Pressemitteilung

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Embargo bis Montag, den 29. Mai, 23:00 WEZ
Neuer Behandlungsansatz bei Tuberkulose
Abbildung von Qingjun Ma, EMBL Hamburg
Wissenschaftler entschlüsseln Struktur eines zentralen Tuberkuloseproteins
Vereinfachte atomare Struktur des Proteins LipB, eines lebenswichtigen
Proteins für den Tuberkulose-Erreger, hier mit gebundenem Lipid-Inhibitor.
Hamburg / Berlin, 29. Mai 2006 – Die Tuberkulose ist bis heute
eine der tödlichsten Gefahren für die globale Gesundheit. Jahr für
Jahr fordert diese vom Mikroorganismus Mycobacterium tuberculosis verursachte Krankheit zwei Millionen Todesopfer. Etwa
ein Drittel der Weltbevölkerung ist infiziert, und immer mehr
Stämme des Bakteriums entwickeln eine Resistenz gegen vorhandene Medikamente. Forscher der Außenstelle des Europäischen
Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) in Hamburg und
des Max Planck Instituts für Infektionsbiologie (MPIIB) in Berlin
haben nun die Struktur eines Proteins entschlüsselt, welches das
Überleben des Bakteriums in menschlichen Zellen sichert. Das
Strukturbild des Moleküls zeigt mögliche Ansatzpunkte für neue
Antibiotika auf. Diese Forschungsergebnisse werden in der
aktuellen Online-Ausgabe der Zeitschrift Proceedings of the
National Academy of Sciences (PNAS, 103 (23)) veröffentlicht.
Gefährlich ist M. tuberculosis, weil es sich in den Immunzellen
des menschlichen Körpers versteckt hält und dort überdauert.
„Sein Überleben wird durch die Aktivität von Schlüsselmolekülen
gesichert“, erläutert der Leiter von EMBL Hamburg, Matthias
Wilmanns. „Wir untersuchen daher die Funktionen von
Tuberkuloseproteinen und bestimmen ihre atomaren Strukturen,
um mögliche Schwachstellen und neue Hemmstoffe zu finden.“
Eines der lebenswichtigen Proteine des Organismus ist LipB –
lebenswichtig, weil es Zellmaschinerien aktiviert, die
dem Bakterium als Stoffwechselmotoren dienen. Die
Forschungsabteilung von Stefan Kaufmann, Direktor am MPIIB,
hat sich auf die Biologie der Infektion mit M. tuberculosis und
dessen Überlebensstrategien in Immunzellen spezialisiert. Dabei
kamen die Forscher einer erhöhten Aktivität von LipB in akut
infizierten Zellen auf die Spur, insbesondere bei Patienten, die mit
Formen des Bakteriums infiziert waren, die bereits gegen
zahlreiche Wirkstoffe eine Resistenz entwickelt hatten.
„In diesen Zellen beobachten wir eine im Vergleich zu anderen
Zellen 70-fach erhöhte Produktion von LipB – ein deutlicher
Hinweis darauf, dass das Protein an der Pathogenese beteiligt ist“,
erklärt Kaufmann „Dadurch wird es zu einem besonders interessanten Angriffspunkt, wo traditionelle Wirkstoffe keine Wirkung
mehr zeigen.“
Ein Strukturbild des Proteins – eine Art technisches Diagramm
seines Bauplans – gab wichtige Hinweise auf seine Wirkungsmechanismen. Forscher Qingjun Ma aus Wilmanns’ Team hat
LipB gereinigt und kristallisiert. An den hochenergetischen
Synchrotronstrahlungsquellen des EMBL in Hamburg auf dem
Gelände des Deutschen Elektronensynchrotrons (DESY) stellte er
eine atomare Karte der Struktur des Proteins her: Die Funktion
des Enzyms ließ sich durch ein hoch aufgelöstes Bild des aktiven
Bereichs von LipB, gebunden an einen Lipid-Hemmer, bestimmen
(s. Abb.). In Zusammenarbeit mit der Zentralen Einrichtung
Proteomik am EMBL Heidelberg und Forschern der University of
Illinois in den USA entdeckte die Forschungsgruppe aus
Hamburg, wie LipB spezifische Fettsäuren an andere Proteine
bindet.
„LipB liefert uns einen viel versprechenden Angriffspunkt für
Medikamente“, erläutert Wilmanns, „weil es einem lebenswichtigen Signalweg angehört. Im Unterschied zu anderen Lebewesen
verfügt M. tuberculosis über keinerlei Ausweichmechanismen, die
die Rolle von LipB übernehmen könnten. Ein Inhibitor, der den
aktiven Bereich des Bakteriums blockiert, würde daher zentrale
Prozesse lahm legen, ohne die das Bakterium nicht überleben
oder sich vermehren könnte – eine sehr effektive Strategie für
einen Wirkstoff.“
Die Wissenschaftler wollen nun nach Substanzen suchen, die
diese Rolle übernehmen können. Parallel setzen sie ihre Suche
nach weiteren potenziellen Zielproteinen für Medikamente fort.
So konzentrieren sich Wilmanns und seine Kollegen an verschiedenen anderen Forschungseinrichtungen in ihrer Arbeit auf
die Strukturen von Molekülen, die M. tuberculosis im
Quelle
Q. Ma, M. Wilmanns et al. The Mycobacterium tuberculosis LipB enzyme functions as a cysteine/lysine dyad acyltransferase, PNAS
online, 29. Mai 2006
Ansprechpartner:
Anna-Lynn Wegener, EMBL Press Officer, Heidelberg, Tel: +49 6221 387 452, www.embl.org, [email protected]
Dr Sabine Englich, MPIIB Public Relations, Berlin, Tel: +49 30 28460 142, [email protected]
Ruhestadium halten und als mögliche Angriffspunkte für
Arzneimittel in Frage kommen.
In den letzten drei Jahren hat EMBL als Koordinator eines vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
geförderten „M.-tuberculosis-Strukturproteomik“-Konsortiums
hoch aufgelöste Bilder von über 30 Proteinen hergestellt. „Im
Kampf gegen zahlreiche andere Krankheiten hat sich die auf
Strukturbildern basierende Arzneimittelforschung als großer
Erfolg erwiesen. Diese Instrumente wenden wir nun auf die
Tuberkulose an, eine der verheerendsten Infektionskrankheiten
der Menschheit“, schließt Wilmanns.
Zu EMBL
Das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie ist ein Grundlagenforschungsinstitut, das sich über öffentliche Forschungsgelder
aus 19 Mitgliedstaaten finanziert (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island,
Israel, Italien, Kroatien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien). Etwa 80 unabhängige
Forschungsgruppen arbeiten am EMBL zu Themen des gesamten Spektrums der Molekularbiologie. Das Laboratorium ist in fünf
Einheiten gegliedert: das Hauptlaboratorium in Heidelberg sowie Außenstellen in Hinxton (Europäisches Bioinformatik-Institut),
Grenoble, Hamburg und Monterotondo bei Rom. Die Eckpfeiler der EMBL-Mission sind: molekularbiologische Grundlagenforschung;
Ausbildung von Wissenschaftlern, Studenten und Gastforschern aller Ebenen; Serviceleistungen für Wissenschaftler in den
Mitgliedstaaten; Entwicklung neuer Instrumente und Methoden in den Biowissenschaften sowie aktiver Technologietransfer. Das internationale Doktorandenprogramm des EMBL umfasst rund 170 Studenten. Darüber hinaus ist das Laboratorium an einem aktiven
Programm für Wissenschaft und Gesellschaft beteiligt. Besucher aus Presse und Öffentlichkeit sind willkommen. Für weitere
Informationen: www.embl.org
Zu EMBL Hamburg
EMBL Hamburg liegt auf dem Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in Hamburg-Bahrenfeld. Zu DESY gehören
weltweit führende Synchrotronspeicherringe und Elektronenlaser. EMBL Hamburg betreibt sieben Versuchsstationen mit
Anwendungen für die Strukturbiologie an dem Speicherring DORIS III. Zusätzlich unterhält die Außenstelle ein biochemisches Labor
mit Einrichtungen zur Präparierung und Charakterisierung von biologischen Proben. Darüber hinaus sind Geräte zur Fermentation bei
hoher Zelldichte, halbautomatischen Proteinreinigung und Massenspektrometrie vorhanden. Die Aufnahme des Betriebs neuer,
moderner Strahlrohre am Ring PETRA III ist für 2009-2010 geplant. Die Forschungsaktivitäten am EMBL Hamburg sind eng mit den
verfügbaren Synchrotron Versuchsstationen verbunden. Mehrere Projekte sind auf die Entwicklung neuartiger Technologien für eine
verbesserte Automatisierung und erhöhte Nutzerfreundlichkeit strukturbiologischer Methoden ausgerichtet. Mit seinem
Besucherprogramm, seinen Spezialkursen und Workshops bietet EMBL Hamburg der Fortbildung ein einzigartiges Forschungsumfeld.
Zum Max Planck Institute für Infektionsbiologie
Das Max Planck Institut für Infektionsbiologie (www.mpiib-berlin.mpg.de) ist ein europäisches Exzellenzzentrum für biologische
Forschung im Bereich von Infektionskrankheiten und Tuberkulose. Das Institut verwendet multidisziplinäre Ansätze in der
Infektionsbiologie, die Konzepte und Methoden aus Genetik, Immunologie, Zellbiologie, Molekularepidemiologie, klinischer Forschung
und Strukturchemie umfassen. Das MPIIB fördert die Anwendung seiner Forschung und ebnet den Weg für die Entwicklung rationaler
Maßnahmen zur Kontrolle von Infektionskrankheiten. Das Institut verfügt über modernste Einrichtungen, unter anderem Laboratorien
der biologischen Sicherheitsstufe 3 für Tuberkuloseforschung. Zentrale Einheiten für Microarray-Analysen, Mikroskopie,
Cytofluorimetrie, Proteinanalyse, Proteinreinigung und Bioinformatik unterstützen die Forschungsgruppen.
Die Forschung der Abteilung für Immunologie strebt ein besseres Verständnis der Biologie von mykobakteriellen Pathogenen an und
arbeitet auf verbesserte Identifikation, strukturelle und funktionale Charakterisierung von mykobakteriellen Molekülen hin, die für das
Überleben sowie die Virulenz und das Überdauern der Bakterien essenziell sind. Ein Hauptziel ist die Entwicklung neuer
Interventionsmaßnahmen und Impfstoffe gegen M. tuberculosis-Infektionen.
Zum M.-tuberculosis-Strukturproteomik-Konsortium
EMBL Hamburg koordiniert ein gemeinsames Forschungsprojekt von vier Partnern aus der Forschung und dreien aus der Industrie,
die mit Hilfe strukturbiologischer Methoden neue Wirkstoffe gegen die Tuberkulose entwickeln wollen. Neben EMBL Hamburg
gehören zum Konsortium: Prof. S. H. E. Kaufmann, Abteilung Immunologie des Max Planck Instituts für Infektionsbiologie (Berlin); Dr.
Hans Bartunik, Max Planck Arbeitsgruppe für strukturelle Molekularbiologie (Hamburg); Prof. Hartmut Oschkinat, Forschungsinstitut
für Molekulare Pharmakologie (Berlin): Prof. Dmitrij Frishman, Technische Universität München; Dr. Markus Schade, Combinature
Biopharm AG (Berlin): Dr. Claudio Klein, MarResearch GmbH (Norderstedt) und Dr. Andreas Kaps, Biomax Informatics AG
(Martinsried). Als ein ProteomicsNetwork (http://www.proteomicsnetwork.de/) wird das Konsortium vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
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