Vorlesung 4

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Folgen der Monopolisierung der Gewalt
 Das Recht wird nicht mehr von Parteien/Privaten durchgesetzt,
sondern durch staatliche Einrichtungen
– Neue Entwicklungen: Privatisierung, private Polizei, privates Militär
 Die Straftat (Strafrecht) etabliert eine Beziehung zwischen Straftäter
und Staat (und erst in zweiter Linie eine Beziehung zwischen Täter
und Opfer)
– Straftat = Geltungswiderspruch (Hegel)
– Konsequenz: Das Opfer wird „entmachtet“
 Die Konsequenz ist allerdings Entlastung sowohl für das Opfer als
auch für den Täter
– Das Opfer (und der Täter) muss nicht mehr die
Risiken der Selbsthilfe (Fehde) in Kauf nehmen
(gewalttätige Vergeltung und Eskalation)
– Der Täter hat ein berechenbares Verfahren und
berechenbare Folgen (Strafe) vor sich
Kriminologie I WS 2012 - 2013
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Staat, Herrschaft und Kriminologie
 Machiavelli: “Der Prinz”
– “Was ist besser: gefürchtet oder geliebt zu werden?”
– Staat und Strafrecht als Herrschafts- und Kontrollinstrumente
 Hobbes: “Der Mensch ist des Menschen Wolf”
– Im „Naturzustand“ gibt es keine Sicherheit; es gilt das Recht des
Stärkeren
– Vertrag aller mit allen über die Übertragung der natürlichen Rechte
auf einen Souverän, in dem die Macht (und Gewalt)
konzentriert/monopolisiert ist und der die Sicherheit garantiert
 Die im Staat (und Strafrecht) organisierte Gewalt ist Herrschaft und
legitimiert sich durch den Schutz vor Verletzungen durch andere
Menschen
– Innere und äußere Sicherheit
– Akzeptanz und Legitimation durch demokratische Prozesse
Kriminologie I WS 2012 - 2013
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Strafe, Macht und das Problem der Gewalt
 Sanktionierung/Strafe ist Gewalt und trägt deshalb ein Stigma in
sich
 Auch in der Anwendung strafender (vergeltender) Gewalt ist das
Risiko der Gegengewalt (Widerstand, Rache) enthalten
 Überlegene Gewalt (Aktionsmacht, Popitz) bedeutet Macht über
eine Person (allerdings nur für einen Moment)
– Talleyrand: Sire, mit Bajonetten kann man viel
machen, man kann nur nicht darauf sitzen
 Herrschaft muss auf Dauer gestellt werden und das heißt,
Herrschaft muss vom Stigma der bloßen Gewalttätigkeit entlastet
werden
 Dies bedeutet, dass die Sanktion und die Sanktionierung normiert
werden müssen
 Erst wenn die Sanktion normiert ist, kann es zu dauerhafter und
stabiler Herrschaft kommen
» Kodifizierung
» Akzeptanz/Legitimation
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Fragestellungen
 Strafrechtssoziologie
– Erklärung der Entstehung des Strafrechts (und damit der
Voraussetzungen von Kriminalität)
 Ätiologie
– Erklärung der Entstehung von Kriminalität, Ursachen
kriminellen Verhaltens
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Umfang, Bewegung und Ursachen der Kriminalität
 Kriminalstatistiken und die Messung von Kriminalität
 Ursprünge:
– Entstehung von „Moralstatistiken“ im 19. Jahrhundert
– Quetelet (1796-1874) und Guerry (1802-1866)
– Kriminalstatistik als Indikator für den Moralzustand einer
Gesellschaft
– Statistiken als Grundlage für Planung
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Guerry, André-Michel. 1833. Essai sur la statistique morale de la
France. Paris: Crochard
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Kriminalstatistiken
 Polizeiliche Kriminalstatistik (LKAs; BKA)
– www.bka.de
– Jahresstatistiken und Zeitreihen 1987-2010
 Gerichtliche Statistiken
– Abgeurteilten-, Verurteiltenstatistik
– Statistische Landesämter, Statistisches Bundesamt
 Staatsanwaltschaftsstatistik
 Strafvollzugsstatistik
– Bundesministerium der Justiz; Statistisches Bundesamt
 Bewährunghilfestatistik; Jugendhilfestatistik
 www.destatis.de
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Laufende Berichterstattung
 Polizeiliche Lageberichte (LKAs, BKA; www.bka.de)
– Organisierte Kriminalität
– Menschenhandel
– Wirtschaftskriminalität
– Korruption
– Jugendkriminalität
– Drogenkriminalität
 Verfassungsschutzberichte
– Insb. rechtsextremistische, linksextremistische Gewalt
 Periodischer Sicherheitsbericht (www.bka.de)
(1. Bericht Juli 2001, 2. Bericht 11/2006)
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Internationale Statistiken
 Interpol (bis zum Jahr 2006)
 UN (World Crime Survey)
– www.uncjin.org
 Europarat
 European Sourcebook on Crime
– www.europeansourcebook.org/
 Eurostat
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Polizeiliche Kriminalstatistik
 Ausgangsstatistik
– Fall wird eingegeben, wenn das Verfahren an die
Staatsanwaltschaft abgegeben wird
 Erfasst werden:
– Tatverdächtige und Merkmale
– Straftaten und Merkmale beispw. Schusswaffe
– Opfer und Täter-Opfer-Beziehung
– Schaden
 http://www.bka.de/pks/pks2007/index.html
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Strafverfolgungsstatistik
 Erfasst werden
– Aburteilungen: Freisprüche, Einstellungen, Verurteilungen
– Verhängte Strafen und Maßregeln
– Merkmale der Abgeurteilten und Verurteilten
 www.destatis.de
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Verfahrensabschnitte und Statistiken
 Ermittlungsverfahren
 Einstellung/Anklage
 Aburteilung
 Strafvollstreckung/Strafvollzug
 Polizeiliche Kriminalstatistik
– Taten, Verdächtige, Opfer
 Staatsanwaltschaftsstatistik
– Verfahren
 Strafverfolgungsstatistik
– Abgeurteilte, Verurteilte
 Bewährungshilfestatistik
 Strafvollzugsstatistik
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Fallentwicklung 2010
5.933.278
Polizeilich registrierte Straftaten
3.322.320 aufgeklärt (56%)
2.152.803 Tatverdächtige
Staatsanwaltschaft
4.602.685 Fälle erledigt
1.046.230 Anklagen
(einschl. Strafbefehle)
Gerichte
1.018.006 Aburteilungen
813.266 Verurteilungen
37.660 Freiheitsstrafen
Einstellungen, Verweisungen etc.
Einstellungen und Freisprüche 20%
Geldstrafe und Bewährung 94,7%
Gefängnis
31.3. 2011
60.336 Strafhaft
10.864 Untersuchungshaft
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Darstellung von Kriminalität
 Absolute Zahlen
 Relative Zahlen (pro 100.000 der Wohnbevölkerung)
 Inzidenz
– wie häufig tritt ein Ereignis in einem bestimmten Zeitraum
auf?
– Wieviele Straftaten wurden 2010 durch die Polizei
registriert?
 Prävalenz
– wieviele Personen werden in einem bestimmten Zeitraum
(oder bis zu einem bestimmten Alter) von einem Ereignis
betroffen?
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Jährliche Registrierungsrate (Personen)
pro 100.000
Prävalenzraten (TVBZ) deutsche Männer und Frauen
6000
1800
5000
1500
4000
1200
3000
900
2000
600
Deutsche Männer (linke Skala)
1000
300
Deutsche Frauen (rechte Skala)
0
0
5
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10
15
Alter
20
25
30
35
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Kumulierte Rate pro 100.000
Lebenszeitprävalenzen deutsche Männer und Frauen
35000
14000
30000
12000
25000
10000
20000
8000
15000
6000
10000
4000
Deutsche Männer (linke Skala)
5000
2000
Deutsche Frauen (rechte Skala)
0
0
5
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15
Alter
20
25
30
35
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Problematik der Darstellung von Zunahme und Abnahme
 2000
 2001
100
200
 Zunahme
100%
 2001
 2002
200
100
 Abnahme
50%
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Relative Zahlen - Prozentwerte
 Die Aussagekraft relativer Zahlen ist abhängig von der
Größe der absoluten Zahlen




1 – 20
10 – 30
100 - 120
1000 – 1020
Zunahme 1900%
Zunahme 200%
Zunahme 20%
Zunahme 2%
 Aussagen sind abhängig von den Bezugsgrößen
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Polizeilich registrierte Straftaten /100.000 1956 - 2011
9000
8000
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
19
56
19
59
19
62
19
65
19
68
19
71
19
74
19
77
19
80
19
83
19
86
19
89
19
92
19
95
19
98
20
01
20
04
20
07
20
10
0
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Trends
 Starke Zunahme der registrierten Straftaten, vor allem
Eigentumsdelikte
 Gleichzeitig
– starke Abnahme der Aufklärungsquote
– insb. bei Einbruchsdiebstahl, Fahrzeugdiebstahl
– Wohnungseinbruch
» 1970: 34%
» 2000: 18%
» 2010: 16%
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Grafik: Ermittlungseffizienz der Polizei in Abhängigkeit
von einem zu Beginn der Ermittlungen identifizierten
Tatverdächtigen (Einbruchsdiebstahl; Dölling 1999, S.52)
120
97
100
72
80
60
60
40
30
22
20
20
0
Aufklärung
Anklage
Tatverdächtiger bekannt
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Verurteilung
Tatverdächtiger unbekannt
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Langfristige Trends der Kriminalität und die Theorie der Moderne
 Verstädterung und Industrialisierung
 Individualisierung und Veränderungen in Mustern sozialer
Interaktion (Schwächung von Bindungen, Kollektivwerten)
 Veränderung von Gelegenheits- und Motivationsstrukturen
 Veränderungen in Strukturen sozialer Kontrolle
– Wertewandel (Beisp. Ladendiebstahl)
– Erhöhte Sensibilisierung und Bereitschaft, die Polizei
einzuschalten
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Konventionelle oder „Alte“ Kriminalität
 Gewaltkriminalität
– Tötungsdelikte
– Vergewaltigung
– Körperverletzung
– Raub
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Tötungsdelikte in den USA und Deutschland 1900 - 2010
12
10
8
6
4
2
19
00
19
05
19
10
19
15
19
20
19
25
19
30
19
35
19
40
19
45
19
50
19
55
19
60
19
65
19
70
19
75
19
80
19
85
19
90
19
95
20
00
20
05
20
10
0
USA
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Deutschland
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Täter-Opfer-Beziehung Tötungsdelikte in Deutschland und in den
USA
Deutschland
Verwandtschaft/
Partnerschaft
USA
Verwandtschaft/
Partnerschaft
19
Bekannt
Bekannt
9
Fremd
16
44
Fremd
46
Ungeklärt
Ungeklärt
28
12
25
Aufklärungsquote 96%
Aufklärungsquote 64%
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Opfer von Tötungsdelikten in Deutschland und in den USA (%)
52
52
80
77
70
51
60
50
50
40
49
48
23
30
48
20
47
46
10
Männlich
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Weiblich
0
Männlich
Weiblich
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Entwicklung tödlicher Gewalt (Tötungsdeliktsraten) in 5 Regionen
(West)Europas
Quelle: Eisner, M.: Langfristige
Gewaltentwicklung: empirische Befunde und
theoretische Erklärungsansätze. In:
Heitmeyer, W., Hagan, J. (Hrsg.): Handbuch für
Gewaltforschung, Opladen 2002, S. 58–80
30
25
20
15
10
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1995-2010
1975-1994
1950-1974
1925-1949
1900-1924
1850-1899
1825-1849
1800-1824
1750-1799
1700-1749
1650-1699
1600-1649
16. Jh.
15. Jh.
0
13.-14. Jh.
5
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Todesursachen 2009 (Arbeitsunfälle 2007)
13368
14000
12000
9571
10000
8000
6000
4152
4000
2000
81
706
619
0
Tötungsdelikte
durch Fremde
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Alle Tötungsdelikte
Suizid
Tod im
Straßenverkehr
Arbeitsunfälle
Sonstige tödliche
Unfälle
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