Wie ist mit dem Bedarf an innovativen Therapien für an Krebs

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Wie ist mit dem Bedarf an innovativen Therapien für an Krebs erkrankte Kinder in
Europa umzugehen?
Internationales DIRECT–Symposium in Wien im Mai 2008
G Vassal, Institut Gustave Roussy, Villejuif, Frankreich
Jedes Jahr wird bei 15.000 Kindern Krebs diagnostiziert. Krebserkrankungen bei Kindern
sind selten (mit einem Auftreten von weniger als 1 von 2000) und macht im Jahr ungefähr
1% der 1,9 Millionen neuen Krebsfälle in Europa aus.
Während der letzten 50 Jahre haben sich die Therapieergebnisse dank den klinischen
Studien, die von pädiatrisch-onkologischen Netzwerken ohne die Unterstützung der
Pharmaindustrie durchgeführt wurden, erheblich verbessert. Die Heilungsrate insgesamt
beträgt zurzeit 75%. Dennoch bleibt Krebs die Haupttodesursache bei Kindern im Alter von
über einem Jahr.
Die zwei Hauptziele der nächsten Jahrzehnte werden darin bestehen:
-
die Heilungsrate bei an Krebs erkrankten Kindern anhand von sicheren und
wirksamen innovativen Therapien weiter zu erhöhen
-
die Heilungsqualität der Langzeitüberlebenden zu verbessern.
Die rasant angestiegenen Erkenntnisse über die Krebsbiologie haben zur Entwicklung
innovativer Medikamente mit neuen Wirkmechanismen geführt, die sich bei rezidivierendem
Krebs bei Erwachsenen im Vergleich zur konventionellen Chemotherapie bereits als wirksam
erwiesen haben. Sie öffnen Wege für die Verbesserung der Krebstherapie und geben
Patienten neue Hoffnung. Kinder müssen einen schnellen Zugang zu diesen innovativen
Medikamenten erhalten, die aller Voraussicht nach auch bei pädiatrischem
Krebserkrankungen wirken.
Die neue europäische Verordnung (26. Januar 2007) trägt wesentlich zur Entwicklung
sicherer und wirksamer pädiatrischer Arzneimittel bei. Durch gesetzliche Verpflichtungen und
Anreize für die Pharmaindustrie hat sich die Landschaft der neuen Arzneimittelentwicklungen
für Kinder bereits enorm verändert. In Europa wird der Zugang zu diesen neuen
Medikamenten in naher Zukunft noch einfacher sein.
Während des internationalen DIRECT-Symposiums in Wien (Mai 2008) wurden Engpässe
und Fallgruben bei der Entwicklung von pädiatrischen Antikrebsmedikamenten ermittelt und
Vorschläge zur Lösung dieser Probleme unterbreitet.
ENGPÄSSE UND FALLGRUBEN
•
Auch wenn die EU-Verordnung über pädiatrische Arzneimittel in Kraft getreten
ist, ist der Zugang zu neuen Antikrebsmedikamenten für Kinder in Europa
weiterhin beschränkt .
In Europa befinden sich zurzeit nicht genügend Antikrebsmedikamente in der pädiatrischen
Entwicklung, ganz im Gegensatz zu den USA, wo ein Programm des nationalen
Krebsinstituts (NCI) bereits seit Jahren einen leichten Zugang zu den Pipelines der
Pharmabranche gewährt.
Es gibt mehr als 400 europäische klinische Zentren in 27 Mitgliedstaaten, die krebskranke
Kinder behandeln. Frühe Medikamentenstudien (Phase I und frühe Phase II) können nur an
einer begrenzten Anzahl an qualifizierten Zentren durchgeführt werden. Die Überweisung
von Patienten an ein anderes Zentrum, um dort eine spezielle Behandlung zu erhalten, ist
noch nicht in allen Mitgliedstaaten gängige Praxis.
•
Es sind sehr viel mehr Medikamente in den Pipelines vorhanden als es uns
möglich ist, diese an Kindern zu erforschen.
Es gibt mehr als 400 Antikrebspräparate für Erwachsene, die sich jedes Jahr in der
klinischen Entwicklung befinden. Die Herausforderung besteht darin, die besten
auszuwählen und sie als Standardversorgung für an Krebs erkrankte Kinder in einer
zeitgerechten Art und Weise einzuführen.
Die potenziell besten Arzneimittel müssen prioritisiert und ihre klinische Entwicklung über
Netzwerke qualifizierter Zentren und innovativer Designs beschleunigt werden
(Studiendauer, Zeit für den administrativen Prozess,…), um so die Anzahl an Patienten zu
reduzieren, die für die frühen Entwicklungsphasen erforderlich sind.
•
Die EMEA-Standards für die Zulassung von bei Menschen eingesetzten
Arzneimitteln sind nicht in vollem Umfang auf Kinder, die an einer
lebensbedrohlichen Krankheit leiden, abgestimmt
Phase II- oder Phase III-Studien versus beste unterstützende Versorgung bei einem Rezidiv
sind weder durchführbar noch akzeptabel/ethisch vertretbar.
5 bis 7 Jahre sind für die Durchführung einer Phase-III-Studie bei den „häufigsten“
bösartigen pädiatrischen Tumoren erforderlich. Noch schwieriger oder gar unmöglich stellt
sich diese Abwicklung bei selteneren Krebsformen dar. Die Durchführung einer solchen
Phase-III-Studie für jedes vielversprechende Medikament ist nicht umsetzbar.
•
Das Europäische pädiatrisch-onkologische Netzwerk
wurde von
Patientengruppen gegründet und wird von diesen gut organisiert. Es ist jedoch
noch sehr aufgesplittert und fragil, weil die notwendige finanzielle
Unterstützung fehlt
•
Das Netzwerk muss unbedingt gestärkt werden. Ein europäisches Netzwerk namens
ITCC (innovative Therapien für an Krebs erkrankte Kinder) wurde vor 5 Jahren
gegründet, um Medikamentenentwicklungen in der frühen Phase durchzuführen. Es
ist notwendig, die Verbindung und Zusammenarbeit mit den verschiedenen
Tumorgruppen zu erhöhen, um die Entwicklung der pädiatrischen Prüfpläne zu
erleichtern, wie dies von der europäischen Verordnung vorgeschrieben wird.
•
Es besteht das Risiko, dass die klinische Forschung in der pädiatrischen
Onkologie von Medikamenten (d.h. der Pharmaindustrie) anstatt von den
Krankheiten angetrieben wird.
Laut Verordnung müssen Pharmaunternehmen am Ende der Phase I bei Erwachsenen für
jedes Medikament, das sie entwickeln, einen pädiatrischen Prüfplan vorlegen. Sie können
sich davon befreien lassen, wenn kein pädiatrischer Bedarf für das Medikament besteht.
Nach der Zulassung durch die EMEA müssen sie einen pädiatrischen Plan für den Zweck
einer Indikationsstellung bei Kindern erstellen. Der Beginn und die Durchführung klinischer
Studien können verschoben werden, wenn zum Beispiel zusätzliche Sicherheitsdaten für
Erwachsene vor Beginn der pädiatrischen Entwicklung benötigt werden.
Zunächst müssen die Bedürfnisse der Patienten und nicht die der Medikamente definiert und
berücksichtigt werden, um den Zugriff auf Fachkompetenzen zu erhalten und die
Zusammenarbeit („Partnerschaft“) zwischen Wissenschaftlern, Pharmaunternehmen, EMEA
und Eltern/Patienten zu etablieren.
•
Die europäische Bevölkerung ist unzureichend informiert über die
Notwendigkeit der pädiatrischen klinischen Forschung und der Bewertung von
Medikamenten.
Die Diskussionen und Debatten, die in Europa aufgrund der Verordnung über pädiatrische
Arzneimittel sowie der Richtlinie über klinische Studien geführt werden, betonen die
Notwendigkeit, die europäische Bevölkerung besser über die pädiatrische Forschung zu
informieren. Eine umfassendere Aufklärung sollte den Menschen verdeutlichen, dass die
Forschung an Kindern und damit auch die Bewertung von Medikamenten unerlässlich ist und
unter ethischen Gesichtspunkten durchgeführt wird.
Zurzeit sind im Internet unzählige Informationen über Medizin und Forschung, darunter viele
falsche Informationen, leicht zugänglich. Daher ist es ungemein wichtig, dass
Gesundheitsbehörden zusammen mit Medizinern, der Pharmaindustrie und sämtlichen
Interessengruppen die europäische Bevölkerung über die pädiatrische Forschung aufklären.
Darüber hinaus gibt es kulturelle und ethische Unterschiede zwischen den verschiedenen
Mitgliedstaaten, die berücksichtigt werden müssen, um den Zugang zu neuen Medikamenten
für jedes Kind, das sie benötigt, zu erleichtern.
•
Es ist unwahrscheinlich, dass sämtliche Kosten für die ordnungsgemäße
Entwicklung und Bewertung innovativer Medikamente für an Krebs erkrankte
Kinder allein von den Pharmaunternehmen getragen werden.
Die Entwicklung innovativer Therapien muss sich auf ein besseres Verständnis der
Tumorbiologie und den Wechselwirkungen zwischen Tumor und Host stützen. Da die
Biologie ebenso wichtig wie die Medikamente selbst ist, müssen translationale Studien, die
Entwicklung von Präparaten, die Infrastruktur für die klinische Forschung und das Netzwerk
klinischer Zentren unterstützt und finanziert werden.
VORSCHLÄGE
•
Wahrung/Stärkung
der
Bedürfnisse
von
Kindern
als
Hauptziel
der
Arzneimittelentwicklung mithilfe einer europäischen Strategie zur Entwicklung
innovativer Medikamente für an Krebs erkrankte Kinder auf der Basis biologischer
und medizinischer Anforderungen
•
Stärkung des europäischen pädiatrisch-onkologischen Netzwerks, um die Kenntnisse
über die pädiatrische Tumorbiologie und die Wechselwirkungen zwischen Tumor und
Host zu vertiefen und hochqualitative pädiatrische Prüfpläne zu erstellen, die zeitnah
auf Tumorforschungsprogramme abgestimmt werden, sowie sichere und wirksame
Medikamente für die Standardversorgung aller Patienten einzuführen
•
Aufbau von Partnerschaften/der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Eltern/Patientenorganisationen, Pharmaunternehmen und Aufsichtsbehörden
Prioritisierung, d.h. die Wahl des an Kindern zu untersuchenden Präparats stellt das
Hauptziel dar. Diese sollte auf den Bedürfnissen der Kinder und den Kenntnissen über die
Krankheiten wie folgt beruhen:
•
Für jede Krankheit gilt es, eine Strategie zur Bewertung des neuen Medikaments zu
definieren unter Berücksichtigung der
•
•
•
–
Biologie der Krankheit (bekannt und unbekannt)
–
aktuellen Behandlungsstandards
–
Zeit und Prüfpläne laufender therapeutischer Studien
Durchführung einer Biologie-basierten Arzneimittelentwicklung
–
die wesentlichen Angriffsziele/Pfade bösartiger Leukämien und Tumoren im
Kindes- und Jugendalter ermitteln
–
Machbarkeitsstudien für vorklinische therapeutische Experimente durchführen
–
eine Grundlage für eine positive/negative Entscheidung am Ende der Phase I
bei Erwachsenen schaffen
Kenntnisse
der
pädiatrischen
Arzneimittelentwicklung umsetzen
Tumorbiologie
vertiefen
und
in
der
–
Aktuelle
Lücken
in
laufenden
von
der
EU
finanzierten
Biologieforschungsprojekten in Bezug auf die untersuchten Tumore schließen
–
Biobanken und relevante Tumormodelle entwickeln und den Zugriff auf hoch
technologisierte Plattformen ermöglichen, die zurzeit und in der nahen Zukunft
zur Verfügung stehen
–
Hochqualitative Forschungsprojekte (wie z.B. STREP) durchführen und
finanzieren, die erstklassige Forschungslabore zusammenbringen und die
Forschung beschleunigen
Eine EU-Plattform für die vorklinische Bewertung von Präparaten entwickeln, um
Daten zu Präparaten zu erfassen und Gründe für die Prioritisierung bereitzustellen.
Die Stärkung des bestehenden EU-Netzwerks für die klinische Forschung in der
pädiatrischen Onkologie ist besonders wichtig, um zu gewährleisten, dass die
Arzneimittelentwicklung zeitnah und gemäß der guten klinischen Praxis, den ethischen
Standards und den medizinischen Anforderungen durchgeführt wird. Dies erfordert:
•
die Finanzierung der Infrastruktur für die klinische Entwicklung
•
die verbesserte und vereinfachte Implementierung von Wissenschaftler-SponsorStudien, da ein Großteil der klinischen Studien von wissenschaftlichen Instituten und
pädiatrisch-onkologischen Netzwerken durchgeführt wird
•
laufende Bemühungen für die Einrichtung von Kollaborations- und gemeinsamen
Entwicklungsprogrammen zwischen der ITCC, dem europäischen Konsortium für die
frühe
Medikamentenentwicklung
und
den
verschiedenen
europäischen
Tumorkommissionen fortsetzen
•
medizinisches Fachpersonal (Ärzte, Pfleger,…), das an den pädiatrischen
Onkologiestudien beteiligt ist, zu dieser neuen Art und Weise, klinische Studien
durchzuführen, schulen.
Finanzierung von Forschung & Entwicklung als Anliegen der öffentlichen Gesundheit.
Auch wenn die europäische Verordnung über pädiatrische Arzneimittel das Engagement von
Pharmaunternehmen für die pädiatrische Arzneimittelentwicklung durch Anreize und
Verpflichtungen deutlich fördern wird, ist es unwahrscheinlich, dass sämtliche Kosten für die
Grundlagenwissenschaft bis zur klinischen Forschung einzig von der Privatindustrie getragen
werden.
Die Einführung innovativer Therapien in der Standardversorgung bei an Krebs erkrankten
Kindern muss als Priorität der nächsten 15 Jahre angesehen werden, um die Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen in Europa zu verbessern. Daher sollten diese Therapien auch
von Europa, den Mitgliedstaaten und gemeinnützigen Organisationen finanziert werden.
FAZIT
Die pädiatrische Onkologie ist bereit, die europäische Initiative für pädiatrische Medikamente
erfolgreich umzusetzen, vorausgesetzt dass:
•
die Einführung innovativer Therapien in der Standardversorgung von an Krebs
erkrankten Kindern zu einem Anliegen der öffentlichen Gesundheit wird, Priorität für
Europa und die Mitgliedstaaten besitzt und dementsprechend finanziert wird;
•
Bemühungen in der pädiatrischen Tumorbiologie und in vorklinischen
Medikamentenstudien weiter zunehmen und besser auf EU-Ebene integriert werden,
um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Forschung zu verbessern und für die
Arzneimittelentwicklung attraktiver zu sein;
•
das klinische Forschungsnetzwerk
zusammengeführt wird;
•
starke Partnerschaften zwischen Wissenschaftlern, Eltern-/Patientenorganisationen,
Pharmaunternehmen und Aufsichtsbehörden aufgebaut werden.
pädiatrischer
Onkologen
gestärkt
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