Prof. Dr. Thomas Wolff Physikalische Chemie "Physikalische Chemie (Modul PCI)" Sommersemester 2009 - Teil II Kap. 1: Gase 2 Reale Gase SUTHERLAND Konstante JOULE-THOMSON-Effekt Transportgrößen Kap. 2: Flüssigkeiten 8 Zustandsgleichung Transportgrößen Viskosität Flüssige Kristalle Kap. 3: Thermodynamik 3. Hauptsatz maximale Arbeit Mischphasen Grenzflächen 12 Kap. 4: Kinetik 30 Bimolekulare Reaktionen Monomolekulare Reaktionen EYRING-Theorie Zusammengesetzte Reaktionen Kap. 5: Elektrochemie 38 Elektrolytlösungen Gleichgewichte Primärer Salzeffekt Überführungszahlen Elektrodenpotenziale Elektroden Galvanische Ketten Anhang Kapillarascension GIBBS-DUHEM-Gleichung 1 52 Kap. 1 Gase 1.1 Reale Gase Man erinnere sich an Isothermen realer Gase, die im p-V-Diagramm wie nebenstehend aussehen. Das reale Verhalten wird – außer im Zwei-Phasen-Gebiet - von der VAN-DERWAALS-Gleichung leidlich gut beschrieben, welche Abweichungen realer Gase vom Verhalten idealer Gase mit den Konstanten a und b korrigiert, die attraktive Wechselwirkungen (Binnendruck) einerseits und Eigenvolumen der Gasteilchen andererseits berücksichtigen: RT 2 a ab V + V − V 3 − b + =0 p p p (V3 sorgt für Artefakte der Kurve im Zweiphasengebiet) (p + a/V2) (V – b) = RT bzw. (1-1). 1.1.2 Theorem der übereinstimmenden Zustände Das Verhältnis z= pv nRT (1-2) heißt Realfaktor. Für ideale Gase sollte z = 1 sein. Für reale Gase zeigen sich bei Messungen allerdings Abweichungen, die in den folgenden Abbildungen illustriert ist. Bei kleinen Drücken (Abb. links) wird näherungsweise lineares Verhalten beobachtet, so dass man z=1+Bp (1-3a) schreiben kann. Bei höheren Drücken krümmen sich die Kurven (Abb. rechts). Man muss dann zur Anpassung von einer Reihenentwicklung, dem sog. Virialansatz, ausgehen: z = 1 + B p + C p2 + D p3 + ... (1-3b). 2 B, C, D usw. heißen 2., 3., 4., ... Virialkoeffizient. Sie hängen nicht vom Druck, jedoch von der Temperatur und von der Art des Gases ab. Meist hat der Koeffizient B, der zur Korrektur bei kleinen Drücken genügt, einen umso größeren Zahlenwert, je niedriger die Temperatur ist. Kurven ähnlicher Gestalt erhält man für ein und dasselbe Gas, wenn man die Temperatur variiert. Man hat daraus den Schluss gezogen, dass es auch für reale Gase eine universelle Zustandsgleichung geben sollte, die man erhält, wenn man Volumen, Druck und Temperatur in einem geeigneten Bezugssystem angibt. Ein geeigneter Bezugspunkt ist der kritische Punkt, den alle realen Gase aufweisen. Die kritische Isotherme (für Tk) hat dort (bei vk) einen Wendepunkt mit der Steigung 0, so dass durch diese zwei Bedingungen auch die dritte Zustandsgröße pk festgelegt ist. Mit den Werten pk, vk, Tk kann man reduzierte Zustandsgrößen definieren, die dann dimensionslos sind: π = p/ pk ; ϕ = v/vk; ϑ = T/Tk, so dass z = πϕ p k v k πϕ p kVk = nRϑ Tk Rϑ Tk (1-4). Am kritischen Punkt sind die erste und die zweite Ableitung der VAN-DER-WAALS-Gleichung Null (vgl. Teil I). Setzt man die Ableitungen gleich und die kritischen Werte ein, so erhält man a =3 p kVk2 ; b = vk / 3 bzw. für die kritischen Größen a 8a p kVk 3 pk = ; Tk = ; = . 2 27b 27bR RTk 8 (1-5), d.h. pkVk/(RTk) = 3/8 = 0,375 sollte eine universelle Konstante sein. In der Realität findet man für Ne, Kr, H2, N2, O2 pkVk/(RTk) = 0,3 + 0,014. Bei größeren und stärker wechselwirkenden Molekülen sinkt der Wert noch weiter ab. Analoge Überlegungen, die vom Siedepunkt TS oder vom Gefriepunkt TG als Bezugspunkt ausgehen, haben gezeigt, dass für viele Substantzen TS ≈ 0,64 Tk und TG ≈ 0,44 Tk. Eine Konsequenz ist die aus Teil I bekannte PICTET-TROUTON-Regel: ∆Hfl-g/TS ≈ 88 J/(mol K). Mit den reduzierten Größen nimmt die VAN-DER-WAALS-Gleichung eine universelle Form an: π= 8ϑ 3 − 2 3ϕ − 1 ϕ und z= pV πϕ p kVk 3 πϕ 3ϕ 9 = = = − RT ϑ RTk 8 ϑ 3ϕ − 1 8ϑϕ (1-6). Experimentell zeigt sich, dass (1-6) den Zusammenhang zwischen p, V und T besser beschreibt als (1-1). Alternativ kann man bei nicht zu hohen Drücken die Zustandsgleichung (1-2) in eine Virialform überführen, d.h. eine Reihenentwicklung durchführen 3 z= pV V a 1 = − = RT V − b VRT 1 − b − V a VRT b b a B C D = 1 + + + ... − =1+ + 2 + 3 V V V V V VRT 2 (1-7) [mit p = RT/(V-b) – a/V2], wobei vorausgesetzt wurde, dass b << V ist. Die Koeffizienten sind dann B = b – a/(RT); C = b2; D = b3; usw. (1-8). Neben der VAN-DER-WAALS-Gleichung gibt es zahlreiche andere Gleichungen, die das Verhalten realer Gase genauer beschreiben sollen. Diese sind meist mathematisch unhandlicher, weil sie entweder eine kompliziertere Form oder mehr Parameter haben. Ein relativ einfaches Beispiel ist die Zustandsgleichung von DITERICI: RT a p= exp − V −b V RT (1-9). Durch Bilden der ersten und zweiten Ableitung von (1-9) und Gleichsetzen der beiden erhält man hier von (1-5) verschiedene Ausdrücke für die kritischen Größen, die genauere Zahlenwerte liefern. Man beachte, dass a hier eine andere Dimension hat als in (1-1). 1.1.3 SUTHERLAND-Konstante In den Ausdrücken für die Stoßfrequenzen (Teil I, 2-46 bis 2-49) und die mittlere freie Weglänge wird ein Stoßdurchmesser d gebraucht (dAA, dAB). Dieser berücksichtigt zwar das Eigenvolumen der Teilchen A und B, nicht jedoch Wechselwirkungen zwischen beiden. Diese macht sich durch eine Temperaturabhängigkeit des Stoßdurchmessers d bemerkbar und lässt sich nach Sutherland entsprechend empirisch berücksichtigen: C d 2 = d ∞2 1 + S , T (1-10), wobei CS als SUTHERLAND-Konstante bezeichnet wird. Diese ist eine stoffspezifische Größe. Werte für CS betragen 111 K für Stickstoff, 127 K für Sauerstoff, 72 K für Wasserstoff, 240 K für Kohlendioxid, 370 K für Ammoniak und 416 K für Schwefeldioxid. 1.1.4 JOULE-THOMSON-Effekt Im Teil I wurde für reale Gase mit der Gleichung (2-5) ein Binnendruck π definiert, der sich nach VAN-DER-WAALS zu π = a/V2 ergibt und ein Maß für die Anziehungskräfte (Kohäsionskräfte) ist. In der Regel ist sowohl π als auch (∂v / ∂T ) p = αv positiv (und cp ist dann größer als ∂u cv). Für ideale Gase ist allerdings π = = 0 , d.h. u hängt nur von T ab. Dies folgt aus der ∂v T kinetischen Gastheorie und dem JOULE-Experiment (auch 2. GAY-LUSSAC-Versuch genannt): 4 Bei der adiabatischen Expansion eines idealen Gases ins Vakuum1 findet man dT = 0 . Hierbei ist dv > 0, dq = 0 und π = 0, so dass du = 0 = cvdT + pdv, also π = 0. Bei realen Gasen findet man jedoch dT ≠ 0, wie das JOULE-THOMSON-Experiment zeigt. Hierbei wird ein Gas von links nach rechts (s. Skizze) unter adiabatischen Bedingungen durch eine poröse Membran gedrückt. Dabei wird dem Gas eine Nettoarbeit a = p1v1 – p2v 2 zugeführt, während dq = 0. Entsprechend ist ∆u = u2 – u1 = a und u2 + p2v2 = u1 + p1v1, so dass der Prozess isenthalpisch ist: h2 = h1. Als Maß für den beobachteten Temperatureffekt (JOULETHOMSON-Effekt) definiert man einen JOULE-THOMSON-Koeffizienten µ ∂T 1 ∂v v µ = = T − v = (αT − 1) ∂p h c p ∂T p cp (1-11) Herleitung mit Hilfe DER MAXWELL-Relationen dh = Tds + vdp und dg = –sdT + vdp (siehe Kapitel 3.2): dh =0 = c p dT + ∂h dp ∂p T ∂T 1 = − ∂h c p ∂p T ∂p h ∂h = T ∂s + v = T − ∂v + v ∂p ∂p T ∂T p T (1-12). Entsprechend ist µ > 0, wenn dT < 0 für dp < 0. Als Konsequenz kühlt sich das reale Gas beim Entspannen ab, was bei Raumtemperatur für fast alle Gase gilt (nicht z.B. für H2 und He) und zur Verflüssigung von Luft, N2, O2 und vielen anderen Gasen ausgenutzt wird (Gegenstromprinzip, LINDE-Verfahren: Abwechselnd adiabatisch ausdehnen und isotherm komprimieren). Bei einer für das betreffende Gas spezifischen Inversionstemperatur TI ändert sich das Vorzeichen von µ, d.h. bei höheren Temperaturen erwärmt sich das Gas beim Entspannen. Zur Erklärung des Vorzeichenwechsels müssen zwei Effekte mit gegenläufiger Wirkung herangezogen werden: Einmal kostet die Erhöhung des mittleren Abstands der Gasteilchen beim Entspannen Arbeit (gegen die Anziehungskräfte), das Gas kühlt sich dadurch ab. Andererseits wird bei Zusammenstößen von Gasmolekülen kinetische Energie zeitweise in potentielle Energie umgewandelt. Die Zusammenstöße werden mit größer werdendem mittleren Abstand unwahrscheinlicher, es liegt jetzt ein größerer Anteil von der Gesamtenergie als kinetische Energie vor, d.h. das Gas erwärmt sich (vgl. Teil I, Kap. 2.3.1). Der zweite Einfluss überwiegt oberhalb der Inversionstemperatur TI, die mit Hilfe der VAN-DER-WAALS-Konstanten a und b (für nicht zu hohe Drücke) abzuschätzen ist (vgl. Lehrbücher): 1 Achtung: Bei der adiabatischen Expansion gegen einen Außendruck – wie beim Carnot-Prozess – ist dT ≠ 0 5 TI = 2a/Rb (1-13). Beispiele: He: TI = 35 K; H2: TI = 224 K; N2: TI = 886 K; O2: TI = 1041 K; CO: TI = 908 K. Zur Verflüssigung von Helium oder Wasserstoff muss also vorgekühlt werden (permanente Gase). 1.1.5 Transportgrößen In einem inhomogenen System haben die intensiven Zustandsgrößen Dichte ρ, Druck p und Temperatur T auch in Abwesenheit von Potenzialfeldern ortsabhängige Zahlenwerte. Dies führt zu Ausgleichsprozessen, mittels welcher das System versucht, durch Transport von extensiven Größen den stabilen homogenen Zustand zu erreichen. Als Diffusion bezeichnet man den Transport von Teilchen (Masse), der durch Gradienten von ρ ausgelöst wird. T-Gradienten bewirken Wärmeleitung (Energietransport) und Gradienten des Drucks erzeugen eine Strömung, d.h. einen Impulstransport. Quantitativ wird der Transport stets durch einen Netto-Fluss ausgedrückt. Dieser ist um so größer je größer die Transportgeschwindigkeit und der auszugleichende Unterschied der intensiven Zustandsgrößen ist. Bei Gasen lässt sich der Transport in einfacher Weise auf Moleküleigenschaften zurückzuführen: Zwischen je zwei Zusammenstößen, im Mittel also auf einer Strecke von der Größe der mittleren freien Weglänge λ (vgl. 2-49 im Teil I) λ = wA / Z A = ( 2πd A2 N vA ) −1 (1-14), bewegen sich alle Moleküle mit der gleichen mittleren Geschwin- z Nv- Nv+ Nv0 digkeit w = 8kT parallel zu den πm λ λ x Koordinatenachsen x, y und z. Die Teilchenzahldichten Nv+ und Nvlassen sich dann durch die Teilchenzahldichte Nv0 und den Gradienten der Teilchenzahl-dichte ausdrücken y N v− = N v0 − λ dN v ; dx N v+ = N v0 + λ dN v dx (1-15). Die eine Hälfte der Moleküle bewegt sich jeweils in +-Richtung und die andere Hälfte in –-Richtung, also 1/6 der Moleküle in die +x-Richtung. Daher ist der Diffusionsstrom 1 dN v dN jD = 1 w( N v − − N v + ) = − wλ = −D v , 6 3 dx dx wobei D als Diffusionskoeffizient bezeichnet wird. 6 (1-16), Ganz analog ist die Wärmeleitung zu beschreiben, indem man anstelle der Teilchendichte die Energiedichte N v ⋅ ε der Moleküle einsetzt. Die mittlere Energie der Moleküle ε = Cv ' T ist mit der Temperatur durch die spezifische Wärme pro Molekül Cv’ verknüpft (2-27 im Teil I). Damit wird der Wärmestrom 1 dT dT jW = − wλN v Cv' = −κ . 3 dx dx (1-17) κ heißt Wärmeleitfähigkeitskoeffizient und kann z.B. zur Klassifizierung von Isolierglasfensterscheiben genutzt werden. Etwas mehr gedanklichen Aufwand erfordert der Impulstransport. Wir müssen uns eine Gasströmung in –z-Richtung in einem zylindrischen Gefäß vorstellen, das bei Nv+ und Nv- Wände hat. Die Strömung habe an der Stelle x = 0 eine Geschwindigkeit wz. Wegen der Haftung an der Gefäßwand (wz = 0) existiert jedoch ein Gradient der Geschwindigkeit wz (bzw. des Impulses mwz) in x-Richtung Das Produkt Nv m wz beschreibt daher eine von x abhängende Impulsdichte, die sich durch Stöße in x-Richtung auszugleichen sucht. Es kommt daher zu einem Impulstransport der Größe jP = − 1 3 wλN v m dw z dw = −η z dx dx (1-18) η ist der Viskositätskoeffizient, oft einfach Viskosität genannt. Genauere Beziehungen erhält man, wenn die Verteilung von Richtung und Größe der Molekülgeschwindigkeiten berücksichtigt wird. Damit werden (mit d = Moleküldurchmesser) 2 3 RT kT 3π T −9 m D= wλ = = 2 , 663 ⋅ 10 2 16 8 πM pd s K κ= 3 25π 25π ρCv 25 RT Cv wλN vCv' = wλ = 64 64 M 32 πM Ld 2 J C T g/mol nm = 6,637 ⋅ 10 − 2 -1 v msK K M K kJ/mol d η= 2 g/mol bar nm (1-19), M p d 5π 5 wλN v m = 32 16 (1-20), 2 2 MRT 1 kg T M nm = 2,669 ⋅ 10 −8 (1-21). 2 π Ld ms K g/mol d Die Transportkoeffizienten sind entsprechend miteinander verknüpft: η D = 5 ρ 6 ; κ 5 Cv = η 2M ; κD 3C v = η 2 Mρ (1-22). Diese Beziehungen sind wie gesagt für Gase entwickelt und gelten streng genommen nur für harte Kugeln. Bei mehratomigen Molekülen wird die Wärmeleitfähigkeit dadurch vergrößert, dass auch Rotations- und Schwingungsenergie übertragen werden kann. 7 He Ar N2 CO2 Beispiele für Transportkoeffizienten für Gase bei 1 atm und 273,15 K D (in Luft) / cm2 s-1 κ / mJ cm-1 s-1 K-1 η / mPa s 0,617 1,442 0,0196 0,167 0,163 0,0223 ca. 0,2 0,240 0,0170 ca. 0,1 0,145 0,0136 2. Flüssigkeiten 2.1 Zustandgleichung a) Die VAN-DER-WAALS-Gleichung (1-1) lässt sich als kubische Gleichung für V schreiben. RT 2 a ab V 3 − b + =0 V + V − p p p (2-1) Kubische Gleichungen können eine oder drei reelle Lösungen haben. Deshalb führt (1-1) zu einer physikalisch nicht interpretierbaren Situation im Zweiphasengebiet zwischen den Punkten A und B in nebenstehendem Diagramm. Man kann jedoch Geraden, die konstantem Druck (Dampfdruck!) entsprechen, so legen, dass durch sie gleiche Flächen unterund oberhalb der VAN-DER-WAALS-Isothermen entstehen, was dem experimentellen Verlauf entspricht. Dadurch werden Schnittpunkte, z.B. C und D, festgelegt, deren Verbindungslinie das Koexistenzgebiet von Flüssigkeit und Dampf im Gleichgewicht definiert (Die Stücke A-B und CD entsprechen ggf. übersättigtem Dampf bzw. überhitzter Flüssigkeit). Somit gilt die VAN-DER-WAALS-Gleichung auch für Flüssigkeiten, wenn auch nicht sehr genau. Aus obigem Diagramm ergibt sich jedoch, dass man vom flüssigen Zustand in den Gaszustand ohne Verdampfung (ohne Phasenübergang) gelangen kann (auf dem Weg CEFG), also ohne abrupte Äderung einer physikalischen Größe (Kontinuität der Zustände). b) Im Vergleich zu Gasen sind Flüssigkeiten sehr wenig kompressibel. Für beschränkte Temperatur- und Druckbereiche kann man daher Ausdehnungs- und Kompressibilitätskoeffizienten (α und χ, vgl. (1-1, 1-2) in Teil I) als konstante Größen ansehen. Dann ergibt sich für die Zustandsgleichung von Flüssigkeiten die einfache (auch für Festkörper geltende) Form V ( p, T ) = V0 [1 − χ ( p − p 0 )][(1 + α (T − T0 )] mit χ = − 1 dV V d p T und α= 1 dV V dT p (2-2) V0(p0,T0) ist ein molares Bezugsvolumen (z. B. unter Standardbedingungen). c) Besondere Formen der Zustandsgleichung gehen von der Dichte der Flüssigkeit bzw. von dem freien Volumen aus, das zwischen den (keineswegs dicht gepackten) Molekülen in der 8 Flüssigkeit existiert: Kondensiert man in ein geschlossenes Rohr gerade soviel Flüssigkeit, wie der kritischen Dichte entspricht, und heizt auf, so verändert sich die Lage der Grenzfläche nicht, solange die Temperatur unterhalb der kritischen bleibt. Am kritischen Punkt verschwindet die Grenzfläche. Während des Aufheizens wird, da die Gesamtdichte gleich bleibt, die Dichte des Gases ρg immer höher und die der Flüssigkeit ρfl immer kleiner. Es folgt für die mittlere Dichte 1 2 ρ = ( ρ fl + ρ g ) ≈ ρ k (2-3). d) Genauer ist die CAILLETET-MATHIAS-Regel T − Tk = C ( ρ − ρ k ) (2-4), die eine recht exakte Bestimmung der kritischen Dichte ermöglicht. 2.2 Transportvorgänge in kondensierter Materie Transportkoeffizienten haben in Flüssigkeiten und Feststoffen um Größenordnungen andere Werte als in Gasen. Die Richtung der Temperaturabhängigkeit der Koeffizienten kehrt sich gegenüber der Gasphase um: Die Prozesse werden mit steigender Temperatur schneller. Die folgende Tabelle gibt Beispiele für T = 298 K und p = 1 atm. D / 10-5 cm2 s-1 Glucose in Wasser 0,521 H+ in Wasser 9,31 Na+ in Wasser 1,33 I2 in Hexan 4,05 κ / mJ cm-1 s-1 K-1 Wasser Eis (273 K) Cu Graphit Sandstein Glas Holz Strohballen PU-Dämmstoff 6,1 22 3930 1190-1650 23 7,6 0,9-1,9 0,4-0,7 0,24-0,35 2.2.1 Definition der Viskosität von Flüssigkeiten Man stelle sich eine Flüssigkeit zwischen zwei parallelen Platten der Fläche F vor, von denen die eine mit der Kraft K in xRichtung bewegt wird (Scherung der Flüssigkeit). Dadurch erfährt die Flüssigkeit eine Deformation γ = dx/dy. Die zeitliche Änderung dieser Deformation bei konstanter Kraft K äußert sich in einem Gefälle der Geschwindigkeit w = dx/dt für Flüs9 η / mPa s Wasser Aceton Hexan Hexanol Hexanon Benzen (Benzol) C6F6 Blut Motorenöl Glycerol (Glycerin) Honig 0,89 0,294 0,1944 0,202 57 0,604 0,279 2-5 150-400 1480 ~104 sigkeitsschichten im Abstand dy. Dieses Schergefälle (Scherrate, Geschwindigkeitsgefälle) wird mit γ& = dγ/dt = dw/dy symbolisiert. Die untere, nicht bewegte Platte spürt eine Schubspannung σ, die bei einfachen Newtonschen Flüssigkeiten proportional zum Geschwindigkeitsgefälle γ& = dγ/dt ist: σ = ηγ& (2-5). Der Proportionalitätsfaktor heißt Viskositätskoeffizient oder Viskosität; er wird mit 0 symbolisiert Im allgemeineren und häufigeren Fall der nicht-NEWTONschen Flüssigkeit (Blut, Ketchup, Anstrichfarbe) ist die Geschwindigkeit der Flüssigkeitsschichten nicht proportional zur Kraft K und der Viskositätskoeffizient wird abhängig von der Scherrate: σ = η (γ& ) γ& (2-6). Messung der Viskosität: Die Viskosität Newtonscher Flüssigkeiten ist in Kapillarviskosimetern oder Kugelfallviskosimetern leicht zu bestimmen. Wegen des nicht-linearen Geschwindigkeitsgefälles in solchen Geräten können nicht-Newtonsche Flüssigkeiten damit nicht charakterisiert werden. Man versucht deshalb, weitgehend entsprechend der obigen Definition zu messen. Die zwei Platten werden dabei zu konzentrischen Zylindern, deren innerer einen nur wenig kleineren Außendurchmesser im Vergleich zum Innendurchmesser des äußeren Zylinders hat. Der dadurch entstehende Spalt entspricht jetzt dem Plattenabstand dy. Bei solchen Rotationsviskosimetern wird der äußere Zylinder mit einer Drehfrequenz ω, die die Scherrate γ& vorgibt, rotiert. Auf die Oberfläche des inneren Zylinders wird durch die Flüssigkeit im Spalt ein Drehmoment M übertragen, das der Schubspannung σ entspricht, wenn es auf die Zylinderoberfläche bezogen wird. Jetzt kann σ bei vorgegebenen Scherraten γ& gemessen werden2, wobei γ& durch Anpassen der Drehfrequenz variiert wird. Im Ergebnis entstehen Fließkurven σ = f( γ& ), die im Newtonschen Fall linear ansteigen, ansonsten positiv (dilatant) oder negativ (strukturviskos) von der Linearität abweichen. Bestimmte Messprogramme lassen Rückschlüsse auf die Struktur der Flüssigkeiten zu: Zyklische Fließkurven (links) geben Aufschluss über zeitliche Veränderungen unter Scherung, zeigen z-B. Thixotropie (Scherverflüssigung) oder Rheopexie (Scherverdickung) an. Unten links sind zwei Beispiele für thixotropes Verhalten (z.B. Ketch-up) gezeigt: 2 Sog. „Cuette-System“. Kostengünstigere Geräte rotieren den inneren Zylinder („Searl-System“), wobei gleichzeitig die Schubspannung gemessen wird 10 Die aktuelle Viskosität ist jeweils die momentane Steigung der Kurven, die Anfangssteigung entspricht der Ruheviskosität der Flüssigkeit. Das rechte Bild ist das Ergebnis des Spann- oder Relaxationsversuchs, bei dem nach einer gewissen Zeit konstanter Scherung tspann die Rotation plötzlich angehalten wird. Nach dem Ende der Scherung würde σ bei einer Newtonschen Flüssigkeit sofort verschwinden, bei nicht-Newtonschen Flüssigkeiten erhält man exponentielle Abklingkurven, deren Zeitkonstanten u.a. die Länge von Aggregaten in der Lösung zu ermitteln ermöglicht. 2.2.2 Diffusion in Flüssigkeiten Die regellose BROWNsche Bewegung eines Teilchens in Lösung lässt sich unter einem Mikroskop (ggf. Fluoreszenzmikroskop) beobachten und durch eine mittlere Verschiebung ∆x während der Zeit τ charakterisieren, die in isotropen Systemen (Systemen ohne Vorzugsrichtung) in allen Richtungen gleich ist. Besteht jedoch ein Gradient der Teilchenzahldichte Nv2 > Nv1 in benachbarten Volumenelementen − dN v N v 2 − N v 1 = dx ∆x (2-8), dann bewegen sich mehr Teilchen von links nach rechts, und zwar jeweils nur die Hälfte der Teilchen eines Volumenelements in die vorgegebene Richtung. Die Differenz 2 1 ∆xF ∆x F dN v ∆N = ( N v 2 ∆xF − N v1 ∆xF ) = ( N v 2 − N v1 ) = − 2 2 2 dx (2-9) sorgt daher für einen Diffusionsstrom in x-Richtung. 2 dN v 1 dN v 1 ∆ N ∆ x dN v jx = = =− = −D F dt F τ 2τ dx dx (2-10) (1. FICKsches Gesetz). Der Diffusionskoeffizient lässt sich demnach experimentell aus dem sog. mittleren Verschiebungsquadrat ermitteln 2 ∆x kT D= = 2τ 3πdη L (2-11) 11 (vgl. (6-6) im Teil I) und eröffnet eine Möglichkeit, (effektive) Teilchendurchmesser d zu bestimmen, z.B. von Kolloidteilchen, oder es lässt sich umgekehrt bei bekanntem D die BOLTZMANNkonstante k bestimmen und damit auch die LOSCHMIDT-Zahl L = R/k = NA. 2.3 Flüssige Kristalle Bestimmte Substanzen bilden oberhalb vom Schmelzpunkt zunächst trübe Flüssigkeiten aus, die erst bei deutlich höheren Temperaturen klar werden (Klärpunkt). Die trüben Flüssigkeiten sind Flüssigkristalle, in welchen die Moleküle eine gewisse Ordnung ausweisen. Es sind zumeist Moleküle mit einem stäbchenförmigen, starren Mittelteil (z. B. Biphenyle), die an einem oder beiden Enden flexible Gruppen tragen (z.B. aliphatische Ketten). Aus der festen Phase kommend gelangt man bei steigender Temperatur zunächst zu vergleichsweise hochgeordneten smektischenPhasen, die Schichten parallel angeordneter solcher Moleküle enthalten. Cholesterische Phasen entstehen aus Schichten, die Moleküle mit einer Vorzugsrichtung aufweisen, wobei sich diese Vorzugsrichtung mit jeder Schicht um einen bestimmten Winkel verschiebt. Nach einer von diesen Winkel abhängigen Zahl von Schichten liegt wieder die Vorzugsrichtung der untersten Schicht vor (Ganghöhe). Die geringste Ordnung liegt bei nematischen Phasen vor, in denen die länglichen Moleküle zwar eine Vorzugsrichtung aber keine Ordnung senkrecht zu dieser Vorzugsrichtung zeigen. Man kann sich vorstellen, dass in solchen Systemen verschiedene Viskositäten in den drei Raumrichtungen auftreten, die nur mit speziellen Messgeräten gemessen werden können, aber für bestimmte Anwendungen bekannt sein sollten. smektisch cholesterisch nematisch (Abb. aus Wikipedia) Wenn die Moleküle eine gewisse Polarität oder Polarisierbarkeit aufweisen, lassen sich die flüssigen Kristalle im elektrischen Feld ausrichten. So wird bei angelegtem Feld aus einem cholesterischen ein nematischer Flüssigkristall (SCHADT-HELFRICH-Effekt), der dadurch für (linear polarisiertes) Licht durchlässig wird – dieser Effekt ist die Basis für moderne, preiswerte Anzeigegeräte aller Art (Displays). 3. Thermodynamik 3.1 Entropie in der Nähe des absoluten Nullpunkts (3. Hauptsatz) Man erinnere sich an die Definition der Entropie ds = dqrev/T (mit Hilfe des Carnot-Prozesses im Teil I), wobei dqrev in praktischen Fällen der Wärmekapazität cp oder cv des untersuchten Stoffes entspricht. NERNST fand Anfang des 20. Jahrhunderts, dass die Differenzen der molaren Wärmekapaziäten (Cp oder Cv) zwischen Edukten und Produkten einer Reaktion mit fallender Temperatur immer 12 kleiner wurden. Entsprechend geringer wurden die zugehörigen Reaktionsentropien ∆RS. Er folgerte daraus (insbesondere für die Reaktionen reiner kristalliner Festkörper), dass lim ∆S = 0 (3-1), T →0 dass also die Reaktionsentropie bei Annäherung an den absoluten Nullpunkt gegen Null strebt. Diese Folgerung ist als NERNSTsches Wärmetheorem bekannt. PLANCK formulierte dann noch schärfer lim S = 0 (3-2), T →0 also dass die Entropie selbst beim absoluten Nullpunkt (für ideale Festkörper) verschwindet. Dies wird als 3. Hauptsatz der Thermodynamik bezeichnet.3 Dieser Hauptsatz ist problematischer als die ersten beiden. Streng genommen kann die Entropie nur bei ideal kristallisierten Festkörpern verschwinden, bei welchen jedes Atom seinen festen Platz hat. Zahlreiche Stoffe kristallisieren aber nicht ideal (wechselnde Molekülorientierung, Glaszustand) und in der statistischen Thermodynamik verschwindet die Entropie bei kristallisierten Mischelementen wegen unterschiedlicher Anordnungen der Isotope nicht. Der Hauptsatz ermöglicht jedoch die Ermittlung absoluter Entropien nach T T Cp C S (T ) = S (T = 0) + ∫ dT ( bzw. S (T ) = S (T = 0) + ∫ v dT ) (3-3), T T 0 0 weil wir mit dem 3. Hauptsatz S(T=0) = 0 setzen können. Dazu sind – wie im Teil I gesagt – ggf. Phasenumwandlungsentropien und unterschiedliche Werte der Molwärmen (spezifischen Wärmen) Cp und Cv in den verschiedenen Aggregatzuständen zu berücksichtigen. Da Cp und Cv auch innerhalb von Phasenbereichen nicht konstant sind, gelten obige Beziehungen entweder nur für einen eingeschränkten Temperaturbereich oder es muss bei der Integration die Temperaturabhängigkeit der Molwärmen berücksichtigt werden. Bei hinreichend tiefen Temperaturen folgt die Molwärme Cv von perfekten Kristallen (nach einer Theorie von DEBYE) dem folgenden Grenzgesetz (T3-Gesetz) 3 12 π 4 T lim Cv = ⋅ ⋅R. (3-4). T →0 5 Θ Θ heißt charakteristische Temperatur oder Debye-Temperatur und hat z. B. für Silber 225 K, für Eisen den Wert 462 K, und für Diamant 1800 K. Damit lassen sich innere Energie U, Entropie S und in der Folge die Freie Enthalpie F bei tiefen Temperaturen berechnen: T T U = ∫ C v dT ; 0 3.2 S=∫ 0 T Cv dT ; T F = − ∫ SdT (3-5) 0 Gleichgewichtsbedingungen und maximale Arbeit 3 Nernst erhielt 1920 den Nobelpreis für Chemie in Anerkennung seiner „Arbeiten in der Thermochemie“; Planck war bereits 1918/19 für seine Quantentheorie mit dem NP für Physik ausgezeichnet worden. 13 3.2.1 Gleichgewichtskonstanten Während ein Prozess (oder eine Reaktion) abläuft, vermindert sich die zur Verfügung stehende Freie Enthalpie ∆G (Triebkraft) ∂g ∂g dn ∆G = = ∑ ⋅ i = ∑ν i µi dξ i ∂ni p ,T . n i ∂ξ p ,T j (3-6) ständig, bis der Gleichgewichtszustand erreicht ist (∆G = 0, bekannt aus Teil I). Dann hat die Freie Enthalpie bezüglich der Umsatzvariablen (Reaktionslaufzahl) ξ einen Minimalwert erreicht. Infolgedessen ist dort (∂g ∂ξ ) p ,T = 0 und daher auch die Freie Enthalpie ∆G = 0. Die Mengenanteile der Komponenten nehmen dabei feste Gleichgewichtswerte xG,i an. Die entsprechende, in Mengenanteilen geschriebene Gleichgewichtskonstante ist K x ( p, T ) = ∏ (xG,i ) i ν (3-7). Sie ist dimensionslos und hängt von p und T ab. Nur noch von T hängt hingegen die in Gleichgewichtspartialdrücken geschriebene Gleichgewichtskonstante Kp ab: νi νi ∑ν i pG,i p p K p (T ) = ∏ xG, i Θ = ∏ Θ =K x Θ (3-8), p p p die - wie aus Teil I bekannt - mit ∆G Θ direkt verknüpft ist (vgl. 5-19, Teil I): ∆G Θ = ∑ν i µiΘ (T ) = − RT ln K x − RT ∑ν i ln p Θ p i i (3-9). νi p Θ Θ = − RT ln ∏ xG,i Θ = − RT ln K p (T ) = ∆H − T∆S p Entsprechend ist auch die in Gleichgewichtskonzentrationen cG,i = pG, i RT (in der Gasphase) ausgedrückte Konstante Kc nur von der Temperatur abhängig und kann dimensionslos definiert werden: ν i pΘ c K c (T ) = ∏ G,Θi = K p Θ c c RT ∑ν i ∑ p = Kx Θ c RT νi (3-10) Achtung: p⊝ und c⊝ sind hier nicht thermodynamische Standardbedingungen sondern dienen der Korrektur der Dimensionen (also jeweils 1 · Dimension). 3.2.2 Systeme im Gleichgewicht Für die Betrachtung nicht isolierter Systeme ist es zweckmäßig, zwischen einem inneren System (Index i) und einem äußeren System (Index a) zu unterscheiden, die zusammen ein Gesamtsystem (ohne Index) bilden. Ein System ist im Gleichgewicht, wenn keine irreversiblen Prozesse mehr ablaufen. In einem isolierten System ist du = dq – pdv = 0, ferner dq = 0 und deshalb auch pdv = 0, also i.a. kon14 stantes Volumen. Darüber hinaus ist dq/T = dsa = 0 bezogen auf den Wärmeaustausch mit der Umgebung. Andererseits ist für einen Prozess, also wenn das System noch nicht im Gleichgewicht ist, ds = dq/T + dsi ≥ 0 und deshalb dsi ≥ 0. Damit wird der erste Hauptsatz zu du = 0 = Tds – Tdsi – pdv ≤ Tds – pdv, (3-11) (für isolierte Systeme) wobei sich das Gleichheitszeichen auf den thermodynamischen Gleichgewichtszustand bezieht. Im Gleichgewicht laufen keine irreversiblen Prozesse mehr ab, d.h. dsi = 0 und auch ds = 0. Da dsi generell nur positiv sein kann, bedeutet dies, dass im Gleichgewicht die Entropie s einen Maximalwert und die innere Energie u ein Minimum hat. Letzteres gilt auch für die Enthalpie wegen dh = Tds – Tdsi + vdp. Natürlich vorkommende Prozesse im isolierten System werden also immer von einer Entropie-Erhöhung und einer Energie- bzw. Enthalpie-Erniedrigung begleitet. Wie oben gezeigt, treten hier u und h als Funktionen von s und v bzw. s und p auf, was für Anwendungen auf adiabatische Prozesse praktisch ist, weil dann (im Gleichgewicht) ds = 04. Für isotherme Prozess ist es hingegen zweckmäßiger, die Größen Freie Energie f (HELMHOLTZEnergie) und Freie Enthalpie g zu definieren als f = u – Ts; g = h – Ts; df = Tds – Tdsi – pdv – Tds – sdT = – sdT – pdv – Tdsi dg = Tds – Tdsi + vdp – Tds –sdT = – sdT + vdp – Tdsi (3-12) Damit erhält man Gleichgewichtsbedingungen für isotherme, isochore und isobare Systeme, in denen die freie Enthalpie g bzw. die freie Energie f ein Minimum annimmt. Sinnvoll ist die Verwendung von g für Festkörper oder Flüssigkeiten bei isothermen und isobaren Prozessen, die Verwendung von f für Gase (in geschlossenem Gefäß) bei isothermen und isochoren Prozessen. 3.2.3 Maximale Nutzarbeit Bei isothermen Prozessen ist df = – pdv – Tdsi = da – Tdsi ≤ da. Im Fall des reversiblen isothermen Prozesses ist dsi = 0 und df = darev. Die Größe ∆f = – arev bezeichnet daher den Maximalwert der Arbeit, die ein System überhaupt abgeben kann (Maximale Nutzarbeit, engl. „work function“, „maximum work function“). Diese maximale Nutzarbeit kann größer sein als du, wenn ds positiv ist wie bei chemischen Reaktionen, die unter Volumenvergrößerung ablaufen. Ein Beispiel ist die Verbrennung von Isooctan (2,2,4-Trimethylpentan) C8H18(gas) + 12,5 O2 → 8 CO2 + 9 H2O (gas). Bei 298 K und 1 bar ist ∆U = –5108 kJ/mol und ∆S = 0,422 kJ/(mol K), so dass ∆F(298 K) = (–5109 – 298·0,422 = –5235) kJ/mol. ∆F gibt den Maximalwert der zu erhaltenden Nutzarbeit an. Tatsächlich aber ist bei der Verbrennung von Isooctan in einer Kalorimeterbombe die Nutzarbeit Null (Volumen konstant). In einem gängigen Verbrennungsmotor erhält man etwa 1000 kJ/mol und in einer Brennstoffzelle ca. 3000 kJ/mol. Der Gesamtbetrag der Erniedrigung der Freien Energie ist jedoch nicht in praktischer Weise aus der Benzinverbrennung zu erhalten, da hierbei 1. alle Reibungsverlus4 Man mache sich klar, dass z.B. beim Carnot-Kreisprozess die adiabatischen Teilschritte bei konstanter Entropie ablaufen.) 15 te in Getrieben usw. ausgeschaltet werden müssten und 2. die Verbrennung unendlich langsam zu erfolgen hätte (reversibler Prozess). 3.2.4 Zusammenhang zwischen thermodynamischen Potenzialen Für reversible Prozesse gilt (wegen dsi = 0) allgemein du = Tds – pdv = (∂u/∂s)v ds + (∂u/∂v)s dv dh = Tds + vdp = (∂h/∂s)v ds + (∂h/∂p)s dp df = –sdT– pdv = (∂f/∂T)v dT + (∂f/∂v)T dv dg = –sdT + vdp = (∂g/∂T)p dT + (∂g/∂p)T dp (3-13) (3-14) (3-15) (3-16) Diese Beziehungen (vgl. MAXWELLsche Gleichungen) kann man sich entweder jeweils klarmachen oder ihre Aufstellung mit Hilfe eines Merkschemas vornehmen: + – s u v h f p g T Hierzu ein Merkvers: schöne und vornehme frauen Tragen große prächtige hüte Das Prinzip des Merkschemas ist, dass die Energiegrößen jeweils zwischen den Variablen stehen, von denen sie abhängen, und die dann noch mit den diagonal dazu stehenden Größen zu multiplizieren sind, z.B. du = + Tds –pdv (wie 3-13). Alle thermodynamischen Potenziale sind Zustandsfunktionen, so dass die gemischten 2. Ablei ∂T ∂v tungen gleich sind, etwa für h nach (3-14): = . Für solche Beziehungen gibt es ∂p s ∂s p zahlreiche Anwendungen, etwa die Beschreibung des JOULE-THOMSON-Effekts bzw. –Koeffizienten (s. oben und Lehrbücher). Entsprechend ergeben sich die in den Ecken des Merkschemas stehenden Größen als partielle Ableitung des jeweils schräg gegenüberstehenden thermodynamischen Potenzials nach der diagonal gegenüberstehenden Größe: ∂u ∂h ∂f ∂g T = = ; s = − = − ∂s v ∂s p ∂T v ∂T p vgl. 3-13 bis 3-16. ∂h ∂g ∂u ∂f p = − = − ; v = = ∂v s ∂v T ∂p s ∂p T 3.3 Mischphasen 3.3.1 Partielle molare Größen Die Erfahrung zeigt, dass extensive Zustandsgrößen nicht immer additiv sind. Z.B. machen ca. 20-%-ige Schnäpse immer einen öligen Eindruck. Hier liegt ein Dichtemaximum für Mischungen aus Ethanol und Wasser vor. Deren Mischungen weisen in diesem Zusammensetzungsbereich immer ein Volumen auf, das kleiner ist als die Summe der Einzelvolumina. Es ist daher zweckmäßig, partielle molare Größen zu definieren, etwa ∂v Vi = (3-17) ∂ni p ,T , n j 16 Partielle Volumina können sogar negativ (MgSO4 in Wasser) oder Null (Eier im Eierkarton) sein. Hält man die Zusammensetzung konstant, so folgt wegen der Extensivität von v aus dv = ΣVi dni (3-18), v = ΣVi ni (3-19). dass Bildet man das Differential, so ergibt sich jedoch dv = ΣVi dni + Σni dVi. Das kann nur richtig sein, wenn Σni dVi = 0 (3-20) (vgl. GIBBS-DUHEM-Gleichung, Anhang 2). Hieraus folgt, dass die partiellen Volumina nicht alle unabhängig voneinander sind: Im binären System (Zweistoff-System) ist n1 dV1 = –n2 dV2 (3-21). Zur experimentellen Bestimmung von Partialvolumina kann allgemein die Definitionsgleichung (3-17) dienen. Für binäre Mischungen existiert eine genauere Methode, die von dem mittleren Molvolumen V = v = x1V1 + x 2V2 = (1 − x 2 )V1 + x 2V2 n1 + n 2 (3-22) ausgeht, woraus folgt, dass ∂v ∂V = V + (n1 + n 2 ) V1 = ∂n1 n2 ∂n1 n2 (3-23). Da ∂V dV = n ∂ 1 dx 2 ∂x 2 dV = ∂n1 n2 dx 2 n2 − (n + n ) 2 1 2 erhält man aus (3-23) dV V1 = V − x 2 dx 2 das ist die Gleichung einer Geraden. (3-24), (3-25), Bestimmt man also das mittlere Molvolumen als Funktion von x2, so erhält man die Partialmolvolumina als Achsenabschnitte einer Tangente an die Kurve (s. Skizze). 3.3.2 Mischungsentropie Das chemische Potenzial eines reinen (Index 0) idealen Gases ist gegeben durch 17 µ 0i = µiΘ (T ) + RT ln p pΘ (3-26) (zum ln-Term vergl.Teil I, Gl. (5-12)). In einer Mischung von idealen Gasen sind die Mengenanteile xi der Komponenten mit dem Partialdrücken pi und dem Gesamtdruck p durch pi = xi p ((2-5) in Teil I) verknüpft, und das chemische Potenzial der Komponente i in der Mischung ist µ i ( p, T , x i ) = µ iΘ (T ) + RT ln pi = µ 0i ( p, T ) + RT ln x i pΘ (3-27) Für xi = 1 ergibt sich das chemische Potenzial des reinen Stoffs. Bei sich nicht ideal verhaltenden Gasen führt man die Aktivität ai ein (vgl. Teil I, Kap. 5.2). Sie bezeichnet einen um die Abweichung von der Idealität korrigierten Stoffmengenanteil: ai = ϕi · xi (ϕi : Aktivitäts- oder Fugazitätskoeffizient5). Damit wird µ i = µ 0i + RT ln ai (3-28) (Erinnerung: So definiert ist die Aktivität dimensionslos und ohne Trick zu logarithmieren.) Entfernt man in einem System mit zunächst getrennten Gasen A und B die Trennwand, so tritt spontane Durchmischung ein, verbunden mit einer Erhöhung der Entropie und einer Erniedrigung der Freien Enthalpie. Es gilt im System mit getrennten Gasen g0 = nA µ 0A + nBµ 0B und nach der Durchmischung gm = nA µ A + nBµ B. Entsprechend ist die Freie Mischungsenthalpie ∆g m = g m − g 0 = n A ( µ A − µ 0 A ) + n B ( µ B − µ 0 B ) = n A RT ln x A + n B RT ln x B = (n A + n B ) RT ( x A ln x A + x B ln x B ) (3-29) Wegen 0 ≤ xi ≤ 1 ist ∆gm < 0. Allgemein lässt sich der Effekt der Mischung von idealen Gasen auf den Zahlenwert der Freien Enthalpie wie folgt ausdrücken ∆g m = (∑ ni )RT ∑ xi ln xi (3-30) Daraus folgt für die Mischungsentropie ∂∆g m (3-31) ∆sm = − = − (∑ ni )R ∑ xi ln xi > 0 ∂T p , ni Für binäre Mischungen (idealer Gase) durchlaufen ∆gm ein Minimum und T∆sm ein Maximum als Funktion von x, jeweils bei xi = 0,5. ihre Summe ist jeweils = 0. Deshalb verschwindet die Mischungsenthalpie ∆hm für ideale Mischungen: ∆hm = ∆gm + T∆sm = 0 (3-32), 5 In diesem Text wird unterschieden fi: Aktivitätskoeffizient bei kondensierten Mischungen, ϕi: Fugazitäts- oder Aktivitätskoeffizient bei Gasen (Dämpfen); γi: Ionenaktivitätskoeffizient; Aktivitäten immer a1. 18 im realen Fall erhält man jedoch ∆gm = (Σni) RT Σxi ln ai = (Σni) RT Σxi ln ϕixi (3-33). Die Differenzen zwischen diesen Größen und denen für die idealen Systeme werden als Exzess-(Zusatz-, Überschuss-)Größen bezeichnet; z.B. ist die Freie Exzess-Enthalpie ∆gE = ∆gm – id∆gm = (Σni) RT Σxi ln ϕi (3-34). Die Exzess-Enthalpie ist identisch mit der experimentell bestimmbaren Mischungsenthalpie (Mischungs- bzw. ggf. Lösungswärme) ∂∆g E ∆hE = ∆g E + T∆sE = ∆g E − T ∂T p , ni ∂ ln ϕ i = − (∑ ni )RT 2 ∑ xi ∂T p , ni (3-35). = ∆g m + T∆sm = ∆hm 3.4 Grenzflächen 3.4.1 Thermodynamische Größen der Grenzflächenchemie An der Grenzfläche zwischen zwei Phasen unterliegen die Moleküle einseitigen Anziehungskräften und haben daher eine andere Energie als die Moleküle innerhalb der Phase. Bei makroskopischen Körpern ist die Zahl der Grenzflächenmoleküle klein gegenüber der Gesamtzahl der Moleküle des Körpers und man kann die Energieunterschiede meist vernachlässigen. Oberfläche O und Volumen stehen jedoch nicht in einem festen Verhältnis. Wird bei konstanter Gesamtmasse der Körper immer mehr zerkleinert, so vergrößert sich die Oberfläche gewaltig. Beispiel: Kubischer Kristall mit 1 cm Kantenlänge bestehe aus Atomen von 0,2 nm Durchmesser; entlang einer Kante befinden sich 5·107 Atome, insgesamt sind 125·1021 Atome im System. An der Oberfläche befinden sich dann 6·25·1014 = 1,5 1016 Atome entsprechend 1,2·10-5 % der Gesamtzahl. Zerkleinert man den Kristall in Würfelchen von 0,1 µm = 10-5 cm Kantenlänge, so ist die Zahl der Atome an der Oberfläche aller 1015 Kristallite nunmehr 6 5002 1015 = 1,5·1021 entsprechend 1,2 %. Das Zerkleinern eines solchen Kristalls erfordert die Zufuhr von mechanischer Arbeit. Allgemein wird die Energie eines Systems erhöht, wenn die Oberfläche um den Betrag dO vergrößert wird, so dass man schreiben muss dg = vdp − sdT + γdO dh = Tds + vdp + γ dO du = Tds – pdv + γ dO df = –sdT – pdv + γ dO Die Größe ∂g ∂u ∂h ∂f = = = ∂O p ,T ∂O s ,v ∂O s , p ∂O T ,v γ = 19 (3-37) (3-36) heißt Oberflächenspannung oder Oberflächenarbeit und ist immer positiv. Sie wird in J/cm2 angegeben. K dx l Dass die Oberflächenarbeit ein reversibler Arbeitsbetrag ist, ergibt sich aus dem Bügelversuch. Um eine Flüssigkeitslamelle im Gleichgewicht zu halten, muss eine Kraft K aufgewendet werden. Zur Verschiebung des Bügels um eine Strecke dx muss die reversible Arbeit da = Kdx = γdO = γ·2·ldx (3-38) aufgewendet werden, d.h. γ = K / (2 l). (3-39) Für die nachfolgende Betrachtung, bei der p und v konstant gehalten werden, ist es zweckmäßig, die freie Energie f = u – Ts (auch Helmholtzenergie genannt) zu verwenden. Gleichzeitige Änderung von Volumen und Oberfläche Wird ein Dampf kondensiert (Tröpfchenbildung) bzw. in ein Gefäß mit gekrümmten Grenzflächen (Kapillarsystem) einkondensiert, so treten Oberflächen und Volumenänderungen gleichzeitig auf. Hierzu das skizzierte Gedankenexperiment: Zufuhr der Arbeit da durch Bewegung des Kolbens im linken Zylinder nach rechts bewirkt eine reversible Änderung der Oberfläche und der beiden Volumina vg und vfl, dann ist da= – pfldvfl – pgdvg + γdO (3-40). Aus dem ersten Hauptsatz du = dq + da und der Definition der Freien Energie f erhält man df = – sdT – pfldvfl – pgdvg + γdO (3-41) (und entsprechende Beziehungen für dh und dg). Im Gleichgewicht fl ⇌ g hat die Freie Energie ein Minimum und bei konstanter Temperatur ist df = 0 = – pfldvfl – pgdvg + γdO (3-42). Bei konstantem Gesamtvolumen ist dvg = – dvfl und daher (pfl –pg)dvfl = γdO (3-43) Bei Flüssigkeiten mit ebenen Oberflächen, die sich in zylindrischen Gefäßen befinden, bewirkt eine Ausdehnung dvfl der flüssigen Phase auf Kosten der Gasphase keine Veränderung der Oberfläche O; d.h. dO = 0 und daher ist auch pfl = pg. Ist jedoch die Flüssigkeit ein kugelförmiges Tröpfchen vom Radius r, so gilt dvfl = 4πr2dr und dO = 8πrdr, so dass pfl − pg = γ dO 2γ = dvfl r (3-44) 20 d.h. der Druck im Tropfen ist größer als in der Gasphase und der Tropfen ist nur existent, weil die Oberflächenspannung wie eine Membran um den Tropfen wirkt. Für den Stoffaustausch zwischen den Phasen (Verdampfung bzw. Kondensation) gilt im Gleichgewicht µfl = µg und dµfl = dµg . Wegen dµ = − SdT + Vdp (3-45) ist bei konstanter Temperatur Vfl dpfl = Vg dpg (3-46) und aus (3-44)) folgt Vg 1 d( pfl − pg ) = − 1dpg = 2γd (3-47) r Vfl Da Vg >> Vfl, folgt bei Gültigkeit des idealen Gasgesetzes für die Gasphase: RT 1 Vg 2γd = dp g = dp g Vfl pg r Vfl (3-48). Integration von p0 (Dampfdruck bei ebener Oberfläche, d.h. 1/r → 0) bis p ergibt 2γ RT p = ln r Vfl p0 bzw. ln p 2γ Vfl = ⋅ p0 r RT (3-49) d.h. der Dampfdruck p eines kleinen Tröpfchens ist größer als der über einer ebenen Flüssigkeitsoberfläche und sehr kleine Tröpfchen sind unstabil (s. Kap. 3.4.5). Ähnliches gilt für die Löslichkeit kleiner Festkörperteilchen. Temperaturabhängigkeit der Oberflächenspannung γ Als Funktion der Temperatur muss die Oberflächenspannung beim kritischen Punkt verschwinden. Empirisch gilt im linearen Teil untenstehender Skizze bis zu Temperaturen, die nur wenig unter der kritischen Temperatur Tk liegen, die EÖTVÖSRegel 2 γVfl 3 = k E (Tk − 6K - T ) (3-50), wobei kE als EÖTVÖS-Konstante bezeichnet wird. Etwa 6 K unterhalb von Tk geht der lineare Abfall der Kurve in einen gekrümmten über (s. Abb.. Nach dem Theorem der übereinstimmenden Zustände (s. Kap. 1.1.2) sollte kE eine universelle Konstante vom Betrag ca. 230 nJ·K–1 mol–2/3 sein. Praktisch findet man jedoch nur bei einigen unpolaren Substanzen übereinstimmende kE-Werte, die sich sonst als sehr individuell erweisen (s. Tabelle). 21 -6 3 γ/ mJ/m2 Vfl /10 m /mol Substanz T /°C He –270.7 0.308 32.792 77.9 N2 –200 9.85 17.34 152.4 H2 O 20 72.75 18.016 101.7 CCl4 20 26.95 96.499 254.8 ← C2H5OH 20 22.75 58.368 129.4 CH3COCH3 20 23.70 73.528 220.3 ← C 6 H6 20 28.85 88.909 265 ← Hg 25 483.5 14.808 204 ← Na 110 205.7 24.496 Ag 1100 907 11.763 d γV 2 3 fl nJ = kE / − 2 dT Kmol 3 42.5 160 3.4.2 Mehrkomponentensysteme (GIBBS-Adsorptionsisotherme) Bei jedem Zweiphasensystem kann man drei Bereiche unterscheiden: zwei homogene Phasen α und β und eine Zwischenphase, in der die Eigenschaften der einen Phase kontinuierlich in die der anderen übergehen. Um die Eigenschaften der Zwischenphase genau zu beschreiben, müsste ihre Zusammensetzung bekannt sein. Im allgemeinen hängen die Konzentrationen der Komponenten in der Zwischenphase empfindlich von der Lage der Begrenzungen der Zwischenphase gegenüber den beiden homogenen Phasen ab. Da es unmöglich ist, diese Begrenzungen mit der erforderlichen Genauigkeit (Bruchteile von nm) festzulegen, geht man in der Thermodynamik von einem phänomenologischen Modell aus, nach dem eine streng 2-dimensionale Fläche das gesamte Volumen in zwei Anteile unterteilt: v = vα + vβ (3-51) Für jede Komponente i definiert man Mengen nαi = cαi vα ; nβi = cβi vβ (3-52) durch die Konzentrationen cαi und cβi im Inneren der homogenen Phasen α und ß. Damit das Modellsystem mit dem realen übereinstimmt, muss die Gesamtmenge der Komponente i durch ni = nαi + nβi + nOi (3-53) 22 gegeben sein, wobei nOi eine Überschussgröße bezeichnet, die der Fläche O zugeordnet ist. Je nachdem, ob in der Zwischenphase eine Anreicherung oder Verarmung der betreffenden Komponente stattfindet, ist nOi positiv oder negativ (seltener = 0). Davon abgeleitet ist die Oberflächenkonzentration (auch„Adsorption“ genannt) Γ i = nOi / O (in mol/cm2) (3-54) die ebenfalls eine Überschussgröße bezeichnet. Analog definiert man Oberflächenenergie, -entropie, usw. durch uO = u − uα − u β ; u β = U β v β usw. (3-55) sO = s − sα − s β usw.; daher folgt für dp = 0 dgO = − sO dT + γdO + ∑ µi dnOi (3-56) (3-57) (Im Gleichgewicht ist µ Oi = µ αi = µ βi = µ i). Bei konstanter Temperatur ist dg O = γ dO + ∑ µ i dnOi und g O = γO + ∑ µi nOi Differentialbildung führt zu dgO = γ dO + O dγ + ∑ µ i dnOi + ∑ nOi dµ i bzw. (analog zur GIBBS-DUHEM-Gleichung6) O dγ + ∑ nOi dµi = 0 = O dγ + ∑ O Γ i dµi Dividiert man durch O, so wird dγ = − ∑ Γ i dµ i GIBBSsche Adsorptionsgleichung (3-58) (3-59) (3-60) (3-61) (3-62) bzw. für zwei Komponenten dγ = − Γ 1 dµ1 − Γ 2 dµ 2 (3-63). Wegen der Gibbs-Duhem-Gleichung ∑ ni dµ i = 0 (3-64) können µ 1 und µ 2 nicht unabhängig voneinander variiert werden ( dµ1n1 = −dµ2 n2 ). Man schreibt daher dµ1 = −dµ2 n2 / n1 ≈ −dµ2 c2 / c1 (3-65), so dass nach (3-63) c dγ = − Γ 2 − Γ 1 2 dµ 2 c1 (3-66) Der Ausdruck Γ 2,1 = Γ 2 − Γ 1 ∂γ c2 = − c1 ∂µ 2 T (3-67) bezeichnet daher eine relative Oberflächenkonzentration. Für ideale Lösungen gilt µ 2 = µ 2o + RT ln c2 / c Θ 6 (3-68) Siehe Anhang 2 23 und man kann relative Oberflächenkonzentrationen aus der Konzentrationsabhängigkeit der Oberflächenspannung bestimmen nach 1 ∂γ (3-69). o RT ∂ ln c2 / c T Es folgt unmittelbar, dass Substanzen, die die Oberflächenspannung herabsetzen (oberflächenaktive Substanzen) in der Grenzschicht angereichert sind (Γ2,1 > 0). Hierbei ist die Dimension der Konzentration unerheblich, da in jedem Falle proportional zur Stoffmenge. In praktischen Fällen ist die Komponente 1 das Lösemittel und die Komponente 2 ein gelöster Stoff, z.B. ein Spülmittel (Tensid) in Wasser. Die Phasengrenzfläche zwischen Lösung und Luft ist in guter Näherung so zu definieren, dass sich für Wasser keine Überschusskonzentration ergibt. Dann ist Γ1 = 0 und Γ2,1 = Γ2. Γ 2,1 = − Gl. (3-57) ist eine rein thermodynamische Beziehung und gilt daher streng. Dennoch ist eine Überprüfung reizvoll, und die dazu angestellten Experimente haben wesentlich zum Verständnis der Anreicherung von oberflächenaktiven Substanzen in Grenzschichten beigetragen. Drei brauchbare Methoden: – Abscheren von Grenzschichten mit Mikrotomen und Analyse – Ellipsometrie (Änderung des Polarisationszustands von Licht bei Refexion oder Transmission) – Verwendung von Substanzen, die mit Atomen wie 14C, 35S usw. markiert sind, deren weiche β-Strahlung eine Reichweite von der Größenordnung der Grenzschichtdicke hat, z.B. 3.4.3 Adhäsion und Kohäsion von Flüssigkeiten, Spreitprozesse Ein quantitatives Maß für die Adhäsion einer Flüssigkeit B an einer Flüssigkeit A ist die Oberflächenarbeit ∆aBA, die verrichtet werden muss, um die Flüssigkeiten von einander zu trennen. Dabei entstehen zwei neue, gleich große Oberflächen ∆O der Flüssigkeiten gegen Luft: ∆a BA = (γ A + γ B − γ BA ) ∆O (3-70) (∆aBA ist die Adhäsionsarbeit, γ jeweils gegen Luft gemessen) Ist B = A, so erhält man wegen γ AA = 0 die Kohäsionsarbeit: ∆a AA = 2γ A ∆O (3-71), die bei der Trennung eines Flüssigkeitsvolumens in zwei Teile aufzubringen ist. Beim Spreiten von B auf A findet eine spontane Ausbreitung eines zunächst aufgebrachten dicken Tropfens statt. Bei konstanten Werten von Druck und Temperatur gilt für die mit dem Spreiten verbundene Änderung der freien Enthalpie des Gesamtsystems dg = γ A dOA + γ B dOB + γ BA dOBA 24 (3-72). Da sich die Oberfläche von B gegenüber Luft und gegenüber A auf Kosten der Oberfläche von A (gegenüber Luft) vergrößert, gilt dOB = dOBA = −dOA = dO (3-73) und − ∆g = (γ A − γ B − γ BA ) ∆O = SBA ∆O (s. A. W. Adamson, Physical Chemistry of Surfaces, Kap. IV). (3-74) Der Spreitungskoeffizient SBA ist daher positiv, wenn Spreiten spontan erfolgt. In diesem Fall ist die Adhäsion von B und A größer als die Kohäsion von B: SBA = (∆aBA – ∆aBB)/∆O (3-75) Die Spreitung unterscheidet sich prinzipiell von der Anreicherung einer oberflächenaktiven Substanz in der Grenzfläche (siehe oben), weil sich B in der unteren Phase A nicht löst oder nur in einer sehr kleinen aber konstanten Konzentration vorliegt. Wenn sich B und A etwas ineinander lösen, ist im allgemeinen SB(A)A(B) ≠ SBA. So findet man, dass Benzol auf Wasser zunächst spreitet, weil SBA > 0; anschließend zieht sich das aufgetropfte Benzol zu einer Linse an der Wasseroberfläche zusammen, weil SB(A)A(B) < 0. 3.4.3.1 Monoschichten Die Spreitung tritt bei schwer löslichen Substanzen auf, die einen dünnen Film auf der Oberfläche einer Flüssigkeit (oder einer anderen Unterphase) bilden. Die Oberflächenkonzentration ist hier unmittelbar durch die auf die Flächeneinheit aufgegebene Substanzmenge definiert und daher nicht besonders interessant. Wichtiger ist die Herabsetzung der Oberflächenspannung durch die bedeckende Schicht, die bei Destillationsvorgängen, bei der Flotation und bei Waschprozessen (Verhinderung der Schaumbildung!) eine praktische Rolle spielt. Auch die Bildung eines Flüssigkeitsfilms auf Schleimhäuten gehört hierher. Typischer Vertreter dieser Substanzklassen sind die höheren Fettsäuren und -alkohole, die sich über eine beliebig große Wasseroberfläche spontan ausbreiten („Spreiten“, s.o.), aber auch durch bewegliche Barrieren zusammengeschoben werden können. Es hat sich gezeigt, dass sich die Oberflächenspannung solcher Schichten drastisch ändert, wenn der Substanz weniger als etwa 0.2 nm2/Molekül zur Verfügung steht („POCKELSPunkt7“). Dieser Wert wird als Platzbedarf eines Moleküls in einem monomolekularen Film gedeutet. Da der Platzbedarf unabhängig von der Kettenlänge ist (zwischen C16 und C26 geprüft), ergibt sich, dass die Moleküle am Pockels-Punkt senkrecht zur Oberfläche angeordnet sein müssen. Die beim Spreiten auftretenden Kräfte lassen sich in einem LANGMUIR-Trog messen: der Trog wird zunächst bis zum Rand mit reinem Lösungsmittel (meist Wasser) gefüllt. Zwischen Barriere und Schwimmer wird ein Tropfen einer Lösung aufgetragen, die den Schichtbildner enthält (z.B. Stearinsäure in Benzol). Nach dem Verdunsten des Lösemittels kann man die Eigenschaften der Schicht durch Verschieben der Barriere und Messen der dabei am Schwimmer auftretenden Kräfte untersuchen. 7 Nach AGNES POCKELS, 1862-1935, Braunschweig 25 Als Oberflächendruck bezeichnet man die Größe π = γ0 −γ (3-76), wobei γ0 und γ die Oberflächenspannung von reiner Unterphase und von der Unterphase mit gespreiteter Schicht bezeichnen. Die Verschiebung des Schwimmers erfordert einen Arbeitsbetrag ( da = −π ⋅ l ⋅ dx = −π ⋅ dO ). Trägt man π gegen O bei verschiedenen Temperaturen auf, so erhält man Isothermen, die für verschiedene Substanzen sehr unterschiedlich sein können. Wenn die Wechselwirkung zwischen den Molekülen gering ist (oder die Verdünnung hinreichend hoch), verhält sich die Substanz wie ein zweidimensionales Gas: RT πO = nO RT = mO (3-77) bzw. M π = Γ RT (3-78) Andere Substanzen verhalten sich wie ein zweidimensionales VAN-DER-WAALS-Gas. Es besteht eine zweidimensionale Analogie zu idealem Gas ideales Gas p= gespreitete Moleküle (ideal) n RT v nO ⋅ RT = Γ ⋅ RT [Hyperbel π = f(O)] O RT π ⋅ O = nO ⋅ RT = mO M π= [Hyperbel p= f(v)] RT M Aus kinetischer Gastheorie: pv = nRT = m 2 ↓ 1 2 ↓ 1 L m w2 3 L: Loschmidtzahl 2 ( RT = ) pV = L ⋅ ε kin 3 (εkin) = kinetische Energie = Translationsenergie εt pv = 1 N O m w2 2 NO = Teilchenzahl / Fläche für 1 Teilchen: 1 kT = π ⋅ σ = m w 2 = ε kin = ε t 2 σ : Fläche, die ein Molekül beansprucht π= 3 3 2 2 3 Freiheitsgrade ε t = RT / L = kT εt = kT 2 Freiheitsgrade Entsprechend ergibt sich eine zweidimensionale Analogie zu realem Gas reales Gas: a p + 2 (V − b) = RT V gespreitete Schicht (real): α π + 2 (σ − β ) = k ⋅ T FM „VAN-DER-WAALS-Gleichung“ FM: Flächenbedarf eines Moleküls (bzw. 26 seiner Kopfgruppe) schwer zu messen, Barriere sehr langsam bewegen! I = gasanalog, II = Koexistenz gasanalog / flüssiganalog (Filmbildung), III = flüssig-ausgedehnt, IV = Koexistenz flüssigausgedehnt / flüssig-kondensiert (Folie) V = flüssig-kondensiert, VI = fest-kondensiert, VII = kollabierte Phase Monoschichten behindern die Verdampfung der Flüssigkeit, die sie bedecken. Sie setzen dem Übertritt der Flüssigkeitsmoleküle in die Gasphase einen vom Oberflächendruck π abhängigen Widerstand entgegen. Bei Vergrößerung des Oberflächendrucks geht der Widerstand gegen einen konstanten Grenzwert, der der dicht gepackten fest-kondensierten Phase entspricht und deshalb die Ermittlung des Platzbedarfs der Kopfgruppe bzw. des Molekülsquerschnitts ermöglicht. Von besonderem Interesse sind reaktionskinetische Studien an Monoschichten, da hier die Möglichkeit besteht, Moleküle in bestimmter Orientierung zueinander reagieren zu lassen. 3.4.4 Benetzung Wenn sich ein Flüssigkeitstropfen L in der Atmosphäre eines Gases G auf der festen Unterlage S befindet, dann treten die drei Grenzflächenspannungen γGS, γGL, und γLS auf, und es bildet sich ein für die Benetzung der Oberfläche charakteristischer Randwinkel θ aus. Im Gleichgewicht ist 27 γ GS = γ LS + γ GL ⋅ cos θ (YOUNG-Gleichung) (3-79). γGS und γLS sind nicht unabhängig voneinander meßbar; ihre Differenz ist die Haftspannung γH= γGS – γLS, die positive und negative Werte annehmen kann. Für θ < 90° ist γH > 0. Dagegen ist γH < 0, wenn 90° < θ < 180 °. Im ersteren Fall spricht man davon, dass die Flüssigkeit den Festkörper benetzt (z.B. Wasser an Glas), im letzteren, dass sie ihn nicht benetzt (z.B. Wasser auf Paraffin oder Quecksilber auf Glas). Proportional zur Haftspannung ist die Steighöhe h von Flüssigkeiten in Kapillaren (vgl. aber Anhang). Ist r der Radius der Kapillare, so kann man näherungsweise8 die Oberfläche des Flüssigkeitsspiegels in der Kapillare als Teil einer Kugeloberfläche mit demselben Radius auffassen. Im Gleichgewicht halten sich der hydrostatische Druck ρgh der Flüssig2γ keitssäule und der durch (3-49) gegebene Kapillardruck pfl − pg = die Waage: r 2γ H 2γ cos θ h= = GL (3-80) ρ gr ρ gr (ρ ist die Dichte der Flüssigkeit und g die Erdbeschleunigung). Bei benetzenden Flüssigkeiten (θ ≈ 0) ist die Bestimmung der Steighöhe eine bequeme Methode zur Messung von Oberflächenspannungen γGL. Komplizierte Apparaturen ermöglichen die Bestimmung des Randwinkels θ. 3.4.5 Keimbildung Die Bildung einer neuen Phase, z.B. beim Kristallisieren von Festkörpern aus Flüssigkeiten, Kondensieren von Flüssigkeiten aus Dämpfen usw., verläuft über kleine Molekülaggregate („Keime“). Erfahrungsgemäß findet Keimbildung nur statt, wenn eine gewisse Übersättigung vorliegt. Sehr reines Wasser kann z.B. ohne weiteres auf –40 °C unterkühlt werden, bevor spontane Kristallisation einsetzt. Die Ursache für dieses Verhalten ist die geringe Stabilität der kleinen Molekülaggregate. Die Aggregation von Molekülen eines übersättigten Dampfes D zu einem Keim K (Flüssigkeitströpfchen) D ⇌ K ist mit einer Änderung der Freien Enthalpie verbunden, die sich bei konstanter Temperatur durch dg = vdp + ( v K dpK ) + γdO (3-81) ausdrücken lässt, wobei v und vK die Volumina von Dampf und Keim bezeichnen und vK gegenüber v vernachlässigt werden kann. Entsprechend sind p und pk die (im allgemeinen verschiedenen) Drücke im Dampf und im Keim. O ist die Oberfläche des Keims und γ die Oberflächenspannung. Wenn sich der Dampf ideal verhält, und wenn der Keim die Form 8 Siehe Anhang 1 28 eines kugelförmigen Tröpfchens vom Radius r hat, gilt für die Kondensation von n Mol Dampf p ∆g = − n RT ln + 4 πr 2γ (3-82) pK wobei der zweite Term in (3-81) wegen vK << v vernachlässigt wurde. Drückt man n durch das Molvolumen V der Keimphase aus, so wird 4 πr 3 p ∆g = − RT ln + 4 πr 2γ (3-83) 3 V pK =n Im Fall der Übersättigung ist p > pk und ∆g(r) durchläuft ein Maximum, das zu einem kritischen Tröpfchenradius rc gehört, und zwar erhält man aus (3-63) für d∆g = 0 die Beziehung rc = mit 2γ V RT ln( p / pK ) ∆g max = 4 2 π rc γ 3 (3-84) (3.85). Das Maximum in der Kurve ∆g = f(r) folgt auch, wenn man die Gibbs-Helmholtz-Gleichung ∆g = ∆h – T ∆s + γ∆O (mit Berücksichtigung der Oberflächenänderung) ansetzt. ∆O ist zu Beginn der Kondensation so groß, dass ∆g positiv ist; wird dann bei wachsendem r kleiner und verschwindet schließlich bei sehr großen r entsprechend einer (praktisch) ebenen Grenzfläche. Die Kurve schwenkt dann in einen negativen konstanten ∆g-Wert für die Kondensation ein. Beispielsweise wird für Wasserdampf von 0 °C und p/pK = 4 mit Hilfe von (3-84) ein kritischer Wert rc = 0.83 nm berechnet, der einem Keim von 90 Wassermolekülen entspricht. Für r < 3rc/2 ergibt sich aus (3-81) mit (3-82) dass ∆g > 0. Keime dieser Größe sind daher nicht stabil und können unter Erniedrigung der Freien Enthalpie wieder zerfallen; an größeren Keimen, für die < 0 ist (d.h. r > r0 = 3rc/2), verläuft die Kondensation dagegen spontan, bis ein Gleichgewichtszustand erreicht ist. Setzt man (3-84) in (3-85) ein 16π γ 3 V 2 ∆g max = (3-86), 3 [ RT ln( p / pK )]2 so ergibt sich, dass ∆gmax durch Erhöhung der Übersättigung p/pK herabgesetzt werden kann. Damit erhöht sich auch die Geschwindigkeit der Keimbildung, die insbesondere von der thermischen Wahrscheinlichkeit der kritischen Keime abhängt (und mit der statistischen Theorie von Becker und Döring berechnet werden kann; Ann. Phys. 24 (1935) 719; s. auch Bradley, Quart.Rev. 5 (1951) 315). Der Grundgedanke dieser Theorie ist, dass sich beim Aufbau von Keimen ein stationärer Zustand einstellt, in dem die Konzentration eines Keims bestimmter Größe (d.h. Molekülzahl) einen von der Zeit jeweils unabhängigen Wert annimmt. Die Aggregation hängt dann wesentlich von der Zweierstoßfrequenz ZAA (vgl. Teil I, Kap. 2) ab, so dass man für die Keimbildungsrate vereinfacht schreiben kann 29 ∆Gmax (3-87) gas → flüssig RK = Z AA exp − RT (In der vollständigen Theorie tritt anstelle von ZAA ein anderer Zahlenfaktor auf, der jedoch etwa die gleiche Größenordnung hat. Die Keimbildungsrate RK wird allerdings nicht so sehr von ZAA sondern mehr vom Zahlenwert von ∆Gmax bestimmt.) Auch bei anderen Keimbildungsvorgängen, wie dem Erstarren aus der unterkühlten Schmelze, dem Kristallisieren aus der übersättigten Lösung usw., lässt sich eine ähnliche Theorie formulieren. Unterschiede treten hierbei insbesondere bei der Berechnung des Frequenzfaktors auf. Beispielsweise ist der Häufigkeitsfaktor bei der Erstarrung aus der unterkühlten Schmelze durch den Ausdruck für die aktivierte Diffusion gegeben. Ist ∆GD die Freie Aktivierungsenthalpie der Diffusion und Nv die Molekülzahldichte in der Schmelze, so erhält man für die Keimbildungsrate (Lösung/Schmelze→ Kristallisation) kT ∆GD ∆Gmax (3-88) RK = N v exp − exp − h RT RT =ˆ Z in der Gasphase Mit zunehmender Unterkühlung wächst zwar die Wahrscheinlichkeit der Keime, die Diffusion von Molekülen zu den Keimen wird jedoch erschwert. Es lässt sich zeigen, dass diese Situation dazu führt, dass die Keimbildungsrate einen Maximalwert erreicht, der bei weiterer Abkühlung wieder unterschritten wird. Viele Flüssigkeiten erstarren daher zu Gläsern, z. B. Ethanol oder Gemische aus Methylcyclohexan und etwas Isopentan. Solche glasartig erstarrten Gläser sind als Lösemittel für optische Untersuchungen bei tiefen Temperaturen brauchbar. 4. Kinetik 4.1 Bimolekulare Reaktionen Gasphase Ganz allgemein lässt sich die Geschwindigkeit einer Reaktion mit Hilfe der im Teil I bereits definierten Reaktionslaufzahl9 ξ = dni/νi als Umsatzgeschwindigkeit ω ω = dξ / dt (4-1) formulieren. Die Reaktionsgeschwindigkeit r ist dann r = ω / v = (1/νi)(dci /dt); (4-2) r wird meist in mol dm-3 s-1 angegeben. Falls sich das Volumen bei der Reaktion nicht ändert, sind Umsatzgeschwindigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit proportional zueinander. Einfachster Typ einer bimolekularen chemischen Elementarreaktion ist A + B → P (P: allgemein Produkte). Nach diesem Schema laufen viele Atom- und Radikalreaktionen in der 9 dξ = 1 mol bedeutet, dass ein Formelumsatz durchlaufen wurde 30 Gasphase ab, wie z.B. Na + Cl2 → NaCl + Cl. Die Wahrscheinlichkeit der Bildung von Produkten ist proportional zu den Teilchendichten Ni und zur Zeit t. Für Gasreaktionen bei konstantem Volumen schreibt man zweckmäßigerweise r = dNP/dt = kr NA NB = kr L2 cA cB (4-3) wobei die ci Konzentrationen und L die AVOGADRO-Konstante (oder LOSCHMIDT-Zahl) bezeichnen; die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante kr hat die Bedeutung einer spezifischen Reaktionswahrscheinlichkeit pro Zeit, die für Gasreaktionen meist in cm3/s angegeben wird (jetzt nicht mehr molar!). Sie lässt sich nach der kinetischen Gastheorie als ein Produkt aus der mittleren Relativgeschwindigkeit w der Edukt-Moleküle und einem Reaktionsquerschnitt Q ausdrücken kr = Q w (bzw. kr = Q w L) (4-4), wobei w = (8 k T / π µ)1/2 und µ = mAmB / (mA + mB). Wenn die Moleküle A und B bei jedem Zusammenstoß reagieren, d.h. bei sehr schnellen Reaktionen (ohne Aktivierungsenergie), ist Q gleich dem gaskinetischen Querschnitt Qg, der nach (4-5) Qg = π d 2 berechnet werden kann; d ist ein Stoßdurchmesser, der aus der VAN-DER-WAALS-Konstanten b = 2/3 π d3 L oder aus Messungen der Gasviskosität zu entnehmen ist. Bei Reaktionen unterschiedlich großer Moleküle A und B miteinander muss anstelle von d für den Stoßdurchmesser dAB = 1/2 (dA + dB) gesetzt werden. Mit Q = Qg ergibt (4-4) die maximal für bimolekulare Gasreaktionen mögliche Geschwindigkeitskonstante an, d.h. jeder Stoß führt zur Reaktion und die Reaktionsgeschwindigkeit ist entsprechend direkt proportional zur Stoßfrequenz in der Volumeneinheit ZAB (vgl. Teil I, Kap 2, dort (2-46a) und (2-47)). Daher gilt ZAB = Q w NA NB = Q w L2 cA cB ~ r (4-6). ZAB entspricht zugleich der maximal mögliche Geschwindigkeitskonstante für bimolekulare Reaktionen in der Gasphase. Dabei ist im allgemeinen Q erheblich kleiner als Qg, weil Zusammenstöße der Edukte nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Produktbildung führen. Im thermischen Mittel ist Q durch Q = P Qg exp (- E’a / kT) (4-7) gegeben. Hierin ist E’a ein Maß für die relative Mindest-Stoßenergie, die zur Reaktion führt, und P bezeichnet einen sterischen Faktor, der ggf. die Wahrscheinlichkeit einer für den Reaktionsablauf günstigen Orientierung der zusammenstoßenden Moleküle angibt. Einsetzen von (4-7) und (4-5) in (4-4) ergibt kr = P Qg w exp (– E’a / kT) = k∞ exp (– EA / kT) („ARRHENIUS-Gleichung“) (4-8). (vgl. (4-10) in Teil I; E’a und EA sind nicht gleich, da in w eine zusätzliche Temperaturabhängigkeit steckt.) Wenn eine Reaktion A + B → P mit der Geschwindigkeit kr NA NB verläuft, so folgt daraus keineswegs zwingend, dass die Reaktion ein bimolekularer Elementarprozess ist. Beispiels- 31 weise gilt für die Reaktionsgeschwindigkeit der Reaktion H2 + I2 → 2 HI durchaus das Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz r = k ·p(H2) · p(I2). Mechanistisch spielt sich jedoch folgendes ab: Zunächst wird das Dissoziationsgleichgewicht eingestellt I2 ⇌ 2 I (Geschw.-Konstanten khin und krück) (4-9) mit der Gleichgewichtskonstante K = khin/ krück = p2(I) / p(I2), (4-10). Anschließend folgt eine langsame Weiterreaktion nach 2 I + H2 → 2 HI (Geschw.-Konstante k2) (wahrscheinlich aufgeteilt in weitere zwei bimolekulare Schritte). Für die Reaktionsgeschwindigkeit erhält man zusammengefasst r = ½ dp(HI)/ dt = k2 p2(I) · p(H2) = k2 K ·p(H2) · p(I2), (4-11). Also ergibt sich insgesamt ein Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz zweiter Ordnung. Kondensierte Phasen In Lösung muss berücksichtigt werden, dass die Reaktionspartner solvatisiert vorliegen, d.h. von einer mehr oder weniger dicken Hülle aus Lösemittelmolekülen umgeben sind. Diese Hülle behindert das Zusammenstoßen der Reaktionspartner. Sind die Partner erst einmal in einer gemeinsamen Lösemittelhülle vereint, ist die Wahrscheinlichkeit für zahlreiche aufeinander folgende Stöße groß, so dass die Stoßfrequenz hier nicht die maximal mögliche Reaktionsgeschwindigkeit charakterisieren kann. Vielmehr benötigen Moleküle in Lösung, die zueinander diffundieren sollen, zum Aufbrechen der Käfigwände eine gewisse Aktivierungsenergie. Der Maximalwert der Geschwindigkeit(skonstante) ist daher durch die Begegnungshäufigkeit bedingt, die vom Diffusionskoeffizienten D abhängt. Die Theorie dieses Effekts (M. VON SMOLUCHOWSKY 1917, P. DEBYE 1942) liefert den Maximalwert kmax = 4 π dAB L (DA + DB) (4-12) für „diffusionskontrollierte“ Reaktionen A + B → P. Wenn die miteinander reagierenden Moleküle Ladungen zie tragen, gilt der allgemeine Ausdruck k max = 4 πd AB L( DA + DB ) mit δ eδ −1 δ = (zAzB e2)/(4 π ε ε0 dAB kT). (4-13). Wegen der für die Reaktion nötigen Aktivierungsenergie wird der Maximalwert der Geschwindigkeitskonstanten in den meisten Fällen nicht erreicht. Die Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten ist durch die ARRHENIUS-Gleichung gegeben. 4.2 Molekülzerfälle (monomolekulare Reaktionen) 32 Bei bimolekularen Reaktionen kann man sich leicht vorstellen, dass die Aktivierungsenergie durch die Stoßenergie zweier Teilchen aufgebracht werden kann. An monomolekularen Reaktionen, z.B. dem thermischen Zerfall des Diazomethans CH2N2 → CH2 + N2, ist nach der früher gegebenen Definition nur ein Teilchen beteiligt. Streng genommen ist das falsch, weil die Reaktion Aktivierungsenergie erfordert, die dem zerfallenden Molekül nur durch Stöße zugeführt werden kann, also durch bimolekulare Prozesse, die eigentlich eine Kinetik zweiter Ordnung erwarten lassen. Stoßpartner können weitere Eduktmoleküle A oder inerte (nicht reagierende) Stoßpartner M sein, z.B. Argon oder N2. Nach LINDEMANN verlaufen monomolekulare Reaktionen nach obenstehendem Schema, in welchem A* ein A-Molekül ist, das die nötige Aktivierungsenergie besitzt. Die Reaktionsgeschwindigkeit r, mit der die Produkte (P) entstehen, ist gegeben als r = dp(P)/dt = k2 p(A*) (4-14), gleichzeitig muss gelten r = – dp(A)/dt = k1 p(A)p(M) – k–1p(A*)p(M) (4-15) (4-15) zeigt, wie ein Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz für eine Gleichgewichtsreaktion aufzustellen ist: Terme für Reaktionsschritte, die dem Differentialquotienten folgen, werden positiv (k1), umgekehrt wirkende (k-1) negativ angesetzt. Für die Änderung des Drucks von A* sind sogar drei Reaktionsschritte zu berücksichtigen. dp(A*) / dt = k1 p(A)p(M) – k–1p(A*)p(M) – k2 p(A*) (4-16) Zur Bestimmung der Drücke (oder Konzentrationen bei Lösungsreaktionen) von A, A* und P müsste man drei nicht-lineare Differentialgleichungen lösen. Um das zu vermeiden, wird mit den Vereinfachungen p(A) >> p(A*) und dp(A)/dt >> dp(A*)/dt gearbeitet. Die aktivierten A-Moleküle (A*) sind als quasistationär zu betrachten (wichtiges Prinzip in der Kinetik), d.h. ihre Konzentration ändert sich im Vergleich zu allen anderen Konzentrationen praktisch nicht. Voraussetzung dafür ist, dass p(A*) während der gesamten Reaktion immer sehr klein bleibt. Das bedeutet u.a., dass die Konstante k-1 die größte im Reaktionsschema sein muss. Für dp(A*) gilt dann dp(A*) / dt = k1 p(A)p(M) –k–1p(A*)p(M) – k2 p(A*) = 0 (4-17). Daraus wird p( A*) = k1 p ( A ) p ( M ) k 2 + k −1 p ( M ) (4-18) und r= k k p( M ) dp ( P ) = 1 2 · p ( A ) = kr p(A) dt k 2 + k −1 p ( M ) (4-19). Für große Drücke (Konzentrationen) der Stoßpartner p(M) (z.B. bei allen Lösungsreaktionen) wird k2 << k–1p(M), so dass man k2 in (4-19) vernachlässigen kann: 33 r= dp( P) k1 = k 2 · p( A) dt k −1 (4-20), also ist wegen der Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von nur einer Konzentration eine Reaktion erster Ordnung zu beobachten. Für kleine Konzentrationen der Stoßpartner dagegen (in verdünnten Gasen) wird k2 >> k–1p(M), so dass r = k1 p(A)p(M) (4-21). Die Reaktion folgt dann einem GeschwindigkeitsZeit-Gesetz zweiter Ordnung. Wenn die LINDEMANN-Theorie richtig ist, muss der Zerfall von Diazomethan (in der Gasphase) bei hohen Drücken nach einer Kinetik erster Ordnung, bei niedrigen Drücken einem Geschwindigkeits-ZeitGesetz zweiter Ordnung folgen. Die Daten der nebenstehenden Graphik bestätigen das, zeigen aber auch, dass die Lindemann-Theorie nur qualitativ richtig ist: 1. Der Übergang von der ersten zur zweiten Ordnung erfolgt im Experiment bei niedrigeren Drücken als nach Lindemann zu erwarten, s. Abb.; 2. eine leichte Umformung von (4-19) liefert 1 1 k = + −1 k r k1 p ( M ) k1k 2 (4-19a). Demnach sollte 1/kr linear von 1/p(M) (bzw. von 1/p(A), wenn A = M) abhängen. Experimente zeigen eine mehr oder weniger starke Krümmung der Funktion. Die Theorie konnte später verbessert werden. 4.3 EYRING-Theorie des Übergangszustands Die empirisch gefundene ARRHENIUS-Gleichung beschreibt experimentelle Befunde normalerweise gut. Es ist jedoch wünschenswert, die der Gleichung zu Grunde liegenden Phänomene zu verstehen. Ein oft erfolgreiches Verfahren dazu ist, eine Theorie aufzustellen, die dann experimentell zu überprüfen ist. Am Ende sollte sich ein möglichst detailliertes Verständnis des molekularen Ablaufs chemischer Reaktionen einstellen. EYRING nahm an, dass der Übergangszustand auf dem Gipfel des Energieprofils einer Reaktion A + BC → AB + C eine Art aktivierten Komplex ABC≠ darstellt, den die Eduktmoleküle bilden (khin) und der im Gleichgewicht mit den Eduktmolekülen steht. Der Komplex zerfällt also entweder zu den Produkten (vorwärts, kvor) oder zu den Edukten (zurück, krück). A + BC ⇌ ABC≠ → AB + C 34 (4-22) Für das Gleichgewicht aus aktiviertem Komplex und Edukten in einer Lösung lässt sich das Massenwirkungsgesetz formulieren ≠ K = cABC ≠ c Θ (4-23) c A c BC Das vorgelagerte Gleichgewicht in (4-22) kann nur eingestellt sein, wenn für die Konzentration von ABC≠ Quasistationarität herrscht. Das bedeutet (analog zu 4.17), dass cABC≠ immer sehr klein ist, und dass die Rückreaktion (krück) der schnellste Schritt in dem kinetischen System sein muss. Man mache sich klar, dass man anderenfalls entweder ABC≠ anhäuft oder ABC≠ schneller zerfällt als es gebildet wird, was die Gleichgewichtseinstellung unmöglich macht. Die gesamte Reaktionsgeschwindigkeit r ist identisch mit der Zerfallsgeschwindigkeit des Komplexes zu den Produkten. Mit (4-23) gilt r=− dcABC ≠ dt = dcAB = k vor cABC ≠ = k vor K ≠ cA cBC / c Θ = k r cA cBC / c Θ dt (4-24) kvor kann nicht direkt gemessen, jedoch mit folgender Überlegung substantiiert werden: Im Maximum des Energieprofils bzw. im Sattelpunkt des nebenstehenden dreidimensionalen Diagramms (Fähnchen) sind die Molekülteile A, B und C im aktivierten Komplex ABC≠ (lose) miteinander verbunden. Für ein konkretes Beispiel, etwa Na + Cl2 → NaCl + Cl (in der Gasphase), stellt der Komplex ein dreiatomiges Molekül Na···Cl···Cl dar, das entsprechende Schwingungsfreiheitsgrade aufweist (vgl. Teil I). Für den Fortgang der Reaktion ist die Schwingung AB gegen C (NaCl gegen Cl) bedeutsam. Im Verlauf der Schwingung durchlaufen die Molekülteile eine kleine Strecke δ im Maximum des Energieprofils mit einer Geschwindigkeit wRK. Da es sich um eine Schwingung handelt, führt nur die Bewegung in Richtung der Reaktionskoordinate zur Produktbildung. kvor lässt sich also mittels der Frequenz ½ · wRK/δ ausdrücken r= wRK w cABC ≠ = RK K ≠ cA cBC / c Θ = kr cA cBC / c Θ 2δ 2δ (4-25) und verständlich machen. Die Frequenz muss (multipliziert mit der Planck-Konstante h) der Dissoziationsenergie zur Trennung von AB und C entsprechen, wenn die Reaktion vollendet wird. Mit kvor wird ein Schwingungsfreiheitsgrad in einen Translationsfreiheitsgrad umgewandelt. Mit Hilfe der statistischen Thermodynamik (deren Grundlage Thema höherer Module ist) lassen sich Gleichgewichtskonstanten und damit auch Freie Reaktionsenthalpien nach ∆RG = – RT lnK berechnen, näherungsweise ist dadurch auch der Zugang zur Freien Reaktionsenthalpie ∆RG≠ für die Teilreaktion A + BC → ABC≠ zu erhalten. Damit und mit Hilfe entsprechender (hier nicht erläuterter) Schwingungsgleichungen ergibt sich 35 k BT k T cABC ≠ = B Θ K ≠ cA cBC ; also h hc (4-26), − ∆H ≠ Θ − ∆ R G ≠ Θ k BT ∆S ≠ Θ k BT ≠ k BT = Θ exp exp k r ( p, T ) = Θ K = Θ exp hc hc RT RT hc R wobei h die PLANCK-Konstante ist, welche durch die Schwingungsstatistik in die Gleichung gerät (Schwingungsenergie hν). r= ≠ Der Ausdruck k BTΘ exp ∆S , der die EYRINGsche Aktivierungsentropie ∆S≠ enthält, ist mit hc R der Konstanten k∞ in der ARRHENIUS-Gleichung zu vergleichen, die Aktivierungsenthalpie ∆RH≠ entspricht der Aktivierungsenenergie EA, ist jedoch nicht ganz identisch wie ein Vergleich der Ableitungen nach T von (logarithmierter) EYRING- und ARRHENIUS-Gleichung zeigt: d ln k r 1 ∆H ≠ ∆H ≠ + RT E A = + = = , d.h. E A = ∆H ≠ + RT 2 2 2 dT T RT RT RT Man diskutiere die in ∆S ≠ k BT exp Θ hc R (4.27) enthaltene zusätzlichen Temperaturabhängigkeit von kr, und die durch (4-27) suggerierte T-Abhängigkeit von EA, die beide von der ARRHENIUSGleichung nicht ausgewiesen werden. (Für Reaktionen in der Gasphase ergibt sich EA = ∆H≠ + 2RT, vgl. Lehrbücher und Kap. 3.1) 4.4 Zusammengesetzte Reaktionen 4.4.1 Konkurrenzreaktionen Die Geschwindigkeitskonstante kr für zwei parallel ablaufende Reaktionen derselben Ausgangsverbindungen A → B mit einer Konstante k1, A → C mit einer Konstante k2 ist in der Regel kr = k1 + k2, da für zwei erster lnk Ordnungsprozesse gilt: c A = cA 0 exp[− (k1 + k 2 )t ] k1, EA1 (4-28). Also wird man eine Kinetik erster Ordnung messen. Wegen der Temperaturabhängigkeit von Geschwindigkeitskonstanten sollten sich jedoch die Konkurrenzprozesse separieren 1/T lassen, da der Prozess mit der höheren Aktivierungsenergie zuerst „einfriert“. Im Arrheniusdiagramm ergibt sich dann entsprechend k2, EA2 ln kr = ln k∞1 – EA1/RT + ln k∞2 – EA2/RT (4-29) 36 das obenstehende Bild, welches aus den linearen Bereichen die Ermittlung der zwei unterschiedlichen Aktivierungsenergien und k∞ erlaubt. Zugleich ergibt sich eine Möglichkeit der Steuerung der Reaktion, da bei hohen Temperaturen praktisch nur der Prozess 1 und bei niedrigen nur der Prozess 2 abläuft. Folgt die Reaktion 2 einer Kinetik 2. Ordnung A + M C, so ist cA = cA0 exp[-(k1 + k2cM)t] und kr = k1 + k2cM (4-30). Falls nicht cM >> cA, so dass sich cM während der Reaktion praktisch nicht ändert (pseudomonomolekurare Reaktion), ist cM eine Variable und somit kr nicht konstant. Entsprechend ist dcA/dt nicht einfach zu integrieren (s. Teil III). Ggf. ergeben sich formal nicht ganzzahlige Reaktionsordnungen. 4.4.2 Tunneleffekte Durchgebogene Arrheniusdiagramme erhält man, wenn Tunneleffekte beteiligt sind. Die Durchbiegung ist hier darauf zurückzuführen, dass bei hohen Temperaturen die normale Reaktion (mit Aktivierungsenergie) abläuft, die jedoch bei tiefen Temperaturen nicht gänzlich einfriert sondern in die zum selben Produkt führende Tunnelreaktion übergeht. Solche Tunneleffekte (Tunneln durch den Aktivierungsberg) sind auf Reaktionen unter Beteiligung sehr leichter Teilchen (H, D, e-) beschränkt und mit ihrer Ortsunschärfe zu erklären. Liegt die für das Teilchen bei der Reaktion zu überwindende Distanz im Bereich der Ortsunschärfe, so ist ein Tunneleffekt möglich. Einen Eindruck der durch Tunneln überwindbaren Strecken vermittelt die DEBROGLIE-Wellenlänge λΒ , die H D T C Br Materieteilchen im Bereich des Teilchen e 1/1750 1 2 2 12 80 merklichen Einflusses des Welle- m/u 2690 63 45 36 18 7 Teilchen-Dualismus zugeordnet wird: λΒ λΒ/pm = h/mc, wobei m die Masse und c die digkeit Geschwindigkeit des Teilchens des sind. Teilchens λΒ wird sind. mitλsteigender Masse schnell unbedeutend. Über c hängt Β die deBroglie-Wellenlänge von der kinetischen Energie ab. Für 20 kJ mol-1 ergeben sich die Werte in der Tabelle. Für Atome, die schwerer als Tritium sind, liegen die Werte in einem Längenbereich, der für die Über. . windung der Distanz von einer Bindungsstelle zur nächsten kaum noch in Frage kommt, so dass Tunneleffekte dann nicht mehr beobachtet werden. Zu erkennen sind Tunneleffekte an zwei Erscheinungen, die beide geprüft werden müssen: 1) Durchgebogenes ARRHHENIUS-Diagramm und 2) Isotopeneffekte (H tunnelt schneller als D, siehe Abbildung). Beispiele: Raster-Tunnel-Mikroskop, Inversion des Ammoniaks, Austausch von Protonen innerhalb eines protonierten Porphyrinrings, H-Atom-Wanderung (Tri-tert.-Butylphenyl-→ tri-tert.Butylbenzyl-Radikal - siehe Abbildung -), sigmatrope Verschiebung, etc. H H CH3 (H3C) 3 H H H (H3C) 3 CH3 CH3 CH3 (CH3) 3 H (CH3)3 37 4.4.3 Vorgelagertes Gleichgewicht k1 k2 Kinetische Systeme wie A B C wurden in Einzelfällen bereits in 4.1 und k 4.2 behandelt. Je nach Fragestellung kann man von der (Quasi-)Gleichgewichtskonstante K oder vom Quasistationaritätsprinzip (wie in 4.2) ausgehen. Im ersten Fall ist r1 = r−1 = k1cA = k −1cB und (4-31) k1 c =K= B k −1 cA (bei bimolekularer Hin- oder Rückreaktion sind weitere Konzentrationen zu berücksichtigen!). Andererseits kann sich ein vorgelagertes Gleichgewicht nur einstellen, wenn k-1 >> k1 und k-1 >> k2. Anderenfalls häuft man entweder B an oder man erhält keine stationäre Konzentration von B, weil es schneller zu C weiterreagiert als es gebildet wird. Wie im Lindemann-Fall kann man deshalb nach dem Quasistationaritätsprinzip ansetzen -1 dcB / dt = k1 cA – k–1cB – k2 cB = 0 (4-32) cB = [k1/(k-1 +k2)]cA (4-33) Es folgt Und für die Gesamtreaktion dcC/dt = k2cB kann man durch Einsetzen erhalten: dc C k k = 2 1 cA (4-34) dt k −1 + k 2 Nach Vernachlässigung von k2 und mit der ARRHENIUSbeziehung ergibt sich − k k dcA dcC − (E A1 − E A −1 + E A 2 ) = = k r cA = 1 2 cA exp dt dt RT k −1 ∞ (4-35) Das ARRHENIUS-Diagramm kann jetzt nicht nur eine negative sondern eine beliebige Steigung haben, je nach der Summe der Aktivierungsenergien. 5. Elektrochemie 5.1 Elektrolytlösungen 5.1.1 Chemisches Potenzial und Aktivitätskoeffizienten In Phasen, die verschiedene Mengen ni von Ionen mit den positiven oder negativen Ladungen zi enthalten, gilt stets die Elektroneutralitätsbedingung Σ z i ni = 0 (5-1) 38 Beispielsweise ist für Natriumsulfat in Wasser n(Na+) – 2 n(SO42-) = 0. Positive und negative Ionen treten stets im Verhältnis fester stöchiometrischer Zahlen ν+ und ν- auf, d.h. Na+ und SO4- bilden eine Komponente K der Phase. Daher kann man auch nur das chemische Potenzial von Komponenten und nicht das einzelner Ionensorten für sich bestimmen. In (wässriger) Lösung zerfällt ein Elektrolyt der Zusammensetzung Aν + Bν - nach Aν + Bν - ⇌ ν + A z + + ν − B z − (5-2) - z.B. In2(SO4)3 ⇌ 2 In3+ + 3 SO42- -, wobei wegen der Elektroneutralität gelten muss ν+z+ + ν-z- = 0 (5-3). Die Freie Enthalpie g des Elektrolyten kann daher entweder als die der Komponente oder die der (Summe der) Teilchen ausgedrückt werden, in die der Elektrolyt zerfällt: g = nKµK = n+µ+ + n-µ+ + nuµu (5-4), wobei der Index u die ungeladenen Teilchen bezeichnet. Wegen der Massenerhaltung ist n+ = ν+(nK – nu) und n- = ν-(nK – nu) (5-5) Außerdem gilt im thermodynamischen Gleichgewicht (5-2) µu = ν+µ+ + ν-µ- (5-6), so dass man allgemein für das chemische Potenzial des Elektrolyten erhält µ = µK = ν+µ+ + ν-µ- (5-7) Ist b die Molalität und α der Dissoziationsgrad, so erhält man mit b+ = ν+αb, b- = ν-αb und b⊝ = 1 mol/kg die Konzentrationsabhängigkeit der chemischen Potenziale aus µ+ = µ+⊝ + RT ln (γ+ν+αb/b⊝) bzw. µ- = µ-⊝ + RT ln (γ-ν-αb/b⊝) (5-8), wobei γ+ und γ- Ionenaktivitätskoeffizienten darstellen, die wegen der vergleichsweise weit reichenden interionischen Wechselwirkungen bereits bei Konzentrationen unter 10-3 mol/kg berücksichtigt werden müssen. Außerdem gilt µu = µu⊝ + RT ln [γu(1-α)b/b⊝] (5-9) (5-7) und (5-8) lassen sich zusammenfassen µ = ν+µ+⊝ + ν-µ-⊝ + RT ln [(γ+ν+αb/b⊝)ν+(γ-ν-αb/b⊝)ν-] und mit den Abkürzungen 39 (5-10) ν±(ν+ + ν-) = ν+ν+·ν-ν- , γ±(ν+ + ν-) = γ+ν+·γ-ν-, γ = αγ±, µ⊝ = ν+µ+⊝ + ν-µ-⊝ kann man schreiben µ = µ⊝ + (ν+ + ν-) RT ln [γ±ν±b/b⊝] (5-11) γ± wird als mittlerer Ionenaktivitätskoeffizient bezeichnet; beipielsweise ist für In2(SO4)3: γ± = [γ2(In2+) · γ3(SO42−)]1/5; entsprechend für z±, ν±, b±, usw. In Lösungen, die mehrere Elektrolyte mit gemeinsamen Ionen enthalten, sind die Größen nicht alle unabhängig von einander. Beispielsweise wird für Lösungen, die Na+, K+, Cl- und Br- enthalten, definiert γ±2(NaCl) = γ(Na+)γ(Cl-); γ±2(KBr) = γ(K+)γ(Br-). γ±2(KCl) = γ(K+)γ(Cl-); γ±2(NaBr) = γ(Na+)γ(Br-); Es muss daher gelten γ ± ( NaCl ) γ ± ( NaBr ) = γ ± ( KCl) γ ± ( KBr ) (5-12) 5.1.2 Gleichgewichte in Elektrolytlösungen Dissoziationskonstante. Für die Dissoziation AB ⇌ A+ + B- lässt sich die Gleichgewichts- bzw. Dissoziationskonstante aufstellen: Kb = γ + b+γ − b− γ AB bAB b Θ (5-13), die im allgemeinen Fall lautet: b Kb = Θ b (ν + +ν − −1) (ν ± γ ±α ) (ν + +ν − ) (1 − α )γ u (5-14). Löslichkeitsprodukt. Die Löslichkeit von festen Elektrolyten f, die keine Mischkristalle bilden, wird durch die Gleichgewichtsbedingung b γ ν + b γ ν − µ f = µ + RT ln + Θ + − − b bΘ Θ (5-15) beschrieben. Definiert man (wie oben) b±(ν + +ν − ) = b+ + b− ν ν− = (ν ±αb ) (ν + +ν − ) (5-16) so folgt 40 µ f − µ Θ b±γ ± = Θ K = exp RT b (ν + +ν − ) ' b (5-17) Kb’ heißt Löslichkeitsprodukt. (5-15) und (5-17) gelten nur, wenn die Lösung im Kontakt mit dem festen Elektrolyten (Salz) steht. µ⊝ bezieht sich auf den reinen Feststoff. Da zwar γ± nicht aber Kb’ von der Zusammensetzung der Lösung abhängt, kann man aus der unabhängigen Bestimmung der Löslichkeit b± die mittleren Aktivitätskoeffizienten γ± experimentell bestimmen. Dabei, zeigt sich, dass γ± bei kleinen Molalitäten proportional zu I ist, wobei I=1 2∑ zi2 bi (5-18) als „Ionenstärke“ bezeichnet wird und i die Ionensorte angibt. Andere Methoden zur Bestimmung von mittleren Aktivitätskoeffizienten benutzen die Messung der Gefrierpunktserniedrigung oder des osmotischen Drucks. In der Praxis verwendet man meist die Bestimmung von Zellspannungen (EMK). Die nachfolgende Tabelle listet einige mittlere Ionenaktivitätskoeffizienten in Abhängigkeit von der Konzentration auf. Man beachte, dass γ± bei hohen Konzentrationen Werte > 1 annehmen kann. Tabelle mittlerer Ionen-Aktivitätskoeffizienten γ± in Wasser b/b⊝ 0,001 0,01 0,1 1 2 5 10 AgNO3 KCl CaCl2 0,964 0,896 0,732 0,430 0,316 0,181 0,108 0,966 0,902 0,770 0,607 0,573 0,593 0,888 0,732 0,524 0,495 0,784 5,907 43,1 5.1.3 Theorie der Aktivitätskoeffizienten. Die molekülstatistische DEBYE-HÜCKEL-Theorie der Aktivitätskoeffizienten geht von der (im Vergleich zu anderen molekularen Wechselwirkungen) extrem langen Reichweite der elektrischen Felder von Ionen aus. Diese führt dazu, dass die Ionen nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern dass in der Umgebung eines Ions im Mittel mehr Gegenionen vorhanden sind als Ionen der gleichen Ladung. Die Ionen sind daher von einer (Gegen-)Ionenatmosphäre (Ionenwolke) umgeben, die eine Abschirmung der Ladung des Ions und eine Erniedrigung der Freien Enthalpie bewirken. Quantitativ gilt für den Aktivitätskoeffizienten der Ions i ln γ i = − Az i2 I (5-19) bΘ 3 2 e2 , wobei ρ die Dichte (ρ = 997,1 kg/m3 für H2O bei 298 K) mit A = 2πLρb Θ 4 πεε 0 k B T und ε die Dielektrizitätszahl (ε = 78,36 für H2O bei 25 °C) des Lösemittels ist (ggf. sind in Gl. 5-19 γi und zi durch γ± und z± zu ersetzen). In Konzentrationseinheiten schreibt man 41 3 2 e2 1 ; I = ∑ zi2 ci A = 2πL 2 4 πεε 0 k B T (5-20) In beiden Fällen ist für Wasser bei 25 °C und 1 bar die Konstante A = 1,176. Das DEBYEHÜCKEL-Gesetz (5-19) stellt jedoch nur für hinreichend verdünnte Lösungen eine brauchbare Näherung dar und ist bei Konzentrationen oberhalb von 0,001 mol/kg nicht mehr oder nur noch näherungsweise verwendbar. Eine bessere Beschreibung der Abweichungen von der Idealität liefert dann ein Modell, das die Lösung als einen durch das Lösemittel aufgeweiteten Kristall beschreibt. 5.1.4 Primärer Salzeffekt In konzentrierten Lösungen, insbesondere in Elektrolytlösungen wird die EYRING-Konstante des Aktivierungsgleichgewichts K≠ (siehe 4-23 – 4-26) konzentrationsabhängig K ≠ = K id≠ K γ = K id≠ ∏ γ i νi (5-21) Aus (4-26) wird dann r= k BT K ≠ cA cBC = kr cA cBC / c Θ hc Θ Kγ (5-22) Im Konzentrationsbereich der Gültigkeit der Debye-Hückel-Theorie ist ( γ i = exp − A( zi2 I / c Θ ) entspricht (5-19) Somit erhält man [ ] ( γ ABC = exp − A(z A + z BC )2 I ; und K γ = exp − 2 z A z BC I ≠ Entsprechend ergibt sich Für Reaktionen unter Beteiligung geladener Reaktionspartner eine Abhängigkeit der Geschwindigkeitskonstante kr von der Ionenstärke: Bei Reaktionen gegensinnig geladener Ionen erniedrigt die Ionenstärke die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante, bei Reaktionen gleichsinnig geladener Ionen ist es umgekehrt. ln ) (5-23) kr k0r zA zBC = 2 zA zBC = 1 I1/2 zA zBC = -1 k ln r = 2 AzA z BC I k0 r zA zBC = -2 (5-24) 42 5.2 Leitfähigkeit und Überführung Man rekapituliere die Ausführungen zu Wanderungsgeschwindigkeit und Beweglichkeit ui von Ionen in einer wässrigen Elektrolytlösung im Kapitel 6.2 in Teil I und mache sich klar, dass die elektrolytische Leitfähigkeit die Basis der Elektrolyse und der Abscheidungen (Galvanik) sowie analytischer Verfahren wie Konduktometrie ist. Es ergibt sich für nach Aν+Bν- ⇌ ν+ Az+ + ν- Bz- in wässriger Lösung dissoziierende Salze eine Äquivalentleitfähigkeit Λäq Λäq = κ = z+ c+ Λ+ äq + z− c− Λ− äq α (Λ+ äq + Λ− äq ) κ = = cν ± z ± cν ± z z± (5-25), cäq ± wobei c die Einwaagekonzentration des Elektrolyten darstellt und c+ = αν+c sowie c- = αν-c ist. Im Allgemeinen ist Λäq eine Funktion des Einwaagekonzentration und zwar auch für starke Elektrolyte, für die α = 1 ist, wegen der konzentrationsabhängigen Aktivitätskoeffizienten (s.o.). Auf Grund unterschiedlicher Beweglichkeiten ui setzt sich die Gesamtleitfähigkeit aus unterschiedlichen Beiträgen der unterschiedlichen Ionensorten zusammen. Die Anteile Λ+ν + Λν u+ = + + = Λ+ν + + Λ−ν − Λ u+ + u− heißen Überführungszahlen t+ und t-. t+ = und t − = Λ−ν − u− = Λ+ + Λ− u + + u − (5-26) Überführungszahlen lassen sich mit verschiedenen Methoden experimentell bestimmen, z.B. mit EMK-Messungen. Beim sog. HITTORF-Verfahren bestimmt man Verhältniszahlen Λ+/Λaus Konzentrationsänderungen im Kathoden- und Anodenraum einer Leitfähigkeits-zelle. Neben der Ionenwanderung im elektrischen Feld findet die gewöhnliche Diffusion statt, die die Konzentrationsunterschiede im Kathoden- und Anodenraum wieder verwischt. Diese Diffusion ist jedoch vergleichsweise langsam und kann mit Hilfe von Fritten, die die Elektrodenräume in der Mitte der Zelle abtrennen, bedeutungslos gemacht werden. Bei der Analyse der Elektrodenräume ist allerdings die Abscheidung von Ionen ggf. zu berückschtigen. Ergebnis der Überführungsmessungen sind Einzelwerte der Beweglichkeiten ui bzw. Ionenleitfähigkeiten Λi, die von der Konzentration abhängen. Nur bei hoher Verdünnung erhält man Grenzwerte Λ∞i, die von der Konzentration unabhängig sind. Bei schwachen Elektrolyten kann man unmittelbar mit diesen Werten rechnen, was zur Bestimmung der Dissoziationskonstanten ausgenutzt werden kann. Der Dissoziationsgrad wird dann aus α= Λäq Λ∞ + + Λ∞ − (5-27) ermittelt. Die folgende Tabelle für wässrige Lösungen bei 298 K zeigt, dass zwar Λ± nicht aber die Überführungszahl t± die Ionensorte charakterisiert, da letztere vom Gegenion abhängt. NaCl KCl KBr t+ 0,401 0,496 0,484 Λ∞+ /Ω-1cm2mol-1 50,1 73,5 73,5 43 t0,599 0,504 0,516 Λ∞- /Ω-1cm2mol-1 76,4 76,4 78,1 Bei Salzschmelzen fehlt ein Lösungsmittel, auf das man die Ionenbewegung beziehen kann. In einem binären Elektrolyten gibt es dann nur noch eine unabhängige Ionenleitfähigkeit, so dass man die andere darauf beziehen kann, indem man z.B. t- = 0 (oder t+ = 1) setzt. In dem Fall ist Λ+ = Λäq. Theorie der Leitfähigkeit Für die konzentrationsunabhängigen Grenzwerte der Leitfähigkeit gilt Λ∞i = FF ui = FF e zi 6π riη (5-28) Das Produkt Λ∞iη sollte daher nur noch vom Ion aber nicht mehr vom Lösungsmittel abhängen. Tatsächlich ist die „WALDEN-Regel“ nur dann gut erfüllt, wenn die Ionensolvatation, die in den effektiven Ionenradius ri eingeht, praktisch keine Rolle spielt, z.B. bei sehr großen Ionen. Die Ionensolvatation wirkt sich aber auch auf die Konzentrationsabhängigkeit der Leitfähigkeit aus. Die molekülkinetische, auf ONSAGER zurückgehende Theorie dieser Abhängigkeit liefert zwei Effekte, nämlich den elektrophoretischen Effekt ∆ΛE – Behinderung der Ionenwanderung durch anziehende Kräfte zwischen den Solvathüllen – und den Relaxationseffekt ∆ΛR, der die Behinderung der Ionenwanderung durch elektrostatische Kräfte beschreibt, die sich aus der asymmetrischen Verteilung der wandernden positiven und negativen Ionen (vgl. Überführung) ergeben. Beide Effekte bewirken, dass sich Äquivalentleitfähigkeiten von verdünnten Lösungen eines in ν+ Kationen (der Ladung z+e) und ν- Anionen (der Ladung z-e) zerfallenden Elektrolyten durch Λäq = α (Λ+ äq + Λ− äq )/ z± = α (Λ∞ , äq − ∆ΛE − ∆ΛR )/ z± (5-29) darstellen lässt, und zwar ist ∆ΛE = A' α cäq c Θ und ∆ΛR = BΛ∞ , äq α cäq c Θ mit A' = (z + − z − )Za und a= e2 L 3πη 1 (ν + z+2 + ν − z−2 ) , 2 e 2 Lc Θ Acm 2 Pa s K = 4,1228 , 2εε 0 kT Vmol η εT B = z+ z− Z Lc Θ b= 3π Z= z z λ∞ + + λ∞ − r b und r = + − ⋅ , z + + z − z + λ∞ − + z − λ∞ + 1+ r e2 2εε 0 kT 3 2 3 K 2 = 2,8010 ⋅ 10 . εT 6 Für starke Elektrolyte erhält man daher das Grenzgesetz 44 (5-30) Λäq = Λ∞ , äq − ( A'+ BΛ∞ , äq ) cäq c Θ (5-31), welches das empirisch gefundene KOHLRAUSCH-Gesetz (vgl. Teil I, (6-15)) theoretisch untermauert. 5.3 Elektrodenpotenziale Ein System aus Elektroden, die sich in einem Medium befinden, ist ein heterogenes System, in welchem ein Stoffaustausch über Phasengrenzen hinweg stattfindet. Allgemein ist der Phasenübergang von Stoffen stets mit einem Energieumsatz verbunden, z.B. Verdampfungsenthalpie, Lösungsenthalpie, usw. In heterogenen elektrochemischen Systemen hat man es mit dem Phasenübergang geladener Teilchen (Elektronen, Ionen) zu tun. Hierzu betrachten wir zunächst ein Teilchen mit der Ladung zie, das sich in einem elektrischen Feld im Vakuum befindet. Wenn das elektrische Feld an dieser Stelle das Potenzial ψ hat, ist die Energie des Teilchens zie ψ. Die Arbeit, die nötig ist, um das Teilchen (Ion) von dieser Stelle an eine andere mit dem Potenzial ψ’ zu bringen, ist zie(ψ’ – ψ). Im Vakuum ist dieser Betrag unabhängig von der Natur des Ions. In Materie kommen jedoch chemische Wechselwirkungen des Ions mit seiner Umgebung hinzu, die für unterschiedliche Ionen verschieden sind. Daher ist es zweckmäßig, das elektrochemische Potenzial (vgl. (6-2) Teil I) zu verwenden µ~ i = µ i + ziFFψ (5−32). Zur Erinnerung: µ i ist das gewöhnliche vom elektrischen Feld unabhängige chemische Potenzial des Ions und ziFFψ beschreibt den von der Natur des Teilchens unabhängigen elektrostatischen Anteil von µ~ i . Im thermodynamischen Gleichgewicht (d.h. wenn keine chemischen Nettoreaktionen und kein Stromfluss stattfinden) haben µ i und ziFFψ im Inneren der Materie konstante Werte. An der Phasengrenze jedoch ändern sich beide Größen sprunghaft. Deshalb bilden alle Phasen an ihren Oberflächen elektrische Doppelschichten aus (siehe Kap. 6.1 in Teil I): Aus einem Metall im Vakuum treten energiereiche Elektronen aus, denen positive Ionen an der Metalloberfläche gegenüberstehen; Wasserdipole orientieren sich mit ihren positiven Enden nach außen; selbst unpolare Moleküle unterliegen einseitigen Anziehungskräften an der Oberflächen und bilden dabei (induzierte) Dipole aus. Zudem befinden sich (durch von außen angelegte Spannung erzeugte) Überschussladungen nach den Gesetzen der Elektrostatik stets an der Phasengrenzfläche. Außerhalb eines einheitlichen Materiebereichs überlagern sich daher die Potenziale der Doppelschicht (Oberflächenpotenzial χ) und Überschussladung (Voltapotenzial φ) zum elektrostatischen Gesamtpotenzial (Galvani-Potenzial ψ) ψ=φ+χ (5-33). Das Oberflächenpotenzial χ lässt sich nicht getrennt bestimmen, weil hierzu eine Testladung so nahe an die Oberfläche gebracht werden müsste, dass es zu einer Umordnung der Dipole 45 kommen würde. Für zwei unterschiedlich zusammengesetzte Phasen α und β gilt daher, dass nur die Differenzen der äußeren (Volta-)Potenziale φβ – φα = ∆φ = ∆ψ - ∆χ (5-34) aber weder ∆ψ noch ∆χ messbar sind. Wenn sich zwei solche Phasen berühren, kommt es stets zum Übergang von Ionen (ggf. Elektronen) durch die gemeinsame Grenzfläche, bis ein Gleichgewichtszustand erreicht ist, der definitionsgemäß durch die Gleichheit der elektrochemischen Potenziale beschrieben wird: µ~iβ = µ~iα (5-35). Im elektrochemischen Gleichgewicht hängt deshalb die Differenz ψβ – ψα (GleichgewichtsGalvani-Spannung) nur noch von dem gewöhnlichen, feldunabhängigen chemischen Potenzial des Ions in beiden Phasen ab: ψ β −ψ α = ∆ψ = − µ iβ − µ iα z i FF = µ~iβ − µ~iα − (µ iβ − µ iα ) z i FF µ iΘβ − µ iΘα z i FF = (5-36). a iβ RT − ∆G Θ − = ln z i FF a iα z i FF Dies entspricht der Nernst-Gleichung [(6-24)in Teil I] für eine Halbzelle. Galvanische Ketten Eine messbare elektrische Potenzialdifferenz tritt auf, wenn man (mindestens) zwei unterschiedliche Zweiphasensysteme miteinander kombiniert. Es entsteht dann eine galvanische Kette. Im elektrochemischen Gleichgewicht misst man dann den Unterschied von zwei Galvani-Spannungen (als Differenz von Voltaspannungen, s.u.). Nicht messbare GalvaniSpannungen treten an der Phasengrenze zwischen zwei Metallen oder zwischen einem Metall und einem Nichtmetall (z.B. Ag und AgCl) oder beim Eintauchen von festen Stoffen wie Pt, Ag, AgCl, etc. in Wasser oder wässrige Lösungen. Zwischen identischen Pt-Endphasen der folgenden galvanischen Kette Phase Komponenten Austausch α Pt e- β H2, H2O, HCl Cl γ AgCl δ Ag - e- ε Pt e- (symbolisiert durch Pt | H2, H2O, HCl | AgCl | Ag | Pt) tritt jedoch eine messbare VoltaSpannung auf, die außer von der Temperatur und ggf. vom Druck von der Zusammensetzung der Lösung (Phase β) abhängt. Im elektrochemischen Gleichgewicht wird diese VoltaSpannung als elektromotorische Kraft EMK bezeichnet: EMK = ψε – ψα = φε – φα = (ψε – ψδ) + (ψδ – ψγ ) + (ψγ – ψβ ) + (ψβ – ψα ) Aus (5-36) erhält man mit zi = -1 für Elektronen und Chloridionen 46 (5−37). EMK = 1/FF {[µε(e-) – µδ(e-)] + [µδ(e-) – µγ(e-)] + [µγ(Cl-) – µβ(Cl-)] + [µb(e-) – µα(e-)] (5-38). Definitionsgemäß ist das chemische Potenzial der Elektronen in den beiden Endphasen gleich, µε(e-) = µα(e-). Sämtliche Gleichgewichte sind eingestellt, auch die homogenen Gleichgewichte e- + H+ ⇌ ½ H2 und Cl– + H+ ⇌ HCl. Daher gilt µβ(e-) + µβ(H+) = ½ µ(H2); µβ(Cl–) + µβ(H+) = µ(HCl). (5-39). Bei den neutralen Substanzen H2 und HCl kann man den Index β weglassen, da deren chemische Potenziale im Gleichgewicht in allen Phasen gleich sind. Entsprechend gilt für die γPhase e- + AgCl ⇌ Ag + Cl–; µγ(e-) + µ (AgCl) = µ(Ag) + µγ(Cl–). (5-40). Zusammenfasst erhält man EMK = 1/FF [–µγ(e-) + µγ(Cl–) – µβ(Cl–) + µβ(e-)] = 1/FF [µ(AgCl) – µ(Ag) - µγ(Cl–) + µγ(Cl–) – µ(HCl) + µβ(H+) – µβ(H+) + ½ µ(H2)] (5-41). = 1/FF [µ(AgCl) + ½ µ(H2) – µ(Ag) - µ(HCl)] Multipliziert mit der Faraday-Konstanten ergibt die EMK unmittelbar einen Zahlenwert für die Freie Reaktionsenthalpie (EMK FF = –∆RGΘ) der Reaktion AgCl(fest) + ½ H2 ⇌ Ag(fest) + HCl (Da die chemischen Potenziale von H2 und HCl in der Lösung und in der darüber befindlichen Gasphase übereinstimmen, muss bei diesen die Phase nicht spezifiziert werden). Bei 298 K, einem Wasserstoff-Partialdruck von 1 bar und einer HCl-Molalität von 1 mol kg-1 misst man EMK = 0,3524 V entsprechend ∆RG⊝ = –34,0 kJ mol-1. Im Teil I hatten wir uns um das Vorzeichen der EMK nicht viel gekümmert. Hier ist dieses durch Zell-(Ketten-)symbol und Zellreaktion festgelegt. Man erhält also EMK = –0,3524 V für die Kette Pt | Ag | AgCl | H2, H2O, HCl | Pt und die Zellreaktion Ag(fest) + HCl ⇌ AgCl(fest) + ½ H2. Für diese Reaktion ist entsprechend ∆RG⊝ positiv, sie läuft nicht freiwillig ab (Silber löst sich nicht in Säuren: Edelmetall). Die Zellreaktion wird zweckmäßigerweise immer für den Umsatz von 1 FF (=1 mol Ladungen) formuliert. Diese kann man bei gegebener galvanischer Kette immer als Summe der beiden Elektrodenreaktionen schreiben. Die EMK ist dann jeweils durch die Freie Enthalpie der Zellreaktion – ∆RG⊝/FF gegeben. Beispielkette: In | In2(SO4)3, H2O | Hg2SO4 | Hg Elektrodenreaktion links: In → In3+ + 3 eElektrodenreaktion rechts 3 e- + 3/2 Hg22+ → 3 Hg Zellreaktion für 3 mol: In + 3/2 Hg22+ → 3 Hg + In3+ Zellreaktion für 1 mol: 1/3 In + ½ Hg22+→ Hg + 1/3 In3+ oder 1/3 In + ½ Hg2SO4 → Hg + 1/6 In2(SO4)3 47 Daraus folgt: EMK = 1/FF [1/3 µ⊝(In) + 1/2 µ⊝(Hg2SO4) – µ⊝(Hg) – 1/6 µ⊝(In2(SO4)3)] = –∆RG⊝/FF (5-42) So geschrieben entsprechen Zellreaktionen einem Ladungsfluss von 1 FF. Konzentrationsabhängigkeit der EMK In (5-42) geht lediglich eine Aktivität in die EMK ein, die des gelösten Indiumsulfats. Alle anderen Reaktanden befinden sich in ihren Standard-Zuständen. Ist b die Molalität des Indiumsulfats, so gilt (vgl. 5-11)10 µ = µ⊝ + (ν+ + ν-) RT ln [γν±b/b⊝] (5-43), wobei durch γ = αγ± bereits berücksichtigt ist, dass der Dissoziationsgrad α des Indiumsulfats in der Lösung kleiner als 1 sein kann. Definiert man für einen Elektrolyten, der in ν+ positive Ionen der Ladung z+ und ν– negative Ionen der Ladungen z– zerfällt, stöchiometrische Koeffizienten ν in der Zellreaktionsgleichung als ν = 1/(ν-z-) bzw. –ν = 1/(ν+z+) (da wegen der Elektroneutralitätsbedingung ν+/ν– = –z–/z+), so lässt sich die EMK in einer allgemeinen Form schreiben: RT b ln γν ± Θ FF b (5-44). ν + +ν − 5 ν 1 1 1 1 1 =− = + + = − =− − ν − z− 6 ν − z− z− z− z+ 2 3 (5-45). EMK = EMK Θ + ν (ν + + ν − ) Wegen ν = 1/(ν- z-) gilt hier ν (ν + + ν − ) = EMK-Messungen als Funktion der Molalität liefern also hier und in allen anderen Fällen unmittelbar Zahlenwerte für den konventionellen (phänomenologischen) Aktivitätskoeffizienten γ für das betreffende Salz. Konzentrationsabhängigkeiten der EMK spielen weiterhin eine Rolle, wenn Gase an der elektrochemischen Reaktion beteiligt sind, weil deren chemische Potenziale durch den Partialdruck pi über der Lösung festgelegt sind (falls sich die Gasphase ideal verhält): µi = µι⊝ + RT ln (pi/pi⊝) (5-46). Auch Legierungselektroden zeigen eine charakteristische Konzentrationsabhängigkeit. Im Fall der Kette Hg,Pb (a’) | PbAc2, HAc, H2O | Pb(a),Hg ist Pb(a’) → Pb(a) die Zellreaktion und da –∆RG⊝ = RT ln (a’/a) folgt für den Ladungsdurchtritt von 1 FF 10 Zur Erinnerung: ν±(ν+ + ν-) = ν+ν+·ν-ν- 48 EMK = (RT/2FF) ln (a’/a) (5-47). Dissoziationskonstanten aus EMK-Messungen Schwache Säuren HS zerfallen in wässriger Lösung nur unvollständig in Ionen HS ⇌ H+ + S. Die Dissoziationskonstante K= a H + aS − a HS kann mit elektrochemischen Ketten bestimmt werden, die eine Pufferlösung enthalten, z.B. Pt | H2, HS, Na2S, H2O, NaCl | AgCl | Ag, wobei HS, Na2S und NaCl in den Molalitäten b1, b2 und b3 vorliegen. Die Zellreaktion ist hier ½ H2 + AgCl → Ag + HCl. Bei schwacher Dissoziation ist bHS ≈ b1, bS- ≈ b2 und bCl - = b3. Wählt man p H 2 = p⊝ = 1 bar, so misst man EMK = EMK Θ − RT RT RT Kb1γ HS b3 ln a HCl = EMK Θ − ln (a H + a Cl- ) = EMK Θ − ln γ FF FF FF b2γ S- b Θ Cl (5-48), wobei man zweckmäßigerweise verdünnte Lösungen vermisst und die Aktivitätskoeffizienten nach Debye und Hückel berechnet oder die experimentellen Daten bei verschiedenen Konzentrationen für unendliche Verdünnung extrapoliert. Druck- und Temperaturabhängigkeit der EMK Die Druckabhängigkeit ist wegen der geringen Kompressibilität kondensierter System im Allgemeinen zu vernachlässigen (Ausnahme bei Beteiligung gasförmiger Reakanden, siehe (5-38)). Die Temperaturabhängigkeit setzt sich aus dem RT-Glied der Nernst-Gleichung und einer gewissen T-Abhängigkeit der Normalpotenziale zusammen, ist jedoch insgesamt über den KIRCHHOFF-Satz zu erfassen (vgl. Teil I, Kap. 6.3.3). Umgekehrt liefert die Messung der EMK als Funktion der Temperatur die Reaktionsenthalpie und –entropie der Zellreaktion. Es folgt aus ∆RG⊝ = ∆RH⊝ – T∆RS⊝, dass ∂ (∆ R G Θ ) ∂EMK ∆ R S Θ = ∑ν i SiΘ = − = zi FF ∂T ξ =1 mol ∂T ξ =1 mol ∂EMK ∆ R H = ∑ν i ∆ B H = ∆ R G + ∆ R S = zi FF T − EMK ∂T ξ =1 mol Θ Θ i Θ Θ Halbketten (Elektroden) 49 (5-49). Aus der thermodynamischen Definition der Standard-EMK ergibt sich, dass diese stets als Differenz von zwei Normalpotnzialen geschrieben werden kann, die der linken und der rechten Elektrode zuzuordnen sind. Die einzelnen Werte sind unabhängig von der jeweils anderen Elektrode (und bis auf eine additive Konstante) festgelegt. Man kann daher den Standardwert von einer bestimmten Elektrode willkürlich festsetzen und alle anderen darauf beziehen. Üblich ist, für die Halbkette H+, H2 | Pt unter Standardbedingungen ψ 0Θ = 0 festzulegen und diese als rechte Halbzelle mit der Elektrodenreaktion e- + H+ → ½ H2 einzusetzen (Normal-Wasserstoffelektrode, NHE). Man gibt dann ψ 0Θ aller anderen (rechten) Halbketten als Differenz zur NHE an und schreibt die Elektrodenreaktionen als Reduktionen, z.B. Halbkette (Elektrode) Elektrodenreaktion ψ 0Θ (298 K) / V Zn2+ | Zn e- + ½ Zn2+ → ½ Zn –0,7611 Cl- | AgCl | Ag e- + AgCl → Ag + Cl0,2223 2+ 2+ Cu | Cu e + ½ Cu → ½ Cu 0,339 2+ 2+ Hg2 | Hg2Cl2 | Hg e + ½ Hg2 → ½ Hg2 0,62 O2, H+ | Pt e- + 1/4 O2 +H+→ ½ H2O 1,23 Ce4+, Ce3+ | Pt e- + Ce4+ → Ce3+ 1,61 So lässt sich die im Teil I für Metalle gegebene Tabelle der Normalpotenziale (dort EΘ genannt) um Halbzellen für beliebige Redoxreaktionen erweitern. Die ψ 0Θ -Werte (Normalpotenziale) einer Elektrode sind ein relatives Maß für die Freie Reaktionsenthalpie einer Reduktionsreaktion. Das Vorzeichen legt außerdem die elektrische Polarität der Elektrode in Bezug auf die Standard-Wasserstoffelektrode fest. So ist die StandardEMK der Kette11 Zn | Zn2+, H2O, || H2O, H+, H2 | Pt. Durch 0 – (–0,7611) V = 0,7611 V gegeben, wobei das positive Vorzeichen ausdrückt, dass die Zellreaktion ½ Zn + H+ ⇌ ½ Zn2+ + ½ H2 spontan und freiwillig abläuft, also dass ∆RG⊝ negativ ist; außerdem ist die Zinkelektrode, deren Standard-EMK negativ ist, in Kombination mit der Wasserstoffelektrode negativ polarisiert, fungiert also als Anode. Aus dieser Vorzeichenkonvention ergibt sich allgemein, dass die EMK die Differenz der Potenziale von rechter und linker Elektrode angibt, und dass die Zellreaktion stets als Differenz der Elektrodenreaktion geschrieben werden kann. Als Beispiel soll das Daniell-Element dienen: Zn | Zn2+, Cu2+ | Cu (5-50). Hierfür erhält man unter Standardbedingungen EMK⊝ = ψ rΘ –ψ lΘ =[0,339 – (–0,7611) = 1,001] V. Die Zellreaktion ist hier: Elektrodenreaktion rechts Elektrodenreaktion links Differenz (rechts – links) (5-51) e- + ½ Cu2+ → ½ Cu e- + 1/2 Zn2+ → ½ Zn ½ Cu2+ + ½ Zn → 1/2 Zn2+ + 1/2 Cu Die Kette (5-50) ist als solche ein schlechtes Element, weil bereits beim Eintauchen der Elektroden in eine Lösung, die sowohl Zn- als auch Cu-Ionen enthält, eine chemische Reakti11 Der Doppelstrich symbolisiert ein Diaphragma, s. Gl. (5-52) 50 on ablaufen würde – Auflösung von Zink und Abscheidung von Kupfer - , so dass sich das elektrochemische Gleichgewicht nicht einstellen könnte und keine konstante Spannung messbar wäre. In solchen Fällen trennt man Anoden- und Kathodenraum durch ein sog. Diaphragma, das eine Durchmischung der Lösungen verhindert, jedoch einen Ladungsaustausch erlaubt. Solche Phasengrenzen symbolisiert man mit einem Doppelstrich: Zn | Zn2+ || Cu2+ | Cu (5-52). Am Diaphragma laufen irreversible Diffusionsprozesse zwischen den unterschiedlich zusammengesetzten Lösungen ab, so dass Galvani-Spannungen auftreten (Diffusionspotenziale), die zu (oft vernachlässigten) Messfehlern führen. Etwas besser in dieser Hinsicht sind elektrolytisch leitende Salzbrücken zwischen den Lösungen anstelle des Diaphragmas. Elektroden 1. und 2. Art In der Elektrochemie wird häufig zwischen Elektroden 1. und 2. Art unterschieden. Erstere bedürfen keiner besonderen Erläuterung. Beispiele sind alle Metalle, die in eine Lösung ihrer Salze eintauchen. Als Elektroden 2. Art bezeichnet man solche, an deren Potenzialbildung zwei feste Phasen beteiligt sind. Solche sind oben bereits vorgekommen, z.B. die Ag/AgCl-Elektrode, bei der das AgCl mit einer chloridhaltigen Lösung in Kontakt steht. Die Lösung ist dann zwangsläufig gesättigt bezüglich AgCl, und weitere Chloridionen bestimmen das Potenzial, da die Konzentration der Silberionen durch das Löslichkeitsprodukt K b' = bAg + bCl − / b 2 Θ festgelegt ist. Die Molalität der Silberionen bAg + = K b' / bCl − kann daher in den Wert der Standard-EMK einbezogen werden. RT RT RT ln K b' − ln bCl − = ψ 0Θ, Ag / AgCl − ln bCl − (5-53) FF FF FF Bei hoher Chloridionenkonzentration ist das Potenzial der Elektrode nahezu konstant, so dass Ag/AgCl-Elektroden auch als Standard-Elektroden genutzt werden. EMK = ψ 0Θ, Ag + / Ag + 51 Anhang 1. Exakte Behandlung der Kapillarascension Die Krümmung einer Fläche lässt sich in jedem Punkt durch Angabe von zwei Krümmungsradien r1 und r2 in orthogonalen Richtungen charakterisieren. Legt man in diesen Punkt ein Koordinatensystem ξ, η, ζ, so erhält man dort ein Flächenelement dO = (ξ + dξ )(η + dη ) − ξη = ξdη + ηdξ (A1-1) und ein Volumenelement dv = ξηdζ (A1-2) Außerdem gilt ξ + dξ ξ ξdζ = bzw. = dξ (A1-3) r1 + dζ r1 r1 und entsprechend η + dη η η = bzw. dη = dζ (A1-4) r2 + dζ r2 r2 Im Gleichgewicht halten sich Oberflächenarbeit und Volumenarbeit die Waage pd v = γ d O und daher gilt (A1-5) 1 1 p ⋅ ξηdζ = γ (ξdη + ηdξ ) = γξηdζ + r1 r2 (A1-6) bzw. 1 1 (A1-7) p = γ + r1 r2 (3-49) ergibt sich also aus (A1-7) für den Fall, dass r1 = r2. Wenn man bei der Kapillarascension nicht voraussetzt, dass die Meniskusfläche eine Kugelscheibe bildet, sind die Krümmungsradien Funktionen von x und y, und für jeden Flächenpunkt gilt: p=ρ g y (A1-8) Bezeichnet man mit r1 den Krümmungsradius der Meniskusfläche in der xy-Ebene (Papierebene), so folgt aus der analytischen Geometrie d2 y dy 1 y ′′ ′ ′ ′ = mit y = ; y = 2 (A1-9) r1 [1 + ( y′) 2 ]3 / 2 dx dx r2 bezieht sich auf die Krümmung in einer dazu senkrechten Richtung. In dem hier realisierten Sonderfall einer rotationssymmetrischen Fläche ist r2 die Länge der Normalen. Für diese gilt x tg ϕ y′ = sin ϕ = = (A1-10) r2 1 + tg 2 βϕ 1 + ( y ′) 2 Man erhält daher für die Funktion y(x) die Differentialgleichung 52 y ′′ y′ + (A1-11) [1 + ( y ′) 2 ]3 / 2 x 1 + ( y ′) 2 für die keine explizite Lösung bekannt ist. Für h >> r (Kapillarradius) und nahezu sphärischen Meniskus existiert eine angenäherte Lösung der Form 2γ r r2 r3 (A1-12). = r h + − 0.1288 + 0.1312 2 3 h h ρg (Vgl. Rayleigh, Proc. Roy. Soc. (London) A92 (1915) 184 sowie Adamson “Physical Chemistry of Surfaces” S. 12 ff.) ρ g y =γ 2. Gibbs-Duhem-Gleichung Irgendeine thermodynamische Zustandsfunktion φ ist bei Mischphasen stets die Summe partieller molarer Größen k k i i ∂φ dni . ∂ni i ≠ j φ = ∑ niΦi = ∑ (A2-1). Andererseits hat die Zustandsfunktion ein (totales) Differential k k 1 1 dφ = ∑ ni dΦi + ∑ Φi dni (A2-2) (A2-1) und (A2-2) können nur beide richtig sein, wenn k ∑ n dΦ = 0 i i Gibbs-Duhem-Gleichung. (A2-3) 1 Nutzanwendung für zahlreiche Φi : k ∑ ni dΦi = 0 = n1 dΦ1 + n2 dΦ2 + ... + nk dΦk = 0 (A2-4) 1 k Division durch die Stoffmengen ∑ ni ergibt: 1 k ∑ xi dΦi = 0 = x1 dΦ1 + ... (A2-5) 1 und für Zweistoffsysteme gilt: x1 dΦ1 = − x2 dΦ2 (A2-6) 53