Kommt der soziale Schutz für Ottensen zu spät?

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Sa., 20.2.2016
Altona
Kommt der soziale Schutz für Ottensen zu spät?
Von Axel Tiedemann
Foto: imago/Lars Berg / IMAGO
Früher Arbeiterviertel, längst zum teuren und begehrten Quartier geworden: Ottensen, hier die Bahrenfelder
Straße. Jetzt will die Politik gegensteuern
Bezirksversammlung will Luxussanierungen verhindern, um Bewohner
vor Verdrängung zu schützen. Erste Pläne liegen Jahre zurück.
Ottensen. Immobilienanzeigen mit Angeboten aus
dem Stadtteil lesen sich, als könne man dort in
einem
besonders
lebenswerten
Mix
aus
Studentenviertel und Kreativenquartier wohnen:
"inspiriert vom freigeistigen Klima", heißt es
beispielsweise bei einem Angebot für die
Arnoldstraße. "Am Puls der Szene", wirbt an
anderer
Stelle
eine
Anzeige
für
eine
Eigentumswohnung. Doch wer hier in der
freigeistigen Szene wirklich wohnen möchte, muss
kräftig zahlen: Eine Zweizimmerwohnung, 40
Quadratmeter groß, soll schon mal 640 Euro
Kaltmiete kosten. Und wer Eigentum erwerben
möchte, ist bei mehr als 100 Quadratmetern oft mit
einer Million Euro erst dabei. Nun will der
zuständige Bezirk Altona für Ottensen eine
sogenannte soziale Erhaltungsverordnung erlassen.
Die Zustimmung der Bezirksversammlung am
kommenden Donnerstag gilt als sicher. Ziel einer
solchen Verordnung ist die Verhinderung von
Luxussanierungen und die Umwandlung von Mietin teure Eigentumswohnungen. Alles, um die
Einwohner vor Verdrängung durch finanzkräftigere
Neubürger zu schützen. Nur, kommt die
Verordnung für Ottensen nicht viel zu spät?
Seit
2009
sollen
sich
die
sprunghaften
Preisanstiege
abgezeichnet haben
Davon geht zumindest der Mieterverein zu
Hamburg aus. Soziale Erhaltungsverordnungen
seien zwar ein gutes Instrument, um Missstände zu
beheben, sagt sein Vorsitzender Siegmund Chychla:
"Doch oft ist der Patient schon tot, wenn der Arzt
erst kommt." Die Zeit vom Erkennen einer
bedrohlichen
Entwicklung
innerhalb
eines
Stadtteils bis zur echten Reaktion sei in Hamburg
einfach viel zu lang, sagt Chychla.
Tatsächlich dauerte es auch in Ottensen lange, bis
die Erhaltungsverordnung fertig war. Vom
Gesetzgeber ist dazu eine umfangreiche Prüfung
von Daten zu Mieten, Einkommen und
Bevölkerungsstruktur vorgeschrieben, weil eine
solche Verordnung eben auch einen erheblichen
Eingriff ins Eigentumsrecht darstellt. "So etwas
muss gerichtsfest sein", sagt der Altonaer GrünenPolitiker und Stadtentwicklungsexperte Christian
Trede, der die Verordnung selbst mit auf den Weg
gebracht hat. Tatsächlich zeichnete sich wohl schon
um 2009 ab, dass Ottensen vom Zuzug nach
Hamburg besonders profitierte und sich dort wegen
der starken Nachfrage die Preise zum Mieten oder
Kaufen besonders sprunghaft nach oben bewegten.
Unter dem Sichtwort City-West soll
ein radikaler Kahlschlag geplant
sein
Ottensen, einst ein eher armer Arbeiterstadtteil,
hatte im Krieg kaum Bombenschäden erlitten, fast
die Hälfte aller Gebäude (47 Prozent) stammen aus
der Gründerzeit. Nachdem in den 60er-Jahren viele
Fabriken dort stillgelegt wurden, drohte diesen
heute so begehrten Altbauten in den 70er-Jahren
der Abriss, weil Stadtplaner unter dem Stichwort
City-West hier einen radikalen Kahlschlag planten.
Doch eine Szene von Studenten, Kreativen und
anderen, die dort günstige Wohnungen hatten,
verhinderten solche Vorhaben mit heftigen
Protesten.
Aus dieser Zeit rührt noch heute zum Großteil das
Image eines sehr selbstbewussten, kleinteiligen,
bunten Stadtteils. Hinzu kam ein umfangreiches
städtisches Sanierungsprogramm von 1978 bis
1999, wodurch viele Häuser mit öffentlichem
Fördergeld saniert wurden. Die Folge war aber eben
auch, dass Ottensen zu einem der begehrtesten
Stadtteile Hamburgs wurde. Mit entsprechenden
Folgen für Mieten und Kaufpreise.
Was nicht mehr in Ottensen rein
passt, schwappt nach Bahrenfeld
2011 schon beschloss daher der Bezirk, mit einer
sozialen
Erhaltungsverordnung
die
Folgen
abzufedern. Es folgten Studien und Befragungen,
die die Vermutung untermauerten, dass sich in
Ottensen die Preisspirale besonders rasch dreht:
Wer seit zwei Jahren oder kürzer hier wohnt, zahlt
Spitzenmieten bis zu 17 Euro pro Quadratmeter, im
Durchschnitt 11,22 Euro. Wer einen älteren
Mietvertrag hat, kommt hingegen auf einen
durchschnittlichen Mietpreis von 8,51 Euro.
Dennoch dauerte es fünf Jahre, bis die Stadt jetzt
gegensteuert. "Man müsste diese Zeit auf zwei Jahre
begrenzen", fordert daher Mietervereinschef
Chychla. Und auch der Grünen-Politiker Trede
wünscht sich eine schnellere Umsetzung.
Allerdings, so sagt er, müssten dazu die Ämter auch
mit entsprechendem Personal ausgestattet sein.
Immerhin: Eine Lehre aus dem Ottenser Beispiel
hat man in Altona gezogen. Längst ist dort die
Karawane
der
Investoren
und
Anleger
weitergezogen, weil es kaum noch Angebote in
Ottensen gibt. Viele Umbrüche und Neubaupläne
stehen daher im angrenzenden südlichen
Bahrenfeld an. "Dorthin schwappt jetzt das, was in
Ottensen überläuft", sagt der CDU-Bauexperte Sven
Hielscher, der die soziale Erhaltungsverordnung
ebenfalls unterstützt. So lange warten wie in
Ottensen wollte man in der Bezirksversammlung
Altona daher diesmal nicht. Wenn am Donnerstag
die soziale Erhaltungsverordnung für Ottensen
verabschiedet wird, soll für Bahrenfeld-Süd eine
solche gleich mit beschlossen werden.
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