2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 102 Einzelteilchen-Tunneln Einzelteilchen-Tunneln ist die wichtigste Meßmethode für die Bestimmung der Energielücke ∆. Dazu verwendet man die SIS-Tunneldiode, die bereits in 2.2.4 im Zusammenhang mit dem Josephsoneffekt erwähnt wurde. Schematisch wird die SISTunneldiode oft in folgender Form dargestellt (Fig. 2.115). Fig. 2.115: Schematische Darstellung der SIS-Tunneldiode Tatsächlich wird die SIS-Tunneldiode fast immer aus Dünnschichten aufgebaut. Dies ist in Fig. 2.116 in Seitenansicht und in Fig. 2.117 in Draufsicht gezeigt. Die Schichtdicke der Supraleiter sind typisch 0.1 nm, die der Isolatorschicht 1-2nm. Die Herstellung erfolgt durch Aufdampfen oder Kathodenzerstäuben (Sputtern). Dabei werden die Metalle im Vakuum verdampft oder zerstäubt und scheiden sich auf dem Substrat wieder ab. Zunächst wird SL1 aufgebracht und strukturiert. Die Strukturierung erfolgt entweder direkt bei der Abscheidung durch eine Schattenmaske (Genauigkeit ca. 1/10 mm) oder nachträglich durch Fotolithogrphie und Naß- oder Trockenätzen (Genauigkeit ca. 1 µm). Die Isolationsschicht wird dann entweder durch Oxidation des SL1 oder durch Abscheiden eines Oxids hergestellt. Darauf kommt als letzte Schicht der SL 2, der wieder strukturiert wird. Fig. 2.116: Bestimmung der Energielücke mit Dünnschichten Fig. 2.117: Draufsicht zu Fig. 2.116 Die Überlappungsfläche beider SL (s. Fig. 2.117) wird als Tunnelkontakt (tunnel junction) oder Tunneldiode bezeichnet. Die Strom-Spannungs-Charakterisitk wird bestimmt, indem der Strom durch den Widerstand R (Fig. 2.116) eingeprägt wird und der sich einstellende Spannungsabfall 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 103 gemessen wird. Ein typisches Ergebnis zeigt. Fig. 2.118 für eine Reihe verschiedener Temperaturen. Die Spannungsskala umfaßt einige mV, die Stromskala kann einige µA bis zu einigen A umfassen, je nach Tunnelwiderstand des Kontakts. Fig. 2.118: Strom-Spannungscharakteristik eines Tunnelkontakts für verschiedene Temperaturen Zunächst betrachten wir die Kurve für T=0. Dann sind alle Elektronen in beiden Supraleitern gepaart. Sollen einzelne Elektronen tunneln, müssen Paare gebrochen werden. Ein Tunnelprozess stellt sich also wie folgt dar: links (SL 1) rechts (SL 2) vorher 2 Paare tunnelt nachher 2 Quasiteilchen Durch das Tunneln eines Einzelelektrons in einen unbesetzten Paarzustand erhalten wir nach dem Tunnelvorgang zwei Quasiteilchen. Zur Erzeugung eines Quasiteilchens ist: links (SL 1) ∆1 rechts (SL 2) ∆2 erforderlich. Diese muß von der Batteriespannung aufgebracht werden, so daß folgt: eUmin= ∆1 + ∆2 bzw. für ∆1=∆2 ist eUmni= 2∆ Bei 2∆ ist damit ein Anstieg in der UI-Kennlinie zu erwarten (vgl. Fig 2.118), da schlagartig der Tunnelstrom einsetzt. Dies wollen wir an Hand der Zustandsdichten (Fig. 2.119) noch etwas genauer betrachten. Aufgetragen ist die Energie gegenüber der Zustandsdichte für SL 1 bzw. SL 2. Aufgrund der angelegten Spannung verschiebt sich das Energieniveau von SL 1 gegen SL 2 um eU. Das Cooperpaar befindet sich anfangs auf der linken Seite bei E=0. Tunnelt das eine Elektron, so gewinnt es die Energie eU, gibt aber einen Teil davon seinem zurückgebliebenen Partner ab, so daß E1=eU-E2. Es muß E1≥∆1 und E2≥∆2 sein, damit der Prozess stattfinden kann. Dabei ist die Tunnelwahrscheinlichkeit 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 104 proportional zu Produkt beider Zustandsdichten N(E1)N(E2). Sie ist besonders hoch, wenn sowohl E1 als auch E2 in der Nähe der Singularitäten E=∆ liegen, also eU=E1+E2 ≈ ∆1 + ∆2 Daher tritt direkt bei eU = ∆1 + ∆2 ein Sprung in der I(U)-Kurve auf. Bei weiterer Erhöhung der Spannung stehen mehr und mehr Energiezustände für erlaubte Tunnelprozesse zur Verfügung, d.h. der Strom steigt weiter an. Abb. 2.119: Darstellung des Tunneleffekts zwischen zwei SL. Bei der Spannung U=(∆1 + ∆2)/e kann ein Paar im SL 1 aufgebrochen werden, wobei ein Elektron im tiefsten Zustand von SL1 entsteht und das andere in den tiefsten Zustand von SL 2 tunnelt. Nun wollen wir Temperaturen > 0 betrachten: Mit zunehmender Temperatur nimmt die Energielücke ab. Entsprechend verschiebt sich der Sprung in der I(U)-Charakteristik (s. Fig. 2.118) zu kleineren Spannungen hin. Die Energielücke als Funktion der reduzierten Temperatur ist in Fig. 2.120 gezeigt. Abb. 2.120: Energielücke als Funktion der reduzierten Temperatur T/Tc (Buckel) 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 105 Des weiteren sind für T>0 bereits Quasiteilchen vorhanden. Damit erhalten wir einen endlichen Strom bereits für eU < ∆1 + ∆2. Betrachten wir dazu Fig. 2.121. Es sei ∆1 ≈ ∆2. Fig. 2.121: Tunneln zwischen 2 SL bei 0<T<Tc Einzelektronen besetzen Energiezustände oberhalb der jeweiligen Energielücke. Aufgrund der höheren Energie des SL 1, können alle Elektronen von links nach rechts tunneln. Damit ist der Strom konstant, unabhängig von der Spannung (für ∆1≈∆2!). Da die Besetzung der Quasiteilchen stark von der Temperatur abhängt − ∆ ( f ∝ e kT ), ist die Tunneldiode ein sehr empfindliches Thermometer. Daher wird sie auch als Teilchendetektor verwendet, wobei die einschlagenden Teilchen Phononen und damit Wärme erzeugen. Wir wollen nun für T>0 auf die Besonderheit ∆2 >>∆1 eingehen. Betrachten wir dazu Fig. 2.122. Fig. 2.122: Tunneln zwischen 2 SL bei 0<T<Tc und ∆2>>∆1 Für eU=∆2 - ∆1 stehen sich die beiden BCS-Singularitäten gegenüber. Wir erhalten eine hohe Tunnelwahrscheinlichkeit, da alle Einzelelektronen des SL1 nach rechts tunneln können und dort eine hohe Dichte unbesetzter Zustände vorfinden. Dies führt zu einem Maximum in der I(U)-Kennlinie, wie in Fig. 2.123 zu erkennen ist. 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 106 Abb. 2.123: I(U) Charakteristik für einen SL-SL Tunnelkontakt mit ∆2 >>∆1 Im weiteren Verlauf nimmt der Strom mit steigender Spannung ab, da die Dichte der unbesetzten Zustände im SL 2 wieder abnimmt. Bei eU=∆2 + ∆1 setzt wieder Paarbrechen ein. Anmerkung: hier haben wir nur das Tunneln von Einzelteilchen betrachtet. Wie bereits in 2.2.4 (Josephsoneffekt) erwähnt, können aber auch Paare tunneln.. Wie in Kap. 2.2.4.3 gezeigt, erhalten wir die in Fig. 2.124 dargestellte Abhängigkeit des Josephsonstroms vom Magnetfeld. Fig. 2.124 Abhängigkeit des Josephsonstroms vom Magnetfeld Für die Messung der Energielücke wird daher das Magnetfeld so eingestellt, daß sich der Josephsonstrom gerade im 1. Minimum befindet und dadurch unterdrückt wird. Fig. 2.125 zeigt die I(U)-Kennlinie für den Fall, daß das Magnetfeld B=0 ist (maximaler Josephsonstrom). Fig. 2.125 I(U)-Charakteristik ohne Magnetfeld 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 107 Wie gezeigt, erhalten wir eine Hysterese. Damit ist der Tunnelkontakt: - ein bistabiles Element, so daß er als Informationsspeicher verwendet werden kann (Digitalelektronik – sehr schnell!) ein durch schwache Magentfelder steuerbarer Schalter der schnellste bekannte Schalter (τ≈einige ps) verbraucht wenig Leistung (viel weniger als Halbleiter) Aus diesem Grund versucht man solche Tunnelkontakte in der Digitalelektronik (Josephson-Digitalelektronik) einzusetzen. Das Problem stellt hierbei die Integration vieler Kontakte dar (der Schaltpunkt darf nicht zu stark streuen). Bei den LTSL sind bis zu 105 Kontakte bzw. bei den HTSL bis zu 103 Kontakte realisierbar. Vergleiche dazu auch RSFQ (Rapid single flux quantum logic) bei: http://insti.physics.sunysb.edu/physics/news_fast_ic.htm (Beispiel eines 750 GHz Frequenzteilers) bzw. eine allgemeine Einführung zur RSFQ unter: http://pavel.physics.sunysb.edu/RSFQ/Research/WhatIs/rsfqre2m.html Soweit nun unsere Betrachtung zur Energielücke. Im nächsten Kapitel wollen wir uns der Frage: „Warum ist der BCS-Zustand supraleitend?“ widmen. 2.3.6 BCS-Supraleiter mit Transportstrom Zunächst wollen wir wieder T=0 annehmen. 2.3.6.1 Kritischer Strom für Paarbrechen: Betrachten wir einen Normalleiter mit Transportstrom. Der Strom bedeutet eine Verschiebung der Fermi-Kugel (s. Fig. 2.126). Dadurch ändert sich die Energie jedes Elektrons. Fig. 2.126: Verschiebung der Fermikugel aufgrund eines Transportstromes 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 108 Die Energie der Kugeloberfläche ist dann gegeben mit: r ε F/ = ε F + δε (k ) r δε (k ) r = ε F + r δk (lin. Taylor) δk r r = ε F + hv F o δk v F : Gruppengeschwindigkeit r r = ε F + hv F δk cosα Die Energie der Kugeloberfläche ist also richtungsabhängig. Wir unterscheiden zwei Extremfälle (cos α=+1 / cos α=-1 ≡ Punkt 1 bzw. 2 in Fig. 2.126): ε F/ = ε F + Dv F δk 1 ε = ε F − Dv F δk / F2 ∆ε F/ (1− 2 ) = 2Dv F δk Die Streuung der besetzten Zustände bei 2 in die leeren bei 1 ist die Ursache für den ohmschen Widerstand und die Energiedissipation im NL. Nun wollen wir den Supraleiter betrachten. Betrachten wir dazu Fig. 2.127: Fig. 2.127 QT-Zustandsdichte im Punkt 1 bzw. 2 Die Zustandsdichten sind an Punkt 1 und 2 gegeneinander verschoben, ähnlich wie beim Tunnelkontakt. Nur liegt hier kein Tunneln, sondern Streuung vor. Die Streuung von 2 nach 1 mit Paarbrechung ist nur möglich, falls die frei werdende Energie >2∆ ist, also 2Dv F δk ≥ 2∆ 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln 109 Dies entspricht einem Mindestimpuls der Paare: PPaar = DK = D 2δk ≥ 2∆ ≡ Pc vF bzw. Pc = kritischer Impuls Falls Pc überschritten wird, können Paare gebrochen werden, und es tritt Widerstand auf. Statt des kritischen Impulses können wir auch eine kritische Geschwindigkeit angeben: P ∆ vc ≡ c = 2m p F vc= kritische oder Paarbrech-Geschwindigkeit (deparing velocity) Für PPaar<Pc ist kein Paarbrechen möglich. Damit relaxiert die Fermikugel nicht und wir erhalten einen Suprastrom. Dies ist jedoch ein Zustand mit erhöhter kinetischer Energie (metastabiler Zustand). Entsprechend gilt für die kritische Stromdichte: j c = n s q p vc = n s q p ∆ pF Diese kritische Stromdichte wird in der Realität nicht erreicht, da schon vorher depinning von Flußfäden einsetzt. Bei T=0 tragen nur Paare den Strom. Diesen Suprastrom der Paare bezeichnet man meist als „diamagnetischen Strom“, da er den Meissner-Effekt hervorruft. Im nächsten Kapitel wollen wir auf Temperaturen >0 eingehen. 2.3.6.2 Paramagnetischer Strom bei T>0 Nun sind zusätzlich Quasiteilchen vorhanden. Bei δk≠0 verschiebt sich wieder die Fermikugel, wobei Quasiteilchen keine Mindestenergie zur Streuung benötigen (s. Fig. 2.128 / Fig. 2.129). Fig. 2.128: Zustandsdichte der QT im Punkt 1 / 2 Links (Punkt 2) liegen mehr freie Zustände vor als rechts (vgl. Fig. 2.129). D.h. im Gleichgewicht befinden sich links mehr QT als rechts (vgl. Fig. 2.128). Der Mittelwert der k-Vektoren aller QT ist also von 0 verschieden, und er zeigt nach links. Die QT tragen demnach ebenfalls einen Strom. Dieser Strom ist ein 2.3 Mikroskopische Theorie 2.3.5. Einzelteilchen-Tunneln Dauerstrom, der dem Paar-Strom „paramagnetischer Strom“ bezeichnet. entgegengerichtet ist. Er wird 110 als Fig. 2.129: Fermikugel im 2-d für T>0; für δk≠0 stehen am Punkt 2 mehr freie Zustände zur Verfügung als am Punkt 1. Damit ergibt sich für den Suprastrom: j s = j dia + j para Der paramagnetische Strom diamagnetischen Strom. Für T→Tc gilt: trägt das entgegengesetzte Vorzeichen des jdia nimmt ab jpara nimmt zu damit nimmt js ab. Bei T=Tc gilt: jpara=-jdia damit ist js=0 (≡ NL) Zum Abschluß sei noch auf eine www-Adresse zu Trikristall – Experimenten (Kirtley) verwiesen: http://www.research.ibm.com/sup/kirtley.htm