Die chirurgische Kronenverlängerung zur Verbesserung der

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TEXTE FRANÇAIS VOIR PAGE 587 PRAXIS UND FORTBILDUNG
Alexandra Stähli1
Mario Bassetti1
Giovanni E. Salvi1
Anton Sculean1
Regina Mericske-Stern2
Renzo Bassetti2, 3
1Klinik
für Parodontologie,
Zahnmedizinische Kliniken
der Universität Bern
2Klinik für Zahnärztliche
­Prothetik, Zahnmedizinische
Kliniken der Universität Bern
3Klinik für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie/
Oralchirurgie, Luzerner
Kantonsspital, Luzern
KORRESPONDENZ
Dr. med. dent. R. Bassetti
Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie/Oralchirurgie
Luzerner Kantonsspital, Luzern
Spitalstrasse
6000 Luzern 16
Tel.+41 41 205 45 68
Fax+41 41 205 45 77
E-Mail: [email protected]
Die chirurgische Kronenverlängerung
zur Verbesserung der biologischen Breite
und Ästhetik
SCHLÜSSELWÖRTER
Biologische Breite,
chirurgische Kronenverlängerung,
Gingivektomie,
apikal reponierter Lappen,
Ästhetik,
keratinisierte Mukosa
Bild oben: Harmonischer Gingivaverlauf nach
­vor­gängiger Kronenverlängerung im Oberkiefer-­
Frontzahnbereich
ZUSAMMENFASSUNG
Die Ziele der chirurgischen Kronenverlängerung
der Nachbarzähne mit berücksichtigt werden.
sind die Verbesserung prothetischer Rekonstruk-
Eine systematische Befunderhebung erleichtert
tionen bei Zähnen mit wenig Zahnhartsubstanz,
die Indikationsstellung, da das Behandlungsresul-
das Vorbeugen parodontaler Probleme und/oder
tat besser abgeschätzt werden kann. Dieser Bei-
die Optimierung der Ästhetik. Um ein ästhetisches trag stellt die chirurgische Kronenverlängerung
Resultat speziell im Oberkiefer-Frontzahnbereich
von der Befunderhebung und Indikationsstellung
zu erzielen, sollten bei Planung und Durchführung
bis zur Therapie und zum Resultat anhand unter-
einer Kronenverlängerung neben parodontaler
schiedlicher klinischer Fälle systematisch dar und
und technischer Aspekte auch der Gingivaverlauf
zieht Schlussfolgerungen für die Praxis.
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Einleitung
Nicht selten präsentieren sich in der Allgemeinpraxis, bedingt
durch Karies, Frakturen oder andere pathologische Zahnhartsubstanzverluste (Erosion, Abrasion oder Attrition), Zähne mit
sehr wenig Restzahnhartsubstanz. In solchen Fällen sollte der
Präparationsrand nicht kompensatorisch tief nach subgingival
verlegt werden, da dies durch die Verletzung des dento-gingivalen Komplexes (DGK) zu parodontalen Läsionen führen kann
(gingivale Entzündung, Attachmentverlust, Alveolarknochenresorption) (Carnevale et al. 1983, Parma-Benfenali et al. 1985,
Tal et al. 1988).
Der Begriff der biologischen Breite geht auf Gargiulo et al. zurück, welche Messungen an menschlichem Autopsiematerial
durchführten und darauf basierend die biologische Breite als
Summe des epithelialen und bindegewebigen Attachments definierten (Gargiulo et al. 1961). Der DGK hingegen setzt sich aus
drei Abschnitten zusammen: der Sulkustiefe sowie dem epithelialen und dem bindegewebigen Attachment (Tab. I). In der erwähnten Studie wurde eine durchschnittliche biologische Breite
von 2,04 mm und ein durchschnittlicher DGK von 2,73 mm beschrieben. In einer neueren Kadaverstudie wurden ähnliche
durchschnittliche Dimensionen gemessen (Vacek et al. 1994).
Da die Dimension der biologischen Breite, so wie ursprünglich
von Gargiulo et al. 1961 definiert, klinisch nicht gemessen werden kann, werden DGK und biologische Breite seit Nevins 1984
als Synonyme verwendet (Nevins & Skurow 1984). In dieser
­Arbeit wird die biologische Breite im Sinne von Nevins verstanden.
Anatomie der drei Bereiche der biologischen Breite
Die biologische Breite besteht aus den drei Bereichen Sulkus,
epithelialem und bindegewebigem Attachment (Nevins & Skurow 1984), wobei der Sulkus am koronalsten lokalisiert ist. Er ist
mit oralem Sulkusepithel ausgekleidet, welches fliessend in das
orale Gingivaepithel übergeht. Die Epithelzellen sind keratinisiert oder parakeratinisiert (unvollständige Keratinisierung),
wobei Epithelschicht und darunterliegendes Bindegewebe
durch Epithelzapfen und Bindegewebspapillen miteinander
verbunden sind.
Das epitheliale Attachment besteht aus Saumepithelzellen,
welche über Hemidesmosomen, eine Lamina lucida und eine
Lamina densa am Schmelz befestigt sind. Die Saumepithelzellen, deren Schicht nicht mit dem darunter liegenden Binde­
Tab. I Durchschnittliche Dimensionen der Messungen an
menschlichem Autopsiematerial durch Gargiulo et al. 1961
Durchschnittliche Dimension
Sulkustiefe (A)
0,69 mm
Epitheliales Attachment (B)
0,97 mm
Bindegewebiges Attachment (C)
1,07 mm
Biologische Breite (B+C)
2,04 mm
Dentogingivaler Komplex (A+B+C)
2,73 mm
gewebe verzahnt ist, sind nicht keratinisiert und schilfern in
Richtung Sulkus ab (Abb. 1).
Das bindegewebige Attachment liegt direkt kranial des Alveolarknochens und besteht aus im supraalveolären Zement inserierenden Kollagenfasern, Fibroblasten, Nerven, einer extra­
zellulären Matrix sowie dem dentogingivalen Gefässplexus.
Letzterer wird aus supraperiostalen Kapillaranastomosen und
aus Gefässen des Desmodontalspaltes gespeist.
Die orale Schleimhaut im Bereich der biologischen Breite
kann ebenfalls in drei Abschnitte unterteilt werden: in die keratinisierte Mukosa, bestehend aus freier und angewachsener
Gingiva, und in die bewegliche Alveolarmukosa (Abb. 2).
Dimensions- und Morphologieunterschiede der
­biologischen Breite und entsprechende Entscheidungskriterien zur Wahl der geeigneten Kronen­
verlängerungstechnik
Bereits die Untersuchungen von Gargiulo et al. 1961 zeigten,
dass die biologische Breite eine grosse intra- und interindividuelle Variabilität aufweist: Die Werte variieren von Zahn zu
Zahn, von Zahnfläche zu Zahnfläche und von Patient zu Patient (Gargiulo et al. 1961). Aufgrund der interindividuellen
Unterschiede der biologischen Breite bei vergleichbarem Gingivaverlauf und gesunden parodontalen Verhältnissen können
grundsätzlich drei Typen voneinander unterschieden werden:
normal crest, low crest und high crest (Becker et al. 1997, Kois
1994, Kois 1996) (Tab. II). Die Dimension der biologischen Breite
kann mittels eines «bone sounding» eruiert werden. Darüber
hinaus werden zwei gingivale Basistypen voneinander unter-
Abb. 1 Schematische
­Darstellung des apikalsten
­Bereiches des epithelialen
­Attachments:
1. Hemidesmosomen
2.Schmelz
3.Lamina densa
4.Lamina lucida
5.Ankerfasern
6.Lamina densa
7.Lamina lucida
Abb. 2 Klinisches Bild der oralen Schleimhaut im Bereich der biologischen
Breite: 1. Freie Gingiva, 2. Befestigte Gingivia, 3. Alveolarmukosa
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Tab. II Alveolarknochenkamm-Typen
Häufigkeit
Dimension des DGK vestibulär
Dimension des DGK interdental
normal crest
85%
3 mm
3–4,5 mm
low crest
13%
> 3 mm
> 4,5 mm
high crest
2%
< 3 mm
< 3 mm
Tab. III Unterscheidungsmerkmale der beiden gingivalen
­Basis­typen
Gingivale Basistypen
Morphologie/Eigenschaften
dick, flach
dünn, steil verlaufend
–– Prävalenz 85%
–– eher flacher Knochen- und Gingivaverlauf
–– Weichgewebe ist eher
dick und dicht
–– eher breites Band an
keratinisierter Gingiva
–– Papille eher kurz
–– rechteckige – quadratische Zahnformen
–– Approximalkontakte
lang + reichen bis ins
cervicale 1/3
–– Prävalenz 15%
–– Ausgeprägte Girlandenform des Knochens/Gingiva
–– Weichgewebe ist dünn
und fragil
–– Eher dünnes Band an
keratinisierter Gingiva
–– Dreieckige Zahnformen
–– Approximalkontakte
kurz und im inzisalen
1/3 gelegen
schieden (Tab. III) (Olsson & Lindhe 1991, Sanavi et al. 1998).
Der dicke flache Biotyp (Abb. 3) reagiert typischerweise mit
Entzündung und Taschenbildung auf gingivale Irritationen,
währenddessen der dünne Biotyp (Abb. 4) eher zu gingivalen
Rezessionen neigt, was vor allem im Oberkiefer-Frontzahn­
bereich ästhetisch störend sein kann (Sanavi et al. 1998, Wennström 1990). Die Unterteilung in die beiden Biotypen wird
durch die Arbeit von Pontoriero & Carnevale 2001 untermauert: Sie beobachteten beim dicken flachen Biotyp nach
chirurgischer Kronenverlängerung mehr Weichgeweberegeneration (grössere Dimension der biologischen Breite) als beim
dünnen, girlandenförmigen (Pontoriero & Carnevale 2001).
Entsprechend wichtig ist es, im Hinblick auf die Ästhetik,
­bereits während der Planungsphase einer prothetischen Versorgung die interindividuell unterschiedlichen Parameter
(­Dimension der biologischen Breite, Breite der angewachsenen
Gingiva) zu berücksichtigen, um sich für die geeignete Kronenverlängerungstechnik entscheiden zu können. Nach einer
Kronenverlängerung sollte die keratinisierte Mukosa eine Mindestbreite von 2 mm aufweisen. Eine Gingivektomie ist nur in
jenen Fällen sinnvoll, in welchen anschliessend diese Mindestbreite nicht unterschritten wird (Goldman 1950). Würde der
keratinisierte Saum nach Gingivektomie zu schmal (< 2 mm),
muss die Kronenverlängerung mittels apikaler Lappenreposition erfolgen (Friedman 1962, Zuhr & Hürzeler 2011). Speziell
im Oberkiefer-Frontzahnbereich ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Gingivasaum sollte beim lateralen Inzisiven im Vergleich zum zentralen und Eckzahn idealerweise leicht koro­
nalwärts zu liegen kommen (ca. 1 mm; Abb. 5) (Chiche et al.
1994). Während bei zentralen Inzisiven ein symmetrischer Verlauf des Gingivasaumes von grosser Wichtigkeit ist, werden
bei lateralen Inzisiven auch leicht asymmetrische Verhältnisse
Abb. 3 Schematische Darstellung eines dicken flachen gingivalen Biotyps
Abb. 4 Schematische Darstellung eines dünnen girlandenförmigen gingi­
valen Biotyps
Abb. 5 Der zervikalste Punkt des lateralen Inzisiven liegt idealerweise 1 mm
weiter koronal im Vergleich zu demjenigen der zentralen Inzisiven und Eckzähne.
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toleriert (Chu et al. 2009). Da die Wundheilung nach erfolgter
chirurgischer Verlängerung der klinischen Krone bis zu sechs
Monate dauern kann, sollte aufgrund der in diesem Zeitraum
zu erwartenden Gewebeschrumpfung mit der Herstellung der
definitiven Rekonstruktion abgewartet werden, bis sich stabile
Weichgewebeverhältnisse etabliert haben (Bragger & Lang
1988, Bragger et al. 1992).
Die Planung einer chirurgischen Kronenverlängerung setzt
voraus, nicht nur isoliert parodontale und technische Aspekte
der zu rekonstruierenden Pfeiler zu betrachten, sondern auch
den Gingivaverlauf der Nachbarzähne mit zu berücksichtigen.
Dies ist insbesondere im Oberkiefer-Frontzahnbereich von entscheidender Bedeutung, um ein optimales ästhetisches Resultat
zu erzielen.
Entsprechend sind die Ziele dieses Beitrags: a) die Systematik
der chirurgischen Kronenverlängerung von der Befunderhebung über die Indikationsstellung bis hin zur Therapie zu präsentieren sowie deren Ergebnisse aufgrund von verschiedenen
klinischen Fällen darzustellen und b) anhand der Beispiele
Schlussfolgerungen für die Praxis zu ziehen.
Fallbeispiele
Diagnostische Abklärungen
1.Herstellung eines Mock-ups durch den Zahntechniker und
Beurteilung des prospektiven Schneidekantenverlaufes im
Mund der Patientin (Abb. 7, 8, 9).
2.Beurteilung des bestehenden und des prospektiven Gingivaverlaufes: Der Gingivarand sollte je nach Region (Zahn) zwischen 1 und 2 mm und nur im bukkalen Bereich nach apikal
verlegt werden (Abb. 10, 11).
Abb. 8 Lachbild der Ausgangssituation: konkaver (negativer) Schneide­
kantenverlauf mit einer durchschnittlichen gingivalen Lachlinie
Fall 1
Ausgangslage
Eine 40-jährige Patientin präsentierte sich mit ausgeprägtem
Zahnhartsubstanzverlust im Oberkiefer-Frontzahnbereich,
verursacht durch eine anorektische Bulimie (Abb. 6). Die Patientin wünschte die funktionelle und ästhetische Wiederherstellung der Zähne 13 bis 23. Um mehr Retentionsfläche für die
geplanten Vollkeramikkronen im Oberkiefer-Frontzahnbereich
zu erhalten, war eine parodontalchirurgische Pfeilerverlängerung unumgänglich. Zeitgleich sollte die Frontästhetik harmonisiert werden.
Abb. 9 Lachbild mit eingegliedertem Mock-up zur Beurteilung des prospektiven Schneidekantenverlaufes: konvexer (positiver) Schneidekantenverlauf
parallel zur Unterlippenlachlinie, berührungsfreie Verhältnisse
Abb. 6 Ausgangssituation mit massivem Zahnhartsubstanzverlust im Oberkiefer-Frontzahnbereich
Abb. 10 Frontalansicht der Ausgangssituation: asymmetrischer Gingiva­
verlauf
Abb. 7 Einartikulierte Anfangsmodelle mit eingesetztem Mock-up 13–23
Abb. 11 Frontalansicht mit eingegliedertem Mock-up: prospektiver Gingivaverlauf (zentrale Inzisiven und Eckzähne auf gleicher Höhe, laterale Inzisiven
ca. 1 mm coronal)
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3.Messung der Breite der befestigten Gingiva: ca. 3 mm (Abb. 12).
4.Bestimmung der Dimension der biologischen Breite mittels
Bone Sounding: 3 mm im bukkalen Bereich.
Planung
Aufgrund der relativ geringen Breite an befestigter Gingiva
(3 mm) und des eher dicken Biotyps (Phenotyp) wurde die
­Kronenverlängerung mittels apikaler Lappenreposition und
­Ostektomie geplant.
Parodontalchirurgische Korrekturen (Kronenverlängerung)
an den Zähnen 13 bis 23
Nach einer sulkulären Schnittführung (Abb. 13) wurde ein
«Split-full thickness buccal flap» präpariert (Bensimon 1999),
d. h. ein Spaltlappen im Papillenbereich und ein Mukoperiostlappen weiter apikal (Abb. 14). Die bukkale Ostektomie an den
Zähnen 13 bis 23 erfolgte gemäss der Ausdehnung des Mockups. Die interdentalen Papillen blieben unangetastet (Abb. 15,
16), und es wurden keine vertikalen Entlastungsschnitte angelegt. Der mobilisierte Mukoperiostallappen wurde ca. 2 bis
3 mm weiter apikal wieder adaptiert und mittels vertikaler
Rückstichnähte an den Papillen fixiert (Seralon® 5-0, Serag-­
Wiessner, Naila, Deutschland), um eine schnellere marginale
Gewebestabilisierung zu erreichen (Deas et al. 2004) (Abb. 17).
Im Anschluss an den chirurgischen Eingriff wurde eine Chlorhexidinspülung (meridol®perio 0,2%, GABA Schweiz, Therwil)
verordnet.
adhäsiv mit Panavia F2.0 TC (Kuraray Co, Japan) zementiert
(Abb. 18). Anschliessend wurde die Patientin in ein sechsmonatiges Recall-System aufgenommen. Im Rahmen des 2-Jahres-­
Follow-ups zeigte sich eine reizlose Situation mit stabilen
Weichgewebsverhältnissen.
Abb. 14 Präparation des bukkalen Spaltvolllappens
Abb. 15 Abmessung des zu entfernenden Knochens mit Mock-up als
­Referenz
Definitive Versorgung fünf Monate nach Kronenverlängerung
Für die Zähne 13, 12, 11, 21, 22, 23, 24 wurden Zirkonoxidkronen
und für Zahn 14 ein palatinales Veneer hergestellt. Alle wurden
Abb. 16 Kontrolle der neu eingestellten biologischen Breite anhand des
Mock-ups
Abb. 12 Die Breite der keratinisierten Mukosa lag bei 3 mm.
Abb. 13 Schnittführungs­
möglichkeiten:
1. sulkulär
2.marginal
3.para­marginal
Abb. 17 Apikal mittels vertikaler Rückstichnähte adaptierter Lappen
Abb. 18 Definitiv zementierte Zirkonoxidkronen im Oberkiefer (Frontal­
ansicht) mit harmonischem Gingivaverlauf
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Fall 2
Ausgangslage
Starker inzisaler Zahnhartsubstanzverlust aufgrund abrasiver/
attritiver Prozesse im Unter- und Oberkiefer-Frontzahnbereich, verstärkt durch eine Tief-/Deckbisskonfiguration. Zu-
Abb. 19 Ausgangssituation: traumatische Tief-/Deckbisssituation
Abb. 20 Ausgangssituation: Die Unterkiefer-Frontzähne zeigen einen massiven durch attritive und abrasive Prozesse verursachten Zahnhartsubstanzverlust.
sätzlich besteht vor allem im Vergleich zu den Seitenzähnen ein
unharmonischer Verlauf des Gingivarandes (Abb. 19, 20).
Diagnostische Abklärungen
1.Herstellung einer Schiene durch den Zahntechniker und Beurteilung des bestehenden und des prospektiven Gingivaverlaufes: Der Gingivaverlauf soll zirkulär gemäss der apikalen
Ausdehnung der Schiene von 33–42 um 2 mm nach apikal
verlegt werden (Abb. 21).
2.Messung der Breite der befestigten Gingiva: minimale Breite
von 5 mm (Abb. 22).
3.Bestimmung der Dimension der biologischen Breite mittels
Bone Sounding: 2,5 mm im bukkalen/lingualen und 3 mm im
interdentalen Bereich.
Planung
Aufgrund der grossen Breite an befestigter Gingiva (5 mm) und
des eher dicken Biotyps (Phenotyp) wurde die Kronenverlängerung mittels Gingivektomie und Ostektomie geplant.
Parodontalchirurgische Korrekturen (Kronenverlängerung)
an den Zähnen 33 bis 42
Durch das Anlegen einer paramarginalen Inzision entsprechend
der apikalen Ausdehnung der Schiene (Abb. 13, 23) und an­schlies­
sendem Sulkusschnitt an den Zähnen 33–42 mit sulkulärer
­Entlastung bis regio 34 und 43 wurde eine Gingivektomie durchgeführt (Abb. 24). Es folgte das Abheben eines initialen Muko­
periostallappens, welcher weiter apikal als Mukosallappen weiterpräpariert wurde. Mittels zirkulärer Ostektomie gemäss Ausdehnung der Schiene wurde die chirurgische Kronenverlängerung an den Zähnen 33 bis 42 durchgeführt (Abb. 25, 26). Der Primärverschluss erfolgte mithilfe von Umschlingungs- und Laurell-­
Nähten mit Periostfassung im bukkalen Bereich (Seralon® 5-0,
Abb. 21 Frontalansicht mit eingegliederter Schiene: prospektiver Gingivaverlauf
Abb. 23 Übertragung des prospektiven Gingivarandes von der Schiene auf
die Gingiva
Abb. 22 Dimension der Gingiva im Unterkiefer-Frontzahnbereich
Abb. 24 Situation nach Entfernen des paramarginalen Gewebes an den Zähnen 33–42
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Serag-Wiessner, Naila, Deutschland) (Abb. 27). Im A
­ nschluss an
den chirurgischen Eingriff wurde eine Chlorhexidinspülung
(­meridol®perio 0,2%, GABA Schweiz, Therwil) verordnet.
Definitive Versorgung fünf Monate nach Kronenverlängerung
Es wurden Verbund-Metall-Keramik(VMK)-Kronen an den
Zähnen 33, 32, 31, 41 und 42 hergestellt, welche adhäsiv mit
Panavia F2.0 TC (Kuraray Co, Japan) zementiert wurden
(Abb. 28). Anschliessend wurde der Patient in ein sechsmona­
tiges Recall-System aufgenommen.
Fall 3
Ausgangslage
Palatinal leicht supragingival und vestibulär knapp subgingival
verlaufende Wurzelfraktur am wurzelbehandelten Zahn 22. Die
Nachbarzähne sind bereits mit fest sitzenden Kronen-Brücken-­
Arbeiten versorgt (Abb. 29).
Abb. 25 Ostektomie gemäss apikaler Ausdehnung der Schiene (prospektiver
Kronenrand): 3 mm apikal des prospektiven Kronenrandes
Diagnostische Abklärungen
1.Der Gingivaverlauf soll bei Zahn 22 um 2 bis 2,5 mm nach
­apikal verlegt werden, um eine zirkuläre Ferrule von mindestens 2 mm für die geplante Krone generieren zu können
(Abb. 29).
2.Messung der Breite der befestigten Gingiva: Breite von 6 mm
(Abb. 30).
3.Bestimmung der Dimension der biologischen Breite mittels
Bone Sounding: 2,5 mm im bukkalen/palatinalen und 3,5 mm
im interdentalen Bereich.
Abb. 26 Situation nach durchgeführter Ostektomie
Abb. 27 Primärverschluss mit Umschlingungsnähten und modifizierten vertikalen Matratzennähten nach Laurell und Gottlow (Gottlow et al. 1994) mit
Periostfassung im bukkalen Bereich
Abb. 29 Ausgangssituation: vestibulär knapp subgingival und palatinal
­supragingival frakturierter Zahn 22
Abb. 28 Definitiv zementierte VMK-Kronen im Unterkiefer (Frontalansicht)
mit harmonischem Gingivaverlauf
Abb. 30 Dimension der keratinisierten Mukosa im Bereich des Zahnes 22
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Planung
Aufgrund der ausgedehnten Breite an befestigter Gingiva (6 mm)
und des dicken Biotyps (Phenotyp) wurde die Kronenverlängerung mittels Gingivektomie und Ostektomie geplant.
Parodontalchirurgische Korrektur (Kronenverlängerung)
am Zahn 22
Eine Gingivektomie wurde durch eine paramarginale Inzision
entsprechend dem prospektiven Gingivaverlauf bukkal und
pala­tinal von Zahn 22 durchgeführt (Abb. 31). Anschliessend
­erfolgte ein zirkulärer Sulkusschnitt mit sulkulärer Entlastung
bis regio 21 und 23 (Abb. 32). Nach Ablösen ­eines Mukoperiostlappens wurde die klinische Krone mit einer zirkulären Ostektomie verlängert (Abb. 33). Der Primärverschluss ­erfolgte mit
einer Double-Sling-Naht (Seralon® 5-0, Serag-­Wiessner, Naila,
Deutschland) (Abb. 34). Im Anschluss an den chirurgischen
Eingriff wurde auch hier eine Chlorhexidinspülung (meridol®perio 0,2%, GABA Schweiz, Therwil) verordnet.
Definitive Versorgung sechs Monate nach Kronenverlängerung
Zahn 22 wurde schliesslich mit einem Quarzfaserstift (D.T.
Light-Post Fiber Post System, Biso Inc., Schaumburg, USA),
­direkter Füllungstechnik (Tetric® EVO Ceram, Ivoclar Vivadent AG, Lichtenstein) aufgebaut und mit einer VMK-Krone,
adhäsiv mit Panavia F2.0 TC (Kuraray Co, Japan) zementiert,
­rekonstruiert (Abb. 35). Anschliessend wurde die Patientin
in ein sechsmonatiges Recall-System aufgenommen.
Diskussion
In Situationen, in welchen nur noch wenig supragingivale Restzahnhartsubstanz für die prothetische Rekonstruktion des betroffenen Zahnes vorhanden ist, und entsprechend die Ränder
der Rekonstruktion tief subgingival positioniert werden, muss
als Reaktion auf die Verletzung der biologischen Breite mit gingivaler Entzündung sowie Attachment- und Alveolarknochenverlust gerechnet werden (Carnevale et al. 1983, Ganji et al.
2012, Newcomb 1974, Parma-Benfenali et al. 1985, Tal et al.
1988). Tief subgingivale Präparationsränder erschweren eine
Abb. 33 Situation nach Verlängerung der klinischen Krone und Osteoplastik
an Zahn 22
Abb. 31 Übertragung des ­prospektiven Gingivarandes auf die Gingiva
Abb. 34 Der Primärverschluss erfolgte mithilfe einer double-sling Naht
(Wachtel et al. 2006)
Abb. 32 Situation nach Verlängerung der klinischen Krone an Zahn 22
Abb. 35 Definitiv zementierte VMK-Krone an Zahn 22 (Frontalansicht) mit
harmonischem Gingivaverlauf
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präzise Abformung, wodurch das Risiko für Ungenauigkeiten im Randbereich der Restauration (Passgenauigkeit, Randschluss) stark ansteigt. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass bei tief subgingival liegendem Kronenrand – ähnlich
wie bei Implantatkronen – eine höhere Wahrscheinlichkeit für
unentdeckte Zementreste besteht. Diese sind Faktoren, die das
Risiko für die Entstehung parodontaler Entzündungen zusätzlich erhöhen (Lang et al. 1983, Linkevicius et al. 2013). Um das
prothetische Vorgehen (Abformung, Trockenlegung bei definitiver Zementierung, Zemententfernung) zu erleichtern und
entzündliche Reaktionen infolge Verletzung der biologischen
Breite zu vermeiden, ist eine präprothetische chirurgische Verlängerung der klinischen Krone eine conditio sine qua non.
Ziel einer chirurgischen Kronenverlängerung ist es, das vertikale Niveau des Gingivarandes möglichst vorhersagbar zu erreichen und ein langzeitstabiles Resultat zu erzielen. Die Dimension der biologischen Breite liegt durchschnittlich bei 3 mm im
bukkalen und bei 3 bis 4,5 mm im interproximalen Bereich
(normal crest) (Becker et al. 1997, Kois 1994, Kois 1996). Wird die
Kronenverlängerung in einem solchen Fall nur mittels Gingivektomie oder apikaler Lappenreposition ohne Ostektomie
durchgeführt, etabliert sich die biologische Breite nach der Heilungsphase vor allem im bukkalen Bereich wieder mit beinahe
der gleichen Dimension wie vor dem Eingriff (Herrero et al.
1995, Lanning et al. 2003, van der Velden 1982). Essenziell für ein
ästhetisch ansprechendes und stabiles Resultat nach einer Kronenverlängerung ist die sorgfältige, präoperative Beurteilung
der Weichgewebe- und Knochensituation. Hierbei sollten insbesondere folgende drei Aspekte berücksichtigt werden:
1.Beurteilung des bestehenden und des prospektiven Gingivaverlaufes.
2.Messung der Breite der keratinisierten Gingiva.
3.Bestimmung der Dimension der biologischen Breite
(Bone Sounding).
4.Bestimmung des gingivalen Biotyps (Phenotyps).
Summary
Stähli A, Bassetti M, Salvi G E, Sculean A, Mericske-Stern R,
Bassetti R: The surgical crown lengthening procedure in order to
improve the biological width and esthetics (in German). SWISS
DENTAL JOURNAL SSO 125: 577–586 (2015)
The aims of surgical crown lengthening procedures are to
­improve prosthetic reconstructions at teeth with limited hard
tissue, to prevent periodontal problems and/or to improve esthetics. When planning and performing surgical crown lengthening, it is important to consider not only periodontal and
technical aspects but also the gingival profile of the neighbouring teeth. This paper presents the systematic approach starting
with the diagnosis and indication to the performed treatments
and the obtained results and gives clinical recommendations.
Entsprechend diesen erhobenen Befunden kann die geeignete
Kronenverlängerungstechnik für jeden einzelnen Patienten
eruiert werden. Basierend auf diesen Messungen und der Literatur, insbesondere der Beobachtung, dass nach Ostektomie
und apikaler Lappenreposition nach zwölf Monaten mit einer
Dimension der biologischen Breite von durchschnittlich 3 mm
(interproximal: 3,2 mm, bukkal: 2,9 mm) gerechnet werden
kann, ist es möglich, vorhersagbare und stabile Resultate zu
­erzielen. Zu berücksichtigen gilt es jedoch, dass bei dickem
gingi­valem Biotyp durchschnittlich grössere Werte erreicht
werden können (Pontoriero & Carnevale 2001).
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Literatur
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