ERASMUS Lina Papadopoulou Aristoteles Universität Thessaloniki Lina Papadopoulou Ehe und Familie in der Verfassung Definitionen - Ehe • ein durch das bürgerliche Recht geformtes Rechtsinstitut • durch staatliche Mitwirkung formalisierte Rechtsgemeinschaft und Rechtseinrichtung > die Garantie des Rechtsinstituts „Ehe“ verlangt notwendig eine rechtliche Ordnung • • • • Beruht auf Willenseinigung von zwei Personen in traditioneller Weise verschiedenes Geschlechts und wird auf Dauer begründet. Definitionen - Familie • verweist auf überkommene und vorpositive, • der sozialen Wirklichkeit angehörende Lebensverhältnisse eine durch die Eltern-Kind-Beziehung und die Verwandtschaft bestimmte Gemeinschaft in vielgestaltigen Erscheinungsformen • • Artikel 6 GG (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Internationales Recht : Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen Artikel 16 1. Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen. nden Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte. 2. Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden. 3. Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. Internationales Recht : Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 Artikel 23 (1) Die Familie ist die natürliche Kernzelle der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat. (2) Das Recht von Mann und Frau, im heiratsfähigen Alter eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wird anerkannt. (3) Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden. (4) Die Vertragsstaaten werden durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass die Ehegatten gleiche Rechte und Pflichten bei der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Für den nötigen Schutz der Kinder im Falle einer Auflösung der Ehe ist Sorge zu tragen. Internationales Recht : Die Europäische Menschenrechtskonvention Art. 12 Recht auf Eheschliessung Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen. Art. 8 Recht auf Achtung des Privat— und Familienlebens (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat— und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Internationales Recht : die Europäische Sozialcharta von 1961 • Soziale Garantien für die Familie, die Mutter und das Kind werden den Staaten abverlangt Internationales Recht : die Charta der Grundrechte der EU Artikel 7: Achtung des Privat- und Familienlebens Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Artikel 9: Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln. Verfassungsvergleichende Elemente • Einige Staaten schützen Ehe und Familie ganz offensichtlich als Garanten für den eigenen Bestand (Art.A21 Abs.A1 VerfGriechenland; Art.A41 Abs.A1 und 3 VerfIrland; Art.A29 und 31 VerfItalien; Art.A36 und 67 VerfPortugal), • andere stellen den überindividuellen Bezug zurück und rücken als Aspekte der Institutsgarantie den persönlichen Freiheitsgewinn in den Vordergrund (Art.A6 Abs.A1 GG; §A11 S.A2 VerfLuxemburg). • Eine explizite Regelung des Rechts auf Gründung einer Familie und/oder Eingehung einer Ehe enthalten lediglich die Verfassungen Portugals (Art.A36 Abs.A1 und 2) und Spaniens (Art.A32). Verfassungsvergleichende Elemente • Hinsichtlich der Eheschließungsfreiheit normieren manche ein geschlechtsspezifisches Diskriminierungsverbot. • Zwei Verfassungen statuieren, dass die zivile Trauung der religiösen Eheschließung voranzugehen habe (Art.A21 S.A2 VerfBelgien und Art.A21 VerfLuxemburg). • Der Schutz von Ehe und Familie wird, wenn auch nicht durchgehend, so doch aber in den Verfassungen vieler neuer Mitgliedstaaten gewährleistet (vgl. Art.A14 VerfBulgarien, §A27 VerfEstland, Art.A38 VerfLitauen, Art.A44 VerfRumänien, Art.A3 und Art.A112 Abs.A1 VerfTschechien i.V.m. Art.A3 tschechische GRDeklaration, §A15 VerfUngarn und Art.A22 VerfZypern). Artikel 6 GG (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Art. 6 GG In Art. 6 hat das Grundgesetz eine Reihe von • Wertentscheidungen • Grundsatznormen, • Gesetzgebungsaufträgen und • Anspruchsgrundlagen über • Ehe und Familie, • Mutterschaft und • Erziehungsverantwortung, • Kindeswohl und • Wächteramt des Staates unterschiedlicher Art und Intensität aufgenommen Die vielfältige Natur von Art. 6 Abs. I GG • Wertentscheidung • • • Institutsgarantie Gesetzgebungsauftrag objektive Gewährleistung • und subjektives Recht Wertenscheidung & Schutzauftrag Art. 6 (1) : Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. = Die Verfassung sichert Ehe und Familie einen besonderen Schutz des Staates Dadurch trifft sie eine objektive Wertentscheidung Die Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 ist als an den Staat gerichtetes Schutzgebot für Ehe und Familie formuliert. Gehalt der Wertentscheidung • Die Lebensformen der Ehe und Familie werden damit • als ursprüngliche Elemente der staatlichen Ordnung und Rechtsgemeinschaft anerkannt und garantiert. • auch als instrumentale und der Selbstentfaltung des einzelnen dienende Elemente • der Ehe und der Familie wird damit eine sozialethische und kulturelle Funktion in der Konstituierung und Entwicklung des Gemeinschaftslebens zugewiesen, Diese Wertentescheidung Ist bei jeder Ausübung öffentlicher Gewalt zu achten und vor allem durch die Gesetzgebung zu verwirklichen ist (Gesetzgebungsauftrag). Dem Staat ist die Aufgabe gestellt 1. Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen zu bewahren und 2. durch geeignete Maßnahmen zu fördern, Die Vorschrift über die Gleichstellung der unehelichen Kinder (Art. 6 Abs. 5) ist als Gesetzgebungsauftrag formuliert. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. Institutsgarantie • sichert den Kern der das Familienrecht bildenden Vorschriften • insbesondere des bürgerlichen Rechts • gegen eine Aufhebung • oder wesentliche Umgestaltung • und schützt gegen staatliche Maßnahmen, die Familie und Ehe beeinträchtigen Institutsgarantie (2) • Bedeutet nicht dass • der Gesetzgeber die das Rechtsinstitut bildenden Normen nicht ändern kann • Er darf und soll sie dem sozialen Wandel folgend ändern • sofern damit keine substantielle Abkehr oder eine Abschaffung des Rechtsinstituts eintritt, • und kann so auch das Institut selbst in gewissen Grenzen weiterentwickeln, • um es neuen Erfordernissen und Bedürfnissen anzupassen Faktoren dieses Prozesses • • • • geänderte Lebensgewohnheiten geänderte soziale Leitbilder neue Möglichkeiten der Biotechnologie, insbes. Artifizielle Fortpflanzungs- und Reproduktionstechnike. objektive Wertordnung • Die Grundrechte sind in erste Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. • In den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, • die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. • Der objektive Gehalt der Grundrechte darf nicht von dem Grundcharakter als Freiheitsrecht losgelöst • und zu einem eigenen Wert- und Ordnungssystem ausgebaut werden Autonomie & Ehe&Familie • Die sozialethische Funktion von Ehe & Familie basiert auf der selbstbestimmten Freiheit, der die Ehe und die Familie bildenden Personen. • Der Schutz des Staates muß den freien Entschluß respektieren. • Eine sozial- oder gesellschaftspolitische Fremdbestimmung von Ehe und Familie verstieße gegen die Schutz- und Ordnungsfunktion des Grundrechts • = subjektives Recht Als subjektives Abwehrrecht • In enger Verbindung mit dem GR auf Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) • Das Eingehen einer Ehe und die Gründung einer Familie sind eine elementare Verwirklichung der Persönlichkeit eines Menschen • Ist die Möglichkeit der Scheidung und Wiederverheiratung Element des Rechts eine Ehe einzugehen? Schutz- und Abwehrrecht • • • • Grundlage für grundrechtliche Schutz- und Abwehransprüche einzelner, die sich als Ehegatten oder Familienangehörige Subjektive Rechte durch den Schutzauftrag? • • • Art. 6 Abs. 1 = allgemeines Schutzgebot für Ehe und Familie Art. 6 IV GG = Anspruch der Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft normieren grundrechtliche Schutzpflichten des Staates. FRAGE: • Lassen sich konkrete Regelungspflichten und entsprechende Regelungsansprüche gegen den Gesetzgeber aus den Grundrechten ableiten???? • NEIN! • Die grundrechtlichen Schutzpflichten richten sich an den Gesetzgeber • und gewinnen im Einzelfall für die Auslegung und Anwendung des Gesetzes eine individualisierende Bedeutung. • nur ausnahmsweise lassen sich Ansprüche ableiten: • im Fall evidenter Mißachtung des Schutzauftrags • durch Unterlassen hinreichender Regelung und Sicherung > Individualanspruch auf Schutz durch staatliches Handeln, insbes. durch Gesetz Grundrechtsberechtigte Rechtssubjekte • Die aus Art. 6 ableitbaren Schutz- und Abwehrrechte sind Menschenrechte, • die Deutschen, Ausländern und Staatenlosen gleichermaßen zustehen • ihrem Wesen nach auf juristische Personen nicht anwendbar (Art. 19 Abs. 3 GG) Drittwirkung • Schutzgebote, Garantien und Rechte des Art. 6 gelten auch für das für die Privatrechtsbeziehungen maßgebliche bürgerliche Recht • Eine „unmittelbare Drittwirkung“ der Verfassungsnorm (=unmittelbar aus Art. 6 Rechte und Pflichten etwa der Ehegatten gegeneinander oder der Kinder gegen Vater oder Mutter zuentnehmen) scheidet aus. Verhältnis von Ehe und Familie ? • lebhaft debattierte Streitfrage • geht das Grundgesetz - wie Art. 120 WRV - konkludent von der auf die Ehe gegründeten Familie aus? = so daß eine Geschlechtsgemeinschaft ohne Ehe keinen Familienverband im Rechtssinne entstehen ließe??? • Dass die Familie in den Genuss grundrechtlichen Schutzes nur dann gelangt, wenn sie aus der Ehe hervorgegangen ist, bestimmen die Verfassungen Irlands (Art.A41 Abs.A3) und Italiens (Art.A29 S.A1). • Alle anderen Verfassungen verzichten auf eine Festlegung in dieser Frage. • Deshalb antwortet dies auch die Charta u. die EMRK NICHT! Verhältnis von Ehe und Familie ? • Mütter und Kinder haben, unabhängig vom Bestehen einer Ehe und von familienrechtlichen Beziehungen, das Recht auf angemessenen sozialen und wirtschaftlichen Schutz (Teil I Nr. 17, Teil II Art. 17 EurSCh). Nichteheliche Kinder Art. 6 (5) GG: Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern. • Art. 12 EMRK : auch die Beziehung zwischen einem unehelichen Kind und dessen Mutter und Vater konventionsrechtlichen Schutz genießt, also die „famille naturelle“ geschützt wird. “Familie” im weiten Sinne Augrund Art. 8 EMRK das Band der Verwandtschaft wird als schutzbegründend angesehen, jedenfalls wenn es zu häuslicher Gemeinschaft führt, so also z.B. die Beziehung der Großeltern zu Enkeln. Möglichkeiten und Grenzen des Verfassungswandels Stichwort: Homosexuelle Ehe Wird die Ehe durch die gleichgeschlechtliche Ehe gefährdet oder sogar gefördet? Noch eine lebhaft debattierte Streitfrage Aus Art. 6 Abs. 1 kann ein Recht auf Eingehung einer Ehe mit gleichgeschlechtlichem Partner nicht hergeleitet werden (BVerfG NJW 1993, 3058) Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind keine Ehen im Sinn des Art. 6 Abs. 1. Möglichkeiten und Grenzen des Verfassungswandels ?????????????? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Lina Papadopoulou Ass. Professorin im Verfassungsrecht [email protected] Aristotle University of Thessaloniki