Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Die Wissenschaft der Vitamine Was bringt Nahrungsmittelergänzung in Pillenform? Ö1 – Radiokolleg / Teil 1-4 Gestaltung: Madeleine Amberger Sendedatum: 19. – 22. Mai 2014 Länge: 4 x ca.13 Minuten Fragen und Antworten Teil 1 1. Aus welchem Anlass wurde der in der Sendung erwähnte Leitartikel „Genug ist genug“ 2013 geschrieben? Anlass waren drei große Bewertungsstudien zu Vitaminpräparaten, wobei die erste Studie keinen Nutzen zur Vorbeugung gegen Herzkreislauferkrankungen oder Krebs zeigte, die zweite Studie bei über 65jährigen keine Verbesserung des Denk- und Erinnerungsvermögens, und die dritte Studie, dass Multivitaminpräparate nach einem Herzinfarkt keinen positiven Effekt haben. 2. Wie viele Personen nehmen in Österreich und Deutschland regelmäßig Vitamine? Ungefähr 40 %. 3. Wo überall sind Vitaminpräparate erhältlich? Wie sind die Produkte reguliert? Drogeriemarkt, Reformhaus und Apotheke. In den USA sind sie als Nahrungsmittel klassifiziert. In Österreich ist nur ein geringer Anteil unter dem Arzneimittelgesetz reguliert. 4. Was leisten Vitamine? Sie sind wichtig für den Zellstoffwechsel, für die Blutbildung, den Knochenaufbau und dessen Erhaltung, für das Immunsystem und die Hirnfunktion. Sie sind lebensnotwendige Nährstoffe. 5. Wie viele Vitamine gibt es? Welche Eigenschaften haben sie? Welches kann unser Körper selbst produzieren? Es gibt 13 Vitamine, 9 davon sind wasserlöslich – 8 B-Vitamine sowie Vitamin C (Ascorbinsäure). Vitamine A, D, E und K sind fettlöslich, Vitamin D kann der Körper mit Hilfe von Sonnenlicht selbst herstellen. 6. Welche bekannten Krankheiten werden durch Vitaminmangel verursacht? Welche Vitamine fehlen dann jeweils? Rachitis durch Vitamin D-Mangel, Skorbut durch Vitamin-C-Mangel (Seefahrerkrankheit). 7. Welche Personen greifen zusätzlich zu ihrer Ernährung zu einem „Supplement“? Weshalb? © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 1 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Menschen, die sich besonders gesund ernähren und deren Vitaminbedarf ausreichend gedeckt ist. Sie glauben mehr Nährstoffe bedeuten mehr Nutzen. 8. Worin besteht die Gefahr bei Einnahme solcher Präparate? Die starke Überdosierung – Beispiel Vitamin E. Tagesbedarf eines gesunden Erwachsenen – 15 mg, (gedeckt mit 10 dag Mandeln), Inhalt eines Präparates ca. 250 mg – ein Vielfaches. Dazu kommt, dass Vitamin E fettlöslich ist und sich daher im Gewebe einlagern kann. 9. Durch welche Untersuchung wurde die Gefährlichkeit zu hoher Vitamindosen bestätigt? Eine Bewertung von 70 Studien der Cochraine Collaboration aus 2008 zeigt, dass hohe Dosen von Betakarotin, Vitamin A und Vitamin E die Sterblichkeit erhöhen. Auch eine Studie 2011 zur Wirkung der Einnahme von Vitaminen B6 bis Eisen und Magnesium fiel negativ aus. Ergebnis: Auch die zusätzliche Einnahme von Vitamin E und Selen erhöhte bei Männern das Risiko an Prostatakrebs zu erkranken. Die Ergebnisse - regelmäßige Supplemente verkürzen eher das Leben sind also gerade verkehrt und nicht völlig verstanden. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 2 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 2 10. Was sind die Gründe für das Bedürfnis Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen? Das Bedürfnis der Menschen etwas zu tun, gesund zu bleiben und das Leben zu verlängern. Im Grunde sind es moderne Rituale zur Verbesserung des Lebens. Dies wird ausgenutzt, um daran verdienen zu können. Des Weiteren spielt der positive Glaube an die Wirkung der Vitamine (Placebo) eine Rolle. 11. Was wird in der Sendung über die Beobachtung des Ausgleichs von Mangelerscheinungen durch Nahrungsmittel am Beispiel Skorbut gesagt? Das wurde schon lange beobachtet. Beispiel Vitamin C, Ascorbinsäure: Seefahrer litten an Skorbut und starben sogar daran, da es auf Schiffen kein frisches Obst und Gemüse gab. Symptome: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Muskelschwäche, purpurne Flecken am Körper, Zahnfäule. 1747 führt ein schottischer Schiffsarzt ein Experiment mit 6 Gruppen von Matrosen durch. Sie erhalten als Zusatznahrung Apfelwein, Essig oder Meerrettich. Nur bei jenen die Zitrusfrüchte erhielten verschwand der Skorbut. 12. Wann erlebte Vitamin C seine erste Blüte? In der Zwischenkriegszeit. Der Grund war die Möglichkeit, Vitamin C in großen Mengen synthetisch herzustellen. Hoffmann Laroche hatte Vermarktungsprobleme, die Skorbutbekämpfung hatte keine Zukunft zu dieser Zeit. Die Debatte über Optimierbarkeit des Körpers wird zur Werbemasche, Vitamin C wirkt leistungssteigernd. Das interessiert auch die Nationalsozialisten (Übermenschenkonzept) – Verteilung an Bevölkerung und Soldaten. V-Drops – Lutschbonbons mit Inhalt Ascorbinsäure. Vitamin C ist leistungssteigernd. Ein wahrer Siegeszug von Vitamin C nach dem 2. Weltkrieg. 13. Welcher bekannte Nobelpreisträger beschleunigte den Siegeszug von Vitamin C? Linus Pauling – Nobelpreis Chemie 1954, Friedensnobelpreis 1962 – Mitte der 1960er Jahre beschritt er einen unwissenschaftlicher Weg. Pauling nahm 3000 mg Vitamin C zu sich um noch 25 Jahre zu leben. Die Propaganda für Vitamin C wird zum Lebenswerk. Zuerst als Wundermittel gegen Erkältungen, dann behauptet er auch Vitamin C kuriere Krebs. Die Kritik ist heftig. Er erhöhte seine Tagesdosis von 3 g auf 18 g (entspricht 280 Kiwis oder 280 Orangen). Weitere Behauptungen, mit Vitamin A, B, Betakarotin und Selen könne man jede Krankheit heilen folgen, von Allergien, Polio, Lepra bis HIV - all dies ist wissenschaftlich unhaltbar. 14. Hilft Vitamin C gegen Erkältungen? Nein, wenn überhaupt bewirkt es nur eine geringe Verkürzung. 15. Was erhoffte man von Betakarotin, Vitamin A und E für die Gesundheit? Das sind sogenannte Oxidantien, die im Körper freie Radikale abfangen und sie neutralisieren. Freie Radikale sind Nebenprodukte des Zellstoffwechsels, aggressive Moleküle können Zellen und dem Erbgut schaden. Frei Radikale werden für Alterungsprozesse und Krebs bis zu Herzerkrankungen verantwortlich gemacht. Es erscheint plausibel, sie mit hohen Dosen von Antioxidantien zu bekämpfen. Vitamine als Antioxidantien waren daher eine Hoffnung. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 3 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von 16. Ist die Wirkung der Antioxidantien tatsächlich nachweisbar? Großangelegte Studien zeigen zwischen den Versuchsgruppen (mit Antioxidantien und mit Placebo) gerade einmal 1 % Unterschied und noch dazu zu Ungunsten der Antioxidantien. 17. Welches Experiment wurde an lungenkrebskranken Mäusen durchgeführt? Welches Ergebnis war zu beobachten? Experiment: Lungenkrebskranke Mäuse wurden mit Antioxidantien entweder Vitamin E oder Acetylcystein (NAC) behandelt mit dem Ergebnis, dass das Tumorwachstum rasant zunahm. Die Wiederholung mit Mäusen und menschlichen Zellen in der Petrischale ergab das gleiche Ergebnis in beiden Fällen. Antioxidantien leisteten genau das, was man von ihnen erwartet, die Reduzierung der Oxidantien, freien Radikale, eine Verminderung der Schäden am Erbgut. Aber sie reduzierten auch den Schaden den Krebszellen durch freie Radikale erleiden würden. Wichtig ist ein Gleichgewicht der freien Radikale. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 4 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 3 18. Können Menschen mit bestimmten Erkrankungen oder Mangelerscheinungen von Vitaminen profitieren? Gibt es dazu Studien? Bei älteren gebrechlichen Menschen könnten Supplement-Kombinationen von Vitamin D und Kalzium helfen, was aber nicht gesichert ist. Gezielte Studien dazu sind schwierig durchzuführen und kostspielig. Man müsste vorher genau wissen, ob bei den Teilnehmern tatsächlich ein spezieller Mangel vorliegt. Daher haben viele Studien keine Aussagekraft. 19. Was bewirkt Homocystein? Warum untersucht man es bei älteren Menschen? Es ist wichtig für die Verarbeitung bestimmter B-Vitamine (Folat und B-12). Es gibt bei älteren Menschen mit Vitamin-B-Mangel einen Zusammenhang mit der Alzheimerkrankheit – es werden erhöhte Homocysteinwerte und wenig Vitamin-B beobachtet. 20. Was zeigten die Studien an über 70-jährigen Menschen, die an leichten kognitiven Beeinträchtigungen litten, bei erhöhter Vitamin-B-Dosierung nach mehrjähriger Versuchsdauer? Die Patienten die mit hochdosierten Vitamin-B-Dosierungen behandelt wurden zeigten deutlich geringere Veränderungen am Gehirn als die Placebogruppe wenn sie vorher einen erhöhten Homocysteinspiegel aufwiesen. Bei Menschen mit kognitiven Störungen und normalem Homocysteinspiegel ergab sich kein Vorteil durch Vitamin-B-Behandlung. 21. Welches Vitamin ist eigentlich gar kein Vitamin? In welchen Nahrungsmitteln ist es enthalten? Vitamin D – es ist ein Hormon, das vom Körper produziert wird, wenn er Sonnenlicht ausgesetzt ist. Es wird auch in geringen Mengen über die Nahrung aufgenommen. Vitamin D kommt in Milchprodukten, Frühstücksflocken, fettem Fisch, Lebertran und Eiern natürlich vor. 22. Warum wird die Anreicherung von Milch mit Vitamin D in den USA, Großbritannien und Skandinavien durchgeführt? Eine Viertelstunde in der Sonne reicht aus um den täglichen Vitamin-D-Bedarf zu decken. Doch je nördlicher die Menschen leben desto schwächere Sonneneinstrahlung findet statt. Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mitteleuropas dürfte daher mit Vitamin D unterversorgt sein. Daher raten Forscher und Ärzte Vitamin D zusätzliche einzunehmen. 23. Welche Ergebnisse brachte die Durchforstung von mehr als 200 Studien zu Vitamin D. Kann das Sonnenscheinvitamin auch den inneren Sonnenschein fördern, also Depressionen behandeln? Bestätigt wird, dass Menschen mit höherem Vitamin-B-Spiegel gesünder sind, doch konnte kein Nutzen von künstlichen Vitamin D nachgewiesen werden. Aus den derzeitigen Studien lassen sich Zusammenhänge von Vitaminen oder Ergänzungspräparaten nicht belegen. 24. Was bemängelt Jonathan Schaffer an den Depressionsstudien? Welche Vermutungen äußert er? Viele Teilnehmer an den Studien waren gar nicht als depressiv diagnostiziert. Damit gibt es eigentlich nichts zu verbessern. Je niedriger der Vitamin-D-Spiegel desto mehr Symptome von Depression sind zu beobachten. Es könnte aber auch sein, dass Depression den Vitamin-D-Mangel verursacht, da depressive Menschen meist inaktiv sind. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 5 Ö1 macht Schule. Ein Projekt von Teil 4 25. Wofür plädieren Gesundheitsforscher wie Ingrid Mühlbauer bei der Frage, welche Form der Vitaminaufnahme gesünder ist und wie begründen sie das? Es ist ein Unterschied, ob man einen künstlich hergestellten Wirkstoff in pharmakologischer Dosis einnimmt oder Vitamine über Nahrungsmittel zu sich nimmt. Die generelle Empfehlung ist lebenswichtige Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente über die Nahrung aufzunehmen und auf künstliche Präparate lieber zu verzichten. Am Beispiel Betakarotin wird erklärt, dass sich in den Lebensmitteln zahlreiche Karotinoide in ganz bestimmten Verhältnissen befinden. Bei zu viel eines Karotinoids kann dies die Aufnahme der anderen stören. 26. Was konnte über die Funktion von Vitamin E herausgefunden werden? Über die Nahrung aufgenommenes Vitamin E übt eine gewisse Schutzfunktion gegenüber der AlzheimerKrankheit aus, bei Vitaminpräparaten beobachtet man dies nicht. Das durch die Nahrung aufgenommen Vitamin E setzt sich aus verschiedenen Tocopherolen (Alpha- bis Delta-Tocopherol) sowie Tocotrienolen zusammen. In der Pille findet sich aber nur Alpha-Tocopherol. 27. Was will man mit dem „Memory and Aging Project“ erforschen? Ziel ist es herauszufinden, ob Vitamin E ein positiver Marker für gute kognitive Fähigkeiten ist. Gedanken entstehen über Synapsen, die die Verbindung zu Nervenzellen herstellen. Dazu sind präsynaptische Eiweiße notwendig. Es gilt herauszufinden welche Tocopherole hier wirksam sind. 28. Welche Motive stehen hinter den Forschungsbemühungen bezüglich des Einflusses von Vitaminen auf den Alterungsprozess? Es ist nicht nur wissenschaftliche Neugier. Es stehen auch massive volkswirtschaftliche Interessen dahinter. In den USA leidet fast jeder zweite der über 85-jährigen an Alzheimer. Krankhafte, kognitive Schwächen treten vor allem im Alter auf. 29. Welche Substanzen zählen außerdem zu den Nahrungsergänzungsstoffen, die in Multivitaminpräparaten enthalten sind? In welchen Lebensmitteln finden sie sich natürlich? Das sind Metalle wie Zink, Eisen Kupfer und Selen. Kupfer findet sich in Innereien, z.B. Leber sowie Muscheln, Eisen in Bohnen, Eigelb, Thunfisch, Lachs, Brokkoli und Spinat, Zinn in Rindfleisch, Sesam und Kürbiskernen. 30. Warum werden gerade Eisen und Kupfer genauer untersucht? Einerseits besteht ein Zusammenhang zwischen erhöhten Kupferwerten und Alzheimer. Das ist aber nur bei zwei Drittel der Alzheimerpatienten der Fall. Zink könnte die Aufnahme von Kupfer hemmen. Diesen Personen wird von der Einnahme kupferhaltiger Präparate und kupferhaltigen Lebensmitteln dringend abgeraten. 31. Weshalb sind diese Präparate weiterhin problematisch? Die Hersteller produzieren nach wie vor Präparate die Kupfer überdosieren. Mit der Veröffentlichung weiterer Studien ist zu hoffen, dass die Hersteller dies ändern. © Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule | Mag. Franz Reichel Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt. 6