Datum: 22.10.2013 Thema: Bandscheiben und Wirbelsäule Neueste Erkenntnisse zu Vorbeugung und Therapie Referent: Univ.-Prof. Dr. Claudius Thomé Direktor der Univ.-Klinik für Neurochirurgie, Innsbruck Die Neurochirurgie umfasst die chirurgische Behandlung von Erkrankungen und Verletzungen des Gehirns, des Rückenmarks, der Nerven und der Wirbelsäule. Aufgrund der geringen Größe und der Empfindlichkeit der Strukturen werden die meisten Operationen in „Schlüsselloch-Technik“ mit dem Operationsmikroskop durchgeführt und es kommen modernste Technologien und Mikroinstrumente zur Anwendung. Damit ist die Weiterentwicklung der Neurochirurgie eng an technische Fortschritte und aufwändige Apparate gebunden. Die Bandscheibenchirurgie ist in den letzten Jahren immer schonender geworden, wobei sich endoskopische Verfahren oder moderne Technologien (Laser, etc.) zumeist wegen erhöhter Komplikationsraten nicht durchsetzen konnten. Neue Implantate versuchen negative Folgen von Operationen zu verhindern; die Zukunft liegt jedoch in regenerativen Strategien, also dem Wiederaufbau von Gewebe durch natürliche Prozesse. Bandscheibenprothesen werden in geeigneten Fällen an der Halswirbelsäule, aber nur noch in Ausnahmefällen an der Lendenwirbelsäule eingesetzt. Insgesamt geht der Trend eindeutig zu minimalinvasiven Wirbelsäulenoperationen, bei denen über Minischnitte Entlastungen des Wirbelkanals oder Versteifungen möglich sind. Der postoperative Heilungsverlauf ist bei diesen, ansonsten relativ großen Eingriffen deutlich schneller. Moderne Schraubensysteme und Implantate haben auch große Operationen bei Tumoren oder Fehlstellungen einfacher und sicherer gemacht. Sog. dynamische Systeme, die die normale Beweglichkeit der abgenutzten Wirbelsäule wiederherstellen sollen, werden derzeit evaluiert. Insgesamt haben durch diese Technologien und auch die oben angesprochenen (intraoperativen) Darstellungsverfahren derartige Eingriffe ihren Schrecken verloren. Nacken- und Rückenschmerzen sind mittlerweile der zweithäufigste Grund für einen Arztbesuch. Viele Betroffene gehen jedoch erst dorthin, wenn alle Möglichkeiten der Selbstmedikation erfolglos waren. Der Begriff „Rückenschmerz“ bezeichnet kein einheitliches Erkrankungsbild, sondern fasst eine Reihe von Beschwerden wie Schmerz, Muskelverspannung und Steifheit zusammen, welche zumeist im Halswirbelbereich (Nackenschmerzen) oder im Lendenwirbelbereich (Rückenschmerzen) auftreten. Durch das „Signal“ Schmerz macht uns unser Körper auf eine Gefahr oder Störung aufmerksam und setzt Abwehrmechanismen in Gang. Zur „Schadensbegrenzung“ meiden wir dann körperliche Betätigung und entwickeln auch psychologische Verhaltensmuster, die nicht selten die Rückbildung der Beschwerden behindern. Gerade unbewusste psychologische Verarbeitungsstrategien können die Entwicklung chronischer Schmerzen begünstigen und damit zur Qual der Betroffenen beitragen. Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn eine massive Beeinträchtigung für länger als 3 Monate vorliegt. Dann ist die Lebensqualität nachhaltig reduziert und negative Folgen für Arbeitsleben, Privatleben und die Psyche bleiben nicht aus. Der Schmerz hat seine Warnfunktion verloren und hält die Probleme erst aufrecht. Aufgrund der komplexen Zusammenhänge auch in der Schmerzverarbeitung sind die Ursachen nur schwer zu beheben und jegliche Maßnahmen bringen häufig nur eine Beschwerdelinderung. Anders geartet sind Fälle, in denen eine klare Ursache für die Symptome erkennbar ist. Bei Bandscheibenvorfällen, Spinalkanalverengungen oder Wirbelgleiten, die häufig monatelang Schmerzen hervorgerufen haben, können Infiltrationen oder Operationen hilfreich sein. Viele Patienten scheuen selbst in klaren Fällen einen operativen Eingriff, weil sie von schlechten Ergebnissen anderer Betroffener wissen. Insbesondere durch minimal-invasive Methoden und weniger aggressive Operationstechniken konnten in den letzten Jahren jedoch die Ergebnisse verbessert werden. Heute stehen uns Methoden zur Verfügung den Schwund der Rückenmuskulatur zu reduzieren, erneute Bandscheibenvorfälle zu verhindern oder funktionsbzw. bewegungserhaltend zu operieren. In Fällen von „unspezifischen“ Rückenschmerzen, die keiner klaren Ursache zuzuschreiben sind, scheinen Fehlbelastungen, zu wenig Bewegung und psychologische Belastungen („Stress“) eine große Rolle zu spielen. Die Schmerzen führen zu weiterer Schonung und Minderbewegung sowie zu Muskelverspannungen, die Psyche leidet immer mehr und es entwickelt sich in Einzelfällen ein Teufelskreis. Nahezu jeder leidet in seinem Leben mindestens einmal unter Rücken- oder Nackenschmerzen und dies ist bei der üblichen Abnutzung unserer Wirbelsäule auch normal. Kommt es nach Unfällen oder Verletzungen zu Schmerzen oder Ausfallserscheinungen, sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden. Meist liegt aber keine klare Ursache (z.B. Bandscheibenvorfall) vor und die Beschwerden klingen rasch wieder ab. Kommen ungünstige Faktoren sowohl körperlicher als auch psychischer Natur hinzu, können anhaltende Probleme resultieren. Entscheidend ist, dass einerseits bei erkennbaren Ursachen die für jeden Einzelnen richtige Therapie gewählt wird und andererseits bei „unspezifischen“ Rückenschmerzen betont wird, dass die Beschwerden unter Aktivität, Physiotherapie und evtl. Schmerzmitteln rasch wieder abklingen und in der Regel kein Grund zur Sorge besteht. Jeder Patient sollte entsprechend aufgeklärt und individuell behandelt werden, weil jeder Mensch und jede Wirbelsäule anders ist. Diagnose Zur Diagnosestellung bei Rücken- und Nackenschmerzen sind neben einer ausführlichen Erhebung der persönlichen und familiären Krankengeschichte, eine exakte klinisch-neurologische und gegebenenfalls laborchemische Untersuchung (Entzündungswerte, Erbmerkmale) erforderlich. Bildgebende Verfahren (z.B. Röntgenuntersuchung, Computertomographie, Magnetresonanztomographie) kommen erst bei anhaltenden Beschwerden oder dem Verdacht auf eine behebbare Ursache (z.B. enger Spinalkanal) zur Anwendung. Sie bergen die Gefahr, dass altersübliche Abnutzungserscheinungen eine dramatische Situation suggerieren. Woher sollen medizinische Laien wissen, dass wir alle ab spätestens 40 Bandscheibenvorwölbungen zeigen. Therapie Rücken- und Nackenschmerzen können sowohl medikamentös als auch physikalisch behandelt werden. Arzneimittel können entweder oral eingenommen oder injiziert werden. Auch eine Aufnahme über die Haut z.B. über Pflaster ist möglich. Durchblutungsfördernde Salben wirken eher oberflächlich, während Wärmepflaster zur äußerlichen Behandlung von Schmerzen eingesetzt werden und besonders im Rückenbereich bei Hexenschuss, Muskelverspannungen oder rheumatischen Erkrankungen eine wirksame Alternative gegenüber Salben bieten. Als physikalische Therapien eignen sich Wärme (z. Bsp. durch Wärmflasche und heiße Bäder), Physiotherapie, Gymnastik, Chiropraktik oder Rotlicht. Wichtig ist, dass man die Behandlung mit etwas Bewegung kombiniert, um eine Schonhaltung zu vermeiden. Ziel ist rasch wieder in seinen Alltagsrhythmus zu kommen. Lange Schonung oder Krankschreibung verhindert unter Umständen eine Heilung. Bei erkennbaren Ursachen und anhaltenden Symptome ist eine Operation sinnvoll. Prophylaxe-Tipps für den Alltag: • • • • • Bleiben Sie in Bewegung: Legen Sie kürzere Strecken zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück, anstatt mit dem Auto. Benutzen Sie statt dem Fahrstuhl die Treppe. Radfahren, Gehen und (Rücken-)Schwimmen trainiert die Muskeln ohne den Rücken zu belasten. Vermindern Sie gegebenenfalls Übergewicht. Verharren Sie nicht länger als 30 Min. in derselben Position. Gehen Sie beim Beugen in die Knie – so müssen die Oberschenkel die Last heben und nicht Ihr Rücken. Verteilen Sie die Tragelast gleichmäßig auf beide Seite und Vermeiden Sie Drehungen beim Tragen. Weitere Informa tion en: Univ.-Prof. Dr. Claudius Thomé Leiter der Univ.-Klinik für Neurochirurgie Innsbruck Anichstraße 35 6020 Innsbruck Telefon: +43 (0) 512 / 504 - 27452 E- Mail: [email protected], [email protected]