Der Seeländer hat es mit den Aktien

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SAMSTAG
5. MÄRZ 2011
WIRTSCHAFT
Der Seeländer hat es mit den Aktien
In der Region BielSeeland ist die
Aktionärsdichte höher
als in der übrigen
Schweiz. Mit ein Grund
dürften stark verankerte
grosse Unternehmen sein.
TOBIAS GRADEN
23,5 Prozent. So hoch ist der Anteil der Aktionärinnen und Aktionäre an der Gesamtbevölkerung
in der Region. Diese Aussage
macht die Studie «Aktienbesitz in
der Schweiz 2010», die das Institut für Banking und Finance der
Universität Zürich publiziert hat
(vgl. «Extra»).
Die Autoren Urs Birchler, Rudolf Volkart, Daniel Ettlin und
René Hegglin stellen darin fest,
dass es in der ganzen Schweiz
nur drei Regionen gibt, in denen
die sogenannte Aktionärsdichte
noch höher ist: Berner Oberland,
Bündner Unterland und Zug. Sie
haben ihre repräsentative Studie,
die auf Interviews mit 2000 Personen basiert, regional auf die
Wemf-Regionen aufgeteilt, das
«Berner Seeland» fällt somit in
die zweithöchste Kategorie, in
welcher die Aktionärsdichte zwischen 20 und 25 Prozent beträgt.
In dieselbe Gruppe gehören noch
die Regionen Nordostschweiz
und Oberwallis.
Seit «ewig» verankert
Empirisch erhärtete Aussagen
zu den Gründen für den regional
stark unterschiedlichen Aktionärsanteil sind aufgrund der Studie nicht möglich, Interpretationen dagegen durchaus. So vermutet René Hegglin, dass der
hohe Anteil im Berner Oberland
mit der grossen Zahl an Bergbahnen zusammenhängt. Hanspeter
Merz, Pressesprecher der Berner
Kantonalbank, pflichtet bei: «Es
handelt sich um Liebhaberwerte,
die nicht zuletzt aus emotionalen
Gründen gehalten und innerhalb
der Familie von Generation zu
Generation weitergegeben werden.»
Im Seeland gibt es mehrere
grosse Unternehmen, die einerseits stark in der Region verankert, anderseits an der Schweizer
Börse kotiert sind: Swatch Group,
Feintool, allenfalls Tornos, historisch gesehen Mikron und UBS,
in deren Aktionariat sich auch
Anteilseigner finden dürften, die
Die Kurse der Börse werden im Seeland besonders aufmerksam verfolgt – der Anteil Aktionäre ist hier höher als anderswo.
ihre Aktien noch aus der Zeit vor
der grossen Konzentration haben. Heinz Köhli, Kundenberater
Anlagegeschäft bei der Raiffeisenbank Seeland, macht diese
Beobachtung oft: «Solche Firmen
sind seit ‹ewig› hier verankert und
landen darum oft in Depots.»
Hinzu kommt, dass bei diesen
grossen Unternehmen auch zahlreiche Mitarbeiter (Klein-)Aktionäre sein dürften. Dieser Wert
liegt allerdings nicht bedeutend
über dem Schweizer Durchschnitt: Während gesamthaft
5,5 Prozent der Bevölkerung Mitarbeiteraktien halten, sind es im
Seeland 5,9 Prozent.
Die Affinität der Seeländer zum
Aktienbesitz regional stark verankerter Unternehmen zeigt sich
auch in der Streuung des Aktionariats der im ganzen Kanton tätigen Kantonalbank. Von den total
63 000 Aktionären leben 9000,
also jeder Siebte, im Seeland.
«Das ist viel», sagt Sprecher Merz.
Ihre Verbundenheit mit dem
Unternehmen, das sie mitbesitzen, zeigen Seeländer zudem mit
der Teilnahme an Generalversammlungen: Von den befragten
Aktionären in der Region haben
57,1 Prozent angegeben, im ver-
Zusammensetzung
des Portfolios
Mehrfachantworten möglich,
in % aller Befragten
Seeland
ges. Schweiz
Bank-/Postkonti 100 % 95 %
Bargeld/Cash 100 % 92 %
Dritte Säule
56 % 56 %
Immobilien
41 % 41 %
Lebensversicherung
35 % 36 %
Anlagefonds
38 % 26 %
Aktien
24 % 17 %
Geldmarkt, Obligationen
15 % 14 %
Edelmetalle
24 % 14 %
Strukturierte Bonds, Derivate
6%
6%
Mitarbeiteraktien
6%
6%
QUELLE: Institut für Banking
und Finance, Universität Zürich
gangenen Jahr an mindestens einer GV teilgenommen zu haben.
In der restlichen Schweiz liegt
dieser Wert bei 32,9 Prozent.
Schweizweit ein «sehr signifikanter Grund, Aktien zu halten»
(Hegglin), ist Reichtum. Einfach
gesagt: Je vermögender jemand
ist, desto eher ist er im Besitz von
Aktien. Zwar ist das Seeland gemeinhin nicht als besonders reiche Gegend bekannt, doch liegt
der Anteil an Personen, die ein
Vermögen von über 500 000 Franken besitzen, mit 11,8 Prozent höher als im schweizerischen Schnitt
von 7,7 Prozent. Da die Stichprobe
klein sei, müsse diese Zahl allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, relativiert René Hegglin.
Risiko, kaum mehr Chance
Welchen Einfluss die Tatsache
hat, dass der Kanton Bern mit der
BX Berne Exchange noch einen
eigenen Börsenplatz hat, ist umstritten. Einerseits dürfte sich
kaum ein Durchschnittsanleger
deswegen zum Aktienbesitz verleiten lassen, anderseits sind an
dieser wiederum regional verankerte Werte vertreten. «Leichtere
Bestimmungen zur Kotierung bedeuten einen höheren Anreiz für
regionale KMU, sich kotieren zu
lassen. Diese Aktien werden wiederum von Aktionären aus der
Region gehalten», so Hegglin.
Bild: ky
Allgemein verliere die Aktienanlage weiter an Boden, lautet
eine der wichtigsten Erkenntnisse
der Studie. Der Anteil der Befragten, die Aktien halten, beträgt
über die ganze Schweiz noch 17,4
Prozent, verglichen mit 29,6 Prozent im Jahr 2000. Die Finanzkrise
hat das Vertrauen in die Finanzmärkte erschüttert. Heinz Köhli
sagt: «Die Jahre zwischen 2000
und 2010 waren die erste Dekade,
in der man mit Aktienbesitz ein
Minusgeschäft gemacht hat.» Seither werde Aktienbesitz eher als
Risiko betrachtet: «In Beratungsgesprächen kommt das Wort Risiko etwa 100 mal vor, das Wort
Chance kaum je.» Wer Aktien als
Anlagemöglichkeit verstehe, investiere darum heute eher diversifiziert (Fonds, Zertifikate, etc.),
während noch in den 80er-Jahren
oft nur Einzeltitel in den Depots
gelegen hätten. In der Tat ist der
Anteil der Anlagefonds im Seeland deutlich höher als in der übrigen Schweiz (vgl. Infobox).
DIE STUDIE. «Aktienbesitz in der
Schweiz 2010».
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