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Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium
Prof. Dr. Roland Rixecker
Fallbesprechung 4: „Strahlende Transporte“
Verfassungsrecht, Verfassungsprozessrecht (049/SS07)
Sachverhalt
Politische Auseinandersetzungen um die friedliche Nutzung der Kernenergie und den
Schutz gegen ihre Gefahren veranlassen die Bundesregierung, ein Gesetz zur Änderung
des Atomgesetzes einzubringen (AtG-ÄG), durch das dem Bundesministerium für Umwelt
nachgeordneten Bundesamt für Strahlenschutz neue Aufgaben zugewiesen werden
sollen.
§ 23 Abs. 1 des Atomgesetzes („Das Bundesamt für Strahlenschutz ist zuständig für...“)
soll um folgende Ziffern ergänzt werden:
03a. die Erteilung der Genehmigung nach § 8 der Strahlenschutzverordnung(StrlSchV),
12. die Ausübung des Weisungsrechts des Bundes auf dem Gebiet des Strahlenschutzes.
In § 24 Abs. 2 AtG („Für Genehmigungen nach... sind zuständig...“) soll folgender Satz 2
eingefügt werden:
Vor der Erteilung der Genehmigung nach § 23 Abs. 1 Nr.03a. ist eines Stellungnahme des
Bundespolizeiamtes einzuholen; die Gemeinden, durch deren Gebiet Beförderungen
geführt werden, haben den Einwohnerinnen und Einwohnern die von dem Bundesamt für
Strahlenschutz zur Verfügung gestellten Informationsblätter über die Sicherheitslage zur
Verfügung zu stellen.
In § 54 Abs. 1 Satz 1 („Rechtsverordnungen aufgrund... erlässt die Bundesregierung“)
sollen hinter dem Wort Bundesregierung eingefügt werden:
„mit Zustimmung des Umweltausschusses des Bundestages.“
§ 8 StrlSchV lautet soweit hier von Interesse:
Die Beförderung sonstiger radioaktiver Stoffe ... auf öffentlichen oder der Öffentlichkeit
zugänglichen Verkehrswegen bedarf der Genehmigung.
Der Bundesrat beschließt am 1.9. eine Stellungnahme zu dem AtG-ÄG und äußert
verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz. Das Gesetz sei entgegen der
Auffassung der Bundesregierung zustimmungsbedürftig, da § 24 Abs. 2 S. 2 des Entwurfs
eine Regelung des Verwaltungsverfahrens einer Landesbehörde enthalte. Die
Inanspruchnahme der Gemeinden sei unzulässig. Die Übertragung des Weisungsrechts
sei nicht zulässig. Die in § 23 Abs. 1 Nr. 7 des Entwurfs genannte Zuständigkeit habe
bisher gemäß § 24 Abs. 1 AtG den Ländern zugestanden. Die Übertragung dieser
Aufgabe sei daher ebenfalls unzulässig. Die Veränderung der Verordnungsermächtigung
sei gleichfalls verfassungswidrig.
Trifft die Rechtsauffassung des Bundesrates zu?
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Die Fraktion der A-Partei im Deutschen Bundestag ist der Auffassung, das AtG-ÄG sei
nicht zustimmungsbedürftig. Daher widerspreche der Beschluss des Bundesrates vom
1.9. dem Grundgesetz insoweit, als er die Zustimmungsbedürftigkeit behaupte. Nach
Beratung des AtG-ÄG in erster Lesung im Bundestag, beantragt die A-Fraktion beim
Bundesverfassungsgericht durch Schriftsatz vom 14.12.2000 festzustellen, dass die
Zustimmung des Bundesrates zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes nicht erforderlich ist und daher der
Beschluss des Bundesrates vom 1.9. insoweit gegen das Grundgesetz verstößt.
Ist der Antrag zulässig?
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Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium
Prof. Dr. Roland Rixecker
Gliederungsskizze und Bearbeitungshinweise (049/SS07), Stand 05/07
Probleme des Falles:
o Gesetzgebungsverfahren: Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen
o Bundesauftragsverwaltung
o Art. 87 GG
o Beschränkung von Verordnungsermächtigungen
o Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens
Die Aufgabe, eine leicht veränderte Originalexamensklausur, wirft für Bearbeiterinnen und
Bearbeiter typischerweise schwierige Probleme des Staatsorganisationsrechts auf. Verf.,
die sich über das Gesetzgebungsverfahren und die examensrelevanten Probleme der
Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen unterrichten wollten, finden einen
Überblick bei
Erichsen, JURA 1998, 449. Verf., die - vom Tatsächlichen her völlig
anders gelagerte - Sachverhalte zur Bundesauftragsverwaltung im Rahmen von
Fallbesprechungen nachlesen wollen, finden Beispiele bei
Bethge/Rozek, JURA 1998,
213;
Kisker, JuS 195, 717;
Schaefer, JuS 1993, 136; Kube JuS 2000, L 91
A. Teil 1 der Aufgabe
Gefragt ist nach der Rechtsauffassung des Bundesrates. Verf. müssen erkennen, dass
sie mehrere zu unterscheidende Teile hat:
-
das AtG-ÄG sei zustimmungsbedürftig (wegen der Regelung des
Verwaltungsverfahrens),
die Inanspruchnahme der Gemeinden sei unzulässig,
die Übertragung des Weisungsrechts sei unzulässig,
die Übertragung der Aufgabe nach § 23 Abs. 1 Nr. 7 (als bisheriger
Landesaufgabe) sei unzulässig,
die Veränderung der Verordnungsermächtigung durch Bindung an die Zustimmung
des Umweltausschusses des BT sei unzulässig.
I. Zustimmungsbedürftigkeit des AtGÄG
Der verfassungsrechtliche Ausgangspunkt sollte Art. 78 GG i.V.m. Art. 77 Abs. 2 a,
Abs. 3 GG sein: ein Bundesgesetz kommt - nur - mit Zustimmung des Bundesrates
zustande, wenn die „erforderliche“ Zustimmung des Bundesrates vorliegt. Ob eine
Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, richtet sich danach, ob das GG sie für
diesen Fall vorsieht. Da sich der BR auf eine Zustimmungsbedürftigkeit wegen der
Regelung des Verwaltungsverfahrens einer Landesbehörde stützt, werden Verf.
zunächst an Art. 84 Abs. 1 GG (n.F.) denken. Dabei würde indessen übersehen, dass
es sich bei dem durch das AtGÄG geänderten AtG um ein Gesetz handelt, das – zu
einem erheblichen Teil – nach Art. 85 GG zu vollziehen ist (Art. 87 c GG i.V.m. § 24
Abs. 1 AtG).
3
Die Regelung des in der Aufgabe genannten § 24 Abs. 2 S. 2 AtG-ÄG (Notwendigkeit
der Einholung einer Stellungnahme des Bundespolizeiamtes) mag eine Regelung des
Verwaltungsverfahrens sein: sie bestimmt, auf welche Art und Weise ein Gesetz
auszuführen ist. Regelungen des Verwaltungsverfahrens sind Vorschriften über die
Form der Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung einer Entscheidung,
die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden und die Durchsetzung von
Entscheidungen sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse. Art.
85 GG enthält jedoch
keine Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit von
Bundesgesetzen, die das Verwaltungsverfahren regeln. Art. 87 c GG enthält die
Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit auch nur für die Anordnung der
Bundesauftragsverwaltung als solcher. Im Bereich des Art. 85 GG führt eine Regelung
des Verwaltungsverfahrens durch Bundesgesetz folglich nicht zu dessen
Zustimmungsbedürftigkeit (str. : vgl. v.Münch/Kunig/Broß, GG, 3.Aufl. Art. 85 Rdn. 4
ff.) [Verf. müssen insoweit trennen zwischen der – vom Bundesrat nicht bezweifelten
Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Verwaltungsverfahren und der
Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes].
(Verf., die erwägen, ob das AtG-ÄG deshalb zustimmungsbedürftig ist, weil das AtG im Hinblick auf die Anordnung der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 87 c GG zustimmungsbedürftig ist, stellen sich eine vertretbare Frage. Jedoch kommt es immer
auf die Zustimmungsbedürftigkeit von Vorschriften des jeweiligen Änderungsgesetzes
an. Ist die Bundesauftragsverwaltung einmal angeordnet und wird diese Anordnung
nicht geändert, sind Vorschriften, die im Rahmen einer Änderung das
Verwaltungsverfahren regeln, nicht selbst zustimmungsbedürftig.)
[Verf. sind nicht veranlasst, sich die Frage nach weiteren
Zustimmungsbedürftigkeit zu stellen. Sollten sie das dennoch tun gilt:
Gründen
der
Die Übertragung des Weisungsrechtes des Bundes auf dem Gebiet des
Strahlenschutzes auf das Bundesamt für Strahlungsschutz führt nicht zur
Zustimmungsbedürftigkeit des AtG-ÄG: das folgt schon daraus, dass für die
Errichtung einer Bundesoberbehörde - das Bundesamt für Strahlenschutz - nur ein
Einspruchsgesetz erforderlich ist; zwischen der Errichtung einer Bundesoberbehörde
und der Zuweisung von Aufgaben besteht dabei ein untrennbarer innerer
Zusammenhang: Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG begründet daher aber auch für die
Übertragung
von
Aufgaben
keine
Zustimmungsbedürftigkeit
des
Organisationsgesetzes.]
(Verf., die argumentieren, die Übertragung der Befugnis zur Erteilung von
Genehmigungen, die bislang dem Land zugestanden haben, auf den Bund, sei eine
„Negativregelung“ des Verwaltungsverfahrens, argumentieren im Ergebnis nicht
zutreffend aber vertretbar.)
II. Unzulässigkeit der Inanspruchnahme der Gemeinden
Sie ergibt sich aus Art. 85 Abs. 1 S.2 GG (n.F.)
III. Unzulässigkeit der Aufgabenübertragung
Strahlenschutz (Weisungsrecht)
auf
das
Bundesamt
für
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(Mit § 23 Abs. 1 Nr. 7 n.F. AtG-ÄG wird die Ausübung des Weisungsrechts auf dem
Gebiet des Strahlenschutzes auf das Bundesamt für Strahlenschutz übertragen. Es ist
fraglich, ob das mit Art. 85 Abs. 3 GG vereinbar ist: danach unterstehen die
Landesbehörden den Weisungen der obersten Bundesbehörden. Verf. müssen sich
mit dem Begriff der obersten Bundesbehörde auseinandersetzen und erkennen, dass
das Bundesamt von Art. 85 Abs. 3 nicht gedeckt ist. Dann stellt sich die Frage der
Delegation. Eine Delegation von Weisungsbefugnissen setzt allerdings eine
verfassungsrechtliche Ermächtigung voraus: Art. 87 b Abs. 2 S. 2 GG zeigt dies. § 23
Abs. 1 Nr. 8 AtG-ÄG ist folglich verfassungswidrig.
IV. Unzulässigkeit der Übertragung einer Aufgabe der Länder nach § 23 Abs. 1
Nr. 7 AtGÄG
Fraglich ist insoweit, ob eine Aufgabenübertragung von den Bundesländern auf den
Bund (Bundesauftragsverwaltung auf bundeseigene Verwaltung) zulässig ist.
Einschlägig ist zunächst Art. 87 Abs. 1 GG: Für das Gebiet des Strahlenschutzes ist
dort keine Zulässigkeit der bundeseigenen Verwaltung bestimmt.
Einschlägig könnte sodann Art. 87 Abs. 3 GG sein, der nicht nur eine
Organisationsnorm, sondern auch eine Kompetenznorm (Verwaltungskompetenz)
vorsieht. Art. 87 Abs. 3 GG kommt folglich auch materielle Bedeutung zu. Die dort
erlaubte Zuweisung von Aufgaben setzt folglich voraus, dass der Charakter der
übertragenen Aufgabe sich aus dem Sinn und Zweck des Art. 87 Abs. 3 GG:
Aufgaben, die der Sache nach für das ganze Bundesgebiet von einer Oberbehörde
ohne Mittel- und Unterbau und ohne Inanspruchnahme von Verwaltungsbehörden der
Länder wahrgenommen werden können - rechtfertigt. Im Rahmen einer Subsumtion
lässt sich dies vertretbar bejahen.
V. Unzulässigkeit der Verordnungsermächtigung
§ 54 Abs. 1 Satz 1 AtG-ÄG soll die Rechtsverordnungen der Bundesregierung an eine
Zustimmung des Umweltausschusses des Bundestages binden. Fraglich ist, ob dies
nach Art. 80 GG zulässig ist.
Insoweit handelt es sich zwar nicht um einen Fall des Art. 80 Abs. 2 - Abhängigkeit
des Erlasses der Rechtsverordnung von der Zustimmung des Bundesrates - sondern
um einen Zustimmungsvorbehalt des Bundestages selbst. Verf. müssen erkennen,
dass die Ermächtigung des Gesetzesgebers zum Erlass einer Rechtsverordnung eine
„unechte Delegation“ (zuschiebend nicht abschiebend) ist. Streitig ist allerdings, ob
auch ein Parlamentsausschuss die Befugnis zur Zustimmung erhalten darf (vgl.
BVerfGE 4, 193, 203).
B. Teil 2 der Aufgabe
Verf. müssen erkennen, dass die Fraktion der A-Partei verfassungsgerichtlichen
Rechtsschutz in einem Stadium begehrt, in dem das Gesetz noch nicht endgültig
verabschiedet ist. Die Fraktion der A-Partei vertritt die Auffassung, dass die von dem
5
Bundesrat im Beschluss vom 1.9.2000
Zustimmungsbedürftigkeit nicht zutrifft.
geäußerte
Rechtsauffassung
zur
In der Sache kommt ein Organstreitverfahren in Betracht.
I. Verfahrensart
Streitig ist, ob die Stellungnahme des Bundesrates mit dem GG vereinbart ist: es geht
folglich um Kompetenzen des Bundestages auf der einen und des Bundesrates auf
der anderen Seite.
II. Parteifähigkeit
Die A-Fraktion müsste im Organstreitverfahren parteifähig sein. Das ergibt sich
daraus, dass der A-Fraktion wenigstens durch die Geschäftsordnung des BT eigene
Rechte zugewiesen sind.
III. Rechtsbeeinträchtigung
Die A-Fraktion muss geltend machen können, dass sie selbst oder der BT durch das
beanstandete Verfahren - des Bundesrates - in ihren oder ihm durch das GG
übertragenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Das setzt voraus, dass
die zur Nachprüfung stehende Maßnahme des BR „rechtserheblich“ ist und die
Kompetenz des BT (oder der ihm angehörenden Fraktion) beeinträchtigt.
In dem Stadium, in dem sich das Gesetzgebungsverfahren - nach dem Sachverhalt befindet, kann eine Beeinträchtigung von Rechten des BT aber noch gar nicht
vorliegen. Denn die von dem BR geäußerte vorläufige Ansicht zur
Zustimmungsbedürftigkeit ist keine Rechte des BT schon verletzende oder unmittelbar
gefährdende Maßnahme.
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