon sehr früh: BusinessWeek 1957) im Englischen an. Als Vergleichsindizes bieten sich einerseits die übergeordneten Themen Personalentwicklung und Führung bzw. Führungskräfteentwicklung an. Andererseits stellen Mentoring und Supervision vergleichbare Konzepte dar, die ebenfalls als personenzentrierte Beratung von Organisationspersonal definierbar sind. Während Mentoring von Kollegen im Rahmen ihrer normalen Mitgliedschaftsrolle durchgeführt wird, hat sich für Supervision wie bei Coaching eine spezielle Berufsrolle ausdifferenziert. Der wesentliche Unterschied besteht für Supervision in ihrer Entstehung in der Sozialarbeit (vgl. Belardi 1992a; 1992b; Schreyögg 2003; Kühl 2005a). Mentoring hingegen beinhaltet keine ausdifferenzierte Berufsrolle wie im Coaching oder in der Supervision, sondern wird von dienstälterem Personal im Rahmen ihrer Mitgliedschaftsrolle ausgeübt (vgl. Blickle 2000). Die Veröffentlichungen der Fachpresse stammen fast ausschließlich aus den Disziplinen Psychologie, Pädagogik und Betriebswirtschaftlehre. Für die Analyse der Publikationsdichte wurden deshalb Literaturdatenbanker dieser Disziplinen gewählt. Aufgrund der quantitativ beherrschenden Rolle, die angelsächsische Literatur spielt, wurden zum Vergleich mit vorwiegend deutschsprachigen die einschlägigen englischsprachigen Datenbanken ausgewertet. Im Einzelnen handelt es sich für die deutschsprachigen Publikationen um die Datenbanken „BLISS Betriebswirtschaftliche Literatur“, „FIS Bildung Literaturdatenbank“, „PSYNDEXplus“ und die „Deutsche Nationalbibliothek“. Als englischsprachige Pendants wurden „BSC – Business Source Complete“, „ERIC – Educational Resources Information Center“ und „PsycINFO“ sowie als fächerübergreifende Datenbank „ISI- Web of Science“ untersucht. 43 Untersuchungsgegenstand Analyse Die Daten umfassen einen Zeitraum von 27 Jahren von 1980 bis 2006. Zur Kontrolle der Trendlinie aus bibliographischen Datenbanken wurden die recht umfassende deutsche Literatursammlung von Rauen (2007) vergleichend miteinbezogen. Die letztgenannte Bibliographie von Rauen ist mit 564 Einträgen die umfangreichste Sammlung von Veröffentlichungen und dürfte den Anspruch, alle für Coaching relevanten Publikationen zu erfassen, noch am ehesten erfüllen. Allerdings ist auch hier die Auswahlsystematik nicht bekannt, weshalb Datenqualität und systematische Verzerrung nicht eingeschätzt werden können. Die Indizes müssen als reine Trendkurven verstanden werden. Ihre Darstellung erfolgt deshalb nicht in absoluten Zahlen, sondern es werden die Publikationen des jeweiligen Kalenderjahres ins prozentuale Verhältnis zur Publikationsmenge des gesamten Zeitraums gesetzt19. Eine Gewichtung einzelner Datenbanken erfolgt nicht. 19 Die prozentuale Zunahme der Publikationsdichte entspricht zudem viel besser der Wahrnehmung einer Mode durch Praktiker, die in aller Regel nicht alle Publikationen überblicken, sondern nur die verhältnismäßige Veränderung. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man nicht die Suchsystematik bei der Datenbankabfrage nach allen denkbaren Möglichkeiten variieren muss, um dem Anspruch einer Vollerhebung gerecht zu werden (vgl. zu den entsprechenden Schwierigkeiten Benders et al. 2005: 358 ff.). Stattdessen wird hier angenommen, dass mit einer konstant gehaltenen Suchabfrage die Veränderungen der Publikationsdichte in einer Datenbank ausreichend gut erhoben werden kann. So findet eine Abfrage nach „executive coaching“ in den „abstracts“ einer Datenbank nicht alle für Coaching relevanten Artikel, kann aber doch – so die Annahme – die Zu- und Abnahme der Publikationsdichte schätzen. 44 Analyse Untersuchungsgegenstand Abbildung 1: Printmedienindex „Coach“ für Coaching gewonnen aus acht Datenbanken im Vergleich mit einem Index „Rauen“ gewonnen aus der Bibliographie von Christopher Rauen (Rauen 2007). 18,0% 16,0% 14,0% 12,0% 10,0% 8,0% Coach 6,0% Rauen 4,0% 2,0% 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0,0% Lesehilfe: Im Jahr 1996 wurden in den 8 untersuchten Datenbanken durchschnittlich rund 2% der Publikationen des gesamten Zeitraums veröffentlicht. Gemessen an den Publikationen erlebt Coaching einen Boom, der erst gegen Ende der 90er Jahre und Anfang des neuen Jahrhunderts in die Gänge kommt. Der deutliche Rückgang 2006 könnte andeuten, dass der Publikationshöhepunkt bereits 2005 erreicht war. Diese Vermutung wird aber konterkariert von der Trendkurve „Rauen“. Unterstellt man der Bibliographie von Christopher Rauen höhere Datenqualität als dem Index aus den Literaturdatenbanken, dann scheint das Ende des Publikationsboom noch nicht in Sicht. Erklärungsbedürftig ist zudem die erste Publikationswelle zu Beginn der Neunziger Jahre. Man könnte einerseits vermuten, dass schlicht die Qualität der abgefragten Literaturdatenbanken für den Index „Coach“ mangelhaft ist, weshalb der Boom Anfang der Neunziger nicht erfasst wurde. Eine andere Erklärung könnte lauten, dass die erste Veröffentlichungswelle, wie sie bei Rauen abgebildet ist, noch nicht die breitere Fachöffentlichkeit erreicht, wie sie in den Datenbanken abgebildet ist. Zu Beginn handelte es sich womöglich um einen Spezialdiskurs, der noch kaum die Grenzen einiger weniger 45 Untersuchungsgegenstand Analyse Interessierter überschreitet. Erst ein knappes Jahrzehnt später beginnt eine größere Fachöffentlichkeit sich für das Thema zu interessieren20. Empirische Studien zum Weiterbildungs- und Coachingmarkt bestätigen den Eindruck aus der Printmedienanalyse (z.B. Muskatewitz/Schulze 2002), dass Coaching als Modewelle erst so richtig seit Beginn des neuen Jahrzehnts einsetzt. Abbildung 2: Coaching im Vergleich mit den übergeordneten Themen Personalentwicklung „HRD“ und Führung/Führungskräfteentwicklung „Lead“. 18,0% 16,0% 14,0% 12,0% 10,0% Coach 8,0% Lead 6,0% HRD 4,0% 2,0% 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0,0% Richtig einschätzbar wird Coachingboom im Vergleich mit den übergeordneten Themen Personalentwicklung (Index „HRD“) und Führung/Führungskräfteentwicklung(Index „Lead“). Beide Themen entwickeln sich relativ gleichläufig. Sie sind schon zu Beginn des Untersuchungszeitraums ein Publikationsthema, erleben dann in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre ihr stärkstes Wachstum und 20 Eine systematische inhaltlich-qualitative Überprüfung könnte zudem die Vermutung bestätigen, dass zu Beginn der Neunziger Jahre wesentliche Standardwerke veröffentlicht wurden, während die zweite Publikationswelle stärker von professionspolitischen Beiträgen und opportunistischen Mitnahmeeffekten geprägt ist. 46 Analyse Untersuchungsgegenstand wachsen danach wieder moderat. Coaching hingegen ist in den Achtziger Jahren praktisch noch kein Thema, erlebt in der ersten Hälfte der Neunziger Jahre einen ersten noch verhaltenen Aufschwung, bevor es ab der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre rasant zunimmt. Abbildung 3: Die Integrale der Indizes für Coaching „Coach“, für Führung/ Führungskräfteentwicklung „Lead“ und für Personalentwicklung „HRD“ 100,0% 90,0% 80,0% 70,0% 60,0% Coach 50,0% Lead 40,0% HRD 30,0% 20,0% 10,0% 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0,0% Gut zu erkennen sind die Entwicklungen auch an den Graphen der Summenfunktionen (Integrale): Nach den ersten 17 Jahren bis 1996 sind erst 9% der erfassten Coachingliteratur veröffentlicht, die restlichen 91% erscheinen in den letzten 10 Jahren. Die Entwicklung verläuft bei den übergeordneten Vergleichsthemen weit gleichmäßiger. 47 Untersuchungsgegenstand Analyse Abbildung 4: Coaching in der Fachöffentlichkeit und in der deutschen Presse „GERPr“ 18,0% 16,0% 14,0% 12,0% 10,0% Coach 8,0% GERPr 6,0% 4,0% 2,0% 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0,0% Der Publikationstrend in massenmedialen deutschen Tages- und Wochenzeitschriften verläuft, abgesehen von stärkeren Schwankungen ganz ähnlich, wie in der Fachpresse. Die Thematisierung in den öffentlichen Massenmedien setzt nur etwa fünf Jahre später ein und erreicht schnell das Wachstumsniveau der Fachpresse. 48 Analyse Untersuchungsgegenstand Abbildung 5: Vergleich der Indizes zu Coaching „Coach“ mit den vergleichbaren Konzepten Supervision „Superv“ und Mentoring „Mentor“ 18,0% 16,0% 14,0% 12,0% Coach 10,0% Superv 8,0% Mentor 6,0% 4,0% 2,0% 19 80 19 82 19 84 19 86 19 88 19 90 19 92 19 94 19 96 19 98 20 00 20 02 20 04 20 06 0,0% Der Vergleich mit weiteren Methoden der personenzentrierten Beratung in Organisationen ist insbesondere für professionsstrategische Fragen interessant. Dies steht hier nicht im Fokus, aber im Rahmen der funktionalen Analyse von Coaching kommen zumindest die Konzepte Supervision (Index „Superv“) und Mentoring (Index „Mentor“) als funktionale Äquivalente für Coaching in Betracht. Auch in diesem Vergleich zeigt Coaching das stärkste Wachstum. Nur verhalten steigt die Trendkurve bei der Supervision an. Schon stärker ist der Anstieg bei Mentoring. Eindeutig am spätesten und am stärksten ist der Publikationsboom bei Coaching ausgeprägt. Sowohl im Vergleich mit den konkurrierenden Konzepten Supervision und Mentoring als auch in Relation mit den übergeordneten Themen Personalentwicklung und Führung/Führungskräfteentwicklung trägt die Trendkurve für Coaching die deutlichste Boomcharakteristik. Dieser Eindruck wird auch von Christopher Rauens vergleichsweise umfassenden Literaturverzeichnis gestützt. Die exponentielle Zunahme der Publikationsdichte bildet sich sowohl in der Fach- als auch in der massenmedialen Presse ab. Die derzeit verfügbaren Daten prognostizieren noch kein Ende des Publikationsbooms. Die bisherige Trendkurve nimmt ungefähr den 49 Untersuchungsgegenstand Analyse typisch glockenförmigen Verlauf einer Managementmode (vgl. Benders et al. 2005). Wenn man davon ausgeht, dass die Wahrnehmung einer Managementmode wesentlich vom plötzlichen Anwachsen der Zahl entsprechender Beiträge geprägt ist, dann kommt diese Printmedienanalyse zu einem eindeutigen Ergebnis: Coaching ist eine Modeerscheinung und ein Ende des Booms ist noch nicht abzusehen. 4.1.2 Zur quantitativen Bedeutung in Organisationen Der Aussagekraft von Printmedienindizes liegt im Bereich öffentlicher und fachöffentlicher Aufmerksamkeit. Dass sich daraus nicht auf die Bedeutung innerhalb von Organisationen schließen lässt, zeigte sich in den Interviews. Dort nimmt man die Modeförmigkeit der Coachingwelle sehr deutlich war. Dies löst eine Abwehrreaktion aus, um die Mode außerhalb der Organisationen nicht zu einer Mode innerhalb der Organisation werden zu lassen. Dass jetzt in der (Fach-) Öffentlichkeit „alle“ darüber reden, bedeutet nicht, dass man deshalb auch innerhalb der jeweiligen Organisation die Aufmerksamkeit auf Coaching konzentriert. Stattdessen soll Coaching „ein knappes Gut bleiben“, wie ein Gatekeeper formuliert. Relativ geringe Fallzahlen in vielen untersuchten Organisationen unterstützen diesen Befund. Auf die explizite Frage, ob Coaching nur eine Mode sei, versuchen die Antworten zu differenzieren zwischen einem „Buzzword“ Coaching, das sich in der Fachdiskussion durchsetzt, und einem tatsächlichen Bedarf innerhalb der Organisation. Man ist sich sehr wohl bewusst, dass Coaching boomt, und reagiert deshalb innerbetrieblich mit einer „Abwehrhaltung“. Gatekeeper sehen demnach eine Funktion ihrer Stellen darin, die Organisation vor dieser Beratungsmode zu schützen. Insgesamt scheinen die Fallzahlen auch in großen Organisationen noch relativ gering. Die höchste Fallzahl erreicht ein großes Verkehrsunternehmen mit 60 laufenden Coachingprozessen bei rund 35.000 Mitarbeitern. Der zurückhaltende Einsatz von Coaching innerhalb der Organisationen liegt vor allem an den Begrenzungen auf bestimmte Zielgruppen und auf bestimmte organisatorische Problemlagen, die für einen Einsatz von Coaching vorgesehen sind. In keiner Organisation wurde angegeben, dass gewünschte Coachings mangels qualifizierter Coaches nicht durchgeführt werden könnten. Auf Angebotsseite wird kein Engpass, sondern ein Überangebot wahrgenommen. 50 Analyse Untersuchungsgegenstand Organisationen sehen Coaching offensichtlich als eine Technik der Personalentwicklung bzw. des Personalmanagements an. Eine Technik, die sich der Wahrnehmung nach wie eine Modewelle verbreitet, was zunächst gegen den (inflationären) Einsatz spricht. Andererseits prüft man, wozu diese Technik einsetzbar ist. Wie jede Technik, verspricht auch Coaching bestimmte Probleme relativ automatisiert einer Lösung zuzuführen (vgl. Luhmann 2000: 370). In diesem Sinne ist Coaching ein auf Organisationen zugeschnittener Ausschnitt aus dem Angebot der „Psychologie als Techné“ (Rose 1998), die Organisationen einen reproduzierbaren Weg bietet, mit der an sich nicht zu überblickenden Komplexität menschlicher Psychen zurecht zu kommen. Alle Organisationen legen großen Wert auf die Auswahl der Coaches. Einerseits soll dadurch verhindert werden, dass Sektenangehörige ihre Ideologien verbreiten. Andererseits ist man sehr skeptisch gegenüber der Qualifikation der Coaches und fast immer wird das Fehlen verlässlicher Qualitätsstandards bemängelt21. Um diese Probleme zu kontrollieren, werden die Coaches in Vorstellungsgesprächen durch die Gatekeeper persönlich ausgewählt. Assessmentcenter scheinen noch die Ausnahme in der Auswahl der Coaches zu sein. Werden die Bewerber akzeptiert, erhalten sie nicht unbedingt sofort einen Auftrag, sondern ihre Kontaktdaten werden in einem „Pool“ aufgenommen und bei Bedarf abgerufen. Diese Pools umfassen im Durchschnitt der untersuchten Organisationen 3,5 Coaches pro 1000 Mitarbeiter in der Organisation. Sowohl gemessen an der Anzahl von Coaches in den Pools als auch an tatsächlich laufenden Coachingprozessen scheint die quantitative 21 Auch dies ist ein Hinweis auf das technische Verständnis der Organisation von Coaching: man will nicht unbedingt im Detail verstehen, wie oder warum es funktioniert, sondern wünscht sich nur generelle Anhaltspunkte, dass es funktioniert (vgl. Luhmann 2000: 372). Und diese Anhaltspunkte scheint man vor allem aus der Modeförmigkeit von Coaching zu ziehen etwa nach dem Motto: „Wenn das jetzt alle einsetzen, dann scheint es auch zu funktionieren.“ In diesem technischen Verständnis unterscheidet sich die Organisation im Übrigen auch deutlich vom Verständnis der Coaches, die gerne die Ergebnisoffenheit und Prozesshaftigkeit von Coaching im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung betonen. Dazu ein Gatekeeper: „… das Coaching war in Ordnung, das war also eingetütet, sie haben angefangen“. Während das Coaching für den Coach erst „angefangen“ hat, ist es für die Organisation schon „eingetütet“. 51 Untersuchungsgegenstand Analyse Bedeutung gering. Dies gilt auch für die anfallenden Kosten. Nicht in allen Fällen konnte der Kostenanteil für Coaching am Gesamtvolumen der Personalentwicklung oder Führungskräfteentwicklung benannt werden. Die Aussagen zum Anteil vermuten aber, dass nicht mehr als 5% dafür eingesetzt werden und zum Teil noch deutlich weniger. So hofft ein Gatekeeper einer öffentlichen Verwaltung mit 40.000 Beschäftigten und 2.500 Führungskräften, im ersten Jahr nach der Einführung von Coaching zumindest 1% der Führungskräfte gecoacht zu haben: „Das sind 25, die wollen wir auch haben. Das sieht nicht schlecht aus, aber die 25 müssen irgendwie auch alle die Bereitschaft zeigen, da mitzumachen.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) Die Coachingwelle in Printmedien entspricht nicht der Realität in Organisationen. Dort ist man darauf bedacht, Coaching nur in relativ bestimmten und seltenen Fällen einzusetzen. Fürsprecher des Coachingbooms stützen sich dagegen vor allem auf Wachstumszahlen. Sofern sie sich überhaupt auf die Frage nach dem Stellenwert von Coaching in Organisationen einlassen, akzeptieren sie nur widerstrebend die geringe Bedeutung in Organisationen, die sich trotz methodischer Relativierungen nicht wegdiskutieren lässt (vgl. Böning/Fritschle 2005: 110 f.). 52 Analyse 4.2 Untersuchungsgegenstand Coaching in Organisationen Coaching in Organisationen ist soziologisch dann wahrnehmbar, wenn sich diesbezüglich Organisationsstrukturen benennen lassen. Die Analyse folgt den Strukturmerkmalen bzw. „Entscheidungsprämissen“ von Organisation, wie sie von Niklas Luhmann (2000) formuliert wurden. Demnach sind drei solcher Organisationsstrukturen feststellbar: „Programme“, „Kompetenzen“ und „Personal“. Bei diesen Strukturen handelt es sich um empirische Kategorien, das heißt dass sich Entscheidungen der Organisationen tatsächlich an diesen Unterscheidungen orientieren. Die Fragen, welche Kompetenzen, welche Regeln und welches Personal eingesetzt werden, sind daher nicht nur für die Analyse eines Sozialwissenschaftlers interessant. Entscheidungen darüber, ob Coaching eingesetzt wird, wer es erhält, wie lange es dauert, welche Probleme dort gelöst werden usw., werden von der Organisation durch diese Entscheidungsprämissen strukturiert. Solche Entscheidungsprämissen können von der Organisation selbst beschlossen, verändert und wieder verworfen werden. Damit sind sie Eigenwerte der Organisation. Sie gelten für mehr als eine nachfolgende Entscheidung als Orientierung und Richtlinie. Entscheidungen, die von den vorgegebenen Prämissen abweichen, müssen sich rechtfertigen. Es ergeben sich deutliche Unterschiede in der Frage, seit wann Coaching formal eingesetzt wird. Unternehmen haben damit schon länger Erfahrung als Non-Profit-Organisationen. Nimmt man Unternehmensgröße gemessen an Mitgliederzahlen hinzu, zeigt sich das zu erwartende Bild, dass große Unternehmen schon länger Coaching einsetzten als kleine und mittlere, weil spezielle Abteilungen für Personal- und Führungskräfteentwicklung erst ab einer bestimmten Betriebsgröße üblich werden. Die spezialisierte und institutionalisierte Beachtung des Personals und ihrer persönlichen Zustände zählt derzeit nicht zu den primären Problemstellungen von Organisationen. Auch wenn man Personalfragen heute ernster nimmt als früher, ist diese Aussage sowohl durch den Einfluss der Unternehmensgröße als auch historisch durch die relativ späte Institutionalisierung von Personal- und mehr noch Personalentwicklungsabteilungen gedeckt. Kleine Unternehmen und Organisationen verfügen nur selten über eigene Personalabteilungen und Personalmanagement stand „lange Zeit im Schatten der anderen Formen von Entscheidungsprämissen“ (Luhmann 2000: 279). Der Einfluss der 53 Untersuchungsgegenstand Analyse Größe bedeutet nicht, dass Personalmanagement und -entwicklung in kleinen Unternehmen keine Rolle spielten, sondern nur, dass ganze Stellen oder Abteilungen erst ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl lohnenswert erscheinen. In kleineren Unternehmen ist dagegen die Beachtung dieser Orientierungen in Rollen von Führungskräften oder der Organisationsspitze integriert. 4.2.1 Programme im Coaching Programme geben Regeln für sachliche Richtigkeit an. Wer nach Programmen entscheidet, kann mit Akzeptanz rechnen. Sie lassen sich in zwei Arten unterscheiden. Bei Konditionalprogrammen werden Bedingungen festgelegt, die zu einer Entscheidung führen. Sie sind an Inputs orientiert, der für die Vergangenheit festgestellt wird. Sie nehmen die Form von Wenn-dann-Regeln an. Beispielsweise lautet ein Konditionalprogramm: „Wenn im Team ein Konflikt festgestellt wird, dann kommt Coaching der Führungskraft in Betracht.“ Bei diesem Programmtyp trifft man Festlegungen für die Vergangenheit. Die entscheidende Frage ist, ob ein Konflikt wahrgenommen wird. Nur wenn das Auftreten der definierten Bedingung „Konflikt“ bestätigt wird, kann das Programm zur Anwendung kommen und die bestimmte Maßnahme „Coaching“ einleiten. Bei Zweckprogrammen hingegen werden Festlegungen in der Zukunft getroffen. Es handelt sich um künftige Ziele oder Zwecke, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft erreicht werden sollen. Sie bringen damit die Frage nach den geeigneten Mitteln zur Zielerreichung ins Spiel, treffen aber genau dafür keine Festlegungen. Die Orientierung erfolgt nur nach dem anvisierten Ziel. Mittelbegrenzungen müssen bei Zweckprogrammen zusätzlich in Form von Konditionalprogrammen angefügt werden. (Luhmann 2000: 256 ff.). Die typische Gefahr bei Zweckprogrammen liegt in der Kostenexplosion, weil man nicht zugleich Zweck/Ziel und die dafür nötigen Mittel definieren kann. Generell gilt für Programme, dass sie nicht alle folgenden Entscheidungen determinieren oder vorweg nehmen, sondern nur Orientierungsregeln formulieren. Im konkreten Einzelfall ist aber immer noch die Entscheidung vorgesehen und notwendig, ob im Sinne der Regel oder gegen die Regel entschieden wird. Die abweichende Entscheidung trägt allerdings die Rechtfertigungslast. Jedenfalls kann 54 Analyse Untersuchungsgegenstand man nicht mehr so entscheiden, als ob es kein Entscheidungsprogramm gäbe. Konditionalprogramme Die Bedingungen, unter denen Coaching in Betracht gezogen wird, sind mehr oder weniger bekannt. Es handelt sich um Probleme, die im „Verhaltensbereich“ liegen oder „Kommunikationsthemen“ betreffen. Die Bestimmung, was damit gemeint ist, bleibt aber häufig unklar und erfolgt eher negativ durch den Ausschluss von fachlichen Qualifikationsmängeln. Deutlicher wird die Indikation für Coaching durch die Wahrnehmung von Konflikten im Team. Aber auch Konflikte müssen erst als behandlungsbedürftig bestimmt werden, wofür wiederum keine allgemeinen Regeln vorliegen. Entscheidend war in allen untersuchten Organisationen das „Auftragsklärungsgespräch“ mit der Personalentwicklung, das heißt dass niemand auf Coaching bestehen kann, weil bestimmte Probleme vorliegen. Sofern Konditionen bestimmt werden, richten sie sich auf Rahmendaten. Coaching wird grundsätzlich nur bei Führungskräften durchgeführt, aber auch nicht immer und bei allen22. Es muss erkennbar sein, dass ein organisational relevantes Problem vorliegt, dass einem Mitglied zugerechnet werden kann. Die wichtigsten Indikatoren hierfür sind Konflikte im Team, persönliche Probleme in der beruflichen Rolle und in einigen Fällen die Überforderung von Manager durch starke Veränderungen in der Organisationsstruktur. Genannt werden auch Vorbereitung auf und Begleitung in neue (Vorgesetzen-)Stellen sowie die Vorbereitung auf Assessmentcenter in der Führungskräfteentwicklung. Sofern überhaupt Regeln zu Häufigkeit der Sitzungen, Stundensätze der Coaches und Dauer der einzelnen Coachings sowie der gesamten Maßnahme generalisiert sind, werden sie ebenfalls in Konditionalprogrammen festgelegt. Zweckformulierungen, wie „das Coaching muss möglichst billig sein“ oder „dieses Problem muss in 4 Sitzungen gelöst sein“, wurden nicht genannt. Mehr als 15 Treffen von Coach und Coachee sind selten, 5 bis 10 die üblichste Anzahl. Die Stundensätze der Coaches wurden nicht systematisch erhoben. Die einzelnen Coachings dauern meist 22 Insbesondere werden keine coaching-immanenten, sondern eher organisationale Gründe (v. a. Ressourcenknappheit) für die Beschränkung auf Führungskräfte angeführt. Prinzipiell spricht nichts gegen Coaching für Jedermann. 55 Untersuchungsgegenstand Analyse zwischen 90 und 180 Minuten und die gesamte Maßnahme schwankt zwischen wenigen Monaten und bis zu zwei Jahren. Diese Werte sind aber wenig aussagekräftig, weil es sich nur um Richt- und Erfahrungswerte handelt und sich die Personalentwicklung vorbehält, im Einzelfall davon abzuweichen. Zweckprogramme Coaching ist für Organisationen ein Mittel, nicht Zweck. Dementsprechend erzeugen Zweckformulierungen Argwohn, etwa wenn man möglichst viele der Führungskräfte im nächsten Jahr coachen will. Man geht davon aus, dass Coaching nur dann aktiviert werden sollte, wenn ein echter Bedarf auf Seiten der Führungskraft vorhanden ist. Dieser Bedarf sollte sich nicht nach Zweckprogrammen der Coaches richten. Coaching ist dementsprechend immer nur das Mittel, um diesem Bedarf bzw. diesen persönlichen Problemen von Mitarbeitern abzuhelfen. Typischerweise unterstellen jene Kritiker, die in der Coachingwelle nur eine Mode sehen, Zweckprogramme auf Seiten der Anbieter. Man deklariere Coaching nicht deshalb als notwendig, um einen echten Bedarf zu decken, sondern nur um das Einkommen von unterbeschäftigten Therapeuten zu sichern (Sievers 1991: 272). Immerhin, so das schwerwiegendste Argument, werde der angebliche Bedarf erst seit kurzem wahrgenommen und dies vor allem von den Anbietern. „Aktive Akquise“ seitens der Coaches wird deshalb nicht akzeptiert und stattdessen versucht man, die Modewelle aus der Organisation fernzuhalten: „Und wenn das Mode wird, dann müssen wir gegensteuern. Wegen einer Mode machen wir das nicht bei (der Organisation, A.T.).“ (Bauer, Unternehmen 4) So wenig Zweckformulierungen den Einsatz von Coaching legitimieren können, so sehr steht Coaching im Ruf, zweck- bzw. zielorientiert zu verlaufen. So gilt es als ausgemacht, dass zu Beginn von Coaching thematische Ziele vereinbart werden. In diese Zielvereinbarungen werden bisweilen auch die Vorgesetzten der Coachees mit einbezogen. Jedenfalls sollen aber die Ziele mit dem Coachee entwickelt und mit Coach und Personalentwicklung abgesprochen werden. Man wird nicht müde zu betonen, das Coaching zielorientiert durchgeführt werde, auch wenn die Ziele nicht 56 Analyse Untersuchungsgegenstand generell festgelegt sind, sondern immer im Einzelfall aus dem diagnostizierten Entwicklungsbedarf des Coachees resultieren: „Und in dem ersten Gespräch mit dem Coach und während des ersten Auftragsklärungsgesprächs wird das Ziel präzisiert, es werden Indikatoren für die Zielerreichung genannt, die nicht nur in der Person des Coachees liegen dürfen, sondern externe Indikatoren sind und vor allen Dingen die Führungskraft mit einbeziehen. Nach dem Motto, das ist eine Investition, die setzen wir strategisch, die Führungskraft ist verpflichtet, alle Investitionen bezüglich der Zielerreichung nach zu halten.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Entsprechend formuliert ein Gatekeeper eines Arbeitnehmerverbands: „Es muss Ziele geben, die angesteuert werden, wenn auch die Ergebnisse offen sind. Im Sinne von dieser Definition habe ich bei den Leuten, bei den schreibenden Coaches, auch entsprechende Definitionen gefunden.“ (Krüger, Arbeitnehmervertretung) Insgesamt werden von den Gatekeepern nur wenige Programme benannt. Weder sind Konditionalprogramme, wie zum Beispiel: „Wenn ein Konflikt vorliegt, wird Coaching eingeleitet“, noch Zweckprogramme, etwa dass im Jahr mindestens 10% der Führungskräfte gecoacht werden sollten, in der Entscheidung für ein Coaching ausschlaggebend. Beide Programmbeispiele spielen zwar eine Rolle, so dass Vorstellungen darüber bestehen, welche Bedingungen ein Coaching ermöglichen oder welches Ziel ein Coaching verfolgen soll. In ihrer Bedeutung fallen Programme aber weit hinter die jeweils aktivierten Kommunikationsstrukturen zurück. 4.2.2 Kompetenzen im Coaching Mit dem Strukturmerkmal Kompetenzen beschreibt Niklas Luhmann, welche Kommunikationswege generalisiert aktiviert werden. Den zuständigen Stelleninhabern, die in eine Entscheidung einbezogen werden müssen, wird ein bestimmtes „Können“ abverlangt. Sie erhalten im Gegenzug bestimmte „Entscheidungskompetenzen“ zugewiesen. Werden generelle Entscheidungskompetenzen erteilt, bleibt es nicht länger den beteiligten Personen selbst überlassen, ob und welche Kommunikationswege benutzt werden, um eine Entscheidung herbeizuführen, sondern die entsprechenden Stellen 57 Untersuchungsgegenstand Analyse sind generell einzubeziehen (Luhmann 2000: 302). Abweichungen davon müssen sich wiederum rechtfertigen. Auch hier kann man wieder zwei Arten der Entscheidungsprämisse unterscheiden. Es werden fachliche und hierarchische Kompetenzen zugeteilt. Mit den fachlichen Kompetenzen werden Fähigkeiten in die Organisation kopiert, die gesellschaftlich durch Berufsausbildungen erworben wurden. Es handelt sich eher um Spezialisten, deren Können nicht auf Entscheidungen der Organisation basiert. Hierarchische Kompetenzzuteilungen beruhen dagegen auf internen Entscheidungen. Personalentwicklung war in den interviewten Organisationen als Stabstelle konzipiert. Das bedeutet, dass die Personalentwicklung mit fachlichen Kompetenzen ausgestattet ist, aber nur selten über hierarchische Kompetenzen verfügt. Der Vorteil der fachlichen Kompetenz liegt in ihrer Fähigkeit zur Spezialisierung, der Nachteil in der Gefahr einer verengten Sichtweise (ebd.: 312 ff.). Dass über den Einsatz von Coaching nicht hierarchisch, sondern fachlich entschieden wird, stellt ein ganz wesentliches Merkmal dar. Freiwilligkeit und Vertraulichkeit gelten als die wichtigsten Kommunikationsregeln im Coaching. Beide Voraussetzungen sträuben sich aber gegen eine hierarchische Indienstnahme. Zu Beratung generell gehört das „Grundprinzip der Freiwilligkeit“ (vgl. Schützeichel 2004a: 277) und Vertraulichkeit wird deshalb so hoch geschätzt, weil Coaching persönliche Probleme bearbeitet. Man kann diese beiden Eigenschaften in garantierte formale Folgenlosigkeit übersetzen. Niemand muss mit formalen Konsequenzen aus dem im Coaching mitgeteilten Inhalten rechnen. Ist diese Garantie nicht glaubhaft, können auch die persönlichen Probleme der Führungskraft nicht offen angesprochen werden. Dass Coaching angeboten wird, publiziert die Personalentwicklung in aller Regel durch Fortbildungsbroschüren. Sofern Coaching noch nicht systematisch angeboten wird, verbreitet sich die Kenntnis über die Möglichkeit durch Mundpropaganda oder am Rande von anderen Fortbildungen, wie Training, Seminar usw. Eine Anfrage kann aber auch vom Coachee selbst oder vom Vorgesetzten bei der Personalentwicklung eintreffen. Vorschläge von Coaches gelten dagegen als kontraindiziert und werden als „aktive Akquisition“ gescholten. Man vermutet, dass Coaches sich nur an ihren Einkommensinteressen orientieren, wenn sie Personen ein Coaching vorschlagen: 58 Analyse Untersuchungsgegenstand „Was sonst sehr gestört hat, dass sie durch das Haus gegangen ist, sie kannte viele und viel Akquise betrieben hat und mit Leuten zum Teil angefangen hat zu arbeiten (…). Die hat aktiv Akquise im Hause gemacht und dann stundenlang mit Führungskräften reden, das halten wir nicht für zielorientiert und dann alles in Rechnung stellen (…) nein, da wollen wir nicht mit.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Auch Vorschläge von Vorgesetzten lösen bei der Personalentwicklung regelmäßig Misstrauen aus, ob es sich um einen tatsächlichen Coachingbedarf, um ein „Bonbon“ oder etwa um eine „Strafmaßnahme“ des Vorgesetzten handelt: „so wie Coaching manchmal ein Bonbon ist, (…) wird es hier als Strafmaßnahme genutzt. Du bist nicht so, wie ich mich dich wünsche, also lasse ich mir dich umerziehen. Auch diesen Ansatz hatte ich ein paar Mal erlebt. (…) der denkt sich, der ist nicht so, wie ich will, der soll mal parieren.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Generell wird unterstellt, dass in „Auftragsklärungsgesprächen“ zunächst fachlich zu erhellen ist, ob Coaching die indizierte Maßnahme darstellt. Man erwartet weder von Coachees noch von Vorgesetzten oder von Mitarbeitern der Coachees, dass sie Coachingbedarfe richtig abschätzen können. Melden Coachees oder Vorgesetzte solche Bedarfe an, wird deshalb immer nachgefragt, was der Anlass oder der Bedarf genau sei. In diesen Fällen liegt die Entscheidungskompetenz klar bei der Personalentwicklung. Allerdings liegt die Budgetverantwortung in den meisten Organisationen zumindest teilweise in hierarchischer Kompetenz. So kommt es immer wieder vor, dass Vorgesetzte kraft Budgetverantwortung nachrangigen Führungskräften Coaching ermöglichen, ohne dass die Personalentwicklung darüber informiert wird. Der Gegenfall, dass die Kostenübernahme für Coaching trotz fachlicher Bestätigung durch die Personalentwicklung nicht genehmigt wird, wurde nicht berichtet. Die hierarchische Kompetenz wird zur Ermöglichung, aber nicht zur Verhinderung genutzt. Gleiches gilt für die Organisationsspitzen, die sich ihre Coachings nur in Ausnahmefällen von der Personalentwicklung genehmigen lassen. Die Häufigkeit von solchem „UntergrundCoaching“ wird von den Personalentwicklern je nach Organisationsform und Kompetenzverteilung zum Teil als beträchtlich eingeschätzt. Die Auswahl der Coaches liegt ebenfalls im Kompetenzbereich der Personalentwicklung. Über Auswahlverfahren, die sich kaum von 59 Untersuchungsgegenstand Analyse denen für Mitarbeiter unterscheiden, werden Coaches auf ihre Tauglichkeit und Persönlichkeit eingeschätzt. Die Gatekeeper konnten hierzu oft nur wenige exakte Kriterien nennen, die die Bewerber erfüllen müssen, damit sie in einen so genannten Coachingpool aufgenommen werden. Sehr häufig genannt wurden möglichst umfangreiche Organisations- und Führungserfahrung gepaart mit ausreichenden psychologischen Kenntnissen und Fähigkeiten. Als wichtigste schriftliche Nachweise gelten Lebenslauf, entsprechende Fort- und Ausbildungen und Referenzen hochrangiger Coachees. Keiner der Interviewpartner konnte aber genau spezifizieren, welche Erfahrungen, Ausbildungen, Kenntnisse und Fähigkeiten unbedingt vorliegen müssen. Generell geschätzt wurde schlicht ein großer Erfahrungsschatz in der Arbeit als Coach und das Beherrschen von mehreren verschiedenen psychologischen Interventions- und Beratungstechniken. Hierzu zählen im Prinzip alle als seriös eingeschätzten Techniken wie Transaktionsanalyse, NLP, zirkuläres Fragen, kreatives Denken, systemische Beratung, gruppendynamische Methoden, EMDR usw. Die Entscheidung darüber, welche Methoden wichtiger und seriöser eingeschätzt werden, bleibt jedoch den Personalentwicklern vorbehalten. Nach Beginn der Coachings überprüft wiederum die Personalentwicklung meist nach eigenem Ermessen Verlauf und erzielte Zwischenergebnisse, entscheidet über Änderungen in der Zielformulierung des Coachings und hält mehr oder weniger Kontakt zu Coach, Coachee und Vorgesetzten des Coachees. Für all diese Kommunikationen gibt es kaum verbindliche Regelungen, sondern sie liegen in der fachlichen Entscheidungskompetenz der Personalentwickler. Das gilt auch für den Abschluss der Coachings und die weitere Betreuung der Coachees. Je nach Bedarfseinschätzung durch die Personalentwicklung werden Abschlussgespräche geführt. Aber weder das Abschlussgespräch selbst noch die Teilnahme daran ist für die Beteiligten systematisch geregelt. 4.2.3 Coaching und Personal Welche Motive und Charakterzüge auch immer mit Personen in Verbindung gebracht werden, diese Eigenschaften lassen sich nicht isoliert von der Person bearbeiten. Analytisch kann man zwischen „Wissen, Fähigkeiten, Präferenzen, Umweltkontakten, Alter, Geschlecht, Kooperationswilligkeit, Arbeitstempo usw.“ (Luhmann 2000: 287) unterscheiden, diese Merkmale sind aber zur Enttäuschung 60 Analyse Untersuchungsgegenstand aller Personalentwickler in einer Person kompakt verbunden. Sicherlich verändern sich Personen, aber dies geschieht nicht nach Maßgabe von bewussten, erzieherischen Maßnahmen der Organisation. Schon allein aus dem Eingebundensein in verschiedenste Kontakte und Beziehungen ergibt sich diese Stabilität und Unveränderlichkeit der Person. Personen müssen in jeder Situation zu jedem Zeitpunkt in jeder Beziehung als dieselbe Person, die sie zu anderen Zeitpunkten in anderen Kontakten ist, identifizierbar sein. Selbst wenn sich Personen ändern wollen, fällt dies schwer, weil sich ihr soziales Kontaktsystem dagegen wehrt, etablierte Personidentifikation aufzugeben. Wenn sich jeder schnell ändern ließe, dann wäre kaum noch jemand wiederzuerkennen. Personalentwicklung hätte also nicht nur bestimmte Variablen der Person zu entwickeln, z.B. neues Wissen oder Empathie, gleichzeitig müsste sie das identifizierende Kontaktsystem der Person gleichsinnig entwickeln, damit diese veränderten Eigenschaften jetzt mit der Person identifiziert werden. Der Synchronisationsaufwand steigt schnell ins Unermessliche, sobald sich das Kontaktsystem nicht nur auf wenige Personen beschränkt. Nur wenn man das akzeptiert, versteht man überhaupt den Sinn, warum man soviel Aufmerksamkeit auf Personalauswahl, Personalbeschreibung, Passung von Person und Stelle, Passung von Personen und Teams usw. legt (Luhmann 2000: 279 ff.). Personen sind gesellschaftlich verfügbar und durch institutionalisierte Lebensläufe vor allem nach Bildungswegen und Karriereverläufen unterscheidbar. Personen werden organisationsintern zu Personal durch die Beachtung und Beschreibung eines für relevant gehaltenen Ausschnitts ihrer Persönlichkeit. Als Strukturmerkmal tauchen Personen nur insofern auf, als die Organisation selbst darüber entscheidet, mit welchen fachlichen und hierarchischen Kompetenzen sie ihr Personal ausstattet, welche Programme zu beachten sind und welche Personenmerkmale (Expertise, Wissen usw.) offiziell einzubringen sind. Abseits der entschiedenen Rollendefinitionen für das Personal sind Personen wie die Welt an sich als faktisch gegeben hinzunehmen. Personen werden nicht organisationsintern gemacht, sondern müssen aus einem Arbeitskräfteangebot ausgewählt werden, möglichst geeignet eingesetzt werden und entlassen werden, wenn man keine Verwendung mehr dafür hat oder zur Überzeugung gelangt, dass man mit diesen Personen nicht länger arbeiten will. Luhmann macht außerdem darauf aufmerksam, dass das Ersetzen von Personal nur deshalb Sinn macht, weil man sich von anderen Personen andere 61 Untersuchungsgegenstand Analyse Entscheidungen erwartet (ebd.: 286). Wären Personen nach Maßgabe der Organisation zu entwickeln, müsste man sie weder versetzen noch ersetzen. Prinzipiell bestehen wenige Einschränkungen in Bezug auf Personen, die Coaching in Anspruch nehmen dürfen. Die wichtigste Einschränkung besteht im Hinblick auf die Bedingung, dass das in Frage kommende Personal mit Führungsaufgaben betreut ist. Coaching für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung kommt nur als Fachcoaching vor (z.B. „Vertriebscoaching“) und ist in dieser Untersuchung nicht von Interesse. In jedem Fall prüfen die verantwortlichen Personalentwickler, ob die Person für diese Form der Personalentwicklung geeignet ist: „da hatte ich den Mitarbeiter hier setzen und der hat mir erzählt, dass die Führungskraft will, dass er ein Coaching macht. Und er fragte dann, wer er wäre, was das Coaching soll: ‚Ich bin, wie ich bin, wer mich leiden kann, kann mich leiden, die anderen haben Pech gehabt.’ Also wir haben auch diese Sorte, so ganz handfeste.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Es bestehen aber keine generalisierten Aussagen darüber, welche Personeneigenschaften für Coaching ungeeignet sind. Man geht vielmehr davon aus, dass Coaching im Prinzip eine Beratungsform für jedermann ist. Großer Wert wird auf eine gute Passung zwischen Coach und Coachee gelegt. Man vermutet, dass die Eigenschaften von Personen eine wichtige Rolle spielen im Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, ohne genau sagen zu können, worin diese Eigenschaften bestehen. Weil man sich das Personal der Organisation nicht in Bezug auf Coaching aussuchen kann, versucht man auf Seiten der Coaches die jeweils passende Person auszuwählen. Weil Coaching in Interaktion stattfindet, könnte man vermuten, dass sichtbare persönliche Merkmale eine entscheidende Rolle spielen. Deren wichtigste bestehen nach Goffman (Goffman 1994b: 93) in „Alter, Geschlecht, Klasse und ethnische Zugehörigkeit“. Einzig „ethnische Zugehörigkeit“ wurde in den Interviews nicht erwähnt, vielleicht weil dies in Deutschland ohnehin (k)ein Thema ist: selbstverständlich sollte er Deutscher sein. 62 Analyse Untersuchungsgegenstand Die verbleibenden drei auf den ersten Blick wahrnehmbaren Personenmerkmale wurden durchaus von den Experten reflektiert. Jedoch konnte nur ein relativ klar formulierter Personentyp aus den Interviews gewonnen werden. Demnach sind offenbar Männer im Alter zwischen 45 und 60 besonders erwünscht. Neben diesen Idealvorstellungen über Alter und Geschlecht finden sich selten Überlegungen über die Klassenzugehörigkeit von Coaches. Die Klasse, ausgedrückt vor allem durch Kleidung und Verhalten, ist dabei nicht einheitlich festgelegt, sollte aber der Klasse des Coachees entsprechen: „vielleicht noch ein gepflegtes Äußeres, das kann man vielleicht noch hinzunehmen. Weil ich kann zu einem Vorstand nicht mit einer Jeans hingehen.“ (Schuster, Unternehmen 6) In einigen wenigen Interviews konnte diese Idealvorstellung der Experten anhand der Coachdatenbanken in den Organisationen überprüft werden. Dabei stellte sich heraus, dass dieser Idealtyp eines Coaches aber nur einen Teil der Wirklichkeit in den Coachingpools widerspiegelt. So finden sich fast zur Hälfte Frauen in den Pools, die über verschiedenste Berufs- und Lebenserfahrungen verfügen und deshalb schon ein gewisses Alter, etwa ab 40, erreicht haben: „Die jetzt zum Beispiel: die hat Schriftsetzerin gelernt, dann hat sie ein Studium Publizistik Magister, hat dann Zusatzausbildungen gemacht, hat dann bei einer Agentur gearbeitet, hat dann bei einer anderen Agentur gearbeitet, war im Ausland in Brisbane in Australien, war dann Redakteurin bei einer Zeitungskolumne. Das machen sie nicht, wenn sie 32 sind.“ (Becker, Coachinganbieter 2) Von den interaktionsnahen Personmerkmalen scheint letztlich nur das Alter von Bedeutung zu sein. Allerdings muss das nicht unbedingt auf die Wirkung in der Interaktion zurückgeführt werden, wie ein Experte eines großen Coachinganbieters betont: „Ich glaube, mit dem über 40, das hat weniger was mit der Glaubwürdigkeit von älteren Personen zu tun, dass man die eher als Berater akzeptiert, weil man da eine Menge Erfahrungswissen einfach unterstellt, sondern ich denke, das liegt unter anderem daran, das Coaches bei uns häufig eine sehr bunte berufliche Vergangenheit haben. Das heißt, die haben häufig im Unternehmen als Manager gearbeitet, haben Zusatzausbildungen, haben sich selbstständig gemacht und so weiter und sofort 63 Untersuchungsgegenstand Analyse und das packt man natürlich weniger in 35 Jahren rein als dann schon viel eher in 45 Jahren.“ (Becker, Coachinganbieter 2) Klassische Interaktionsmerkmale nach Goffman spielen also keine eindeutige Rolle. Auch der Zusammenhang mit dem Alter liegt nicht darin, dass ältere Personen im persönlichen Gespräch erfahrener wirkten, sondern dass Coaches über viel Berufs- und Lebenserfahrung verfügen müssen und deshalb älter sind. Diese weitgehende Vernachlässigung typischer interaktionsrelevanter Personmerkmale kann man mit André Kieserling (1999: 335 ff.) damit erklären, dass die Coachinginteraktionen stark durch die Organisationen geformt sind. Das Zusammentreffen der Personen, die Passung der Rollen, die gesamte Interaktion finden nur deshalb statt, weil sie organisiert sind. Die Interaktion ist erheblich vorstrukturiert, muss Leistungen der Situationsdefinition, der Verteilung von Rederechten, Rollenzuweisungen usw. nicht selbst aufwändig herstellen, sondern all das kann als gegeben hingenommen und darauf aufgebaut werden. Die Interaktion stellt nicht nur durch seine begrenzten Systemmöglichkeiten eine Simplifizierung dar, sondern ist darüber hinaus selbst schon stark vorstrukturiert und vereinfacht in Fragen der zeitlichen, sozialen und sachlichen Orientierungen. Der Vorteil kann genutzt werden, um sofort zur Sache zu kommen, ohne langwierige Verhandlungen über Rahmendaten und Themen der Interaktion. Die Interaktion muss kaum eigene Strukturierungsleistungen beisteuern und kann im Wesentlichen Themen bearbeiten. Weil Organisation Interaktion schon so stark vorstrukturiert, können die ansonsten zur Strukturierung von Interaktion hilfreichen sichtbaren Personmerkmale relativ unbeachtet bleiben. Nach Angaben der Interviewpartner wird großer Wert auf die Person des Coaches gelegt. Leider existieren aber keine verallgemeinerbaren Kriterien, die der Coach erfüllen muss. Die Person bzw. die Persönlichkeit der Coaches zu bewerten, bleibt das Geheimnis der Personalabteilungen: „das sind Leute, die älter als 40 sind, wobei da mach ich dann auch gleich wieder eine Ausnahme. Einer meiner Mitarbeiter war 33 und ist jetzt Vorstandsassistent, also ist vor einem Jahr weggegangen aus diesem Geschäftsfeld und als Assistent beim Vorstand gelandet, die ihn halt kennen gelernt hat. Dieser Mitarbeiter war selber auch als Coach tätig und zwar auch mit hoher Akzeptanz. Das heißt, er hat auch Kunden 64 Analyse Untersuchungsgegenstand gehabt, die waren 20 Jahre älter als er und die zu bestimmten Fragestellungen mit ihm ist sehr, sehr gut arbeiten konnten. Aber im Schnitt ist der Coach über 40, männlich, eher introvertiert. Ich könnte also schon eine Beschreibung geben, müsste aber immer dazu sagen, aber es gibt auch immer das ganze Gegenteil davon und die kommen auch super gut an.“ (Becker, Coachinganbieter 2) 4.2.4 Coaching als Interaktion Die Coachingsitzung selbst ist Kommunikation „unter vier Augen“ (Looss 1997). Soziologisch ausgedrückt handelt es sich um die eigenständige Systemform Interaktion (vgl. hierzu und zum Folgenden: Goffman 2003; Luhmann 2005a; Kieserling 1999). Es handelt sich dabei nicht um eine Entscheidungsstruktur der Organisation. Dennoch hat Interaktionsförmigkeit einen erheblichen Einfluss auf die Möglichkeiten von Coaching. Interaktionssysteme sind gekennzeichnet durch relativ geringe Komplexität. Im Vergleich zu Organisation sind die Chancen, in Interaktion Komplexität aufzubauen, außerordentlich gering. Die Kommunikationsbeiträge sind zeitlich sequentiell, das heißt dass immer nur ein Beitrag nach dem anderen verarbeitet werden kann. In Organisation geschehen Unmengen von Beiträgen gleichzeitig und können nachträglich selektiert, koordiniert oder einfach vergessen werden. Interaktionssysteme können sich dagegen keine Gleichzeitigkeit zumuten, sich können sich auch nicht in funktionale Einheiten – Abteilungen, Bereiche, Segmente – differenzieren. Zudem sind ihre Chancen gering, sich selbst zu beobachten. Man kann zwar scheinbar auf eine „Metaebene“ wechseln und darüber reden, wie man miteinander redet, letztlich bleibt man aber doch innerhalb der strukturellen Grenzen der Interaktion gefangen. Man kann auch nicht in „Meta-Kommunikation“ basale Interaktionstechniken des Taktes, der Höflichkeit, der rituellen Achtung der Person, der Sequentialität usw. ignorieren. Dass Coach und Coachee sich auf diese Kommunikationsform oder in wenigen, „innovativ“ gewerteten Fällen auf interaktionsnahe Formen, wie Telefon-Coaching oder E-Mail-Coaching, zurückziehen, hat den Vorteil einer radikalen sachlichen Vereinfachung. Insbesondere gilt dies im Hinblick auf die engen zeitlichen Grenzen: „Wenn der Klient dort 10 bis 15 Stunden hatte, ist er im Grunde fähig, was Neues hin zu kriegen mit seiner Mannschaft, ist er fähig, Störungen 65 Untersuchungsgegenstand Analyse zu erkennen, anders mit den Leuten zu agieren.“ (Krause, Medienanstalt 2) Im Hinblick auf die Ergebnisse aus der Psychotherapieforschung (Schwarz 1985) muss man davon ausgehen, dass es in diesen wenigen Stunden kaum darum gehen kann, persönliche Strukturen zu verändern. Erwachsene Menschen in ihren psychischen Strukturen zu verändern, erfordert in der Regel jahrelange therapeutische Bemühung und ist selbst dann nicht in der gewünschten Form garantiert23. Ebenso kann es kaum darum gehen ein realistisches Abbild organisationaler Strukturen zu entwickeln, die in ihrem Umfang und Komplexität ebenfalls die Kontingente von 15 Coachingsitzungen schnell überfordern dürfte. Auch die „Gehirnwäsche“-These (Deutschmann 2002: 134), in klassischer Manier industriesoziologischer Kritik vorgetragen, dürfte schon allein an der geringen Stundenzahl scheitern. Ohne über entsprechendes empirisches Material zu verfügen, kann man nur vermuten, dass in dieser kurzen Zeit lediglich akute Rollenprobleme der Coachees thematisiert werden können. Coaching kann sowohl durch die enge zeitliche Begrenzung als auch strukturell als Interaktionssystem nur geringe Komplexität prozessieren und genau darin liegt der Sinn auf Interaktion zurückzugreifen. Hier werden Dinge vereinfacht und handhabbar gemacht. Ein Experte eines großen Coachinganbieters formuliert dies außerordentlich treffend: „ein anderer Kunde ruft an und sagt: ‚Ich denke mal, der Coachingprozess, den ich mit Herrn XY habe, da brauche ich eine Verlängerung (…) Und ich glaube, genauso lange brauchen wir noch mal, also 70 Stunden’ Nichts auf der Welt dauert 70 Stunden. Sie können alle Fragen der Menschheit in 20 Stunden bequem lösen.“ (Becker, Coachinganbieter 2) André Kieserling (1999) weist darauf hin, dass im Kontrast zu Organisationssystemen Entscheidungen in Interaktionssystemen möglichst vermieden werden. Entscheidungen haben für den Entscheider andere Folgen als für die von der Entscheidung Betroffenen. Wer in Interaktion eine Entscheidung verkündet, riskiert 23 Neuere Kurzzeittherapien vermeiden daher die „Konfrontation“ mit bestehenden Persönlichkeitsstrukturen und versuchen stattdessen, Strukturen zu schaffen, die bislang noch nicht vorhanden waren und deshalb nicht erst zerstört werden müssen (Fiedler 2004). 66 Analyse Untersuchungsgegenstand deshalb, andere Gesprächsteilnehmer zu brüskieren und als taktlos zu gelten. Interaktion ermöglicht auch dann, wenn sie durch die Organisation bedingt ist, sich von der Entscheidungsförmigkeit der Organisationskommunikation zu distanzieren. Die Interaktion ermöglicht deshalb andere Chancen als die Organisation, freilich mit dem Nachteil für Organisation, nicht vollständig auf Interaktion durchgreifen zu können. Darin besteht wiederum ein Vorteil für die Bearbeitung von persönlichen Problemen, weil man sich hier vergleichsweise frei äußern kann, ohne formale Folgen befürchten zu müssen. Die vertrauliche Interaktion bietet im Kern ein Überdruckventil für aufgestauten Ärger, Frustration und drohende Überlastung. Das kann aber nur gelingen, wenn sie organisational garantiert folgenlos bleibt. Auch im Hinblick auf Konfliktfähigkeit unterliegt die Interaktion der Organisation. In Organisationen können konfligierende Wertorientierungen und entsprechende Programme durch Trennung von Situationen (vgl. Luhmann 1968) und durch Ausdifferenzierungen etwa unterschiedlicher Abteilungen aufgefangen werden. Hinzu kommt „Hierarchie mit ihren Notstandskompetenzen“, die sozialen Konsens überflüssig machen kann und Konflikte per formale Entscheidung lösen kann. Über all diese Möglichkeiten verfügt nur Organisation, nicht aber Interaktion. Konflikte sind für Interaktionen außerordentlich bedrohlich, weil sie dort nicht verschoben oder abgespalten werden können. Tritt ein Konflikt in Interaktion offen zu Tage, annektiert er die gesamte Interaktion. Interaktionssysteme „haben nur die Wahl, Konflikte zu vermeiden oder Konflikte zu sein“ (Luhmann 2005d). Aus dieser Problemlage der Konfliktunverträglichkeit resultieren eine Reihe von Interaktionstechniken, die am treffendsten von Erving Goffman beschrieben sind (Goffman 1986; 1994a; 2003). Diese müssen hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden24. Wichtiger ist zu erkennen, dass der Einsatz von Interaktionen in Organisationen die Funktion der Konfliktvermeidung übernimmt. Wer einen organisationalen Konflikt in Interaktion gibt, hat gute Chancen, dass der Konflikt verdeckt bleibt. Die Konfliktscheu der Interaktion verhindert gerade den Ausbruch des Konflikts. 24 Es geht um „Techniken“ wie Takt, Höflichkeit, Zuvorkommenheit, indirekte Kommunikation, Heuchelei und dergleichen mehr. 67 Untersuchungsgegenstand 4.3 Analyse Zusammenfassung zur organisationalen Strukturiertheit Bei all den Begriffsverwirrungen, die mit Coaching verbunden sind, ist es angebracht, die bis jetzt gewonnenen empirischen Eindrücke zusammenzufassen. Beim Coaching in Organisationen handelt es sich um eine personenzentrierte Beratungsform, deren Inhalte und Ergebnisse vertraulich und formal folgenlos bleiben. Zum Beratungsnehmer, also Coachee, kann in der Regel werden, wer eine Führungsaufgabe ausübt. Bearbeitbare Probleme sind als „persönliche“ attribuierte Probleme, die im Zusammenhang mit der beruflichen Rolle stehen. Vom Coachee wird im Kern erwartet, dass er die Problemlage als persönliche akzeptiert und bereit ist, daran zu arbeiten. Vom Coach wird im Kern erwartet, dass er in der Lage ist, innerhalb weniger Stunden die Problematik anhand anerkannter psychologischer Techniken und Methoden einer für den Coachee praktikablen Lösung zuzuführen. Organisiert wird Coaching in erster Linie durch die fachliche Entscheidungskompetenz der Abteilungen bzw. Stellen für Personalentwicklung. Dort werden Rollendefinitionen des Coach und des Coachees angefertigt und in fachlichen, nicht hierarchischen Kommunikationen überprüft. Die Interaktionsförmigkeit und enge zeitliche Begrenzung ermöglichen eine drastische Reduktion der zugrunde liegenden organisationalen Komplexität. Die Interaktion unterstützt freie Äußerungen zur Problemlage und informelle Problemverarbeitung. Diese Zusammenfassung ist als Definition so wenig hilfreich, wie jede andere Definition. Der Nutzen dieser Definition liegt nicht in der normativ-theoretischen Aussage darüber, was Coaching sein soll, sondern in ihrer empirischen Validität. Sie dient in erste Linie dazu, einen Eindruck über den aktuellen Stand der Coachingstrukturen in Organisationen anzubieten. Im Folgenden wird eine funktionale Analyse zum Coaching versucht. Die bisher festgestellten Bestandteile sollen dabei aufgegriffen werden und weniger als unabdingbare definitorische Bestandteile von Coaching gelten, sondern in ihrer Funktion verstanden werden. Coaching, das mit anderen Bestandteilen funktioniert, kann auf dieser Grundlage als funktionales Äquivalent interpretiert werden. So besteht z.B. ein Gatekeeper in der Auswahl der Coaches für den Coachingpool darauf, dass die Coaches über psychologische oder psychotherapeutische Kenntnisse verfügen. 68 Analyse Untersuchungsgegenstand Versteht man die Funktion dieser Kenntnisse, kann man sie aber auch durch andere Fähigkeiten ersetzen, unabhängig davon, wie diese erworben wurden. Andere legen großen Wert auf die persönliche Führungserfahrung von Coaches, können aber stattdessen auch jahrelange Beratungserfahrung gelten lassen. Diese empirischen Variationen in den Personmerkmalen von Coaches sind auf ihre Funktion hin zu verstehen. In klassischen Definitionen versucht man solche Variationen auszuschließen und in der Analyse zu ignorieren, weil man Wesensmerkmale von Coaching nur darin vermutet, wo keine Variationen vorliegen. Tatsächlich lohnt es sich aber Varianten zu beachten, weil man darüber Aufschluss über das Funktionieren von Coaching gewinnen kann. So mag der Sinn der Führungserfahrung nicht darin liegen, dass man sich in Führungskräfte „einfühlen“ kann hat, sondern darin, dass man weiß, was Organisationen von Führungskräften erwarten. Psychologische Kenntnisse haben eine Funktion nicht deshalb, weil sie psychologisch fundiert sind, sondern nur insofern sie als Techniken angewandt und definierte Effekte erzielen können (vgl. Rose 1998f). Welche Bestandteile Coachingsysteme unbedingt benötigen und welche vernachlässigbar oder zumindest ersetzbar sind, lässt sich aber nur klären, wenn man versteht, welche Funktion Coaching erfüllt. Die Beantwortung dieser Frage ist abhängig von einer Theorie des Referenzsystems, das Probleme und Lösungsmöglichkeiten festlegt. Für die funktionale Analyse von Coaching im Referenzsystem Organisation bietet sich die systemtheoretische Organisationssoziologie an (vgl. Luhmann 2005c: 48 ff.). Die zentrale Frage lautet, welche Probleme der Organisation können mit Coaching gelöst werden und welchen Erklärungsbeitrag kann man mit dieser Theorie liefern. 69 „Persönliche“ Probleme in Organisationen 5 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen Soziologisch sind keine Hinweise erkennbar, weshalb Coaching prinzipiell mit der Führungsthematik verknüpft sein sollte. Dennoch konzentriert sich der Einsatz von Coaching in Organisationen auf Führungskräfte. Dies rührt daher, dass Führung bzw. Führungsrollen generell nur von Personen, genauer vom Personal der Organisation ausgeübt werden kann. Sofern man Anwendungsgebiete für eine personenzentrierte Beratungstechnik sucht, wird man daher früher oder später auch bei Führungsthemen landen. In Zeiten, die insbesondere unter den Aspekten gesteigerter Dynamik und Veränderungen wahrgenommen wird, überrascht es nicht, dass man auch Führung erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lässt. Es gehört zu den frühen Einsichten Luhmanns (Luhmann 1999: 207 f.), dass Führung immer dann an Bedeutung gewinnt, wenn zeitliche Erwartungssicherheit (also Normen) abnimmt. In Erinnerung an die Printmedienindizes zur Führungsliteratur oben25 muss aber betont werden, dass Führung kein neuartiges Thema ist, das etwa erst im Zuge „der Globalisierung“ relevant würde26. Führungstheorien werden schon sehr lange diskutiert und wiederum ist es Luhmann, der darauf hinweist, dass Führung zwar von Personen ausgeübt wird, aber dennoch in einem Organisationssystem auf mehrere Personen verteilt ist (ebd.). Für eine Organisation wäre es ein herber Verzicht, wenn alle Führungsarbeit nur einer Person zugestanden würde. Zugleich gewinnt man an Verständnis für die Führungsfunktion, wenn man Führer von Vorgesetzten unterscheidet, weil man dann sieht, dass Führung eher situativ und opportunistisch greift, während Hierarchie dauerhaft und unverzichtbar formalisiert ist27. Für das Verständnis, wozu Coaching in den Organisationen eigentlich gut sein soll, muss daher das Führungsthema näher erläutert werden. Zuvor geht es jedoch um die Ausleuchtung „persönlicher Probleme“ in Organisationen, denn es ist sehr oft betont und kritisiert worden, dass es sich dabei in aller Regel um organisationale Probleme handelt, die auf Personen externalisiert werden. Weniger oft wird der funktionale Beitrag für das Organisationssystem verstanden. Dazu ist es hilfreich etwas weiter auszuholen und die generelle Funktion von Personalent25 Siehe unter 4.1.1 Zur quantitativen Bedeutung in der Fachöffentlichkeit. Dazu mehr unter 7.1 Globalisierung und allgemeine Komplexitätssteigerung. 27 Dazu mehr unter 6.4 Führung und Hierarchie. 26 70 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen wicklung in diesem Zusammenhang zu beleuchten, bevor die Analyse in Kapitel 6 auf Führungspersonal zugespitzt wird. 5.1 Die Personalisierung organisationaler Konflikte Wenn in Organisationen Konflikte auftreten, könnte man zunächst vermuten, dass es sich um persönliche Konflikte handelt. Gemeint ist damit, dass die Konfliktursache bei den Personen liegt: „die Chemie stimmt einfach nicht“ oder „die können sich nicht riechen“ sind die umgangssprachlichen Ausdrücke für diese Einschätzung. Die Organisation hat im Prinzip mit der Sache nichts zu tun, leidet aber möglicherweise unter den Folgen. Eine Interviewsequenz erläutert diese Art von Konflikten: „Antwort: Ja, und Konflikte. Wir haben jetzt so ein System von innerbetrieblichen Konfliktmediatoren aufgebaut, da bin ich auch einer von. Aber sogar ein Meister und sogar noch unter der Ebene, ein Facharbeiter, der einfach persönlich geeignet war, den haben wir auch ausgebildet und die sollen da einfach so zu Konfliktsituationen hinzu gerufen werden als Mediatoren. Frage Welche Konflikte sind das? Antwort: einfach zwischen Mitarbeitern, keine Ahnung, irgend so ein Konflikt. Auch auf Arbeiterebene, wo einer schon dem anderen Morddrohungen (gemacht hat) und so. (lacht) Ja, da geht es oft anders zu.“ (Schmidt, Unternehmen 7) Im Zitat bemüht sich die Organisation mit Mediatoren um die Beilegung von persönlichen Konflikten. Im Fallbeispiel war der Konflikt offensichtlich so stark eskaliert, dass Morddrohungen ausgesprochen wurden. Außerhalb von Organisationen würden solche Konflikte mit Morddrohung, sofern sie ernst zu nehmen sind, polizeilich/juristisch geregelt. Man könnte es nun als besonders fürsorgliche und humane Geste der Organisation werten, dass man sich ohne Einschalten der Polizei/Rechtsprechung selbst um die 71 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse Beilegung des Konflikts bemüht. Stellt man aber die Frage, warum die Organisation einen „potentiellen Mörder“ eines Mitarbeiters weiter beschäftigt und sich sogar selbst um eine Konfliktbesänftigung bemüht, erhält man eine überraschende Antwort: „Frage Wieso macht sich das eine Firma zur Aufgabe, die Morddrohungen ihrer Mitarbeiter zu bearbeiten und holt nicht einfach die Polizei? Antwort: Ja, weil einfach die Arbeitsleistung darunter leidet. Der eine war ein Zulieferer von dem andern.“ (Schmidt, Unternehmen 7) Der Konflikt erscheint nur deshalb auf der Bildfläche der Organisation, weil sich dahinter Schwierigkeiten in der Zuarbeit verbergen. Von der Humanität der Organisation bleibt da nicht mehr viel. Zur Rettung der Organisation könnte man anführen, dass das streitende Personal die Arbeitsabläufe der Organisation instrumentalisieren, um einen persönlichen Konflikt auszutragen. Der Instrumentalisierungsverdacht kann aber als Erklärung im zitierten Beispiel nicht befriedigen, denn die Konfliktpartner könnten einfach abgemahnt oder gekündigt werden. Ihre fachliche Expertise scheint auf einer Facharbeiterebene ebenfalls nicht unersetzbar zu sein, jedenfalls wird das nicht als Argument angeführt. Generell lassen sich Organisationen nicht offiziell – und was in die Mediation geht, ist offiziell – von Mitgliedern instrumentalisieren oder erpressen und schon gar nicht von Mitarbeitern auf den hierarchisch niedrigsten Rängen. Man kann nicht gut einem persönlichen Widersacher die Zulieferung von Teilen verweigern, weil man in ihm einen persönlichen Widersacher sieht. Eine solche Begründung müsste die Organisation nicht akzeptieren und es wäre völlig unklar, warum sie einen solchen persönlichen Konflikt bearbeiten sollte. Abseits von Mutmaßungen über die Expertise der Facharbeiter kann man sich zur Erklärung direkt an die Aussage des Gatekeepers halten, wonach der persönliche Konflikte nur deshalb in der Organisation ernst genommen wird, weil „der eine (…) ein Zulieferer von dem anderen“ ist, der Konflikt also durch organisationale Strukturen gedeckt ist. Daraus kann geschlossen werden, dass persönliche Konflikte die Aufmerksamkeit der Organisation nur dann erreichen, wenn sie Konflikte der Organisation sind. Nur dann, wenn ein Konflikt der Organisation vorliegt, kann 72 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen darin ein persönlicher Konflikt vermutet werden. Andere persönliche Konflikte, die nicht durch organisationale Konflikte gedeckt sind, tauchen in der Wahrnehmung der Organisation gar nicht erst auf. Damit dreht sich der Instrumentalisierungsverdacht um. Man muss nun annehmen, dass die Organisation ihre eigenen sachlichen Konflikte, die sie nicht lösen kann oder will, als persönliche Konflikte deklariert, wenn sie auffällig werden. Anschließend kann man diese Konflikte auf persönliche Ebene externalisieren. Dort führen sie zu teilweise erheblichen Belastungen des Personals. Erst nachdem es zu einer derartigen Problemverschiebung gekommen ist, kann die Organisation scheinbar humanistisch handeln und sich um Konflikte ihrer Mitglieder sorgen. Nach dieser begrifflichen Klarstellung sollen deshalb im Folgenden die betreffenden Konflikte nicht mehr als persönliche, sondern als personalisierte Konflikte bezeichnet werden. Hinter der Personalisierung von Konflikten steckt kein böser Wille der Organisation. Aber mit der Bearbeitung von vermeintlich persönlichen Konflikten verrät sich die Organisation gewissermaßen selbst, indem sie die Konflikte als organisationsrelevant, das heißt als entscheidungsrelevant definiert. Organisation kann nicht in der Umwelt operieren, und Umwelt sind auch die Personen des Personals. Das beginnt man auch in der Organisationspsychologie einzusehen (vgl. Neuberger 1990). Organisation kann nicht Personen erzeugen, sie kann sie nur einstellen, versetzen, befördern, kündigen, kurz: managen. Die Konflikte der Personen sind nicht ihre Konflikte, es sei denn, es sind ihre Konflikte, die sie Personen zuschreibt. Sobald Konflikte als Entscheidungsprobleme der Organisation auftreten, sind sie Teil der Organisation. Kein formales System kann jedoch anerkennen, dass es immanent Widersprüche produziert, ohne die Legitimität des gesamten Organisationssystems zu gefährden (Luhmann 1999: 239 f.). Dennoch gehört es zu den Binsenweisheiten, dass Organisationen sich keineswegs widerspruchsfrei verhalten. Allein die Orientierungen an verschiedenen Umwelten gelingen nicht widerspruchsfrei. Selbst Sportwagenhersteller unterhalten umfangreiche Umweltabteilungen und dies aus guten, weil opportunistischen Gründen. Aus denselben Gründen kann keine global aktive Organisation auf Korruption verzichten, sofern Korruption in bestimmten Umwelten (Branchen, Regionen, Märkten) schlicht institutionalisiert ist. Eine Lösung, eine solche Legitimitätskrise und damit das Zusammenbrechen der formalen Organisation zu 73 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse verhindern, besteht in der Personalisierung von Konflikte (vgl. March/Simon 1976: 124). Eine weitere, funktional äquivalente Lösung besteht darin, Konflikte zu politisieren (ebd.). Die Politikfähigkeit organisationaler Entscheidungen ist aber immer begrenzt durch die hierarchische Struktur und wird deshalb einen gewissen Rahmen nicht überschreiten, es sei denn, man verlässt sich auf vertikale Kommunikation (Luhmann 1999: 204), wie z.B. in der Organisationsspitze oder in Gruppenarbeit (Kühl 2002b: 185 ff.). Man kann die Zurechnung von organisationalen Problemen auf Personal, wie in der Industriesoziologie üblich, als ideologische Verblendung kritisieren (vgl. z.B. Deutschmann 2002: 134). Damit wird aber der funktionale Beitrag für das Organisationssystem übersehen. Immer dann, wenn organisationale Konflikte evident werden, können sie auf persönliche Konflikte externalisiert werden „und notfalls durch Personalentscheidungen kuriert“ (Luhmann 1999: 248) werden. Dass es tatsächlich zu Personalentscheidungen kommt, wird aber eine seltene Notfalllösung bleiben, denn Personalentscheidungen, Versetzung und Entlassung, schlagen ihrerseits meist hohe Wellen, die zu weiteren Konflikten führen können. Insbesondere können durch Personalentscheidung die Konflikte der Organisation nicht eigentlich gelöst werden, sondern man wechselt nur die Person aus, die den Konflikt internalisieren soll. Dieser Weg ist riskant und verspricht nicht in jedem Fall eine Lösung. Insbesondere stellt die „Formalisierung von Konflikten“ (ebd.: 239 ff.) für alle Beteiligten wegen möglicher persönlicher Konsequenzen ein riskantes Vorgehen dar. In der Regel wird die Formalisierung/Offizialisierung deshalb unterbleiben28. Die zugrunde liegenden widersprüchlichen Sachorientierungen erhalten so einen doppelten Schutz, weil sie erstens personalisiert sind und damit unentdeckt bleiben und weil sie zweitens selbst bei offizieller Behandlung auf der Personalebene entschieden werden und damit die Sachstruktur unangetastet lassen. Für die Organisation ergibt sich der Vorteil, dass sie verschiedene sachliche Orientierungen gleichzeitig verfolgen kann. Organisationen können zugleich Sportwagen und umweltfreundliche Autos oder zugleich Arzneimittel und bio-chemische Kampfstoffe herstellen und 28 Eine Erfahrung, die auch euphorisch gestartete, aber dann notorisch unterbeschäftigte und schließlich desillusionierte Mediationsprogramme regelmäßig machen müssen. 74 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen verkaufen; sie können parallel schulmedizinische und alternative Heilverfahren einsetzen; sie können ihre Feinde lieben und trotzdem verbrennen. Ein weiteres Beispiel aus den Experteninterviews dokumentiert die Personalisierung von sachlichen Konflikten: „In dem Fall war das eine Neuausrichtung (der Organisationseinheit, A.T.). (Die Organisationseinheit, A.T.) war bisher darauf beschränkt, letztendlich aus dem Fundus immer wieder entsprechende Ausstellungen zusammenzustellen und die Neuausrichtung geht dahin, dass man letztendlich sich pro-aktiv darstellt (…) und sich ganz bewusst auch Ausstellungen akquiriert. Und das verändert natürlich so ein Konservatorium und Konservatoren – wie der Name schon sagt – das Handeln natürlich beträchtlich. Und viele erleben das als Bedrohung oder zum Teil auch als Entwertung, des bisher geleisteten und dann reagieren die mit Widerstand zum Teil. Coaching zielt in erster Linie darauf ab, die Führungskraft zu befähigen, mit diesen Widerständen umzugehen.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) Eine Umstrukturierungsmaßnahme, eine so genannte „Neuausrichtung“ einer Organisationseinheit führt zu Problemen, zu deren Behebung Coaching in Erwägung gezogen wird. Mit einer humorvoll inszenierten Anspielung auf die Berufsbezeichnung der betroffenen Mitarbeiter, „Konservatoren“, wird die Personalisierung des Problems verdeckt. Weil „Konservatoren – wie der Name schon sagt“ so konservativ sind, sträuben sie sich gegen die geplante Neuausrichtung. Das wahrgenommene Problem besteht darin, dass persönlicher „Widerstand“ bei der Umsetzung des neuen Programms „Ausstellungen pro-aktiv akquirieren“ feststellbar ist. Nun ist es durchaus vorstellbar, ja wahrscheinlich, dass Mitarbeiter nach vielen Dienstjahren soweit durch ihre Rollen sozialisiert sind, dass jede Änderung tatsächlich persönlichen Widerstand auslöst. Noch wahrscheinlicher ist aber, dass auch bei wenigen Dienstjahren der Mitarbeiter Widerstand auftritt, unabhängig von der Einstellung der Mitarbeiter gegenüber dem neuen Programm. Allein aus der Tatsache, dass es sich um ein eingespieltes Organisationssystem handelt, das grundlegend neu ausgerichtet werden soll, muss mit Widerstand gerechnet werden. Die Umstrukturierung eines funktionierenden Systems von Programmen, Rollen und eingespielten Kommunikationswegen stößt in jedem Fall auf erhebliche Inkompatibilitäten. 75 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse Im Beispiel handelt es sich zudem um einen neuen Programmtyp, der installiert werden soll. Die ehemalige Konditionalprogrammierung, „aus dem Fundus immer wieder entsprechende Ausstellungen zusammenzustellen“ soll ersetzt werden, durch eine Zweckprogrammierung „ganz bewusst auch Ausstellungen“ zu akquirieren. Es gehört nicht viel Organisationskenntnis dazu, um sich vorzustellen, dass dies außerordentlich umfangreiche Folgen nach sich zieht. Die Umstellung bedeutet eine veränderte zeitliche Orientierung (vgl. Luhmann 2000: 263 ff.). War im alten Konditionalprogramm die Vergangenheit handlungsbestimmend – „Ausstellungen ergeben sich aus dem in der Vergangenheit angesammelten Fundus“ – ist das Zweckprogramm eine Festlegung in der Zukunft – „Ausstellungen sollen akquiriert werden“. Man kann die Programmänderung auch als Verschiebung der Zweck-Mittel-Relation beschreiben (ebd.). Bisher wurden die Mittel aus dem Fundus als gegeben hingenommen, um daraus Ausstellungen zu entwickeln. Künftig sollen Ausstellungen realisiert werden, für die die nötigen Mittel (Ausstellungsstücke) erst noch beschafft werden müssen. Es wäre eine eigene lohnenswerte Arbeit darüber anzufertigen, warum in so vielen Bereichen Zweckprogrammen (z.B. in der Managementlehre durch „management by objectives“) der Vorrang vor Konditionalprogrammen eingeräumt wird (zu Folgeproblemen vgl. z.B. Koch 1992; Koch 1993). Beide Formen haben ihre Vor- und Nachteile. Zweckprogramme treffen Festlegungen in der Zukunft – eine geplante Ausstellung – können damit aber die notwendigen Mittel in der Gegenwart nur schwer kalkulieren. Häufige Folge ist die Aufwands- und Kostenexplosion in der Mittelbeschaffung. Konditionalprogramme kontrollieren umgekehrt die notwendigen Mittel, im Beispiel den Fundus, können aber keine Zusagen für künftige Ergebnisse treffen. Klar sein muss aber in jedem Fall, dass eine Umstellung auf dieser Ebene oberster Systemprogramme erhebliche Widerstände der Organisation hervorruft, unabhängig von den persönlichen Einstellungen der Mitarbeiter. 76 Analyse 5.2 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Funktionen der Personalentwicklung Aus dem Beispiel geht nicht hervor, ob die organisationalen Folgen nicht etwa durch andere spezifische Maßnahmen der „Organisationsentwicklung“ begleitet werden und die Personalentwicklung nur die Widerstände der beruflich sozialisierten „Konservatoren“ bearbeitet. Aber selbst eine solche Spezialisierung von Personalentwicklungsmaßnahmen auf die Sozialisierungsfolgen von Mitarbeitern muss kritisch hinterfragt werden. Sozialisierung ist ein langsamer, nicht intendierter Prozess. Sie kann eben gerade nicht durch absichtsvolle, erzieherische Maßnahmen in kurzen Zeiträumen erzielt werden. Das wird im Übrigen auch von erfahrenen Personalentwicklern bestätigt: „Ich mache jetzt seit 20 Jahren Weiterbildung. (…) Ich sage nicht, dass das Training einen Menschen verändert, das überhaupt nicht“ (Bauer, Unternehmen 4) Vor gut 20 Jahren gestand man Personalentwicklung keine eigenständige Funktion in der Personalarbeit ein (vgl. Hartmann/Meyer 1980: 212). Dennoch spielt Personalentwicklung eine zunehmend gewichtigere Rolle in Organisationen. Warum ist das so, obwohl doch Personen nicht zu „entwickeln“ sind? Neben einer Reihe von unbestrittenen manifesten Funktionen, also Behebung von Qualifikationsdefiziten, Mitarbeiterbeurteilung, Formalisierung der Personalauswahl usw., besteht eine wichtige latente Funktion in der Personalisierung von organisationalen Konflikten. Diese Funktion wird nicht von der Personalentwicklung in die Organisation eingeführt. Schon vorher besteht diese Funktion, findet aber erst mit der Einrichtung von Abteilungen für Personalentwicklung eine institutionalisierte Verankerung. Im Sinne von Michel Serres könnte man die Personalentwicklung auch als „Parasit“ dieser Funktion beschreiben (Serres 1987). Als spezialisierte Abteilung klinkt sie sich in die Personalisierung von sachlichen Konflikten und Widersprüchen ein. Die Betreuung der persönlichen Folgen dieser Problemzuschreibung ist ihre Aufgabe. Den Abteilungen für Personalentwicklung kommt so eine Strukturschutzfunktion zu. Sie unterstützt die Externalisierung organisationaler Widersprüche auf Personen und bietet zugleich Personen Hilfen an, mit diesen Zurechnungen umzugehen. 77 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse Die Entlastung der Organisation geht nicht wie in einem NullSummen-Spiel automatisch zu Lasten von Personen. Schreibt man Personen organisationale Konflikte zu, impliziert dies auch, dass dieselben Personen als Problemlöser, ja als Führungspersönlichkeiten auftreten können. Die Probleme und Konflikte, die die Organisation scheinbar außerstande ist zu kontrollieren oder zu lösen, können durch Personen heroisch verarbeitet werden. Große Persönlichkeiten, Führer zumal, schaffen, was der Organisation nicht gelingt. Wie ein Dompteur in der Manege befriedet der Manager ein Schlachtfeld von Konflikten. Wer Probleme und Lösungsmöglichkeit auf Personen zuschreibt, fördert einen Person-Narzissmus (vgl. Schmidt-Lellek 2004), der zur freiwilligen „persönlichen“ Verantwortungsübernahme motiviert. Personalentwicklung erhöht die Erwartungen in die Problemlösefähigkeiten von Personen, nicht nur auf Seiten der Organisation, sondern auch auf Seiten der Personen. Die Organisation erlangt dadurch Schutz und mehr noch höhere Variabilität ihrer Strukturen, weil sie resultierende Konflikte auf Personen externalisieren kann. Die Motivation, trotz der „Ausweglosigkeit“ struktureller Konflikte dennoch persönliche Verantwortung zu übernehmen, rührt nicht allein aus den höheren Entgelten, sondern auch aus der mit hochrangigen Stellen verbundenen persönlichen Wertschätzung und Statusgewinnen. So kann man immer noch mit genügend Bewerber für persönlich verantwortungsvolle Stellen rechnen. Ein Gatekeeper einer öffentlichen Verwaltung verdeutlicht den Zusammenhang von Personalisierung sachlicher Konflikte, Zurechnung persönlicher Problemlösekompetenz und Notwendigkeit der Potenzialentwicklung: Wenn jemand auf uns zukommt, dann ist in aller Regel der Grund ein Problem, wo die Führungskraft glaubt, es nicht selbst lösen zu können. Seien es Konflikte mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, seien es Konflikte mit der vorgesetzten Führungskraft, seien es Konflikte auf der gleichen Führungsebene, seien es Gestaltung von Veränderungsprozessen, sei es Umorganisation, sei es die Übernahmen einer neuen, erstmal sehr fordernden Führungsaufgabe, sei es dieser Rollenwechsel, vom „Sachbearbeiter hin zur Führungskraft. (…) wir wollen die LeistungsträgerInnen, also potenzialorientiert fördern durch dieses Instrument (Coaching, A.T.) ...“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) 78 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen Der Gatekeeper macht klar, wie viele organisationale Probleme auf Personen, hier eine Führungskraft, zugerechnet werden können. Obwohl „die Führungskraft glaubt, es (also die personalisierten Probleme) nicht lösen zu können“, wird die persönliche Zurechnung durch die Personalentwicklung unterstützt und bestätigt. Die geschilderte Einschätzung der Führungskraft kann von soziologischer Seite nur vollständig beigepflichtet werden. Diese organisationalen, personalisierten Problemlagen können von der Führungskraft tatsächlich unmöglich gelöst werden. Entscheidend aber ist: sie sollen auch gar nicht gelöst werden. Ganz im Gegenteil sollen die Programm- und Orientierungswidersprüche als Konfliktursachen nicht behoben, sondern noch gepflegt und ausgebaut werden. Nur so kann die Organisation Innovation und Tradition, Veränderung und Beständigkeit, „Mitsprache und Autonomie“ (vgl. Luhmann 1992), Forschung und Lehre, Individualität und Massengeschmack usw. nebeneinander, manchmal sogar gleichzeitig, je nach Gelegenheit realisieren. Dies gilt auch für die ganz eindeutig organisationalen Probleme „Veränderungsprozesse“ und „Umorganisierung“. Personalentwicklung/Coaching soll die Potenziale der Führungskraft stärken, nicht um diese Probleme zu lösen, sondern um sie zu ertragen. Unabhängig davon, ob die Potenziale tatsächlich gestärkt werden können bzw. ob das Personal tatsächlich im Sinne der Organisation entwickelt werden kann, bietet insbesondere das Coaching die organisierte und doch organisational folgenlose Möglichkeit, diese Paradoxien, Konflikte, Widersprüche und persönlichen Belastungen zu ventilieren. Mit Coaching wird ganz offiziell ein versiegelter Kommunikationsraum geschaffen, personalisierten Ärger, Frust, Überlastungen usw. ganz inoffiziell auszusprechen. Sofern man neben dieser entscheidenden Ventilfunktion der Personalentwicklung und des Coachings noch nach echten Möglichkeiten der zielgerichteten Entwicklung von Personal fragt, ruft man sich besser in Erinnerung, dass erwachsenen Personen kaum mehr absichtsvoll zu „entwickeln“ sind. Die zugrunde liegende Überzeugung vieler Personalentwickler jedoch ist, dass Personen immer über genügend Potenziale oder Ressourcen bzw. über einen ausreichend ausgestatteten „Werkzeugkasten“ verfügen (vgl. Fiedler 2004). Potenziale, Tools oder Ressourcen stellen sich aber bei genauerem Hinsehen als allgemeine Methoden der Führung, Konfliktlösung, Kommunikationsstile usw. heraus. Die Vermutung 79 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse liegt nahe, dass die Entwicklung der „persönlichen Potenziale“ viel mehr ein Finden von geeigneten Methoden der Problemverschiebung ist. Die Frage, wie es Personalentwicklung gelingen sollte, externalisierte, auf Personen zugerechnete Probleme zu bearbeiten, obwohl sie gar nicht von der Person verursacht sind, erhält damit eine neue Richtung. Personalisierte Probleme werden demnach auch nicht von Personen gelöst, sondern durch nicht persönliche, generelle Methoden verarbeitet. Dass es sich um generelle, nicht persönliche Methoden handelt, ist ja überhaupt die Voraussetzung für allgemeine Personal- und Führungskräfteentwicklung. Handelte es sich tatsächlich um persönliche Methoden, Verhaltensweisen und Einstellungen, könnten sie nicht generalisiert vermittelt werden. Eine wichtige Funktion der Personalentwicklung besteht also darin, die Personalisierung organisationaler Konflikte und ihre Verarbeitung auf personaler Ebene zu systematisieren. Dadurch übernimmt Personalisierung für die Organisation eine Strukturschutzfunktion. Die vielschichtigen und widersprüchlichen Programmstrukturen der Organisation können zugleich realisiert werden, weil resultierende Konflikte, wenn sie manifest werden, auf Personen externalisiert werden. Die Personalisierung bedeutet aber auch einen PersonenNarzissmus zu fördern, welcher die Verantwortungsübernahme auf Seiten des Personals motiviert. Daraus resultiert die Tendenz, die Bedeutung von Personen zu überschätzen (Luhmann 2000: 286). Die Personalentwicklung macht sich diese Überschätzung zugute, indem sie dem Personal Mangelhaftigkeit, Entwicklungsnotwendigkeit, aber auch Erfolge bestätigt. Inzwischen stehen eine Reihe von etablierten Instrumenten der Diagnostik, Entwicklung und Evaluation zur Verfügung. Die Entwicklungsinstrumente, wie Seminar, Training, Workshop usw., sind inzwischen ergänzt durch Diagnoseverfahren, wie Assessmentcenter, Mitarbeitergespräche, Führungsgespräche, 360°-Feedback usw., die zugleich der Evaluation dienen. Diese Beurteilungsverfahren werden regelmäßig eingesetzt, um die „Potenziale“ von Personen zu ermitteln. Damit sollen persönliche Defizite objektiviert und bearbeitbar gemacht werden. In der Folge werden Entwicklungspläne entworfen, die zum Ziel haben, das Abschneiden in der nächsten personaldiagnostischen Prüfung zu verbessern. Ein Gatekeeper berichtet beispielsweise von einem Coaching, das die persönliche Bewertung in einem Assessmentcenter zur Auswahl von potenziellen Führungskräften verbessern soll: 80 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen „Ein Managementplanungsprozess heißt, dass sie als Führungskraft in einem regelmäßigen Zyklus jährlich eine Potenzialaussage bekommen zu ihrer Position. Da gibt es eine Aussage der Führungskraft als Fremdbewertung und dann gibt es eine Eigenbewertung und zum Teil gibt es dann, je nach Unternehmensgesellschaft, gibt es dann auch noch ein Interview, das geführt wird. (…) Und da bin ich zum Beispiel in eine Coachingsituation gebeten worden“ (Weber, Unternehmen 2) Die Personalentwicklung verfügt nun über die Mittel, Mängel nach eigenen Kriterien festzustellen. Zugleich verfügt sie über eigene Maßnahmen, die diesen Mängeln Abhilfe verschaffen kann. Damit reguliert sie Bedarf und Befriedigung personalisierter Defizite. Es kommt zur „Schließung des ‚Personalentwicklungszyklus’“ (Kühl 2005a: 14 ff.). Die These in diesem Abschnitt lautete, dass Personalentwicklung dazu beiträgt, organisationale Konflikte und Widersprüche nicht zu lösen, sondern auf Personal zu externalisieren. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, wie die personalisierten Probleme auf der Ebene des Personals bearbeitet werden können. 5.3 Die Lösung personalisierter Konflikte Die Praktikerliteratur der Coaches und stärker noch der Supervisoren setzten als zentralen Mechanismus zur Steigerung der Lösungskompetenz von Personen auf Reflexion (vgl. Böning/Fritschle 2005: 181; Koch 2005; Klinkhammer 2004; Giesecke/Rappe-Giesecke 1997). Die Wertschätzung der Reflexion taucht auch regelmäßig bei Gatekeepern auf: „ein großer Schwerpunkt der Trainings ist ja die Reflexion von konkreten Situationen. Also bei uns ist es üblich, dass man tatsächlich gleich in die Praxis geht und an Hand von konkreten oder auch Echtsituationen Themen bespricht.“ (Hartmann, Medienanstalt 1) „aber ich sage mal, (…) ja, könnte es sein, dass es noch mal schwieriger ist zuzugeben und zu sagen, ich bin an einem Punkt, an dem es besser ist, wenn ich mich mal reflektiere“ (Weber, Unternehmen 2) 81 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse „Also ihn immer zur Selbstreflexion bewegen und zum Perspektivenwechsel zu bewegen. Also das ist unser Verständnis vom Coaching.“ (Braun, öffentliche Verwaltung 2) Warum aber sollte die Reflexion auf Probleme zu Lösungen führen? Wenn man davon ausgeht, dass viele solcher Probleme personalisiert wurden und im Grunde von sachlichen Widersprüchen in der Organisation herrühren, können diese Probleme von der Person gar nicht gelöst werden. Bewusstmachung durch Reflexion kann hier auch nicht weiterhelfen. Für die Organisation wäre es jedenfalls funktionaler, wenn die personalisierten Probleme nicht gelöst würden, um den Strukturschutz zu gewährleisten. Was in Angeboten der Personalentwicklung bewusst werden kann, ist, dass man als Person die organisationalen Probleme nicht lösen kann. Darin liegt aber eine gewaltige Verhaltenserleichterung, wenn die Person von ihrer Rolle ein Stück zurücktreten kann und erkennt, dass die belastenden Probleme nicht der Person, sondern nur der Rolle geschuldet sind. Die Rolle muss zwar erfüllt werden, die Person aber erhält Freispruch und mehr noch, die Person ist die einzige Rettung für die Rolle. Um moderne, organisationale Rollen ausüben zu können, muss die Differenz von Rolle und Person gesellschaftlich verfügbar sein. Fallen Person und Rolle in eins, wie das in vormodernen Gesellschaften üblich ist, macht es keinen Sinn, zwischen der Person und der Rolle zu unterscheiden. Der König ist immer König und nicht nur von 8 Uhr bis 5 Uhr. Probleme ergeben sich bei einer solchen Person/RolleIdentität bei Nachfolgeregelungen, weil es kaum legitim scheint, dass mit der Person nicht auch die Rolle stirbt (vgl. Luhmann 1987: 431). In modernen Verhältnissen bereitet die Nachfolgeregelung keine Legitimitätsprobleme mehr und es ist selbstverständlich, dass selbst Kanzler, Präsidenten und Päpste als Rollen und nicht als Personen bestehen. Jetzt gibt es immer noch eine Person hinter dem Amt, für die sich insbesondere der massenmedial inszenierte Klatsch interessiert (so z.B. Osterkorn 2005). Die Person/Rolle-Differenz ist eine Voraussetzung für moderne Organisation. Nur weil man Personen rekrutieren, versetzen und wieder entlassen kann, ohne immer Rücksicht auf die ganze Person nehmen zu müssen, sind moderne Organisationen entstanden. In vormodernen Organisationen, etwa Klöstern oder Gilden, war die 82 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen ganze Person inkludiert. Solche Organisationen erreichten kaum Unabhängigkeit von ihren Mitgliedern. Sie waren belastet mit den ganzen Personen ihrer Mitglieder29. Mit der Industrialisierung zeigt sich erstmals auf breiter Front das gewandelte Verhältnis von Person und Organisation. Ein Proletariat wird verfügbar, für das aber nicht mehr die gesamte Lebensveranwortung durch den Dienstherrn übernommen werden muss. Personen können unter Abstraktion ihrer Lebensverhältnisse für organisationale Rollen rekrutiert werden, was gesellschaftlich zur „Sozialen Frage“ führt. Organisationen können jetzt die Inklusion ganzer Personen erfolgreich ablehnen. Zu groß sind die sozialen Gewinne, um in vormoderne Verhältnisse zurückzufallen. Die Differenz von Person und Rolle hat sich durchgesetzt. Wenn heute von Personalentwicklung die Rede ist, dann stellt sich die Frage, warum sich Organisationen um die Entwicklung von Personen bemühen sollten, die doch nur in Rollen rekrutiert sind. Die Antwort kann sicherlich nicht darin liegen, dass die Person/RollenDifferenz aufgehoben werden soll. Welche Organisation wollte heute schon so schwerfällig wie mittelalterliche Klöster oder Gilden sein? Verstärkt die ganze Person einzubinden, würde die Organisation unflexibel und abhängig von ihrem Personal machen. Das kann in Krisenzeiten der Organisation hilfreich sein, wenn Normen versagen und stattdessen persönliche Führung erwünscht ist. Insgesamt aber profitieren Organisationen von ihrer relativen Unabhängigkeit selbst von ihren Führern. Was Organisation von Personen benötigt, ist die Ausübung von Rollen. Personen sollen gerade nicht mit ihren persönlichen Vorlieben, Geschmäckern, Verhaltensprogrammen, Vaterkomplexen, psychischen Eigenheiten usw. die Organisation belasten. Solche Personmerkmale können zwar als Potenziale oder Ressourcen beschrieben werden, stellen aber die Grenzen organisationalen Handelns dar. Personen, die sich selbst als Pazifisten verstehen, wird man nur dann zur Bearbeitung von Rüstungsaufträgen motivieren können, wenn man das von ihnen als Mitglied der Organisation und nicht als Person verlangt. Was Personalentwicklung hier erreichen kann, ist aber, die Unbestimmtheitszone, „zone of indifference“ (Barnard 1971), individuell auszuloten. Man kann davon ausgehen, dass Personen, die Rollen in Organisationen ausüben, einen Teil ihrer 29 Coser spricht hierbei von „greedy organizations“ (Coser 1967). 83 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse Arbeitsfähigkeit, also einen bestimmten Verhaltensbereich der Organisation zur Verfügung stellen. In diesem Bereich verfolgen Personen nicht eigene Motive, sondern verhalten sich nach Maßgabe der Organisation. Persönliche Wünsche, Antriebe, Ziele usw. sind für einen bestimmten Verhaltensbereich ausgeblendet und stehen für die Erfüllung organisationaler Aufgaben zur Verfügung. Persönliche Motive können hier nur dann hilfreich sein, wenn sie zufällig mit Anforderungen der Organisation übereinstimmen. Die Synchronisation ist aber aufwändig und ihr Gelingen eher unwahrscheinlich, weil Organisationen schnell opportunistisch zwischen verschiedenen Wertgesichtspunkten und entsprechenden Programmen wechseln. Müsste man in jedem Fall zuerst persönliche Motive abfragen und versuchen, Kongruenz herzustellen, wären die meisten Gelegenheiten längst passé. Die wichtigste Motivation, Organisationen einen indifferenten Verhaltenbereich anzubieten, besteht in der monetären Entlohnung. Als allgemeines Zahlungsmittel dient Geld der Realisation verschiedenster Motive. Verzichtet man innerhalb der Organisation auf die Durchsetzung eigener Motive, erhält man dafür ein generalisiertes Kommunikationsmedium, mit dem man eigene Bedürfnisse außerhalb der Organisation umso effektiver befriedigen kann. Der Verzicht auf eigene Motivverfolgung gelingt umso besser, umso deutlicher gemacht werden kann, dass man nicht als Person, sondern nur als Person in einer Rolle handelt. Das Rollenhandeln ermöglicht es erst, sich indifferent zu geben, weil man sich persönlich distanzieren kann. Man kann in Rollen darstellen, dass man persönlich ein bestimmtes Verhalten nur ungern an den Tag legt, aber durch die Rolle dazu gezwungen sei. Der Rückzug auf eine Rolle stellt für die Person einen Schutzraum dar. Ein Rollenverhalten als persönlich zu kennzeichnen, birgt daher immer ein Risiko für die Person. Unpersönliche Rollenerfüllung ist insofern Personenschutz. Dies gilt aber nur, wenn sich die Person/Rolle-Differenz etabliert hat, wenn also klar ist, dass man hinter der Rolle auch noch als Person vorkommt und nicht vollständig in der Rolle aufgeht. Personen können von ihren Rollen profitieren, wenn sie sich in positiv gewerteten Elementen zu ihrer Rolle bekennen. Die Konzernleitung wird den Abbau von Arbeitsplätzen typisch als persönlich bedauerlich kennzeichnen, während sie die Schaffung von 84 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen Arbeitsplätzen als persönliches Wunschziel kommuniziert, obwohl dies gleichfalls nur Rollenhandeln ist. Rollenhandeln bietet immer die Möglichkeit durch opportunistische Darstellung von Rollendistanz bzw. Rollenidentifikation Wertschätzung der eigenen Person zu erlangen. Diesem Opportunismus sind jedoch Grenzen gesetzt durch die strenge Beobachtung in Organisation. Personen beobachten einander in ihrem Rollenhandeln und ob Rollendistanz und -identifikation strategisch eingesetzt wird oder „ehrlich“ persönlich motiviert ist. Grundsätzlich wird die dargestellte Distanz von Rollen als persönliches Verhalten geschätzt, weil darin eine Person zum Vorschein kommt, die nicht mit wechselhaften Organisationsklima schwankt. Rollendistanz ist für die Organisation in jenen Situationen hilfreich, in denen die formalen Rollenerwartungen nicht erfüllt wurden. Man kann dann quasi auf die persönlich Ebene wechseln und dadurch Situationen retten. Goffman (1973b) hat dies am Beispiel einer chirurgischen Operation beschrieben. Der Operationsschwester unterläuft ein Fehler, worauf der leitende Chirurg die Situation retten kann, indem er nicht in seiner formalen Rolle den Fehler bemerkt und bemängelt. Stattdessen überspielt er den Fehler mit einem verbindlichen Scherz und sichert so das reibungslose Gelingen der Operation. Um so handeln zu können, muss die Person/Rolle-Differenz verfügbar sein. Nur dann kann man sich von seiner organisationalen Rolle distanzieren und auf persönliche Ebene ausweichen. Umso besser die Person Abstand zu ihrer organisationalen Rolle wahren kann, umso entspannter kann sie die Rolle ausüben. Ist der Unterschied klar, kann man Rollen neu konzipieren, verändern, flexibel anpassen, ohne die Personen austauschen zu müssen. Daraus ergibt sich, dass es dysfunktional wäre, Personen durch gezielte Entwicklung quasi gewaltsam an die Rolle anpassen zu wollen. Demselben Missverständnis unterliegen auch Forderungen nach stärkerer Identifikation mit organisationalen Rollen, wie sie in der Literatur zur Personalentwicklung unter den Begriffen „highcommitment, high-involvement and high-performance management“ vertreten werden (vgl. Wood 1999: 369 ff.). Solche ideologischen Tendenzen, den Unterschied von Rolle und Person zu minimieren, führen gerade nicht zu erhöhter Effektivität im Rollenhandeln. Hilfreich kann nur sein, den Unterschied zwischen Rolle und Person 85 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse zu verstärken. Nur wenn Personen nicht dauerhaft und vollständig in ihren Rollen aufgehen, bleiben Personen überhaupt hilfreich zum Ausgleich widersprüchlicher Rollenerwartungen. Es stellt sich die Frage, wie Personalentwicklung oder Coaching erfolgreich sein kann, wenn es doch immer nur um die Personalisierung organisationaler Probleme und Konflikte geht. Die so hoch geschätzte Rollendistanz ist immerhin ein Gegenprinzip zur Personalisierung von Konflikten. Während man in Rollendistanz darstellen kann, dass organisationale Probleme gerade nicht persönliche Probleme sind, rechnet die Personalisierung diese Probleme auf Personen zu. Man müsste aus dieser Argumentation folgern, dass Personalentwicklung nicht sehr erfolgreich sein kann, personalisierte Probleme effektiv zu bearbeiten. Die Aussagen der Gatekeeper sprechen jedoch dagegen. Demnach gibt es große Erfolge durch Coaching personalisierte Probleme zu mildern. Dieser empirische Befund ist erklärungsbedürftig. Eine Erklärung ergibt sich, wenn man sieht, dass Personalentwicklung gar nicht persönlich-individuelle, sondern generelle Methoden und Techniken der Problem- und Konfliktbearbeitung anbietet. Ein Blick in die Fortbildungsbroschüren der interviewten Organisationen zeigt, dass in Trainings und Seminaren allgemeine Techniken geschult werden: wie man besser verkauft, wie man besser Konflikte löst, wie man besser kommuniziert, wie man besser führt usw. Diese generellen Techniken betonen die Person/Rolle-Differenz, weil sie faktisch Veränderungen am Rollenverhalten und nicht an der Person fordern. Reflexion über personalisierte Probleme dient in erster Linie dazu, den unveränderlichen persönlichen Bereich zu identifizieren. Es geht darum, die persönlichen Grenzen der Indifferenzzone auszuloten. Ziel der Maßnahmen kann es nur sein, den Personen klarzumachen, dass sie als Rolleninhaber und gerade nicht als Person bestimmte Techniken, Methoden, Führungsstile, Kommunikationsweisen usw. anwenden können. In Seminaren, Trainings, Workshops, Coaching, Supervision usw. haben Personen Gelegenheit, sich als Person mit ihren persönlichen oder personalisierten Problemen darzustellen. Zur Lösung dieser Probleme geht es jedoch nicht darum, diese Personen zu verändern. Viel mehr geht es um die Vermittlung hilfreichen oder notwendigen Rollenverhaltens, um die Situation, das Problem, den Konflikt zu lösen oder wenigstens handhabbar zu machen. Nur wenn Personalentwicklung die Grenze zwischen Rolle und Person 86 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen herausarbeitet und Verhaltensänderung im Bereich des persönlich indifferenten Rollenverhaltens intendiert, kann sie Erfolge verbuchen. Die oben schon angesprochene Ventilfunktion z. B. von Coaching unterstreicht ebenfalls die Differenz von Person und organisationaler Rolle. Man kann Umstrukturierungen, das Team, Widersprüche und Paradoxien der Organisation persönlich zum Kotzen finden. Erleichterung stellt sich schon ein, wenn man Gelegenheit hat, sich davon in Selbstdarstellungen zu distanzieren. All diese Problemlagen sind weit einfacher zu ertragen, wenn man sich selbst davon distanzieren kann und verstehen lernt, dass man nur in einer Rolle und nicht persönlich handelt. Dem aufgestauten Ärger Luft zu machen ist ein erster, vielleicht der wichtigste Schritt. Diese Ventilfunktion ist es auch, die den Vergleich mit funktionalen Äquivalenten für Coaching anleitet (vgl. 8.4 Funktionale Äquivalente zu Coaching). Personalisierte Probleme und Konflikte können durch Personalentwicklung insofern bearbeitet werden, als Personen generelles Rollenverhalten erlernen können, sofern dies in ihre individuelle Indifferenzzone fällt. Die zunehmende Individualisierung von Personalentwicklungsmaßnahmen, wie Coaching, Mediation, Mentoring, Sparring usw., dient dazu, die Grenzen der Persönlichkeit auszumachen, um dann geeignete Methoden und Techniken der Problemverarbeitung anzubieten, die in die persönliche Indifferenzzonen fallen. Die Grenzen der Indifferenzzone selbst sind nicht unveränderlich. Sie variieren für jede Person mit der Motivation, auf eigene Motive zu verzichten. Je mehr eine Person dafür motiviert werden kann, keine eigenen Motive zu verfolgen, desto weiter sind die Grenzen der Indifferenz. Polemisch könnte man konstatieren, dass Personen käuflich sind und jede ihren Preis hat. Für die Organisation und ihre Eigenständigkeit ist es jedoch wichtig über generalisierte Motivationsmedien zu verfügen. Wie schon ausgeführt besteht das wichtigste Medium in Geldzahlungen. Die Übernahme persönlicher Verantwortung motiviert aber auch eine Reihe von Personen durch die Aussicht auf Statusgewinne. 5.3.1 Ein Beispiel zur Lösung personalisierter Probleme Leider liegen kaum brauchbare empirische Studien über die hier interessierenden Techniken der Personalentwicklung – Coaching, Supervision, Mentoring –vor. Eine Ausnahme findet man in einer 87 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse „objektiv hermeneutischen Sequenzanalyse“ einer Supervisionssitzung in einem Krankenhaus von Ulrich Oevermann (2001). In dieser Studie bringt ein Psychotherapeut sein „persönliches“ Problem ein, dass die weitere Therapierung einer bulimischen Patientin aus professionellen Kriterien indiziert sei, während die organisationale Regelung nach den 25 absolvierten Sitzungen die Beendigung der Therapie vorsieht. Das zugrunde liegende „Strukturproblem“, das in diesem Fall durch das Konditionalprogramm „Wenn eine Therapie bei einer bulimischen Patientin durchgeführt wird, dann sind dafür 25 Sitzungen vorgesehen“ verursacht wird, kann in der Sitzung nicht deutlich gemacht werden. Stattdessen wird mehr oder weniger Verständnis für die persönlichen Nöte des Therapeuten gezeigt. Für den Therapeuten ist die Darstellung des „persönlichen“ Konflikts eine wichtige Gelegenheit, um sein professionelles „Image“ (im Sinne Goffmans) zu bewahren. Die Sitzung ist aber auch eine Gelegenheit für den Therapeuten wie für seine Zuhörer, Rollendistanz zu zeigen, indem sie die Probleme thematisieren, die mit der Ausübung der organisationalen Rolle verbunden sind. In der Folge können widersprüchliche (organisationale versus professionelle) Logiken weiter nebeneinander gelten, weil sie als Gegebenheiten der organisationalen Rolle kenntlich gemacht wurden und nicht als Kennzeichen widersprüchlicher (schizophrener?) Persönlichkeiten deutbar sind. Dass man persönlich damit nicht einverstanden sei, konnte organisational folgenlos, aber wichtig für die persönliche Darstellung, in der Supervisionssitzung angebracht werden. Die Akzeptanz der organisationalen Regeln fällt im Anschluss umso leichter, weil man sich als persönlich distanziert von der Rolle darstellen konnte. Die Interaktionsförmigkeit der Supervision und vieler anderer Maßahmen der Personalentwicklung unterstützt nicht nur die Selbstdarstellungschancen von Personen. Zugleich schützt die Komplexitätsarmut der Interaktion vor allzu genauer Analyse des Problems. Allein die Notwendigkeit ein gemeinsames Aufmerksamkeitszentrum zu unterhalten, beschränkt den sachlichen Tiefgang der Ausführungen. Beiträge, die ganz offensichtlich auf mangelnde Aufmerksamkeit oder auch mangelndes Problem- und Situationsverständnis beruhen, müssen verarbeitet werden und strapazieren so die zeitlichen Ressourcen auf Kosten sachlicher Komplexität (vgl. Luhmann 2005d: 11 f.). 88 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen Die persönliche Anwesenheit unterstützt zudem die Personalisierung von Problemen. Probleme werden von Personen vorgetragen und der Problemvortrag kann nicht von der persönlichen Darstellung getrennt werden (vgl. Goffman 2003). Sachliche von persönlichen Problemen zu trennen, gelingt offensichtlich auch professionellen Supervisoren nicht, was weniger als persönlicher (sic!) Mangel der Supervisoren gewertet werden muss, sondern der strukturellen Eigenart von Interaktion geschuldet ist. Letztlich wirkt die Konfliktscheu der Interaktion gegen die Aufdeckung von strukturellen Konflikten, sofern und weil sie personalisiert vorliegen. Nur wenige scheuen nicht das Risiko, die Interaktion in einen Konflikt zu stürzen. Insbesondere die Leiter solcher Sitzungen, also Supervisoren, Coaches, Trainer, Mediatoren usw., haben ganz explizit den Auftrag, persönliche Konflikte zu vermeiden. Bei aller Bemühung der persönlichen Konfliktvermeidung werden, wie im Beispiel von Oevermann deutlich, die zugrunde liegenden strukturellen Probleme leicht übersehen. Obwohl der Therapeut im Beispiel von Oevermann sein Problem insgesamt dreimal vorträgt, werden die strukturellen Konfliktursachen nicht erkannt. Der Strukturschutz funktioniert tadellos, weil das Problem immer auf der persönlichen Ebene des Therapeuten verortet bleibt. 5.3.2 Möglichkeiten erfolgreicher Personalentwicklung Die Interaktionsförmigkeit bewährt sich als Strukturschutz und unterstützt die Personalisierung von Konflikten und Widersprüchen. Zudem bieten Interaktionen Gelegenheit, sich über Probleme der Arbeitsrolle zu beklagen. Gerade für Führungskräfte stellen solche Gelegenheiten eine Art institutionalisierter Klagemauer dar. Deren Funktion liegt nicht im emotionalen Ventilieren, indem starke Mitarbeiter und Führungskräfte auch mal schwach sein und sich ausheulen dürfen. Die Funktion liegt auch in der Möglichkeit, Rollendistanz zu üben. Der Versuch, durch Angebote der Personalentwicklung die Verhaltenslast der formalen Rolle durch Rollendistanz zu minimieren, muss als paradoxes Unterfangen anmuten. Immerhin ist die Teilnahme an den Angeboten der Personalentwicklung Teil der formalen Rolle von Mitarbeitern und Führungskräften. Wie soll man aber innerhalb der formalen Rolle Distanz von derselben üben? Die beste Lösung oder besser: Entfaltung für dieses Paradox ist garantierte formale 89 „Persönliche“ Probleme in Organisationen Analyse Folgenlosigkeit. Man bietet Situationen an, in denen sich Personen von ihren Rollen distanzieren können, ohne dass sie irgendwelche formalen Folgen daraus befürchten müssen. In diese Richtung gehen Weihnachtsfeiern oder Betriebsausflüge, deren Geselligkeit aber letztlich doch immer prekär bleibt. Man kann sich nicht so recht entscheiden, ob die Situation garantiert folgenlos ist oder ob nicht doch formale Folgen zu befürchten sind, wenn man sich ganz locker gibt. Auch die Vertraulichkeit und Abgeschiedenheit von Seminar, Training, Workshop usw. erfüllt nur ihren Zweck, wenn Folgenlosigkeit garantiert ist. Diese Garantie kann aber eigentlich nicht geglaubt werden, sofern andere Organisationsmitglieder beteiligt sind. Die Interaktion steht immer noch unter einer Beobachtung zweiter Ordnung, die das Geschehen auf Verwertbarkeit in der Organisation prüft (Kieserling 1999: 362). Deshalb wird man in Gruppen nie das volle Vertrauen in Folgenlosigkeit entwickeln können und die Chancen, sich mit hemmungslosem Schimpf und Lästerung des Chefs, der Kollegen und der ganzen Organisation die Seele zu erleichtern, sinken entsprechend. Hat man sich jedoch erstmal ausgekotzt oder auch ausgeheult, arbeitet es sich anschließend wieder viel angenehmer. Coaching und andere Formen der Beratung „unter vier Augen“ (Looss 1991; 1997) maximieren das Prinzip der garantierten Folgenlosigkeit: „Also Sie können eher mal eine Vogelperspektive einnehmen nach einer gewissen Unterstützung, sonst sind sie immer in einer Froschperspektive, sind also nur im Problem drinnen und sehen nicht mehr heraus. So, das ist einmal das eine. Und sie haben meistens eine neutrale Person, also den Coach, der ebenfalls ihnen hilft, eine andere Perspektive einzunehmen. Und beides zusammen hilft dann oft schon, sage ich mal, das Problem aufzuweichen. Zu lösen, das will ich jetzt mal nicht sagen, aber in jedem Falle eine andere Perspektive einzunehmen und das bringt oft schon eine Verbesserung der ganzen Situation.“ (Koch, Unternehmen 3) Angeboten werden ein „Perspektivwechsel“ und eine „neutrale Person, also den Coach“, die beide für Vertraulichkeit und Folgenlosigkeit stehen. Dass solche personalisierten Probleme nicht gelöst werden können, wird von diesem Gatekeeper erkannt. Ebenso deutlich wird aber, dass die Gelegenheit Rollendistanz zu üben, erhebliche Verhaltenserleichterungen nach sich zieht. Obwohl diese Intervention der Personalentwicklung keine Lösung der Probleme 90 Analyse „Persönliche“ Probleme in Organisationen verspricht, tritt doch „oft schon eine Verbesserung der ganzen Situation“ ein. Garantierte Folgenlosigkeit ist im Grunde nur eine andere Formulierung für die garantierte Differenz von Person und Rolle. Die Person kann sich erleichtern, wenn sie sich zeitweise von der Rolle distanziert. Dies kann sie aber nur, wenn gewährleistet ist, dass sie das als Person und nicht als Rolleninhaber demonstrieren kann. Die Folgenlosigkeit bzw. Grenzziehung muss natürlich auch in die andere Richtung von der Rolle zur Person garantiert sein. Das Hinzulernen von neuen Verhaltensweisen, Kommunikationstechniken, Führungsstilen usw., Ziel der hier verhandelten Maßnahmen von Personalentwicklung, kann umso besser funktionieren, je folgenloser das Gelernte für die Person bleibt. Selbst völlig antiautoritäre Personen können in organisationalen Rollen Autorität ausüben, wenn für die Person klar ist, dass dies nur in der Rolle geschieht. Jahrelange Rollenausübung wird sicherlich einen sozialisierenden Effekt auf die Person ausüben. Aber kurzfristig gesehen steigert die Differenz von Rolle und Person die gegenseitige Unabhängigkeit von Organisation und Personen. Personalentwicklung wird umso erfolgreicher sein, je stärker sie diese Differenz betont. Daraus folgt, dass man sich entscheiden muss zwischen der Entwicklung von Rollen und der Entwicklung von Personen. Wer beides gleichsinnig entwickeln will, lässt sich die Möglichkeiten der Rollendistanz entgehen und wird viel Aufmerksamkeit der Synchronisation von Rolle und Person widmen müssen. Beachtet man die Änderungsresistenz erwachsener Personen, fällt die Entscheidung leicht, sich auf Rollenentwicklung zu konzentrieren. Mehr kann Organisation ohnehin nicht anbieten, will sie nicht als „totale Institution“ (Goffman 1973a) ihre Mitglieder depersonalisieren30. 30 In diesem Sinne lässt sich Vollinklusion auch als Zusammenbruch der Person/Rolle-Differenz interpretieren. 91 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten 6 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Nach diesen Überlegungen zu Funktionen der Personalentwicklung richtet sich die Analyse jetzt auf Vorgesetzte als Coachees. Wie aus den Experteninterviews hervorgeht, besteht die Zielgruppe von Coaching aus Vorgesetzten der unteren und mittleren Hierarchieebenen. Bisweilen wird aber bekannt, dass Topmanager ebenfalls Coaches und persönliche Berater engagieren, diese Beratungen werden aber nicht über die Gatekeeper in den Abteilungen für Personalentwicklungen abgewickelt. Ebenso wie Personalentwicklung auch sonst nicht an die Organisationsspitzen heranreicht, so wird auch Coaching für oberste Vorgesetzte nicht durch die Personalentwicklung organisiert. Eine zentrale Frage auf der Suche nach der organisationalen Funktion von Coaching richtet sich auf die Anlässe, die zu einem Coaching führen. Immer wieder wurden typische Situationen genannt, in denen Coaching in Erwägung gezogen wird: „Fälle, die mir spontan einfallen: das war einmal eine Konfliktsituation, wo eine Führungskraft massive Probleme hatte mit der Führungsebene über ihm.“ (Hartmann, Medienanstalt 1) „Übernahme neuer Aufgaben, Wechsel in der Organisationsstruktur oder so, dann könnte Coaching interessant werden.“ (Hartmann, Medienanstalt 1) „die klassischen Coachingansätze sind bei uns Übernahme einer neuen Führungsfunktion, Übernahme einer höherwertigen Führungsfunktion (…) also Stellenwechsel, Veränderungsprozesse, Konflikte. Das sind die klassischen vier Bereiche.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) „das sind, sage ich jetzt mal, die ganz individuellen Verarbeitungsmechanismen der Leute, die mit dieser Situation, die vorhanden ist, nicht umgehen können. Das könnte sein: Konflikt zwischen Kollegen, Konflikt mit dem eigenen Chef, Konflikt mit Mitarbeitern.“ (Koch, Unternehmen 3) „Coaching würden wir jetzt einmal, aber da sind wir noch nicht sehr weit gediehen, als eine Möglichkeit der Begleitung, der qualifizierten 92 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Einführung vor oder bei der Übernahme von Leitungstätigkeiten anzubieten.“ (Richter, Kirche) „also ich hab heutzutage die Möglichkeit, jeder Führungskraft zu helfen, die kommt, die sagt, pass auf, ich hab hier ne neue Stelle, ich hab eine neue Rolle, die ich einnehme im Unternehmen, ich bin verantwortlich für eine ganz neue Abteilung. Oder eine Führungskraft kommt und sagt, mir ist eigentlich bei (dem Führungskräftetraining) mal ein bisschen was klar geworden, das sind ein paar Themen bei mir in der Abteilung, die laufen nicht so rund.“ (Krause, Medienanstalt 2) „Also die Begleitung in eine neue Aufgabe oder in ein neues Team, das ist auch sehr häufig Anlass für ein Coaching.“ (Wolf, Finanzdienstleister 2) Vor allem drei organisationale Ereignisse bringen regelmäßig Coaching in Erwägung: Konflikte, Stellenwechsel und Strukturreformen. Im Folgenden werden diese Indikationen im Zusammenhang mit der Rolle von Vorgesetzten diskutiert. 6.1 Vorgesetzte und ihre Konflikte Vorgesetzte sind von organisationalen Konflikten besonders betroffen, weil sie die formale Entscheidungsstelle für organisationale Konflikte ist, die auf niedrigeren Rängen nicht geklärt werden können. Eine der wichtigsten Funktionen von Vorgesetzten liegt in der Umwandlung von Konflikten von Mitarbeitern in einen inneren Konflikt der Führungsrolle (Luhmann 1999: 214)31. In den meisten Organisationen sind potentiell konfligierende Sachlogiken in verschiedenen Organisationseinheiten, Abteilungen oder auch Stellen differenziert. Damit lassen sich die unteren Einheiten zwar eindeutiger durchrationalisieren. Auf der Ebene der Vorgesetzten müssen aber die differenzierten Logiken wieder zusammengeführt werden. Verschie31 Stefan Kühl hat in einem nicht-öffentlichem Vortrag darauf hingewiesen, dass die Internalisierung konfligierender Logiken in die Führungsrolle nicht nur als Verhaltenslast für Vorgesetzte/Führer verstanden werden darf. Denn es resultieren daraus auch erhebliche Freiheitsgrade für den Rollenträger, weil man beide Orientierungen gegeneinander ausspielen kann. 93 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse dene Untergebene mit einer Reihe von differenten Sachlogiken liegen in einer Art institutionalisiertem Dauerkonflikt: der Einkauf tickt immer anders als die Produktion; die Verwaltung entscheidet immer ohne Verständnis für die Fachabteilung, Betriebswirtschaftler im Controlling wollen Prozesse steuern, die nur Ingenieure zu verstehen glauben usw. Die Institutionalisierung des Konflikts rührt aus funktionaler Differenzierung innerhalb der Organisation unterschiedlicher Größen und Organisationsformen, vom einzelnen Spezialisten bis hin zur tausende Mitarbeiter umfassenden Organisationseinheit. Spätestens an der Vorgesetztenposition prallen diese verschiedenen Programme aufeinander und müssen entschieden werden. Ob diese Entscheidung autoritär erfolgt oder in Teamsitzungen herbei moderiert wird, ist dabei einerlei. Letztlich bleibt die Verantwortung bei der Führungskraft, die konfligierenden Sachlogiken und die damit identifizierten Personen möglichst opportunistisch aufeinander zu beziehen. Insbesondere soll die Formalisierung des Konflikts vermieden werden. Eine formale Entscheidung über einen Konflikt birgt nicht nur für die Konfliktparteien das Risiko, enttäuscht zu werden, sondern auch für die Organisation das Risiko, bestimmte Sachlogiken generalisiert vor anderen vorziehen zu müssen. Durch formale Entscheidungen, die in formale Programme münden können („wenn das ein dauernder Streitpunkt ist, dann machen wir das in Zukunft nur noch so, um da endlich mal Klarheit zu schaffen“), verbietet sich die Organisation selbst, situativ und an günstigen Gelegenheiten orientiert bestimmte Sachlogiken zu beachten. Luhmann benennt eine weitere wichtige Funktion von Vorgesetzten: der Vorgesetzte verbindet Kommunikationsnetze auf verschiedenen hierarchischen Ebenen (Luhmann 1999: 211 ff.). Er ist Mitarbeitern ebenso verpflichtet wie übergeordneten Stellen. Gegenüber beiden Ebenen übernimmt er eine Filterfunktion. Der in der Literatur häufig bemängelte Informationsverlust in der hierarchischen Kette, muss als funktional hilfreiche Informationsfilterung begriffen werden. Nicht alles, was auf der Ebene der Mitarbeiter geschieht, ist für den Vorgesetzten der Führungskraft von Belang. Genauso wenig dringt alles, was ein Vorgesetzter von seinem Vorgesetzten erfährt, zu den Mitarbeitern durch. Darin liegt die wesentliche Funktion der Informationsverarbeitung. Baut man Hierarchie ab, muss man dagegen mit Informationsüberlastung des gesamten Systems rechnen (vgl. Kühl 2001; 2002a). Hierarchische Stellen sorgen dafür, dass Vorgesetzte und Mitarbeiter weniger 94 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Informationen zu verarbeiten haben. Gibt es keine Rückmeldung, dann ist alles in Ordnung (vgl. Walgenbach/Kieser 1995: 273 ff.). Zudem muss der Vorgesetzte gegenüber übergeordneten und gegenüber untergeordneten Stellen den Eindruck der bevorzugten Behandlung erwecken. Die beiden Funktionen, Trennung von oben und unten und die Umwandlung sachlogischer Konflikte in interne Rollenkonflikte, geben der Vorgesetztenrolle ihr spezifisches widersprüchliches und konflikthaftes Gepräge. Führung ist demnach ein strukturell „auswegloses Unterfangen“ (Blickle 1993), das nicht nach Regeln oder durch eindeutiges Verhalten rational bewältigt werden kann. Das gilt auch für die Organisationsspitze. Auch sie muss Konflikte auf sich ziehen und in ihre Rollen integrieren. Dementsprechend wird es Vorgesetzten und vor allem Organisationsspitzen nicht gelingen, „klar, pointiert, unmissverständlich, deutlich, prägnant, wahrhaftig und einig“ (Glitz-Kühner 2005: 77; vgl. auch Machin 1981) zu kommunizieren. Man stelle sich vor, dass ein Vorstand den Mitarbeitern dasselbe mitteilt wie bei einer Bank, einem Zulieferer, vor Gericht, den Medien, Umweltschutzverbänden, dem Betriebsrat, der Sekretärin, der Betriebsversammlung, Investoren usw. Wer sich davon überzeugt zeigt und dann Coaching betreibt, wird der Organisation einen Bärendienst erweisen. Tatsächlich sind Organisationen und auch Vorstände in der Regel intelligent genug, um sich von solchen Coachingzielen nicht irritieren zu lassen. Die Notwendigkeit für Organisationsspitzen liegt viel mehr darin, die eklatanten Diskrepanzen zwischen verschiedenen „Kommunikationsnetzen“ (Luhmann 1999: 190 ff.) innerhalb wie außerhalb von Organisationen gegeneinander differenziert zu halten, um so die Optionen, Chancen und Gelegenheiten für die Organisation zu steigern. Die „Glaubwürdigkeit“ (Glitz-Kühner 2005) von Führungskräften ist tatsächlich eine wichtige Ressource, aber nicht um „eindeutige“, sondern um vieldeutige Kommunikation zu legitimieren. 95 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse 6.1.1 Strukturell bedingte Konflikte Bisher wurden widersprüchliche sachlogische Orientierungen der Organisation angeführt, um die Herkunft organisationaler Konflikte zu erklären. Niklas Luhmann hat in seiner zweiten Monographie zur Organisationssoziologie die Widersprüchlichkeit von Organisationen „auf der operativen Ebene aufgedeckt“ (Luhmann 2000: 146)32. Man kann nun die Frage, woher die personalisierten Konflikte kommen, auf zwei Ebenen beantworten. Die bisher gegebene Antwort liegt auf der Ebene der Organisationsstrukturen und dort insbesondere bei den Programmen. Programme geben Kriterien sachlicher Richtigkeit an. Widersprechen sich solche sachlichen Orientierungen, liegt ein sachlicher Konflikt vor, der, so die hier vertretende These, personalisiert wird. Man könnte nun meinen, dass eine Organisation nur besser organisiert werden müsste, um sachliche Widersprüche vermeiden zu können. Die klassischen Organisationstheorien gingen davon aus, dass dies möglich sei. Man glaubte an einen besten Weg der Organisation (vgl. z.B. Taylor 1911; Fayol 1959). Jahrzehntelange Bemühungen führten jedoch nicht zu der erwünschten Idealorganisation. Daher wurde diese Vorstellung modifiziert durch situative oder kontingenztheoretische Ansätze, die dann behaupteten, es gäbe verschiedene beste Wege abhängig von technischen und ökologischen Strukturen der jeweiligen Organisation (Lawrence/Lorsch 1967a; 1967b). Diese Einschätzung hält sich bis heute und findet im so genannten Neoinstitutionalismus eine neue Variante. Man geht davon aus, dass Organisationen in Abhängigkeit ihrer technischen und personalen Struktur nach rationalen Gesichtspunkten bestimmte gesellschaftliche Institutionen beachten sollten, um erfolgreich zu sein (vgl. Meyer/Rowan 1977; Meyer/Scott 1985; Zucker 1987; March/Olsen 1989; Powell/DiMaggio 1991). So scheint es rational, wenn strukturell vergleichbare Organisationen, etwa einer Branche in einer bestimmten Region, als generell gültig bezeichnete „best practices“ an regional verfügbare gesellschaftliche Institutionen anpassen (vgl. z.B. die empirische Studie von Boselie et al. 2003). Wenn es nicht einen besten Weg der Organisation gibt, dann sollte es doch zumindest möglich sein, für einzelne Sachprobleme unter Berücksichtigung 32 Die hier gemeinte „operative Ebene“ betrifft die operative Ebene des Sozialen schlechthin und das ist Kommunikation. Nicht gemeint ist die „operative Ebene“ im Sinne der Produktion in Organisationen. 96 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten kultureller Rahmenbedingungen generelle pragmatische Regeln zu formulieren, die den Erfolg einer Organisation wahrscheinlich machen. Nicht erklären kann man mit diesen Annahmen, warum verschiedene Organisationen ganz verschiedene Institutionen beachten oder missachten. Insbesondere müssen verschiedene Institutionen in der Organisation irgendwie gegeneinander verhandelt werden, so dass die Generalisierung einer „besten Praxis“ trotz aller Pragmatik in vielen Situationen nicht gelingt. In der Konsequenz, die daraus zu ziehen ist, muss man die Eigenleistung von Organisationen stärker berücksichtigen, als dies neoinstitutionalistische Ansätze zugestehen. Zwar orientieren sich Organisationen an gesellschaftlichen Institutionen, diese Institutionen werden aber dennoch nach organisationsinterner Maßgabe be- oder missachtet. Man kann aus den Institutionen nicht generalisiert erklären, in welchen Fällen sie berücksichtigt werden und in welchen Fällen dies nicht geschieht. Die Entscheidung darüber liegt bei der Organisation, nicht in der gesellschaftlichen Umwelt. Gesellschaftliche Institutionen bieten Legitimitätsvorteile, die von Organisationen genutzt werden können. Man kann aber nicht von einer generellen Rangordnung institutioneller Legitimitäten ausgehen. Je nach Situation erscheinen die gesellschaftlichen Institutionen unterschiedlich wichtig (vgl. Luhmann 1968: 23 f.). Weil man das nicht generell entscheiden kann, muss die Organisation dies für sich entscheiden. Der Fehler für die Organisation liegt darin, sich durch generelle Entscheidungen situative Legitimitätsgewinne entgehen zu lassen. Die Beachtung institutioneller Umwelten geschieht daher immer opportunistisch und vorläufig unter Vorbehalt sich neu ergebender Gelegenheiten33. Institutionelle Umwelten werden in vielen Fällen im Innern der Organisation ebenfalls durch Institutionalisierung berücksichtigt. Entsteht in der Gesellschaft ein verstärktes Umweltbewusstsein, reagiert man in Organisationen mit der Einrichtung von Umweltbeauftragten. Werden generelle Vorstellungen zur Qualitätssicherung formuliert, beginnt man auch in Organisationen Qualitätsmanager zu 33 Ein gutes Beispiel hier für ist die Brent-Spar-Affäre, weil sich der Ölkonzern letztlich an einer weiteren Institution seiner gesellschaftlichen Umwelt orientiert. Diese Institution ist die „ökologische Bewegung“ und wurde im konkreten Fall durch die Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ vertreten. 97 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse benennen. Historisch kann man davon ausgehen, dass die von Organisationen systematisch berücksichtigten Sachlogiken der gesellschaftlichen Umwelt zunehmen (vgl. Fligstein 1990), was sich an der Anzahl an Funktionsabteilung genauso wie an der Anzahl von Spezialvorständen an den Organisationsspitzen ablesen lässt. Aus der Wahrnehmung, dass sich durch die Beachtung dieser gesellschaftlichen Institutionen Legitimitätsvorteile sichern lassen, ergeben sich aber noch keine Regeln, wie diese verschiedenen Sachlogiken aufeinander bezogen werden sollen. Die Entscheidung darüber, also die Verarbeitung dieser Unsicherheit, muss die Organisation selbst leisten. Und dort sind es vor allem hierarchische Stellen, die sich mit dieser Aufgabe zu befassen haben. Aus diesem Grund sind Führungskräfte von personalisierten Sachkonflikten besonders und mit zunehmender Umweltbeobachtung heute stärker als früher davon betroffen. Zugleich muss man anerkennen, dass diese Konflikte nicht einem Konstruktionsfehler der Organisation geschuldet ist, sondern dass die Berücksichtigung konfligierender Sachlogiken Legitimitätsvorteile verschafft. Eine generelle Regel kann man dagegen nicht angeben, wie die verschiedenen Sachlogiken und Institutionen aufeinander zu beziehen sind. Theorien des „one best way“ und der „best practices“, wie Scientific Management, situative und kontingenztheoretische Ansätze und neoinstitutionalistische Ansätze können daher im Prinzip nicht mehr leisten, als offensichtliche gesellschaftliche Institutionen und ihre Entsprechungen in Organisationen zu beschreiben. Entscheidbarkeit resultiert daraus keineswegs. 6.1.2 Operativ bedingte Konflikte Diese erste Erklärung setzt ein funktionales Argument auf der Ebene der Organisationsstrukturen. Demnach bietet es für Organisationen Gelegenheiten, Optionen und Legitimitätsvorteile, wenn sie verschiedene, zum Teil widersprüchliche Sachlogiken institutionalisiert. Die darauf reagierende Personalisierung sachlicher Konflikte und ihre Behandlung durch Personalentwicklung verhindert die Lösung der sachlichen Widersprüche und erhält der Organisation so die mannigfachen Vorteile, die sie daraus zieht. Mit dieser Erklärung organisationaler Konflikte auf struktureller Ebene kann man immer noch annehmen, dass eine widerspruchsfreie, konfliktlose Organisation im Prinzip möglich wäre. Sie würde zwar so gut wie alle Gelegenheiten verpassen und würde ihre Legitimität nur aus einer Sachlogik ziehen, aber dafür wäre sie widerspruchsfrei und 98 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten ohne Konflikte. Die zweite Erklärung organisationaler Konflikte, die Luhmann (2000: 146 ff.) anbietet, ist fundamentaler angelegt und zeigt, warum die widerspruchsfreie Organisation nur im sozialromantischen Wunschdenken vorkommt. Demnach ist die Möglichkeit, verschiedene konfligierende Standpunkte einzunehmen, also fehlende Eindeutigkeit in Organisation, in der Entscheidungsförmigkeit organisationaler Kommunikation angelegt. In der Entscheidungsförmigkeit liegt die Rechtfertigung, Organisationen als eigenständigen Typ sozialer Systeme zu beschreiben. Die Abgrenzung von Organisation von anderen sozialen Phänomenen, wie Interaktion, Gruppe, Familie, Netzwerk, Stamm, Schicht, Institution, Markt, Industrie, Technik, Wirtschaft, Politik, Recht, Gesellschaft, Kultur usw., besteht darin, dass Organisationen sich an ihren eigenen Entscheidungen selbst reproduzieren. Das Wesenmerkmal ist demnach nicht, dass in Organisationen gearbeitet wird. Arbeit findet auch außerhalb von Organisation statt und zwar im erheblichen Umfang, wenn man Tätigkeiten in Haushalt, Familie, Privatheit usw. auch als Arbeit gelten lassen will. Menschen arbeiten, nicht Organisationen. Auch findet Herrschaft nicht nur in oder durch Organisation statt, auch wenn Organisationen sicherlich geeignete Herrschaftsapparate darstellen (vgl. Weber 1956). Interaktionen werden nicht durch Organisation, sondern durch Personen beherrscht, Familien durch Väter, Stämme durch Häuptlinge usw. Herrschaft gibt es an vielen Orten. Aber nirgendwo sonst gelingt die rekursive Schließung des Kommunikationszusammenhangs im Modus von Entscheidungen. Eine gesellschaftliche Grundlage erhalten Organisationen als Entscheidungssysteme erst in der modernen Gesellschaft (vgl. dazu und zum Folgenden v. a. Luhmann 1997). Kennzeichen der Moderne ist der Verlust einer Zentralperspektive. Die ehemals verfügbare transitive Ordnung der hierarchisch angeordneten Schichten geht der modernen Gesellschaft zugunsten funktionaler Differenzierung abhanden. Was daraus resultiert, sind Unmengen von parallel existierenden, vergleichbaren Tatbeständen, die nicht mehr gesellschaftlich hierarchisch vorgeordnet sind. Es entsteht allerorten Unsicherheit darüber, wer nach welchen kontingenten Gesichtspunkten entscheiden soll. Den wesentlichen Beitrag diese Unsicherheit zu bearbeiten, leisten Organisationen. Dort kann nach wie vor ganz selbstverständlich und legitim entschieden werden. Das Bezugsprob99 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse lem von Organisationen ist demnach gesellschaftlich verfügbar gehaltene Unsicherheit. Per Entscheidung kann diese Unsicherheit in vorläufige Sicherheit transformiert werden. Für die Fragestellung, woher die Konflikte der Organisation kommen und warum Führungskräfte davon besonders betroffen sind, ist wichtig zu sehen, dass die Entscheidung paradox konstituiert ist. Die gewonnene Sicherheit bleibt eine vorläufige, prekäre Sicherheit. Entscheidungen präsentieren sich als eine getroffene Wahl unter Alternativen. Wer eine Entscheidung mitteilt, drückt damit aus, dass eine Wahl getroffen wurde, die auch anders hätte ausfallen können. Es ist umgekehrt sogar Voraussetzung, dass Unsicherheit über die Alternativen besteht, um eine Wahl begründen zu können. Könnte man mit Sicherheit angeben, welche Alternativen die besseren sind, müsste man darüber nicht entscheiden. Eindeutige Sachlagen erfordern keine Entscheidung. Über den Sonnenaufgang wird nicht entschieden, er geschieht einfach34. Liegt eine Entscheidung vor, muss auch eine mehrdeutige Situation verfügbar sein. Die Mitteilung der Entscheidung transportiert diese Mehrdeutigkeit, um sich überhaupt als Entscheidung legitimieren zu können. Nur dort, wo eine echte Wahl unter Alternativen stattfinden kann, kann eine Entscheidung getroffen werden. Teilt man eine Entscheidung mit, z.B. von nun an umweltfreundliche Autor zu produzieren, sagt man damit aus, dass es auch anders sein könnte. Die Entscheidung schafft einerseits Klarheit und Sicherheit, weil sie sich für umweltfreundliche Autos ausspricht. Zugleich liefert die Entscheidung die Unsicherheit, ob nicht auch andere Autos produziert werden sollten, etwa Sportwagen. Die Mitteilung der Entscheidung bezeichnet beide Alternativen, umweltfreundliche Autos und Sportwagen als echte, gleichwertige Alternativen, obwohl man sich ganz eindeutig für eine entschieden hat. Man sieht an diesem einfachen Beispiel, dass Entscheidung nicht nur die gewählte Alternative wertschätzt, sondern zugleich auch die abgelehnte. Die verworfene Alternative Sportwagen ist absolut 34 Auch über feste Kopplungen in der Technik entscheidet man nicht. Das Auto kann sich nicht dafür entscheiden, zu fahren – es fährt, solange die Technik funktioniert. Und genau in dieser Entscheidungslosigkeit liegt das Risiko der Technik (Perrow 1984). 100 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten gleichwertig, sonst wäre die Wahl schon vorher entschieden gewesen und eine Entscheidung hätte an dieser Stelle nicht getroffen werden müssen. Zugleich ist dieselbe verworfene Alternative Sportwagen absolut nicht gleichwertig, weil sonst die Wahl bzw. Entscheidung ungerechtfertigt ist. Entscheidungen sind widersprüchlich konstituiert. „Organisieren“ besteht aber darin, Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen erzeugen Sicherheit, weil Alternativen verworfen und andere ausgewählt werden. Man hat in der Folge einen klaren Anhaltspunkt, von dem aus man weitermachen kann. Entscheidungen erzeugen zugleich Unsicherheit, weil sie zwei (oder mehr) Alternativen als gleichwertig und daher unentscheidbar vorstellen. Widerspruch wird durch die Entscheidung selbst provoziert und die mitgelieferte Sicherheit bedeutet zugleich Unsicherheit. Organisationale Kommunikation hat nicht die Wahl, eine Entscheidung zu sein oder eine sonstige Kommunikation. Soll eine Mitteilung in einer Organisation Relevanz gewinnen, muss sie als Entscheidung kenntlich sein. Man kann durchaus Wünsche, Vorschläge oder Meinungen mitteilen. Das muss aber nicht beachtet werden, es sei denn als Entscheidung darüber, diese mitzuteilen, anstatt zu schweigen. Weitgehend irrelevant ist auch, ob eine Mitteilung als Entscheidungskommunikation beabsichtigt war oder nicht. Entscheidend ist, was in der Organisation daraus gemacht wird. So können auch unbedachte Äußerungen als Entscheidungen ausgelegt und kritisiert werden. Man kann dann nur noch gegensteuern, indem man eine andere Entscheidung anbietet. Das Konfliktpotenzial von Organisation ergibt sich somit nicht nur daraus, dass verschieden Sachlogiken aus opportunistischen Gesichtspunkten aufeinander bezogen werden müssen, sondern schon allein aus der Entscheidungsförmigkeit ihrer Kommunikationen. Diese Erkenntnis erklärt, warum man die Widersprüchlichkeit und das Konfliktpotenzial der Entscheidung auch dann nicht in den Griff bekommt, wenn man zwischen einer persönlichen und einer sachlichen Ebene der Kommunikation unterscheidet. Selbst völlig sachliche Entscheidungen haben für Entscheidungsempfänger die persönliche Folge, dass sie selbst die Entscheidung nur noch hinnehmen oder kritisieren können. Von der Entscheidung betroffene Personen sind damit schon auf zwei Selbstdarstellungsalternativen festgelegt. Ihre Reaktion auf die Entscheidung erzwingt also 101 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse wiederum eine Entscheidung. Man kann nicht einfach ganz locker mal nachfragen, sondern sieht sich immer schon der strengen Beobachtung ausgesetzt, ob man die Entscheidung und damit den Entscheider akzeptiert oder nicht, ob man als Zustimmender oder als Kritiker weitermacht. Weil man sich für eine Darstellung entscheiden muss, bleibt man im Kommunikationsmodus der Organisation. Die Entscheidungsförmigkeit steht nicht zur Debatte und mit anderen Worten heißt das: „dass überhaupt entschieden wird, ist in Organisation keine mögliche Information“ (Kieserling 1999: 352). Die Personalisierung von Konflikten kann also auch als eine Folge des Entscheidungsparadoxes, gewissermaßen als Personalisierung der Entscheidung angesehen werden. Für die strukturelle Ebene steht fest, dass die Personalisierung von Konflikten die Organisationsstrukturen vor Veränderung schützt. Auf einer operativen Ebene kann man argumentieren, dass Entscheidung zugleich Sicherheit und Unsicherheit bedeutet. Personalisierung dient hier dazu, die Paradoxie der Entscheidung zu verbergen (Luhmann 2000: 136 ff.). Weil man nicht so recht weiß, was eine Entscheidung ist (Wahl oder nicht Wahl? Vergleichbare oder nicht vergleichbare Alternativen?), nimmt man stattdessen einen Entscheider an, der durch nicht näher zu ergründende kognitive, motivationale oder auch emotionale Funktionen zu einer mehr oder weniger rationalen Entscheidung gelangt ist. Die Gefahr besteht darin, die Paradoxie des Entscheidens selbst zu entlarven und damit den Fortgang von Organisation zu stoppen. Wenn man klarmachen könnte und akzeptieren könnte, dass Entscheidungen dieselbe Alternative gleichzeitig verwirft und anerkennt, wüsste man nicht mehr, wie man damit weitermachen sollte. Die Unsicherheitsabsorption würde versagen und sich selbst blockieren. 6.2 Vorgesetzte und Versetzungen Versetzungen können in der Rangordnung horizontal, also ohne Beförderung, oder vertikal, in der Regel mit Beförderung und nicht Herabstufung, erfolgen. Für den Einsatz von Coaching kommen auch Neurekrutierungen in Frage, auch wenn diese seltener vorkommen. Dass für all diese Fälle Coaching gleichermaßen in Frage kommt, verweist darauf, dass offensichtlich allein die neue Situation für die Vorgesetzten und deren Mitarbeiter das Problem auslöst, das mit Coaching bearbeitet werden soll. Worin liegt also dieses Problem? 102 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Neue Stelleninhaber finden ein System von eingespielten Programmen, Kommunikationswegen, Machtverhältnissen und ganz allgemein formal-offiziellen wie informal-inoffiziellen Erwartungen vor. In dieser Anfangszeit haben Vorgesetzte gegen alteingesessene Mitarbeiter den strategischen Nachteil, dass sie noch keinen Überblick über das Team, Abteilung oder Organisationseinheit und insbesondere über deren informale Strukturen haben. Über die Anfangszeit eines neuen Vorgesetzten berichtet ein Gatekeeper: „Also wenn sie jetzt die Situation (des neuen Vorgesetzten, A.T.) nehmen, da gibt es so kleine Fürsten, und dann kommt ein größerer Fürst, und die sind nicht immer bereit den größeren sofort zu akzeptieren, weil sie Angst haben, vielleicht pfuscht er mir der da in dem, was ich geschaffen habe, dazwischen, und dass da eben schon sehr darauf geachtet wurde, dass der Einblick, den er gerne gehabt hätte, dass der nicht so war.“ (Braun, öffentliche Verwaltung 2) Mit Goffman kann man das Problem bei Versetzung und Einstellung darin sehen, dass der neue Rolleninhaber zunächst sich und der Organisation nachweisen muss, dass er die richtige Person für diese Position ist. Zu Beginn wird die Person ihre volle Aufmerksamkeit der neuen Rolle widmen müssen, denn „eine Rolle erfassen heißt, von ihr erfasst zu werden“ (Goffman 1973b: 120). Dies gilt für Versetzung und stärker so gar noch für Einstellung. Zu Beginn wird man demonstrieren müssen, dass man die an die Rolle geknüpften Erwartungen zu erfüllen in der Lage ist. In der Anfangsphase hat man aber oft Schwierigkeiten, den Rollenkern von eher peripheren Erwartungen zu unterscheiden. Das Problem entsteht, weil Rollen relativ weiche Grenzen haben und man als Anfänger noch nicht genau wissen kann, welchen Erwartungen besser zu entsprechen ist und welche Erwartungen legitim enttäuscht werden können. Die Folge ist, dass die Person „völlig in dem faktischen Selbst“ der Rolle verschwindet (ebd.). Die so sehr geschätzte Rollendistanz, also auch die Möglichkeit, kalkuliert auf informales Verhalten umzustellen, kann in dieser Phase noch kaum eingesetzt werden. Ein weiteres Problem rührt aus der Differenz formaler und informaler Organisationsstrukturen. Niklas Luhmann hat in einem frühen Text das Problem des Stellenwechsels vor allem unter diesem Gesichtspunkt expliziert (Luhmann 1962). Demnach entsteht „eine Periode der Unsicherheit“ bei jedem Wechsel eines Vorgesetzten. Die 103 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse Ursache ist in den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten formaler und informaler Strukturen zu sehen. Formale Strukturen, also zum Beispiel die Neubesetzung einer Stelle, lassen sich quasi per Federstrich verändern. Die Neubesetzung wird sicherlich auch über einen gewissen Zeitraum erwogen und vorbereitet, denn wird die Entscheidung für eine Neubesetzung bzw. für eine bestimmten Kandidaten zu einem bestimmten Zeitpunkt per Entscheidung fixiert. Formale Strukturen sind mithin im Prinzip ohne Zeitverzögerung zu verändern. Ganz anders jedoch korrespondierende informale Strukturen. Diese entstehen zwar in Reaktion auf formale Strukturen, müssen sich aber erst über längere Zeiträume hinweg einschleifen. Insbesondere sind informale Strukturen weit stärker „personal orientiert“ (ebd.: 14). Die Übergangsphase entsteht aus den differenten Zeitstrukturen formaler und informaler Organisation. Der neue Chef ist von heute auf morgen im Amt; bis sich die informalen Beziehungen zum Team einspielen, vergehen mindestens die bekannten „100 Tage“. Wie Luhmann zeigt wird die Anpassung an informale Erwartungen dadurch erschwert, dass sich informale Ansprüche nicht offiziell zum Ausdruck bringen lassen. Gerade unter Fremden besteht eine erhebliche „Ausdruckshemmung“ und der neue Vorgesetzte ist zunächst völlig isoliert vom informalen Geschehen. Das für Informalität notwendige persönliche Vertrauen konnte noch nicht aufgebaut werden, so dass sich Vorgesetzte und Team notgedrungen zunächst an die formale Ordnung halten müssen. Hier drückt sich wiederum die Differenz von Person und Rolle aus: die formale Rolle kann schnell übernommen werden, wenn entsprechende Qualifikationen vorhanden sind. Der Zugang zum informalen Organisationsleben jedoch achtet weit stärker auf die gesamte Person bzw. Persönlichkeit des Stelleninhabers. Nur deshalb kommt es überhaupt zum Problem der Nachfolgeregelung, denn die formale Rolle mag sich nicht geändert haben, aber die informal ungleich relevantere Person mit ihren individuellen Beziehungen, Kontakten und weiteren Rollenbezügen wechselt und macht die wechselseitigen Erwartungen von Team und ehemaligem Vorgesetzten obsolet. Nicht nur die isolierte Person steht unter verschärfter Beobachtung, auch der organisationale Hergang der Neubesetzung wird informal von den Untergebenen bewertet. Je nach Hintergrund kann ein neuer 104 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Chef noch vor der ersten Amtshandlung bereits Cliquen von Untergebenen gegen sich eingestellt haben. Eine gleichfalls wichtige Frage ist, ob der neue Vorgesetzte aus der Organisation selbst oder von außen kommt. Im ersten Fall ist das Problem, dass die Person schon bekannt ist und durch eine schon bestehende Einbindung in Kommunikationsnetze in ihren Freiheitsgraden oft schon stark eingeschränkt ist. Der Nachteil bei extern rekrutiertem Personal besteht entsprechend in der geringen organisationalen Sozialisation, die neuen Vorgesetzten zwar mehr Freiheit und Neuerungskraft ermöglicht, aber andererseits mit drohender Isolierung von den tatsächlichen Abläufen einhergeht. Letztlich konkurriert ein neuer Chef in den Augen der Untergebenen immer mit seinem Vorgänger. Je nach Verbleib des Vorgängers muss er sich möglicherweise sogar vor tatsächlichen Einflussnahmen seitens des Vorgängers und dessen Einflussnetze in Acht nehmen. In dieser Übergangsphase geht es für Vorgesetzte darum, möglichst schnell eigene Erwartungen mit Fremderwartungen zu kalibrieren. Eine günstige Voraussetzung für diese Aufgabe wird erstens sein, wenn sich der Vorgesetzte schnell über Differenzen in Fremd- und Selbsterwartungen klar wird, um mögliche Konfliktherde zu isolieren und einer Eskalation vorzubeugen. Zweitens dient es der schnellen Eingewöhnung, wenn nicht allzu fixierte Erwartungen vorliegen. Lange Vorbereitung kann aber genau dazu führen, dass mehr oder weniger exakte und rigide Erwartungen gebildet werden, die dann kaum noch verändert und angepasst werden können. Aus dieser Perspektive wäre es besser, auf Vorbereitung zu verzichten. Insofern können Führungskräfteentwicklungsprogramme selbst Coachingbedarf auslösen oder zumindest verstärken. Kann die Führungskraft in der Anfangsphase Rollendistanz noch nicht anwenden, weil sie als Person noch vollständig von der Rolle erfasst ist, wird sie angreifbar durch formale sachliche Widersprüche. Teammitglieder, die sachliche Widersprüche formal vortragen, können nicht abgewiesen werden. Die Integration von Konflikten und Widersprüchen der Mitarbeiter in die Führungsrolle ist ja eine ihrer wichtigsten Funktionen (vgl. Kapitel 6.1). Die ranghöhere Position kann dann dank seines höheren Status notfalls eine Entscheidung herbeiführen, die von den untergeordneten Mitarbeitern ohne Gesichtsverlust akzeptiert werden kann. Eine Lösung dieser inneren Konflikte der Vorgesetztenrolle wäre dysfunktional für das 105 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse Organisationssystems und deshalb ist die Nicht-Auflösung erwünscht. Aus diesem Grund befinden sich Vorgesetzte in einer Situation, in der sie sich die Formalisierung von Konflikten nur in Ausnahmefällen erlauben können, weil dies dem Versagen als Vorgesetzter gleich kommt. Einen Konflikt zu formalisieren, bedeutet ja, den Konflikt formal durch Entscheidung zu lösen. Die Lösung ist aber in den meisten Fällen nicht erwünscht, weil es bei Mitarbeitern Frustration und Enttäuschung erzeugt und für die Organisation die Gelegenheiten minimiert, verschiedene Sachlogiken zu beachten. Möglicherweise wird der sachliche Widerspruch sogar instrumentell von gegnerischen Untergebenen eingesetzt. Eine Beobachtung durch die Personalentwicklung, die sich die Bewährung der mehr oder minder umfangreichen Vorbereitungsbemühungen erhofft, erhöht noch den Erwartungsdruck. Hilfreich ist in dieser Anfängersituation, wenn sich der neue Stelleninhaber möglichst bald von einer strengen und formal widerspruchsfreien Rollenauffassung distanzieren kann. Wie schon oben elaboriert (Kapitel 5.3), können hier Situationen helfen, in denen Führungskräfte von ihrer Rolle Abstand nehmen können. Es muss klar gemacht werden, dass die erlebten Probleme und Konflikte nicht ein Versagen der Person indizieren, sondern formal unlösbare Rollenprobleme sind. Keine noch so große Identifikation mit der Stelle und keine noch so gereifte Persönlichkeit können die Probleme der Organisation lösen. Personen müssen mit diesen Problemen umgehen und dies wird ihnen am besten gelingen, wenn sie die Probleme nicht zu ihren eigenen machen. Personen können diese Probleme verwalten, handhaben, eben: managen, aber nicht lösen. Nur dann, wenn dies deutlich gemacht wird, kann Personalentwicklung Situationen erleichtern und so Person und Organisation unterstützen. Ob und wie gut dies durch Coaching oder andere Maßnahmen der Personalentwicklung gelingt ist jedoch fraglich. Fest steht, dass es sich beim Wechsel von Vorgesetzten ja nicht um ein neuartiges Problem handelt. Neue Chefs im hier verhandelten Sinne gibt es, seit es moderne Organisationen gibt. Eine Lösung, die immer greift, ist Zeit, denn „es werden sich immer wieder situationsangepasste neue Erwartungen einleben“ (Luhmann 1962: 22). Das Folgeproblem ist dann, welche unerwünschten Nebenfolgen sich einschleichen. Vielleicht lenkt Coaching zumindest verstärkte Aufmerksamkeit auf mögliche Fehlentwicklungen. Sicher jedoch ist, dass Coaching – wie 106 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten jede Beratung – Zeit in Anspruch nimmt (Fuchs/Mahler 2000); und während man sich noch berät und coacht, nimmt die organisationale Evolution ihren Lauf und entwickelt so oder so neue Anpassungen. 6.3 Führungskräfte und Strukturreformen Was hier als Strukturreformen bezeichnet ist, findet sich in den Interviews unter „Umstrukturierung“, „Veränderungsprozesse“, „Reorganisation“ und ähnlichen Begriffen. Gemeint sind mehr oder weniger tief greifende Programmänderungen, etwa die zitierte Umstellung von Konditional- auf Zweckprogrammierung (vgl. Kapitel 5.1). Hierzu zählen aber auch geplante Änderungen von Kommunikationswegen und umfangreiche Personalentscheidungen. Luhmann hat herausgearbeitet, dass Reformen partielle Veränderungen in einem bestehenden Organisationssystem vorsehen, ohne alle Folgen überblicken zu können (Luhmann 2000: 332 ff.). Das Organisationssystem ist sich selbst undurchsichtig, was als Voraussetzung für die Entscheidbarkeit von Reformvorhaben gewertet werden muss. Wäre der aktuelle Zustand genau bekannt, ergäben sich die notwendigen Maßnahmen für eine bessere Zukunft von selbst. Weil dieser Zustand nicht vollständig überblickt werden kann, muss man Teilaspekte auswählen und darüber entscheiden, was geändert werden soll und was unberücksichtigt bleibt. Die Entscheidung für Reformmaßnahmen konstruiert eine schlechte Vergangenheit und eine bessere Zukunft. Wer diese Entscheidung vertritt, übernimmt die Verantwortung für ein Versprechen, das nicht verantwortet werden kann, weil die Zukunft nach wie vor unbekannt bleibt. Eine wesentliche Voraussetzung, Reformen zu beschließen, dürfte deshalb darin liegen, vorangegangene Versuche schnell zu vergessen. Nur wenn man sich an das Scheitern von Reformen nicht mehr erinnert, wird man die nötige Unterstützung und Glaubwürdigkeit aufbringen können, um ein so ungewisses Projekt zu versuchen. Reformen diffundieren auf hierarchischem Weg durch die Organisation (Wimmer 1999: 165). Vorgesetzte sind jeweils Weisungsempfänger und müssen sich um deren konkrete Umsetzung bei den nachrangigen Mitarbeitern selbst bemühen. Inkompatibilität mit bestehenden Programmen und Strukturen werden dem Vorgesetzten rückgemeldet, werden Teil seiner widersprüchlichen Führungsrolle. Daraus muss nicht geschlossen werden, dass Reformen besser 107 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse unterlassen werden sollte, aber man muss sehen, dass Reformen das hierarchische System und damit Führungskräfte besonders beschäftigen. Insofern stellen Reformen Führungskräfte vor Probleme, die ebenfalls mit Coaching bearbeitet werden. Die Institutionalisierung von Coachingsystemen steht in zeitlichem Zusammenhang mit den umfangreichen Reformideologien in der Managementlehre seit den 80er Jahren (vgl. Faust 2002: 44). Der Abbau von Hierarchien, Dezentralisierung, Business Process Reengineering, Lean Management, Total Quality Management usw. haben immer wieder zu erheblichen Reformbemühungen beigetragen, deren Durchsetzung besondere Belastungen für das hierarchische System bedeutet haben. In weniger Hierarchieebenen können weniger Informationen verarbeitet werden und vergeht nicht genug Zeit zwischen der einen und der nächsten Reformwelle, werden möglicherweise die Misserfolge von Reformbemühungen erinnert: „Wir müssen endlich mal aufhören mit diesem ewigen Verändern. (…) und am schlimmsten hat es das Mittelmanagement getroffen, die jeder permanent die Veränderungen leben und durchdrücken sollten, jeder permanent Angst hatte, habe ich überhaupt noch einen Job oder fliege ich beim nächsten Vorstand schon wieder raus und gleichzeitig sollten sie ihr Team überzeugen, dass das notwendig und sinnvoll ist.“(Fischer, Finanzdienstleister 1) Im zitierten Fallbeispiel führt das zu zusätzlichen Plausibilitätsproblemen für Vorgesetzte, insbesondere für das Mittelmanagement. 6.4 Führung und Hierarchie Bisher wurden die Begriffe Vorgesetzte bzw. Hierarchie und Führer bzw. Führung weitgehend synonym verwendet. Eine klare Unterscheidung halten auch die Experten in den Interviews nicht durch. Um die Veränderung, die durch Coaching markiert wird, zu verstehen, lohnt es sich aber, hier eine begriffliche Unterscheidung einzuführen. Der Begriff Vorgesetzter soll sich auf den formalen hierarchischen Rang in Organisationen beziehen. Damit sind bestimmte Stellenanforderungen, also „Können“ (Luhmann 2000: 320 ff.), verbunden. Der Stelleninhaber muss nach Maßgabe der Organisation über gewisse Kenntnisse, Fähigkeiten, Ausbildungen usw. verfügen, die als notwendig für die Erfüllung der Vorgesetzten108 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten funktion erachtet werden. Aus diesen zugewiesenen Kompetenzen leitet der Vorgesetzte seine Rechtfertigung, seine Entscheidungsbefugnis und damit seine Verantwortung ab. Die Funktion der hierarchischen Stelle besteht darin, Information von oben nach unten und von unten nach oben zu filtern (Luhmann 1999: 210 f.). Diese Filterfunktion erhöht die Informationsverarbeitungskapazität der Organisation, indem sie unterschiedliche hierarchische Ebenen vor Informationsüberflutung schützt. Bosse können und wollen nicht alles wissen, was auf untersten Rängen passiert. Gleichfalls wäre die Organisation überlastet, wollte sie jeden Arbeiter über alle Informationen informieren, die auf höheren Ebenen verarbeitet werden35. Die Anerkennung der formalen Rangordnung ist Mitgliedschaftspflicht. Damit ist der Vorgesetzte im Prinzip davon befreit, Mitarbeiter bei Laune zu halten und zu motivieren. Er muss sich nicht wie ein Politiker oder Stammeshäuptling ständig die Gunst seiner Untergebenen sichern, um seinen Rang zu behalten. Stattdessen kann er auch ganz flexibel „auf Transformation und Vermittlung, auf Erläuterung und Beschwichtigung“ abstellen (ebd.). Eine Konsequenz aus dieser formalen Vorgesetztenrolle ist, dass im Vergleich zu „natürlichen“ Führern, z.B. Stammeshäuptlingen, Fürsten oder der römischen dictatores, der „Führer kaum noch zu erkennen ist“ (ebd.: 209). „Führung“ erscheint nur noch „hinter“ dieser Formalrolle als Extrafunktion, die nur in bestimmten Fällen notwendig wird. Diese Fälle sind gegeben in krisenhaften Zeiten, wenn man nicht recht weiß, nach welchen Regeln man handeln soll oder wer um welchen Rat zu fragen ist. Ganz grundlegend kann die Funktion von Führung auf das Problem von Unsicherheit durch Entscheidung bezogen werden, das operativ nicht gelöst werden kann, weil die einerseits Sicherheit stiftende Entscheidung andererseits immer wieder die Unsicherheit mitliefert, ob richtig entschieden wurde. Die Organisation kann diesem Konnex von Sicherheit und Unsicherheit nicht entkommen, sie ist gefangen in einer „Totalisierung der Entscheidungszumutung“ (Kieserling 1999: 352). In aller 35 Die auf höherer Ebene zurück gehaltene Information wird in der marxistisch geprägten Betriebssoziologie gerne als Machtquelle beschrieben und die auf unteren Ebenen zurück gehaltene gern als Kontroll- oder Transformationsproblem. Seltener thematisiert wird aber erstens, dass exklusive Informationen oben wie unten als Machtmittel mobilisierbar sind, und zweitens, dass totale Partizipation, Demokratisierung oder Kommunikation zu ebenso totalem Stillstand führt. 109 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse Regel greifen die eingespielten Strukturmerkmale der Organisation, Kommunikationswege (vor allem Hierarchie) und Programme. Gerät aber die Organisation, z.B. durch Reformen, radikale Marktveränderung usw., aus dem Tritt, ist es notwendig, Zeit zu gewinnen. Der Zeitraum, bis die Organisation wieder richtig tickt, bis die organisationale „Uhr zurückgestellt“ ist (vgl. Amburgey et al. 1993), kann durch Führung überbrückt werden. Führung kann Unsicherheit absorbieren und Handlungssicherheit geben. Haben sich die Wogen wieder geglättet, lassen sich wieder generalisierte Programme und Kommunikationswege angeben, mit denen die neuen Probleme bearbeitet werden können. In diesem Sinne wäre Führung ein personenbezogenes Notfallsystem, das nicht angeordnet, gekauft oder rekrutiert werden kann. Wenn sonst nichts mehr hilft, hofft man auf einen Führer. Aber daran sieht man, dass es weniger auf die Qualitäten einer Person ankommt, als auf den Zustand der Organisation. Führung ist eine Konstruktion der Organisation, nicht ein Personmerkmal. Karl Weick bezeichnet dementsprechend den individuellen Manager als „Fiktion“ (Weick 1993: 359). Und diese Fiktion nährt sich aus der Unerklärlichkeit von Entscheidungen. Je weniger die Entscheidung aus Regeln und Kompetenz weiterer Stellen begründet werden kann, umso stärker bildet sich der Mythos vom Führen. Dies trifft mit zunehmender Ranghöhe, also ganz besonders an Organisationsspitzen zu. Umso überraschender und entmystifizierender wirken dann Forschungen, die nachweisen können, dass auch das Management an der Spitze im erheblichen Maße durch reguläre Verpflichtungen geprägt ist (vgl. Mintzberg 1973: 135; ders. 1991: 25). Formale und informale Rollen stehen in einem komplementären Verhältnis. Formalisierung verhindert nicht informale Rollen, sondern die formale Vorgesetztenrolle ist die Voraussetzung, dass sich daneben eine informale Führungsrolle ausbilden kann. Beide Seiten, Formalität und Informalität, stehen in einem gegenseitigen Steigerungsverhältnis. Dementsprechend räumt man dem formal hochrangigen Manager auch mehr Informalität ein. Wer formal an der Spitze steht, dem werden auch Führungsqualitäten zugeschrieben (vgl. Calder 1977). Scheitert die Organisation, muss es umgekehrt an den mangelnden Führungsqualitäten gelegen haben (Mintzberg 1991: 138). 110 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Man wird die so geschätzte Funktion der Informalität nicht formal einfangen können. Immerhin gehören in diesen Bereich Schmeichelei ebenso wie Intrigieren, Verheimlichen, Taktieren und strategisches Verhalten (vgl. Luhmann 1999: 213 ff.; Kieserling 1999: 362). Offiziell formal kann die Organisation solches Verhalten nicht vorsehen oder anerkennen. Hinzu kommt, dass situativ opportunistisch disponiert werden muss. Die Differenzierung in eine formale und eine informale Seite steigert die Möglichkeiten der Organisation. Offiziell anerkennen kann man nur die eine Seite, beide sorgen aber für die Funktionstüchtigkeit der Organisation. Das gilt auch für Personalentwicklung. Sie wird dort erfolgreich sein, wo sie formal benötigte Qualifikationen anbietet, also z.B. Computerkurse bei Einführung von EDV, Spezialkurse für Spezialanlagen, Sprachkurse für Auslandseinsätze, Fortbildungen für gestiegene Anforderungen. Das ist völlig unumstritten. Der Streitpunkt liegt immer in Bereichen, die sich der Formalisierung entziehen. Dazu zählen „Führungsqualitäten“. Die Entwicklung von Führungskräften nach allgemeinen, generalisierten Theorien, Modellen und Themen krankt daher wiederum an ihrer Formalität. Zudem krankt sie daran, dass sie Führung als persönliche Qualität versteht. Führung aber ist nicht auf formale Vorgesetzte begrenzt. Führen kann im Prinzip jede Stelle, wenn es die Situation erlaubt und erfordert. Führung ist nicht ein spezielles Personenmerkmal, sondern ein Systemmerkmal. Die entscheidende Frage ist nicht, welche Führungsqualitäten Vorgesetzte haben, sondern wie Führung im Organisationssystem verteilt ist (Luhmann 1999: 207). Führung ist ein Gegengeschäft zur formalen Hierarchie, sie kann nicht formal angewiesen werden. Der Führungsbeitrag ist nur dort zu erwarten, wo formale Erwartungen nicht weiterhelfen. Umso mehr heroisiert Führung die Führungsperson, weil dort Leistungen erbracht werden, die nicht verlangt werden können. Die „Excellenz“ und Außergewöhnlichkeit von Führungsleistungen ist wörtlicher Ausdruck dafür, dass sie außerhalb der Formalisierbarkeit liegen (vgl. Mintzberg 1991: 353, 2004). Die Rolle des Vorgesetzten ist formal abgesichert. Man gesteht ihr zu, bestimmte Dinge gegenüber bestimmten Adressaten geheim zu halten; sie verfügt über Informationen aus verschiedenen hierarchischen Ebenen, die sie gegeneinander ausspielen kann; ihr kommt das Vorrecht in der Situationsauffassung zu, ob formal oder informal 111 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse kommuniziert wird usw. Die Legitimität von Führungskräften ist weit prekärer als die formaler Vorgesetzter. Entscheidungen von Führungskräften, die nicht durch Programme oder formal zugewiesene Entscheidungskompetenzen abgesichert sind, werfen leicht die Frage nach ihrer Legitimität auf. Die Rechtfertigungsschwelle mag in Krisenzeiten, wenn man wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm greift, relativ niedrig sein. Dennoch wird faktisch nicht jeder Mann und schon gar nicht jede Frau als Führungskraft akzeptiert. Ähnlich gibt sich die Situation eines neuen Vorgesetzten, der auf ein Team trifft, dass mit eingespielten Programmen und Kommunikationswegen ausgestattet ist und deshalb kaum eines „Führers“ bedarf. In dieser Situation wird man sich stärker auf die Rolle des Vorgesetzten zurückziehen und besser nicht als starke Führungskraft auftreten. Die Stellenübernahme verläuft so vergleichsweise unproblematisch und die eigentliche Führungsarbeit wird „von unten“ geleistet (vgl. Luhmann 1962: 22 f.). 6.5 Führung und Autorität Eine wichtige Grundlage der Legitimität einer Führungskraft liegt daher in ihrer Autorität (Mintzberg 1991: 29 f.). Darunter sollen nicht psychische oder sonstige Merkmale von Menschen verstanden werden, „sondern eine den Kommunikationsprozess abkürzende Unterstellung“ (Luhmann 2000: 204). Man nimmt einfach an, dass das Hinterfragen einer Entscheidung entfallen kann, weil die Entscheidung „so gut begründet werden könnte, dass sie einleuchtet“ (ebd.). Die Funktion der Autorität besteht in ihrer Sicherheitsillusion, die sie auslöst. Entscheidungen, die von Autoritäten getroffen werden, können ohne weiteres akzeptiert werden. Traditionell waren es insbesondere Schichtunterschiede, die ein Nachfragen entmutigten. Ergänzt und dann auch zum Teil ersetzt wurde der gesellschaftliche Status durch höhere Bildung. Insofern war die abkürzende Unterstellung, dass die Entscheidung auf Nachfragen ausreichend sachlich begründet werden kann, durch Bildungsvorteile oft real gedeckt. Beide Grundlagen der Autorität verlieren an Legitimität. Generelle, gesellschaftliche Statuszuweisungen auf Grund von Schichtzugehörigkeit entbehren inzwischen jeglicher Rechtfertigung, lösen Protest aus und haben zu einem schnell wachsenden Forschungsgebiet einer kritischen Soziologie der Ungleichheit geführt. Noch immer scheint 112 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten sich eine Korrelation zwischen Schichtzugehörigkeit und Führungspositionen in Organisationen nachweisen zu lassen (vgl. Hartmann/Kopp 2001), wenn auch die Tendenz seit langem rückläufig ist. Formal wird Schichtherkunft praktisch nirgendwo mehr legitim berücksichtigt. Dass Herkunft aber noch immer ein mögliches Kriterium für die Übernahme von Führungsaufgaben in Organisation ist, verweist auf die Verortung von Führung in Informalität. In der entsprechenden Literatur wird dazu immer wieder das Argument kolportiert, die „Chemie“ müsse stimmen bzw. Führungskräfte würden nach ihrem „Stallgeruch“ ausgewählt. Die moderne Gesellschaft stellt keine Legitimität für solche Ungleichbehandlungen bereit. Versteht man „Chemie“ und „Stallgeruch“ als Ausdrücke für die Fähigkeit, Führungsautorität zu kommunizieren, dient diese Ungleichbehandlung aber der Unsicherheitsabsorption und erfüllt so funktional für die Organisation. Gleichermaßen erübrigen sich Rückfragen, wenn der Entscheider über einen Vorsprung an Wissen durch Bildung verfügt. Akademiker stehen mit einem fundierten Wissensschatz im Ruf, Entscheidungen mit ausreichend sachlichen Argumenten begründen zu können. Der zugeschriebene Ruf befördert schon ihre Autorität. Auch die hohe soziale Wertschätzung von akademischen Ausbildungen kann unabhängig von tatsächlich erworbenem Wissen eine Autoritätsgrundlage bilden. Der „Herr Doktor“ genießt generell immer noch höhere Plausibilität als die ungelernte Fließbandarbeiterin. Aber auch diese Autoritätsgrundlagen verlieren an Boden und man sieht nicht mehr ein, warum die Fließbandarbeiterin generell in allen Fragen schlechter entscheiden sollte als ein Akademiker. Man schließt nicht mehr so unbedacht von Bildungstiteln auf Führungsautorität, sondern erlaubt sich situative Urteile. Offiziell findet diese neue Gleichheit in Systemen der innerbetrieblichen Verbesserungsvorschläge, „Kontinuierliche Verbesserungsprozesse“ (Imai 1992) und Hierarchie übergreifende Qualitätszirkel ihren Ausdruck. Hohe Fluktuation von Wissen lässt Ausbildung weiter an Kredit verlieren. Selbst in akademischen Ausbildungen versucht man nervös mit etwas dauerhafteren, fachfremden „Schlüsselqualifikationen“ dagegen zu halten (vgl. Wildt 1997; Orth 1999). Legitimitätsvorteile für Neuerung, Innovation, Wandel usw. gehen zu Lasten von „Alterswerten wie Autorität und Erfahrung“ (Luhmann 2000: 205), Bildung und Herkunft. 113 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse Wenn diese normative Erwartung von Autorität durch Herkunft und Bildung abnimmt, kann man jetzt auch bei Vorstandssöhnen und Akademikern nachfragen. Der zeitliche Aufwand, Entscheidungen zu begründen kann damit erheblich ansteigen. Ebenso steigt das soziale Risiko von Anerkennung und Ablehnung der Führungskraft ausgedrückt in Entscheidungskonsens und -dissens. Eine häufige Lösung für dieses Problem der schwindenden Autorität von Führungskräften wird in Delegation der Entscheidungsverantwortung gesucht. Wenn schon die Entscheidungen der Führungskraft immer häufiger kritisiert und Begründungen nachgefragt werden, dann bietet es sich an, die Kritiker selbst in die Verantwortung zu nehmen. Die Rolle der Führungskraft verschiebt sich mehr zum Moderator und Dompteur, der partizipativ und kooperativ Entscheidungen herbeiführt, die er nicht mehr alleine verantworten muss. Der in der „Labor Process Debate“ (vgl. Braverman 1974; Burawoy 1979; Friedman 1977; Willmott 1990) und der „Subjektivierungsdebatte“ (vgl. Baethge 1991; Heidenreich 1996; Voß/Pongratz 1998; Moldaschl/Voß 2002) geführte Diskurs lässt sich um dieses Argument der reduzierten Autorität bereichern, wenn man die Reaktion der Betriebe als funktionales Äquivalent zu Autorität beschreibt. In dem Maße als Autorität nicht mehr gesellschaftlich subventioniert den Vorgesetzten vorbehalten ist (Luhmann 2000: 205), kann man Unsicherheitsbearbeitung nach unten delegieren, bis dort die Informationsverarbeitungskapazitäten ausgeschöpft sind und es aufgrund dieser Grenzen zu keinen weiteren Nachfragen mehr kommt. Kräftezehrende Meetings finden dementsprechend meistens dann zu einer „partizipativen“ Entscheidung, wenn die Teilnehmer zu erschöpft sind, um noch Widerstand zu leisten. Oder man setzt auf die „Selbstorganisation“ von Mitarbeitern unter Termindruck und erntet dann sehr schnell wieder Dank für hierarchische Entscheidungen. Eine andere Möglichkeit, das Problem mangelnder Autorität zu bearbeiten, könnte in Coaching liegen. Damit ist zwar Autorität nicht wiederzugewinnen, aber es können mit erfahrenen Coaches ein Gespür dafür entwickelt werden, wie Entscheidungen so getroffen werden, dass sie ohne Nachfragen akzeptiert werden. Es kann auch der Frage nachgegangen werden, welche Alternativen zu Autorität mobilisiert werden können. Mangels empirischen Materials über Coachingsitzungen kommt man hier aber über Vermutungen nicht hinaus. Was man feststellen kann, ist die Tatsache, dass es zunehmend legitim erscheint, sich als Führungskraft Beratungsbedarf einzugeste114 Analyse Personalisierte Probleme von Vorgesetzten hen. Allein das Eingeständnis, nicht alle Probleme ohne Beratung und Hilfe lösen zu können, desavouiert Autorität. Offensichtlich gibt es in dieser Richtung nicht mehr so viel zu verlieren, weshalb man mehr oder weniger öffentlich Hilfe in Form von Coaching anfordern kann. So wie man generell den Boom des Beratungsmarkts für das Management aus dem gesellschaftlichen Rückgang von Autoritätsund Alterswerten erklären kann (vgl. Faust 2002), stellt Autoritätsverlust eine Voraussetzung für Coaching dar. Erst dann, wenn Führungskräfte nicht mehr gesellschaftlich gestützte Autoritäten sind, kann man sie intern in Führungskräfteentwicklungsprogrammen schulen und in Coaching beraten. Zum Abschluss dieses Kapitels ist eine Zusammenfassung angebracht. Auf der Suche nach einem eindeutigen Bezugsproblem von Coaching wurden die organisationalen Ereignisse, die nach Angabe der Interviewpartner zu Coaching führen können, diskutiert. Konflikte, Versetzung und Rekrutierung sowie Reformen wurden organisationssoziologisch reformuliert. Diese drei Ereignisse ermöglichen in jedem Fall die Personalisierung von organisationalen Problemen. Die Ursachen der Personalisierung können auf struktureller Ebene der widersprüchlichen Sachorientierung begründet werden. Man kann Personalisierung aber auch fundamentaler auf die Paradoxie des Entscheidens beziehen. Für die Analyse von Coaching ergibt sich der Befund, dass die genannten organisationalen Ereignisse nicht erst seit zwei Jahrzehnten auftreten. Sie sind viel mehr mit der Funktionsweise von Organisationen gegeben. Schon immer wurden Konflikte in Organisationen auf Personen zugerechnet. Es bedurfte erst einer Marx’schen Aufklärung über strukturelle Konfliktursachen, um diese selbstverständlich scheinenden Konnex aufzulösen. Das Hochrechnen betrieblich evidenter Konflikte auf gesellschaftliche Klassenlagen kann heute nicht mehr überzeugen, weil zu deutlich die Eigenlogik von Organisationen zu Tage tritt. Rekrutierung und Versetzung kommen ebenso wenig erst seit dem Erfolg von Coaching vor. Mit dem Abbau von Hierarchien haben sogar Entlassungen von Führungskräften gegenüber Beförderungen zugenommen. Betreut Coaching ein immer seltener werdendes Phänomen? Dazu hätte es nicht erfunden werden müssen. Auch im Anwendungsfall Reformen muss gesagt werden, dass sie nicht eine Erfindung der letzten 20 Jahre sind. Das mag vielleicht schon in Vergessenheit geraten sein, gehört das Vergessen vorangegangener Reformbemühungen doch zu den wichtigsten Ressourcen von Reformen (Luhmann 2000: 338). 115 Personalisierte Probleme von Vorgesetzten Analyse Auf dieser Ebene typischer organisationaler Ereignisse lässt sich ein eindeutiger organisationaler Bedarf nach Coaching nicht finden. Weder persönliche Konflikte noch Stellenbesetzung noch Reformen sind neue organisationale Ereignisse, die mit einem neuen Beratungsinstrument Coaching bearbeitet werden müssten. All das hat es schon lange zuvor gegeben. Die Rechtfertigung Coaching als „soziale Innovation“ (Geßner 2000) zu beschreiben, liegt viel mehr in der Institutionalisierung der persönlichen Beratung von Führungskräften. Die Frage nach Coaching kann jetzt anders gestellt werden. Es geht nicht länger darum zu klären, worin der einzigartige Bedarf besteht, der nur mit Coaching abgedeckt wird. Viel mehr stellt sich die Frage, welche Veränderung es nun legitim erscheinen lässt, dass Führungskräfte regelmäßig beraten werden. Dazu muss zunächst der Begriff der Beratung erörtert werden. 116 Analyse Zur Beratungsmode Coaching 7 Zur Beratungsmode Coaching 7.1 Globalisierung und allgemeine Komplexitätssteigerung In Praktikerliteratur wie in den Experteninterviews werden als gesellschaftliche Ursachen für Coaching häufig veränderte Marktbedingungen für Unternehmen in Folge von Globalisierung genannt. Der Begriff Globalisierung bleibt dabei, wie sonst auch, unklar. Es scheint sich hier um eine illustren Begriff zu handeln, den sich jeder selbst ausmalen kann. Genauso wie der „Allerweltsbegriff“ des Managements (Steinmann/Schreyögg 2000: 5) ist Globalisierung „unbestimmt überdeterminiert“ (Drepper 2005). Einerseits verbindet man mit Globalisierung so konkrete Erwartungen, dass der Begriff überdeterminiert wird, andererseits ist Globalisierung so unbestimmt, dass man sehr viel darauf zurechnen kann – warum also nicht auch den Coachingbedarf, wie man an einer Zertifizierungsstelle für Coaches vermutet: „Ich glaube, es gibt einen strukturell sehr tief sitzenden Bedarf nach Coaching infolge der weltweiten Globalisierung“ (Klein, Zertifizierungsstelle 1) Globalisierung, so wie sie in der Praktikerliteratur eingesetzt wird (z.B. Thommen 2005; Haberleitner et al. 2003: 14; Looss 1997: 18 f.), scheint eher ein Begründungssurrogat zu sein. Aber auch ernsthaftere Bemühungen, einen brauchbaren Begriff der Globalisierung zu erfinden, haben bislang wenig Erfolg gezeigt (Nassehi 2003: 191 ff.). Globalisierung ist ein so viel sagender Begriff geblieben, dass er sich sogar zur Erklärung des Coachingbedarfs eignet, und das gelingt ihm paradoxerweise deshalb, weil er so nichts sagend ist. Meistens wird eine allgemeine Komplexitätssteigerung zusammen mit Globalisierung angenommen, die die Führungsaufgabe heute so erschwert habe, dass Beratung notwendig geworden sei: „wo es um Verhaltensweisen geht und um individuelle Belange, stoßen Trainings und Seminare an ihre Grenze, das können sie dann nicht mehr behandeln. Und die Management- und Führungssituation ist heute so komplex geworden und so druckvoll, dass sie die im Training, wo es um generelle Themen geht, einfach nicht mehr behandeln können.“ (Müller, Coachinganbieter 1) 117 Zur Beratungsmode Coaching Analyse „ich denke, nachdem die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen auch unsere Führungskräfte immer mehr konfrontiert sind, wesentlich komplexer sind, um sie in einem Training, einem klassischen Training zu lösen, wird individuelle Beratung an Bedeutung zu nehmen.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) Als Ursachen der Komplexitätssteigerung finden sich dann die üblichen Verdächtigen, wie Globalisierung, Flexibilisierung, erhöhte Marktdynamiken usw. Überzeugende Begründungen für den Boom personenzentrierter Beratungsformen in Organisationen fehlen noch. Lediglich für die Beratungsexplosion in der klassischen Managementberatung werden Erklärungen vorgelegt (vgl. Ernst/Kieser 2002; Kieser 2002; Faust 2002). Demnach liegt die Ursache für den Managementberatungsboom in einer zunehmenden Verunsicherung des Managements durch Komplexitätssteigerung und Dynamisierung der Umwelt von Organisationen. Auslöser dieser Entwicklung würden wiederum durch „Globalisierung, neue Technologien (…), die Deregulierung von Märkten und die Verschärfung des Wettbewerbs“ gestellt (Ernst/Kieser 2002: 57). Inzwischen sind die Schlagworte Dynamisierung und Komplexitätssteigerung zu ebensolchen Allerweltsbegriffen verkommen wie Globalisierung, in deren Zusammenhang sie dann auch häufig vorkommen. Ein ganzes Begriffssammelsurium angefangen von „Wertewandel“ über „Komplexität“, „Vermarktlichung“, „Ökonomisierung“ und „Globalisierung“ bis hin zu „Management“, „Beratung“, „Coaching“ usw. wird fast nach Belieben in günstige Konstellationen gebracht, um den Eindruck von Erklärungswert zu erzeugen. Die begriffliche Kontrolle entfällt zugunsten einer halbgebildeten Überzeugungskraft und Flexibilität der Argumentation. Insbesondere Berater tun gut daran, sich nicht allzu detailliert festzulegen, um den Bedarf nach ihren Leistungen aufrechtzuerhalten und vergangene Management- und Reformmoden möglichst bald wieder vergessen zu machen (vgl. ebd.: 61 ff.; Luhmann 2000: 340 f.). 7.2 Funktionale Differenzierung Ernst/Kieser (ebd.) versuchen solche Schlagworte zu vermeiden, indem sie auf die gut elaborierte soziologische Theorie funktionaler Differenzierung zurückgreifen. Demnach sei Dynamik und 118 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Komplexität der funktionalen Differenzierung in gesellschaftliche Funktionssysteme geschuldet. Der moderne Manager sei im Grunde durch die Unsicherheit überfordert, die aus der fortschreitenden Ausdifferenzierung gesellschaftlich generalisierter Logiken resultiere. Obwohl die Funktionssysteme in ihrer Zuständigkeit für Spezialprobleme zunächst Komplexität reduzierten, steigerten sie anschließend doch ihre interne Komplexität und damit die Gesamtkomplexität (vgl. auch Kieser 2002: 49 ff.). Das Argument ist nicht so ohne weiteres einsichtig, allein deshalb, weil funktionale Differenzierung der Gesellschaft und der Beratungsboom sich zeitlich nicht gerade decken. Die entsprechende gesellschaftliche Entwicklung setzt vor einigen Jahrhunderten ein, die Managementberatung kommt erst seit einigen Jahrzehnten in Schwung36. Zumindest historisch nahe liegender wäre es, die moderne Gesellschaft mit der Entstehung von Management und noch allgemeiner mit Organisationen in Verbindung zu bringen. Diese Verbindung erläutert Thomas Drepper, wonach Management als ein praktisches Problem von großen Industrieorganisationen auftaucht (Drepper 2005: 453). Organisation und moderne Gesellschaft sind historisch untrennbar verbunden, weil erst die moderne Gesellschaft die Trennung von Person und Rolle auf breiter Front durchsetzt. Diese Trennung ist aber Grundvoraussetzung für die Rekrutierung von Personen in organisationalen Mitgliedschaftsrollen (Luhmann 2000: 380 ff.). Damit ist die Voraussetzung geschaffen, dass Personen nicht nur Mitarbeiter werden, sondern auch als Schüler unterrichtet werden, als Rechtssubjekt auftreten und als Wirtschaftssubjekt ökonomisch handeln können. Das gilt zwar teilweise schon für vormoderne Verhältnisse, dort aber immer unter der Einschränkung der Duldung oder Erlaubnis durch Oberschicht. Der Proletarier muss dagegen keinen Fürsten mehr, sondern die Organisation um Erlaubnis fragen, will er in einer Fabrik arbeiten. Wollte man also Managementberatung auf funktionale Differenzierung beziehen, müsste man das historische Auseinanderfallen beider Phänomene erklären können. 36 mit Ausnahme der viel zitierten Gründung der ersten Unternehmensberatung Arthur D. Little in den USA im Jahre 1886 119 Zur Beratungsmode Coaching 7.3 Analyse Organisationale und gesellschaftliche Komplexität Die Standarderklärung behauptet, dass gesteigerte Komplexität in der Gesellschaft zu gesteigerter Komplexität in der Organisation führt. Wenn man zustimmt, dass auch Organisationen Teil der Gesellschaft sind, erfährt man aus dieser Erklärung, dass gesellschaftliche Komplexität zu gesellschaftlicher Komplexität führt. Eine perfekte Tautologie, die erst dann entfaltet werden kann, indem man mit Luhmann (2000) sieht, dass Organisationen sich ihre eigene Umwelt schaffen. Die Marktlage, das politische Klima, gesellschaftliche Moden und Wertewandel, all das ist zwar vorhanden, muss aber innerhalb von Organisation erst wahrgenommen und in organisationsinterne Kommunikation transformiert werden. Umweltbedingungen werden für Organisationen erst dann relevant, wenn sie als Entscheidungsproblem reformuliert werden können. Um das Beispiel von oben zu wiederholen: keine Organisation hat Komplexitätsprobleme mit dem Sonnenaufgang, weil darüber nicht entschieden werden kann, obwohl es sich dabei physikalisch betrachtet um einen außerordentlich komplexen Vorgang handelt. Bezogen auf die Entscheidungsförmigkeit von Organisationen führt Luhmann (1997: 609 ff.) eine alternative Erklärung an. Die moderne Gesellschaft mit der Differenzierung in Funktionssysteme löst gesellschaftliche Ranghierarchien auf. Es gibt damit keine Letztversicherung mehr, die ein gesellschaftliches Prinzip über alles andere zu stellen vermag. Das hierarchische Prinzip, Gott-Fürst-Volk-Paria, hat ausgedient. Weltformeln wie Gott, Urknall oder Kapitalismus können jetzt legitim abgelehnt und durch alternative Erklärungen, etwa System, ersetzt werden, die ihrerseits abgelehnt werden können. Die moderne Gesellschaft hat das Prinzip des eindeutigen Oben/Unten durch ein Prinzip der Vergleichbarkeit ersetzt. War die Schichtungsgesellschaft durch Ungleichheit und damit Unvergleichbarkeit geprägt, leistet sich die funktional differenzierte Gesellschaft zugleich Ungleichheit und Gleichheit. Dinge können jetzt unterschieden werden oder als gleichsinnig behandelt werden. Selbstverständlich sind afrikanische und europäische Menschen verschieden, aber genauso selbstverständlich sind sie als Gleiche zu behandeln. Es kommt auf die Perspektive an, mit der man Dinge nun betrachtet. Eine letztgültige Zentralperspektive ist der modernen Gesellschaft abhanden gekommen. 120 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Das hat nicht zum gesellschaftlichen Chaos geführt. Funktionssysteme ordnen Gesellschaft, aber unter dem Prinzip des Nebeneinanders, der mangelnden Zentralperspektive. „Funktionssysteme sind in ihrer Ungleichheit gleich“ (ebd.: 611). Diese Paradoxie der Vergleichbarkeit löst Entscheidungsbedarf aus, weil Ordnung nicht mehr aus einer Zentralperspektive abgeleitet werden kann. Entscheidungen und damit Organisationen beruhen auf genau diesem modernen Paradox, dass die gesellschaftliche Ordnung verschiedene gleichrangige Teilsysteme aufweist. Gesellschaftlich muss nicht über Bevorzugung entschieden werden. Entscheidungen lösen sogar häufig Irritation aus (Kieserling 1999: 352). Das schafft aber Platz für einen weiteren Systemtyp „Organisation“, der nichts anderes macht, als Entscheidbarkeit wiederherzustellen. Wie schon oben (Kapitel 6.1) eingeführt beruht die Möglichkeit des Entscheidens auf Unentscheidbarkeit. Oder wie Heinz von Foerster formuliert: „Only those questions that are in principle undecidable, we can decide“ (Foerster 1992).Weil die Funktionssysteme moderner Gesellschaft unentscheidbar nebeneinander funktionieren, kann man andernorts darüber entscheiden, welcher Funktion man den Vorzug vor anderen gibt. Und dieser Ort ist Organisation. Organisation kann die Unentscheidbarkeit der modernen Gesellschaft nicht außer Kraft setzen, viel mehr findet Gesellschaft innerhalb wie außerhalb von Organisation statt (Luhmann 2000: 383). Das ist mit der Paradoxie des Entscheidens ausgedrückt, weil Entscheidungen zwar eine Alternative, z.B. Profit, auswählen, aber zugleich Alternativen, z.B. die Gesundheit der Arbeiter, als gleichwertig ausweisen, denn sonst hätte man sich nicht zwischen beiden entscheiden müssen. Organisationen wiederholen damit nicht die funktionale Differenzierung von Gesellschaft, weil sie sich so nicht von Gesellschaft differenzieren könnten. Das heißt, dass Organisationen sich nicht einfach nur über wirtschaftliche oder religiöse oder politische Kommunikation reproduzieren, sondern gewissermaßen quer dazu liegen. Sicherlich wird in praktisch allen Organisationen gewirtschaftet, aber das findet auch außerhalb statt. Darin kann der Eigenwert der Organisation nicht liegen. Gleichfalls wird in Organisationen viel Politik betrieben, aber auch das findet man genauso außerhalb. Der Eigenwert der Organisation besteht darin, dass sie diese verschiedenen Logiken aufeinander bezieht und durch Entscheidung ordnet. Mit dieser Ordnungsleistung kann sie sich selbst identifizieren und gegen eine gesellschaftliche Umwelt differenzieren, 121 Zur Beratungsmode Coaching Analyse weil in Funktionssystemen diese Leistung nicht vollbracht wird und in anderen Organisationen anders vollzogen wird. Die Behauptung, Managementberatung sei auf die gestiegene gesellschaftliche Komplexität zurückzuführen, bietet zumindest den Vorteil, dass man in Komplexität einen soziologisch gut elaborierten Begriff vorfindet. Luhmann versteht unter Komplexität die Selektivität aus möglichen Beziehungen zwischen Elementen eines Systems (Luhmann 2005e). Die Elemente des Organisationssystems sind Entscheidungen und Selektivität, also Komplexität erreicht Organisation wiederum durch eigene Entscheidungen darüber, welche Umweltaspekte Beachtung finden. Die Komplexität der Organisation ist mithin keine Kopie gesellschaftlicher Komplexität. „Es geht nicht um Übernahme, es geht um Imagination“ (Luhmann 2000: 78). Nichts spricht deshalb dafür, dass gesellschaftliche Komplexität eine Entsprechung in Organisation findet. Der Zusammenhang ist sogar umgekehrt zu denken: Die funktionale Differenzierung der modernen Weltgesellschaft in verschiedenartig/gleiche Funktionssysteme bedeutet im Vergleich zu traditionellen Gesellschaftsformationen eine drastische Komplexitätsreduktion. Noch nie zuvor waren so wenige Voraussetzungen zu erfüllen, um an gesellschaftlich relevanter Kommunikation teilzunehmen. Die prinzipielle Teilnahmemöglichkeit aller „im anerkannten Status als Person“ wird zur gesellschaftlichen Norm (ebd.: 390). Auf dieser gesellschaftlichen Ebene wird die Komplexität immer geringer, weil immer weniger Selektionen Bedingungen sind, um kommunikativ erreichbar zu sein. Nicht nur auf dieser Ebene der Teilhabevoraussetzungen ist die moderne Gesellschaft so wenig komplex, wie zu keiner Zeit zuvor. Die in Organisationen wahrgenommene Komplexitätssteigerung durch die so genannte Globalisierung beruht ganz wesentlich auf Komplexitätsreduktion. Technische, wirtschaftliche, rechtliche, politische, institutionelle und kulturelle Standardisierungen haben Globalisierung ermöglicht. Nur weil Vorselektionen aufgehoben wurden und durch generelle Standards ersetzt wurden, müssen Organisationen jetzt darüber entscheiden, in welchen Regionen sie mit welchen Partnern in welchen Netzwerken produzieren, verwalten, verkaufen oder Steuern zahlen wollen. Das, was in der Organisation als schwierige, unentschiedene Welt erscheint, ist außerhalb der Organisation eine vereinfachte, generalisierte und standardisierte Welt. Die vielen technischen, sozialen und kulturellen „Lock-ins“ 122 Analyse Zur Beratungsmode Coaching (Grabher 1993) mögen als „McDonaldisierung“ (Ritzer 1995) bedauert werden, aber genau das führt zu Entscheidungslasten in Organisationen. Die gesellschaftliche „Vorwahl“ zu verschiedenen Ländern, Märkten, Städten, Kunden und Lieferanten, Kulturen und Religionen entfällt unter modernen Bedingungen. Immer mehr Elemente der Weltgesellschaft sind direkt erreichbar. Die gestiegene Komplexität, die Organisationen, Führungskräfte und Managementlehren erleben, ist also nicht die Komplexität der Gesellschaft. Die Komplexität entsteht vor allem in und durch Organisationen, weil dort die Erreichbarkeit der Welt und die Vergleichbarkeit ihrer Elemente, Selektionsbedarf auslöst. Erst wenn man überall verkaufen könnte, muss man eine Auswahl nach eigenen Maßstäben treffen und sich beispielsweise auf Europa und Nordamerika konzentrieren. In der Zukunft wird man sich womöglich rechtfertigen müssen, warum man Asien und den Nahen Osten ignoriert habe. Gesellschaftlich kann man diese Selektionen immer weniger legitimieren. Insofern Gesellschaft immer mehr Vergleichbarkeit und Standards schafft und damit immer weniger Vorselektionen trifft, sind Organisationen immer stärker auf sich selbst verwiesen. Verständlich wird aus dieser Problemlage, dass die Umweltbeobachtung noch zunimmt, weil man immer weniger a priori ausschließen kann. In dem Maße, als sich gesellschaftlich immer mehr Gleichheit durchsetzt, Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Adel und Volk, von Herrschaft und Gesinde, von Mensch und Natur, von Ost und West, von Nord und Süd, von Angestellten und Arbeitern, von Inländern und Ausländern usw., kann die Selektion durch Organisation erfolgen. Was gesellschaftlich frei gegeben wird, kann organisational entschieden werden. Der primäre Abbau gesellschaftlicher Komplexität ist somit Voraussetzung nachfolgender Komplexität in Organisationen. Die Chance von Unternehmens- und Organisationsberatung und von Managementmoden liegt also nicht in der gestiegenen, sondern in verschobenen Informations- und Komplexitätslasten. In diesem Sinne sind externe Berater Selektionskatalysatoren. Ihre ewige Regenerationsfähigkeit verdanken sie ebenso wie Managementmoden der gesellschaftlich minimierten Vorselektion. Weil mehr möglich ist, muss man auch mehr auswählen. Sieht man sich einer so egalitär zugänglich gewordenen Welt gegenüber, helfen Berater und Moden, Schritte auf dem Weg zum Aufbau interner Komplexität zu gehen. 123 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Die dabei entstehenden Beratungsmoden sprechen jedoch nicht für sich selbst. Es muss über ihren Einsatz entschieden werden. Allein das steigert schon wieder die Optionen, weil die Modethemen auch ihre gegenteiligen Themen implizieren. So befreien auch Berater nicht von der Gleichheit der Welt, fügen im Gegenteil nur noch weiteren Entscheidungsbedarf hinzu37: lieber ein renommiertes Großunternehmen oder lieber einen kleinen Spezialisten der Beratungsszene? Beratervorschläge ganz, teilweise oder gar nicht übernehmen? Selbst die Entscheidung, auf Beratung zu verzichten, muss nun als Entscheidung getroffen werden, wie z.B. die „führenden Geschäftsmännern“ Rupert Murdoch von News Corporation und Arnold Weinstock von General Electric (Wooldridge 1997) mitteilen. Insofern scheint Beratung besonders gut auf Entscheidung zugerichtet zu sein, es handelt sich um „komplementäre Sachverhalte“ (Schützeichel 2004a: 276). Der Zusammenhang von Coaching und intern gestiegener Komplexität kann von Gatekeepern viel konkreter bestätigt werden, als das Ausweichen auf Globalisierungsfolgen: „Das heißt also, wir haben Redimensionierung betrieben. Wir haben die Führungsspannen erhöht, wir haben die Gebrauchtwarenläden oder die Gemischtwarenläden thematisch drunter auch größer gemacht. Das heißt eben, dass dann das Bewusstsein gestiegen ist auch unter den Führungskräften, die schon die zweite oder die dritte Führungsposition hatten, dass sie eingesehen haben, aufgrund der hinzu gekommenen Komplexität, ist es einfach gut, wenn sie einfach irgendwoher Unterstützung bekommen.“ (Schäfer, Verkehrsunternehmen 1) Organisationsinterne „Redimensionierung“ und Umstrukturierungen schaffen Komplexität, die Manager vor neue Aufgaben stellt. Sofern Komplexitätszuwächse als Auslöser für Coaching hier akzeptiert werden, muss jedenfalls deutlich werden, dass dies innerhalb der Organisationen wahrnehmbar ist. Die Komplexität der 37 Dementsprechend sind die meisten Beratungsprojekte Folgeprojekte (BDU 1996, zitiert nach Ernst/Kieser 2002: 79) 124 Analyse Zur Beratungsmode Coaching „Welt“ ist immer die Welt, wie sie in der Organisation gesehen wird, was im folgenden Zitat gut zum Ausdruck kommt: „unsere Welt war einfacher. Sie müssen sich auch mal überlegen: bis 1994 musste die (Organisation) auch kein Geld verdienen. Wir waren ein öffentliches Unternehmen. (…) Die Welt war relativ, also weniger komplex, vielleicht zweidimensional, aber bestimmt nicht drei-, vier-, fünfdimensional. Es gab kaum Führung in Matrixorganisation. Es gab eigentlich das Prinzip linear-kausal und sonst nichts. Und nach dem hat man geführt.“ (Schäfer, Verkehrsunternehmen 1) Die angeführten Zitate verweisen auf ein häufiges Gleichsetzen von Systemkomplexität mit der wahrgenommenen Kompliziertheit von Führungsstellen. Wenn auch hier wieder relativ unklar bleibt, was mit „kompliziert“ eigentlich gemeint ist, so lohnt es sich auf die Komplexitätsfolgen von Systemdifferenzierung hinzuweisen. Von Komplexität kann man nur im Hinblick auf Elemente und deren Beziehungen innerhalb eines Systems sprechen (Luhmann 2005e). Interne Differenzierungen in Abteilungen, Gruppen, Spezialistenstellen, Stäbe usw. erhöhen die gesamte Organisationskomplexität, indem sie diese innerhalb der Teilsysteme reduzieren. Mit interner Differenzierung muss nicht an allen Stellen alles beachtet werden, sondern an den meisten Stellen kann das meiste ignoriert werden. Verzichtet man auf solche Differenzierungen, wie es beim Abbau von Hierarchien, bei vermehrter Partizipation und bei Firmenfusionen geschieht, so vermehren sich die Informationslasten in den verbleibenden Teilsystemen. Umso weniger differenziert und komplex eine Organisation bei gleich bleibenden Informationslasten ist, umso informationsreicher werden einzelne Stellen. Insbesondere gilt diese für Führungskräfte. Der Abbau von Hierarchie oder die zitierte Einführung von Matrixorganisationen im Zuge von Managementmoden der 90er Jahre hat die Informationsverarbeitungskapazitäten des hierarchischen Systems reduziert. In der Matrixorganisation werden Informationen parallel von zwei Vorgesetzten verarbeitet, ohne dass daraus Entscheidungsfähigkeit resultiert. Baut man Hierarchien ab, werden Informationen auf dem Weg nach unten und nach oben weniger stark gefiltert, was zu einer Überlastung des gesamten hierarchischen Systems inklusive der Organisationsspitze führen kann. Beide Maßnahmen reduzieren die Systemkomplexität und belasten zugleich die Führungsstellen. 125 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Beratung löst dieses Problem der Informationslast nicht, bindet sie doch zunächst weitere Informationsverarbeitungskapazitäten. Man muss nicht nur mit dem Chaos nach der Umstrukturierung zurechtkommen, sondern muss auch noch die Vorschläge eines Beraters verarbeiten. 7.4 Beratung und ihre Moden Die Erklärung von Managementberatung und damit auch Coaching aus den Folgen von Globalisierung, kann nicht überzeugen. Insbesondere wird die Welt durch Beratung ja nicht weniger komplex, sonder fügt der gesellschaftlich determinierten Unentscheidbarkeit noch ein unentscheidbares Kriterium hinzu: Wer könnte schon sagen, ob Beratung oder keine Beratung besser wäre? Ein Berater? Ein wesentliches Merkmal von Beratung besteht in einer widersprüchlichen Konstitution der Beziehung. Während man Professionen wie Ärzten, Seelsorgern und Juristen mit abnehmender Tendenz zugesteht, dass sie aus ihrem Expertenstatus autoritär Maßnahmen ableiten können, galt das für Berater noch nie. Einerseits sollen Berater durch ihren anerkannten Wissensvorsprung die Beziehung asymmetrisieren, sonst müsste man sie erst gar nicht anfordern. Zugleich gesteht man ihnen aber nicht die professionelle Autorität zu, selbst über Maßnahmen zu entscheiden. Man unterhält symmetrische Beziehungen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ lautet häufig die Formulierung von Gatekeepern und Coaches für dieses Beraterparadox: „Ich betrachte meine Rolle als Coach nicht anders als neutraler Sparringpartner, Hilfe zur Selbsthilfe.“ (Fischer, Finanzdienstleister 1) „Coaching bearbeitet nicht nur die Symptome eines Problems, sondern versucht, dessen Ursachen zu ergründen. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe, d.h. es ist darauf ausgerichtet, künftig neue oder wieder auftretende Probleme lösen zu können.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) Ein Gatekeeper nimmt dagegen kritisch Bezug auf diese Formel: „’Ich bin Experte für Psychologie und das ganze Thema hier und Sie sind Experte für sich selber. Ich kann Ihnen nichts beibringen, was Sie nicht schon selber wissen. Und das heißt, dass wir symmetrisch kommunizieren müssen.’ (…) die meinen so etwas wie symmetrische Kommunikation und 126 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Gleichberechtigung, wenn sie schreiben: Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe. Und das ist einfach peinigend blöde, sage ich Ihnen! Weil in welchen Kontexten verwenden wir das Hilfe zur Selbsthilfe? Wir verwenden das dort, wo wir es mit Gruppen zu tun haben, die auf irgendeine elende Art aus der Gesellschaft rausgedriftet sind: Schwerbehinderte, Leute, die einen Sprung in der Schüssel haben, das sind alles Leute, wo wir sagen: Hilfe zur Selbsthilfe. Und so deklassiert sich einer, der sagt, Hilfe zur Selbsthilfe, weil er genau eine komplementäre Situation schafft.“ (Becker, Coachinganbieter 2) Der zitierte Gatekeeper setzt sich zwar für eine „symmetrische Kommunikation“ ein und hält „komplementäre Situationen“ im Coaching für „peinigend blöde“. Eine solche Argumentation muss sich aber die Frage gefallen lassen, wie sich ein Coach anders rechtfertigen lässt, wenn nicht aus einer gewissen Expertise. Auch gäbe es kein „Scharlatanerieproblem“ (Kühl 2005a), wenn nicht wie bei jedem Berater eine gewisse Expertise gefordert wäre, die die symmetrische Situation zugleich asymmetrisiert. Das Beratungsparadox besteht darin, dass es dem Berater einen (Wissens-)Vorsprung einräumt und daraus doch kein (Entscheidungs-)Vorrecht entsteht (vgl. Schützeichel 2004a: 276 f.). An den Höfen des Adels wurde dieses Paradox noch entfaltet durch Hofnarren, Liebeshöfe oder durch karnevaleske Kommunikation (vgl. Luhmann 1987: 461 f.). Organisation, die wie die Schichtgesellschaft auf formale Hierarchie nicht verzichten kann, muss sich Ratschläge und Belehrungen in Kontakten außerhalb des hierarchischen Systems erteilen lassen. Vor allem geschieht dies in informaler Kommunikation und dort besonders unter Ranggleichen. Dennoch tut man sich schwer, Expertise von Rangniederen anzuerkennen, insbesondere wenn daraus formale Entscheidungen generiert werden sollen. Mit dem Übergang von gesellschaftlicher Hierarchie in Organisationshierarchie müsste man jetzt davon sprechen, dass der Prophet in der eigenen Organisation nicht viel gilt. Dementsprechend kennzeichnet man Expertise als informale Machtquelle, die die formale Hierarchie bedroht, hintergeht und aushöhlt (vgl. Crozier/Friedberg 1993; Iding 2001). Moderne Beratung hat den Widerspruch von Überlegenheit durch Expertise und formaler Gleichrangigkeit kultiviert. Ähnlich abwertend wie Hofnarren und Karnevalsredner hält man Berater noch immer für Besserwisser, die aber nie verantwortlich gemacht werden können. 127 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Beides ist aber wörtlich genommen richtig. Berater können deshalb nicht verantwortlich gemacht werden, weil und sofern sie nicht Mitglieder im formalen Hierarchiesystem der Organisation sind. Dass Berater keine Verantwortung im Sinne bindender Entscheidungen tragen, sollte jedoch nicht über ihre Leistung hinweg täuschen. So wie Modeexperten im Kleidungsgeschäft sind Managementberater Experten in Sachen Managementmoden. Dass sie ebenso wenig wie die Manager selbst über den Stein der Weisen verfügen, führt gerade dann zu Moden, wenn man an die eine beste Art und Weise der Betriebsführung glaubt. Mit der „Paradoxie des Entscheidens“ (Luhmann 2000: 123 ff.) kann man einen solches Managementoptimum ausschließen. So wird der Stein der Weisen zum „Fels des Sisyphos“ (Kühl 2002b). Wem das Argument zu theoretisch erscheint, der kann sich auch an die empirischen Evidenzen halten. In Organisationen und ihren Umwelten ändert sich ständig etwas und man kann nicht an einem einzigen gradlinigen Weg festhalten. Am allerwenigsten gilt der eine beste Weg für das Management. So wie aber eine Kleidungsmode eben nur eine gewisse Zeit lang funktioniert, so funktionieren auch Managementmoden nur für eine bestimmte Zeit. In der Frage nach dem Für und Wider der Beratung, besteht die Wahl darin, sich nie zu verändern und dafür fast immer falsch zu liegen oder eben Modewellen mitzugehen und dafür fast immer über Legitimitätsvorteile zu verfügen. Moden entstehen auf einer Beobachtungsebene zweiter Ordnung. Man hält das für modisch, was andere für modisch halten. Sie sind eine Erscheinung der Moderne (Luhmann 1997: 1070). Berater haben sich auf dieser Ebene spezialisiert. Sie halten laufend Kontakt zu großen Organisationen, führen eigene Erhebungen durch und verschaffen sich so einen Eindruck, welche Methoden, Techniken, Kulturen usw. im Management aktuell sind. Sie sind Experten für die Beobachtungen anderer und werden das für innovativ halten, was andere für innovativ halten. Umgekehrt stehen aber inzwischen renommierte Berater unter strenger Beobachtung durch diejenigen Organisationen, die sie selbst beobachten. Es kommt zu einer „selffulfilling prophecy“ (Merton 1995: 399 ff), in der so beobachtet wird, wie die meisten beobachten. Das Entstehen von organisationalen Moden wird begünstigt durch gesellschaftliche Freigabe von Entscheidungsräumen. Umso mehr gesellschaftlich unentschieden vergleichbar ist, umso mehr müssen Stabilitäten durch ein gegenseitiges Beobachten des Beobachtens hergestellt werden. 128 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Eine wichtige Funktion von Mode entsteht im Zusammenhang mit Technik. Techniken bzw. Technologien, wie z. B. Coaching, sind feste Kopplungen von Ursachen und Wirkungen (vgl. Luhmann 2000: 370). Diese festen Kopplungen ermöglichen „erhebliche Vereinfachungen“, ein hohes Arbeitstempo, verringerten Kontrollaufwand und „vor allem reduziert Technik den Konsensbedarf“ (ebd.: 372). Allerdings ist das Funktionieren der Technik davon abhängig, dass man allgemein vom Funktionieren überzeugt ist und nicht jedes Auto, jeden Computer oder jede Coachinginteraktion auseinander nimmt, um sich von Funktionsweise und Funktionieren augenscheinlich zu überzeugen. Mode liefert hier die Lösung und macht „die Theorien, die für ein wissenschaftliches Verstehen und Erklären technischer Vollzüge notwendig wären“, überflüssig. Man weiß zwar nicht wirklich, wie und warum Coaching funktioniert; man bemängelt sogar immer wieder das Fehlen wissenschaftlicher Evaluationen (vgl. 8.5 Evaluation von Coaching); und dennoch gibt man sich überzeugt, dass es funktioniert38. Die Überzeugung rührt im Wesentlichen daher, weil es offensichtlich viele andere Organisationen, insbesondere solche, die man als Referenz schätzt, ebenfalls anwenden. Der Clou aber ist, dass dann die Erfolgs- und Misserfolgszurechnungen tatsächlich „richtig“ erfolgen39. Bleibt der Mercedes liegen, handelt es sich eben um einen „Montagswagen“; klappt die Edelberatung Coaching nicht, hat man eben nur einen der vielen „Coaching-Scharlatane“ erwischt. Das allseits bemängelte Scharlatanerieproblem beim Coaching rettet das prinzipiell fraglos-technische Funktionieren von Coaching auch für Misserfolgsfälle. 38 Deshalb ist für diese Analyse der Funktion von Coaching in der Organisation auch nicht dringend notwendig, die Coachinginteraktion selbst empirisch zu untersuchen, weil man in Interviews mit Gatekeepern feststellen kann, dass auch die Organisation nur eine vage Vorstellung von den tatsächlichen Vorgängen in der Coachinginteraktion hat; und es ist evident, dass dies überhaupt kein Hinderungsgrund ist, Coaching dennoch einzusetzen. 39 Und damit unterscheidet sich diese Argumentation von neoinstitutionalistischen Erklärungsversuchen, die allein (und tendenziell tautologisch) auf die Legitimität von Moden verweisen. Demnach übernehmen Organisationen Moden nur, weil sie Legitimitätsvorteile versprechen (vgl. grundlegend: Meyer/Rowan 1977; Zucker 1977; DiMaggio/Powell 1983). Hinzu kommt aber, dass solche Moden Erfolgsund Misserfolgszurechnungen so verteilen, dass die entsprechende Technik bzw. Institution tatsächlich zuverlässig funktioniert. 129 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Die Moden kommen und gehen, der Berater aber bleibt. Seine Expertise und Leistung ist nicht abhängig von genau einem modischen Konzept und jedenfalls ist ihm und dem Klienten schlecht geraten, wenn er sich mit genau einer Mode identifiziert. Seine Leistung liegt nicht darin, dass er Wahrheit findet, weshalb sich Wissenschaftler auch besonders schlecht als Berater eignen (vgl. Kieser 2002). Seine Leistung liegt auch nicht darin, dass er aus allen möglichen Wegen des Managements die richtige herauskondensiert. Seine Leistung ist dann hilfreich, wenn er aufmerksam beobachtet, was andere als das beste Management betrachten und dadurch eine prekäre Sicherheit schafft, die sich mit der nächsten Modewelle aber schon wieder aufgebraucht hat. Diese Expertise gewinnt er nicht nur durch Markforschung, sondern vor allem in jedem Beratungsprojekt, wo er beobachten kann, wie die Beratungsnehmer beobachten. 7.5 Verlust gesellschaftlicher Autoritätsgrundlagen Nachdem nun ein Begriff der Beratung erarbeitet wurde, wendet die Diskussion sich der Frage zu, in welchem Zusammenhang Coaching als personenzentrierte Beratungsdienstleistung mit dem diagnostizierten Autoritätsverlust bei Führungskräften steht. Als wichtige Voraussetzung für Coaching wurde Freiwilligkeit und Vertraulichkeit genannt, die als formale Folgenlosigkeit übersetzt wurden (Kapitel 4.2.2). Wenn man relative Folgenlosigkeit für Organisation annimmt, kann man die Frage nach der Bedeutung von Coaching anders stellen. Die Frage ist dann nicht mehr, was den Bedarf für Coaching auslöst bzw. welches Bezugsproblem mit Coaching gelöst wird, sondern welche Veränderungen es nun legitim erscheinen lassen, Vorgesetzte zu „coachen“. Die Neuerung liegt vor allem darin, dass jetzt Vorgesetzte zunehmend offiziell persönlich ausgebildet und beraten werden, ganz unabhängig davon, was die konkreten Erwartungen, Inhalte und Ziele der Maßnahmen sind. Darin besteht die „Veränderung der Rolle des Managements“ (Deutschmann et al. 1995), die mit Führungskräfteentwicklung und mit Coaching zum Ausdruck kommt. Ganz offiziell und legitim kann man ihnen nun Defizite unterstellen, die in speziellen Führungskräfteentwicklungsprogrammen und situativen Maßnahmen wie Coaching oder Mentoring bearbeitet werden können. Die Forschungsfrage richtet sich jetzt nicht mehr darauf, was tatsächlich der einzigartige Bedarf nach 130 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Coaching sei. Von Interesse ist, weshalb man Vorgesetzte und Führungskräfte jetzt entwickeln und persönlich beraten kann bzw. was dies bisher verhindert hat. Vorgesetztenstellen hatten schon immer mehr oder weniger widersprüchliche und konflikthafte Orientierungen zu beachten. Allein die Schnittstellenfunktion zwischen höherer und nachrangiger Hierarchieebene kann nicht aus einem Prinzip rationalisiert werden (Luhmann 1999: 211 f.). Ganz grundlegend beruht die Schwierigkeit des Vorgesetzten in der paradox konstituierten Entscheidungsförmigkeit von Organisationen. Die Heroisierung und die Mythenbildung um Entscheiden und Führen verdeckt das Paradox. Entscheidungen können so auf geborene, geniale, talentierte, geschulte oder gereifte Führungspersönlichkeiten zugerechnet werden. Die Autorität gerade eines Vorgesetzen, aber auch einer Führungskraft zeigt sich darin, dass ihre Entscheidungen ohne Nachfragen akzeptiert werden (ders. 2000: 204). Die gesellschaftlichen Grundlagen von Autorität, wie Bildung und Schichtzugehörigkeit, die lange Zeit Führungsautorität stützten, verlieren zunehmend an Legitimität (vgl. den kritischen Beitrag von Hartmann/Kopp 2001) und Bedeutung. Man kann sich heute als Vorgesetzter in der Führungsaufgabe immer weniger auf Herkunft und exzellente Ausbildung verlassen (vgl. Kapitel 6.5). Zweifelsohne kommen Organisationen nach wie vor nicht ohne Hierarchie aus, auch wenn sich hierarchische Steuerungsformen im Wandel befinden (Kühl 2002b: 36 ff.). Führung muss aber vom formalen hierarchischen Rang des Vorgesetzten unterschieden werden. Führung kann nicht befohlen oder vertraglich bestimmt werden. Daraus ergeben sich die Schwierigkeit und die Faszinationskraft der Führungsaufgabe (vgl. 6.4 Führung und Hierarchie). Auch bei Vorgesetzten erzeugt der gesellschaftliche Rückgang von generellen Statuszuweisungen Vergleichbarkeit. Weil Personen jetzt zusehends unabhängig von gesellschaftlicher Vorselektion gleichgestellt sind, kann und muss diese Auswahl in Organisationen nachgeholt werden. So legitimieren Organisationen ihre Vorgesetzten durch die Auswahl in Assessmentcentern, 360°-Feedbacks und sonstigen Personalbeurteilungsverfahren. Jede Organisation entwickelt dabei mehr oder weniger eigene Kriterien oder verleiht anerkannten Kriterien eine eigene spezifische Gewichtung. Jedenfalls wird der Vorstandssohn nicht mehr deshalb Abteilungsleiter, weil der Vater schon Vorstand ist, sondern weil er in einem objektivierenden 131 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Verfahren als geeignet beurteilt wurde. Diese organisationsinterne Objektivierung von persönlicher Eignung ersetzt die ehemals gesellschaftlich verfügbaren Kriterien. Anstatt einer gesellschaftlichen Autorität erhalten Vorgesetzte und gegebenenfalls auch nicht hierarchisch legitimierte Führungskräfte jetzt eine organisationale Autorität zugewiesen, bestätigt durch „objektive“ Auswahlverfahren der Personalentwicklung. Gesellschaftliche Gleichstellung im Personstatus führt wiederum zu Entscheidungslasten in der Organisation. Diese gesellschaftliche Entwicklung ist nicht nur bei Vorgesetzten in Organisationen zu beobachten. Auch bei Berufen, Professionen und Experten ist die Tendenz zu Vergleichbarkeit und Relativierung zu erkennen. Berufsausbildungen führen schon längst nicht mehr zu einer vorbestimmten Stellenfolge. Auch Ungelernte können als Quereinsteiger Karriere machen und auch Akademiker müssen sich durch Personalentwicklung nachschulen lassen. Die Profession der Ärzte als ein klassischer „Hoher Beruf“ muss sich stärker auf ein partnerschaftliches Verhältnis zu den Patienten einstellen und kann nicht mehr kraft anerkannter Autorität über Therapie und Behandlungsverlauf bestimmen. Der Heilungserfolg wird als abhängig von einer im gewissen Sinne symmetrischen Arzt-Patient-Beziehung angesehen (zum Konzept „compliance“ vgl. z.B. Stoffelmayr et al. 1989). Auch Gläubige lassen sich immer seltener als „Schafe“ behandeln und wollen als Gleichrangige von Seelsorgern „beraten“ werden (vgl. Schützeichel 2004b). Der Hohe Beruf ist gar nicht mehr so hoch und es setzt ein Trend zur Deprofessionalisierung ein (vgl. Stichweh 1996). Und letztlich müssen auch Experten zusehends ihre Begründungszusammenhänge mitliefern und können nicht einfach auf ihre Ausbildung und Erfahrung verweisen. Man glaubt Experten nicht mehr, weil sie Experten sind, sondern nur noch dann, wenn sie überzeugen können (Beck 1986: 276 f.; 1996: 299 ff.). Man kann Gegenexperten benennen und die Formulierung, dass jemand „anerkannter Experte“ sei, muss sich die Frage gefallen lassen, von wem er anerkannt ist. Die Autorität des Experten gibt Anlass für Protestbewegungen, die unterstellen, dass Experten ihre Entscheidungen gerade nicht so gut begründen können, dass sie einleuchten. Damit kommt es zu Optionssteigerungen und Unsicherheit, die in Organisationen bearbeitet werden können. 132 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Man kann diese gesellschaftliche Entwicklung als „Risikogesellschaft“ bzw. als „Reflexive Moderne“ (ders. 1986) stilisieren. Diese gesellschaftlichen Tendenzen bedeuten jedenfalls nicht, dass Ausbildung, Herkunft, Expertenwissen, Profession usw. bedeutungslos würden. Insofern werden die klassischen modernen Kategorien nicht einfach durch „postmoderne“ Kategorien abgelöst. Es kommt auch nicht zu einem „anything goes“. Es hat sich nur die Beweislast verschoben zu Ungunsten der „Alterswerte wie Autorität und Erfahrung“ (Luhmann 2000: 205). Ärzte, Vorgesetzte, Pastoren, Richter und Experten sind immer noch Experten und können, ja müssen Situationen asymmetrisieren (vgl. Saake 2003). Man gesteht ihnen in vielen Fällen immer noch das Vorrecht der Situationsdefinition zu. Die These lautet jedoch, dass diese Fälle in durch formale Organisation gedeckt sein müssen. Die Anerkennung ihrer Autorität ist stärker gebunden an ihre formale Rolle in Organisationen. Das heißt, dass sie daraus immer weniger Vorrechte ableiten können, die ihre ganze Person umschließen. Im Gegenteil wird der Vorgesetzte geschätzt, der neben seiner Chefrolle auch noch „Mensch“ ist. Vorgesetzte müssen damit kalkulieren, dass sie die Beobachtung durch Mitarbeiter nicht als irrelevant abtun können (Luhmann 2000: 323). Der Vorgesetzte kann nicht mehr legitim mit einem autoritären Führungsstil die Selbstdarstellungsinteressen der Mitarbeiter ignorieren. Was sich stattdessen ausbildet, kann als „Psychologisierung der Führungskommunikation“ (Pongratz 2002: 97 ff.) beschrieben werden. Vorgesetzte und Mitarbeiter müssen „psychologisch“ empathisch und „emotional intelligent“ (vgl. Goleman 1996) beobachten, testen und antizipieren, wie sie auf ihr Gegenüber wirken. Worum es aber im Kern geht, ist die Symmetrisierung der Beziehungen auf einer Beobachtungsebene zweiter Ordnung. Institutionalisierter Ausdruck dafür ist, dass es jetzt nicht nur Mitarbeitergespräche gibt, in denen formalisiert Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten beurteilt, das heißt beobachtet werden, sondern jetzt sich auch Vorgesetzte eine Beurteilung durch ihre Mitarbeiter in so genannten Führungsgesprächen oder 360°-Feedbacks gefallen lassen müssen. Vorgesetzte wie Mitarbeiter müssen nun beobachten, wie sie beobachtet werden. Selbst bei den exemplarisch autoritären Organisationen des Militärs macht man sich Gedanken zur Führung, die zunehmend ernst genommen werden und die nichts anderes ausdrücken als diese Symmetrisierung durch die Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. Wiesendahl 2005). 133 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Wenn gesellschaftlich verfügbare Autoritätswerte von Personen abnehmen, entsteht für Organisation wiederum Entscheidungsbedarf, wer als Vorgesetzter und als Führungskraft geeignet ist. In formalisierten Auswahlverfahren werden Kandidaten bestimmt, die dann in zum Teil mehrjährigen Programmen zu Vorgesetzten „entwickelt“ werden. In einer paradox konstituierten Doppelbegründung wird Personen schon vorhandene Eignung, aber zugleich Entwicklungsbedarf attestiert. Von Organisationspsychologen entwickelte und geheim gehaltene Prüfkriterien helfen, das Mysterium des Führens aufrechtzuerhalten. Das Auswahlverfahren, der Glaube an Führungsethos und die Schaffung organisationsinterner Autorität beruhen darauf, dass die genauen Persönlichkeitsmerkmale und ihre Kombination sich einer Formalisierung entziehen und der Führungspersönlichkeit Charisma, Führungsinstinkt, emotionale Intelligenz usw. zugerechnet werden können. Eine Folge aus dem Verlust gesellschaftlich gestützter Autoritätsund Erfahrungswerte besteht weniger in einer Individualisierung, als in einer zeitlichen und sachlichen Flexibilisierung der Autoritätsunterstellung. Unter der Bedingung der Beobachtung zweiter Ordnung muss man nicht nur beobachten, ob man autoritär entscheiden kann, sondern auch mit welchen Folgen eine autoritäre Entscheidung beobachtet wird. Selbst wenn man durch den formal abgesicherten Rang eine Entscheidung durchsetzen kann und die Entscheidung befolgt wird, entsteht möglicherweise Schaden für die Beziehung, weil der Entscheidungshergang als Konflikt erinnert wird (vgl. Luhmann 2000: 323). Autorität wird damit zu einem Mittel unter anderen. Je nach Situation wird man legitim autoritär oder anders entscheiden können. Das Problem ist, dass es dafür keine generalisierbare Regel gibt, wann welcher Führungs- und Entscheidungsstil angebracht erscheint. Die einzig generalisierbare Konsequenz scheint zu sein, mehr auf einen situativen und abwartenden Führungsstil umzustellen. Man wird stärker darauf angewiesen sein herauszufinden, wie man selbst beobachtet wird und welche Erwartungen damit verknüpft sind. Man wird auf die Beiträge anderer stärker zu achten haben und sie würdigen müssen, selbst wenn die meisten davon in den „Mülleimer“ wandern (vgl. Cohen et al. 1972). 134 Analyse 7.6 Zur Beratungsmode Coaching Problemlösungen für Autoritätsverlust Autoritätsverlust ist nur ein Bereich eines generellen gesellschaftlichen Wandels zu mehr Gleichheit. Es herrscht eine gesellschaftliche „Tendenz (…) in die Richtung auf ein gleiches Verhalten in allen Lebenslagen“ (Elias 1989: 42). Die Gleichheit stützt sich auf Beobachtung zweiter Ordnung: Der Herr kann nicht länger auf seine gesellschaftlich abgesicherte Autorität vertrauen und dadurch die Beobachtung seiner selbst durch den Knecht ignorieren. Führende Persönlichkeiten müssen sich in Umfragen, Führungsgesprächen, Fernsehduellen, Assessmentcentern, 360°-Feedback usw. fundamental der Beobachtung durch Nachrangige stellen. Der Verlust einer gesellschaftsweiten Ordnung wird kompensiert durch die Beobachtung, wie andere beobachten. Wenn man nicht mehr weiß, woran man sich halten soll, hält man sich daran, woran sich andere halten. Erst daraus entsteht die Möglichkeit von Moden: „Schön ist das, was allgemein gefällt“ (Kant). Als die BusinessWeek 1957 in einem Artikel behauptete, dass Executive Coaching auf dem Vormarsch sei, wurde der Vorgesetzte als Coach bezeichnet (BusinessWeek 1957). Diese Idee, der Vorgesetzte könnte als Coach seiner Mitarbeiter auftreten, ist noch heute virulent (z.B. Whitmore 1997: 19 ff.). Unter Coaching-Experten herrscht Streit darüber, ob der Rollenkonflikt zwischen Vorgesetzterund Coachrolle überwunden werden kann (z.B. Absatzwirtschaft 1999). Wichtiger für die hier verfolgte Argumentation ist, dass es überhaupt denkbar, ja sogar erwünscht ist, dass der Vorgesetzte sich auf gleiche Augenhöhe mit Mitarbeitern begibt. Der Artikel von 1957 beweist, dass die Vorstellung symmetrischer Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter trotz der formalen Hierarchie schon relativ alt ist. Trotz dieser frühen Hinweise kommt es erst vergleichsweise spät zur Institutionalisierung von „Führungskräfteentwicklung“ (eigentlich: Vorgesetztenentwicklung), die diese symmetrische Ebene offizialisieren. Der große Aufwand in Auswahl und Entwicklung von Vorgesetzten ist ein Kennzeichen dafür, wie schwer sich hierarchischautoritäre Asymmetrisierung heute legitimieren kann, wenn sie gesellschaftlich nicht mehr gedeckt ist. Man versucht das durch scheinbar objektive Verfahren wie Assessmentcenter, standardisierte Beurteilungsgespräche und sonstigen Methoden der Personaldiagnostik zu formalisieren und so intern aufzufangen. Ebenfalls dienen die langjährigen Führungskräfteentwicklungsprogramme dazu, diesen 135 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Mangel an gesellschaftlich gesicherter Autorität mit Mitteln der Organisation zu kompensieren. Coaching ist nur ein Randphänomen für diese Tendenz von Autoritätsabbau von Vorgesetztenrollen. Die zentrale Literatur dazu stammt aus der Labor Process Debate und ihrem deutschen Pendant der Subjektivierungsdebatte. Unter Schlagwörtern wie „Politisierung“ (Burawoy 1979, 1985), „New Management“ (Boltanski/Chiapello 2003), „Internalisierung des Marktes“ (Moldaschl 1998), „Herrschaft durch Autonomie“ (Moldaschl 2001), „Selbstkontrolle“, „Selbstökonomisierung“ und „Selbstrationalisierung“ beim „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß/Pongratz 1998) werden neue und wieder entdeckte Führungsformen besprochen, die darauf reagieren, dass autoritäre, nur hierarchisch legitimierte Entscheidungen auf der informalen Ebene symmetrischer Beziehungen zunehmend weniger akzeptiert werden. Man kann jetzt Entscheidung und Verantwortung an Rangniedrigere delegieren, nicht weil diese Entscheidungsfindung effektiver ist oder weil sich darin ein neuer, noch perfiderer Kapitalismus (vgl. Kocyba 2005) verbirgt, sondern weil dies Legitimitätsvorteile für die Führungskraft beinhaltet. Wenn man beobachtet, dass man als Führungskraft auf den eigenen Führungsstil hin beobachtet wird, kann man sich Vorteile verschaffen, indem man je nach Mitarbeiter und je nach Situation die Erwartungen überprüft und nach Möglichkeit berücksichtigt. Die Veränderung im „neuen Geist des Kapitalismus“ (Boltanski/Chiapello 2003) besteht nicht darin, dass man von einem besten, autoritären Weg der Führung (bzw. Management, Steuerung, Kontrolle, Herrschaft usw.) auf einen anderen besten, antiautoritären und partizipativen Weg umgestellt hätte. Die Legitimität einer Führungskraft oder eines Führungsstils ergibt sich aus seiner Erwartungen berücksichtigenden Flexibilität. Ein konsequent partizipativ durchgehaltener Führungsstil, der in jedem Entscheidungsfall alle Beteiligten zusammen bringt, wird ebenso wenig Anerkennung ernten, als ein immer autoritär-autonom entscheidender Vorgesetzter. Der bedeutende Unterschied liegt darin, dass Vorgesetzte allein daraus Legitimität schöpfen, dass sie die Erwartungen von Mitarbeitern als gleichwertig würdigen. Die Legitimität von Vorgesetzten liegt nicht mehr in ihrer gesellschaftlich versicherten Autorität begründet, sondern muss in Organisationen und deren Situationen selbst beschafft werden. 136 Analyse Zur Beratungsmode Coaching Die formale Rangposition liefert dem Vorgesetzten zwar einen Legitimitätsvorsprung, aber bei unteren und insbesondere bei neuen Vorgesetzten reicht diese formale Absicherung nicht sehr weit. Werden die Erwartungen der Mitarbeiter nicht entsprechend gewürdigt, kann dies die Beförderungs- oder Rekrutierungsentscheidung in Frage stellen. Die langfristige Vorbereitung in Führungsentwicklungsprogrammen dient der Absicherung dieser Entscheidung und bildet organisationale Autoritätsgrundlagen. Hat eine Person ihre Vorgesetztenrolle erste einmal übernommen, würde jedoch eine formal angeordnete „Nachschulung“ in Führungsentwicklungsprogrammen ihre Legitimität untergraben. Dies gilt umso mehr, umso länger und umso hochrangiger der Vorgesetzte tätig ist. Unabhängig davon, was selbst altgediente Vorgesetzte noch hinzu lernen könnten, überwiegt der Legitimitätsverlust, wenn man von der Personalabteilung Entwicklungsdefizite attestiert bekäme. Entsprechend nimmt zur verständnislosen Enttäuschung der Personalentwicklung die Beteiligungsbereitschaft mit dem Rang und der Managementerfahrung rapide ab: „Wir haben durchaus mal ein Trainingsprogramm aufgesetzt für alle Führungskräfte inklusive der höheren Ebenen: das funktioniert nicht so besonders.“ (Hartmann, Medienanstalt 1) Für Coaching stellt sich der Fall etwas anders dar, weil Coaching eher auf der Hinterbühne der Organisation stattfindet (vgl. Kühl 2005a: 12): „Aber diese Kurve, diese Alterskurve, der Manager über 40, der besucht kaum noch Seminare, er hat schon alles gelernt und gerade für den ist gerade das Coaching Thema besonders wichtig.“ (Schuster, Unternehmen 6) Sofern die Maßnahme relativ inoffiziell gehalten werden kann, wird die Beratung auch für hochrangige Vorgesetzte interessant. Aus den Interviews lässt sich die These ableiten, dass umso höhere Ränge die Coachees bekleiden, umso geheimer die Coachings werden. Bei den Organisationsspitzen ist in der Regel nur wenigen und nur aus informalen Quellen etwas bekannt, während die Formalisierung und Offizialisierung über das mittlere bis zum unteren Management stetig zunimmt. Auf niedrigeren Rängen und bei neuen Vorgesetzten kann man noch ohne Legitimitätsverluste offiziell eingestehen, dass 137 Zur Beratungsmode Coaching Analyse Unterstützung in Form von Coaching gegeben wird. Für erfahrene und hochrangige Vorgesetzte gilt dies nicht mehr. Dass auf höheren Rängen auch und möglicherweise sogar häufiger und dauerhafter gecoacht wird, als auf den unteren Rängen, kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die Trennung von formaloffiziellem Bereich und informal-inoffiziellem Hinterbühnenbereich mit der Ranghöhe an Bedeutung gewinnt. Dies stimmt mit der These überein, dass „Personalentwicklung“ dann effektiv wird, wenn sie die Person/Rolle-Differenz verstärkt. Zur Optionssteigerung von Führung kommt es nur, wenn man situativ zwischen persönlich informaler und rollenkonform-formaler Kommunikation wechseln kann. Wichtig ist vor allem, dass man beide Bereiche gegeneinander getrennt halten kann. Nur dann lässt sich damit opportunistisch jonglieren. Autorität bezeichnet die Wahrscheinlichkeit der Annahme einer Entscheidung ohne Rückfragen. Das kann sich aber als ungünstig erweisen, sofern daraus Informationsmangel entsteht. Nehmen aufgrund der zuerkannten Autorität von Führungskräften kritische Stimmen immer mehr ab, werden damit der Organisation günstige Gelegenheiten durch Beachtung weiterer Gesichtspunkte entzogen (vgl. nicht unter dem Aspekt Autorität, sondern der Personalisierung von Konflikten Kühl 2005a: 29). Die Sicherheit durch Autorität ist zugleich die Unsicherheit, ob nicht andere relevante Perspektiven missachtet wurden. Das Problem von Organisationsspitzen kann daher in der Kritiklosigkeit ihrer Mitarbeiter liegen. Wie die autoritären Könige der Schichtungsgesellschaft müssen sie vor „Schmeichlern“ (Kieserling 1999: 362) gewarnt werden. Die Gefahr entsteht dadurch, dass ihnen wenig Zugang zur Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung gewährt wird. Der neue Minister kann zu lange darüber im Unklaren bleiben, was die Ministerialbeamten eigentlich wirklich von ihm halten, bis es zu eklatanten Fehleinschätzungen mit dann politischen Folgen kommt. Der Papst kann ohne einen symmetrischen Kontakt zu nachrangigen Stellen bzw. zur Basis Millionen Gläubige vergraulen, weil sie sich nicht ausreichend beachtet fühlen. In jedem Fall muss der Vorgesetzte mehr in einem scheinbar egalitären Kommunikationsstil auftreten, um Einblick in diese Ebene der Beobachtung zu erhalten. Der gesellschaftliche Abbau von Autoritätswerten hat es ermöglicht, dass in Organisationen andere, nicht autoritäre Formen der Entscheidungsfindung institutionalisiert wurden. Es ist wichtig darauf 138 Analyse Zur Beratungsmode Coaching hinzuweisen, dass es sich hierbei um „Inszenierungsformen von Personalführung“ (Pongratz 2002) handelt. Wenn also jetzt „partizipativ“ oder „kooperativ“ usw. geführt wird, muss das von den Beteiligten nicht geglaubt werden, es reicht die dargestellte Zustimmung bzw. die „Konsensfiktion“ (Schröder 2003) aus. Allerdings müssen diese Inszenierungsformen nicht auf Interaktion unter Anwesenden beschränkt sein. Es können auch verschriftlichte Formen der egalitären Entscheidungsbeteiligung einen Mangel an Autorität ausgleichen, wenn auch mündliche Kommunikation den situativen Wechsel zwischen Formalität und Informalität erleichtert und so den opportunistischen Einsatz von verschiedenen Führungsstilen befördert (vgl. Luhmann 1999: 286 ff.). Zu diesen neuen Formen der Führung und Entscheidungsfindung gehören im Prinzip alle Methoden, die ganz bewusst auf autoritäre Entscheidung verzichten, z.B. Meetings, Workshops, Brainstorming, Zielvereinbarung usw. Diese Methoden sollen die Ansprüche der Organisation, der Führungskräfte und der Mitarbeiter möglichst gleichberechtigt berücksichtigen. Offensichtlich wurde die neue Legitimität symmetrischer Beziehungen sehr deutlich erlebt und man wünschte sich nun, dass die Mitarbeiter das Gleiche wollen sollen, was sich Organisationsspitzen wünschen. Nach wie vor besteht jedoch der Unterschied, dass Organisationsspitzen hierarchisch Entscheidungen treffen können. Die Superstars der New Economy verdammten Hierarchie zumindest rhetorisch völlig aus ihren Organisationen und legitimierten dadurch finanziellen Vertrauensvorschuss in Millionenhöhe (Kühl 2003). Paradoxerweise führten die „Dezentralisierung“ und der „Abbau von Hierarchie“ zu noch stärkerer Zentralisierung und Machtkonzentration an den Organisationsspitzen (Moldaschl 2001; Kühl 2003). Die New Economy ist Geschichte und mit ihre der Glaube an die hierarchielose Organisation. Symmetrische Beziehungen auf einer Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung haben sich dagegen auch in hierarchischen Organisationen durchgesetzt. 139 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching III Schlussfolgerungen 8 Die Funktionsweise von Coaching In diesem abschließenden Kapitel resultieren aus der bisherigen Analyse einige Schlüsse und Zusammenfassungen. Der Mangel, über keine Empirie von Coachinginteraktionen zu verfügen, trägt in diesem Kapitel am schwersten. Es kann zwar aus einigen Passagen der Experteninterviews rekonstruiert werden, wozu Coaching eingesetzt und gegenüber anderen, funktional äquivalenten Methoden der Personalentwicklung bevorzugt wird. Ob nun aber in der Coachinginteraktion selbst „situatives Führen“ den Verlauf anleitet (Kapitel 8.1) oder ob die wichtigste Funktion stärker im Ventilieren persönlicher Belastungen und in Rollendistanzierung liegt (Kapitel 8.4), kann aus den Experteninterviews allein nicht ausreichend belegt werden. Die Empirie der Coachinginteraktion ist eine verbleibende Forschungslücke, die künftigen Anstrengungen überlassen bleibt. 8.1 Bezugsproblem situatives Führen Autoritäre Führung verliert an Bedeutung, insbesondere dann, wenn sie in allen Führungssituationen ohne Alternativangebote angewendet wird. Gefragt ist jetzt mehr ein situativer Führungsstil, der sich nur noch bei günstigen Gelegenheiten autoritär zeigt. Einige Merkmale von Coaching unterstreichen diesen Trend zum „Gelegenheitsführen“. Die oftmals bemängelte thematisch-sachliche Offenheit von Coaching wird jetzt verständlich, weil man so situativ auftretende Probleme bearbeiten kann, ohne den Themenbereich schon vorab festgelegt zu haben. Es geht gerade nicht um die Schulung der einzig richtigen Führungstechniken. Stattdessen muss man mehr Einfühlungsvermögen für die konkrete Situation aufbringen, ohne sich auf generelle Regeln des richtigen Handelns verlassen zu können. Aus dem Vorteil sachlicher Unbestimmtheit erklärt sich auch die Heterogenität der Coachingpools: „Na ja, wir haben auch so ein paar Spezialisten... er hier ist zum Beispiel jemand, der ist ausschließlich spezialisiert auf Gesundheitsfragen. Aber tatsächlich sehen Sie hier überwiegend so genannte Allzweckwaffen. Was nicht heißt, dass wir nur Allzweckwaffen im Pool haben, aber jemand mit 141 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen einer sehr speziellen Fragestellung kommt natürlich seltener in Frage.“ (Becker, Coachinganbieter 2) Wenn man sich stärker auf Situationen verlassen muss, dann kann man auch nicht im Voraus wissen, wann es zu Problemen oder Konflikten zwischen Führungskraft und Mitarbeitern kommt. Coaching kann relativ kurzfristig eingesetzt werden und eignet sich auch deshalb besser als Training. Die Beratung erfolgt situativ, wenn sie nötig wird und kann ebenso schnell wieder beendet werden. Die Dauer der gesamten Maßnahme wie die Zeitpunkte der einzelnen Treffen richten sich nach der Problematik der Vorgesetztensituation und nicht nach festgelegten Bildungsterminen: „Wenn sie für 230.000 Leute regelmäßige Bildung oder Basisqualifikation und so weiter anbieten müssen, das ist schon nicht nur so ein kurzes Reaktionsding, so macht mal. Anders als bei uns hier im Beratungsgeschäft. Das ist viel kurzfristiger. Da heißt es, hier ist das Problem, daran wollen wir arbeiten, wie viele Leute habt ihr zur Verfügung, können wir das mit Internen, müssen wir mit Externen, das ist ein anderes Geschäft.“ (Weber, Unternehmen 2) Im Unterschied zu Trainings kann Coaching den „Seminareffekt“ vermeiden. Sofern im Coaching der individuelle Indifferenzbereich herausgearbeitet wird, können Verhaltenslösungen erarbeitet werden, die der Person des Vorgesetzten angemessen sind. Persönlichkeitsstrukturen müssen nicht zerstört werden, um die Person zu verändern, sondern man kann herausfinden, welche Lösungen zur Person passen. Den Aufwand einer „Gehirnwäsche“ kann man sich gerade dadurch ersparen, weil man Personen nicht zielgerichtet entwickeln muss. Vorgesetzte und Führungskräfte wirken nach solchen situativen Maßnahmen nicht wie völlig ausgewechselt und versuchen nicht plötzlich neue Techniken und Methoden der Mitarbeiterführung durchzusetzen, die meistens weder zur Führungsperson noch zu den Erwartungen der Mitarbeiter passen. Für neue Vorgesetzte kann Coaching dann hilfreich sein, wenn es eine für Anfänger typische Überidentifizierung mit der formalen Rolle auflöst. Unerfahrene Vorgesetzte achten zu viel oder zu wenig auf die symmetrischen Beziehungen neben der formalen Vorgesetztenrolle, mit anderen Worten beherrschen sie die Differenz zwischen formalen und informalen Chancen noch zu wenig. Einerseits verzichten Vorgesetzte auf die Distanzierungsmöglichkeiten und ihren eigenen 142 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Personschutz, wenn sie die Rückzugsmöglichkeit auf eine formale Rolle zu wenig beachten und in Mitarbeiternähe und Informalität versinken. In diesen Fällen wünscht man sich mehr „Klarheit“ und weniger „Prosa“ von der Führungskraft: „Und das ist ein Herr, der (…) letztendlich lernen muss, das kam sehr deutlich heraus, sich abzugrenzen. Sich abzugrenzen, Nein zu sagen, klar zu sein, und nicht in Kurven laufen und die Prosa ansetzen, wenn es eigentlich um ganz klare Ansagen geht.“ (Fischer, Finanzdienstleister 1) Andererseits verpassen Vorgesetzte viele Chancen opportunistischen Handelns, wenn sie sich auf ihre formale Vorgesetztenrolle zurückziehen und dabei unnahbar und unverbindlich bleiben (Luhmann 1999: 291). In solchen Fällen muss das Rollenverständnis mehr in Richtung Offenheit, Mitarbeiternähe, Verbindlichkeit, Schmeicheln und eines allgemeinen Taktierens korrigiert werden (vgl. Luhmann 2000: 191; Kieserling 1999: 362), um die widersprüchlichen Rollenanforderungen gewinnbringend zu integrieren: „Und dann wird schon mal formuliert: ‚entschuldigen Sie’, in schönem Deutsch (…) ‚Sie wirken als hätten Sie einen Kleiderbügel im Jackett’, was dann meint, er soll einfach offener werden, ja, weil das ist ein Knackepunkt in seiner Führungspersönlichkeit.“ (Neumann, Unternehmen 5) Die Schwäche der Führungskraft im zitierten Fall liegt darin, dass sie sich zu sehr hinter einer formalen Rollenauffassung verbirgt. Das Problem ist nur, dass man nicht formal-offiziell zum Ausdruck bringen kann, sie sollten ihre formalen Rollen weniger ernst nehmen. Stattdessen muss man „in schönem Deutsch“ das Problem umschreiben in der Hoffnung, „the unspeakable“ (Hall et al. 1999: 41) werde verstanden. Jedenfalls kann Führungsverhalten nicht formal angeordnet werden. Das liefe auf eine paradoxe Aufforderung hinaus: „Sei spontan, sei kreativ, sei informal“ (vgl. Watzlawick et al. 1974). Die Vertraulichkeit und formale Folgenlosigkeit von Coaching nährt aber immerhin die Hoffnung, dort „unter vier Augen“ (Looss 1997) wenigstens ein bisschen nachhelfen zu können. Zumindest erfahrene Coaches sind sich aber der engen Grenzen der Veränderungsmöglichkeit erwachsener Personen bewusst, ohne den Allmachtsphantasien der Coachingliteratur zu verfallen: 143 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen „Und wenn dann eine Führungskraft kommt und sagt: ‚hören Sie mal, der ist so steif und der muss da mehr aus sich heraus, coachen Sie den mal!’, dann schaue ich mir das gerne mal an und rede mit dem Betreffenden. Aber wenn ich dann feststelle, das passt ja überhaupt nicht, das wäre ja die reinste Vergewaltigung, dann sage ich auch zum Vorgesetzten: ‚nein, so geht das nicht! Das ist besser, sie setzen den besser woanders ein. Sie können aus dem nicht plötzlich einen Nähe-Typen machen.’“ (Fischer, Finanzdienstleister 1) Ebenso wenig trifft die Behauptung zu, beim Coaching werde die „ganze Person“ miteinbezogen (Martens-Schmid 2005), denn Veränderungsmöglichkeiten ergeben sich immer dort, wo persönliche Indifferenz herrscht. Der Einbezug der „ganzen Person“ ist nur eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass sich analytische Personenmerkmale nicht isoliert entwickeln lassen (Luhmann 2000: 287). Wer bestimmte Personeneigenschaften verändern will, hat es deshalb immer mit der ganzen Person zu tun. Genau daran aber scheitern die Bemühungen und die Problemlage wird wie oben zitiert zu einer Versetzungsfrage, also einer Frage des Personalmanagements. Bestenfalls handelt es sich beim Coaching um Fragen der beruflichen Rolle, also um „Rollenberatung“ (Sievers 1991), was von einem Gatekeeper bestätigt wird: „Ich bin jetzt 52 und ich bin dabei mich in dieser Jugendkultur (der Organisation) neu aufzustellen. Das heißt, bei mir finden Veränderungsprozesse statt, die ich durch einen Coach begleite, also neue Definition meiner eigenen beruflichen Rolle.“ (Schuster, Unternehmen 6) In der Frage, wo man das Problem verortet, „in dieser Jugendkultur (der Organisation)“ oder darin, dass der Gatekeeper „jetzt 52“ ist, kommt die Personalisierung organisationaler Probleme nochmals deutlich zum Ausdruck. Man sollte annehmen, dass das Alter der Person kaum behandelt werden kann, nicht einmal im Coaching. Veränderbar wären schon viel eher die Organisation und ihre „Jugendkultur“. Wer sich auf Coaching einlässt, muss sich aber zuerst selbst als problematisch bezichtigen. So wie in dem Beispiel klar ist, dass die Organisationsstruktur geschützt werden soll, das Alter aber ebenso wenig im Coaching zu bearbeiten ist, so deutlich wird auch, dass die Lösung in der Bearbeitung der beruflichen Rolle liegt. Ganz allgemein gilt, dass schon gefestigte Personenstrukturen durch die wenigen Stunden der Coachinginteraktion nicht verändert werden können, weil eine 144 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Veränderung zuerst die Persönlichkeitsstrukturen zerstören müsste (vgl. Luhmann 1975). Die Person stellt viel mehr das Negativ der Entwicklungsmöglichkeiten dar. Nur dort, wo sich noch keine Persönlichkeitsstrukturen gefestigt haben, kann neues Rollenverhalten erlernt werden, können „neue Impulse“ verarbeitet werden40: „Vorgesetzter, Endstufe gehobener Dienst, kam einmal auf mich zu mit der Bitte, er hat einen schwierigen Mitarbeiter, wo er aus seiner Sicht im Grunde alle seine Instrumentarien ausgeschöpft hat, die aber erfolglos waren. (…), in dem Gespräch vielleicht neue Impulse zu bekommen. Wir haben uns dann auch getroffen. Er hat mir seine Situation dargestellt. Und was für mich auffällig war, er hat dem Mitarbeiter eigentlich noch nie eine richtige Chance gegeben. Das, was er versucht hat, das war im Grunde mit Zielvorgaben zu operieren, ihm genau zu sagen, was er zu machen hat, hat da das Gefühl gehabt, da bring ich ihn auf meinen Kurs. Es gab Kritikgespräche ohne Ende, aber es war immer der Versuch, seine Art oder seine Sichtweise dem Mitarbeiter überzustülpen. Der Mitarbeiter hat natürlich Reaktanz gezeigt und hat nie so gemacht, wie der Chef bestimmte Vorgänge erwartet hat oder eben generell die Zusammenarbeit aussehen könnte. In einem Gespräch habe ich ihm das einmal gespiegelt und habe ihn einmal darauf aufmerksam gemacht, es könnte ja sein, dass es allein in diesem Punkt liegt, dass du permanent versuchst, dem anderen etwas überzustülpen. Hast du mit ihm schon mal ein Gespräch geführt, was er eigentlich möchte? Und das war noch nicht der Fall. Und mit diesem Impuls, auch einmal die andere Seite zu sehen, ging er dann in den Prozess und der Prozess war erfolgreich.“ (Braun, öffentliche Verwaltung 2) In diesem längeren Zitat wird deutlich, dass „neue Impulse“ dann Wirkung zeigen, wenn der Coachee gegenüber den Vorschlägen des Coaches relativ indifferent ist und zugleich persönlich nach neuen Möglichkeiten sucht. Die Person muss sich also nicht ändern, weil sie selbst schon nach einer Veränderung sucht. Der Praktikerliteratur gilt Veränderungsbereitschaft als wichtige Voraussetzung für Veränderungserfolg (vgl. Böning/Fritschle 2005: 285; Dehner 2004: 42; Wasylyshyn 2003: 101). Der Tautologieverdacht liegt nahe und wäre nur zu vermeiden, wenn man sagen könnte, woran man Verände40 Entsprechend vermeidet man auch in der Psychotherapie zunehmend die Konfrontation mit bestehenden Persönlichkeitsstrukturen versucht sich stattdessen mit „Ressourcenorientierte Psychotherapie“ (Fiedler 2004). 145 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen rungsbereitschaft sonst noch festmachen kann außer am Veränderungserfolg. Das Problem im Führungsstil im obigen Fall wird darin gesehen, dass der Vorgesetzte versucht, „dem anderen etwas überzustülpen“. Im Coaching konnte die einfache Lösung erarbeitet werden, den Mitarbeiter selbst zu Wort kommen zu lassen. Damit ist nicht gesagt, dass sich die Erwartungen des Mitarbeiters durchsetzen. Formale Folgen sind praktisch ausgeschlossen. Auch muss sich die Führungskraft nicht persönlich verändern. Aber das Coaching macht der problematischen Führungskraft klar, dass sie nicht ohne Rücksicht auf Beobachtungsleistung und Darstellungsinteressen des Mitarbeiters führen kann. Auf einer der Entscheidung vorgeordneten Ebene sind legitimerweise die Beobachtungen aller Beteiligten zu hören. Und auf dieser Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung ist die Beziehung symmetrisch. Das Problem wird mit einer Verfahrenstechnik gelöst. Die Problemdarstellung aller beteiligten ist legitimerweise zu hören, ohne dass man sagen könnte, ob sich deshalb schon andere, bessere Entscheidungen ergeben. Mit einem juristischen Begriff könnte man auch von „Prozeduralisierung“ (Ladeur 1992) sprechen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass Führen nur selten als Daueraufgabe auftritt. „Führen ist also (nur, A. T.) ein funktionales Äquivalent zur Institutionalisierung von Normen“ (Luhmann 1999: 207). Das heißt dass Führen nur dann erforderlich ist, wenn die zeitliche Generalisierung (Normen) des organisierten Handelns – und das wird durch konditional und Zweckprogramme gewährleistet – brüchig wird. Dass Organisation ohne verlässliche Programme funktionieren muss, kommt zwar vor, ist aber nicht der Normalfall. Sofern Coaching tatsächlich auf die Führungsproblematik bezogen ist, kann es von daher nicht verwundern, dass es nur ebenso begrenzt eingesetzt wird. Hierarchisch Vorgesetzter zu sein, ist eine dauerhafte und institutionalisierte Rolle. Führen ist hingegen nur eine gelegentlich notwendige Aufgabe, die zudem nicht zwangsläufig dem Vorgesetzten vorbehalten bleibt. Das Problem besteht wohl eher darin, wenn man die Erwartung schürt, Vorgesetzte hätten in jedem Fall die Führungsaufgabe an sich zu reißen. Vielleicht könnte Coaching gerade in diesen Fällen die Rollenauffassung von Vorgesetzten korrigieren. Dass Vorgesetzte heute mehr als früher auf gesellschaftlich subventionierte Autorität verzichten müssen, hat zu einer Optionsstei146 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching gerung legitimer Führungsstile und -techniken geführt. Insgesamt hat sich der Schwerpunkt auf ein situatives Führen verlagert (Luhmann 2000: 324). Mehr denn je gilt es, günstige Gelegenheiten abzuwarten und wahrzunehmen und mit ganz verschiedenen Führungsstilen zu agieren. Hinzu kommt, dass situativ eben nicht nur Vorgesetzte, sondern prinzipiell jeder Mitarbeiter führen kann. Coaching hat sich diesen Anforderungen vergleichsweise gut angepasst. Aufgrund des geringen Vorkommens von Coaching ist es jedoch nicht haltbar, Coaching als Lösung des Problems situativen Führens einzuschätzen. Das Verhältnis muss anders beschrieben werden. Coaching wurde möglich, weil man sich nicht mehr auf gesellschaftlich subventionierte Autorität mittels Bildung und Herkunft berufen kann. Führungskräfte wurden wegen diesem Autoritätsverlust zu möglichen Beratungsobjekten. Man trifft die Sachlage besser, wenn man Coaching als Beratung beschreibt, denn wie sonst auch löst Beratung nicht Probleme, sondern bringt sie nur in Form, so dass man damit leben kann. 8.2 Coaching und Organisationstypen Aus der Argumentation, die Möglichkeit personenzentrierter Beratung von Vorgesetzten auf den Verlust gesellschaftlich gestützter Autorität zu beziehen, wird erklärbar, weshalb Coaching nicht in allen Organisationstypen gleichermaßen zum Zuge kommt. Professionen verfügen noch immer über einen vergleichsweise hohen gesellschaftlichen Status. Krankenhäuser, Kirchen, Gerichte, Schulen und Einrichtungen der Sozialarbeit sind in ihrer hierarchischen Struktur vergleichsweise stark an ihren zugehörigen Berufsgruppen und Professionen orientiert. So gut wie kein Erzieher, sondern nur akademische Sozialarbeiter werden Heimleiter; außer Theologen kann in Kirchen praktisch niemand Führungsaufgaben übernehmen; ebenso werden Krankenhäuser von Chefärzten und nicht von Krankenschwestern oder Pflegern geführt; Gerichte basieren besonders stark auf professionalisierte Ausbildungsstufen. Öffentliche Verwaltung können ihre Vorgesetzten schon relativ legitim als entwicklungs- und beratungsbedürftig kennzeichnen, weil es trotz des Juristenüberhangs keine formal zugeordnete Profession gibt. Der Zusammenhang von hierarchischem Rang und Profession ist in Unternehmen vergleichsweise gering. Als Ingenieur kann man Sachbearbeiter oder 147 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Konzernvorstand werden. Die Karrieren von Nichtakademikern sind nicht nur denkbar, sie werden auch als besonders lobenswert betrachtet. Das Ideal lautet: „vom Tellerwäscher zum Millionär“, aber eben nicht zum Papst/Chefarzt/Richter. Unternehmen trifft das Problem der multiplen Führungsstile besonders stark, weil Führungskräfte nur „primus inter pares“ sind (vgl. Walgenbach/Kieser 1995: 285). Wie lässt sich aber noch ein autoritärer Führungsstil rechtfertigen, wenn man nur der Erste unter Gleichen ist? Die Situation selbst bestimmt darüber, welcher Führungsstil als legitim erachtet wird. Generell kann man das nicht mehr sagen. Anders als in Unternehmen ist in den meisten Organisationstypen der Zusammenhang zwischen den hierarchischen Rängen und Profession relativ hoch. Dies hat zur Konsequenz, dass es dort häufig zu einer Art „Dilettantenverwaltung“ kommt. Dieser von Max Weber (1921) eingeführte Begriff beschreibt das Problem anhand politischer Staatsorganisation. Sofern Staatsorganisationen von wählbaren Politikern verwaltet werden, handelt es sich zwangsläufig um eine nicht professionell ausgeführte Verwaltungstätigkeit: „Denn Parteinahme, Kampf, Leidenschaft – ira et studium – sind das Element des Politikers“ (ebd.: 415). Der professionell handelnde Verwaltungsbeamte hingegen erfüllt seine Dienstpflicht nicht nach politischen Opportunitäten, sondern nach technischen und fachlichen Gesichtspunkten sine ira et studium. Sofern es Professionen gelingt, ihre „Closed-shop-Politik“ durchzusetzen, sind die Organisationsspitzen somit von verwaltungsmäßigen Dilettanten besetzt. Fragen des Personalmanagements und der Personalentwicklung gehören in den Bereich der Verwaltungsaufgaben von Organisationen. Es verwundert daher nicht, dass in von typspezifischen Professionen geführten Organisationen professionsexterne Logiken, wie Verwaltungsfragen und damit letztlich auch personenzentrierte Personalberatung weniger stark berücksichtigt werden als in nicht „dilettantisch“ verwalteten Organisationen. Diese letzteren sind vor allem Unternehmen und politische Verwaltungen, weshalb man sich hier schneller etwa auf Coaching eingelassen hat. Recht langsam beginnt aber die Autorität von Professionen nachzulassen (Stichweh 1996) und im Zuge dessen wird dann die personenzentrierte Beratung ein Thema für professionalisierte Organisationen. Für die Langsamkeit des Prozesses sprechen die Schwierigkeiten überhaupt Kirchen, Krankenhäuser, Gerichte und 148 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Sozialhilfeeinrichtungen zu finden, die Coaching systematisch einsetzen. Die Autorität der Professionen, Arzt, Theologe, Richter und mit Abstrichen Sozialarbeiter, macht Coaching in diesen Organisationen zum seltenen Phänomen. Personenzentrierte Beratung wird dort noch kaum erwogen. 8.3 Erfolgssicherungen Der große Erfolg von Coaching ist erklärungsbedürftig. Vor allem bei den Ursachen des Erfolgs produziert die Modeliteratur ihre eigenen Mythen und Fiktionen, die der Korrektur bedürfen. Als eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren wird die vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach und Coachee angesehen. Vertrauen spielt tatsächlich eine entscheidende Rolle. Es handelt sich aber um das Vertrauen in formale Folgenlosigkeit. Nur wenn Vertrauen darin aufgebaut werden kann, dass das Benennen von Problemen, Schwierigkeiten, Versagen usw. keine Folgen nach sich zieht, kann man das überhaupt aussprechen. Und das gilt nicht nur für die Person, sondern auch für die Organisation. Die Organisation lässt sich nur auf die Bearbeitung von Problemen in Coaching ein, wenn garantiert ist, dass daraus keine Änderungen verlangt werden können. Keine Organisation akzeptiert, dass man Strukturänderungen durchsetzt, weil sich das im Coaching so ergeben hat. Coaching wird nicht zur Entwicklung von Umstrukturierungsmaßnahmen eingesetzt, sondern zur Durchsetzung und notfalls zur Folgenbearbeitung der Umstrukturierung. Und Coaching soll wiederum die Folgen von Versetzung oder Beförderung abmildern, soll sie aber nicht auslösen. Das relevante Vertrauensverhältnis besteht nicht zwischen Coach und Coachee, sondern zwischen Coachee und Organisation. Der Vorgesetzte kann sich nur offenbaren, wenn sie in der Beratungsinteraktion vor der Organisation geschützt ist. Und die Organisation wird Coaching nur zulassen, wenn sie darauf vertrauen kann, dass daraus keine formalen Forderungen nach Versetzung/Beförderung, nach Umstrukturierung oder nach mehr Kompetenzen abgeleitet werden können. Voraussetzung für diese beiderseitige Garantie der Folgenlosigkeit ist, dass der Vorgesetzte Probleme seines Rollenhandelns auf sich selbst als Person bezieht und nicht etwa Widersprüche, Konflikte und Probleme der Organisation thematisiert. Erst wenn sich der Vorgesetzte mit der Personalisierung von Problemen einverstanden erklärt, bietet ihm die Organisation 149 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Hilfe an. Wenn Coaching tatsächlich zu Verhaltenserleichterungen für den Coachee führt, dann jedenfalls nicht durch die organisationale Lösung der strukturellen Problemursachen. Damit entzieht sich das Geschehen im Coaching der Kontrolle durch die Organisation, weil man eben keine formalen Folgen daraus ableiten will. Man will und kann dann nicht mehr kontrollieren, was in den Coachings tatsächlich getrieben wird. Wird hart an den personalisierten Problemen gearbeitet oder Psychotherapie gemacht oder einfach nur Kaffee getrunken und gequatscht? Die Aufgabe, an nicht formalisierbaren Führungsproblemen zu arbeiten, löst das „Scharlatanerieproblem“ (Kühl 2005a) aus. Immer wieder wird die Professionalisierung von Coaches herbeigewünscht, um dieses Problem zu lösen. Übersehen wird dabei, dass Organisationen längst eine effektive Lösung für dieses Problem institutionalisiert haben: in mehr oder weniger aufwändigen Bewerbungsgesprächen bis hin zu Assessmentcenter legt die Organisation die Rollenerwartungen an den Coach fest. In den Interviews konnten keine Fälle erhoben werden, in denen eine Organisation diese Professionalitätsprüfung einer externen Stelle überlassen hätte. Selbst dann, wenn sich Coaches mit Zertifikaten, Prüfzeugnissen und Auditierungsbefunden bewaffnet bewerben, wird ihre Eignung in jeder Organisation nochmals geprüft, wie der Vertreter einer Auditierungsstelle beklagt: „Das hat zur Folge, dass unsere mühsam auditierten Coaches, wenn sie coachen wollen, dort noch einmal durch die Interviewmühle durchmüssen.“ (Müller, Coachinganbieter 1) Die Beteuerung von Personalentwicklern, sie wünschten eine Professionalisierung von Coaches, um das Scharlatanerieproblem in den Griff zu bekommen, übersieht, dass ihre eigene Bedeutung als organisationsinterne Prüfstelle für Coaches von der mangelnden Professionalität profitiert. Wie gut das Problem nicht qualifizierter Coaches durch die Organisationen bereits gelöst ist, zeigt sich an den Erfolgsquoten von Coaching in Organisationen. Alle interviewten Organisationen bestätigen, dass es nur eine äußerst geringe Zahl von misslungenen Coachings gegeben hat: „Nachdem wir den Filter vorher setzen, nein, da gibt es kein Problem. Die, die sich bei uns bewerben, ja. Da gibt es ein großes Scharlatanerieproblem.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) 150 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Daraus ergibt sich die These, dass das Scharlatanerieproblem nicht durch Professionalisierung gelöst werden muss, weil es schon exzellent gelöst ist und zwar durch Organisation. Die Aufgabe von Berufsverbänden läge dementsprechend mehr im Bereich von Marketing für Mitglieder, Vernetzung und Interessenvertretung, nicht in quasi redundanten Professionalisierungsbestrebungen. Ein weiteres entscheidendes Erfolgskriterium für Coaching liegt in der Interaktionsförmigkeit. Kommunikation unter Anwesenden ist vergleichsweise konfliktscheu, weil aufgrund der Komplexitätsgrenzen die Interaktion im Konfliktfall droht, vollständig im Konflikt aufzugehen (Kieserling 1999: 258). Die Komplexitätsarmut von Interaktion unterstützt zudem die Vereinfachung von Vorgesetztenproblemen. Diese Probleme sind konstitutive Teile der Vorgesetztenrolle, sie können und sollen nicht gelöst werden. Coaching kann nur unterstützen, die Probleme zu managen, also handhabbar zu machen. Vereinfachung und Isolierung von Problemzusammenhängen ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Zudem wirken Entscheidungen in Interaktion befremdlich. Insofern ist es schon aufgrund der Interaktionsform von Coaching unwahrscheinlich, dass daraus organisationale Folgen in Form von Entscheidungen resultieren. Die Personalentwicklung achtet auf eine gute Passung zwischen Coach und Coachee. So ist es üblich, dass zwei, drei oder sogar mehr Coaches für einen Coachee durch die Personalentwicklung vorselektiert werden und in einem ersten Treffen die persönliche Passung überprüft wird. Wer drei oder vier erfahrene Coaches ablehnt, riskiert, dass die vorgebliche Inkompatibilität zwischen Coach und Coachee zusehends dem Coachee selbst zugerechnet wird. Insofern steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man sich schon bald für einen Coach entscheidet, wenn nicht eklatante Gründe gegen die Person sprechen. Wer sich aber selbst entschieden hat, bindet sich damit an die Entscheidung. Eine nachträgliche Änderung der Entscheidung resultiert in erheblichem Rechtfertigungsdruck und Inkonsistenzen der Selbstdarstellung (vgl. Kühl 2005b). Die Gatekeeper konnten keine konkreten Kriterien für die Auswahl und Passung von Coach und Coachee angeben. Wahrscheinlicher erscheint daher, dass die Selbstbindung durch freiwillige Entscheidung ein stärkerer Garant für den Erfolg des Coachings darstellt als die Passung der Persönlichkeiten. 151 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Dies gilt umso mehr, als die Persönlichkeit des Coaches weniger relevant ist als deren Kompetenz, die Rollenerwartungen zu erfüllen. Die Coaches, die sich schon durch ein Bewerbungsverfahren gebracht haben, sollten inzwischen wissen, welchen Rollenerwartungen sie genügen müssen und welche Erwartungen sie legitim ablehnen können. Ähnliches gilt aber auch für die Rollenerwartungen an den Coachee, die durch Aufklärungsarbeit in der Personalentwicklungsabteilung entsprechend angepasst werden. Spätestens in persönlichen Gesprächen zur „Auftragsklärung“ erfahren „problematische“ Vorgesetzte, was sie vom Coaching erwarten können und was von ihnen als Coachee erwartet wird. Mit der Offen- und Festlegung von Erwartbarem und Rollendefinitionen lassen sich die Erfolgschancen im Coaching maximieren. Hierzu ein Gatekeeper eines Verkehrsunternehmens: „Und da glaube ich einfach, das je klarer man vorher auch mit dem Coachee das Ziel bespricht und ihm auch sagt, was passieren kann und was seine Rolle sein muss oder sein könnte und er damit d'accord ist, desto weniger negative Erfahrungen gibt es.“ (Schäfer, Verkehrsunternehmen 1) Wenn nach dieser Formalisierung der Erwartungen und Rollen das Coaching scheitert, müssen sich Coach und Coachee den Misserfolg möglicherweise selbst zurechnen, weil dann der Verdacht geäußert werden kann, dass sie ihre Rollen nicht verstanden haben oder trotz Aufklärung falsche Erwartungen in das Projekt gesetzt haben. Die Beobachtung des Prozessverlaufs durch die Abteilung für Personal- oder Führungskräfteentwicklung und in vielen Fällen auch der Vorgesetzten des Coachees verstärkt zudem den Konsensdruck. Dass Vorgesetzte über die Coachingmaßnahmen Bescheid wissen, rührt schon allein von der generellen Sach- und Budgetverantwortung für Personalentwicklungsmaßnahmen, die regelmäßig beim nächst höheren Vorgesetzten liegt. Wie weit diese Vorgesetzten allerdings in den Prozess involviert sind, wird in allen Fällen durch den Verantwortlichen in der Personalentwicklung kontrolliert. Die Informationen für den Vorgesetzten beschränken sich meist auf das grob umrissene Thema, das im Coaching bearbeitet werden soll, und auf die zeitlichen Rahmendaten, also in welchem Zeitraum das Coaching stattfinden soll und wie viele Einheiten vorgesehen sind. 152 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Coaching ist in ein enges Netz von Kommunikationen zwischen Vorgesetzten, Führungskraft, Personalentwicklung und Coach eingespannt. Gewährleistet wird damit ein hohes Maß an Erwartungsklärung und Festlegung der Komplementärrollen von Coach und Coachee. Durch diese Maßnahmen ist Coaching in Organisationen relativ gut abgesichert gegen Erwartungsenttäuschung. Gestützt werden die Erfolgschancen von Coaching zudem durch die freiwillige Selbstverpflichtung von Coach und Coachee. Wer sich freiwillig entschieden hat, kann schlecht die Verantwortung für Misserfolg jemand anderem zuschreiben. Die Freiwilligkeit schützt so vor allem die Personalentwicklung, weil Misserfolgsrückmeldung systembedingt unwahrscheinlich ist: „Das Problem an der Stelle ist, wollen sie überhaupt. Der beste Therapeut ist machtlos, wenn er einen Alkoholiker behandeln muss, der selber nicht aufhören will zu trinken. Das kannst du knicken. Ein Vorstand, die er nicht zusammenarbeiten will, das kannst du auch knicken. Das Ergebnis ist aber: der Coach hat versagt.“ (Schuster, Unternehmen 6) 8.4 Funktionale Äquivalente zu Coaching Diese engmaschige Einbindung in organisationale Kommunikationsstrukturen kennzeichnet Coaching gegenüber älteren vergleichbaren Möglichkeiten aus. Coaching erfüllt eine Ventilfunktion für die Zumutungen der Organisation gegenüber ihrem Personal. Unter diesem Problemgesichtspunkt kann man die Suche nach funktionalen Äquivalenten beginnen. Die Frage nach Vorläufern für Coaching wurde auch den Interviewpartner gestellt. Als Antwort wurden Gespräche mit Kollegen oder mit (Ehe-)Partner am häufigsten angeführt. Unzufriedenheit und persönliche Belastungen mit strukturellen Organisationsproblemen können prinzipiell in jeder als informal definierten Situation ventiliert werden. Allerdings finden auch informale Kontakte unter den Bedingungen der Beobachtung zweiter Ordnung statt. Klatsch, Lästern, Frust ablassen usw. muss immer damit rechnen, wozu Adressaten und Zuhörer die Mitteilung (weniger die darin enthaltene Information) formal verwenden könnten. Die Ventilfunktion unter Kollegen wird also nur dann gelingen, wenn 153 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen ausreichend Vertrauen besteht. Aber selbst dann bleibt dieses Vertrauen prekär, weil es nur informal erworben und gestützt ist. Man kann sich nicht formal darauf berufen, dass man etwa Dissens mit der formalen Organisation nur informal-vertraulich weitergegeben habe. Das für Mitgliedschaft notwendige Einverständnis mit der formalen Organisation kann derart inkonsistente Selbst-Darstellungen nicht akzeptieren. Unter diesem Gesichtspunkt werden auch die Nachteile von Mentoringprogrammen (also die Beratung unerfahrener Mitglieder durch erfahrene Vorgesetzte) gegenüber dem Coaching deutlich. Eine Rolle mögen auch die professionelleren psychologischen Techniken spielen, mit denen Coaches im Vergleich zu erfahrenen Vorgesetzten (Mentoren) ausgestattete sein sollen. Diese These müsste aber in jedem Einzelfall nachgeprüft werden. Der strukturelle Vorteil von Coaching liegt in der Absonderung und allseits garantierten Vertraulichkeit/Folgenlosigkeit der Coachinginteraktion. Hier können Coachees ihr Nicht-Einverstandensein frei ausdrücken und können noch auf einen verständnisvollen Zuhörer hoffen, der womöglich eine Palette von Ratschlägen anbietet, mit der Problemlage zurechtzukommen. Dazu mag sogar gehören, die zugrundeliegenden Strukturprobleme der Organisation herauszuarbeiten, falls überhaupt soviel Zeit bleibt, nicht jedoch, Strukturänderungen zu planen. Das Ergebnis der Experteninterviews jedenfalls ist, dass die Organisation Coaching nicht als Planungskomitee zur Vorbereitung von Strukturreformen einsetzt, sondern zur persönlichen Verarbeitung (Eingewöhnung, Auskühlen nach Enttäuschungen usw.) der Folgen von Strukturänderungen nutzt. Auch Supervision, sofern sie – wie üblich – als Gruppenveranstaltung durchgeführt wird, kann die Vertraulichkeit und damit die Ventilfunktion weniger gut erfüllen41. Zudem trägt die Supervision noch stärker an ihrem geschichtlichen Erbe des „casework“, das nicht nur Beratung, sondern auch fachliche Kontrolle (also die englischsprachige Bedeutung von „supervision“) der Arbeitsleistung durch Vorgesetzte/Professionelle enthält (vgl. Belardi 1992b). Der Verdacht der mitlaufenden fachlichen Kontrolle findet noch heute darin seine Begründung, dass es obligatorische, fachspezifische Herkunftsberufe 41 Gleiches gilt unter dem Vertrauensaspekt auch für „Gruppencoaching“ und für Training und Seminar. 154 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching für Supervisoren gibt (Psychologie/Pädagogik/Sozialpädagogik), während man im Coaching darauf praktisch keinen Wert legt. Führungserfahrung und – wie auch immer erworbene – psychologische Methodenfertigkeit reichen und selbst hier werden im Einzelfall noch erhebliche Abstriche berichtet42. Der Kontrollaspekt stört aber die Ventilfunktion und folglich auch die Möglichkeit des Aufbaus von Rollendistanz. Gegenüber privater, außerhalb der Organisation stattfindender Ventilierung organisationaler Strukturbelastungen bietet Coaching ein unvergleichlich höheres Maß an Kontrollmöglichkeiten. Das aufwändige Auswahlverfahren legt die Rollenerwartungen an den Coach fest. Über das Privileg der Mitgliedschaft im Coachingpool und über tatsächlich erfolgte oder vorenthaltene Coachingaufträge gelingt die dauerhafte Verhaltensdisziplinierung der Coaches nach Maßgabe der Organisation. Jedem Coach muss im Verlauf der Auswahl für den Coachingpool und später noch mal konkret bei den so genannten Auftragsklärungsgesprächen klar werden, welche beabsichtigten Folgen ein Coaching für die Organisation produzieren darf und was in der vertraulichen Verschwiegenheit der Coachinginteraktion versinkt. Hinzu kommt, dass der Coachingprozess jederzeit durch die Organisation gestoppt werden kann, sobald sich unbeabsichtigte und ungewollte Nebenfolgen einstellen. Nach Abschluss obliegt es der Personalentwicklung, ob sie das Coaching rückwirkend bewertet oder stillschweigend dem organisationalen Vergessen überlässt. Erfolgsund Misserfolgszurechnungen liegen ebenfalls in der Verantwortung der Organisation/Personalentwicklung und können weitgehend opportunistisch erfolgen (vgl. 8.5 Evaluation von Coaching). Auf all diese Interventions-, Kontroll- und Attributionskompetenzen muss die Organisation im Falle privater Beratung mit Freunden und Partnern weitgehend verzichten. Gerade wenn man die Entlastungsfunktionen des Ventilierens und der Rollendistanz systematisch nutzen möchte, bietet sich Coaching gegenüber der privaten Überlassung an. Auch wenn hier die Ventil- und Rollendistanzfunktionen von Coaching mangels Empirie nicht auch für Coachinginteraktionen 42 Das sind natürlich schlechte Nachrichten für Professionalisierungsapologeten im Coaching. Zum Unverständnis selbst von Gatekeepern coachen bisweilen selbst „gelernte Schreiner“ oder „Tennislehrer“ erfolgreich sogar bis in Organisationsspitzen. 155 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen nachgewiesen, sondern nur angenommen werden können, so gelten doch die genannten strukturellen Vorteile von Coaching. Mit keinem hier beleuchtetem funktionalen Äquivalent von Coaching behält die Organisation so umfangreiche Kontrolle über Folgen und Nebenfolgen, maximiert zugleich Vertraulichkeit – und damit die Voraussetzung des Ventilierens und der Rollendistanzierung – und vermeidet den Eindruck von Leistungskontrolle. 8.5 Evaluation von Coaching Glaubwürdige Evaluation von Coaching wie generell von Personalentwicklung (Seeber 2000) ist bislang weitgehend ausgeblieben. Man kann, wie in der Praktikerliteratur (z.B. Böning/Fritschle 2005: 279 ff.; Kuenzli 2005; Jansen et al. 2003; Wasylyshyn 2003; KampaKokesch/White 2002; McGovern et al. 2001) und in den Interviews zum Ausdruck kommt, darin eine nachzuholende Aufgabe für die Zukunft sehen: „Also wenn ich zwei Monate Zeit hätte, dann würde ich mir intensiv um die Wirkungen Gedanken machen, also die Wirkungen von Coaching. Einfach auch mal in Form von Evaluation hinzuschauen, ob es wirklich in jedem Fall, die Wirkungen hat, die man sich verspricht.“ (Hoffmann, öffentliche Verwaltung 1) „Also ich würde auch mehr im Bereich Evaluierung arbeiten. Woran erkennet man oder idealerweise, wie kann man im Vorfeld erkennen, dass dieser Prozess erfolgreich verlaufen wird, um dann für Weichen zu stellen. Bei uns läuft die Evaluierung bisher so ab, dass wir mit den Kollegen quasi Mittagessen gehen und sagen, haben sie ein gutes Gefühl, läuft es gut, sind Sie zufrieden, merken Sie, das sich etwas verändert im Verhalten. Oder wir fragen dann auch mal die Mitarbeiter, ob sich an dem Verhalten ihres Chefs etwas verändert hat, aber das ist sehr unsystematisch. Das liegt sicherlich auch daran, dass wir mit vielen Leuten wenig Man- und Womanpower haben insgesamt das ganze Thema Evaluierung, das bezieht sich nicht auf Coaching, sondern auch auf das ganze Seminargeschäft, systematisch zu machen. Ich denke, die Messbarkeit von Erfolg oder die Erfolgskriterien zu hinterfragen, das fände ich sehr spannend.“ (Wolf, Finanzdienstleister 2) In bislang verfügbaren Studien wird der Effekt von Coaching sagenhaft hoch eingeschätzt (z.B. bei McGovern et al. 2001 mit einem 156 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Return on Investment von 545%; oder Anderson 2001 mit bis zu 788%43), so dass sich die Frage stellt, warum Organisationen und vor allem Unternehmen längst nichts anderes mehr machen als Coaching. Tatsächlich dürfte es sich aber um methodische Artefakte handeln, wie sie in der Beratungsszene häufig produziert werden (vgl. Kühl 2002b: 105 ff.). Sie müssen aus ihrer Marketingzielsetzung heraus verstanden und ansonsten ignoriert werden. Wenn man sieht, dass Coaching schon seit 15 bis 20 Jahren (vgl. Böning/Fritschle 2005: 27) ohne Evaluation eingesetzt wird, muss man zugeben, dass eine Evaluation bislang nicht notwendig war. Der Vorteil, wenn man auf Evaluation verzichtet, besteht darin, dass man sich sehr viel von dieser Form der Personalentwicklung erwarten kann. Eine These könnte vermuten, dass Maßnahmen der Personalentwicklung wie Coaching, die sich auf den „Verhaltensbereich“ richten, sich ohnehin einer systematischen Evaluation entziehen. Erklärt werden kann das aus der mangelnden Formalisierbarkeit von Inhalten. Die persönlichen und personalisierten Probleme, die im Coaching bearbeitet werden sollen, zeitigen im Erfolgsfall ausschließlich informale Folgen. Die Formalisierung von Konflikten und Defiziten soll durch Coaching gerade vermieden werden. Hat man sich ohnehin schon für formale Konsequenzen, z.B. Versetzung, Entlassung, Umstrukturierung usw., entschlossen, muss man nicht mehr an persönlichen Problemen laborieren. Daher können beispielsweise Coaching und Outplacement sehr gut gegeneinander differenziert werden, obwohl beide personenzentrierte Beratungsdienstleistungen bezeichnen. Coaching soll Strukturentscheidungen verhindern, Outplacement behandelt die Folgen solcher Entscheidungen: „im Rahmen der Gesamtperspektive Personalentwicklung im Personalmanagement sind das schon die gleichen Kunden. Oftmals, nicht unbedingt. Aber im Coaching begleitet man die Klienten, während sie im Unternehmen sind und auch möglichst lange bleiben sollten, während beim Outplacement geht es ja rein um den Trennungsprozess.“ (Müller, Coachinganbieter 1) 43 Notabene für den Beratungsnehmer und nicht für den Coach! 157 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Immer wieder wird betont, dass Coaching nur unter Bedingungen von Vertrauen und von Vertraulichkeit funktionieren könne. Die Funktion der Vertraulichkeit besteht, wie schon gezeigt, im Strukturschutz der Organisation. Auf die Frage, was die Evaluation von Coaching so schwierig mache, antwortet ein Gatekeeper: „Vertraulichkeit, also eine Hauptgeschichte ist, Coaching funktioniert nur, wenn wirklich eine Vertraulichkeit zwischen Coach und Coachee da ist. Das heißt es verbietet sich, von außen da rein zu leuchten, es verbietet sich, in die Inhalte rein zu leuchten.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Das Vertrauen zwischen Coach und Coachee äußert sich dadurch, dass die Organisation nicht „von außen da rein (…) leuchtet“. Unabhängig davon, wie die Evaluationschancen eingeschätzt werden, kann die Evaluation aus dieser Perspektive nicht empfohlen werden44. Der Bedarf der Evaluation entspringt mehr dem Bedürfnis der Personalentwickler nach gleichrangiger Anerkennung in der zahlengestählten Wirklichkeit von Unternehmen. Für die Möglichkeit der persönlichen und informalen Wirksamkeit von Coaching dürfte sie eher abträglich sein. 8.6 Die Instrumentalisierung von Coaching Die Evaluation von Coaching ist nur ein Aspekt der Formalisierung. Schon allein dass Coachingsysteme institutionalisiert sind, ist Ausdruck für die formale Strukturierung. Sobald man aber Coaching in formale Strukturen gießt, tritt eine informale Beobachtung zweiter Ordnung in Kraft, die die Beratung als strategisch nutzbares Element einstuft. Der Instrumentalisierungsverdacht trifft ganz generell alle formalen Strukturen der Organisation. Man kann sich an Regeln halten, weil man sie akzeptiert, aber auch weil man sich dahinter verstecken will. Umgekehrt kann man Regeln brechen, weil man sie für veraltet hält oder weil man damit Eigeninitiative signalisieren will. 44 Einer der Altvorderen der Organisationsberatung Edgar H. Schein hält Evaluation gar für eine „ korrumpierende Kraft“, weil damit eine unangemessene Komplexitätsreduktion einhergehe: „Dies bedeutete, daß die Dinge meßbar sein mußten, d.h. wir mußten komplexe Ideen und Konzepte auf meßbaren Variablen reduzieren“ (Schein 1990: 413). 158 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Was die wirkliche Absicht war, kann man praktisch nicht wissen. Stattdessen lohnt es, sich auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung einzustellen und formale Strukturen immer noch mal aus taktischer Perspektive zu beobachten. Entsprechend sind auch die Maßnahmen der Personalentwicklung zum taktischen Einsatz freigegeben. Mitarbeitergespräche, Führungsgespräche, Assessmentcenter, 360°Feedbacks, Coaching können immer naiv ernst genommen werden oder noch mal darauf hin geprüft werden, welche Wirkung man damit in der Organisation erreichen kann, wenn man teilnimmt, wenn man sich dafür bewirbt, wenn man das verhindert usw. Sobald Coaching formale Folgen hervorruft, etwa für Beurteilung oder Beförderung, lässt sich die Instrumentalisierung nicht mehr verhindern. Coaching ist dann nicht mehr „nur als Zweck, sondern immer auch als Mittel zu behandeln“ (Kieserling 1999: 362). Coaching für einen guten Zweck der Führungskräfteentwicklung kann mit anderen Worten nur gelingen, wenn es keine formalen Folgen nach sich zieht. Andernfalls relativiert sich der Zweck zugunsten von taktischen Erwägungen. Gatekeeper bestätigen, dass es zu einer Beobachtung zweiter Ordnung kommt, dass man also nicht nur beobachtet, welche Effekte Coaching hat, sondern auch ob und wie man es instrumentell einsetzen kann: „die schwierigen Fälle beim Coaching sind: Mitarbeiter kommt und wird eigentlich vom Vorgesetzten gemobbt. Der Vorgesetzte will ihn eigentlich los haben, Mitarbeiter findet keine neue Position so schnell im Unternehmen, hat totalen Druck, will Unterstützung haben. Von der anderen Seite habe ich es genauso häufig oder häufiger: die Führungskraft ruft an und will, dass ein Mitarbeiter gecoacht wird. Der Auftrag ist eigentlich: ‚erziehe mir den mal eben, der passt mir so nicht!’ Manchmal steckt da dahinter, man will den Mitarbeiter schon loswerden, findet im Moment keine andere Verwendung für Leute mit unbefristeten Verträgen, er findet keine andere Verwendung. Und das sind die richtig schwierigen Fälle.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Sehr deutlich wird in dem Zitat, wie Coaching die Personalisierung von Konflikten unterstützt. Man kann jetzt formulieren, dass Mitarbeiter ein persönliches Problem hätten, das in einem Coaching, ohne weitere Wellen zu schlagen, bearbeitet werden soll. Gleichzeitig ist der tatsächliche oder vermeintliche persönliche Entwicklungsbedarf weitgehend irrelevant. Wichtig ist nur, dass damit eine Eskalation des Konflikts vermieden werden kann. In einem weiteren Fall wurde ein Coaching vereinbart, obwohl allen Beteiligten, übergeordnete 159 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Führungskraft, Coachee, Coach und Personalabteilung bewusst war, dass es sich um eine taktische und nicht um eine inhaltliche Maßnahme handelte. Der Personalentwickler berichtet: „mein Rat lautet: ’Nehmen Sie das Angebot ihrer Führungskraft an und machen Sie eine Erfolgsstory für sich daraus. Vereinbaren Sie mit Ihrer Führungskraft und mit Ihrer Regionalleiterin die Terms of Reference und lassen Sie sich dann später von Ihrer neuen Führungskraft bestätigen, dass Sie das alles in vollem Umfang erfüllen. Mit diesem Führungswechsel haben Sie eine riesige Chance.’ Und dann war sie nicht nur bereitwillig und hat dieses Coaching gemacht, sondern sie hat es mit sehr gutem Erfolg gemacht. Weil da sind Auftraggeber und Abnehmer der Leistung zwei verschiedene Personen. Und sie wird sich dem Neuen gegenüber gleich so positionieren, weil sie ihn braucht für eine positive Beurteilung, so dass die Erfolgsgeschichte quasi schon gebahnt ist, weil sie will einen Erfolg darstellen und geht dann schon auf die neue Führungskraft anders zu. Das habe ich dann mit dem Coach besprochen und der meinte dann, so ließe sich das hinkriegen.“ (Schneider, Beratungsunternehmen) Man mag darin Einzelfälle sehen und solche Instrumentalisierung empört von sich weisen. Die These hier lautet aber, dass sich die Beobachtung zweiter Ordnung, also die Frage, wie andere etwas beobachten und wie man deshalb etwas daraufhin opportunistisch einsetzen kann, in formaler Organisation nicht vermeiden lässt. Und auf dieser Ebene der Beobachtung von Beobachtung sind die Beziehungen in Organisationen neben der formalen Hierarchie symmetrisch. So muss man immer mit beobachten, wer und wozu Coaching eingesetzt wird, ob es sich lohnt, das Spiel mitzuspielen oder ob man Coaching legitim ablehnen kann. Der Rechtfertigungsdruck für Vorgesetzte, die sich für nicht beratungs- und entwicklungsbedürftig halten, scheint jedenfalls zuzunehmen. Selbst wenn Coaching nicht formal verordnet wird, so kann es jetzt doch mit „feiner Formulierung“ dringend empfohlen werden: „So, wie Coaching manchmal ein Bonbon ist, wo man sagt: ‚das ist mein Talent, ich spendiere Dir ein Coaching, weil du so toll bist’, wird es hier als Strafmaßnahme genutzt. (…) Und die Formulierung, das habe ich jetzt auch daraus gelernt, die feine Formulierung für solche vergifteten Aufträge ist: der Mitarbeiter reflektiert die Diskrepanz zwischen seinem Selbstbild und dem Fremdbild ... Also wenn ich solche Formulierungen lese, dann lache ich schon immer“ (Schneider, Beratungsunternehmen) 160 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Selbst wenn Coaching nichts von dem halten würde, was es verspricht, könnte sich mit dieser Instrumentalisierung sein Einsatz dennoch lohnen. 8.7 Personalisierung, Strukturschutz und Mode Die „Quadratur des Kreises“ der Personalentwicklung, die darin besteht, nicht formalisierbares Verhalten in formalen Maßnahmen zu entwickeln, wird auch im Coaching nicht gelingen. Zwar können hier die Voraussetzungen für Informalität, Freiwilligkeit, formale Folgenlosigkeit und Vertraulichkeit in einem hohen Maß erfüllt werden und zwar in beide Richtungen, sowohl für die Person als auch für die Organisation. Gleichzeitig geht der Organisation respektive der Personalentwicklung damit aber der Einblick in die tatsächlichen Abläufe verloren. Insbesondere lassen sich etwaige Erfolge aufgrund der mangelnden Formalisierbarkeit bzw. formalen Folgenlosigkeit nicht nachweisen. Wenn Personalentwicklung auf dieser informalen Ebene der Organisation tätig sein will, muss sie im Grunde auf der Ebene des Klatsches operieren. Dass hier ein Scharlatanerieproblem vorliegt, versteht sich fast von selbst. Selbstverständlich erfüllt auch Klatsch eine Funktion in Organisationen, Informationen werden verteilt und zurückgehalten; es besteht die Möglichkeit, Personen ohne formale Entscheidungen auszuschalten (Mobbing); Entscheidungen werden vorbereitet oder verhindert; Einfluss- und Kontaktnetze werden geknüpft usw. Das Problem ist immer nur, dass man nicht entscheiden, geschweige denn steuern kann, was in diesen Bereichen geschieht. Der Sinn dieser unentschiedenen Operationen und Strukturen, die man auch als Organisationskultur bezeichnen kann (Luhmann 2000: 239 ff.), besteht gerade darin, dass sie sich nicht wie Entscheidungen der Frage von Annahme oder Ablehnung aussetzen. In diesem Sinne ist Organisationskultur ein funktionales Äquivalent zu Autorität, weil beides ein Nachfragen verhindert. Im Fall der Autorität verhindert das vermutete umfangreiche Wissen des Entscheiders die Nachfrage, im Falle von Organisationskultur entfällt die Nachfrage, weil kein Entscheider sichtbar ist, sondern nur ein diffuses „das macht man bei uns eben so“. Das Problem liegt darin, dass es sich um Kommunikation von Werten handelt, die nicht direkt mitgeteilt werden. Die Kommunikation auf dieser Wertebene verfährt aber so, 161 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen als ob die Werte gelten würden. Wer die Werte in Frage stellt oder durch andere Unternehmenswerte oder -philosophien ersetzen will, stellt sie zur Diskussion und desavouiert dadurch ihre Geltung. Wer sich explizit zu einem Wert bekennt, stellt ihn damit zur Disposition. Wie man diesen Bereich aber systematisch bearbeiten kann, ist bislang ein ungelöstes Rätsel45. Sofern man Coaching überhaupt eine Funktion zuordnen will, man also einen Beitrag zur Unsicherheitsabsorption feststellen kann, dann steht an erster Stelle sicherlich der Strukturschutz der Organisation. Das Coaching selbst soll formale Entscheidungen in Konflikt- und Problemfällen verhindern. Eine relevante Entscheidung geschieht nur vor dem Beginn zum Coaching. Dort müssen Vorgesetzte sich „freiwillig“ dafür entscheiden, Probleme der organisationalen Führungsrolle als ihre eigenen persönlichen Probleme aufzufassen. Der Deal zwischen Organisation und Person lautet pointiert: „Wenn Du versprichst, unsere Probleme als die Deinen zu betrachten, helfen wir Dir gerne in der Bearbeitung!“ Der Beitrag zur Unsicherheitsabsorption wird durch die Entscheidung geleistet, dass man organisationale Konflikte und Probleme Personen zuschreibt. Sie können dann in einem Spezialsystem Coaching bearbeitet werden unter Annahme, dass die Probleme zu keinen weiteren Entscheidungen führen. Die Unsicherheitsabsorption ist schon vor dem Coaching mit der Einwilligung des Coachees vollzogen. Die Personalisierung von organisationalen Problemen ist aber keine neue Erscheinung. Schon immer wurden Personen als das Grundgerüst von Organisationen erlebt. Erklärt werden kann dies aus der Paradoxie des Entscheidens, die dadurch unsichtbar gemacht wird, dass man die Entscheidung einem Entscheider zurechnet (Luhmann 2000: 136). Personalisierung organisationalen Handelns gehört mithin zur Grundausstattung von Organisationen. Dafür brauchte man weder Personalentwicklung noch Coaching. Das Verhältnis von Personalisierung und Personalentwicklung respektive Coaching ist genau anders herum zu erklären: Personalentwicklung parasitiert an der Personalisierung von Problemen und Coaching führt dies weiter speziell für Vorgesetzte und Führungskräfte. 45 Einen neuen Anlauf wagen Bolte/Porschen 2006, die das „Informelle“ organisieren wollen, ohne es dem „Zugriff der Organisation dienstbar zu machen“. 162 Schlussfolgerungen Die Funktionsweise von Coaching Wer entscheidet, wird verantwortlich gemacht. Insofern Vorgesetzte mit steigender Ranghöhe bedeutendere Entscheidungen treffen, werden sie in größerem Umfang verantwortlich gemacht. Wenn die Firma Bankrott geht, ist selbstverständlich die Spitze schuld. Dafür hat man die Spitze eingesetzt, auch wenn man oft nicht mehr sagen kann, welche (falsche) Entscheidung der Spitze zu welchem Ergebnis geführt hat und wie das hätte besser gemacht werden können. Die Vorgesetztenrolle und die Führungsaufgabe waren daher schon immer besonders verantwortungsvoll, widersprüchlich und problematisch. Das hat sich durch Coaching nicht geändert und auch nicht durch „Globalisierung“, von der im Übrigen schon Marx zu berichten wusste (Marx/Engels 1969: 45 f.), obwohl ihm freilich noch nicht dieses modische Wort zur Verfügung stand. Die besondere Bedeutung von Coaching liegt darin, dass es eine veränderte Vorgesetztenrolle indiziert. Insofern handelt es sich nicht nur um eine Modeerscheinung, wenn auch der Begriff selbst modische Verwendung findet. Der Printmedienindex zu Coaching weist immerhin auf eine relative Langlebigkeit hin im Vergleich zu Managementmoden wie „lean management“ (vgl. Benders/Van Bijsterveld 2000: 55). Mit den interviewten Experten kann man vermuten, dass es sich beim Coaching in Organisationen als personenzentrierte Beratungsmethode um eine relativ dauerhafte Institution handelt: „Also unsere Fantasie ist es schon, dass es nicht nur ein getrenntes, sondern dass es ein fester Bestandteil im Bereich Personalentwicklung wird und zwar mit einem sehr starken Anteil.“ (Müller, Coachinganbieter 1) Ihr kommt in Organisationen derzeit nicht die Zentralität in der Führungskräfteentwicklung zu, wie sich aus der Fülle der Praktikerliteratur schließen ließe. Coaching findet eher auf den Hinterbühnen der Organisation statt (vgl. Kühl 2005a). Das öffentliche Interesse gemessen an der Publikationsdichte ist zwar in den letzten Jahren drastisch angewachsen. Dennoch lässt sich daraus nicht unbedingt auf eine Mode schließen. Die Gatekeeper nehmen zwar sehr deutlich wahr, dass es sich um ein modisches Wort handelt, sie sind aber davon überzeugt, dass die personenzentrierte Beratung eine bleibende Erscheinung ist. 163 Die Funktionsweise von Coaching Schlussfolgerungen Die Modefrage kann man mit einem Gatekeeper daher so beantworten: „Ja, die Begriffe ändern sich, aber die Tätigkeit ist gleich geblieben. Ich mache jetzt seit 20 Jahren Weiterbildung und vor 20 Jahren da hat das nicht Coaching geheißen, sondern da hat es halt Einzelberatung geheißen, oder Supervision hatte es geheißen. Dann war die Supervision mal wieder zu häufig im Sprachgebrauch, dann haben wir plötzlich Intervision gesagt. Bis wir mal wieder einen anderen Begriff einführen und nicht mehr wissen was das ist. Die Begrifflichkeit ändern sich, aber dass wir Leute haben, die mit unseren Führungskräften oder wie auch immer reden und an persönlichen Themenstellungen arbeiten, das ist uralt. Also ich kenne das nicht anders (…). Ich kenne nur einen gewissen Wandel. Also wenn man einmal 20 Jahre zurückblicken würde, dann hat sich das ein Stück weit normalisiert, also dass man jetzt er offener darüber redet. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das früher nicht offen war, aber nur wenige haben halt darüber geredet, nur wenige haben das überhaupt gewusst.“ (Bauer, Unternehmen) 164 Anhang Interviewleitfaden Anhang A. Interviewleitfaden 1. Branche, Organisation und Person - Kurze Beschreibung der Branche: Art, Üblichkeit von Coaching, Coaching als Mode? - Kurze Beschreibung der Organisation: Größe, Art - Kurze Beschreibung der Abteilung: Einbindung in die Organisation, Größe, Art - Kurze Beschreibung Ihrer Stelle in der Organisation, mit Aufgaben, kommunikativer Einbindung (Hierarchie) und persönlicher Qualifikation - Was interessiert Sie persönlich am Coaching? - Nutzen Sie selbst Coaching? - Nutzen Sie Coaching zur Lebensberatung, Karriereplanung, berufliche Probleme zu lösen? - Sind diese Probleme eher kurzfristiger oder langfristiger Art? - Sind die Probleme rein aufgabenbezogen, konkret oder eher abstrakt? - Wie gestaltet sich die Beziehung zum Coach? 2. Allgemeines - Welches Problem soll über Coaching gelöst werden? - Ist das eine relativ neues Problem oder ein schon immer existierendes Problem? - Welche Funktion erfüllt das Coaching für das Unternehmen? - Gibt es Coaching auch als „Goody“? - Welche Bedeutung hat das Thema Coaching im Rahmen der Personalentwicklung ihrer Firma? - Welches Volumen haben die Coaching Beratungen in Ihrem Unternehmen? - In welcher Form wurden die personenbezogenen Beratungsleistungen erbracht, als es noch „kein Coaching“ gab? - Wie erklären Sie den wachsenden Bedarf von Coaching? 165 Interviewleitfaden Anhang - Welche Rollen spielt ein wachsender Problemdruck bei der zusätzlichen Nachfrage nach Coaches? - Welche Rolle spielt, dass es allgemein en vogue ist, Coaches in Unternehmen zu bringen? 3. Institutionalisierung - Von wem geht die Initiative für ein Coaching aus? Von der Führungskraft oder von den zuständigen Abteilungen oder Institutionalisierung im Rahmen von Jahresend-Gesprächen? - Wie setzt sich der Pool der Coaches zusammen? - Gibt eine Beratung darüber, wie Coaches ausgewählt werden sollen? - Welche Rolle spielen Berufsverbände bei dieser Beratung? - Wie wird der Erfolg einer Coachingmaßnahme evaluiert? 4. Auswahl der Coachees - Wie wird der Bedarf an Coaching festgestellt? - Wer hat prinzipiell Zugang zum Coaching? - Muss der Coachee seinen Bedarf und den Nutzen an Beratung selbst rechtfertigen? - Gibt es ein „Recht“ auf Coaching oder ist Coaching eher eine Zusatzleistung der Organisation zu einer Stelle? - Müssen sich bestimmte Personen/Stellen coachen lassen? 5. Anlässe zum Coaching - Was sind typische Ereignisse, die durch einen Coach begleitet werden? - Wer entscheidet, wann diese Ereignisse vorliegen? - Muss dies (nachträglich) gerechtfertigt/verantwortet werden? - Gibt es definierte Anlässe, zu denen Coaching in Anspruch genommen werden muss? 6. Auswahl des Coachs - Wer wählt die Coaches aus? Führungskraft? Zuständige Abteilung PE? oder jemand anders? - Nach welchen Kriterien wählen die unterschiedlichen Akteursgruppen die Coaches aus? - Spielen bei der Auswahl von Coaches eine Verbandszugehörigkeit eine Rolle? 166 Anhang - Interviewleitfaden Auf welche Verbandszugehörigkeit wird geachtet? Wie wird die spezifische Qualifikation der Coaches abgefragt? Auf wie viele Coaches wird in ihrem Arbeitsfeld zurückgegriffen? Gibt es eine Coaching-Ideologie die vorausgesetzt wird? 7. Abgrenzung zur Supervision, NLP, Mediation, betrieblicher Sozialarbeit (counselling) - Wie würden Sie Coachingangebote von den Angeboten der Supervisoren abgrenzen? - Was bringt ein Supervisor ggfs. nicht mit, was ein Coach hat? - Was kann ein Coach nicht liefern, was ein Supervisor liefern könnte? - Was ist der Unterschied zu NLP? - Was ist der Unterschied zu Mediation? 8. Prozess - Über welche Qualitätsprozesse sichern Sie den Coachingprozess? - Wie gehen Sie mit Krisen zwischen Coach und Nachfrage um? - Welche Form von Evaluierung findet statt? - Wie wird der Erfolg von Coachingmaßnahmen gemessen? - Coaching: Leistungs-Training oder Psycho-Couch? 167 Übersicht Experteninterviews Anhang B. Übersicht Experteninterviews Anonym Bauer Becker Braun Fischer Hartmann Hoffmann Klein Koch Krause Krüger Lange Müller Neumann Richter Schäfer Schmidt Schneider Schröder Schulz Schuster Wagner Weber Werner Wolf Org.typ Org.größe lfd. Prozesse Coachpool Führungskr. Unternehmen 4 35000 40 Coachinganbieter 2 öffentliche Verwaltung 2 35000 4 Finanzdienstleister 1 20000 8 Medienanstalt 1 4500 15 40 öffentliche Verwaltung 1 40000 25 2500 Zertifizierungsstelle 1 Unternehmen 3 3700 4 500 Medienanstalt 2 2700 30 300 Arbeitnehmervertreter 10000 25 Verkehrsunternehmen 2 4200 Coachinganbieter 1 Unternehmen 5 3000 3 Kirche 1000 1 1 Verkehrsunternehmen 1 34000 60 50 Unternehmen 7 4000 Beratungsunternehmen 10000 30 Sozialhilfe 1 500 1 1 12 Unternehmen 1 36000 70 Unternehmen 6 45000 30 Zertifizierungsstelle 2 Unternehmen 2 230000 50 Sozialhilfe 2 3000 47 (Supervisoren) Finanzdienstleister 2 3000 60 15 Fehlende Werte wurden nicht erhoben. 168 Literatur Literatur Absatzwirtschaft, 1999: Die Führungskraft als Coach. In: Absatzwirtschaft, 6, S. 7477 Adorno, Theodor W., 1997: Individuum und Organisation. Einleitungsvortrag zum Darmstädter Gespräch 1953. In: Ders., Soziologische Schriften I. Band 8 der Gesammelten Schriften. 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