Einfluss von Craniosacral Therapie auf die Regulation des autonomen Nervensystems bei Personen mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen Anwendungsbeobachtung mit HRV-Messung Thesis zur Erlangung des Grades Master of Science (MSc) am Interuniversitären Kolleg für Gesundheit und Entwicklung Graz / Schloss Seggau ([email protected], www.inter-uni.net) vorgelegt von Wanda Girsberger Graz, im November 2012 Wanda Girsberger, 8105 Regensdorf, Schweiz [email protected] Hiermit bestätige ich, die vorliegende Arbeit selbstständig unter Nutzung keiner anderen als der angegebenen Hilfsmittel verfasst zu haben. Graz, im November 2012 Im Sinne fachlich begleiteter Forschungsfreiheit müssen die in den Thesen des Interuniversitären Kolleg vertretenen Meinungen und Schlussfolgerungen sich nicht mit jenen der Betreuer/innen und Begutachter/innen decken, sondern liegen in der Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Thesis angenommen Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau INHALTSVERZEICHNIS 1. ZUSAMMENFASSUNG ..................................................................................................................... 5 2. EINLEITUNG........................................................................................................................................ 12 2.1. 2.1.1. 2.1.2. Relevanz des Themas .......................................................................................................................... 12 Craniosacral Therapie im Kontext der politischen Diskussion um die ............................. Komplementär- und Alternativmedizin in der Schweiz ........................................................... 12 Gesundheitspolitische und klinische Bedeutung von Befindlichkeitsstörungen............... 13 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. Craniosacral Therapie .......................................................................................................................... 14 Historische Wurzeln ............................................................................................................................. 14 Wirkungsbereich ................................................................................................................................... 15 Wirkungsweise....................................................................................................................................... 15 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. Das autonome Nervensystem ............................................................................................................ 17 Zentrales autonomes Netzwerk......................................................................................................... 17 Anatomie und Funktionsweise von Sympathikus und Parasympathikus ............................ 17 Regulation des autonomen Nervensystems .................................................................................. 19 Einfluss von Craniosacral Therapie auf das autonome Nervensystems .............................. 21 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3. 2.4.4. 2.4.5. Die Herzratenvariabilität HRV ......................................................................................................... 23 Herzfrequenz und autonom-nervöser Einfluss auf die Herzfrequenz................................... 23 Herzratenvariabilität: Definition und Einflussfaktoren............................................................. 24 Entwicklung und Bedeutung der Herzratenvariabilität in der Forschung ........................... 25 Analyse der Herzratenvariabilität .................................................................................................... 26 Studienlage zu nicht-invasiven Verfahren der autonom-nervösen Regulation 29 2.5. Forschungsfrage, Hypothesen, Drittvariablen ............................................................................. 30 3. METHODIK ........................................................................................................................................... 31 3.1. Design ....................................................................................................................................................... 31 3.2. Teilnehmende ......................................................................................................................................... 31 3.3. Durchführung ......................................................................................................................................... 31 3.4. Statistische Analyse.............................................................................................................................. 34 4. ERGEBNISSE ....................................................................................................................................... 34 4.1. Übersicht .................................................................................................................................................. 34 4.2. Ergebnisse der einzelnen Parameter................................................................................................ 35 4.3. Besonderheiten....................................................................................................................................... 38 3 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 5. DISKUSSION ........................................................................................................................................ 39 5.1. 5.1.1. 5.1.2. 5.1.3. Interpretation der Ergebnisse............................................................................................................. 39 Veränderung der autonom-nervösen Regulationsfähigkeit ..................................................... 39 Veränderung des regulationsphysiologischen Allgemeinzustands ....................................... 39 Veränderung der sympatho-vagalen Balance LF/HF ................................................................ 39 5.2. Folgerung auf die untersuchte Problematik und den Stand des Wissens ............................ 40 5.3. Eigenkritisches ....................................................................................................................................... 40 5.4. Anregungen zu weiterführender Arbeit ......................................................................................... 41 5.5. Zusammenfassung ................................................................................................................................ 41 LITERATURVERZEICHNIS .......................................................................................................................... 42 ANHANG A 48 ANHANG B 49 ANHANG C 50 4 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 1. ZUSAMMENFASSUNG Einfluss von Craniosacral Therapie auf die Regulation des autonomen Nervensystems bei Personen mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen - Anwendungsbeobachtung mit HRV-Messung Zusammenfassung der Arbeit Autorin: Wanda Girsberger Betreuer: Christian P. Endler Einleitung Hintergrund und Stand des Wissens Hohe Belastungen, Stress und damit einhergehende Befindlichkeitsstörungen sind in unserer westlichen Gesellschaft weit verbreitet und verursachen hohe Kosten im Gesundheitswesen und in der Wirtschaft. Die in einer repräsentativen Untersuchung am häufigsten genannten Beschwerden waren muskuloskelettale Probleme, Nervosität und Reizbarkeit – Symptome, die in der Literatur auch als Befindlichkeitsstörungen oder Stress-Syndrom bezeichnet werden (Grebner et al. 2011; Ramaciotti & Perriard 2003). Befindlichkeitsstörungen gehören zu den subjektiv empfundenen Beschwerden und bewegen sich oft im subklinischen Bereich. Komplementärtherapien bieten sich mit ihrer ganzheitlichen Herangehensweise und den meist nicht-invasiven Methoden für deren Behandlung an. Seit den 1970er-Jahren nimmt die Craniosacral Therapie als komplementäre Methode weltweit an Bedeutung zu. In der Schweiz zählt sie zu den drei am häufigsten aufgesuchten Komplementärtherapien (Marbet 2007). Die wachsende Bedeutung und Professionalisierung der Komplementär- und Alternativmedizin in der Schweiz ist einerseits durch die politische Hoffnung auf einen ökonomischen und präventiven Nutzen komplementärmedizinischer Methoden geprägt und weist andererseits einen Mangel an wissenschaftlich fundierten Studien auf. Es besteht weiter Forschungsbedarf, insbesondere im Bereich von praxisrelevanten Untersuchungen (Heusser 1998). Craniosacral Therapie ist eine nicht-invasive und ressourcenorientierte Methode, bei der das Nervensystem im Zentrum steht. Während einige craniosacrale Techniken einen allgemeinen Einfluss auf die Regulation des ganzen Körpers ausüben, können spezifische Techniken speziell zur Regulation des 5 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Nervensystems angewandt werden (Upledger & Vredevoogd 1994; Upledger 2002; Agustoni 2004; Weber 2004; Lomba & Schröder 2005). Da offensichtlich eine grundlegende Ursache von Befindlichkeitsstörungen in der Veränderung der autonomen Balance zu suchen ist, liegt die Frage auf der Hand, ob Craniosacral Therapie einen regulierenden Einfluss auf die autonom-nervösen Regulationsprozesse ausübt. Zur Darstellung dieser Vorgänge wird weltweit die Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) als quantitatives Standardverfahren eingesetzt (Haensch 2009). In der klinischen Medizin werden HRV-Analysen bereits seit Ende der 80-er Jahre als Messgrösse für die neurovegetative Aktivität und die autonome Funktion des Herzens eingesetzt (Task Force 1996). Mit der Entwicklung mobiler, kostengünstiger Messapparate haben sich die Anwendungsbereiche ausgeweitet, unter anderem auf die Auswertung therapeutischer Interventionen (Pumprla et al. 2002). Da die Methode einfach anzuwenden und nicht-invasiv ist, wurde sie in der vorliegenden Studie als geeignetes Messverfahren ausgewählt. Forschungsfragen, Hypothese a) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unter dem Einfluss einer definierten einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie (Prüf-Intervention)? b) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unter dem Einfluss einer definierten Ruhephase (Kontroll-Ruhephase)? c) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unterschiedlich unter dem Einfluss einer definierten einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie und einer definierten Ruhephase? Die aufgestellte Hypothese lautete: „Eine 30-minütige Craniosacral-Behandlung wirkt erhöhend auf die Werte der Herzratenvariabilität bzw. der Vagus-Sympathikus-Balance der behandelten Person.“ Methodik Design Monozentrische prospektive Anwendungsbeobachtung mit kontrolliertem randomisiertem cross-overDesign. TeilnehmerInnen 35 gesunde Freiwillige mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen in ausgewogenem Geschlechterverhältnis. - Einschlusskriterien: Alter 19 – 60 Jahre, subjektive Befindlichkeitsstörungen gemäss Schlussbericht „Programm Evaluation Komplementärmedizin PEK“ (Melchart et al. 2005: 61). 6 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau - Ausschlusskriterien: Personen mit Herzkreislauferkrankungen; Träger von Herzschrittmachern; langjährige Diabetiker mit neuronalen Ausfällen; Personen mit akuten Infekten; Konsumenten von ßRezeptorenblocker, Antidepressiva, Psychopharmaka, Atropin oder Phenylephrin. Durchführung Alle HRV-Messungen und Behandlungen wurden in einem Praxisraum für Craniosacral Therapie in Zürich durchgeführt. Die ProbandInnen wurden an zwei verschiedenen Tagen vormittags zur gleichen Tageszeit einbestellt. An beiden Tagen erfolgte vor der ersten Messung eine zehnminütige Ruhephase im Sitzen, während der die Teilnehmenden über das Vorgehen informiert und mit dem Messgerät zur Bestimmung der Herzratenvariabilität bekannt gemacht wurden. Bei der Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) handelt es sich um ein verbreitetes nicht-invasives Standardverfahren zur quantitativen Analyse der autonom-nervösen Aktivität. Für die vorliegende Studie wurde ein einfach handhabbares EKG-Gerät in der Form eines Smartphones eingesetzt. Die EKG-Ableitung erfolgte im Sitzen innerhalb 140 Sekunden über Elektrodenkontakt mit den Fingerkuppen der beiden Zeige- und Mittelfinger auf der Rückseite des Geräts. Bei der einen Hälfte der ProbandInnen wurde am 1. Tag während 30 Minuten eine an der individuellen Befundung orientierte 30-minütige Behandlung mit Craniosacral-Therapie nach Dr. J. Upledger durchgeführt, bei der anderen Hälfte erfolgte am 1. Tag die Kontroll-Ruhephase “30 Minuten Liegen ohne Intervention“. Die Abfolge wurde randomisiert durch würfeln. Unmittelbar vor und nach der Therapie bzw. Kontroll-Ruhephase wurden Kurzzeit-EKGs aufgezeichnet. Am 2. Tag wurde die jeweils andere Intervention angewendet, ebenfalls mit Aufzeichnung von Kurzzeit-EKGs vorher und nachher. Die erste Messung (t ..._1) diente dem Kennenlernen des Geräts und wurde nicht ausgewertet. Die zweite Messung (t ..._2) erfolgte unmittelbar vor, die dritte Messung (t ..._3) unmittelbar nach der Ruhe- oder Interventionsphase. Tag 1: Tag 2: Abb. 1: Abfolge der Messungen (blau) und der Kontroll- oder Prüfphasen (grau) an den zwei Tagen. Erklärung im Text. Analyse Herangezogen wurden die Werte für: 7 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau • SDNN ms, die Standardabweichung aller RR-Intervalle, als allgemeines Mass für die Herzratenvariabilität über alle Frequenzbereiche 2 • TP ms , total power der RR-Intervall-Variabilität im Frequenzbereich 0.003-0.4 Hz • ARI %, Gesamt-Regulationsindex (mittels exponentieller Regression aus SDNN und LF/HFQuotienten berechnet) 2 • LF, Sympathikotonus (absolut in ms und normalisiert in nu) 2 • HF, Vagotonus (absolut in ms und normalisiert in nu) • BPM, die durchschnittliche Pulsfrequenz Herzratenvariabilität SDNN und Total Power TP galten als Mass für die Regulationsfähigkeit der ProbandInnen, der Gesamt-Regulationsindex ARI als Mass für den regulationsphysiologischen Allgemeinzustand, der Quotient LF/HF als Mass für die sympatho-vagale Balance, der Vagotonus HF als Mass für Entspannung - invers zum Sympathikotonus LF als Mass für Stressbelastung (Task Force 1996; Wittling et al. 2007). Ausgewertet wurden a) alle ProbandInnen und b) diejenigen ProbandInnen mit einem initialen SDNNWert < 75ms. Die Auswertung mehrerer HRV-Studien am Interuniversitären Kolleg für Gesundheit und Entwicklung, Graz, sowie die Informationen des Herstellers, legten diese Unterteilung nahe, um jene ProbandInnen auszufiltern, deren hoher initialer SDNN-Wert keine Unterscheidung ermöglicht zwischen extremem Trainingseffekt und einem pathologisch-chaotischen Zustand. Die erhobenen Parameter wurden mittels ANOVA Varianzanalyse mit wiederholten Messungen in einem Vorher-/Nachher-Vergleich und mit Kontroll- und Interventionsphase als unabhängige Variablen von einem Statistiker ausgewertet. Es wurde das Signifikanzniveau p < 0.05 gewählt. Ergebnisse In der vorliegenden Studie wurde bei gesunden Erwachsenen mit subjektivem Stressempfinden die Wirkung einer einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie getestet gegen Liegen ohne Intervention. Untersucht wurde die Wirkung anhand der Herzratenvariabilität und der Vagus-Sympathikus-Balance (Regulationsniveau). Erhoben wurden die Werte von 35 Personen - 19 Frauen und 16 Männern mit sujektivem Stressempfinden. Ausgewertet wurden die Daten von 31 Personen - 16 Frauen und 15 Männern. 4 Personen wurden von der Studie ausgeschlossen, weil ihre Messungen mehr als 10% Artefakte aufwiesen. Die Messqualität betrug im Durchschnitt 97,2 %. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmenden betrug 46,2 Jahre. Überblick 8 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 ALLE PROBANDiNNEN = 31+31 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau N Ruhe Intervention Parameter t1_2 p-Wert t1_3 t2_2 p-Wert t2_3 SDNN ms 65.95 ± 45.32 > 0.05 75.92 ± 50.52 55.21 ± 43.34 < 0.05 72.97 ± 40.01 1375.7 1756.80 < 0.01 3113.29 3526.84 TP ms2 2161.26 2680.72 ARI % 56.32 ± 30.46 > 0.05 61.76 ± 26.24 48.20 ± 22.27 < 0.01 63.55 ± 25.69 LF/HF 3.55 ± 8.43 > 0.05 3.59 ± 4.08 2.25 ± 2.41 > 0.05 3.06 ± 4.08 LFms2 677.03 ± 936.50 > 0.05 1006.05 1183.89 LF n.u. 55.1 ± 21.33 63.27 ± 23.22 56.27 ± 21.13 > 0.05 60.65 ± 21.31 HFms2 599.33 ± 952.06 > 0.05 556.12 ± 807.00 414.25 899.22 < 0.01 754.84 1431.92 HF n.u. 44.90 ± 21.33 < 0.05 36.73 ± 23.22 43.73 ± 21.13 > 0.05 39.35 ± 21.31 Puls bpm 67.45 ± 10.13 < 0.05 65.26 ± 9.28 68.45 ± 11.22 < 0.001 64.52 ± 9.45 ± > 0.05 < 0.05 2575.48 2555.28 ± ± 480.48 596.20 ± ± ± < 0.001 1143.33 1239.16 ± ± ± Tab.1: Mittelwerte mit Standardabweichungen der Messergebnisse vor und nach der Ruhephase (t1_2 und t1_3), vor und nach der Interventionsphase (t2_2 und t2_3). Die p-Werte bezeichnen die statistische Signifikanz. Bei den Parametern für die Herzratenvariabilität SDNN, TP und beim Gesamt-Regulationsindex ARI zeigte sich eine nicht signifikante Erhöhung in der Kontroll-Ruhephase und eine signifikante Erhöhung in 9 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau der Prüf-Interventionsphase. Die sympatho-vagale Balance LF/HF erhöhte sich in beiden Phasen nicht signifikant. Die absoluten Werte für den Sympathikotonus LF und den Vagotonus HF erhöhten sich in der Ruhephase nicht signifikant, während sie in der Interventionsphase signifikant anstiegen. Bei den normalisierten Werten zeigte sich bei beiden Phasen keine signifikante Veränderung. Die Pulsfrequenz sank mit der Craniosacral-Behandlung hoch signifikant im Gegensatz zur Ruhephase. Besonderheiten Interessant sind die hohen Streuwerte der gemessenen Mittelwerte. Die Detailanalyse der Daten zeigt, dass die Ausreisser auf überdurchschnittliche Sportlichkeit oder auf durchgemachte Krankheit bzw. schwierige Lebensumstände zurückzuführen sind. Die ProbandInnen mit SDNN-Anfangswerten < 75ms wurden in einer Untergruppe separat ausgewertet. Bei hohen Anfangswerten > 75ms kann nicht unterschieden werden, ob es sich dabei um Personen im guten Trainingszustand oder um Menschen im pathologisch-chaotischen Zustand handelt. Anders als in der Gesamtgruppe zeigten sich in dieser Auswertung signifikante Veränderungen sowohl in der Ruhephase als auch in der Interventionsphase bei SDNN, TP und ARI. Allerdings wird die Aussagekraft durch die relativ kleine ProbandInnen-Zahl von 21 eingeschränkt. Diskussion Interpretation der Ergebnisse Herzratenvariabilität SDNN (ms) und Total Power (ms2) galten in dieser Untersuchung als Mass für die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit der ProbandInnen. Mit der einmaligen dreissigminütigen craniosacralen Behandlung zeigte sich - im Gegensatz zum gleich langen Liegen ohne Intervention - eine signifikante Erhöhung bei SDNN und eine hoch signifikante Erhöhung bei TP. Die Herzratenvariabilität und somit die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit - der ProbandInnen hat demnach zugenommen. Dies weist darauf hin, dass mit einer individuell angewandten, einmaligen Craniosacral Therapie-Behandlung der autonom-nervöse Regulationsstatus angehoben und somit die Regulationsfähigkeit verbessert wird. ARI (%) wurde als Mass für den regulationsphysiologischen Allgemeinzustand herangezogen. In diesem Parameter werden sowohl die Vagus-Sympathikus-Balance als auch das autonom-nervöse Regulationsniveau so gewichtet, dass eine Aussage im Sinn eines Fitness- oder Gesundheitsindikators gemacht werden kann. Die signifikante Erhöhung von ARI (%) in der Interventions-Phase weist darauf hin, dass eine einmalige Behandlung mit Craniosacral Therapie das Regulationsniveau der Behandelten erhöht und der Organismus somit im Sinn einer gesunden Reaktion besser auf Anforderungen reagieren kann. Craniosacral Therapie könnte daher für stressgeplagte Menschen insbesondere bei der Stärkung der Widerstandsressourcen und der adäquaten Verarbeitung von Stressfaktoren eine sinnvolle Unterstützung darstellen. 10 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau LF/HF zeigte bei keiner Auswertung eine signifikante Veränderung. Im Detail ist jedoch zu erkennen, dass der Vagotonus HF deutlicher ansteigt unter der Intervention. In der Ruhephase sinkt der durchschnittliche HFms2-Wert in der Gesamtgruppe, während er bei der Gruppe „SDNN < 75ms“ ansteigt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass bei den ProbandInnnen mit extremen SDNN-Anfangswerten das ruhige Liegen ohne Intervention keinen entspannenden Effekt zeigt, sondern im Gegenteil die Sympathikus-Aktiviät steigert. Allerdings mindert die kleine Sub-Untersuchungsgruppe die Aussagekraft. Folgerung auf die untersuchte Problematik und den Stand des Wissens Die vorliegende Studie untersuchte den Einfluss von Craniosacral Therapie auf Personen mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen. Es zeigte sich, dass eine Behandlung im Vergleich zu einer Ruhephase in stärkerem Mass ausgleichend wirkt auf das autonom-nervöse Regulationsniveau und die Herzratenvariabilität mehr erhöht. Die Hinweise in der craniosacralen Literatur über empirisch beobachtete Wirkungen der Craniosacral Therapie auf das Nervensystem können demzufolge mit modernen Messmethoden wie der Herzratenvariabilitäts-Analyse überprüft und teilweise bestätigt werden. Weitere Studien sind unerlässlich, um diese Resultate zu überprüfen. Es könnte aber einen wissenschaftlich fundierten Weg darstellen, die Wirksamkeit der Craniosacral Therapie zu untersuchen. Eigenkritisches Die praxisnahe Auswahl von ProbandInnen mit einer grossen Altersspannweite und grossen Unterschieden bezüglich psychischem, physischem und gesundheitlichem Befinden führte zu einer breiten Streuung der Messergebnisse. Für weitere Studien wäre eine Einschränkung zumindest bezüglich des Alters, evtl. auch bezüglich des Fitnessniveaus in Erwägung zu ziehen. Personen, die zum ersten Mal eine Craniosacral-Behandlung erhielten, könnten mit Unsicherheit oder Aufregung reagiert haben. Dieser Einfluss auf die gemessenen Parameter hat keinen direkten Zusammenhang mit der angewendeten Intervention. Für weitere Studien wäre vorherige Behandlungserfahrung als Einschlusskriterium sinnvoll. In der vorliegenden Untersuchung wurde auf Verblindung verzichtet. Sowohl den ProbandInnen als auch der Versuchsleiterin war es theoretisch möglich, die Messresultate auf dem Bildschirm des Messgeräts einzusehen. Bei einer Folgestudie wäre dies mit einer Verblindung zu berücksichtigen. Die Untersuchung wurde an ProbandInnen mit subjektivem Stressempfinden durchgeführt. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, wurde dieses Empfinden nicht mittels Fragebogen, wie z.B. Perceived stress scale von Cohen, erhoben. Eine Skalierung war somit nicht möglich. Es zeigte sich, dass solche Empfindungen leicht beeinflussbar sind: ein akutes geschäftliches Problem oder ein entspannendes Wochenende zwischen den beiden Messzeitpunkten veränderten die Befindlichkeit einzelner Personen offensichtlich. Interessant für alle Beteiligten war, dass sich sowohl bei der Anfangs- als auch bei der Schlussmessung die subjektive Wahrnehmung von Stress bzw. Entspannung und die HRV-Messwerte 11 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau nicht immer entsprachen. Dieselbe Divergenz fanden Curic et al. (2008:20) bei ihrer Untersuchung. Wer sich gestresst fühlt, muss nicht zwangsläufig hohe Sympathikus-Werte haben. Anregungen zu weiterführender Arbeit Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine quasi-experimentelle Studie, bei welcher ProbandInnen mit sujektivem Stressempfinden je einmal mit und einmal ohne Intervention beobachtet wurden. Gerade bei stressinduzierten Symptomen kommen KlientInnen normalerweise jedoch mehr als einmal zur Craniosacral Therapie. Es wäre deshalb sinnvoll, die Stabilität der Werte in einer vollständigen Anwendungsbeobachtung über Wochen oder Monate zu verfolgen. So könnte die Nachhaltigkeit einer Serie von craniosacralen Behandlungen in Bezug auf die Herzratenvariabilität geprüft werden. Die Ausgangsmesswerte der ProbandInnen zeigten grosse Unterschiede bezüglich des autonom-nervösen Niveaus. Es wäre interessant zu untersuchen, welche Menschen am meisten von einer Intervention mit Craniosacral Therapie profitieren. Der Hinweis, dass sich ProbandInnen mit SDNN-Anfangswerten > 75ms im Liegen ohne Intervention möglicherweise nicht so gut entspannen können wie mit einer Intervention, könnte in einer grösseren Untersuchung überprüft werden. Noch fehlen standardisierte Werte für die in dieser Studie angewandte Kurzzeitmessung, so dass zwar Veränderungen dargestellt, diese aber (noch) nicht in ein grösseres Ganzes eingeordnet werden können. Trotzdem weisen die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass die Craniosacral Therapie die autonomnervöse Regulationsfähigkeit der behandelten Personen unterstützen kann. Literatur - Agustoni, D. (2004): Craniosacral Selbstbehandlung. Wohlbefinden und Entspannung durch sanfte Berührung. Kösel, München. ISBN 3-466-34471-9. - Curic, A., Männer, H., Meissner, S., Morawetz, F. (2008): Untersuchung zur Herzratenvariabilität unter Stress- und Entspannungs-Bedingung. Empirische Erhebungen zum Bereich der Medien- und Gesundheitspsychologie: Institut für experimentelle Psychologie, Universität Regensburg. - Grebner, S., Berlowitz, I., Alvarado, V., Cassina, M. (2011). Stress-Studie 2010. Stress bei Schweizer Erwerbstätigen. Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit. Bern: Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). - Haensch, CA., Jost, W. (Hrsg) (2009): Das autonome Nervensystem: Grundlagen, Organsysteme und Krankheitsbilder. Stuttgart: W. Kohlhammer. ISBN 978-3-17-019464-9. - Heusser P. (1998): Kriterien zu Beurteilung des Nutzens von komplementärmedizinischen Methoden. Auszug aus: Entwurf zu Handen der Eidgenössischen Leistungskommission ELK I/98. Kapitel 2.1.6. und 2.2.2. <ftp://ftp.unizh.ch/dekmed/BACKUP/Komplementaermedizin/bsv/bsvkrit1.htm> [Zugriff 24.10.11, 20.29h] - Lomba, J., Schröder, G. (2005): Craniosacrale Osteopathie in der Kinder- und Erwachsenenpraxis. Eine neurophysiologische Technik. 2. überab. erw. Aufl. München: Pflaum Verlag. ISBN 3-7905-0920-5. 12 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau - Marbet, P. (2007): Steigende Akzeptanz, immer mehr Zusatzversicherte. Interview in: Compliment. Aeskulap-Klinik Newsletter Nr. 26: 7. - Melchart, D., Mitscherlich, F., Amiet, M., Eichenberger, R., Koch, P. (2005): Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK), Schlussbericht. Bern. - Pumprla, J., Howorka, K., Groves, D., Chester, M., Nolan, J. (2002): Functional assessment of heart rate variability: physiological basis and practical applications. Review Article. In: Int J Card, 84 (1): 114. - Ramaciotti, D., Perriard, J. (2003): Die Kosten des Stresses in der Schweiz. Eine Bestandesaufnahme. Genf: Im Auftrag von: Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion für Arbeit, Ressort Arbeit und Gesundheit (seco). - Task Force of The European Society of Cardiology, The North American Society of Pacing and Electrophysiology (1996): Heart rate variability. Standards of measurement, physiological interpretation, and clinical use. In: Eur Heart J, 17: 354-381. - Upledger, JE., Vredevoogd, J.D. (1994): Lehrbuch der Kraniosakral-Therapie. 2. Aufl. Heidelberg: Haug. ISBN 3-7760-1300-1. - Upledger, JE. (2002): Lehrbuch der CranioSacralen Therapie II. Beyond the Dura. Stuttgart: Haug Verlag. ISBN 3-8304-7091-6. [Amerik. Originalausgabe: Seattle: Eastland Press, 1987] - Weber, KG. (2004): Kraniosakrale Therapie. Ressourcenorientierte Behandlungskonzepte. Berlin: Springer. ISBN 3-540-04392-6. - Wittling, W., Schweiger, E., Wittling, RA. (2007): Diagnostik der Herzratenvariabilität. Einblicke in die autonom-nervöse Regulation von Stressverarbeitung, Befindlichkeit, Verhalten und Gesundheit. In: ZNF Forschungsberichte. Universität Trier, Zentrum für Neuropsychologische Forschung. 2. EINLEITUNG 2.1. Relevanz des Themas Relevanz der vorliegenden Arbeit besteht in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion um die Komplementärmedizin in der Schweiz und im Bedarf an Untersuchungen zu nicht-invasiven Behandlungsmethoden bei Befindlichkeitsstörungen. 2.1.1. Craniosacral Therapie im Kontext der politischen Diskussion um die Komplementär- und Alternativmedizin in der Schweiz Die Komplementär- und Alternativmedizin (engl. Abk.: CAM) erfreut sich einer hohen Nachfrage und breiten Akzeptanz in der Schweizer Bevölkerung. Rund die Hälfte davon hat schon CAM in Anspruch genommen, eine Mehrheit der Behandelten beurteilt die erfolgte Therapie als wirksam (Sommer et al. 1996, Wolf et al. 2006). Seit 1970 nimmt die Craniosacral Therapie als Komplementäre Methode weltweit einen immer grösseren Platz ein. In der Schweiz zählt sie zu den drei am häufigsten aufgesuchten Komplementärtherapien (Marbet 2007). Zur Zeit sind knapp 1000 TherapeutInnen im nationalen Berufsverband registriert (Cranio Suisse 2012a). Neben 16 weiteren Methoden der Komplemen- 13 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau tärtherapie gehört Craniosacral Therapie zu den von der „Organisation der Arbeit OdA KomplementärTherapie“1 definitiv aufgenommenen Methoden, für welche unter der Führung des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie die Schaffung eines anerkannten Berufs im Gang ist (BAG 2011, OdA KTTC 2011). Ein nationales Diplom für Komplementärtherapeuten wurde bereits eingeführt. Diese Entwicklung ist Ausdruck sowohl der wachsenden Nachfrage und Relevanz dieser Therapieformen als auch der laufenden Qualitätssicherung der Komplementär- und Alternativmedizin in der Schweiz. Durch die deutliche Zustimmung (67%) der Schweizerischen Bevölkerung in der Abstimmung vom 17. Mai 2009 über die Berücksichtigung der Komplementärmedizin durch Bund und Kantone sind die Berufsanerkennung und die Qualitätssicherung nichtärztlicher Therapeuten laut Prof. Dr. R. Saller (2009), Direktor des Instituts für Naturheilkunde am Universitätsspital Zürich, wichtige anstehende Schritte. Die aktuelle CAM-Diskussion in der Schweiz zeigt einerseits die politische Hoffnung auf einen ökonomischen und präventiven Nutzen komplementärmedizinischer Methoden und andererseits einen Mangel an wissenschaftlich fundierten Studien zum Thema. Es besteht grosser Forschungsbedarf, insbesondere im Bereich von praxisrelevanten Untersuchungen zu Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Diese drei Faktoren entscheiden aufgrund der schweizerischen Gesetzeslage über die Zulassung von Therapien und deren Aufnahme in den Leistungskatalog der Krankenkassen. Dr. Peter Heusser, Dozent an der “Kollegialen Instanz für Komplementärmedizin” (KIKOM) der Universität Bern, misst in diesem Zusammenhang praxisnahen Evaluationsverfahren prioritäre Bedeutung zu (Heusser 1998). Dieser Forderung wird in der vorliegenden Arbeit mit einem möglichst realitätsnahen Studiendesign Rechnung getragen. 2.1.2. Gesundheitspolitische und klinische Bedeutung von Befindlichkeitsstörungen 87% der schweizerischen Bevölkerung schätzten in einer repräsentativen Umfrage 2007 ihre Gesundheit als gut oder sehr gut ein. Gleichzeitig weisen 83% der Befragten geringe, 13% mittlere und 4% hohe psychische Belastungen auf (Lieberherr et al. 2010). Mit zunehmender Komplexität unseres Alltags, steigender Belastung in Schule, Beruf und Familienleben nimmt das subjektive Gefühl von Stress bei vielen Menschen ständig zu. Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Staatssekretariats für Wirtschaft in der Schweiz fühlten sich vier von fünf Erwerbstätigen in den vergangenen zwölf Monaten gestresst, gut ein Viertel (26,6%) oft oder sehr gestresst. Dies äusserte sich bei 12% der Befragten unter anderem in gesundheitlichen Problemen und entsprechend hohen anfallenden Behandlungskosten (23% 1 Die Organisationen der Arbeitswelt OdA (Beruf- und Branchenverbände, Sozialpartner) definieren Bildungsinhalte, vermitteln Berufsqualifikationen und stellen Ausbildungsplätze bereit. In der OdA KTTC haben sich Berufsverbände mit ihren angeschlossenen Ausbildungsinstituten zusammengeschlossen, um den neuen Beruf KomplementärTherapeutin/KomplementärTherapeut zu schaffen (s. auch www.komplementaer.org). 14 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau der Gesamtkosten). Die jährlich entstehenden Kosten an schweizerischen Arbeitsplätzen belaufen sich auf schätzungsweise 4 Milliarden Franken. Als häufigste Beschwerden wurden muskuloskelettale Probleme, Nervosität und Reizbarkeit genannt – Symptome, die in der Literatur auch als Befindlichkeitsstörungen oder Stress-Syndrom bezeichnet werden (Ramaciotti & Perriard 2003). In der Folgestudie 2010 (Grebner et al. 2011) war der Anteil der Personen, die «häufig» und «sehr häufig» Stress empfanden, auf 34.4% gestiegen. Stressreaktionen sind grundsätzlich eine sinnvolle Adaption unseres Körpers an innere und äussere Belastungen. Chronische Stressbelastung - verbunden mit fehlenden Bewältigungsmöglichkeiten - kann jedoch das System überfordern und unangenehme Symptome nach sich ziehen. Blutdruck und Herzfrequenz steigen an, es bilden sich freie Fettsäuren. Durch die Erregung des sympathischen Nervensystems werden die Fasern des Eingeweidenervs (N. splanchnicus) aktiviert. Dies erhöht die Konzentration von Adrenalin, Noradrenalin oder Cortisol im Blut. Kurzfristig ermöglicht dies dem Körper schnelles Handeln, um auf einen Stressor reagieren zu können. Langfristig kann eine erhöhte Konzentration dieser Neurotransmitter und Hormone allerdings Schäden an den Blutgefässen verursachen (Bartels & Bartels 1987). Im Extremfall kann Stress so zu Befindlichkeitsstörungen und zu Krankheiten führen: Zahlreiche dieser Parameter zählen zu den Risikofaktoren für Herz-, Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen, Magengeschwüren und psychischen Störungen (Thayer et al. 2005, Schandry 2011:327ff). Befindlichkeitsstörungen wie allgemeines Schwächegefühl oder Müdigkeit, Einschlafschwierigkeiten oder Schlaflosigkeit, psychische Beschwerden wie Depression oder depressive Verstimmung, bzw. nervliche Anspannung, Gereiztheit oder Nervosität wurden im Schlussbericht „Programm Evaluation Komplementärmedizin PEK“ als bedeutendste Indikatoren dafür aufgeführt, weshalb Personen in der Schweiz komplementärmedizinische Behandlungen aufsuchen (Melchart et al. 2005: 61). Dies kann als Bestreben der Betroffenen gedeutet werden, Alternativen zur medikamentösen Behandlung zu finden. Gefragt sind nicht-invasive Verfahren, die mit der Stärkung von Widerstandsressourcen und Strategien zur Bewältigung der Belastung den Betroffenen einen positiven und nachhaltigen Umgang mit dem Stress ermöglichen. Um ein möglichst praxisnahes Setting zu schaffen, wurden für die vorliegende Studie ProbandInnen mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen gemäss des PEK-Schlussberichts gesucht (s. Anhang A), wobei psychische Beschwerden und Depressionen nicht in die Indikationsliste aufgenommen wurden. Craniosacral TherapeutInnen geben an, durch die Stärkung der natürlichen Balance des autonomen Nervensystems einen positiven Einfluss auf Befindlichkeitsstörungen auszuüben. Die entspannende Wirkung wird von vielen PatientInnen als Grund angegeben, diese Therapie aufzusuchen. Cutler et al. (2005) beobachteten in einer randomisierten Pilotstudie mit 20 ProbandInnen, dass die craniosacrale Technik CV4 die Einschlafzeit der Behandelten verkürzte (p<0.05) und die während der Intervention gemessene Aktivität der efferenten sympathischen Muskelaktivität signifikant reduzierte (p<0.01), 15 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau während es bei der Kontrollgruppe keine Veränderung gab. In einer deskriptiven Outcome-Studie (Harrison et al. 2011) wurden die Behandlungsergebnisse bei 157 PatientInnen untersucht. Neben der Schmerzreduktion wurde von den Befragten die Stressreduktion als wesentlichster Erfolg der Behandlungen angegeben. In der vorliegenden Studie soll untersucht werden, ob sich die subjektive Wahrnehmung nach einer einmaligen Behandlung mit Craniosacral Therapie in einer quantitativ gemessenen Veränderung der Balance des autonomen Nervensystems zeigt. 2.2. Craniosacral Therapie 2.2.1. Historische Wurzeln Die Wurzeln der Craniosacral Therapie werden ebenso wie jene der Osteopathie Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) zugeschrieben, der als Landarzt in Missouri tätig war. Still distanzierte sich von den zu jener Zeit praktizierten symptomorientierten Heilverfahren, insbesondere von der oft unbedachten und gefährlichen Medikamentenabgabe (v.a. Opium und Quecksilberchlorid). Er entwickelte eine ganzheitliche körperliche Behandlungsmethode mit dem Ziel, die Symptome ursächlich zu behandeln und damit die Autoregulation wieder zu ermöglichen. Der Wirbelsäule schrieb er eine hohe Bedeutung zu für die Funktionalität von Nerven, Muskeln und Blutgefässen. Ebenso wichtig war ihm die freie Zirkulation des Liquor cerebrospinalis. Dieser wird in den Gehirnkammern (Ventrikeln) erzeugt. Er schützt, nährt und entschlackt das zentrale Nervensystem (Hirn, Rückenmark und Nerven) und hat damit eine zentrale Bedeutung für den Organismus. (Still & Hartmann 2005). 1900 gelangte der amerikanische Osteopath Dr. William G. Sutherland (1873-1954) zur Überzeugung, dass die Knochen des Schädels nicht starr verwachsen, sondern beweglich sind. Bei einer Reihe von Eigenversuchen mit einem Helm, der die Bewegungen der Schädelnähte einschränkte, dokumentierte er Beschwerden, die mit der Aufhebung dieser Blockaden wieder verschwanden. In der Folge entwickelte er zur Entspannung von strukturellen Restriktionen eine Reihe von sanften manuellen Impulsen. Diese wirken auf die bindegewebigen Strukturen und damit auf die fluiden Bestandteile des Körpers, insbesondere auf den Liquor cerebrospinalis. Den Liquor betrachtete er als Träger des „Lebensatems“ (Breath of Life), dem er eine „vitale Urenergie“ zuschrieb (Sutherland & Hartmann 2008). Sutherland entwickelte daraus ein System zur körperlichen Untersuchung und Behandlung: die "Craniale Osteopathie" (Liem 2001). Mit speziellen Handgriffen sollen eigenständige inhärente Rhythmen des menschlichen Organismus im Sinne einer Harmonisierung beeinflusst werden. Seine Methode wurde u.a. von F. Sills (Sills 2001, 2004; Chitty 2006), R. Becker, R. Fulfort und J. Jealous weiterentwickelt zur Craniosacralen Biodynamik. Um den Rahmen dieser Thesis nicht zu sprengen, wird auf diese Konzepte nicht eingegangen. Dr. John E. Upledger (*1933), ebenfalls amerikanischer Arzt und Osteopath, entwickelte in den Jahren nach 1970 aus Techniken von Still und Sutherland eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die er 16 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau „Craniosacral Therapie“ nannte. In der Praxis hatte er zudem beobachtet, dass manchmal nicht allein körperliche Blockaden den Heilungsprozess behindern, sondern auch Gedanken und Gefühle (Upledger 2010). Nach und nach ergänzte er deshalb seine Behandlungen mit „somatoemotionaler Entspannung“ und Elementen aus der damals aufkommenden alternativen Psychotherapie (C.G. Jung, Gestalttherapie, Psychosynthese, Hakomi). Dieser Einblick in die historische Entwicklung zeigt den wesentlichen Ansatz: Ziel der Craniosacral Therapie ist eine Aktivierung der Selbstheilungsmechanismen von Körper und Geist mittels sanfter manueller Impulse. Die Funktionalität des Nervensystems steht dabei im Zentrum der Behandlung. In den folgenden Abschnitten wird zuerst der Wirkungsbereich der craniosacralen Therapie in der heutigen Zeit beleuchtet und dann ein Einblick in die Wirkungsweise der Methode gegeben. 2.2.2. Wirkungsbereich Die craniosacrale Therapie wird in der Schweiz vorwiegend von selbständig in eigener Praxis arbeitenden Therapeutinnen und Therapeuten praktiziert. In der Regel melden sich Patientinnen und Patienten aus eigener Initiative für die Therapie an, manche werden von ärztlichen und zahnärztlichen Fachpersonen oder Hebammen überwiesen. Die Therapie wird als eigenständige Behandlung oder begleitend zur ärztlichen Behandlung angewendet für Menschen jeden Alters, vom Säugling bis zum Greis. Die Behandlung erfolgt am bekleideten Menschen, bevorzugt im Liegen. Auch die stehende oder sitzende Position ist möglich. Bewährte Indikationen sind laut dem Schweizerischen Berufsverband Cranio Suisse (2011c) unter anderen: • Rehabilitation nach Krankheit oder Unfall • Regulation für den Bewegungsapparat, die Organe, das Lymphsystem, das Hormonsystem, das vegetative und zentrale Nervensystem • chronische Schmerzzustände • Schlafprobleme, Erschöpfungszustände, Depression • stressbedingte Beschwerden, Burnout-Syndrom • Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung • Hyperaktivität von Kindern, Konzentrationsstörungen und Lernschwierigkeiten • Sinusitis, Tinnitus • kieferorthopädische Probleme Die Untersuchungen von Christine (2009), Raviv (2009) und Mataràn-Peñarrocha (2009) zeigen eine signifikante Wirksamkeit in der begleitenden Behandlung von spezifischen Erkrankungen mit Craniosacral Therapie. 17 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 2.2.3. Wirkungsweise Die craniosacrale Behandlung wird nicht primär auf Symptome ausgerichtet, sondern nach Prioritäten, die sich aufgrund der körperlichen Anamnese durch die Therapeutin ergeben. Als Wegweiser bei der Behandlung dient der feine, nur von dazu ausgebildeten und geübten Personen wahrnehmbare craniosacrale Rhythmus (Lomba & Schröder 2005:15). Liem (2001:21) beschreibt eine enge wechselseitige Beziehung insbesondere zum neurovegetativen System. Die sanften manuellen Techniken der Craniosacral Therapie werden von der Therapeutin am ganzen Körper ausgeführt, der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Sacrum (Kreuzbein), der Wirbelsäule und dem Cranium (Schädel). Liem (2001:10) beschreibt, wie durch innere und äussere Einflüsse im Körper Dysfunktionen entstehen können, die zu feinen Bewegungseinschränkungen der entsprechenden Gewebe führen. Physiologische Veränderungen innerhalb eines Gewebes oder zwischen verschiedenen Organstrukturen sind für den geübten Therapeuten palbierbar und können behandelt werden, bevor sich schwerwiegendere Symptome bemerkbar machen. In der Tiefe zeigt sich die Wirkung dieser Impulse an der Entspannung von Hirn- und Rückenmarkshäuten (Meningen, craniale und spinale Dura mater) und schliesslich des Nervensystems (Upledger & Vredevoogd 1994: 245). Die ganzheitliche Herangehens- und Wirkungsweise wird vom Schweizerischen Berufsverband für Craniosacral Therapie (CranioSuisse 2011d:6) wie folgt definiert: „Durch das Arbeiten mit dem Bewegungsapparat, dem Craniosacral System, den Organen, mit den Fulcra, durch die Begleitung in die Stille und im Wahrnehmen der Potency können sich im Nervensystem, an Faszien/Bindegewebe, Organen, Muskeln, Knochen und allen anderen Geweben Spannungen, Funktionsstörungen und strukturelle Veränderungen erneut verändern – ebenso zugrunde liegende Muster, deren Folgeerscheinungen und Kompensationen.“ Durch die tiefe ganzheitliche körperliche wie seelische Entspannung, ebenso wie durch die Aktivierung der Eigenwahrnehmung (Introzeption) wird demnach für Körper und Seele der behandelten Person ein Raum geschaffen, in welchem die Eigenregulation verstärkt wirken kann: die Blutversorgung wird verbessert, die nervalen Impulse reguliert und Überreizungen normalisiert. Upledger beschreibt den Effekt der Craniosacral Therapie in diesem Sinn: „Die Wiederherstellung der autonomen Flexibilität gilt als positive therapeutische Wirkung der Craniosacral Therapie. Der Begriff der autonomen Flexibilität bezeichnet eine verbesserte Fähigkeit des autonomen Nervensystems, wirksam auf Stress und Herausforderungen zu reagieren.“ (Upledger 1991:32). 18 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Laut Melchart (2011) sind „die Stärkung und das Training physiologischer Basisfunktionen der neurovegetativen Regulation und Propriozeption...“ ein Kernaspekt zur Förderung der Salutogenese. Die Ressourcenstärkung und die Förderung von Fähigkeit und Fertigkeit der Bewältigung von Belastungen werden auch in der Methodenidentifikation des Berufsverbands Cranio Suisse hervorgehoben. Im Mittelpunkt des Behandlungsprozesses steht die innere Aufmerksamkeit des Klienten. Dies erleichtert das bewusste Wahrnehmen physischer und psychischer Prozesse und stärkt mit fortschreitender Regulation das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Cranio Suisse 2011d). Durch die Introzeption des Entspannungsprozesses findet eine Bewusstseinsschulung statt - das neue Körpergefühl wird vertieft und verankert (Agustoni 2004:28). Die nicht-invasive, möglichst neutrale und ressourcenorientierte Haltung der Therapeutin scheint eine wichtige Unterstützung darzustellen für den Ausgleich der lokal behandelten Struktur und damit des ganzen Systems. Mehrere Autoren beschreiben, wie sich im Lauf der Behandlung die verschiedenen körperlichen Rhythmen der behandelten Person synchronisieren. Das Ergebnis ist im Idealfall ein Zustand der Harmonie aller körperlichen Systeme, in der die Selbstheilungskraft gestärkt wird. (Augustoni 2004:162; Sills 2001, 2004; Liem 2001:345ff; Weber 2004:202, 213) In den vorangegangen Abschnitten wurden schriftliche Quellen aufgeführt, welche der craniosacralen Therapie einen regulierenden Einfluss auf das autonome Nervensystem (Abk. ANS) zuschreiben. Von der Autorin konnten keine Studien eruiert werden, welche diesen Einfluss bei Gesunden in der Praxis untersuchen. Deshalb soll mittels der Herzratenvariabilitätsanalyse in der vorliegenden Untersuchung ein Schritt in diese Richtung erfolgen. Für ein detaillierteres Verständnis der Regulationsmechanismen werden im folgenden Kapitel die Anatomie und die Funktion des ANS umrissen. 2.3. Das autonome Nervensystem Das autonome Nervensystem - auch vegetatives oder viszerales Nervensystem genannt - steuert lebenswichtige Körperfunktionen, die in der Regel unwillkürlich ablaufen. Dazu gehören im wesentlichen Kreislauf, Atmung, Stoffwechsel, Verdauung, Sekretion, Wasserhaushalt, Wärme- und Blutdruckregulation sowie die Sexualfunktionen. Es wird anatomisch und funktionell differenziert in das zentrale autonome Netzwerk und in die peripheren Anteile, bestehend aus Sympathikus, Parasympathikus und dem enterischen Nervensystem (Neuhuber in: Haensch & Jost 2009:15). Auf letzteres wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, weil es keinen direkten Einfluss auf die Herzfunktion hat. 2.3.1. Zentrales autonomes Netzwerk 19 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Die Steuerung des ANS erfolgt über ein hierarchisch strukturiertes zentrales Netzwerk. Es besteht hauptsächlich aus eng miteinander verschalteten neuronalen Kerngebieten im Gehirn. Sie erstrecken sich vom niederen Hirnstamm (Medulla oblangata) bis in in die höchste Hirnregion, den zerebralen Cortex. Dies weist darauf hin, dass der cerebrale Cortex nicht nur unsere intellektuellen und emotionalen Vorgänge steuert, sondern auch eng mit dem autonomen Nervensystem verknüpft ist. Sowohl Upledger & Vredevoogd (1994:17) als auch Löwe (2010:261) weisen darauf hin, dass sich die Funktionalität von Nervensystem und Craniosacral System gegenseitig beeinflussen. Strukturelle oder funktionelle Anomalien in einem der Systeme haben oft schwerwiegende Auswirkungen auf das andere. Schliesslich sind die beiden Systeme anatomisch und funktionell eng miteinander verbunden: das zentrale Nervensystem wird vom Liquor cerebrospinalis umspült, versorgt und entgiftet (Trepel 2012: 269). 2.3.2. Anatomie und Funktionsweise von Sympathikus und Parasympathikus Die peripheren Anteile des autonomen Nervensystems stellen als Regelkreise die Verbindung her zwischen dem zentralen Nervensystem und den Organen. Die unzähligen Nervenfasern werden vereinfachend als Sympathikus und Parasympathikus bezeichnet. Sympathikus und Parasympathikus wirken auf die glatte Muskulatur der Organe, Gefässe und Drüsen. In ihrem komplexen Zusammenspiel arbeiten sie in der Regel gegenläufig: während der eine aktivierend auf ein Organ einwirkt, hemmt der andere dessen Tätigkeit. Die Abgrenzung der beiden Systeme ist jedoch anatomisch und funktionell nicht eindeutig und ihre Funktionsweise stellt eher ein komplexes „Miteinander“ dar als ein antagonistisches „Gegeneinander“ (Neuhuber in: Haensch 2009:15; Trepel 2012:295). Der Sympathikus aktiviert den Körper für körperliche Arbeit, sportliche Betätigung und Reaktionen auf Stressreize. Die Kerngebiete der sympathischen Nerven liegen im Seitenhorn des Rückenmarks, im Nucleus intermedio-lateralis, zwischen den Segmenten Th1 und L2 im thorakolumbalen Bereich. Von da führen die Nerven über einen Grenzstrang neben der Wirbelsäule zu den Zielorganen. Verallgemeinernd kann man sagen, dass der Sympathikus in der oberen Körperhälfte aktivierend wirkt: er steigert die Pulsrate und die Konzentrationskraft des Herzens, beschleunigt die Atmung, erweitert die Pupillen. Hemmend und entspannend wirkt er auf die Bauch- und Beckenorgane und - in geringem Mass - auf die Hirnaktivität. Der Parasympathikus dient hauptsächlich der Regulation des Milieus im Körperinneren. Verdauung, Energiespeicherung und Ausscheidung sind Ergebnisse parasympathischer Erregung. Die zentralen Aufgaben des Parasympathikus sind also die Energiebereitstellung und die Energiespeicherung. Durch seine Aktivität werden Ruhe und Erholung möglich, Stressabbau gefördert und Stressresistenz gestärkt. So schafft er im Körper die Voraussetzung dafür, dass der Sympathikus bei Belastungen effektiv arbeiten kann. Der Parasympathikus spielt folglich eine zentrale Rolle als Kontroll- und Schutzmechanismus bei 20 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau der Regulation gesundheitsrelevanter Körperprozesse. Anatomisch bildet der Parasympathikus zwei Zentren im Hirnstamm und im Sakralmark (S2 – S4). Etwa 75% der parasympathischen Fasern verlaufen im Nervus Vagus, weshalb sein Name oft gleichbedeutend mit dem parasympathischen System benutzt wird. Abb.1: Schematische Darstellung des Sympathikus (dunkelblau) und des Parasympathikus (hellblau). (Huch & Jürgens 2011:169) (Die Angaben in Kapitel 2.3.2 beruhen auf Huch & Jürgens 2011:169ff; Samandari 1994:104ff; Trepel 2012:295ff). 2.3.3. Regulation des autonomen Nervensystems Das autonome Nervensystem stellt offensichtlich ein wichtiges Regelsystem in Bezug auf die menschliche Gesundheit dar. Sympathikus und Parasympathikus werden in kleinen und in grossen Rhythmen abwechselnd stark aktiviert - einer sympathischen Aktivierung folgt eine vagale Inhibition und umgekehrt. Dieses Modell wird als „sympatho-vagale Balance“ bezeichnet (Montano et al. 1994; Horn 2003:42). Allerdings bestehen bis heute weder Einigkeit noch eine offizielle Definition in Bezug auf die Parameter, welche diese Balance zum Ausdruck bringen (Goldberger 1999). So betont Malliani (1999) die Modellhaftigkeit dieses Konzepts, die der komplexen Realität nicht gerecht wird. In der vorliegenden Studie werden aufgrund der Definitionen der Task Force die Werte SDNN, TP und ARI als Maß für die sympatho-vagale Balance angenommen und analysiert (Task Force 1996:355, 367). 21 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Die dynamische Balance des ANS wird in der Regel vom Menschen nicht bewusst wahrgenommen. Die Informationen der afferenten sympathischen und parasympathischen Nervenbahnen bilden sich jedoch zum Teil als bewusste Gefühle im Hirn ab. Craig (2004) beschreibt, wie Mitteilungen über den autonomen Aktivierungszustand des Körpers an die übergeordneten Kontrollorgane des zentralen autonomen Netzwerks übermittelt werden, insbesondere an die anteriore Insula. Auf diese Weise entsteht in den bewusstseinsfähigen Regionen des Gehirns ein bewusstes Empfinden des Körpers. Das ANS bildet offensichtlich - als eines unter anderen Regelsystemen im Körper - die Grundlage für Gesundheit: wenn sich das Nervensystem gut regulieren kann, können Körper und Geist effizient handeln, der Mensch fühlt sich wohl und gesund. Damasio (2003:131) stellt einen direkten Bezug her zwischen den Rhythmen psychophysiologischer Aktivität und dem Fluss des Lebens. Auch Moser et al. (2004) weisen auf die Bedeutung biologischer Rhythmen und deren Zusammenhang mit Gesundheit hin. Gemäss ihrer Beobachtung passen sich im ruhigen Nachtschlaf Blutdruck- und periphere Durchblutungsrhythmik harmonisch an Herzschlag und Atmung an. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich Menschen in dieser Phase schneller und besser erholen. Laut Porges (2009) ist ein tief empfundenes Gefühl von Sicherheit Grundvoraussetzung für eine Regulation im ANS. Der stammesgeschichtlich jüngere, myelinisierte Teil des Vagus hemmt in diesem Fall den Einfluss des Sympathikus auf das Herz und ermöglicht erst dadurch gelassene zwischenmenschliche Begegnungen ohne Angst und Stress. Frühkindliche Deprivation und Traumatisierung führen gemäss Egle et al. (2002) zu einer lebenslangen Hypersensitivität des Stressreaktionssystems. Beim gesunden Menschen wird die sympathovagale Balance periodisch wieder hergestellt. Abweichungen vom Soll-Zustand werden registriert und entsprechende Gegenregulationen eingeleitet. Ein intaktes Nervensystem kann sich relativ schnell regenerieren. Es ist ein kraftvolles, intelligentes Funktionssystem, das seine Aufgaben autonom erfüllen kann, vorausgesetzt, es wird nicht über längere Zeit zu intensiv belastet und nicht durch Schock oder Trauma beeinträchtigt. Ist dies der Fall, sind physische und psychische Funktionalität nicht mehr gewährleistet. Dann fühlen wir uns unwohl, sind nicht mehr voll leistungsfähig, werden anfällig für Krankheiten (McEwen 2000; Wittling & Schweiger 2008). Der dorsale Motornucleus scheint in diesem Fall das Nervensystem in einem stark parasympathischen Zustand festzuhalten (Löwe 2010:271). Häufig wird die Regulationsfähigkeit durch chronischen Stress strapaziert oder überschritten. Die Entstehung nahezu der Hälfte aller Krankheiten wird mit subjektiv empfundenem Stress in Zusammenhang gebracht (BFS 2000). Die Ursachen dafür sind vielfältig: Lebensereignisse wie Heirat oder Unfall, personale Stressoren wie Leistungsdenken, Angst oder Unsicherheit oder situative Stressoren wie Belastungen am Arbeitsplatz und im sozialen Umfeld. Nicht zu unterschätzen sind daneben die täglichen kleinen Ärgernisse, die „daily hassles“ wie Verkehrsstau, Lärm oder Zeitnot (Lazarus und Folkman 1984 in: Ramaciotti & Periard 2003:9; DeLongis et al. 1988; Faltermaier 2005:85ff). Durch die chronische 22 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau sympathische Überaktivierung kann sich das autonome Nervensystem nicht mehr ausbalancieren, die Regenerationsfunktion des Parasympathikus greift nicht mehr. Der Körper wird dabei nicht nur neuronal übererregt, sondern auch humoral, indem die sympathischen Nervenbahnen die Freisetzung von Adrenalin/Noradrenalin und Neuropeptiden aus dem Nebennierenmark anregen. Zusammen mit dem Aktivierungshormon Kortisol gelangt es auf dem Blutweg zu den Körperorganen und löst eine generalisierte sympathische Aktivierung aus. (Huch & Jürgens 2011) Steckt das System auf diese Weise im Sympathikotonus fest, äussert sich dies durch Übererregung, Gereiztheit, Anspannung, Schmerzen, Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden usw. (seco 2000:10). Manchmal entwickeln sich in der Folge ernsthafte Krankheiten: Bluthochdruck, Koronarerkrankungen, Herzinfarkt, Diabetes, Immunerkrankungen, Burnout, Angststörungen (Thayer et al. 2005). Ein Ungleichgewicht in die andere Richtung kann durch lang andauernde Passivität, z.B. bei Bettlägerigkeit oder andersweitigem Bewegungsmangel entstehen. Im Vagotonus zeigen sich in der Folge Abgeschlagenheit, übermässige Müdigkeit und depressive Verstimmungen. Sind beide Äste des ANS überaktiviert, geht Übererregung mit starker Erschöpfung einher (Löwe 2010:271). Wird eine Situation des Ungleichgewichts erfolgreich bewältigt, kann sie durchaus zur positiven Erfahrung werden. Hüter et al. (1999) wiesen darauf hin, dass Stresoren uns ermöglichen, eingefahrene Verhaltensmuster zu verlassen und neue Handlungs- und Denkmuster zu finden. Lange Zeit ging man davon aus, dass einzig die Überaktivierung des Sympathikus das Krankheitsrisiko erhöht. Jüngere Untersuchungen weisen darauf hin, dass die pathogenetische Relevanz der sympathischen Überaktivierung in hohem Mass vom Aktivierungszustand des parasympathischen Systems abhängig ist und der Unteraktivierung des Parasympathikus eine viel grössere Bedeutung für die Entstehung von Krankheiten zukommt, als man bisher angenommen hat (Orzessek 2010:156). Es ist bekannt, dass ausreichende Bewegung, ausgeglichene Ernährung und genügend Schlaf positive Auswirkungen auf die Regulationsfähigkeit haben. Ebenso können Gefühle von Liebe, Zugehörigkeit, Wertschätzung, Mitgefühl und Dankbarkeit den Ausgleich unterstützen (McCraty et al. 2009:22ff). Nicht nur Kognitionen, auch Berührungen und positive soziale Interaktionen wirken über verstärkte Ausschüttung von Oxytocin regulierend auf das ANS (Uvnas-Moberg & Petersson 2005). Rogers & Hermann (1985) haben in einem Experiment gezeigt, dass die Injektion von Oxytocin in den Nucleus dorsalis des Vagus einen regulierenden Einfluss auf die Herzrate ausübt. Heinrichs et al. (2003) fanden eine Verringerung der psychobiologischen Stressreaktivität durch Oxytocin. Ein Grossteil der autonomen Nervenfasern sind afferent, beim Vagus beträgt der Anteil gar 80%. Wittling & Schweiger (2008:4) gehen davon aus, dass durch die gezielte Stimulation der peripheren ANS-Rezeptoren über ebendiese afferenten Fasersysteme Regulationsprozesse ausgelöst werden in den autonomnervösen Schaltzentren des Gehirns. Dies könnte ein wichtiger Faktor für die Wirkung einer manuellen 23 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Körpertherapie wie der Craniosacral Therapie sein. McPartland & Mein (1997) verstehen den craniosacralen Rhythmus als Ausdruck von Signalen zwischen Sympathikus und Parasympathikus. 2.3.4. Einfluss von Craniosacral Therapie auf das autonome Nervensystem In den craniosacralen Lehrbüchern wird von mehreren Autoren die Wirkung von craniosacralen Techniken auf das Nervensystem beschrieben. Die Angaben beruhen auf empirischen Erfahrungen und persönlichen Hypothesen der Autoren. Im Folgenden werden die wesentlichen Erkenntnisse kurz beschrieben: - Allgemeine Wirkung: Der Organismus der behandelten Person soll dazu angeregt werden, Spannungen loszulassen und mehr ins Gleichgewicht zu kommen. „Die Craniosacral Praktizierenden unterstützen mit feinen manuellen Impulsen, welche eine Eigenregulierung des Körpers einleiten, die Klientin auf dem Weg zur Selbstheilung“ (Cranio Suisse b). Eine allgemeine Wirkung wird erreicht, wenn im Körper ein sogennanter „Ruhepunkt/Stillpunkt“ oder die sogenannte „dynamische Stille“ eintritt. In dieser Phase wird von den Beteiligten eine heilende Reorganisation des Systems beobachtet. Insbesondere der Parasympathikus wird dabei unterstützt (Augustoni 2004:107). Bei der Induktion des Stillpunkts beobachte Swingle (2003) im Rahmen einer Studie eine spezifische Amplitudenvergrösserung der α- und ϑ-Hirnwellen im Hinterkopf. Er vermutet, dass dies zur Beruhigung der Gedanken und zu besserem Schlaf beitragen könnte. - Wirkung über den Liquor cerebrospinalis: Die Autoren der craniosacralen Fach- und Lehrbücher messen dem Liquor cerebrospinalis (auch: craniosacrale Flüssigkeit) eine grosse Bedeutung bei. Der Liquor sorgt für den Stoffaustausch zwischen Blut und Nervengewebe und somit für die Konstanthaltung des extrazellulären Milieus (Trepel 2012: 269). Auf diese Weise übernimmt er für das zentrale Nervensystem die Drainagefunktion des dort fehlenden Lymphsystems. Lomba & Schröder (2005:22, 30), Weber (2004:235, 242ff) und Liem (2001: 223ff) weisen in diesem Zusammenhang auf die Beschleunigung der Drainage aus den Hirnventrikeln und den venösen Sinus (Sinus durae matris) durch gezielte Grifftechniken am Schädel hin. Dadurch sollen die physiologischen Abläufe im Kopfbereich günstig beeinflusst werden. Die Resorption des Liquors an den Austrittsstellen der Spinal- und Hirnnerven (Trepel 2012: 269) zeigt ebenfalls den engen Zusammenhang zwischen Liquor und Nervensymstem. Zum Teil hat der Liquor auch direkten Einfluss auf die neuronale Funktion, zum Beispiel auf die Regulation des Atemzentrums durch Vermittlung des CO2Plasmaspiegels an die Medulla oblongata (Trepel 2012:269) - Techniken zur Entspannung der spinalen und der cranialen Dura mater: Als Folge abnormer duraler Spannungen können Hirnnerven und Hirnnervenganglien in ihrer Funktion beeinträchtigt werden (Liem 2001:193). Zur Entspannung werden Techniken an folgenden Stellen ange24 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau wendet: Os sacrum, Os occipitalis, Os sphenoidale, Augenbalancierung (Weber 2004:150ff). Eine verstärkte Flexibilität des Nervensystems durch die Mobilisierung der Duralmembran wird von Schmidt (2001: 7) beschrieben. Schneider (2006) beobachtete bei einer kontrollierten Studie mit 50 ProbandInnen eine signifikante Senkung von Herzfrequenz, Atemhäufigkeit und Blutdruck nach einer 5-minütigen Behandlung mit einer osteopathischen Technik am Os Occiput und am Os Sacrum zum Ausgleich von Membranspannung und Liquorfluss. - Wirkung über Techniken mit Einfluss auf die cranialen Meningen: Restriktionen an den Suturen des Os temporale und an der Sutura lambdoidea der Schädelbasis können zu Einschränkungen im Bereich des Foramen jugulare führen, was zu einer Behinderung des intracranialen venösen Abflusses führt. Für Lomba & Schröder (2005:105ff) sind Turbulenzen in den Venae jugulares die Ursache unangenehmer Empfindungen im Herzbereich und funktioneller Herzrhythmusstörungen. Craniale Techniken wie die Lösung der Suturen und die Entspannung des Tentorium sind in diesem Fall hilfreich. - Regulation eines übersensibilisierten Segments: Fehlstellungen von Wirbeln oder Spannungen können zu einer Überempfindlichkeit im betreffenden Abschnitt der Wirbelsäule führen. Bei einem sensibilisierten Segment sind die ein- oder austretenden Nervenwurzeln übersensibel oder leicht reizbar. Dadurch wird das sympathische Nervensystem in einen Zustand chronischer Überaktivität versetzt (Upledger 2002:219). Sensorische Nervenimpulse werden nicht mehr an höhere Zentren weitergeleitet, sondern laufen im Segment selber ab und führen zu Überreaktionen wie Verspannungen oder Dysfunktionen. Durch die sanfte Mobilisierung eines blockierten Wirbels kann die Feedbackschleife einer nervösen Übererregung, z.B. im Herz, unterbrochen werden. (Lomba & Schröder 2005:195; Upledger 1990:259; Weber 2004:305) - Wirkungen über Techniken mit Einfluss auf den Nervus Vagus: Craniosacrale Techniken am Os occipitale, Os temporale, Foramen jugulare (Lomba & Schröder 2005: 156; Upledger 1987:105) und an der HWS wirken ausgleichend auf das ANS. Entspannungstechniken am Thoraxeingang wirken direkt auf die zum Herzen führenden Vagusäste. Behandlungstechniken am Os Sacrum (Kreuzbein) und am Os Occipitale (Hinterhauptsbein) haben direkten Einfluss auf den unter diesen Knochen lokalisierten Parasympathikus. Lomba & Schröder (2005:39) sowie Liem (2010:258) weisen darauf hin, dass sich in den Wänden des 4. Ventrikels und seiner Umgebung zahlreiche Nervenzentren befinden, die besonders mit der CV4-Technik beeinflusst werden können. Dies könnte die Wirkung dieser Technik auf den Parasympathikus erklären. - Arbeit mit Fulcren/Energiezysten: 25 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Chemische, physikalische oder emotionale Einwirkungen können im Körper Spannungen erzeugen. Gelingt es dem Körper nicht, diese Fremdenergie zu integrieren, wird sie als störendes Element energetisch abgekapselt. In der craniosacralen Fachliteratur werden solche Orte erhöhter Entropie als Fulcren oder Energiezysten bezeichnet (Upledger 1990:33ff). Oft wirken sie störend auf die Balance des ANS. Durch die Behandlung und Lösung dieser Spannungen kann sich das physisch-psychische System der behandelten Person wieder besser regulieren (Upledger 2002:225ff). In diesem Zusammenhang weist Schmidt (2001:8) auf die Bedeutung somato-emotionaler Prozessarbeit und den therapeutischen Dialog hin, welche bei Bedarf begleitend zu manuellen craniosacralen Techniken angewendet werden. - Therapeutisches Setting: Die Beziehung Therapeutin - Klientin und die „Ambience“, in welche die Behandlung eingebettet ist, hat einen grossen Einfluss auf die Regulationsfähigkeit des ANS. Wie Di Biasi et al. (2001) in ihrer Review über 19 randomisierte kontrollierte Studien herausschälten, erhöht eine warme, freundliche und ermutigende Haltung des Therapeuten die Effektivität der Arbeit. 2.4. Die Herzratenvariabilität HRV 2.4.1. Herzfrequenz und autonom-nervöser Einfluss auf die Herzfrequenz Als Herzfrequenz (auch: Herzschlagfrequenz) wird die Anzahl Herzschläge pro Minute bezeichnet. Sie wird bestimmt durch das Alter, die körperliche Fitness und die momentane Belastung. Auch im Blut zirkulierende Hormone wirken beeinflussend. Beim gesunden Menschen variiert die Herzschlagfrequenz in Abhängigkeit von der Atmung um mindestens 15 Schläge pro Minute (Löllgen 1999), was in der Herzfrequenz um 0.25Hz sichtbar wird (Pumprla et al. 2002). Die Kontraktion des Herzens erfolgt autonom über ein System von spezialisierten Muskelzellen. Das primäre Erregungsbildungszentrum ist der Sinusknoten in der Wand des rechten Vorhofes unmittelbar an der Mündungsstelle der oberen Hohlvene. Von da breitet sich die Erregung aus über das sekundäre Erregungsbildungssystem, den AV-Knoten, zum His-Bündel, zu den Kammerschenkeln und den Purkinjefasern. Diese aktivieren die Herzmuskelfasern und lösen so die Kontraktion des Kammermyokards aus (Huch & Jürgens 2011). Beim denervierten Herzen wird mit 100 Schlägen pro Minute eine hohe Herzfrequenz gemessen. Dass die Herzfrequenz in Ruhe normalerweise um 70 Schläge pro Minute liegt, beweist den grossen Einfluss des Nervus Vagus (Sands 1989 in: Eller-Berndl 2010:17). Auf folgende Weise wirken sympathische bzw. parasympathische Reize auf das Herz (Huppelsberg 2009: 63; Trepel 2012:75): 26 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Der Parasympathikus innerviert das Herz über Äste des Nervus Vagus, die Rami cardiaci. Der rechte Vagus innerviert vorwiegend den rechten Vorhof mit dem Sinusknoten. Der linke Vagus innerviert hauptsächlich den AV-Knoten. Seine Wirkung auf die Ventrikel ist sehr gering. An seinen Nervenenden schüttet der Vagus die Transmittersubstanz Acetylcholin aus. Sie erhöht in den Zellmembranen die Durchlässigkeit von positiv geladenen Kaliumionen. Das Ergebnis ist eine Verringerung der SinusknotenDepolarisierung. Die Aktivierung im linken Vagus bewirkt eine Verlangsamung der Erregungsüberleitung von Vorhof zu Kammer. Die Aktiverung im rechten Vagus führt zur Verlangsamung der Herzfrequenz. Weil Acetylcholin eine sehr kurze Reaktionsdauer besitzt, kann das parasympathische Nervensystem die Herzfunktion bereits innerhalb einer Schlagfrequenz beeinflussen (Pumprla et al. 2002). Ein hohes parasympathisches Aktivierungsniveau wirkt stabilisierend auf die elektrische Erregung und Reizleitung im Herzen, was sich positiv auf dessen Gesundheit auswirkt (Wittling et al. 2007:12). Zusätzlich wirkt der Parasympathikus im Ruhezustand über die Atmung variierend auf die Herzfrequenz. Beim tiefen Einatmen verringert sich durch die Dehnung der Lungen seine Wirkung auf das Herz, worauf dieses schneller schlägt. Dieser Effekt wird als Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) bezeichnet. Die sympathischen Nervenfasern beeinflussen alle Teile des Herzens. Dabei verstärkt der ausgeschüttete Neurotransmitter Noradrenalin die Durchlässigkeit der Kalium-Kanäle - die Kaliumaufnahme in die Zellen wird gefördert. In der Folge erschlaffen die Herzmuskeln schneller und die Herzschlagfrequenz nimmt zu. Eine generalisierte sympathische Aktivierung wird zudem durch die Freisetzung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark ausgelöst. Das Hormon Adrenalin wirkt auf diese Weise über den Blutweg u.a. aktivierend auf die Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdrucks. Noradrenalin wird relativ langsam absorbiert und metabolisiert. Änderungen der Herzfunktion durch sympathische Aktivierung verlaufen deshalb langsamer. (Pumprla et al. 2002). 2.4.2. Herzratenvariabilität: Definition und Einflussfaktoren Um den Organismus jederzeit ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoff versorgen zu können, passt sich das Herz den ständig wechselnden inneren und äusseren Anforderungen an: Die Herzschläge erfolgen nicht in einem starren Rhythmus, sondern variieren minim von Schlag zu Schlag. Man bezeichnet dies als Herzratenvariabilität (auch: Herzfrequenzvariabilität; Abk.: HRV) (Camm et al. 1996). Die HRV widerspiegelt den Zustand der autonomen Aktivierung und ist ein anerkanntes Mass zur Charakterisierung neurovegetativer Zustände bzw. der autonomen Funktion des Herzens (Lahiri et al. 2008). 27 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Abb.2: Beispiel einer EKG-Aufzeichnung von vier Herzschlägen in Ruhe. Gemessen werden die Zeitabstände (in Sekunden) zwischen den eindeutig identifizierbaren R-Zacken. Die Herzfrequenz ist in Schlägen pro Minute angegeben (beats per minute [BPM]). Die Einflüsse auf die HRV sind äußerst komplex. Prinzipiell unterliegt sie denselben Einflüssen wie die autonome Funktion. Zahlreiche Faktoren waren in der Vergangenheit Gegenstand von Untersuchungen, werden im folgenden jedoch nur auszugsweise dargestellt: Bezüglich der Unterschiede zwischen den Geschlechtern fanden Cowan et al. (1994) eine signifikant niedrigere HRV bei Frauen. Umetani et al. (1998) kamen zum selben Ergebnis, stellten jedoch abnehmende Unterschiede ab 30 Jahren fest, die bei über 50-Jährigen ganz verschwanden. Signifikante Hinweise auf höhere vagus-assoziierte Werte bei Frauen zeigten die Untersuchungen von Jensen-Urstad et al. (1997), Kuo et al. (1999) und Sztajzel et al. (2008). In dieselbe Richtung geht die Untersuchung von Stein et al. (1997), welche bei Männern eine niedrigere HRV feststellten. Der Unterschied glich sich aus bei den 40- bis 70-Jährigen. Eine reduzierte Variabilität bei über 60-jährigen Frauen und Männern maß Jensen-Urstad (1997), ebenso scheint sie bei bestimmten Krankheiten niedriger zu sein (Eller-Berndl 2010:30). Körperliches Training wirkt sich insbesondere bei Herzinfarktpatienten positiv auf die HRV aus (Routledge et al. 2010). Die Auswirkung positiver Emotionen auf die Tätigkeit des Herzens wird durch Untersuchungen von McCraty et al. (2009: 21ff, 38) nahegelegt. Ob die HRV genetisch bestimmt ist scheint umstritten. Uusitalo et al. (2007) fanden bei 504 Zwillingen, dass genetische Einflüsse für 31-57% ihrer HRV verantwortlich sind. In der Studie von Singh et al. (2001) mit Geschwistern und nicht verwandten Paaren zeigte sich der Zusammenhang mit 13-23% etwas schwächer. Osztovits et al. (2011) kamen nach einer Studie mit Zwillingen zum Schluss, dass die Umweltfaktoren im Vergleich zu den genetischen Einflüssen in Bezug auf die kardiovaskulären autonomen Funktionen viel bedeutender sind. Die HRV verändert sich während des Tages, was nach Pfister et al. (2001) in der Regel durch physische und psychische Tätigkeit überlagert wird. Dapra & Endler (2003) stellten hingegen eine signifikante Abhängigkeit der Messergebnisse von der Tageszeit fest. Besonders Vormittags- und Nachmittagswerte unterschieden sich auffällig. Allgemein anerkannt ist die markante Veränderung der HRV durch Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, diabetische Neuropathie und Nierenversagen (Rajendra Acharya et al. 2006). Die autonom-nervöse Aktivierungslage ist einerseits charakterisch für jedes Individuum, andererseits abhängig vom momentanen psychischen und physischen Zustand. Die intra-individuelle Variabilität ist 28 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau allerdings relativ stabil, so dass sich die Wirkung von Einflussfaktoren wie therapeutischen Interventionen gut vergleichen lässt (Hohnloser et al. 1992; Pitzalis et al. 1996; Marks & Lightfood 1999; Sztajzel et al. 2008). Mehrere Untersuchungen zeigen eine reproduzierbare Kurzzeitstabilität von HRVMessungen (Sztajzel et al. 2008; Dantas et al. 2010; Young & Leicht 2011). Wesentliche Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Messungen und reproduzierbare Studien sind einheitliche Bedingungen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine Vielzahl von Faktoren die HRV beeinflussen. Bei einer Studie sollten die Messungen daher unter kontrollierten, standardisierten Bedingungen durchgeführt werden. Insbesondere wurden in der vorliegenden Untersuchung ProbandInnen ausgeschlossen, die Medikamente wie Blutdrucksenker, Antidepressiva u.a. einnahmen. Die Messungen fanden zudem immer im selben Raum und zur selben Tageszeit statt. 2.4.3. Entwicklung und Bedeutung der Herzratenvariabilität in der Forschung Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat sich die Analyse der HRV zu einer optimalen Methode der vegetativen Analyse entwickelt. Im Folgenden wird ihre wachsende Bedeutung in der klinischen Forschung und Praxis im letzten Jahrhundert umrissen. Die Bedeutung der Herzfrequenz in Bezug auf die Gesundheit ist schon seit Jahrhunderten bekannt. In grösserem Umfang konnten Messungen seit Mitte der 1920-er Jahre durchgeführt werden, als die erforderlichen technischen Hilfsmittel in handlichem Format zur Verfügung standen. Klinische Bedeutung erlangte die HRV-Analyse in den 60-er Jahren, als Hon und Lee auf ein erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Föten mit verminderter HRV hinwiesen, noch bevor sich eine signifikante Veränderung der Herzfrequenz zeigte (Hon & Lee 1963). In den 70-er Jahren wurde die Bedeutung von Funktionsveränderungen des autonomen Nervensystems in Bezug auf das psychische und physische Wohlbefinden und die Entstehung von Krankheiten dann vermehrt zum Forschungsthema. Eine wesentliche Erkenntnis war, dass verminderte Herzratenvariabilität ein Risikoanzeiger für erhöhtes Letalitätsrisiko nach Myokardinfarkt darstellt (Wolf et al. 1978). In der Folge wurde dies durch mehrere Studien bestätigt (Kleiger et al. 1987; Quintana et al. 1997; Carpeggiani et al. 2005). Auch bei der Entwicklung einer diabetischen Neuropathie wird die Herzratenvariabilität inzwischen als wichtiger Anzeiger anerkannt (Task Force 1996; Löllgen 1999; Pumprla et al. 2002). Die Anzahl von in der elektronischen Datenbank Medline gelisteten Publikationen, die unter dem Suchbegriff „heart rate variability“ (filter: humans) dargestellt werden, hat sich seit den 70-er Jahren kontinuierlich vergrössert. Die Entwicklung wird in Abb. 3 dargestellt. 29 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Abb.3: In der bibliografischen Datenbank Medline unter dem Stichwort „Heart rate variability“ im jeweiligen Jahr neu aufgeführte Publikationen. Einen weiteren wichtigen Schritt stellten die von der „Task Force der European Society of Cardiology“ und der „North American Society of Pacing and Electrophysiology“ im Jahr 1996 publizierten Richtlinien zu Messverfahren, Interpretation und klinischer Verwendung der HRV dar (Task Force 1996). Bereits seit Ende der 80-er Jahre werden HRV-Analysen in der klinischen Medizin als Messgrösse für die neurovegetative Aktivität und die autonome Funktion des Herzens eingesetzt. Mit der Entwicklung mobiler, kostengünstiger Messapparate haben sich die Anwendungsbereiche ausgeweitet auf Sportmedizin, Psychologie, Arbeitsmedizin, Stressforschung, Auswertung therapeutischer Interventionen, Diabetologie, Pharmakologie und Neurologie. (Sztajzel 2004)Die Aktivität des autonom-nervösen Systems im menschlichen Körper kann mit einer Reihe von Ver-fahren gemessen und analysiert werden. Dazu zählen Analyse der Herzratenvariabilität, Orthostase-Diagnostik, Valsalva-Manöver u.a. (Haensch 2009:91ff). In der vorliegenden Studie wurde die HRV-Analyse gewählt, weil sie reproduzierbar, nicht invasiv und einfach anzuwenden ist. Die Analyse der Herzratenvariabilität gilt heute weltweit als quantitatives Standardverfahren zur Charakterisierung der autonom-nervösen Regulationsprozesse (Fietze 2003; Wittling&Schweiger 2008). Sie wird im folgenden Abschnitt genauer beschrieben. 2.4.4. Analyse der Herzratenvariabilität 30 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Bei der autonomen Funktionsdiagnostik wird über die Berechnung verschiedener Variablen der Einfluss der nervalen Regulation auf die Aktivität des Sinusknotens untersucht. Die gebräuchlichsten Auswertungsverfahren sind Spektralanalysen (frequency domain) und Zeitanalysen (time domain). Im Rahmen der HRV-Messung wurden in dieser Studie die folgenden Variablen erfasst: Bezeichnung dt. / Variable Bezeichnung engl. Einheit Bedeutung Frequenzbereich Frequenzanalytische Parameter VLF very frequency low sehr niedrige Frequenz nicht schlüssig geklärt Frequenzbereich: 0,003-0,040 Hz ms2 niedrige Frequenz LF low frequency Frequenzbereich: 0,040-0,150 Hz ms2 Indikator der sympathischen Aktivierung (vorwiegend) ms2 Indikator der Aktivierung hohe Frequenz HF high frequency Frequenzbereich: 0,150-0,40 Hz Gesamtenergie, Gesamtleistung TP parasympathischen Mass für die Gesamtvariabilität des Herzschlags. total power Frequenzbereich: 0,003-0,40 Hz ms2 Indikator für den Regulationsstatus des Gesamtsystems. Aufsummierung aller Frequenzbereiche. Zeitanalytische Parameter SDNN Standardabweichun standard deviation g aller RRRR ms Intervalle 31 Gesamtniveau des autonom-nervösen Regulationsstatus. Entspricht Total Power (r > .90) Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 RMSSD ARI PTT Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Quadratwurzel aus dem Mittelwert der root of mean quadrierten Diffesquared successive renzen differences benachbarter RR- ms Intervalle Mass für kurzfristige, schnelle Änderungen des Herzschlags. Standardmaß der parasympathischen Herzregulation. Entspricht HF (r > .90) autonomic regulation index Exponentielle Regression, berechnet aus % SDNN und LF/HFQuotient Gesamthafter Regulationsindex. pulse transit time Zeit der Pulswelle vom Aortenbogen ms zur Fingerspitze Elastizität der arteriellen Blutgefässe (Drinnan et al. 2001) Tab.1: Im Rahmen der Untersuchung gemessene Parameter. (Wittling et al. 2007; Mooz 2010) Frequenzbezogene Parameter (frequency domain analysis): Mit Hilfe von Frequenzanalysen werden Informationen über die Periodenlängen der Herzfrequenz– schwankungen gewonnen. Die periodischen Oszillationen des Herzfrequenzsignals, zerlegt in verschiedene Frequenzen und Amplituden, liefern Informationen über den relativen Anteil verschiedener Einflüsse auf den Sinusrhythmus des Herzens. Die Bedeutung von VLF (very low frequency) ist zur Zeit noch unklar (Wittling et al. 2007), weshalb der Parameter in den Messungen zwar erhoben, aber nicht ausgewertet wurde. LF (low frequency) bezeichnet die niedrige Frequenz im Bereich 0,04-0,15 Hz. Sie ist Ausdruck der Aktivität des Barorezeptorregelkreises und wird überwiegend bestimmt vom Sympathikus. Ein geringerer Anteil erfolgt durch parasympathische Aktivierung (Akselrod et al. 1981; Pomeranz et al. 1985; Task Force 1996). LF dient in dieser Untersuchung als Mass für die sympathische Aktivierung. Der Anteil an HF (high frequency, 0,15-0,45 Hz) repräsentiert vor allem die efferente vagale Aktivität und die Rhythmik des Atems (RSA, Respiratorische Sinusarrhythmie) (Akselrod et al. 1981; Pomeranz et al. 1985; Task Force 1996). HF bezeichnet demnach die parasympathische Aktivierung. LF und HF können in absoluten Werten (ms2), in Prozentanteilen (%) oder in normalisierten Werten (nu = normalized units) dargestellt werden. Die Normalisierung wird erreicht durch Subtraktion des VLFWertes von Total Power. Dies reduziert einerseits die störenden Effekte von Artefakten und minimisiert 32 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau andererseits die Effekte von Änderungen in Total Power auf die LF- und HF-Komponenten. Dies ist hilfreich, wenn Subjekte mit grösseren Unterschieden in Total Power gemessen werden. LF (oder HF) norm (nu) = LF (oder HF) (ms2) Total Power (ms2) – VLF (ms2) x 100 Der Quotient LF/HF bezeichnet in vielen Studien die Vagus-Sympathikus-Balance (Montano et al. 1994; Task Force 1996:366; Wittling et al. 2007:31), was jedoch auch angezweifelt wird, weil sich sympathisches und parasympathisches Nervensystem nicht immer reziprok verhalten (Eller-Berndl 2010: 39). Total Power TP (ms2) wird verwendet als ein zusätzliches Mass, das die RR-Intervall-Variabilität im Frequenzbereich 0.003-0.4 Hz anzeigt. Sie korreliert weitgehend mit SDNN. Zeitbereichsparameter (time domain analysis): Ausgangspunkt für die Berechnung zeitbezogener Parameter bilden die Abstände aufeinanderfolgender Herzschläge, bzw. der im EKG dargestellten R-Zacken (RR- bzw. NN-Intervalle). Daraus werden Mittelwerte, Standardabweichungen und andere Parameter ermittelt. Die SDNN gilt als Mass für die Herzratenvariabilität und charakterisiert den Zustand der autonom-nervösen Regulation (Wittling & Schweiger 2008). Die SDNN (standard deviation of RR intervals) wird mathematisch berechnet aus der Wurzel aus der Varianz aller RR-Zeiten und bezeichnet die Standardabweichung zwischen den Herzschlägen (Task Force 1996:355). Je höher die SDNN ist, umso grösser ist die Anpassungsfähigkeit des Herzens an innere und äussere Anforderungen durch ein dynamisches Zusammenspiel von sympathischer und parasympathischer Aktivität. Der Regulationsindex ARI (%) kann als Ausdruck des Gesundheits- bzw. Fitnesslevels betrachtet werden, wobei der beste Wert 100 ist, der schlechteste gegen 0 geht (Wittling & Schweiger 2008). ARI wird berechnet mittels exponentieller Regression aus dem autonomen Regulationsniveau SDNN und dem sympatho-vagalen Aktivierungsverhältnis, dem LF/HF-Quotienten. RMSSD und PTT wurden nicht in die Auswertung einbezogen. Zusätzlich wurde die Herzfrequenz (bpm) gemessen und ausgewertet. 33 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Abb.4: Vom Gerät ermittelte HRV-Daten. Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Abb.5: Grafische Darstellung des Parameters ARI%. 2.4.5. Studienlage zu nicht-invasiven Verfahren der autonom-nervösen Regulation Empirische Beobachtungen und Erfahrungsberichte in der Craniosacral Therapie legen eine subjektiv wahrgenommene sympathisch-parasympathische Balancierung nahe. Die Frage drängt sich auf, ob diese beispielsweise mittels HRV-Analyse - auch objektiv messbar ist. Da in den Datenbanken Pubmed, Cochrane und MedPilot per 1.6.2012 keine Studien über Craniosacral Therapie und HRV bei gesunden Erwachsenen aufgefunden werden konnten, sind im folgenden Studien aus anderen Quellen aufgeführt, welche den Einfluss von nicht-invasiven Interventionen auf die autonom-nervösen Aktivierungsverhältnisse untersuchten. Castro-Sánchez et al. (2010) führten eine Doppelblindstudie mit 92 Fibromyalgie-Patienten durch. Untersucht wurden Tenderpoints und HRV-Werte nach 20 Wochen Craniosacral-Behandlung oder einer Placebo-Behandlung mit einem nicht angeschlossenen Magnetfeldtherapiegerät. Direkt nach der Intervention zeigte die Interventionsgruppe im Gegensatz zur Placebogruppe eine signifikante Schmerzreduktion in 13 von 18 geprüften Tenderpoints (p<0.05) und einen nicht signifikanten Unterschied bei den analysierten HRV-Werten SDNN und RMSSD. Zwei Monate und zwölf Monate nach der Studie zeigten sich signifikante Unterschiede zu Baseline sowohl bei den Tenderpoints als auch bei SDNN und RMSSD bei der Interventionsgruppe, jedoch nicht bei der Placebogruppe. Dies weist auf einen nachhaltigen Effekt der craniosacralen Behandlung auf die Herzratenvariabilität hin. Pizzinato, Muller, Ettlmaier et al. (2011) fanden bei ihren Anwendungsbeobachtungstudien an je 30 gesunden ProbandInnen eine deutliche Erhöhung des SDNN nach einer Intervention durch Reiki (56.0%) gegenüber der Kontroll-Ruhephase (19.3%) (p<0.01), eine Abnahme des SDNN durch Körper/Ton-Meditation (-15%) gegenüber der Kontroll-Ruhephase (18.5%) (p>0.05) und ein annähernd unveränderter SDNN nach einer Bioresonanz-Grundtherapie (19.3% bzw. 14.2%, p > 0.05). In einer Studie mit dreissig Personen fand Collard (2009), dass ProbandInnen mit schweren physischen Traumata und einem anfänglich hohen LF/HF-Quotienten gut auf die ausgleichende craniosacrale Technik CV4 ansprachen. Wittling et al. (2008:39) beobachteten bei einer Stimulation mit frequenzmodulierter Magnetfeld- und Laserstimulation ebenfalls bei jenen Personen einen Anstieg des parasympathischen Aktivierungsniveaus, welche zu Beginn geringe Werte aufwiesen. 34 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Die Behandlung mit Therapeutic Touch zeigte bei 30 ProbandInnen eine signifikante Erhöhung des HF/LF-Quotienten (p=0.006) und somit des parasympathischen Einflusses (Sneed et al. 2007). Eine signifikante Veränderung (p<0.001) des LF/HF-Quotienten im Vergleich zur Kontrollgruppe fanden Peng et al. (2009), als sie bei 114 Studierende den Entspannungseffekt von Musikhören, Einatmen von Bergamottöldämpfen und einer Kombination von beidem untersuchten. Dass Entspannungstechniken (Progressive Muskelrelation, Yoga) zu einer Erhöhung der Herzratenvariabilität beitragen können, fanden Terathongkum & Pickler (2004) in einer systematischen Review. Wegen kleiner ProbandInnenzahlen und teils ungenügender Verblindung wird diese Aussage jedoch eingeschränkt. In seiner Masterarbeit hat Morgan (2010) bei 16 Männern die Wirkung von Musik und sanfter Massage auf die HRV untersucht. Dabei fand er keinen signifikanten Unterschied der LF/HF-Variable vor und nach den Interventionen. Einzig bei den 5 Probanden mit anfänglich niedriger Herzfrequenz (< 60 bpm) stieg LF/HF unter der Wirkung der Massage signifikant an (p < 0.05). Eine randomisierte Studie mit 30 ProbandInnen fand bei Triggerpunktmassage an Kopf, Nacken und Schultern eine signifikante Erhöhung des parasympathischen Einflusses (p < 0.001) (Delaney et al. 2002). Prinzipiell scheint die Analyse der Herzrhythmusvariabilität demnach eine geeignete Form darzustellen, um den Einfluss von Interventionen auf die Regulation des autonomen Nervensystems abzubilden (Pumprla et al. 2002). Die Ergebnisse mehrer Studien weisen in die Richtung, dass nicht-invasive Stimulationen einen ausgleichenden Einfluss ausüben können, insbesondere bei Personen, die extreme Basiswerte aufweisen. 2.5. Forschungsfragen, Hypothesen, Drittvariablen Aufgrund des in Kap. 1.3.4 dargestellten empirisch festgestellten Einflusses der Craniosacral Therapie auf die Regulation des Autonomen Nervensystems liegt die Frage auf der Hand, ob sich diese Regulation in einer messbaren Veränderung der Herzratenvariabilität abzeichnet. Für die Untersuchung wurden deshalb folgende Forschungsfragen aufgestellt: a) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unter dem Einfluss einer definierten einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie (Prüf-Intervention)? Da bei einer individualisierten manuellen Therapieform keine Placebo-Intervention im klassischen Setting untersucht werden kann, wurde als Vergleich die Veränderung der HRV nach einer zeitgleichen Ruhephase in der gleichen Körperposition und unter gleichen Bedingungen (Behandlungsraum, Zeitspanne) gemessen: b) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unter dem Einfluss einer definierten Ruhephase (Kontroll-Ruhephase)? 35 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau c) Verändert sich die Herzratenvariabilität bzw. die Vagus-Sympathikus-Balance unterschiedlich unter dem Einfluss einer definierten einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie und einer definierten Ruhephase? Die aufgestellte Hypothese lautete: „Eine 30-minütige Craniosacral-Behandlung wirkt erhöhend auf die Werte der Herzratenvariabilität bzw. der Vagus-Sympathikus-Balance der behandelten Person.“ Aus bisherigen Untersuchungen mit HRV-Messungen sind Variablen bekannt, welche die Messresultate beeinflussen können (s. Kap.1.4.2.). Das Studiendesign berücksichtigte sie wie folgt: a. Um zirkadiane Schwankungen (z.B. durch unterschiedliche Cortisolspiegel) möglichst auszuschliessen, wurden Behandlung und Messung immer vormittags durchgeführt (10 Uhr oder 11 Uhr vormittags). b. Atemfrequenz und Atemzugvolumen haben einen grossen Einfluss auf die HRV (Fitze 2002; Courtney et al. 2011). Der Raum, in dem die Studie durchgeführt wurde, liegt im 2. Stock und ist nur über eine Treppe erreichbar, weshalb alle ProbandInnen jeweils vor der ersten Messung zusätzlich eine 10-minütige Ruhephase durchliefen. Die ProbandInnen wurden angewiesen, während der HRVMessung gleichmäßig zu atmen, nicht zu sprechen, nicht zu husten und sich nicht zu bewegen. c. ProbandInnen unter 19 und über 60 Jahren wurden von der Studie ausgeschlossen. d. Medikation von ß-Rezeptorenblocker, Antidepressiva, Psychopharmaka, Atropin, Phenylephrin galten als Ausschlusskriterium. e. Teilnehmende wurden gebeten, zwei Stunden vor der Messung kein Nikotin und kein Koffein zu konsumieren. Diese Abstinenz wurde mit einem Fragebogen vor der ersten Messung überprüft (s. Anhang B). f. Einschneidende Vorfälle (z.B. Traumatisierungen) im Leben des ProbandInnen können die HRV ebenfalls beeinflussen. Diesbezügliche Erhebungen hätten jedoch den Rahmen dieser Studie gesprengt. g. Die ProbandInnen wurden informiert über mögliche Faktoren, die die Qualität der Aufzeichnung bzw. die autonome Tonuslage beeinflussen könnten (Veränderung der Atmung, Körperbewegungen, gefüllte Blase, Einschlafen usw.). Sie wurden gebeten, diese Faktoren zu vermeiden. 3. METHODIK 3.1. Design Monozentrische prospektive Anwendungsbeobachtung mit kontrolliertem randomisiertem cross-overDesign. 36 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 3.2. Teilnehmende 35 gesunde Freiwillige in ausgewogenem Geschlechterverhältnis. Die Zusammensetzung der Gruppe entsprach in ihrer Zusammensetzung in etwa dem Spektrum der Klientel der Praxis, in welcher die Studie durchgeführt wurde. - Einschlusskriterien: Alter 19 – 60 Jahre mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen gemäß Schlussbericht „Programm Evaluation Komplementärmedizin PEK“ (Melchart et al. 2005: 61). (Siehe dazu Anhang A und Kap. 1.1.2.) - Ausschlusskriterien: Personen mit Herzkreislauferkrankungen; Träger von Herzschrittmachern; langjährige Diabetiker mit neuronalen Ausfällen; Personen mit akuten Infekten; Konsumenten von ßRezeptorenblockern, Antidepressiva, Psychopharmaka, Atropin, Phenylephrin. Die ProbandInnen wurden gebeten, 2 Stunden vor Beginn der Messung kein Nikotin, kein Koffein, kein Alkohol und keine Hauptmahlzeit zu konsumieren. 3.3. Durchführung Alle HRV-Messungen und Behandlungen wurden in einem Praxisraum für Craniosacral Therapie in Zürich durchgeführt. Die Temperatur im gemütlichen Raum betrug 22±1 Grad. Die ProbandInnen wurden an zwei verschiedenen Tagen vormittags zur gleichen Tageszeit einbestellt. Zur Aufnahme der Personalien und der Überprüfung der Ausschlusskriterien wurde ihnen vor der ersten HRV-Messung ein Fragebogen vorgelegt (s. Anhang B). Bei der einen Hälfte der ProbandInnen wurde am 1. Tag eine Behandlung mit Craniosacral-Therapie durchgeführt, bei der anderen Hälfte erfolgte am 1. Tag die Kontroll-Ruhephase. Die Abfolge wurde randomisiert durch würfeln. Jede Testperson durchlief je eine Interventions- und eine Ruhephase. Während der Kontroll-Ruhephase befand sich die Therapeutin nicht im Raum. 1. Tag (t1): Nach der Ankunft in der Praxis setzte sich die Versuchsperson zehn Minuten ruhig hin. Die Versuchsleiterin erklärte ihm den Ablauf und sie füllte den Fragebogen aus. Danach wurde eine erste HRV-Messung t1_1 durchgeführt, um die ProbandInnen mit dem Messsystem vertraut zu machen. Unmittelbar danach wurde die HRV-Messung t1_2 durchgeführt. Dann legte sich die Versuchsperson 30 Minuten ohne Intervention in Rückenlage auf die Behandlungsliege, was als Kontroll-Ruhephase ausgewertet wurde - oder die Versuchsperson legte sich in Rückenlage auf die Behandlungsliege und erhielt eine 30-minütige Behandlung mit Craniosacral Therapie, was als Prüf-Intervention ausgewertet wurde. Danach setzte sich die Person auf der Liege auf und die HRV-Messung t1_3 wurde durchgeführt. 37 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Abb. 5: Abfolge von HRV-Messungen und Kontroll- oder Prüfphase am Tag 1. Erklärung im Text. 2. Tag (t2): Nach der Ankunft in der Praxis setzte sich die Versuchsperson zehn Minuten ruhig hin. Danach wurde die HRV-Messung t2_1 durchgeführt, um sie wieder mit dem Messsystem vertraut zu machen. Unmittelbar danach wurde die HRV-Messung t2_2 durchgeführt. Dann legte sich die Versuchsperson 30 Minuten ohne Intervention in Rückenlage auf die Behandlungsliege, was als Kontroll-Ruhephase ausgewertet wurde - oder die Versuchsperson legte sich in Rückenlage auf die Behandlungsliege und erhielt eine 30minütige Behandlung mit Craniosacral Therapie, was als Prüf-Intervention ausgewertet wurde. Danach setzte sich die Person auf der Liege auf und die HRV-Messung t2_3 wurde durchgeführt. Abb. 6: Abfolge von HRV-Messungen und Kontroll- oder Testphase am Tag 2. Erklärung im Text. Da die Kontroll-Ruhephase und die Prüf-Interventionsphase unter gleichen Bedingungen erfolgten, sollte es möglich sein, unspezifische Einflüsse, etwa durch die Person die den Versuch leitete, durch die Beziehung Proband-Versuchsleiterin oder durch die Erwartungshaltung auszufiltern. Ein allfälliger Unterschied im Ausmaß der Vorher-/Nachher-Veränderung zwischen Kontrollphase und Prüfphase sollte daher auf die Intervention zurückzuführen sein. Intervention mit Craniosacral Therapie: Die Craniosacral Therapie ist eine sanfte nicht-invasive Körpertherapie. Die ProbandInnen erhielten eine an der individuellen Befundung orientierte 30-minütige Behandlung mit Craniosacral-Therapie nach Dr. J. Upledger. Durchgeführt wurden alle Behandlungen von derselben Therapeutin, die in Craniosacral Therapie zertifiziert ist und über zwanzig Jahre Praxiserfahrung verfügt. Messung der Herzratenvariabilität: Die Vagus-Sympathikus-Balance zeichnet sich in der Herzratenvariabilität (HRV) ab. Diese kann mittels EKG ermittelt werden. Es handelt sich dabei um ein verbreitetes nicht-invasives Standardverfahren zur quantitativen Analyse der autonom-nervösen Aktivität. Für die vorliegende Studie wurde ein einfach 38 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau handhabbares EKG-Gerät (UBW-Gerät, IMI Health AG, Liechtenstein) von der Grösse eines Mobiltelefons verwendet. Abb. 6: Vorder- und Rückseite des verwendeten HRV-Messgeräts. Auf der Rückseite (Bild rechts) sind die vier Fingerelektroden zu sehen. Die Messungen bei den sitzenden Versuchspersonen wurden durchgeführt, indem sie mit beiden Zeigund Mittelfingerbeeren während 140 Sekunden die Fingerelektroden berührten. Wenn das Gerät ungenügenden Elektrodenkontakt anzeigte, wurden die Fingerbeeren vor der Messung angefeuchtet. Die vom Gerät gelieferten Daten sind vergleichbar mit dem Ergebnis anderer handelsüblicher HRV-Geräte. Die Versuchsleiterin befand sich während der Messung im Raum. Abb. 7: Handhaltung während der HRV-Messung. Auswertung Für die Bestimmung des autonom-nervösen Regulationsniveaus wurden die folgenden Werte herangezogen: • SDNN, die Standardabweichung aller RR-Intervalle in ms, als allgemeines Mass für die Herzratenvariabilität über alle Frequenzbereiche 2 • TP, total power der RR-Intervall-Variabilität im Frequenzbereich 0.003-0.4 Hz in ms , verwendet als ein zusätzliches Mass (welches gezwungenermassen stark mit SDNN korreliert) • ARI, Gesamt-Regulationsindex (mittels exponentieller Regression aus SDNN und LF/HF-Quotienten berechnet) in % 2 • LF, Sympathikotonus (absolut in ms und normalisiert in nu) 39 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 2 • HF, Vagotonus (absolut in ms und normalisiert in nu) • BPM, die durchschnittliche Pulsfrequenz Herzratenvariabilität SDNN und Total Power TP galten als Mass für die Regulationsfähigkeit der ProbandInnen, der Gesamt-Regulationsindex ARI als Mass für den regulationsphysiologischen Allgemeinzustand, der Quotient LF/HF als Mass für die sympatho-vagale Balance, der Vagotonus HF als Mass für Entspannung - invers zum Sympathikotonus LF als Mass für Stressbelastung. 3.4. Statistische Analyse Die gemessenen HRV-Werte wurden umgehend vom Monitor des Messgeräts fotografiert, anonymisiert in eine Tabelle übertragen und zur statistischen Analyse einem professionellen Statistiker übermittelt. Die Daten wurden in einem Vorher-/Nachher-Design und mit Kontroll- und Interventionsphase als unabhängige Variable mittels ANOVA Varianzanalyse ausgewertet. Dieses Vorgehen erlaubt für Kontrollund Interventionsphase die Ermittlung von Unterschieden zwischen Vorher- und Nachher-Messungen und ebenso die Unterscheidung zwischen den beiden Phasen bezüglich Vorher-/Nachher-Veränderungen. LF/HF-Quotienten wurden auf Basis der individuellen Messungen berechnet und nicht auf der Basis von LF- und HF-Mittelwerten. Resultate mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit p < 0.05 wurden als signifikant angenommen. 4. ERGEBNISSE Erhoben wurden die Werte von 35 Personen, 19 Frauen und 16 Männern. 4 Personen wurden von der Studie ausgeschlossen, weil ihre Messungen mehr als 10% Artefakte aufwiesen. Die Messqualität betrug im Durchschnitt 97,2 %. Ausgewertet wurden folglich die Daten von 31 Personen, 16 Frauen und 15 Männern (s. Tab.2). Das durchschnittliche Alter betrug 46,2 Jahre (min. 19 Jahre, max. 60 Jahre, Durchschnitt ♀43,8 Jahre, ♂48,8 Jahre). 4.1. Übersicht Von den im Kapitel „Methodik“ beschriebenen Variablen wurden für die Messpunkte t1_2, t2_2 (erhoben unmittelbar vor Kontroll- und Ruhephase) und t1_3, t2_3 (erhoben unmittelbar nach Kontroll- und Ruhephase) Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet. Sämtliche Werte wurden auf Häufigkeiten und Verteilung untersucht (s. Anhang C) und einer Varianzanalyse unterzogen. ALLE PROBANDiNNEN N = 31+31 40 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Ruhe Intervention Parameter t1_2 p-Wert t1_3 t2_2 SDNN ms 65.95 ± 45.32 > 0.05 75.92 ± 50.52 55.21 ± 42.34 TP ms2 2161.26 2680.72 ARI % 56.32 ± 30.46 > 0.05 61.76 ± 26.24 48.20 ± 22.27 < 0.01 63.55 ± 25.69 LF/HF 3.55 ± 8.43 > 0.05 3.59 ± 4.08 2.25 ± 2.41 > 0.05 3.06 ± 4.08 LFms2 677.03 ± 936.50 > 0.05 1006.05 1183.89 LF nu 55.1 ± 21.33 < 0.05 63.27 ± 23.22 56.27 ± 21.13 HFms2 599.33 ± 952.06 > 0.05 556.12 ± 807.00 414.25 899.22 HF nu 44.90 ± 21.33 < 0.05 36.73 ± 23.22 43.73 ± 21.13 Puls bpm 67.45 ± 10.13 < 0.05 65.26 ± 9.28 68.45 ± 11.22 ± > 0.05 2575.48 2555.28 ± ± SDNN interaction with treatment, p = 0.523 TP interaction with treatment, p = 0.057 LF/HF interaction with treatment, p = 0.189 41 1375.7 1756.80 480.48 596.20 p-Wert t2_3 < 0.05 72.97 ± 40.01 ± ± < 0.01 3113.29 3526.84 < 0.001 1143.33 1239.16 > 0.05 60.65 ± 21.31 ± < 0.01 55.21 ± 43.34 > 0.05 39.35 ± 21.31 < 0.001 64.52 ± 9.45 ± ± Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Tab. 2: Mittelwerte mit Standardabweichungen der Messpunkte vor und nach der Ruhephase, bzw. vor und nach der Interventionsphase aller ProbandInnen. (t1_2 / t2_2=Mittelwert der Anfangswerte mit Standardabweichung; t1_3 / t2_3=Mittelwert der Endwerte mit Standardabweichung). 4.2. Ergebnisse einzelner Parameter SDNN (ms) SDNN wurde interpretiert als Indikator für die autonomnervöse Regulationsfähigkeit der ProbandInnen. Insgesamt zeigt sich, dass es über alle Versuchsbedingungen hinweg eine signifikante Veränderung zwischen den Messzeitpunkten gibt (F(1,60)=5.243, p=0.026). Im Detail stiegen in der Kontroll-Ruhephase die SDNN-Mittelwerte nicht signifikant von 65.95ms auf 75.92ms (+15%, p=0.249) und in der Interventions-Phase mit Craniosacral Therapie signifikant von 55.21ms auf 72.97ms (+32%, p=0.042). TP (ms2) Auch der frequenzanalytisch ermittelte Wert Total Power galt als Mass für die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit der ProbandInnen. Über alle Versuchs- bedingungen hinweg zeigt sich bei Total Power eine sehr signikfikante Veränderung zwischen den Messzeitpunkten (F(1,60)=9.95, p=0.003). Die Mittelwerte TP stiegen in der Kontroll-Ruhephase nicht signifikant von 2161ms2 auf 2575ms2 (+19%, p=0.394), in der Prüf-Interventionsphase hoch signifikant von 1376ms2 auf 3113ms2 (+126%, p=0.001). ARI (%) 42 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Eine hoch signifikante Veränderung zwischen den Messzeitpunkten insgesamt war zu beobachten bei Regulationsindex ARI (%), dem Mass für den regulations-physiologischen Allgemeinzustand (F(1,60)=7.76, p=0.007). Die Mittelwerte stiegen in der Ruhe-Kontrollphase nicht signifikant von 56.32% auf 61.76% (+9.5 %, p=0.307), in der Interventions-Phase hingegen hoch signifikant von 48.20% auf 63.55% (+32%, p=0.005). LF/HF Das Verhältnis LF/HF galt als Mass für die Balance zwischen Aktivierung und Entspannung. Es wurden über die Versuchsbedingungen hinweg keine signifikanten Veränderungen im Verhältnis LF/HF beobachtet ((F(1,60)=0.266, p=0.608), und folglich auch nicht in der Kontroll- oder in der Interventionsphase (p=0.974 / p=0.489). LF (ms2) Über alle Versuchsbedingungen hinweg zeigte sich ein hoch signifikanter Unterschied zwischen den Messzeitpunkten (F(1,60)=16.98, p<0.001). In der Ruhephase wurde ein tendenzieller Anstieg von 677ms2 auf 1006ms2 beobachtet (+49%, p=0.058), in der Prüf- Interventionsphase mit Craniosacral Therapie ein hoch signifikanter Anstieg von 480 ms2 auf 1143 ms2 (+138%, p<0.001). LF (nu) 43 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Der Unterschied zwischen den Messpunkten über alle Versuchsbedingungen hinweg war signifikant (F(1,60)=5.53, p=0.022). In der Ruhephase stiegen die Werte signifikant von 55nu auf 63nu (+15%, p=0.034), in der Interventionsphase stiegen die Werte nicht signifikant von 56nu auf 61nu (+9%, p=0.250). HF (ms2) Insgesamt war ein signifikanter Unterschied zwischen den Messpunkten zu beobachten (F(1,60)=4.49, p=0.038). In der Ruhephase sanken die Mittelwerte nicht signifikant von 599.33ms2 auf 556.12ms2 (-7%, p=0.665), während sie in der Intervensionsphase hoch signifikant anstiegen von 414.25ms2 auf 754.84ms2 (+82%, p=0.001). HF (nu) Über die Versuchsbedingungen hinweg zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Messpunkten (F(1,60)=5.53, p=0.022). Die Mittelwerte sanken in der Kontroll-Ruhephase signifikant von 44.90nu auf 36.73nu (18%, p=0.034), in der Interventionsphase sanken sie nicht signifikant von 43.73nu auf 39.35nu (-10%, p=0.250). Puls (bpm) Über die Versuchsbedingungen hinweg zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Messpunkten (F(1,60)=17.80, p=0.001) Der Puls sank in der RuheKontrollphase signifikant von 67.45bpm auf 65.26bpm (3%, p=0.037), in der Interventions-Phase hoch signifikant von 68.45bpm auf 64.52bpm (-6%, p=0.001). Vorher-Werte im Vergleich und Nachher-Werte im Vergleich: 44 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Im Vergleich der beiden Messwerte vor der Ruhephase und vor der Interventiosphase (t1_2 und t2_2) zeigt sich bei keiner Variablen ein signifikanter Unterschied. Dasselbe gilt für die Messwerte nach der Ruhe und nach der Intervention (t1_3/t2_3). 4.3. Besonderheiten Ein spannender Aspekt sind die hohen Streuwerte der gemessenen Mittelwerte. Diese sind einerseits auf die große Altersbandbreite zurückzuführen, aber auch auf Lebensweise und Lebensumstände: Überdurchschnittliche Sportlichkeit ergab bei zwei Probanden sehr hohe Werte, ein Einfluss, auf den auch von Nunan et al. (2010:1413) bei ihrer Review von SDNN-Kurzzeit-Messwerten hinweisen. Besonders niedrige Werte zeigten zwei ProbandInnen, die kürzlich eine schwere Erkrankung durchgemacht hatten und ein Proband in schwierigen Lebensumständen. Trotz der extremen Messwerte wurden die ProbandInnen nicht aus der Studie ausgeschlossen, weil sie sich zu jenem Zeitpunkt subjektiv gesund fühlten und wiederholte Messungen ausschlossen, dass es sich dabei um Messfehler handelte. Im Lauf der Untersuchung tauchte die Frage auf, ob es sich bei den ProbandInnen mit hohem SDNNWert > 75ms um gut bis sehr gut trainierte SportlerInnen handelt, bzw. ob die Werte auf einen pathologisch-chaotischen Zustand hinweisen. Die Auswertung mehrerer HRV-Studien am Interuniversitären Kolleg für Gesundheit und Entwicklung, Graz, sowie die Informationen des Herstellers legten eine zusätzliche Auswertung einer Subgruppe nahe, mit welcher der Einfluss der Extremwerte auf die Ergebnisse überprüft wurde. Nunan et al. (2010:1415) weisen darauf hin, dass auch in einer homogenen Gruppe gesunder ProbandInnen eine grosse Bandbreite an Messwerten auftreten kann. In ihrer Review über 44 Studien mit HRV-Kurzzeitmessungen fanden sie einen durchschnittlichen SDNN-Wert von 50ms. In der Folge wurden in der vorliegenden Untersuchung alle ProbandInnen mit nicht-extremen Anfangs-SDNN-Werten < 75ms separat ausgewertet. PROBAN DiNNEN mit nichtextremem AnfangsSDNN (< 75ms) N = 21+21 Ruhe Parameter t1_2 Intervention p-Wert t1_3 t2_2 45 p-Wert t2_3 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 SDNN ms 40.33 ± 16.41 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau < 0.01 65.43 ± 41.35 41.17 ± 14.98 < 0.01 62.43 ± 30.86 TP ms2 1026.95 723.72 ARI % 39.52 ± 17.39 < 0.01 57.79 ± 24.38 40.59 ± 14.80 < 0.01 58.40 ± 23.96 LF/HF 4.45 ± 10.15 > 0.05 3.53 ± 3.48 2.57 ± 2.69 > 0.05 2.76 ± 2.70 LF ms2 340.28 ± 292.18 < 0.01 785.26 ± 75.20 313.00 292.55 LF nu 56.15 ± 21.56 65.74 ± 20.76 58.81 ± 21.78 HF ms2 261.54 ± 207.36 > 0.05 333.29 ± 266.87 177.89 129.95 HF nu 41.19 ± 21.78 > 0.05 34.26 ± 20.76 41.19 ± 21.78 > 0.05 38.32 ± 20.66 Puls bpm 69.67 ± 10.73 > 0.05 67.86 ± 9.71 72.05 ± 11.70 < 0.01 67.29 ± 9.88 ± < 0.01 > 0.05 2002.10 1282.16 ± 861.00 532.61 ± < 0.01 ± < 0.01 > 0.05 ± < 0.01 1851.05 1760.73 ± 776.25 ± 892.38 61.68 ± 20.66 347.67 ± 271.56 Tab. 3: Mittelwerte mit Standardabweichungen der Messpunkte vor und nach der Ruhephase, bzw. vor und nach der Interventionsphase bei ProbandInnen mit nicht-extremen Anfangs-SDNN (<75ms).(t1_2 / t2_2=Mittelwert der Anfangswerte mit Standardabweichung; t1_3 / t2_3=Mittelwert der Endwerte mit Standardabweichung). Anders als bei der Gesamtgruppe zeigten sich in dieser Auswertung Signifikanzen sowohl in der RuheKontrollphase als auch in der Interventionsphase bei SDNN, TP und ARI. Allerdings wird die Relevanz dieses Ergebnisses durch die statistisch nicht aussagekräftige kleine ProbandInnen-Zahl von 21 Personen eingeschränkt. 5. DISKUSSION In der vorliegenden Studie wurde bei 31 gesunden Erwachsenen (16 Frauen, 15 Männer) mit subjektivem Stressempfinden die Wirkung einer einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie getestet gegen 46 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Liegen ohne Intervention. Untersucht wurde die Wirkung anhand der Herzratenvariabilität, dem Regulationsniveau und der Vagus-Sympathikus-Balance. 5.1. Interpretation der Ergebnisse 5.1.1. Veränderung der autonom-nervösen Regulationsfähigkeit Herzratenvariabilität SDNN (ms) und Total Power (ms2) galten in dieser Untersuchung als Mass für die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit der ProbandInnen. Mit der einmaligen dreissigminütigen craniosacralen Behandlung zeigte sich - im Gegensatz zum gleich langen Liegen ohne Intervention - eine signifikante Erhöhung bei SDNN und eine hoch signifikante Erhöhung bei TP. Die Herzratenvariabilität und somit die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit - der ProbandInnen hat demnach zugenommen. Dies weist darauf hin, dass mit einer individuell angewandten, einmaligen Craniosacral Therapie-Behandlung der autonom-nervöse Regulationsstatus angehoben und somit die Regulationsfähigkeit verbessert wird. Das Ergebnis deckt sich mit der von Liem (2001:21) beschriebenen wechselseitigen Beziehung von Craniosacral Therapie zum neurovegetativen System. Ebenso spiegelt sich damit die Aussage von Upledger (1991:32) über die Verstärkung der autonomen Flexibilität durch die Therapie. Gemäss Melchart (2011) kann diese verbesserte Flexibilität die Gesundheit der Behandelten stärken. Im Zusammenhang mit der Studie ist allerdings zu beachten, dass ein Therapieerfolg kaum mit einer einmaligen Intervention gemessen werden kann. Hierfür sind weitere Untersuchungen über einen längeren Zeitraum und auch mit grösseren Gruppen notwendig. 5.1.2. Veränderung des regulationsphysiologischen Allgemeinzustands ARI (%) wurde in dieser Studie als Mass für den regulationsphysiologischen Allgemeinzustand herangezogen. In diesem Parameter werden sowohl die Vagus-Sympathikus-Balance als auch das autonom-nervöse Regulationsniveau so gewichtet, dass eine Aussage im Sinn eines Fitness- oder Gesundheitsindikators gemacht werden kann. Die signifikante Erhöhung von ARI (%) in der Interventions-Phase weist darauf hin, dass eine einmalige Behandlung mit Craniosacral Therapie das Regulationsniveau der Behandelten erhöht und der Organismus somit im Sinn einer gesunden Reaktion besser auf Anforderungen reagieren kann. Craniosacral Therapie könnte daher für stressgeplagte Menschen insbesondere bei der Stärkung der Widerstandsressourcen und der adäquaten Verarbeitung von Stressfaktoren eine sinnvolle Unterstützung darstellen. 5.1.3. Veränderung der sympatho-vagalen Balance LF/HF LF/HF zeigte bei keiner Auswertung eine signifikante Veränderung. Im Detail ist jedoch zu erkennen, dass der Vagotonus HF deutlicher anstieg unter der Intervention. In der Ruhephase sank der durchschnittliche HFms2-Wert in der Gesamtgruppe, während er bei der Gruppe „SDNN < 75ms“ anstieg. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass bei Personen mit Anfangs-SDNN-Werten > 75ms der Parasympathikus unter der Intervention von Craniosacral Therapie eher steigt als ohne Intervention. 47 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau 5.2. Folgerung auf die untersuchte Problematik und den Stand des Wissens Die aufgestellte Hypothese „Eine 30-minütige Craniosacral-Behandlung wirkt erhöhend auf die Werte der Herzratenvariabilität bzw. der Vagus-Sympathikus-Balance der behandelten Person“ kann aufgrund der signifikanten Veränderung von SDNN (ms) und ARI (%) durch die Intervention zum Teil angenommen werden. Sie wird zu einem anderen Teil nicht bestätigt durch die nicht signifikante Veränderung der LF/HF-Balance. Die vorliegende Studie untersuchte den Einfluss von Craniosacral Therapie auf Personen mit subjektiven Befindlichkeitsstörungen. Es zeigte sich, dass eine Behandlung im Vergleich zu einer Ruhephase in stärkerem Mass ausgleichend wirkt auf das autonom-nervöse Regulationsniveau und die Herzratenvariabilität mehr erhöht. Die Hinweise in der craniosacralen Literatur über empirisch beobachtete Wirkungen der Craniosacral Therapie auf das Nervensystem können demzufolge mit modernen Messmethoden wie der Herzratenvariabilitäts-Analyse überprüft und teilweise bestätigt werden. Weitere Studien sind unerlässlich, um diese Resultate zu überprüfen. Es könnte aber einen wissenschaftlich fundierten Weg darstellen, die Wirksamkeit der Craniosacral Therapie zu untersuchen. 5.3. Eigenkritisches Die praxisnahe Auswahl von ProbandInnen mit großen Unterschieden bezüglich psychischem, physischem und gesundheitlichem Befinden führte zu einer breiten Streuung der Messergebnisse. Für weitere Studien wäre eine Einschränkung beispielsweise bezüglich des Fitnessniveaus in Erwägung zu ziehen. Personen, die zum ersten Mal eine Craniosacral-Behandlung erhielten, könnten mit Unsicherheit oder Aufregung reagiert haben. Dieser Einfluss auf die gemessenen Parameter hat keinen direkten Zusammenhang mit der angewendeten Intervention. Für weitere Studien wäre vorherige Behandlungserfahrung als Einschlusskriterium sinnvoll. Allerdings ist anzumerken, dass die Ausgangsmesswerte in der Ruhephase bei den meisten Parametern höher lagen als in der Interventionsphase - was nicht auf erhöhte Nervosität bezüglich der Therapie bei den ProbandInnen hinweist. In der vorliegenden Untersuchung wurde auf Verblindung verzichtet. Sowohl den ProbandInnen als auch der Versuchsleiterin war es theoretisch möglich, die Meßresultate auf dem Bildschirm des Messgeräts einzusehen. Dies könnte die Ergebnisse beeinflusst haben. Bei einer Folgestudie wäre dies mit einer Verblindung zu berücksichtigen. Im besten Fall könnte eine Hilfsperson die Messungen durchführen, welche nicht identisch wäre mit der Therapeutin. Die Untersuchungen wurden an ProbandInnen mit subjektivem Stressempfinden durchgeführt. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, wurde dieses Empfinden nicht mittels standardisierter Fragebogen, wie z.B. Perceived stress scale von Cohen, erhoben. Eine Skalierung war somit nicht möglich. Es zeigte sich, dass die Empfindung von Stress leicht beeinflussbar ist: ein akutes geschäftliches Problem oder ein entspannendes Wochenende zwischen den beiden Meßzeitpunkten veränderten die Befindlichkeit einzelner Personen offensichtlich. Interessant für alle Beteiligten war, dass sich sowohl bei der Anfangs48 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau als auch bei der Schlussmessung die subjektive Wahrnehmung von Stress bzw. Entspannung und die HRV-Messwerte nicht immer entsprachen. Dieselbe Divergenz fanden Curic et al. (2008:20) bei ihrer Untersuchung. 5.4. Anregungen zu weiterführender Arbeit Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine quasi-experimentelle Studie, bei welcher ProbandInnen mit sujektivem Stressempfinden je einmal mit und einmal ohne Intervention beobachtet wurden. Gerade bei stressinduzierten Symptomen kommen KlientInnen normalerweise jedoch mehr als einmal zur Craniosacral Therapie. Es wäre deshalb sinnvoll, die Stabilität der Werte in einer vollständigen Anwendungsbeobachtung über Wochen oder Monate zu verfolgen. So könnte die Nachhaltigkeit einer Serie von craniosacralen Behandlungen in Bezug auf die Herzratenvariabilität geprüft werden. Die Ausgangsmesswerte der ProbandInnen zeigten grosse Unterschiede bezüglich des autonom-nervösen Niveaus. Es wäre interessant zu untersuchen, welche Menschen am meisten von einer Intervention mit Craniosacral Therapie profitieren. Sprechen zum Beispiel alle ProbandInnen mit niedriger Herzratenvariabilität auf die Behandlung an oder gibt es Personen, für die eine andere Behandlungsmethode geeigneter wäre (z.B. Ernährungsumstellung, Bewegung)? Der unter 5.3. geäußerte Hinweis, dass sich ProbandInnen mit SDNN-Anfangswerten >75ms im Liegen ohne Intervention möglicherweise nicht so gut entspannen können wie mit einer Intervention, könnte in einer größere Untersuchung überprüft werden. 5.5. Zusammenfassung In der vorliegenden Studie wurde die Regulation des autonomen Nervensystems unter dem Einfluss einer einmaligen Intervention mit Craniosacral Therapie untersucht. Es war ein Versuch, die Wirkung dieser Therapie mit Vorher-/Nachher-Messungen der Herzratenvariabilität SDNN darzustellen. Noch fehlen standardisierte Werte für die in dieser Studie angewandte Kurzzeitmessung, so dass zwar Veränderungen dargestellt, diese aber (noch) nicht in ein größeres Ganzes eingeordnet werden können. Im Detail zeigte sich, dass sowohl die Kontroll-Ruhephase als auch die Craniosacral-Behandlung einen günstigen Effekt auf die Herzratenvariabilität ausüben, aber der Effekt der Craniosacral-Behandlung deutlich stärker ist. Die Ergebnisse dieser Studie könnten einen Hinweis darauf darstellen, dass die Craniosacral Therapie die autonom-nervöse Regulationsfähigkeit der behandelten Personen unterstützen kann und damit einen wichtigen Impuls zur Förderung der Gesundheit darstellt. Die Autorin geht auf Grund der eigenen hier beschriebenen und ausgewerteten Messungen sowie Anbetracht vieler konsultativer Quellen und verwandter Untersuchungsresultaten davon aus, dass die Forschungshypothese wenn auch nicht vollumfänglich so doch zu einem großen Teil verifiziert wurde. 49 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau LITERATURVERZEICHNIS - Agustoni, D. (2004): Craniosacral Selbstbehandlung. Wohlbefinden und Entspannung durch sanfte Berührung. Kösel, München. 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Zeitraum: ab sofort bis Ende Juni Zeitbedarf: 2 x 45 min. an zwei wählbaren Vormittagen um 10h oder 11h Setting: 1 x Craniosacral-Behandlung von 30 min. 1 x Liegen ohne Behandlung, 30 min. (oder umgekehrt) Jeweils vor und nach der Behandlung und dem Liegen wird eine 2,5 min.- Messung durchgeführt, bei der Ihre Herzaktivität aufgezeichnet wird. Die Daten werden anonymisiert ausgewertet und dienen als Grundlage für eine wissenschaftliche Untersuchung über die Wirksamkeit von Craniosacral Therapie bei Stresssymptomen. Die Teilnahme ist nicht möglich bei Einnahme von Blutdrucksenkern, Antidepressiva oder bei akuten Infekten. 2 Stunden vor dem Termin sollten keine Vollmahlzeiten, kein Kaffee/ Nikotin konsumiert werden. Für Anmeldungen oder Fragen stehe ich gern unter 078 791 90 20 oder [email protected] zur Verfügung. Mit herzlichen Grüssen Wanda Girsberger, Praxis für Craniosacral Therapie, Kronenstr. 48, 8006 Zürich 56 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau ANHANG B Craniosacral Therapie und Herzratenvariabilität HRV Besten Dank für Ihre Teilnahme an dieser Untersuchung! Die HRV-Messungen werden im Rahmen einer Masterthesis in Komplementärmedizin am Interuniversitären Kolleg in Graz durchgeführt. Sämtliche Daten werden zur Auswertung und Publikation der Thesis anonymisiert und für keine anderen Zwecke verwendet. Name, Vorname: Strasse: PLZ, Ort: Geburtsdatum: Grösse: Gewicht: ............................................ ............................................ ............................................ ............................................ ............................................ .................. Bitte kreuzen Sie an, was auf Sie zutrifft: Ich treibe Sport (mind. 2h/Woche): o Ja o Nein Ich habe in den letzten 2 Stunden Kaffee getrunken: o Ja o Nein Ich habe in den letzten 2 Stunden eine volle Mahlzeit gegessen: o Ja o Nein Bitte kreuzen Sie an, wenn folgendes für Sie zutrifft: o Herzkreislauferkrankung o trage einen Herzschrittmacher o langjährige Diabetes o akuter Infekt Ich nehme zur Zeit folgende Medikamente: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einverständniserklärung: Ich bin damit einverstanden, HRV-Messungen durchzuführen und die anonymisierten Daten für die Studie zur Verfügung zu stellen. Zürich, . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................................... ANHANG C 57 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau SDNN: Verteilung über die beiden Messungen m1 und m2 der Interventionsphase 100 % maximum 216.00 99.5% 216.00 97.5% 199.32 90.0% 122.10 75% quartile 72.95 50% median 50.65 25% quartile 37.48 10% 26.13 2.5% 19.11 0.5% 16.00 0.0% minimum 16.00 Mean 64.090323 Std Dev 41.823328 Std Err Mean 5.3115679 upper 95% Mean 74.711459 lower 95% Mean 53.469186 N = 62 ARI: Verteilung über die beiden Messungen m1 und m2 der Interventionsphase 100 % maximum 100.00 99.5% 100.00 97.5% 100.00 90.0% 98.26 75% quartile 71.60 50% median 48.35 25% quartile 37.48 10% 25.31 2.5% 19.11 0.5% 16.00 0.0% minimum N = 62 58 16.00 Mean 55.875806 Std Dev 25.069089 Std Err Mean 3.1837775 upper 95% Mean 62.242163 lower 95% Mean 49.50945 Girsberger Wanda, MSc Thesis 2012 Interuniversitäres Kolleg, Graz/Schloss Seggau Puls: Verteilung über die beiden Messungen m1 und m2 der Interventionsphase 100 % maximum 94.00 99.5% 94.00 97.5% 94.00 90.0% 82.40 75% quartile 73.25 50% median 65.50 25% quartile 57.75 10% 54.30 2.5% 51.00 0.5% 51.00 0.0% minimum 51.00 Mean 66.483871 Std Dev 10.478302 Std Err Mean 1.3307457 upper 95% Mean 69.144861 lower 95% Mean 63.82288 N = 62 TP: Verteilung über die beiden Messungen m1 und m2 der Interventionsphase 100 % maximum 14859 99.5% 14859 97.5% 12668 90.0% 5159 75% quartile 2520 50% median 1308 25% quartile 670 10% 326 2.5% 176 0.5% 142 0.0% minimum N = 62 59 142 Mean 2244.5161 Std Dev 2898.6835 Std Err Mean 368.13317 upper 95% Mean 2980.6439 lower 95% Mean 1508.3884