Zwei klitzekleine Wunder Die Geschichte von Christine und Hassan Barrie, deren Kinder bei der Geburt kaum mehr als 500 Gramm wogen Von Daniel Cnotka (WAZ vom 02.04.2013) kann man fast als zwei Wunder bezeichnen. Zwei klitzekleine, sozusagen. Als Christine Barrie nach der Geburt zum ersten Mal ihr Kind sehen durfte, musste sie dafür auf die Intensivstation der Wedau-Kliniken gehen. Im Brutkasten lag ihre Tochter Celin. „Als ich sie sah, wusste ich, dass sie durchkommt. Sie sah unglaublich stark aus. Zudem ist das Team in der Klinik absolut fantastisch “, sagt die Friemersheimerin heute. Damals wusste die 36Jährige noch nicht, dass es in Sachen Frühchen noch dramatischer geht, doch der Reihe nach. Als Celin geboren wurde, war sie kaum schwerer als zwei Päckchen Butter, wog 620 Gramm. Zum Vergleich: Viele Kinder, die heutzutage das Licht der Welt erblicken, bringen bis zu 4000 Gramm auf die Waage, alles ab 3000 Gramm gilt als normalgewichtig. Dass sie und auch ihre Schwester Lea fünf Jahre später trotz vieler Strapazen und vielen Bangens quietschfidel sind, „Ich bin kein ängstlicher Mensch“ Drama Nummer 1 begann für die Barries in der 24. Schwangerschaftswoche, 24 Plus zwei Tage, um genau zu sein. An diesem Tag holten Wedauer Ärzte Celin per Kaiserschnitt auf die Welt, verantwortlich für den extrem frühen Freiheitsdrang der Kleinen machten sie eine zu schwache Gebärmutter. Nach der Geburt war ich über die gesamte Zeit sehr ruhig“, blickt Christine zurück. Sie sei kein ängstlicher Typ, ihren Mann Hassan (36) habe sie gelegentlich beruhigen müssen, andere Menschen aus dem Umfeld der Familie auch. Wie gesagt, sie wusste ja, dass es Celin schafft. Der Weg eines Frühchens der Marke Celin ist oft hart, körperliche wie geistige Behinderungen drohen ob der zu früh abgekoppelten Versorgung im Mutterleib. Celin ist jetzt fünf Jahre alt, geht ab kommendem Jahr in die Schule und kann bereits heute lesen. Laut ihrer Mutter entwickelt sie sich rasend schnell, einen Unterschied zu Kindern, die ohne Brutkasten zu leben lernen durften, gibt es nicht. Sehr geholfen hat den Barries in der sehr aufregenden und anstrengenden Zeit der „Bunte Kreis Duisburg – Niederrhein und westliches Ruhrgebiet“. Der Verein unterstützt seit Juni 2002 früh geborene, behinderte, schwerstund chronisch kranke Kinder, Jugendliche und ihre Familien auf ihrem Weg vom Krankenhaus in ein gut organisiertes Leben zu Hause. Er ist Teil des Qualitätsverbundes Bunter Kreis, einer Nachsorgeeinrichtung in Deutschland. „Zwei Mal pro Woche kam jemand vorbei und half uns bei so vielen Dingen“, sagt Christine voller Dankbarkeit. Seit einigen Wochen kommen die Frauen des Bunten Kreises erneut zur Metzerstraße. Und kümmern sich zusammen mit der Familie um Lea (zehn Monate, Geburtsgewicht in der 23. Schwangerschaftswoche: 550 Gramm). „Bei ihr ist die Situation etwas anders. Als wir mit ihr nach Hause kamen, musste sie noch beatmet werden, nach drei Monaten sagte uns dann ein Arzt, dass sie über den Berg ist.“ Auch Lea entwickelt sich prächtig. Zwei Unterschiede zu einem „normalen“ Kind gibt es dann aber doch: Die kleine Lea bekommt regelmäßig Physiotherapie, um ihr Körperchen bei der Entwicklung zu unterstützen. Zudem tragen die Barries gelegentlich Mundschutz, im Dauerwinter samt Grippewelle und Co. darf sich Lea auf keinen Fall anstecken. Wie geht es weiter mit den Barries? Lea wächst und gedeiht, Celin kommt in den Kindergarten, Hassan arbeitet weiterhin täglich bis zu zehn Stunden im Wachdienst in Düsseldorf und Christine will nach einer Weile auch wieder ihren Beruf als Verkäuferin aufnehmen. Auf die Mädels passen dann die Großeltern auf, sie wohnen im selben Haus. Ein drittes Kind? „Nein, wir möchten das Schicksal nicht ein weiteres Mal herausfordern. Früh und zu früh Hohes Risiko bei Geburten vor der 25. Schwangerschaftswoche Eine Schwangerschaft dauert üblicherweise 40 Wochen (280 Tage nach der letzten Regelblutung). Von einer Frühgeburt spricht man, wenn das Kind vor Vollendung von 37 Schwan- gerschaftswochen geboren wurde oder bei der Geburt weniger als 2500 Gramm wog. Die Grenze zur Lebensfähigkeit ist laut des Berufsverbandes der Frauenärzte trotz aller zur Verfü- gung stehenden modernsten Techniken zwischen der 23. und 25. Schwangerschaftswoche erreicht. Bei Kindern die vor der 25. Woche geboren werden, besteht das Risiko von mäßigen bis schweren Behinderungen. Entscheidend ist bei der Prognose auch das Gewicht. Kinder mit weniger als 1500 Gramm Geburtsgewicht haben ein 200fach erhöhtes Risiko zu sterben, als Kinder mit einem Gewicht von über 2500 Gramm; überlebende Kinder haben ein zu zehn mal höheres Risiko, neurologische Schäden davon zu tragen. Laut Deutscher Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ist aber Frühgeburt nicht gleich Frühgeburt. Es wird wie folgt unterschieden: Geburt vor 22 Schwangerschaftswochen: Kinder, die zu dieser Zeit geboren werden, sind nicht lebensfähig. Sie werden entsprechend ihrer Würde im Sterben betreut. Geburt nach 22 bis 23 Schwangerschaftswochen und sechs Tagen: Die Überlebenschance steigt erheblich von etwa zehn auf 50 Prozent an. Andererseits leiden 20 bis 30 Prozent der überlebenden Kinder an schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Geburt nach 24 Schwangerschaftswochen und später: Die Überlebenschancen von Frühgeborenen dieses Alters erreichten Ende der 1990er Jahre in Deutschland 60 bis 80 Prozent.