Sterilisation unter Umständen auch ohne Zustimmung zulässig Ein

Werbung
Hamburg Berlin Schwerin Dresden
Ansprechpartner:
Kontakt:
Rechtsanwalt Christian Schuler
Tel.: 040.530 280
Fax: 040.530 28-150
Mail: [email protected]
Internet: www.roggelin.de
Sterilisation unter Umständen auch ohne Zustimmung zulässig
Ein Arzt kann eine Patientin auch ohne deren ausdrückliche Zustimmung sterilisieren, wenn
er während einer Kaiserschnittgeburt erkennt, dass eine erneute Schwangerschaft für die
Frau lebensbedrohlich werden könnte. Der Arzt darf in diesem Fall von einer mutmaßlichen
Einwilligung der Patientin ausgehen. Ein späterer Widerspruch der Frau ist insoweit rechtlich
unerheblich.
LG Bad Kreuznach, Urteil vom 01.02.2006, 3 O 148/03
Tatbestand:
Der Rechtsstreit resultierte aus einem ärztlichen Eingriff, den Dr. O. als damaliger Leiter der
Gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses St. M. am 14. Mai 1975 vorgenommen hat.
Dr. O. wurde von H. O., seiner Ehefrau beerbt. H. O. wurde von ihren Kindern, K. O., H.-J. O.
und der Beklagten in zwischenzeitlich geteilter Erbengemeinschaft beerbt.
Die am 05.04.1953 geborene und damals mit dem Zeugen S. verheiratete Klägerin bekam
am 14.05.1975 ihr zweites Kind. Wie auch bei der Geburt ihres ersten Kindes erfolgte die
Geburt durch Kaiserschnitt. Nach der durchgeführten Geburt nahm der Operateur, Dr. O., bei
der Operation am 14.05.1975 eine Sterilisation der Klägerin vor. Vor dem Eingriff ist eine
Aufklärung der Klägerin über die Sterilisation nicht erfolgt.
Die Klägerin trägt vor: Die Geburt ihres zweiten Kindes sei reibungslos verlaufen.
Aufgrund der von Dr. O. vorgenommenen Sterilisation habe sie keine Kinder mehr
bekommen können.
Sofern Dr. O. eine Sterilisation für medizinisch indiziert erachtet hätte, hätte er nach einer
entsprechenden Aufklärung ihr Einvernehmen herbeiführen können und die Sterilisation zu
einem späteren Zeitpunkt vornehmen können. Dass sei auch 1975 ohne Risiko möglich
gewesen. Insbesondere angesichts der Schwere des Eingriffes sei dies auch geboten
gewesen.
Darüber hinaus hätte Dr. O. eine Entscheidung ihres im Krankenhaus anwesenden
damaligen Ehemannes herbeiführen können.
Ihre Ehe mit Herrn S. sei im Jahre 1989 geschieden worden. Als sie 1993 ihren jetzigen
Ehemann, Herrn Y., kennen gelernt habe, sei sehr schnell der Wunsch nach einem
gemeinsamen Kind entstanden, so dass sie ab Anfang 1994 keine Verhütungsmittel mehr
genommen habe. Der Kinderwunsch habe sich über die Jahre hinweg nicht erfüllen lassen,
so dass sie und ihr Ehemann sich im Jahre 2001 hätten untersuchen lassen. Erst zu diesem
Zeitpunkt habe sie Kenntnis von der durchgeführten Sterilisation erlangt, auch nach der
Operation sei ihr dies von Dr. O. nicht mitgeteilt worden. Für die nicht medizinisch indizierte
und ohne Einwilligung erfolgte Sterilisation sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,-EUR angemessen.
Die nicht eintretende Schwangerschaft habe ihre Ehe belastet und dazu geführt, dass sie
und ihr Ehemann sich für etwa 1 Jahr getrennt hätten. Sie habe unter Depressionen und
Gewichtsverlust gelitten und deswegen auch stationär behandelt werden müssen.
Von 1975 bis Ende 1993 habe sie unnötigerweise Verhütungsmittel eingenommen, wofür
Kosten von 4.097,-- DM (= 2.095,76 EUR) angefallen seien.
Durch die Einnahme der Verhütungsmittel habe sie etwa einmal monatlich unter
Kopfschmerzen für die Dauer von einer Woche gelitten. Die Migräne sei mit einer
Bluthochdruckproblematik und Kollapszuständen auch am Arbeitsplatz einhergegangen. Für
diese Nebenwirkungen sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,-- EUR angemessen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.094,76 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des
Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen und dieses mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Die Geburt des zweiten Kindes der Klägerin sei nicht reibungslos verlaufen,
was sich bereits daraus ergebe, dass bereits das erste Kind der Klägerin durch Kaiserschnitt
habe entbunden werden müssen.
Der intraoperative Befund habe sich für den Operateur als Katastrophal dargestellt. Daraus
habe sich die Überzeugung des Operateurs, Dr. O., ergeben, dass eine dritte
Schwangerschaft mit der dann wieder notwendigen Kaiserschnittsentbindung aus
medizinischen Gründen habe unbedingt verhindert werden müssen.
Die Notwendigkeit einer Sterilisation hätte Dr. O. mit der Klägerin auch besprochen, wenn für
ihn eine Operationserweiterung auf eine Sterilisation abzusehen gewesen wäre.
Da sich das Aufklärungsbedürfnis für die Sterilisation erst intraoperativ herausgestellt habe,
habe Dr. O. davon ausgehen dürfen, dass in Kenntnis aller Umstände, die intraoperativ zu
Tage getreten seien, die Klägerin in die Sterilisation eingewilligt haben würde.
Die Sterilisation sei medizinisch indiziert gewesen.
Eine erneute Schwangerschaft wäre für Mutter und Kind lebensbedrohlich gewesen; es sei
beispielsweise mit der Gefahr einer Uterusruptur und derjenigen einer Bauchfellruptur mit
Verletzung der vom Bauchfell abgedeckten inneren Organe zu rechnen gewesen. Vom
Wissensstand im Jahre 1975 ausgehend, sei nicht sicher gewesen, dass die mit einer
erneuten Schwangerschaft verbunde-nen Gefahren beherrschbar sein würden.
Die Tubensterilisation im Wege der Laparoskopie sei 1975 noch nicht allgemein bekannter
und angewandter fachärztlicher Standard gewesen. Dr. O. habe deshalb davon ausgehen
dürfen, dass eine nachträgliche Sterilisation eine erneute Eröffnung der Bauchhöhle
voraussetzen würde. Ein solcher Eingriff sei mit größerer Gefahr verbunden gewesen. Die
Sterilisation sei deshalb durch eine mutmaßliche Einwilligung der Klägerin oder jedenfalls
durch eine hypothetische Einwilligung der Klägerin gerechtfertigt gewesen.
Dr. O. habe die Klägerin postoperativ über die durchgeführte Sterilisation informiert.
Ansprüche der Klägerin seien verjährt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme insoweit wird auf das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 30.06.2005 verwiesen. Das Gericht hat ferner den
Zeugen S. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme insoweit wird auf die
Niederschrift
der
Sitzung
vom
11.01.2006
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die rechtlichen Beziehungen der Parteien richten sich nach den für schädigende Ereignisse
vor dem 31. Juli 2002 geltenden Vorschriften (Artikel 229, § 8 Abs. 1 EGBGB).
Ansprüche gegen die Beklagte stehen der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
zu. Ansprüche gegen Dr. O., die die Klägerin gemäß §§ 1922, 1967 BGB gegen dessen
Erben, unter anderem die Beklagte richten könnte, ergeben sich insbesondere nicht aus §§
823 Abs. 1, 847 BGB.
Die, wie in jedem ärztlichen Eingriff auch in der von Dr. O. an der Beklagten vorgenommene
Sterilisation liegende tatbestandsmäßige Körperverletzung ist im vorliegenden Fall
gerechtfertigt. Die Rechtfertigung ergibt sich hier aus einer mutmaßlichen Einwilligung der
Beklagten in den von Dr. O. vorgenommenen Eingriff. Die mutmaßliche Einwilligung eines
Patienten in einen operativen Eingriff liegt dann vor, wenn angenommen werden kann, dass
ein verständiger Patient, bezogen auf die Lage des konkreten Patienten, dem Eingriff
zugestimmt hätte. Dabei kommt es in erster Linie auf die persönlichen Umstände, die
individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen des Patienten an.
Soweit keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient sich anders entschieden hätte,
ist allerdings davon auszugehen, dass er - mutmaßlich - in die ärztliche Maßnahme
eingewilligt hätte, die gemeinhin als normal und vernünftig angesehen wird.
Bei der im vorliegenden Fall gegebenen Situation, bei dem dem Operateur persönliche
Umstände aus dem Leben der Klägerin nicht bekannt waren, sind dem schwerwiegenden
Eingriff in die Persönlichkeitsphäre der Klägerin, der durch eine Sterilisation bei einer 22jährigen Frau begründet wird, diejenigen objektiven Kriterien gegenüberzustellen, die
Anhaltspunkte für eine mutmaßliche Einwilligung der Klägerin in die hier vorgenommene
Operationserweiterung und damit in die Sterilisation bieten können.
Es bestehen ausreichende objektive Kriterien, die für den Operateur, Dr. O., in der Situation
der Kaiserschnittoperation am 14.05.1975 den Schluss zuließen, dass die Klägerin in die
Sterilisation einwilligen würde.
Ernsthafte und eindeutige Äußerungen der Klägerin, eine Sterilisation betreffend, lagen zum
Zeitpunkt, als sich für Dr. O. die Frage der Operationserweiterung stellte, nämlich zum
Zeitpunkt der Kaiserschnittsentbindung, nicht vor. Eine Orientierung am objektivierten
Interesse der Klägerin anhand einer Nutzen-/Risiko-Abwägung auf der Basis der
Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt des Eingriffs (1975) führt im
vorliegenden Fall dazu, dass die von Dr. O. vorgenommene Sterilisation durch die
mutmaßliche Einwilligung der Klägerin gerechtfertigt war.
Das ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 30.06.2005.
Danach war die von Dr. O. durchgeführte Sterilisationsoperation medizinisch indiziert, wie
sich aus dem intraoperativ vorgefundenen Situs und dem in dem Operationsbericht vom
14.05.1975 festgehaltenen Schwierigkeiten, einen adäquaten und sicheren Verschluss
sowohl der Gebärmutter, als auch der Bauchdecke zu gewährleisten, ergibt. Der
Sachverständige hat diese Komplikation, die sich aus dem Operationsbericht vom
14.05.1975 ergibt, dessen Inhalt zwischen den Parteien nicht im Streit ist, anschaulich
dargestellt und überzeugend erläutert:
Danach sind, wie bei der Kaiserschnittsentbindung üblich, bei der Klägerin sowohl der
Bauchraum als auch die Gebärmutter eröffnet worden. Hierzu wurde die den gesamten
Bauchraum auskleidende Schicht, das parietale Peritoneum (Bauchfell) eröffnet. Ferner
musste die die gesamte Gebärmutter überziehende Schicht, das viszerale Peritoneum,
inzidiert (eingeschnitten) werden, ehe die Eröffnung der Gebärmutter und die Entwicklung
des Kindes erfolgen konnte. Bereits bei der Eröffnung der Bauchhöhle fand der Operateur
breite Adhäsionen an der vorderen Bauchwand. Das untere Drittel des Uterus war an der
Bauchwand adhärent (angewachsen).
Während die Entwicklung des Kindes komplikationslos gelang, stellten sich bei dem
Verschluss der Gebärmutter und der Bauchhöhle Komplikationen ein. Beim Verschluss der
Gebärmutter konnten nicht alle Schichten wiederhergestellt werden, das viszerale
Peritoneum konnte aufgrund des durch Adhäsionen verbrauchten Blasenperitoneums nicht
geschlossen werden.
Auch das parietale Peritoneum konnte nur dadurch verschlossen werden, dass das laterale
(seitliche) Peritoneum zur Mitte herübergezogen wurde und auf dem Uterus fixiert wurde.
Wie der Sachverständige Prof. Dr. K. weiter ausführt, ist der Verschluss des viszeralen
Peritoneums anzustreben, da ansonsten bei einer möglichen Infektion der Gebärmutter die
Infektion auf den gesamten Bauchraum übergreifen kann. Auf jeden Fall zu verschließen ist
das parietale Peritoneum, da ohne den Verschluss dieser Schicht schwere
Wundheilungsstörungen die Folge sind.
Die medizinische Indikation der vorgenommenen Tubensterilisation ergibt sich daraus, dass,
wie der Sachverständige Prof. Dr. K. weiter dargelegt hat, bei einer erneuten
Schwangerschaft der Klägerin zwar nicht die Schwangerschaft als solche mit einem
lebensbedrohlichen Risiko für die Klägerin verbunden gewesen wäre, jedoch die
Geburtssituation als Risikosituation angesehen werden musste, die aus der Sicht des
damaligen Operateurs und vom maßgeblichen Stand der medizinischen Kunst im Jahre
1975 nicht beherrschbar war.
Zum einen bestand das Risiko der Ruptur der Gebärmutternaht. Darüber hinaus und
besonders schwerwiegend war nach den Ausführungen des Sachverständigen jedoch das
Gesundheits- und Todesfallrisiko von Mutter und Kind bei einer geburtshilflichen
Notfallsituation zu bewerten. In einer derartigen Situation wäre das Risiko bei einer dann
erforderlich erneuten Baucheröffnung nicht abzuschätzen gewesen. Die bei der
Kaiserschnittoperation am 14.05.1975 erforderlich gewordenen Modifikationen des
Bauchverschlusses - Herüberziehen des seitlichen Peritoneums zur Mitte, Verwendung der
Gebärmutter zum sicheren Verschluss des parietalen Peritoneums - rechtfertigen den
Schluss, dass eine erneute Baucheröffnung erhebliches operatives Können vorausgesetzt
hätte, was, jedenfalls nach dem Stand der medizinischen Kunst im Jahre 1975, die damit
verbundenen Komplikationen nicht sicher beherrschbar gemacht hätte.
Als mögliche Komplikationen einer erneuten Baucheröffnung wären zum einen Verletzungen
der inneren Organe, insbesondere des Darmes, der Blase und der Harnleiter nicht
auszuschließen gewesen. Auch unter Berücksichtigung des heutigen medizinischen
Standards wäre der operative Zugangsweg mit einem erheblichen operativen Risiko
verbunden gewesen. Beim Auftreten der Verletzung innerer Organe oder erheblicher
intraoperative Blutungen wären diese im Jahre 1975, anders als heute, nicht beherrschbar
gewesen.
Für den Fall einer erneuten Schwangerschaft war auch, wie der Sachverständige ausgeführt
hat, aufgrund der bei der Klägerin bereits zum zweiten Mal aufgrund einer Nichteröffnung
des Muttermundes erfolgten Kaiserschnittentbindung mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer
erneuten Kaiserschnittentbindung zu rechnen.
Dies ließ es aus medizinischer Sicht indiziert erscheinen, eine erneute Schwangerschaft der
Klägerin, die bei der Geburt mit hoher Wahrscheinlichkeit die oben dargestellten, im Jahre
1975 nicht sicher beherrschbaren Risiken mit sich gebracht hätte, mit möglichst großer
Sicherheit auszuschließen. Eine derartige Entscheidung entsprach auch demjenigen, dem
ein vernünftiger Patient bei Kenntnis all dieser Risiken zugestimmt hätte.
Da gerade bei dem vorliegenden schwerwiegenden Eingriff dem Selbstbestimmungsrecht
der Klägerin besondere Bedeutung zukommt, musste der Operateur, Dr. O., ehe er die
Sterilisation vornahm, auch abwägen, ob nicht die Operation abzubrechen war und nach
Aufklärung der Klägerin über die mit einer weiteren Schwangerschaft und Geburt
verbundenen Risiken und einer Herbeiführung einer Entscheidung der Klägerin,
gegebenenfalls die Sterilisation zu einem späteren Zeitpunkt mit Einwilligung der Klägerin
vorgenommen werden konnte.
Dem stand im vorliegenden Fall jedoch entgegen, dass eine spätere Operation der Klägerin
zur Sterilisation ebenfalls mit erheblichen, im Jahre 1975 von einem Operateur nicht
beherrschbaren Risiken verbunden gewesen wäre. Wie der Sachverständige bei der
Beantwortung der Beweisfrage unter V. des Beweisbeschlusses vom 25. Februar 2005
ausgeführt hat, wären bei der zur Durchführung der Operation erforderlichen erneuten
Eröffnung des Bauchraumes erhebliche operative Risiken in Form von nicht sicher
ausschließbaren Verletzungen der inneren Organe (Darm, Blase, Harnleiter) vorhanden
gewesen. Ein weiteres Risiko wäre aus dem mit erheblichen Schwierigkeiten verbundenen,
aber erforderlichen Verschluss der Leibeshöhle entstanden, bei dem 1975 nicht diejenigen
Hilfsmittel, insbesondere Kunststoffnetze zur Verfügung gestanden hätten, wie dies heute
der Fall ist. Es wären also die identischen Risiken entstanden, die auch eine bei einer
erneuten Kaiserschnittentbindung erforderliche Baucheröffnung mit sich gebracht hätte.
Wenn der Sachverständige insoweit als Folgen schwerwiegende Wundheilungsstörungen
anführt, ist damit nicht das letztlich mit jeder Operation verbundene Infektionsrisiko gemeint.
Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang seines Gutachtens, insbesondere den
Ausführungen des Sachverständigen auf Seite 6 des Gutachtens ergibt, muss bei einer
Bauchraumeröffnung das parietale Peritoneum auf jeden Fall verschlossen werden. Gelingt
dies nicht, sind schwere Wundheilungsstörungen die Folge, die sich nicht nur in Infektionen
äußern. Vielmehr würde der intraabdominale Druck und der intraabdominal gelegene Darm
ohne den sicheren Verschluss des parietalen Peritoneums eine Heilung der
Operationswunde verhindern. Als Folge würde ein Aufplatzen der Operationswunde oder ein
Heraustreten von Darmschlingen durch die nicht heilende Bauchschicht im Sinne eines
Platzbauches auftreten.
Da bereits bei der am 14.05.1975 vorgenommenen Baucheröffnung der Verschluss des
parietalen Peritoneums nur unter Schwierigkeiten möglich war, konnte Dr. O. jedenfalls nicht
davon ausgehen, dass dies bei einer dritten Baucheröffnung noch einmal gelingen würde.
Eine spätere Sterilisation im Wege einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) war 1975 nach
einem Zustand nach zwei offenen chirurgischen Eingriffen nicht allgemein bekannter und
fachärztlicher Standard. Wie der Sachverständige Prof. Dr. K. ausgeführt hat, gab es für
diese Operation 1975 weder Operationstechniken noch Instrumente. Hinzu kommt, dass auch heute - eine erhöhte Verletzungsgefahr für innere Organe bei der Bauspiegelung
besteht, die den operativen Ansatz erschwert oder gar unmöglich macht. Gegen die
überzeugenden, in sich stimmigen und anschaulich und nachvollziehbar begründeten
Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. haben die Parteien Einwendungen nicht
erhoben. Solche sind auch nicht ersichtlich.
Eine weitere Möglichkeit, den Willen der Klägerin zu ermitteln, stand Dr. O. nicht zur
Verfügung. Insbesondere konnte er nicht den damaligen Ehemann der Klägerin, den Zeugen
S., über die Einstellung der Klägerin zu einer Sterilisation befragen. Unabhängig davon, ob
es von einem medizinischen Standpunkt aus betrachtet, überhaupt möglich war, die
Operation zu unterbrechen, um den Ehemann der Klägerin zu befragen, hat die
durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, dass dem Operateur nicht bekannt war, dass der
Ehemann der Klägerin im Krankenhaus war. Dieser ist vom Krankenhaus angerufen worden,
als sich die Klägerin bereits im Krankenhaus befand. Er hat die Klägerin erst nach der
Operation mit dem Neugeborenen gesehen. Auch einen Arzt hat er nicht gesehen.
Ebensowenig ist dem Zeugen S. noch vor dem Operationssaal der Kontakt zu der Klägerin
ermöglicht worden. Für den operierenden Arzt Dr. O. ergaben sich keine Hinweise darauf,
dass ihm möglicherweise noch eine weitere Erkenntnismöglichkeit zur Verfügung stand. Ein
Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus einer fehlerhaft unterlassenen
postoperativen Aufklärung über die vorgenommene Sterilisation und der von der Klägerin
vorgetragenen bis 1993 fortdauernden Einnahme von Verhütungsmitteln. Eine derartige
Verletzung postoperativer Aufklärungspflichten wäre für den geltend gemachten Schaden
nicht kausal geworden. Bei einer ordnungsgemäßen postoperativen Aufklärung hätte von Dr.
O. auch darüber aufgeklärt werden müssen, dass bei einer Sterilisation im Wege der
Tubenligatur eine statistisch erfassbare Quote bestand, bei der der Eingriff nicht zur
Sterilisation führt und dass, um eine Schwangerschaft sicher zu vermeiden, auch weiter
Verhütungsmittel hätten verwendet werden müssen (vgl. BGH, NJW 1981, 2002, 2003 f.). Da
insoweit eine Vermutung dafür streitet, die die Klägerin auch nach dem Hinweis des Gerichts
in der Ladungsverfügung vom 09.11.2005 nicht erschüttert hat, dass die Klägerin sich
entsprechend den bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu erteilenden Hinweisen verhalten
hätte, wäre es auch bei einer erfolgten postoperativen Aufklärung zur weiteren Einnahme
von Verhütungsmitteln gekommen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Herunterladen