Kleine Ursache mit grossen Auswirkungen

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STIMMEN AUS DEM SÜDEN – SEPTEMBER 2013
Kleine Ursache mit grossen Auswirkungen
Eigentlich hatte ich vor, wieder einmal nach
Chanchamayo zu fahren, um mich über den
Werdegang der diesjährigen Ernte zu informieren und mich mit Freunden der verschiedenen Kooperativen zu treffen.
Doch ein mehrtägiger Streik der Kaffeepflanzer, inklusive Strassenblockade und tätlichen
Auseinandersetzungen mit der Polizei, hat
mich davon abgehalten. Die Ursache für diese
Proteste ist im Grunde genommen sehr sehr
klein, genauer gesagt im Mikrometer-Bereich.
Doch die Auswirkungen sind enorm.
Hemileia Vastatrix unter dem Rastermikroskop
Kooperativen haben an den Protesten teilgenommen
Hemileia Vastatrix ist der wissenschaftliche
Namen der Pilzsporen, die die im deutschen
als Kaffeerost bekannte Krankheit verursachen. Sie gilt als eine der katastrophalsten
Pflanzenkrankheit in der Geschichte des
Ackerbaus und zählt zu den Top-7-Seuchen
mit den wirtschaftlich grössten Verlusten der
letzten 100 Jahren. Die sozio-ökonomischen
Auswirkungen, die eine Kaffeerost-Epidemie
auslösen kann, sind von unschätzbaren
Dimensionen.
Erste Berichte der Entdeckung der Krankheit
datieren von 1861, als ein britischer Forscher
in der Viktoriasee-Region in Kenia bei wild
wachsenden Pflanzen die typischen gelborangen pulverigen Flecken auf der Unterseite
der Blätter dokumentierte. Bei unter Aufzucht
kultivierten Kaffeebäumen fand die erste dramatische Entwicklung auf Sri Lanka statt.
Dort hatten die Holländer, nachdem sie das
wirtschaftliche Potential des Kaffees durch
die immer grösser werdende Nachfrage in
Europa ab dem 16. Jahrhundert erkannt hatten, grossflächige Plantagen angelegt. Diese
wurden von den Briten, nach der Übernahme
der Insel Ende des 18. Jahrhunderts, durch
Rodung noch weiter ausgebaut. So hatte sich
das früher als Ceylon bekannte Eiland im
neunzehnten Jahrhundert zum grössten Kaffee-Anbaugebiet der Welt entwickelt.
Die ersten Anzeichen der Krankheit wurden
1867 gemeldet und innerhalb von nur zehn
Jahren erlag die gesamte Kaffeeproduktion;
da die Verantwortlichen keine Antwort auf die
immer schlimmer wütende Krankheit fanden,
entschlossen sie sich zur Radikalkur und entfernten sämtliche Kaffeebäume zu Gunsten
von Teeplantagen. Aber auch die Philippinen,
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Java und Malaysia wurden dermassen übel
zugerichtet, dass dies zum Zusammenbruch
der Kaffee-Industrie in Batangas (Philippinen)
führte und fast das Aussterben der ArabicaSorte verursachte. Anfang des 20. Jahrhunderts war ganz Afrika sowie viele asiatischen
Länder, wo Kaffee kommerziell angebaut
wurde, befallen. Auch Papua-Neuguinea, wo
dreimal von der Ausrottung der Krankheit berichtet wurde, musste im Jahr 1965 trotzdem
eine grossen Verbreitung melden.
Dank einer wachsamen Quarantäne blieb der
amerikanische Kontinent bis 1970 verschont.
Der Kaffeerost wurde zum ersten Mal in Bahia (Brasilien) gesehen und verbreitete sich
innerhalb der nächsten 16 Jahre über Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela,
Costa Rica, Nicaragua, El Salvador, Kuba und
Jamaika, Guatemala und Honduras bis hoch
nach Mexiko. Einzig Hawaii scheint bisher
verschont geblieben zu sein.
Um die Krankheit besser zu verstehen, sollten
wir uns dessen Verlauf und Auswirkungen
auf die Pflanze kurz anschauen: Auf den von
den Pilzsporen befallenen Blättern sieht man
zuerst kleine gelbliche Flecken auf der Oberseite. Während die Schädigungen im Durchmesser allmählich grösser werden, erscheint
eine orange, pulverige Schicht auf der Unterseite der Blätter. Diese Blätter sterben und
fallen ab; falls die Mehrheit der Blätter betroffen sind, kann es dazu führen, dass die ganze
Pflanze stirbt und ersetzt werden muss was zu
einem mindestens 2-jährigen Produktionsausfall führt. Auf jeden Fall aber können die vom
Kaffeerost angegriffenen Pflanzungen einen
erheblichen Ernteausfall von zum Teil mehr
Vom Kaffeerost entlaubte Pflanze
als 60% erleiden, denn die Funktionen und
Aufgaben der Blätter innerhalb des pflanzlichen Haushalts sind massiv gestört; je grösser die Anzahl von kranken Blätter, je höher
die Auswirkungen auf die Produktion.
Typische orange, pulverige Schicht auf der Unterseite
Wie aber kann eine solche Epidemie ausbrechen, welche Faktoren beeinflussen die Tragweite, und wie können sich die Produzenten
am besten schützen?
Wissenschaftliche Untersuchungen haben
ergeben, dass Wasser unverzichtbar für die
Keimung und Verbreitung der Sporen des
Pilzes ist, es muss also regnen und feucht
sein. Auch wurde festgestellt, dass die Verbreitung durch die Luft wenig oder gar keine
Bedeutung hat, sondern dass das Spritzwasser
des Regens hauptsächlich für die Freisetzung
und Ausbreitung der Sporen verantwortlich
gemacht werden kann. Unter günstigen Bedingungen (21-25°C) keimt die Krankheit
innerhalb von 72 Stunden, in 12-15 Tage
sind erste Symptome der Infektion zu sehen
und in 18-22 Tagen werden neue Sporen
produziert. In den letzten Jahren gab es in
den lateinamerikanischen Produktionsländern
Veränderungen der klimatischen Bedingungen
(erhöhter Niederschlag, Veränderungen der
Lufttemperatur, geringerer Sonnenschein und
hohe Luftfeuchtigkeit), was zu Stress der
Plantagen und somit zu idealen Konditionen
für eine Epidemie unter jenen Sorten, denen
die Kaffeerost resistenten Gene fehlen, führte.
Wie vorhin schon erwähnt, müssen die Produzenten im schlimmsten Fall die ganze
Pflanze ersetzten. Damit es jedoch nicht
soweit kommt, wäre die beste Alternative,
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rost-resistente Varianten zu pflanzen. Da diese
epidemischen Ausbrüche jedoch nicht regelmässig und die rost-resistente Varianten für
Kleinbauern nicht immer einfach zu erhalten
sind, gilt es die Plantage durch gesunde landwirtschaftlichen Praktiken, wie zum Beispiel
das Zurechtstutzen und Lichten der Pflanzen,
sowie eine an die Anforderungen der Plantage
ausgewogene Düngung bestmöglichst vor dem
Befall zu schützen.
Falls jedoch der Kaffeerost ausbricht, kann
man höchstens noch auf eine chemische Bekämpfung durch Fungizide zurückgreifen, deren Erfolg vom richtigen Timing, der Wahl des
richtigen Mittels und der Anwendungstechnik
abhängt. Offensichtlich sind Bio-Produzenten
von solchen Methoden ausgeschlossen, weshalb sich auf ihren Plantagen die Krankheit
weit massiver ausbreiten kann.
von 2 Monaten, hatte der Pilz über 190,000
der insgesamt ca. 380,000 Hektar Kaffeeplantagen angesteckt.
Im Mai wurde dann vom Agrarministerium
die offiziellen Massnahmen zur Kontrolle und
Bekämpfung angekündigt:
• das genaue Ausmass der Schäden
bestimmen
• die Kenntnisse der im Kaffee tätigen Agronomen bezüglich der Krankheit zu festigen
• Schaffung von Überwachungs- und Kontroll
mechanismen
• Ausstrahlung von Radio-und TV-Spots zur
Förderung des Bewusstseins der Produzenten sowie Vorträge und Schulungen in
den betroffenen Gebieten
• Ausarbeitung und Verteilung von Plakaten,
Faltblättern und Broschüren
Die Phasen wurden wie folgt festgelegt:
1. Rekrutierung und Ausbildung von Außendienstmitarbeitern
2. Erfassung und Ausbildung der betroffenen
Kaffeebauern
3. Umsetzung der operativen Massnahmen
unter Aufsicht der Sanitäts-Kommissionen
4. Überwachende Begleitung des Risikominderungsplans sowie die Bekanntgabe
der Aktivitäten und Resultate
Kaffeebohnen an erkrankten Pflanzen reifen nicht
Wie sieht es nun konkret in Peru aus, was hat
die Produzenten aus Chanchamayo zu den
Protesten veranlasst, und wie reagieren die
Behörden darauf?
Ich kann schon einmal vorausschicken, dass
ich in den 15 Jahren, in denen ich in Peru im
Kaffee tätig bin, noch nie eine solch grosse
Verbreitung gesehen habe. Wohl hat es immer
ein wenig Befall hier und dort gegeben, aber
dieser wurde schnell kontrolliert oder verschwand auf natürliche Weise. Noch Ende letzten
Jahres war der Kaffeerost kein Thema. Erst im
Februar 2013 hörte man Berichte über auftauchende Infektionsherde. Doch die wurden
zum einen nicht allzu Ernst genommen, und
zum anderen war es für eine effektive Bekämpfung eher schon zu spät, denn innerhalb
Dazu wurden ursprünglich ca. 33 Mio. Franken genehmigt, wovon ca. 25 Mio. Franken
für die sogenannten Kits bestimmt sind. Diese
aus Düngemittel und Pestiziden zusammengestellten Utensilien sollen direkt den Produzenten ausgehändigt werden. Doch dem
Produktionsschwund von ca 25-30%, der für
dieses Jahr prognostiziert wird, werden diese
Massnahmen wohl wenig anhaben können.
Wenn man davon ausgeht, dass auch mindestens 20-30% der Pflanzen erneuert werden
müssen, kann man sich ausmalen, dass die
kommenden 2-3 Jahren nicht unbedingt rosig
für die Kaffeeproduzenten aussehen. Dies gilt
auch für die Fairtrade Produzenten, denn viele
sind genau so betroffen wie alle anderen. Die
noch gravierenderen Auswirkungen auf solche,
die zusätzlich auch Biokaffee zertifiziert sind,
haben wir weiter oben schon erwähnt.
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Nach mehreren Tagen mit Strassenblockaden
haben sie sich schlussendlich mit der Regierung über die Konditionen zum Ende ihrer
Protestaktion geeinigt. Diese sehen vor, dass
die Regierung die Schulden der Produzenten
finanziert, damit diese Zeit haben, sich von
der momentanen Situation zu erholen Zum
anderen wird eine Kreditlinie zugunsten der
Erneuerung der Plantagen eröffnet.
Produzenten unterwegs zu den Kundgebungen
Doch warum kam es zu den Protesten?
Die gute Produktion und Preise der vergangenen zwei Jahre hat viele Produzenten ermuntert, Kredite für die Plantagen aufzunehmen.
Durch die Roya und die tiefen Preise sind sie
nun nicht in der Lage, diese Kredite zurückzuzahlen und deshalb von der Pfändung ihrer
Fincas durch die Banken bedroht. Wie Isaac
Porras Espinoza, Wortführer der Produzenten
aus Chanchamayo erklärt, sehen sie sich
zu diesem Schritt gezwungen, weil in ihren
Augen das Agrarministerium in Bezug auf die
Millionenverluste in Folge des Kaffeerosts
noch nichts Konkretes unternommen hat. Insgesamt sollen die Schulden der Produzenten
gegenüber den Banken 37 Mio. Franken
betragen, weshalb sie eine Refinanzierung von
acht Jahren und die Senkung der Zinsen für
neue Kredite fordern.
Auch die 33 Mio. Franken, die das Agrarministerium angekündigt hat, scheint den Produzenten zu gering. Sie verlangen von der Regierung die Schaffung eines Fonds über 200
Mio. Franken zur Erneuerung der Plantagen.
Konkret wurde folgendes ausgehandelt:
• die Schulden werden von der Agrarbank
übernommen
• die Produzenten haben 6 Jahre Zeit, um die
Schulden zurück zu bezahlen, mit maximal
3 Jahren Nachfrist
• die Schaffung eines Ausschusses regionaler
Kaffee-Verbände zur Beaufsichtigung der
Durchführung der staatlichen Finanzierung
• die Billigung des Nationalen Plans zur
Erneuerung der Kaffeepflanzungen, der
innerhalb der nächsten 4 Jahre umgesetzt
werden soll
Ich kann nur hoffen, dass diese Massnahmen
in der Praxis produzentengerecht umgesetzt
werden und den erwünschten Erfolg bringen,
damit sich unsere Kaffeeproduktion in Peru
bald wieder erholt.
Unser Newsletter-Autor Kurt Futterknecht
wurde in Lima (Peru) geboren. Er hat dort
Kommunikations-Wissenschaften studiert und
arbeitete für verschiedene Import- und Exportfirmen. Er ist zu Zeit zuständig für Einkauf,
Verkauf, Qualitätskontrolle und Börsenoperationen, sowie Berater für Kaffeegeschäfte von
Pemasac. Kurt Futterknecht berichtet exklusiv
für Bertschi-Café aus Lima.
Fritz Bertschi AG – Kaffeerösterei
Rührbergstrasse 13
CH-4127 Birsfelden
Tel. 061 313 22 00
Fax 061 311 19 49
[email protected]
http://www.bertschi-cafe.ch
Protestaktion mit Strassenblockade
©2013 Fritz Bertschi AG
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