Fotograf: Heinz Jörgen Hafele Nevzat Sari Wie bin ich nach Tirol gekommen? Ich bin eigentlich wegen meinem Medizinstudium in Tirol. Ich bin eigentlich in Vorarlberg aufgewachsen . . . und nach Vorarlberg bin ich eigentlich durch meinen Vater. Also mein Vater lebt seit den Achtzigerjahren, also Ende der Achtzigerjahre in Österreich als Arbeitsmigrant und hat uns dann Ende 1990 nach Österreich, also nach Götzis in Vorarlberg geholt. Seitdem bin ich hier. Seit 2000 bin ich wegen meinem Medizinstudium in Tirol. Das kurz zur ersten Frage. Mein Verhältnis zu meinem Geburtsland: Ah, Sie werden es nicht glauben, ich war das erste Mal nach einem zehnjährigen Aufenthalt in Österreich in meinem Geburtsland, und zwar, da habe ich gerade maturiert und mein Vater hat einen Kredit aufgenommen . . . und es war sozusagen mein Maturageschenk . . . in die Türkei . . . Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Großeltern . . . Ich habe zwar Verwandte dort, aber die meisten leben in Deutschland, Schweiz, Österreich . . . Es war ein komisches Gefühl . . . erstens, ich habe mich mit der Mentalität nicht mehr zurechtgefunden, zweitens mit der Lebenseinstellung, drittens mit der Kommunikationsart, viertens mit der Lebensweise. Es war alles teilweise nicht fremd – ich bin ja auch sehr rustikal aufgewachsen . . . ich bin ja in einem Dorf in Nord-Kurdistan geboren, in einem armen Dorf, das gehört zu den . . . die Stadt gehört zu der zweitärmsten Stadt von der ganzen Türkei, also sehr rustikal, ländlich, Bauernhof und alles . . . und wir hatten ja sonst nichts. An und für sich war ich diese Verhältnisse gewohnt, nur es war ungewohnt; ich musste mich einleben. Und jetzt im Laufe der Jahre . . . das letzte Mal war ich dann für die Beisetzung meiner Tante dort, also Begräbnis, und das letzte Mal 2005 wegen meinem Auslandspraktikum . . . ich wollte eigentlich nach Afrika, und es war finanziell . . . es hat sich nicht vereinbaren lassen . . . Türkei war dann billiger und ich bin dann nach Antalya. Es war dort für mich . . . ich habe noch nie so viel - also medizinisch – gelernt wie dort. Es war ein Wahnsinn! Es war ein tolles Erlebnis für mich; ich war 2 Monate in der Türkei; ich bin auch viel rumgekommen . . . Aber im Großen und Ganzen würde ich nicht in der Türkei leben. Erstens . . . für mich . . . ich betrachte den türkischen Staat als ein . . . es ist eine Diktatur; Demokratieverhältnisse gibt es nicht; in einem faschistischen Land . . . in so einem Land möchte ich weder dienen noch arbeiten . . . also aus meiner politischen Überzeugung. Aber das Land an und für sich – also geografisch, geschichtlich betrachtet – ich finde es schön. Vor allem mein Geburtsort mein Geburtsdorf . . . ich sehne mich eigentlich danach, weil ich mag dieses Ländliche . . . Deswegen mag ich auch Tirol sehr. Tirol ist eine Verbindung . . . nicht zu viel Stadt, nicht zu wenig Land. Es ist eine gute Kombination: nicht zu groß und nicht zu klein. Deswegen mag ich Tirol; und ich mag auch Vorarlberg. Wien wäre mir wiederum zu groß zum Leben. Ich war sehr oft in Wien, aber zum Leben würde ich lieber nicht. So einen Riesenbezug habe ich nicht mehr. Meine Eltern leben auch hier; meine Verwandtschaft, die wichtigsten Menschen leben alle in Europa. Sonst mehr Bezug habe ich nicht. Man sehnt sich schon nach den Verwandten oder nach den Verhältnissen, aber für mich geht es in erster Linie um die Politik und um die Demokratie. Deswegen ist es so eine Blockade . . . Wenn die Menschen sich nicht . . . Ich bin zum Beispiel ein assimilierter Kurde; und gerade da bin ich tief verwurzelt, weil wir massakriert worden sind, zwangsassimiliert, zwangsdeportiert . . . Wenn Sie sich vorstellen, ich habe mich bis zu meinem 17. Lebensjahr nicht einmal richtig zuordnen können. Von den türkischen Mitmenschen bin ich diskriminiert worden, weil ich Alevite und Kurde war; von den Österreichern, weil ich Ausländer bin. Wissen Sie, es war so eine Riesenzwiespalt, ein Hin und Her, eine Identitätssuche . . . Und jetzt aus dem Grund würde ich nicht in der Türkei leben wollen. Sonst ich hätte supertolle Angebote, als angehender Arzt dort zu arbeiten, wo ich viel, viel mehr verdienen kann als hier oder in Österreich, aber Geld ist nicht alles . . . Ich bin Mediziner aus Leidenschaft; also von dem her . . . Geld spielt für mich keine Rolle. Derzeitige Arbeitssituation: Also ich arbeite jetzt hier als PCM in der Rezeption, hilf da aus . . . Ich mache dann nebenbei auch Betreuung, also sozialintegrative Alltagsbetreuung. Ich habe bis jetzt meist geistig behinderte Kinder gehabt, weil ich auch Kinderarzt werden wollte . . . Demnächst mache ich jetzt höchstwahrscheinlich Schulassistent für ein geistig behindertes Kind . . . also ich arbeite sehr viel . . . Ich bin im Vorstand im demokratischen Immigrantenverein; also im sozialen Bereich mache ich sehr viel; ehrenamtliches Dolmetschen . . . also ehrenamtlich . . . Übersetzungen mache ich auch – Deutsch- Türkisch, Betreuen von Flüchtlingen – so durch den Verein – Asylbewerber und so . . . eigentlich eine ganze Menge außer Medizin . . . Ja, ich mache eigentlich sehr, sehr viel. Das ist sozusagen meine soziale Ader . . . Ich sollt mich eigentlich auf meine Studium konzentrieren; ich habe jetzt nur eine große Prüfung in dem Sinne noch. Das wünsche ich mir für die Zukunft: Was ich mir für die Zukunft wünsche – ganz auf mich bezogen – ich würde gerne auf jeden Fall eine Familie gründen. Zweitens wünsche ich mir trotz meiner Deutschkenntnisse – weil ich die deutsche Sprache sehr, sehr gut beherrsche . . ich bin auch sehr vielsprachig aufgewachsen . . . Trotzdem werden wir sehr . . . also ich habe das auch auf der Klinik sehr oft ausgegrenzt, diskriminiert . . . Das ist für mich nicht verständlich als angehender Mediziner . . . auf der Klinik, wenn Patienten zu mir sagen: „Aha, haben wir schon so viele Ausländer?“ Wissen Sie, das ist so komisch für mich . . . Ich sehe niemanden als Ausländer. Für mich – prinzipiell als angehender Mediziner – sehe ich niemanden als Ausländer oder niemanden als . . . Ich sehe einfach einen Menschen, der gesundheitliche Probleme hat, Beschwerden hat, sonst nichts. Aber das Problem ist trotz Sprache, trotz soziale Kompetenz . . . Ich merke das immer wieder auch . . . zum Beispiel ich bin zwar kein Mensch, der oft ausgeht, aber zum Beispiel im Hofgarten bin ich letztlich nicht reingelassen worden . . . Da gehen Sie einmal in sechs Monaten aus und wollen mit Freunden ein bisschen was trinken . . . und der lässt mich nicht rein . . . Und ich bin nicht einmal der typische Ausländer, der Stereotyp, okay . . . Naja, ich wünsche mir mehr Demokratie, weniger Ausgrenzung. Da gibt es einige persönliche Erfahrungen . . . Aber das ist jetzt nicht unser Thema. Auf jeden Fall wünsche ich mir mehr Demokratie in unserem Land, weil unser Land hat doch sehr viel abgebaut . . . sehr, sehr viel abgebaut . . . leider. Ich könnte Ihnen mehr erzählen, aber das ist nicht unser Thema.