Oldenburger Energiepolitisches Gespräch: Perspektiven für einen CO2-Emissionshandel in der Zeit nach 2012 – Erfahrungen, Überlegungen und Ausweitungsstrategien Hannover-Stöcken, 31. Mai 2007 Über die Schwierigkeiten der EU, ihre KyotoVerpflichtung einzuhalten Dr. Rolf Linkohr Ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments (1979 – 2004) Direktor des Centre for European Energy Strategy, Brüssel [email protected] 1 Die wichtigsten Beschlüsse des Europäischen Rats vom 8./9. März 2007: - Im Jahre 2020 soll der Energieverbrauch der EU 20% unter dem Referenzwert von 2005 liegen - Bis 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in der EU auf 20% steigen - Die Emission der Treibhausgase soll bis 2020 um 20% vermindert werden. Sollten andere Länder vergleichbare Reduktionsverpflichtungen eingehen, will die EU ihre Treibhausgasemissionen um 30% vermindern 2 Deutschland will seine CO2 Emissionen sogar um 40% gegenüber dem Referenzjahr 1990 senken, wenn die EU sich auf 30% einigt. 3 Die Ziele sind ehrgeizig: Sollten die Beschlüsse tatsächlich umgesetzt werden, kann Deutschland aus der Kernenergie aussteigen und trotzdem seine CO2 Emissionen um 40% senken. Doch sind diese Ziele wirklichkeitsnah? 4 Die Managementberatung A.T. Kearney kommt in einer aktuellen Studie zu dem Ergebnis, dass die Ziele nicht erreicht werden. Hauptargumente: 1. 2. 3. Der Stromverbrauch privater Haushalte nimmt in der EU jährlich um 2,2% zu. Demgegenüber nimmt der allgemeine Stromverbrauch (alle Wirtschaftssektoren zusammen) nur um 1,5% zu. Gelänge es, den Schadstoffausstoß von PKW‘s auf 120g/km zu verringern, würde die CO2-Emission nur um wenige Prozent (in Deutschland 5%) sinken. Ein höherer Stromverbrauch führt beim Kernenergieausstieg zum Bau von Kohlekraftwerken. Die CO2-Emission nimmt zu. 5 Keines der Szenarien verletzt wissenschaftliche Grundsätze. Eine drastische Minderung der CO2 - Emissionen ist physikalisch möglich. Auch stehen im Prinzip marktwirtschaftliche und ordnungspolitische Instrumente – auf nationaler und europäischer Ebene – zur Verfügung. 6 Bisherige Erfahrungen lassen aber zweifeln, dass diese Vorgaben erfüllt werden: 7 Die CO2 Emissionen, EU - 15 Quelle: Europäische Kommission, GD TREN 8 KLIMAWANDEL UND ENERGIE Gesamtemissionen von Treibhausgasen (EU-15) Index Basisjahr = 100 EU-15 Ziel 2010 Quelle: Eurostat 9 CO2 Emissionen nach Sektor, EU-25 1,3 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 1990 1991 1992 1993 1994 Kraft-Wärme Quelle: Eurostat 1995 1996 Transport 1997 1998 Dienstleistung 1999 2000 Industrie 2001 2002 Haushalt 2003 2004 2005 Total 10 EU – 15 Treibhausgasemissionen 1990 – 2004 im Vergleich zur Zielsetzung 2008 - 2012 Quelle: EEA, 2006 11 Das 25%-Ziel für CO2 verglichen mit der Realität Deutschland Jährliche CO2-Emissionen in Millionen Tonnen (Mt) Quelle: Deutsche Physikalische Gesellschaft 12 Treibhausgasemissionen 1990 – 2005 in Großbritannien Quelle: Defra 13 Entwicklung der Endenergieintensität in Frankreich Basisindex 100 im Jahre 1990 Quelle: Obsérvatoire de l‘Énergie, Ministère de l‘Economie, des Finances et de l‘Industrie, France 14 Darstellung der Energieeffizienzziele am Beispiel Netto-Stromverbrauch in Deutschland Quelle: DENA 15 Anteil der Erneuerbaren in der EU (Primärenergieverbrauch) 1997 war das Ziel, im Jahre 2010 den Anteil auf 12% zu bringen. 2007 wurden erst ca.7% erreicht. 2020 sollen es nach den Beschlüssen des Frühjahrsgipfels vom 8./9. März 2007 20% sein. Anteil der KWK – Anlagen in der EU (Stromerzeugung) 2004 war das Ziel, im Jahre 2010 auf 18% zu kommen. 2006 waren 13% erreicht. Anteil der Biokraftstoffe in der EU 2003 war das Ziel, im Jahre 2005 2% bzw. im Jahre 2010 5,75% zu erreichen. 2005 wurden erst ca. 1% erreicht. Das neue Ziel ist 10% im Jahre 2020 (Frühjahrsgipfel 2007) 16 Beispiel Automobil Die CO2 Emission der Fahrzeuge soll bis 2012 europaweit auf (120) 130g/km gesenkt werden. Im europäischen Durchschnitt bedeutet dies eine Senkung um 20%. Die deutschen FahrzeugHersteller müssten sogar eine Minderung um 30% erreichen. Die deutsche Automobilindustrie hat den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch ihrer Neufahrzeuge in den letzten 17 Jahren um 25% gesenkt. Mit der herkömmlichen Verbrennungstechnik ist eine Wiederholung dieser Verbrauchssenkung in kurzer Zeit aber nicht vorstellbar. Neue Antriebstechniken stehen nur ansatzweise zur Verfügung. Folge: die Automobilindustrie wird CO2 – Guthaben in Drittländern erwerben müssen. 17 Einige Fehlprognosen der letzten 50 Jahre - - im Jahre 1865 meinte der große britische Wirtschaftswissen-schaftler Stanley Jevons, dass GB nicht genügend Kohle fördern würde. Er hielt eine Steigerung um das Zehnfache für absolut notwendig. In der Folge kam aber GB mit wesentlich weniger Kohle aus. Jevons konnte nicht wissen, welche Rolle das Erdöl spielen sollte. in den 60-er Jahren wurde von der Kernenergie die Lösung des Energieproblems erwartet in den 80-er Jahren sollten Elektrofahrzeuge in die Serienproduktion gehen als sich diese Prognose nicht bewahrheitete, wurde verkündet, dass 2004 mit der Serienproduktion von Brennstoffzellen begonnen wird in den 90-er Jahren wurde das 21. Jahrhundert zum Zeitalter des Wasserstoffs erklärt. im Jahre 2010 wird die EU die USA wissenschaftlich und technologisch einholen wir brauchen immer weniger Stahl 18 Um die Ziele zu erreichen, muss in Deutschland die Energieproduktivität bis 2020 verdoppelt werden: - die Sanierungsrate bei Gebäuden muss verdoppelt werden - ebenso der Anteil der Anlagen, in denen Strom und Wärme erzeugt werden - außerdem dürften nur noch Elektrogeräte mit der höchsten Effizienzklasse (A++) verwandt werden - der Treibstoffverbrauch von Neuwagen muss um 30% sinken In der gesamten EU müssen ähnliche Anstrengungen erfolgen. 19 Zweifel kommen nicht zuletzt wegen des mangelnden Vorbilds staatlicher Behörden. Staatliche oder städtische Gebäude – von Kindergarten bis zum Ministerium – müssten energietechnische Wunderwerke sein. Der öffentliche Verkehr sollte nicht weniger, sondern mehr Geld erhalten. Auch die EU-Gebäudepolitik müsste sich umstellen. Da dem nicht so ist, entsteht eine Glaubwürdigkeitslücke. 20 Fazit: 1. 2. 3. 4. Werden die Vorgaben – Erneuerbare, Energieeffizienz, CO2 - Reduktion – eingehalten, kann Europa seinen Energieverbrauch bis 2020 um wenigstens 20% verringern. Diese Vorgaben verletzen kein Naturgesetz. Die Erfahrung mit den bisherigen Ergebnissen lassen Zweifel hochkommen, ob dieses Ziel erreicht wird. Die Ziele werden umso schwerer zu erreichen sein, je höher das wirtschaftliche Wachstum ist. Vermutlich wird Europa in zunehmendem Maße fiktive Emissionsminderungen vornehmen und in Drittländern CO2 - Guthaben erwerben. Damit geht ein Kapitaltransfer von bald 10 oder mehr Milliarden Euro pro Jahr hervor. Es stellt sich die Frage, was wird damit wo und wie finanziert. 21 JI/CDM limit 2008-2012 in % 1st period cap 2005 verified emissions Proposed cap 2008-2012 Austria 33.0 33.4 32.8 30.7 0.35 10 Belgium 62.1 55.58 63.3 58.5 5.0 8.4 Czech Rep. 97.6 82.5 101.9 86.8 n.a. 10 Estonia 19 12.62 24.38 12.72 0.31 0 France 156.5 131.3 132.8 132.8 5.1 13.5 Hungary 31.3 26.0 30.7 26.9 1.43 10 Germany 499 474 482 453.1 11.0 12 Greece 74.4 71.3 75.5 69.1 n.a. 9 Ireland 22.3 22.4 22.6 21.15 n.a. 21.91 Italy 223.1 225.5 209 195.8 n.k. 14.99 Latvia 4.6 2.9 7.7 3.3 n.a. 5 Lithuania 12.3 6.6 16.6 8.8 0.05 8.9 Luxembourg 3.4 2.6 3.95 2.7 n.a. 10 Malta 2.9 1.98 2.96 2.1 n.a. tbd Netherlands 95.3 80.35 90.4 85.8 4.0 10 Poland 239.1 203.1 284.6 208.5 6.3 10 Slovakia 30.5 25.2 41.3 30.9 1.7 7 Slovenia 8.8 8.7 8.3 8.3 n.a. 15.76 Spain 174.4 182.9 152.7 152.3 6.7 ca. 20 Sweden 22.9 19.3 25.2 22.8 2.0 10 UK 245.3 242.4 246.2 246.2 9.5 8 2057.8 1910.66 2054.92 1859.27 53.44 - Member State SUM Cap allowed 2008-2012 Additional emissions in 2008-2012 5. Der Test für die Bereitschaft Europas, seine Klimaschutzziele konsequent zu erreichen, wird die Aufteilung der 20% - Ziele für die Erneuerbaren Ende 2007 sein. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass einige Staaten auch die Kernenergie als CO2-freie Energiequelle anerkannt haben wollen. 6. Damit erhält die Diskussion über die Kernenergie neue Nahrung. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Kernenergie wohl nützlich ist, aber letztlich unser Klimaproblem allein nicht lösen kann. 7. In aller Regel wird dann an Energie gespart, wenn sie – d.h. Öl und Gas – teuer ist. Diese Erkenntnis ist so wahr wie unpopulär. Doch ohne Mut zur Wahrheit wird der Klimapolitik nur bescheidener Erfolg beschieden sein. 23 Zwei wenig diskutierte Folgen aus den Beschlüssen des Europäischen Rats vom 8./9. März 2007: 24 1. Sollte die EU tatsächlich eine nationale Quote für die Erneuerbaren bindend beschließen, dann bestimmt sie über den nationalen Energiemix mit. Die Mitgliedstaaten verlieren dann einen Teil ihrer wirtschaftlichen Souveränität. Der Unionsvertrag erlaubt einen solchen Eingriff in die nationale Souveränität, wenn alle Mitgliedstaaten einverstanden sind. 25 2. Am Beispiel Deutschlands läßt sich exemplarisch zeigen, wie die politische Festlegung von Energieproduktivität und Energieverbrauch das wirtschaftliche Wachstum bestimmt. Es gilt der Zusammenhang: BIP = (BIP/PEV) x PEV BIP – Bruttoinlandsprodukt BIP/PEV – Energieproduktivität PEV - Primärenergieverbrauch 26 Im Jahre 2006 betrug das deutsche BIP 2188 Mrd. Euro. Die Energieproduktivität wurde mit 4,43 Mrd. Euro pro Mio t SKE angegeben. Und der Primärenergieverbrauch war 494 Mio t SKE. Also 2188 = 4,43 x 494 27 Im Jahre 2020 soll nun die Energieproduktivität doppelt so hoch sein wie 1990 (3,379 Mrd Euro/ Mio t SKE), also 6,758 Mrd Euro/Mio t SKE. Der Energieverbrauch soll 20% unter dem Referenzwert des Grünbuchs der Kommission aus dem Jahre 2005, liegen 375 Mio t SKE. Daraus errechnet sich das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands im Jahre 2020: 2543 = 6,758 x 375 Von 2006 (BIP 2188 Mrd Euro) bis 2020 (BIP 2534) wächst demnach das BIP um jährlich 1%. Dieser Wert reicht nicht aus, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. 28 Von den 375 Mio t SKE Primärenergieverbrauch sollen 20%, also 75 Mio t SKE von erneuerbaren Energien bereit gestellt werden. Derzeit sind es etwa 26 Mio t SKE. Prognos/EWI geht für 2020 von 37 Mio t SKE aus. 29 Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in Deutschland Mill. t SKE 600 550 494 Mill. t SKE 500 450 444 Mill. t SKE EWI/ Prognos 375 Mill. t SKE 20 % Ziel des EU-Rates 400 350 300 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Quellen: BMWi, EU-Kommission, EWI/Prognos 2005 30 Persönliche Schlußfolgerung Gehen wir vom Gleichheitsgrundsatz aus, dass jeder Mensch gleichermaßen Anrecht auf die globalen Umweltresourcen hat, dann stehen wir von einem großen Problem. Gehen wir der Einfachheit halber von 10 Mrd Menschen im Jahre 2050 aus, die aus Klimagründen nicht mehr als 10 Mrd t CO2 emittieren dürfen, dann entfällt auf jeden Menschen 1t CO2 pro Jahr. Gestehen wird 20 Mrd t CO2 zu, dann sind es 2 t CO2 pro Jahr. 31 Deutschland müßte seine Emissionen von derzeit 10 t CO2 pro Jahr nun auf ein Fünftel oder ein Zehntel innerhalb zweier Menschengenerationen verringern. Die bisherige Erfahrung zeigt, wie schwierig dies ist. Doch sollten wir das Ziel ernst nehmen, so müssen alle möglichen Maßnahmen und Technologien ihren Beitrag leisten. 32 Anhang 33 EU – CO2 Emissionen Quelle: Europäische Kommission 34 Energiebezogene CO2 Emissionen (Referenzszenario WEO 2006) Quelle: WEO 2006 35 Energiebezogene CO2 Emissionen nach Sektor (weltweit) Quelle: WEO 2006, Referenzszenario 36 37 Zunahme der energiebezogenen CO2 Emissionen nach Region Quelle: WEO 2006 38 Gesamtemissionen von Treibhausgasen Index der Gesamtemissionen und Zielwerte entsprechend Kyoto-Protokoll/EU Ratsentscheidung für 2008 - 2012 Quelle: Eurostat 39 Entwicklung der Emissionen von CO2, Methan und Lachgas Quelle: Deutsche Physikalische Gesellschaft 40 Entwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen, Deutschland Mill. t CO2 1.000 950 900 850 786 Mill. t 800 733 Mill. t 750 700 674 Mill. t 650 600 1990 1995 2000 2005 2010 2015 EWI/ Prognos 30 % Ziel des EU-Rates 2020 Quellen: BMWi, EU-Kommission, EWI/Prognos 2005 41 Treibhausgasemissionen 1990 – 2005 im Vergleich zu den Kyoto-Vereinbarungen Quelle: Defra 42