193 MAYO-Kurzschaftprothese A. Hagel, D. Wohlrab, W. Hein Die ständig steigende Zahl operativer Leistungen zum Ersatz von Hüft- und Kniegelenken führt in Deutschland zurzeit zu einer jährlichen finanziellen Belastung von ca. 3 Milliarden Euro. Im Jahre 2004 wurden laut dem Qualitätsbericht der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) 137858 primäre Hüfttotalendoprothesen in 1192 Krankenhäusern implantiert. Davon erfolgten annähernd 50% der Implantationen in Einrichtungen, welche weniger als 50 Eingriffe dieser Art pro Jahr durchführen. Weltweit wird jährlich ein Anstieg der Implantationen von Knie- und Hüfttotalendoprothesen registriert. In den USA rechnet man damit, dass sich die Zahl der operierten Patienten in den nächsten 10 Jahren verdreifacht. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. So sind die gestiegenen Ansprüche an die eigene Mobilität und körperliche Aktivität der Patienten auch in höherem Lebensalter sowie die Verschiebungen innerhalb der Alterspyramide mit zunehmendem Durchschnittsalter der Bevölkerung nur einer von vielen Faktoren. Zur Hüfttotalendoprothetik als Therapie der fortgeschrittenen Coxarthrose gibt es heute kaum Alternativen. So werden auch bei jungen Patienten vermehrt künstliche Gelenke implantiert, zumal in der Literatur die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Hüfttotalendoprothese bei entsprechenden Implantaten nach 10 Jahren im Pfannenbereich mit nahezu 100 % und im Schaftbereich mit 97 % beziffert wird. Dennoch ist gerade bei jüngeren Patienten ein Prothesenwechsel nicht vermeidbar. Daher ist ein knochensparendes Vorgehen, im Hinblick auf spätere Prothesenwechseloperationen, unabdingbar. Im Bereich des Acetabulums kann dies durch hemisphärische Pressfit-Pfannen erreicht werden. Schenkelhals- und Kurzschaftprothesen sind dazu das Pendant am Femur. Abb. 1 Anterior-posteriore Ebene des MAYO-Schaftes (AP Wedge); medio-laterale Ebene des MAYO-Schaftes (ML Wedge). in Kombination mit der Trilogy®-Pfanne (Zimmer) in der Orthopädischen Universitätsklinik Halle implantiert. Bei diesem Schaft handelt es sich um eine Kurzschaftprothese, die zementfrei implantiert wird. Er besitzt sowohl in anterior-posteriorer als auch in medio-lateraler Ebene ein konisches Design und gewährleistet somit durch eine multi-point-fixation einen sofortigen primärstabilen Sitz im Knochen (Abb. 1). Der Mayo-Schaft besteht aus Tivanium®, einer Titan-Aluminium-Vanadium-Legierung (Ti-6Al4V), besitzt eine partielle fiber-mesh-Struktur und ist teilweise mit Hydroxylapatit beschichtet (Abb. 2). Aufgrund seines Designs verhindert er weitgehend ein „stress shielding“. Es gibt acht verschiedene Größen, welche von X-Small bis X-Large reichen (Abb. 3). Zu favorisieren ist dieser Schaft als Primärimplantat bei jüngeren Patienten (< 70 Jahre) mit guter Knochenqualität und physiologischen anatomischen Verhältnissen. Die MAYO Kurzschaftprothese Ein solches Kurzschaftsystem ist der MAYO-Hüftschaft (Zimmer Inc., Warsaw, USA), welcher 1985 in der MAYO-Klinik (Rochester, USA) zur Versorgung jüngerer Patienten entwickelt worden war. Morrey et al. konnten zeigen, dass bei Verwendung dieses Implantates der intra- und postoperative Blutverlust deutlich reduziert wird und dass die Langzeitergebnisse dieses Schaftes mit anderen Systemen vergleichbar gut sind. Der MAYO®-Schaft wird seit 1999 Vergleichstudie MAYO- versus ABGSchaft Bei dieser Studie wurde der ABG-Schaft (Stryker), eine anatomische Hüftschaftprothese mit epi-metaphysärer Verankerung, mit dem MAYO-Schaft verglichen. Die Operationen wurden prospektiv-randomisiert an der Orthopädischen Universitätsklinik Halle 194 A, Hagel, D. Wohlrab, W. Hein Abb. 4 Knochendichteuntersuchung (DEXA) MAYO vs. ABG 3 Jahre p.o. durchgeführt. Hierzu wurden 46 Patienten, welche im Zeitraum August 2000 bis Dezember 2001 entweder mit einem MAYO- oder ABG-Schaft versorgt wurden, nachuntersucht. Die durchgeführten Nachkontrollen zeigten neben einer geringgradig besseren Beweglichkeit auch eine deutliche Reduktion des Blutverlustes und der postoperativen Schmerzen zugunsten der Mayo-Prothese. Auch konnte eine deutlich bessere Gehleistung der mit dem MAYO-Schaft versorgten Patienten bei deutlich geringerem Insuffizienzhinken festgestellt werden. Die 3 Monate und 3 Jahre post operationem durchgeführten Knochendichtemessungen zeigten eine eindeutige proximale Knochendichtezunahme bei den mit dem MAYO-Schaft versorgten Patienten (Abb. 4). In dieser Studie konnte nachgewiesen werden, dass der MAYO-Schaft in Bezug auf Schmerzen, Muskelinsuffizienz und Beweglichkeit deutliche Vorteile gegenüber dem ABG-Schaft besitzt und dabei eine physiologischere Belastung der proximalen Femurknochenmatrix gewährleistet. Abb. 2 MAYO-Schaft mit fiber-mesh-Struktur und Hydroxylapatitbeschichtung. XS Abb. 3 MAYO-Schaftgrößen S S+ M M+ L L+ XL MAYO Kurzschaftprothese Abb. 5 Präoperative Röntgenaufnahme des linken Hüftgelenkes im anterior-posterioren (ap) Strahlengang eines 62-jährigen Patienten mit IV°-iger Coxarthrose links. 195 Abb. 6 Postoperative Röntgenaufnahme des linken Hüftgelenkes im anterior-posterioren (ap) Strahlengang nach minimalinvasiver Implantation einer zementfreien Hüfttotalendoprothese links (Trilogy®-Pfanne, MAYO®-Schaft) unter Verwendung eines modifizierten Watson-Jones-Zuganges. Watson-Jones-Zugang In den letzten Jahren wurden verschiedene minimalinvasive Zugänge zum Hüftgelenk entwickelt bzw. wieder entdeckt. Welche unabhängig von der Wahl des minimalinvasiven Zuganges und der verwendeten Implantate die Verwendung von speziellen Instrumentarien verlangte. Ein solcher Zugang ist der modifizierte Watson-Jones-Zugang, welcher sich durch den vollständigen Verzicht auf eine partielle, subtotale oder totale Durchtrennung bzw. Ablösung von Muskulatur auszeichnet. Die Hautinzision erfolgt in Höhe des ventralen Randes des Trochanter major und sollte von der Trochanterspitze mindestens 3 bis 4 cm nach kranial und kaudal reichen (Abb. 7). Nach Längsspaltung des Tractus iliotibialis am ventralen Übergang zur Fascie des M. tensor fasciae latae erfolgt der Zugang zur Hüftgelenkskapsel in der Muskelloge zwischen M. tensor fasciae latae und Abb. 7 Fotografische Darstellung des linken proximalen Oberschenkels von lateral. Der Patient befindet sich in Rückenlage. Angezeichnet ist der Verlauf der Hautinzision des modifizierten Watson-Jones-Zuganges im Verhältnis zum Trochanter major und der Spina iliaca anterior superior. 196 M. glutaeus medius. Nach Eröffnung der Hüftgelenkskapsel, Resektion des Schenkelhalses und Entfernung des Hüftkopfes wird das Acetabulum präpariert und das Pfannenimplantat unter Nutzung von knöchernen Landmarken positioniert und press-fit im Knochen verankert. Zur Schaftpräparation wird der Oberschenkel in eine Hyperextensions-, Adduktionsund Außenrotationsstellung gebracht. Dadurch stellt sich der proximale Femur so in der Inzision dar, dass sowohl eine Kurzschaftprothese wie auch eine zementfreie oder zementierte Geradschaftprothese mühelos implantierbar sind. Nachdem alle Implantate eingebracht sind und das Gelenk reponiert ist, gleitet die nicht traumatisierte Muskulatur in ihre anatomische Position zurück, ohne dass hier größere Spalten oder Hohlräume verbleiben. Es sei darauf verwiesen, dass verschiedene Hersteller spezielle Instrumente für die minimalinvasive Hüftchirurgie anbieten. Sie dienen der erleichterten Darstellung des Operationssitus. Da bei dem von uns angewendete minimalinvasiven Zugang vollständig auf eine Ablösung oder Durchtrennung der Muskulatur verzichtet wird, kann die postoperative Mobilisation bereits am Operationstag unter vollständiger Belastung des operierten Beines beginnen. Wir beginnen bereits ca. 6 Stunden postoperativ mit der physiotherapeutischen Behandlung unserer minimalinvasiv operierten Patienten. Ziel ist es, den Patienten bereits am Operationstag aufzustellen und, wenn möglich bereits die ersten Schritte an Unterarmstützen zu gehen. Ab dem ersten postoperativen Tag wird ein intensives physiotherapeutisches Programm absolviert. Dies beinhaltet Spannungsübungen, passive und aktive Bewegungsübungen des operierten Hüftgelenkes sowie ein rasch aufbauendes Mobilisationstraining. Auf eine Einschränkung der Belastung und Beweglichkeit des Gelenkes wird hierbei nahezu verzichtet. Innerhalb weniger Tage ist der Patient vollständig mobilisiert und zeigt ein flüssiges und sicheres Gangbild. Ist dies erreicht, so kann auf das Verwenden von Gehhilfen verzichtet werden. Eine an der Orthopädischen Universitätsklinik Halle durchgeführte Vergleichsstudie zeigt Patienten mit einem minimalinvasiven Zugang (modifizierter Watson-Jones) im Vergleich zu Patienten, die über einen Standardzugang operiert wurden auch in der Auswertung von ganganalytisch erhobenen Daten signifikante Vorteile. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die minimalinvasive Implantationstechnik am Hüftgelenk (one incision technique) bei Verkürzung des Hautschnittes und geringerer Weichteiltraumatisierung, insbesondere durch Schonung der Muskulatur, in der frühen postoperativen Phase eine verbesserte Mobilisation und Rehabilitation der Patienten ermöglicht. A, Hagel, D. Wohlrab, W. Hein Durch Anwendung dieser neuen Techniken sind eine deutliche Verkürzung der stationären Verweildauer, eine schnellere Rehabilitation und damit eine frühzeitige Wiedereingliederung in das berufliche und soziale Umfeld möglich. Komplettiert wird diese neue Philosophie des künstlichen Hüftgelenkersatzes durch die Anwendung von Prothesensystemen, die in Abhängigkeit des Patientenalters und der Knochenqualität zum Einsatz kommen. Das primäre Ziel des künstlichen Gelenkersatzes ist, die Lebensqualität (Aktivität und Mobilität) zwischen dem 30. und 90. Lebensjahr zu garantieren. Bis heute handelt es sich bei der minimalinvasiven Implantationstechnik am Hüftgelenk jedoch nicht um ein standardisiertes Operationsverfahren, welches gegenüber konventionellen Techniken zusätzliche Risiken (z. B. Schädigung nervaler Strukturen und Fehlpositionierung von Implantaten) aufweist. Im Hinblick auf die Tatsache, dass der konventionelle endoprothetische Hüftgelenksersatz eines der erfolgreichsten Behandlungsprinzipien in der operativen Medizin darstellt, sollte die minimalinvasive Implantationstechnik am Hüftgelenk derzeit nur in spezialisierten operativen Zentren verwendet werden und hier zunächst in der Hand des erfahrenen Operateurs bleiben.