Overreaching und Overtraining: So profitierst du von den Vorteilen und vermeidest die Tücken Von: Alex M. McDonald, MD Jeder Sportler erlebt früher oder später einmal einen Erschöpfungszustand — egal ob er als Profi 30 Stunden pro Woche trainiert oder ob er ein Workaholic ist, der in der Mittagspause eine Trainingseinheit dazwischen schiebt. Ein Missverhältnis zwischen Belastung und Regeneration, zwischen Training und Trainingskapazität sowie zwischen Stress und Stressverträglichkeit führt oftmals zu Übertraining (Overtraining) (1). Besonders Ausdauersportler sind davon betroffen. Leider gehen die Meinungen der Trainingsphysiologen zu diesem Thema weit auseinander und es fehlt an gut geplanten Studien sowie eindeutigen Begriffsdefinitionen. Daher wissen die meisten Leute relativ wenig über die Problematik des Übertrainings und seine verschiedenen Differenzierungen. Was versteht man unter Übertraining? Übertraining kommt zustande, wenn Stress — sowohl vom Training als auch durch Faktoren außerhalb des Trainings — die Fähigkeit des Körpers zur angemessenen Regeneration ausschaltet (2). Es gibt zwei verschiedene anerkannte Formen des Übertrainings: das Kurzzeit- und das Langzeitübertraining. Ein wichtiger zu beachtender Aspekt ist der, dass der physiologische Stress des Trainings nicht für sich allein steht. Die Belastung durch das Training kommt zu den unzähligen anderen Faktoren hinzu, die eine Person beeinflussen. Dazu zählen Arbeit, familiäre Verpflichtungen, finanzielle Sorgen usw. Wenn man also an sportliche Belastung und Übertraining denkt, sollte man alle Stressfaktoren des alltäglichen Lebens berücksichtigen, denn sie alle haben einen Einfluss auf die Fähigkeit des Sportlers zur Regeneration. Das kurzzeitige Übertraining wird auch Overreaching genannt. Dieser Zustand der peripheren Müdigkeit hält einige Tage bis Wochen an und kann leicht behoben werden. Symptome eines kurzzeitigen Übertrainings sind Müdigkeit, reduzierte oder stagnierende Leistungsfähigkeit an der Laktatschwelle, Herabsetzung der maximalen Leistungsfähigkeit sowie Erfolglosigkeit während des Wettkampfes (1). Beim Langzeitübertraining fallen periphere und zentrale Müdigkeit zusammen. Die Symptome sind größtenteils die gleichen wie beim kurzzeitigen Übertraining, allerdings hält der Zustand wochen- oder monatelang an. Einige Physiologen glauben sogar, dass die Auswirkungen des Langzeitübertrainings jahrelang zu spüren sind und zu einer Krankheit mit dem Namen Chronisches Müdigkeitssyndrom (CMS) führen. Besonders wenn ein Sportler das Ungleichgewicht zwischen Belastung und Erholung, das zum kurzzeitigen Übertraining geführt hat, nicht behebt, kann sich daraus leicht ein Langzeitübertraining entwickeln, das weitaus schwieriger zu behandeln ist (1). Symptome Die klinischen Symptome des Übertrainings können in sympathisch und parasympathisch eingeteilt werden (1,2), je nachdem welche Symptome vorherrschen. Sympathische Symptome sind Gereiztheit und Ruhelosigkeit, während Teilnahmslosigkeit und Hemmung bzw. Antriebsschwäche zu den parasympathischen Symptomen zählen. Die parasympathische Form des Übertrainings ist weitaus häufiger bei Ausdauerathleten anzutreffen. Sportler zeigen mitunter verschiedene Anzeichen und Symptome des kurzzeitigen Übertrainings, Overreachings und Langzeitübertrainings, es bestehen jedoch einige Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Formen. Eine Untersuchung der Herzschlagfrequenz kann Anzeichen dafür liefern, dass der Körper gestresst ist (1). Wenn ein Sportler ins Stadium des Übertrainings kommt, hat er möglicherweise im Ruhezustand eine erhöhte Herzschlagfrequenz. Zusätzlich kann die Herzschlagvariabilität im Training herabgesetzt sein und der Sportler ist nicht in der Lage, seine Herzschlagfrequenz zu erhöhen (3). Physiologen gehen davon aus, dass es sich hierbei um einen Schutzmechanismus handelt, wodurch der bereits angegriffene Körper vor weiteren Schäden bewahrt wird. Sportler im Stadium des Übertrainings haben oftmals das Gefühl, als seien ihre Muskeln schwer oder überbelastet, auch wenn sie sich ausreichend erwärmt haben. Die Ursache hierfür kann darin liegen, dass zusätzliche Flüssigkeit in die Muskeln gelangt ist, um Nebenprodukte des Trainings und von Gewebeschäden auszuscheiden. Der Muskelkater ist ein weit verbreitetes Symptom einer Gewebeschädigung, das 24 bis 60 Stunden nach der sportlichen Betätigung auftritt. Im Stadium des Übertrainings jedoch kann dieser Schmerz selbst nach leichten Übungen über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten (1). Es existiert überdies eine weniger gut definierte psychologische Komponente des Kurzzeit- und Langzeitübertrainings. Oftmals berichten Sportler von einem Gefühl des „Ausgebranntseins“ und sind sowohl körperlich als auch mental erschöpft. Es können außerdem Stimmungsschwankungen auftreten. Derartige Veränderungen werden oftmals von Freunden und Verwandten früher bemerkt als vom Sportler selbst. Ursache hierfür sind Veränderungen an verschiedenen Neurotransmittern als Folge des Übertrainings (4, 5). Schließlich können sich bei einigen Sportlern die Ess- und Schlafgewohnheiten ändern, was zu einem veränderten Körpergewicht, oftmals Gewichtsverlust, führt. Die oben genannten Symptome sind für Sportler allgegenwärtig. Hin und wieder fühlt sich ein Sportler ausgelaugt und muss über diesen Erschöpfungszustand hinweg trainieren, um fit zu werden. Wenn jedoch die genannten Symptome gemeinsam für drei bis fünf Tage lang auftreten, sollte man sich ernsthafte Gedanken darüber machen, ob man den Körper nicht so sehr belastet hat, dass man sich im unwiderruflichen Stadium des Übertrainings befindet. Zwischen dem kurzzeitigen Übertraining bzw. Overreaching und dem Langzeitübertraining besteht ein kleiner, aber feiner Unterschied. Die Methode des Overreachings wird häufig genutzt, um die Fitness zu steigern und das volle Trainingspotenzial zu erreichen (hierfür ist jedoch unbedingt ein unvoreingenommener Trainer erforderlich). Die Fähigkeit eines Sportlers zur Regeneration und zur Erholung von einem kurzzeitigen Übertraining ist ein gutes Anzeichen dafür, wie er mit Stress in seinem Leben umgehen kann. Wenn die Regenerationsfähigkeit allerdings beeinträchtigt ist, dann ist dies ein eindeutiger Hinweis darauf, dass man das Training übertrieben hat. Wissenschaftliche Grundlagen des Übertrainings Der genaue Mechanismus des Übertrainings ist nicht bekannt. Das Syndrom und seine klinischen Symptome können bestenfalls als eine Reaktion auf Stress erklärt werden (2). Es existieren unzählige Theorien zu diesem Thema, aus verschiedenen Gründen gestaltet sich eine Erforschung dieses Zustandes jedoch als sehr schwierig. Das liegt zum Teil daran, dass das Übertraining so unzählige Facetten hat und dass die Untersuchung konkreter Personen bisher keine eindeutigen Anzeichen dafür erkennen ließ, was das kurzzeitige und was das Langzeitübertraining charakterisiert. Dies erschwert die Auswertung zahlreicher Forschungsstudien zum Thema Übertraining, denn es wird behauptet, dass der Großteil der Untersuchungen von Sportlern mit dem Syndrom eines kurzzeitigen Übertrainings auf langfristige Sicht betrachtet nicht anwendbar ist (6). Unabhängig von diesen Tücken existieren gewisse Informationen, die sich aus bisherigen Forschungen ergeben haben und die eine Betrachtung wert sind. Allerdings sind diese kritisch zu interpretieren. Das Gefühl des Ausgebranntseins, das zahlreiche Sportler im Stadium des Langzeitübertrainings verspüren, soll angeblich auf einer Funktionsstörung des neuroendokrinen Systems auf der Hypothalamus-Ebene beruhen. Beim neuroendokrinen System handelt es sich um eine hochkomplexe Struktur aus Hormonen, Neurotransmittern, Nervenzellen, Hirnregionen sowie verschiedenen anderen Körperteilen, die nahezu jedes Organsystem des menschlichen Körpers sowie zahlreiche allgemeine Körperfunktionen beeinflusst. Die zentrale Steuerung des neuroendokrinen Systems übernimmt eine Hirnregion mit dem Namen Hypothalamus. Wie man herausgefunden hat, sind bestimmte Hormone und Neurotransmitter — nämlich Wachstumshormone (WH), Cortisol und das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH) — in übertrainierten Personen in zu geringer Konzentration vorhanden, was auf eine Fehlfunktion des Hypothalamus schließen lässt (5). In anderen Studien zeigten sich außerdem minimale Veränderungen an den Hormonspiegeln selbst bei einem gleichzeitigen Abfall der sympathischen Aktivität, wodurch die Ursache des Übertrainings dem zentralen Nervensystem zugeschrieben werden könnte (7). Zahlreiche dieser Forschungen gipfelten in Bemühungen, das Stadium des Übertrainings akkurat und schnell zu erkennen, damit sich Sportler auf dem schmalen Grat zwischen kurzzeitigem Übertraining (das zu einer verbesserten sportlichen Leistung führt) und Langzeitübertraining sicherer bewegen können. Zahlreiche potenzielle Anzeichen des Übertrainings — z. B. Anämie (niedrige Konzentration an roten Blutkörperchen), Leukopenie (niedrige Konzentration an weißen Blutkörperchen), Eisenmangel, verminderte Konzentration an Serumprotein, Glukose, Triglycerid, triglyceridreichhaltiges Cholesterol, freie Fettsäure, erhöhte Plasmanoradrenalin-Konzentration, Biomarker für oxidativen Stress sowie verminderte basale Katecholaminausschüttung (stimuliert Neurotransmitter) — erwiesen sich als nicht zufriedenstellend, wenn es um die Bestimmung objektiver und zuverlässiger Marker für einen vom Übertraining gefährdeten Sportler geht (1, 2, 8, 9). Im Moment existiert kein geeigneter Test für die Vorbeugung oder Diagnose von Übertraining (2). Du solltest immer daran denken, dass es zwar zahlreiche Studien zu den Ursachen des Übertrainings gibt, dass diese aber widersprüchliche Informationen wiedergeben oder Daten enthalten, die nicht miteinander vergleichbar sind, weil sich die untersuchten Sportler zu stark voneinander unterscheiden oder weil unterschiedliche Messgrößen und Studienendpunkte zugrunde gelegt wurden (6). Ganz gleich welche Ursachen das Übertraining auch hat, es ist auf jeden Fall eindeutig, dass dabei der Stresspegel höher ist als ihn die jeweilige Person ertragen kann (2). Risikofaktoren Zwar sind die Ursachen des Übertrainings umstritten, die Risikofaktoren aber, die zu den Hauptursachen des Übertrainings führen, sind besser erforscht. Dazu zählen: • Zu schnell zu viel trainieren (halte dich an die 10-Prozent-Regel: steigere dein • • • • Trainingsvolumen zwischen zwei Wochen um nicht mehr als 10% oder gönne dir zwischendrin eine oder mehrere Wochen Pause). Zu intensive Anstrengung während einer Trainingswoche oder an einem einzigen Tag. Ein Beispiel wäre, wenn du in einer Trainingseinheit zwei hochintensive Trainingsvariablen kombinierst, also beispielsweise in der Mitte eines langen Laufes wiederholte Anstiege absolvierst oder 2 bzw. 3 intensive Trainingseinheiten mit einer hohen Laktatschwelle pro Woche durchführst. Erstellen eines Trainingsplanes ohne ausreichende Ruhephasen. Schlechte Angewohnheiten, die eine Regeneration beeinträchtigen, zum Beispiel zu wenig Schlaf oder mangelhafte Ernährung. Vorhandensein zu vieler Stressfaktoren außerhalb des Trainings. Wenn das Trainingsprogramm eines Sportlers hin und wieder die oben genannten Punkte beinhaltet oder wenn nur ein oder zwei Beispiele davon zutreffen, dann ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Übertrainings relativ gering. Je mehr Risikofaktoren aber hinzukommen, umso höher sind die Chancen, dass der Sportler sich übertrainiert. Das Fazit lautet also, dass eine unzureichende Regeneration bzw. ein erhöhtes Trainingsvolumen auf höchster Intensitätsstufe die wahrscheinlich häufigste Ursache für Übertraining sind (1). Empfohlene Behandlung und Richtlinien Übertraining kann nur durch Ruhe behandelt werden. Beim Langzeitübertraining muss man sich komplett zurückziehen. Eine Regeneration kann Wochen bis Monate dauern (1) und manche Experten gehen sogar davon aus, dass man sich im Fall des Chronischen Müdigkeitssyndroms erst nach Jahren erholt. Es kann Monate dauern, bis man wieder die Fitness erlangt, die man während dieser Ruheperiode eingebüßt hat. Das Ziel vieler Sportler besteht darin, ihre Trainingsergebnisse zeitweise so zu steigern, dass eine kurzfristige Überlastung, aber niemals ein Langzeitübertraining erreicht wird. Die Grenze zwischen beiden Formen des Übertrainings zu ziehen kann mitunter sehr schwierig sein. Einerseits liegt das an der unterschiedlichen Verfassung der Sportler, andererseits an den Leistungsunterschieden, die ein Sportler von Jahr zu Jahr oder sogar innerhalb einer einzigen Saison zeigt. Die Grenze zwischen Kurzzeit- und Langzeitübertraining ist dauerhaft fließend und sehr schwer exakt zu bestimmen. Als Ergebnis unternehmen zahlreiche Sportler, Trainer und Trainingsphysiologen verschiedene Schritte, um auf der sicheren Seite zu sein und diese Grenze nicht zu überschreiten. Das bedeutet aber nicht, dass man Übertraining vermeidet, wenn man sich an die unten empfohlenen Richtlinien hält. Nur mit einem gut durchdachten und auf den einzelnen Sportler abgestimmten Trainingsplan kann man sicher gehen, dass nicht das Stadium des Langzeitübertrainings erreicht wird. Die folgenden Hinweise sind einfach ein paar simple Möglichkeiten, mit denen der Sportler zusätzlich dafür sorgen kann, die Grenze zum Langzeitübertraining nicht zu überschreiten: • Glutamin ist eine verzweigte Aminosäure und gilt als wichtigste Quelle für Energie in den Zellen des Immunsystems. Bei einigen Studien fand man heraus, dass die Plasmaglutaminkonzentration bei übertrainierten Sportlern und nach langen Trainingseinheiten vermindert ist. Die Zufuhr von verzweigten Aminosäuren durch Nahrungsergänzungsmittel während lang anhaltender sportlicher Betätigung soll diesen Abfall des Plasmaglutaminspiegels nachweislich verhindern. Es ist jedoch nicht geklärt, ob die Gabe von zusätzlichem Glutamin Übertraining verhindern kann oder ob die niedrigen Glutaminwerte nicht einfach ein Ergebnis des Übertrainings sind. Abgesehen davon kann die Zufuhr von Glutamin oder glutaminreichen Nahrungsmitteln nach einer langen oder intensiven Trainingseinheit dabei helfen, das Syndrom des Übertrainings abzuwenden oder zumindest das Immunsystem zu stärken (10). • Die Ernährung eines Sportlers spielt bei der Regeneration eine wichtige Rolle. Besonders Protein hat sich als bedeutende Komponente bei der Vermeidung von Langzeitübertraining erwiesen. Zwischen den Sportlern existieren zum Teil so starke körperliche und psychologische Unterschiede, dass manche ein höheres Bedürfnis an Protein haben als andere gesunde Personen (11). Auch der Zeitpunkt der Proteinzufuhr ist entscheidend, besonders nach der sportlichen Betätigung. Weiterbildungen sowie eine Beratung durch einen Sporternährungsspezialisten können dabei helfen, Übertraining zu verhindern (11). • Das wichtigste Puzzleteilchen lautet schließlich, deinen eigenen Körper sowie die Symptome von kurzzeitigem- und Langzeitübertraining zu kennen. Es ist okay, wenn du dich während eines Trainingsjahres einige Male überbelastest. Es ist aber entscheidend, dass du dir dessen bewusst bist und die erforderlichen Maßnahmen für eine Regeneration ergreifst. Du solltest also für ein oder zwei Tage komplett pausieren und anschließend einige Tage lang nur leicht trainieren. Wenn die Symptome anhalten oder innerhalb weniger Wochen wieder auftreten, kann es an der Zeit sein, deinen Trainingsplan herunterzufahren und deinem Körper vollkommene Ruhe und Erholung zu gönnen. Wenn die Symptome schwerwiegend sind oder sich nicht durch die Ruheperiode verbessern, solltest du außerdem einen Sportmediziner, einen Arzt oder einen sonstigen medizinischen Experten aufsuchen. Schlussfolgerung Overreaching und Langzeitübertraining sind noch nicht ausreichend erforscht und es existieren zu diesem Thema Unmengen widersprüchlicher Informationen (6). Beide Syndrome können jedoch kontrolliert werden. So kann gewährleistet werden, dass ein gut durchdachter und organisierter Trainingsplan erstellt wird, der auf die Fähigkeiten des einzelnen Sportlers, auf seine körperliche Verfassung und auf seinen Lebensstil abgestimmt ist. Ein Sportler sollte stets die ersten Anzeichen und Symptome des Übertrainings erkennen und sich an die grundlegenden Prinzipien der Regeneration halten. Dazu zählen angemessene Ernährung, Flüssigkeitszufuhr, Schlaf und Einschränkung anderer Stressfaktoren. Dies ist während einer Regenerationswoche oder eines Erholungstages von höchster Bedeutung. Denke immer daran, deine Regeneration niemals für eine weitere intensive Trainingseinheit aufs Spiel zu setzen. Der Schlüssel für eine Leistungsoptimierung liegt in einer allmählichen progressiven Steigerung der Trainingsintensität sowie in ausreichenden Ruhephasen.