1 Prof. Dr. Thomas Wolff Physikalische Chemie "Physikalische Chemie (Modul PCI)" Sommersemester 2011 - Teil II Kap. 1: Gase 2 Reale Gase SUTHERLAND Konstante JOULE-THOMSON-Effekt Transportgrößen Kap. 2: Flüssigkeiten 8 Zustandsgleichung Transportgrößen Viskosität Flüssige Kristalle Kap. 3: Thermodynamik 3. Hauptsatz maximale Arbeit Mischphasen Grenzflächen 12 Kap. 4: Kinetik 30 Bimolekulare Reaktionen Monomolekulare Reaktionen EYRING-Theorie Zusammengesetzte Reaktionen Kap. 5: Elektrochemie 38 Elektrolytlösungen Gleichgewichte Primärer Salzeffekt Überführungszahlen Elektrodenpotenziale Elektroden Galvanische Ketten Anhang Kapillarascension GIBBS-DUHEM-Gleichung 52 2 Kap. 1 Gase 1.1 Reale Gase Man erinnere sich an Isothermen realer Gase, die im p-V-Diagramm wie nebenstehend aussehen. Das reale Verhalten wird – außer im Zwei-Phasen-Gebiet - von der VAN-DER-WAALS-Gleichung leidlich gut beschrieben, welche Abweichungen realer Gase vom Verhalten idealer Gase mit den Konstanten a und b korrigiert, die attraktive Wechselwirkungen (Binnendruck) einerseits und Eigenvolumen der Gasteilchen andererseits berücksichtigen: (p + a/V2) (V – b) = RT RT 2 a ab V + V − bzw. V 3 − b + =0 (1-1). p p p (V3 sorgt für Artefakte der Kurve im Zweiphasengebiet) 1.1.2 Theorem der übereinstimmenden Zustände Das Verhältnis z= pv nRT (1-2) heißt Realfaktor. Für ideale Gase sollte z = 1 sein. Für reale Gase zeigen sich bei Messungen allerdings Abweichungen, die in den folgenden Abbildungen (V/T = const.) illustriert ist. Bei kleinen Drücken (Abb. links) wird näherungsweise lineares Verhalten beobachtet, so dass man z=1+Bp (1-3a) schreiben kann. Bei höheren Drücken krümmen sich die Kurven (Abb. rechts). Man muss dann zur Anpassung von einer Reihenentwicklung, dem sog. Virialansatz, ausgehen: z = 1 + B p + C p2 + D p3 + ... (1-3b). 3 B, C, D usw. heißen 2., 3., 4., ... Virialkoeffizient. Sie hängen nicht vom Druck, jedoch von der Temperatur und von der Art des Gases ab. Meist hat der Koeffizient B, der zur Korrektur bei kleinen Drücken genügt, einen umso größeren Zahlenwert, je niedriger die Temperatur ist. Kurven ähnlicher Gestalt erhält man für ein und dasselbe Gas, wenn man die Temperatur variiert (und p·V konstant hält). Man hat daraus den Schluss gezogen, dass es auch für reale Gase eine universelle Zustandsgleichung geben sollte, die man erhält, wenn man Volumen, Druck und Temperatur in einem geeigneten Bezugssystem angibt. Ein geeigneter Bezugspunkt ist der kritische Punkt, den alle realen Gase aufweisen. Die kritische Isotherme (für Tk) hat dort (beim kritischen Volumen vk) einen Wendepunkt mit der Steigung 0, so dass durch diese zwei Bedingungen auch die dritte Zustandsgröße pk festgelegt ist. Mit den Werten pk, vk, Tk kann man reduzierte Zustandsgrößen definieren, die dann dimensionslos sind: π = p/ pk ; ϕ = v/vk; ϑ = T/Tk, so dass z = πϕ p k v k πϕ p kVk = nRϑ Tk Rϑ Tk (1-4). Am kritischen Punkt sind die erste und die zweite Ableitung der VAN-DER-WAALS-Gleichung Null (vgl. Teil I). Setzt man die Ableitungen gleich und die kritischen Werte ein, so erhält man a =3 p kVk2 ; b = vk / 3 bzw. für die kritischen Größen a 8a p kVk 3 pk = ; Tk = ; = . 2 27b 27bR RTk 8 (1-5), d.h. pkVk/(RTk) = 3/8 = 0,375 sollte eine universelle Konstante sein. In der Realität findet man für Ne, Kr, H2, N2, O2 pkVk/(RTk) = 0,3 + 0,014. Bei größeren und stärker wechselwirkenden Molekülen weicht der Wert noch weiter ab. Analoge Überlegungen, die vom Siedepunkt Tfl-g oder vom Gefrierpunkt Tfest-fl unter Stnadarddruck als Bezugspunkt ausgehen, haben gezeigt, dass für viele Substantzen Tfl-g ≈ 0,64 Tk und Tfest-fl ≈ 0,44 Tk. Eine Konsequenz ist die aus Teil I bekannte PICTET-TROUTON-Regel: ∆Hfl-g/Tfl-g ≈ 88 J/(mol K). Mit den reduzierten Größen nimmt die VAN-DER-WAALS-Gleichung eine universelle Form an: π= 8ϑ 3 − 2 3ϕ − 1 ϕ und z= pV πϕ p kVk 3 πϕ 3ϕ 9 = = = − RT ϑ RTk 8 ϑ 3ϕ − 1 8ϑϕ (1-6). Experimentell zeigt sich, dass (1-6) wegen des Bezugs auf kritische Daten den Zusammenhang zwischen p, V und T besser beschreibt als (1-1). Alternativ kann man bei nicht zu hohen Drücken die Zustandsgleichung (1-2) in eine Virialform überführen, d.h. eine Reihenentwicklung durchführen 4 z= pV V a 1 = − = RT V − b VRT 1 − b − V a VRT b b a B C D = 1 + + + ... − =1+ + 2 + 3 V V V V V VRT 2 (1-7) [mit p = RT/(V-b) – a/V2], wobei vorausgesetzt wurde, dass b << V ist. Die Koeffizienten sind dann B = b – a/(RT); C = b2; D = b3; usw. (1-8). Neben der VAN-DER-WAALS-Gleichung gibt es zahlreiche andere Gleichungen, die das Verhalten realer Gase genauer beschreiben sollen. Diese sind meist mathematisch unhandlicher, weil sie entweder eine kompliziertere Form oder mehr Parameter haben. Ein relativ einfaches Beispiel ist die Zustandsgleichung von DITERICI: RT a p= exp − V −b V RT (1-9). Durch Bilden der ersten und zweiten Ableitung von (1-9) und Gleichsetzen der beiden erhält man hier von (1-5) verschiedene Ausdrücke für die kritischen Größen, die genauere Zahlenwerte liefern. Man beachte, dass a hier eine andere Dimension hat als in (1-1). 1.1.3 JOULE-THOMSON-Effekt Im Teil I wurde für reale Gase mit der Gleichung (2-5) ein Binnendruck π definiert, der sich nach VAN-DER-WAALS zu π = a/V2 ergibt und ein Maß für die Anziehungskräfte (Kohäsionskräfte) ist. In der Regel ist sowohl π als auch (∂v / ∂T ) p = αv positiv (und cp ist dann größer als ∂u cv). Für ideale Gase ist allerdings π = = 0 , d.h. u hängt nur von T ab. Dies folgt aus der ∂v T kinetischen Gastheorie und dem JOULE-Experiment (auch 2. GAY-LUSSAC-Versuch genannt): Bei der adiabatischen Expansion eines idealen Gases ins Vakuum1 findet man dT = 0 . Hierbei ist dv > 0, dq = 0 und π = 0, so dass du = 0 = cvdT + pdv. Bei realen Gasen findet man jedoch dT ≠ 0, wie das JOULE-THOMSON-Experiment zeigt. Hierbei wird ein Gas von links nach rechts unter adiabatischen Bedingungen durch eine poröse Membran gedrückt (langsam, reversibel), wobei die zwei Kolben die durch die gepunkteten Linien gegebenen Endzustände erreichen. Dabei wird dem Gas eine Nettoarbeit a = p1v1 – p2v2 1 Achtung: Bei der adiabatischen Expansion gegen einen Außendruck – wie beim CARNOT-Prozess – ist dT ≠ 0 5 zugeführt, während dq = 0. Entsprechend ist ∆u = u2 – u1 = a und u2 + p2v2 = u1 + p1v1, so dass der Prozess isenthalpisch ist: h2 = h1. Als Maß für den beobachteten Temperatureffekt (JOULETHOMSON-Effekt) definiert man einen JOULE-THOMSON-Koeffizienten µ ∂T 1 ∂v v µ = = T − v = (αT − 1) ∂p h c p ∂T p cp (1-10) Herleitung mit Hilfe DER MAXWELL-Relationen dh = Tds + vdp und dg = –sdT + vdp (siehe Kapitel 3.2): dh =0 = c p dT + ∂h dp ∂p T ∂T 1 = − ∂h c p ∂p T ∂p h ∂h = T ∂s + v = T − ∂v + v ∂p ∂p T ∂T p T (1-11). Entsprechend ist µ > 0, wenn dT < 0 für dp < 0. Als Konsequenz kühlt sich das reale Gas beim Entspannen ab, was bei Raumtemperatur für fast alle Gase gilt (nicht z.B. für H2 und He) und zur Verflüssigung von Luft, N2, O2 und vielen anderen Gasen ausgenutzt wird (Gegenstromprinzip, LINDE-Verfahren: Abwechselnd adiabatisch ausdehnen und isotherm komprimieren). Bei einer für das betreffende Gas spezifischen Inversionstemperatur TI ändert sich das Vorzeichen von µ, d.h. bei höheren Temperaturen erwärmt sich das Gas beim Entspannen. Zur Erklärung des Vorzeichenwechsels müssen zwei Effekte mit gegenläufiger Wirkung herangezogen werden: Einmal kostet die Erhöhung des mittleren Abstands der Gasteilchen beim Entspannen Arbeit (gegen die Anziehungskräfte), das Gas kühlt sich dadurch ab. Andererseits wird bei Zusammenstößen von Gasmolekülen kinetische Energie zeitweise in potentielle Energie umgewandelt. Die Zusammenstöße werden mit größer werdendem mittleren Abstand unwahrscheinlicher, es liegt jetzt ein größerer Anteil von der Gesamtenergie als kinetische Energie vor, d.h. das Gas erwärmt sich (vgl. Teil I, Kap. 2.3.1). Der zweite Einfluss überwiegt oberhalb der Inversionstemperatur TI, die mit Hilfe der VAN-DER-WAALS-Konstanten a und b (für nicht zu hohe Drücke) abzuschätzen ist (vgl. Lehrbücher): TI = 2a/Rb (1-12). Beispiele: He: TI = 35 K; H2: TI = 224 K; N2: TI = 886 K; O2: TI = 1041 K; CO: TI = 908 K. Zur Verflüssigung von Helium oder Wasserstoff muss also vorgekühlt werden (permanente Gase). 1.1.2 SUTHERLAND-Konstante In den Ausdrücken für die Stoßfrequenzen (Teil I, 2-46 bis 2-49) und die mittlere freie Weglänge wird ein Stoßdurchmesser d gebraucht (dAA, dAB). Dieser berücksichtigt zwar das Eigenvolumen der Teilchen A und B, nicht jedoch Wechselwirkungen zwischen beiden. Diese macht sich durch eine Temperaturabhängigkeit des Stoßdurchmessers d bemerkbar und lässt sich nach Sutherland entsprechend empirisch berücksichtigen: 6 C d 2 = d ∞2 1 + S T (1-13), wobei CS als SUTHERLAND-Konstante bezeichnet wird. Diese ist eine stoffspezifische Größe. Werte für CS betragen 111 K für Stickstoff, 127 K für Sauerstoff, 72 K für Wasserstoff, 240 K für Kohlendioxid, 370 K für Ammoniak und 416 K für Schwefeldioxid. 1.1.5 Transportgrößen In einem inhomogenen System haben die intensiven Zustandsgrößen Dichte ρ, Druck p und Temperatur T auch in Abwesenheit von Potenzialfeldern ortsabhängige Zahlenwerte. Dies führt zu Ausgleichsprozessen, mittels welcher das System versucht, durch Transport von extensiven Größen den stabilen homogenen Zustand zu erreichen. Als Diffusion bezeichnet man den Transport von Teilchen (Masse), der durch Gradienten von ρ ausgelöst wird. T-Gradienten bewirken Wärmeleitung (Energietransport) und Gradienten des Drucks erzeugen eine Strömung, d.h. einen Impulstransport. Quantitativ wird der Transport stets durch einen Netto-Fluss ausgedrückt. Dieser ist um so größer je größer die Transportgeschwindigkeit und der auszugleichende Unterschied der intensiven Zustandsgrößen ist. Bei Gasen lässt sich der Transport in einfacher Weise auf Moleküleigenschaften zurückzuführen: Zwischen je zwei Zusammenstößen, im Mittel also auf einer Strecke von der Größe der mittleren freien Weglänge λ (vgl. 2-49 im Teil I) λ = wA / Z A = ( 2πd A2 N vA ) −1 (1-14), bewegen sich alle Moleküle mit der gleichen mittleren Geschwin- z Nv- Nv+ Nv0 digkeit w = 8kT parallel zu den πm λ λ x Koordinatenachsen x, y und z. Die Teilchenzahldichten Nv+ und Nvlassen sich dann durch die Teilchenzahldichte Nv0 und den Gradienten der Teilchenzahldichte ausdrücken y N v− = N v0 − λ dN v ; dx N v+ = N v0 + λ dN v dx (1-15). Die eine Hälfte der Moleküle bewegt sich jeweils in +-Richtung und die andere Hälfte in –-Richtung, also 1/6 der Moleküle in die +x-Richtung. Daher ist der Diffusionsstrom 1 dN dN jD = 1 w( N v − − N v + ) = − wλ v = − D v , 6 3 dx dx wobei D als Diffusionskoeffizient bezeichnet wird. (1-16), 7 Ganz analog ist die Wärmeleitung zu beschreiben, indem man anstelle der Teilchendichte die Energiedichte N v ⋅ ε der Moleküle einsetzt. Die mittlere Energie der Moleküle ε = Cv ' T ist mit der Temperatur durch die spezifische Wärme pro Molekül Cv’ verknüpft (2-27 im Teil I). Damit wird der Wärmestrom 1 dT dT jW = − wλN v Cv' = −κ . 3 dx dx (1-17) κ heißt Wärmeleitfähigkeitskoeffizient und kann z.B. zur Klassifizierung von Isolierglasfensterscheiben genutzt werden. Etwas mehr gedanklichen Aufwand erfordert der Impulstransport. Wir müssen uns eine Gasströmung in –z-Richtung in einem zylindrischen Gefäß vorstellen, das bei Nv+ und Nv- Wände hat. Die Strömung habe an der Stelle x = 0 eine Geschwindigkeit wz. Wegen der Haftung an der Gefäßwand (wz = 0) existiert jedoch ein Gradient der Geschwindigkeit wz (bzw. des Impulses mwz) in x-Richtung. Das Produkt Nv m wz beschreibt daher eine von x abhängende Impulsdichte, die sich durch Stöße in x-Richtung auszugleichen sucht. Es kommt daher zu einem Impulstransport der Größe jP = − 1 3 wλN v m dw z dw = −η z dx dx (1-18) η ist der Viskositätskoeffizient, oft einfach Viskosität genannt. Genauere Beziehungen erhält man, wenn die Verteilung von Richtung und Größe der Molekülgeschwindigkeiten berücksichtigt wird (und die Moleküldurchmesser d mit der Sutherlandkonstanten korrigiert werden): 2 3 RT kT 3π T −9 m D= wλ = = 2 , 663 ⋅ 10 2 16 8 πM pd s K κ= 2 g/mol bar nm (1-19), M p d 25π 25π ρCv 25 RT Cv wλN v Cv' = wλ = 64 64 M 32 πM Ld 2 J T g/mol = 6,637 ⋅ 10 − 2 m ⋅ s ⋅ K K M η= 3 5π 5 wλN v m = 32 16 C nm -1 v K kJ/mol d (1-20), 2 2 MRT 1 kg T M nm = 2,669 ⋅ 10 −8 (1-21). 2 π Ld ms K g/mol d Die Transportkoeffizienten sind entsprechend miteinander verknüpft: η D = 5 ρ 6 ; κ 5 Cv = η 2M ; κD 3C v = η 2 Mρ (1-22). Diese Beziehungen sind wie gesagt für Gase entwickelt und gelten streng genommen nur für harte Kugeln (ggf. Sutherland-Korrektur). Bei mehratomigen Molekülen wird die Wärmeleit- 8 fähigkeit dadurch vergrößert, dass auch Rotations- und Schwingungsenergie übertragen werden kann. Beispiele für experimentelle Transportkoeffizienten von Gasen bei 1 atm und 273,15 K D (in Luft) / cm2 s-1 κ / mJ cm-1 s-1 K-1 η / mPa s He 0,617 1,442 0,0196 Ar 0,167 0,163 0,0223 N2 ca. 0,2 0,240 0,0170 CO2 ca. 0,1 0,145 0,0136 2. Flüssigkeiten 2.1 Zustandgleichung a) Die VAN-DER-WAALS-Gleichung (1-1) lässt sich als kubische Gleichung für V schreiben. RT 2 a ab V 3 − b + =0 V + V − p p p (2-1) Kubische Gleichungen können eine oder drei reelle Lösungen haben. Deshalb führt (1-1) zu einer physikalisch nicht interpretierbaren Situation im Zweiphasengebiet zwischen den Punkten A und B in nebenstehendem Diagramm. Man kann jedoch Geraden, die konstantem Druck (Dampfdruck!) entsprechen, so legen, dass durch sie gleiche Flächen unterund oberhalb der VAN-DER-WAALS-Isothermen entstehen, was dem experimentellen Verlauf entspricht. Dadurch werden Schnittpunkte, z.B. C und D, festgelegt, deren Verbindungslinie das Koexistenzgebiet von Flüssigkeit und Dampf im Gleichgewicht definiert (Die Stücke A-B und CD entsprechen ggf. übersättigtem Dampf bzw. überhitzter Flüssigkeit). Somit gilt die VAN-DER-WAALS-Gleichung auch für Flüssigkeiten, wenn auch nicht sehr genau. Aus obigem Diagramm ergibt sich jedoch, dass man vom flüssigen Zustand in den Gaszustand ohne Verdampfung (ohne Phasenübergang) gelangen kann (auf dem Weg CEFG), also ohne abrupte Äderung einer physikalischen Größe (Kontinuität der Zustände). b) Im Vergleich zu Gasen sind Flüssigkeiten sehr wenig kompressibel. Für beschränkte Temperatur- und Druckbereiche kann man daher Ausdehnungs- und Kompressibilitätskoeffizienten (α und χ, vgl. (1-1, 1-2) in Teil I) als konstante Größen ansehen. Dann ergibt sich für die Zustandsgleichung von Flüssigkeiten die einfache (auch für Festkörper geltende) Form V ( p, T ) = V0 [1 − χ ( p − p 0 )][(1 + α (T − T0 )] mit χ = − 1 dV V d p T und α= V0(p0,T0) ist ein molares Bezugsvolumen. 1 dV V dT p (2-2) 9 c) Besondere Formen der Zustandsgleichung gehen von der Dichte der Flüssigkeit bzw. von dem freien Volumen aus, das zwischen den (keineswegs dicht gepackten) Molekülen in der Flüssigkeit existiert: Kondensiert man in ein geschlossenes Rohr gerade soviel Flüssigkeit, wie der kritischen Dichte entspricht, und heizt auf, so verändert sich die Lage der Grenzfläche nicht, solange die Temperatur unterhalb der kritischen bleibt. Am kritischen Punkt verschwindet die Grenzfläche. Während des Aufheizens wird, da die Gesamtdichte gleich bleibt, die Dichte des Gases ρg immer höher und die der Flüssigkeit ρfl immer kleiner. Es folgt für die mittlere Dichte 1 2 ρ = ( ρ fl + ρ g ) ≈ ρ k (2-3). Genauer ist der Zusammenhang zwischen mittlerer und kritischer Dichte nach der CAILLETET-MATHIAS-Regel T − Tk = C ( ρ − ρ k ) (2-4), die eine recht exakte Bestimmung der kritischen Dichte ermöglicht. 2.2 Transportvorgänge in kondensierter Materie Transportkoeffizienten haben in Flüssigkeiten und Feststoffen um Größenordnungen andere Werte als in Gasen. Die Richtung der Temperaturabhängigkeit der Koeffizienten kehrt sich gegenüber der Gasphase um: Die Prozesse werden mit steigender Temperatur schneller. Die folgende Tabelle gibt einige Beispiele. Beispiele für experimentelle Transportkoeffizienten von Flüssigkeiten bei 1 atm und 298 K D / 10-5 cm2 s-1 κ / mJ cm-1 s-1 K-1 η / mPa s Glucose in Wasser 0,521 Wasser 6,1 Wasser 0,89 + H in Wasser 9,31 Eis (273 K) 22 Aceton 0,294 + Na in Wasser 1,33 Cu 3930 Hexan 0,1944 I2 in Hexan 4,05 Graphit 1190-1650 Hexanol 0,202 Sandstein 23 Hexanon 57 Glas 7,6 Benzen (Benzol) 0,604 Holz 0,9-1,9 C6F6 0,279 Strohballen 0,4-0,7 Blut 2-5 PU-Dämmstoff 0,24-0,35 Motorenöl 150-400 Glycerol (Glycerin) 1480 Honig ~104 2.2.1 Diffusion in Flüssigkeiten Die regellose BROWNsche Bewegung eines Teilchens in Lösung lässt sich unter einem Mikroskop (ggf. Fluoreszenzmikroskop) beobachten und durch eine mittlere Verschiebung ∆x während der Zeit τ charakterisieren, die in isotropen Systemen (Systemen ohne Vorzugsrichtung) in allen Richtungen gleich ist. Besteht jedoch ein Gradient der 10 Teilchenzahldichte Nv2 > Nv1 in benachbarten Volumenelementen − dN v N v 2 − N v 1 = dx ∆x (2-5), dann bewegen sich mehr Teilchen von links nach rechts, und zwar jeweils nur die Hälfte der Teilchen eines Volumenelements in die vorgegebene Richtung. Die Differenz 2 1 ∆xF ∆x F dN v ∆N = ( N v 2 ∆xF − N v1 ∆xF ) = ( N v 2 − N v1 ) = − 2 2 2 dx (2-6) sorgt daher für einen Diffusionsstrom in x-Richtung. 2 (2-7) 1 dN v 1 ∆N dN v ∆ x dN v jx = = =− = −D F dt F τ 2τ dx dx (1. FICKsches Gesetz). Der Diffusionskoeffizient lässt sich demnach experimentell aus dem sog. mittleren Verschiebungsquadrat ermitteln 2 ∆x kT D= = 2τ 3πdη L (2-8) (vgl. (6-6) im Teil I) und eröffnet eine Möglichkeit, (effektive) Teilchendurchmesser d zu bestimmen, z.B. von Kolloidteilchen, oder es lässt sich umgekehrt bei bekanntem D die BOLTZMANNkonstante k bestimmen und damit auch die LOSCHMIDT-Zahl L = R/k = NA. 2.2.2 Definition der Viskosität von Flüssigkeiten Man stelle sich eine Flüssigkeit zwischen zwei parallelen Platten der Fläche F vor, von denen die eine mit der Kraft K in x-Richtung bewegt wird (Scherung der Flüssigkeit). Dadurch erfährt die Flüssigkeit eine Deformation γ = dx/dy. Die zeitliche Änderung dieser Deformation bei konstanter Kraft K äußert sich in einem Gefälle der Geschwindigkeit w = dx/dt für Flüssigkeitsschichten im Abstand dy. Dieses Schergefälle (Scherrate, Geschwindigkeitsgefälle) wird mit γ& = dγ/dt = dw/dy symbolisiert. Die untere, nicht bewegte Platte spürt eine Schubspannung σ, die bei einfachen Newtonschen Flüssigkeiten proportional zum Geschwindigkeitsgefälle γ& = dγ/dt ist: σ = ηγ& (2-9). Der Proportionalitätsfaktor heißt Viskositätskoeffizient oder Viskosität; er wird mit 0 symbolisiert Im allgemeineren und häufigeren Fall der nicht-NEWTONschen Flüssigkeit (Blut, Ketchup, Anstrichfarbe) ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsschichten nicht proportional zur Kraft K und der Viskositätskoeffizient wird abhängig von der Scherrate: 11 σ = η (γ& ) γ& (2-10). Messung der Viskosität: Die Viskosität Newtonscher Flüssigkeiten ist in Kapillarviskosimetern oder Kugelfallviskosimetern leicht zu bestimmen. Wegen des nicht-linearen Geschwindigkeitsgefälles in solchen Geräten können nicht-Newtonsche Flüssigkeiten damit nicht charakterisiert werden. Man versucht deshalb, weitgehend entsprechend der obigen Definition zu messen. Die zwei Platten werden dabei zu konzentrischen Zylindern, deren innerer einen nur wenig kleineren Außendurchmesser im Vergleich zum Innendurchmesser des äußeren Zylinders hat. Der dadurch entstehende Spalt entspricht jetzt dem Plattenabstand dy. Bei solchen Rotationsviskosimetern wird der äußere Zylinder mit einer Drehfrequenz ω, die die Scherrate γ& vorgibt, rotiert. Auf die Oberfläche des inneren Zylinders wird durch die Flüssigkeit im Spalt ein Drehmoment M übertragen, das der Schubspannung σ entspricht, wenn es auf die Zylinderoberfläche bezogen wird. Jetzt kann σ bei vorgegebenen Scherraten γ& gemessen werden2, wobei γ& durch Anpassen der Drehfrequenz variiert wird. Im Ergebnis entstehen Fließkurven σ = f( γ& ), die im Newtonschen Fall linear ansteigen, ansonsten positiv (dilatant) oder negativ (strukturviskos) von der Linearität abweichen. Bestimmte Messprogramme lassen Rückschlüsse auf die Struktur der Flüssigkeiten zu: Zyklische Fließkurven (links) geben Aufschluss über zeitliche Veränderungen unter Scherung, zeigen z-B. Thixotropie (Scherverflüssigung) oder Rheopexie (Scherverdickung) an. Unten links sind zwei Beispiele für thixotropes Verhalten (z.B. Ketch-up) gezeigt: Die aktuelle Viskosität ist jeweils die momentane Steigung der σ - γ& -Kurven, die Anfangssteigung entspricht der Ruheviskosität der Flüssigkeit. Das rechte Bild ist das Ergebnis des Spannoder Relaxationsversuchs, bei dem nach einer gewissen Zeit konstanter Scherung tspann die Rotation plötzlich angehalten wird. Nach dem Ende der Scherung würde σ bei einer Newtonschen 2 Sog. „Cuette-System“. Kostengünstigere Geräte rotieren den inneren Zylinder („Searl-System“), wobei gleichzeitig die Schubspannung gemessen wird 12 Flüssigkeit sofort verschwinden, bei nicht-Newtonschen Flüssigkeiten erhält man exponentielle Abklingkurven, deren Zeitkonstanten u.a. die Länge von Aggregaten in der Lösung zu ermitteln ermöglicht. 2.3 Flüssige Kristalle Bestimmte Substanzen bilden oberhalb vom Schmelzpunkt zunächst trübe Flüssigkeiten aus, die erst bei deutlich höheren Temperaturen klar werden (Klärpunkt). Die trüben Flüssigkeiten sind Flüssigkristalle, in welchen die Moleküle eine gewisse Ordnung ausweisen. Es sind zumeist Moleküle mit einem stäbchenförmigen, starren Mittelteil (z. B. Biphenyle), die an einem oder beiden Enden flexible Gruppen tragen (z.B. aliphatische Ketten). Aus der festen Phase kommend gelangt man bei steigender Temperatur zunächst zu vergleichsweise hochgeordneten smektischenPhasen, die Schichten parallel angeordneter solcher Moleküle enthalten. Cholesterische Phasen entstehen aus Schichten, die Moleküle mit einer Vorzugsrichtung aufweisen, wobei sich diese Vorzugsrichtung mit jeder Schicht um einen bestimmten Winkel verschiebt. Nach einer von diesen Winkel abhängigen Zahl von Schichten liegt wieder die Vorzugsrichtung der untersten Schicht vor (Ganghöhe). Die geringste Ordnung liegt bei nematischen Phasen vor, in denen die länglichen Moleküle zwar eine Vorzugsrichtung aber keine Ordnung senkrecht zu dieser Vorzugsrichtung zeigen. Man kann sich vorstellen, dass in solchen Systemen verschiedene Viskositäten in den drei Raumrichtungen auftreten, die nur mit speziellen Messgeräten gemessen werden können, aber für bestimmte Anwendungen bekannt sein sollten. smektisch cholesterisch nematisch (Abb. aus Wikipedia) Wenn die Moleküle eine gewisse Polarität oder Polarisierbarkeit aufweisen, lassen sich die flüssigen Kristalle im elektrischen Feld ausrichten. So wird bei angelegtem Feld aus einem cholesterischen ein nematischer Flüssigkristall (SCHADT-HELFRICH-Effekt), der dadurch für (linear polarisiertes) Licht durchlässig wird – dieser Effekt ist die Basis für moderne, preiswerte Anzeigegeräte aller Art (Displays). 3. Thermodynamik 3.1 Entropie in der Nähe des absoluten Nullpunkts (3. Hauptsatz) Man erinnere sich an die Definition der Entropie ds = dqrev/T (mit Hilfe des Carnot-Prozesses im Teil I), wobei dqrev in praktischen Fällen der Wärmekapazität cp oder cv des untersuchten Stoffes entspricht. NERNST fand Anfang des 20. Jahrhunderts, dass die Differenzen der molaren Wärmekapaziäten (Cp oder Cv) zwischen Edukten und Produkten einer Reaktion mit fallender Temperatur immer